The Passengers of the Night - Mikhaël Hers (2022)
Moderator: jogiwan
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The Passengers of the Night - Mikhaël Hers (2022)
Originaltitel: Les passagers de la nuit
Produktionsland: Frankreich 2022
Regie: Mikhaël Hers
Cast: Charlotte Gainsbourg, Noée Abita, Megan Northam, Quito Rayon-Richter, Thibault Vinçon, Emmanuelle Béart, Laurent Poitrenaux
Paris 1981: Während eine hoffnungsselige Bevölkerung den Wahlsieg François Mitterrands feiert, befindet sich auch das Leben Elisabeths im Umbruch. Überstanden hat sie kürzlich eine Krebserkrankung, die sie die rechte Brust kostete; ihre Ehe ist zerbrochen und ihr Ex-Gatte denkt gar nicht daran, sich großartig Verantwortung auf die Schultern zu laden, sodass sie mit ihren beiden kurz vor der Schwelle zum Erwachsensein stehenden Kindern Matthias und Judith nunmehr allein in einem Stadtappartement wohnt; ebenfalls verloren hat sie ihren Job, was ihrer niedergeschlagenen Grundstimmung, zu nichts nütze zu sein, kein rechtes Ziel zu haben, verständlicherweise nicht zuträglich ist, zumal ihr Ex-Mann beim Zahlen seiner Alimente nicht unbedingt ein Musterbeispiel abgibt. Aber Elisabeth lässt sich nicht unterkriegen: Spontan schreibt sie ihrer Heldin einen Brief, einer Moderatorin, die im lokalen Radio eine Art mitternächtliches Sorgentelefon betreibt – jeder kann anrufen und seine Sorgen klagen, mit ihr über jedes beliebige Thema diskutieren, sie um ihren Rat fragen. Die Dame lädt Elisabeth tatsächlich zu sich ins Studio ein und vermittelt ihr zunächst eine befristete Anstellung im Hintergrund der Sendung. Dort lernt Elisabeth alsbald die Teenagerin Talulah kennen, ein Mädchen, das sich von seiner Familie losgesagt hat, teilweise auf der Straße lebt, im Begriff ist, in die Drogensucht abzurutschen, und sich nichts sehnlicher wünscht, als ein warmes Nest, in dem es sich verkriechen kann. Zunächst bietet Elisabeth Talulah nur an, ab und zu ihr Bad nutzen zu dürfen; irgendwann hat die junge Frau einen eigenen Schlüssel zu Elisabeths Wohnung; vor allem mit Matthias freundet sie sich an, der sich wiederum Hals über Kopf in die etwa Gleichaltrige verknallt. Nach und nach kristallisiert sich heraus, dass die Addition Talulahs in den Kreis von Elisabeths Familie gewisse Entwicklungen in Gang setzt, die für alle Beteiligten mit Emanzipation von einer bitteren Vergangenheit, Unabhängigkeit von der Elterngeneration, und dem Finden eines eigenen Lebenswegs zu tun haben…
Mehrfach in Mikhaël Hers‘ LES PASSAGERS DE LA NUIT wird auf Eric Rohmer angespielt: Das Foyer des Kinos, das Matthias, Judith und Talulah als ausgemachte Cineasten regelmäßig, (und zuweilen, ohne zu bezahlen, durch die Hintertür), besuchen, ist gepflastert mit Plakaten seiner Filme; zu den Idolen Talulahs zählt Pascale Ogier, die mit 25 Jahren an Herzversagen verstorbene Tochter Bulle Ogiers, die ihre Schauspielkarriere mit Nebenrollen in Rohmer-Filmen begonnen hat; auch ästhetisch wirkt der ganze Streifen wie ein Update der typischen Rohmer’schen Ästhetik: Ohne ausgeklügelten Spannungsbogen, ohne konventionelle Dramaturgie, und, wenn man so will, ohne rechten Fokus verfolgen wir die Schicksale einer Mutter, ihrer beiden Kinder und der Zufallsbekanntschaft Talulah knapp zwei Stunden lang, ohne dass viel passiert; es wird viel geredet, genauso viel bedeutungsschwanger geschwiegen; zwischen den Schweigeminuten und den aus dem Leben gegriffen wirkenden Dialogen gibt’s Liebe, Lust und banale Alltagsdinge wie das Flüggewerden der Kinder, die Verlockung von Drogen und Rausch, ersten Sex nach langer Flaute und ersten Sex überhaupt. Der streng-asketischen Mise en Scéne Rohmers, (die man, wie ich finde, auch dann abfeiern kann, wenn es einem sonst schwerfällt, irgendwelchen Leuten neunzig Minuten lang beim Plaudern zuzuschauen), kann LES PASSAGERS DE LA NUIT allerdings, meiner Meinung nach, nicht viel hinzufügen: Für mich wirkt vieles beliebig, austauschbar, redundant – narrativ wie inszenatorisch. Interessant immerhin ist, dass der Film zu einem Zeitpunkt spielt, als Rohmer selbst noch aktiv Filme gemacht hat, - sprich: eine audiovisuelle Zeitreise bekommen wir geboten: 80er-Vintage-Flair wird evoziert durch zeitgenössische Popmusik, Mode, dokumentarische VHS-Aufnahmen, die tatsächlich aus den 80ern zu stammen scheinen und beispielweise Pariser Stadtansichten oder, zu Beginn, feiernde Mitterand-Anhänger zeigen. Obwohl das Ganze durchaus hübsch aussieht, fand ich's kinematographisch eher fad, zu betont darauf bedacht, eine permanente wehmütig-nostalgische Atmosphäre anzuschlagen, und im Endeffekt dafür, was erzählt werden soll, viel zu lang. Auch der Aspekt, dass die Figur Talulah – ähnlich wie in Pasolinis TEOREMA, wenn auch ins rein Positive (und Positivistische) gewendet – als eine Art Katalysator fungieren soll, die aus den Menschen, denen sie begegnet, das Bestmögliche herauskitzelt, wirkt wenig ausgearbeitet, und scheint stellenweise gar vom Drehbuch vergessen worden zu sein. Gerettet wird das Ganze für mich mich eigentlich nur vom überzeugenden Cast, aus dem Charlotte Gainsbourg und Newcomerin Noée Abita hervorstechen. Im Prinzip bildet LES PASSAGERS DE LA NUIT aber eher genau das, was man sich gemeinhin unter "French Arthouse" vorstellt – und zwar beileibe nicht im besten Sinne...