bux t. brawler - Sein Filmtagebuch war der Colt

Euer Filmtagebuch, Kommentare zu Filmen, Reviews

Moderator: jogiwan

Benutzeravatar
buxtebrawler
Forum Admin
Beiträge: 41729
Registriert: Mo 14. Dez 2009, 23:13
Wohnort: Wo der Hund mit dem Schwanz bellt.
Kontaktdaten:

Re: bux t. brawler - Sein Filmtagebuch war der Colt

Beitrag von buxtebrawler »

Bild
Der letzte Zug nach Durango
Die glücklosen Goldsucher Gringo (Anthony Steffen) und Luca (Enrico Maria Salerno) sitzen gerade im Zug nach Durango, als dieser von einer Bande mexikanischer Banditen überfallen wird. Die Beute: Ein Tresor voller Bargeld. Bestrebt danach endlich Reich zu werden, nehmen die Beiden die Verfolgung der Räuber auf...
„Wir haben Revolution!“

Der italienische Regisseur Mario Caiano („Nazi Love Camp 27“) drehte im Jahre 1967 die Italo-Western-Komödie „Der letzte Zug nach Durango“, zu dem er auch zusammen mit José Gutiérrez Maesso und Duccio Tessari das Drehbuch verfasst hat. Der vor dem Hintergrund der mexikanischen Revolution spielende Film präsentiert Genrestar Anthony Steffen („Django und die Bande der Bluthunde“) in einer ungewohnt komischen Rolle.

Die nicht sonderlich von Erfolg gekrönten Goldsucher und Tunichtgute Gringo (Anthony Steffen) und Lucas (Enrico Maria Salerno, „Das Syndikat“) kehren per Zug nach Durango zurück, wofür auch noch ihre letzten Penunsen draufgingen. Doch während der Fahrt wird die Bahn von mexikanischen Banditen überfallen, die einen Tresor voller Bargeld stehlen und auch gleich noch die nette und attraktive Helen (Dominique Boschero, „The Child – Die Stadt wird zum Alptraum“) mitnehmen, mit der Gringo just angebändelt und sich Hoffnungen gemacht hatte. In der Verwüstung finden die beiden überlebenden Tagediebe jedoch den Schlüssel zum Tresor und reisen fortan den sich als Revolutionäre ausgebenden Banditen hinterher, da sie endlich das große Geld wittern, ferner will Gringo unbedingt Helen wiedersehen. Ihre gefährlichen Wege kreuzen sich auf eigenartige Weise immer wieder mit denen des motorisierten und kultivierten feinen Pinkels Brown (Mark Damon, „Der Untergang des Hauses Usher“), der das Duo aus manch brenzliger Situation heraushilft...

„Ihr beiden quatscht mir zuviel! Ich brauche schweigsame Männer in meiner Bande!“

Verglichen mit den Abenteuern von Terence Hill und Bud Spencer ist „Der letzte Zug nach Durango“ ein eher unbekannter Vertreter der italienischen Westernkomödie – und ein ungewöhnlicher dazu, denn ausgerechnet Anthony Steffen mit seinem traurigen Blick und seiner versteinerten Mimik für die Hauptrolle besetzen zu haben, dürfte manch Filmfreund skeptisch machen. Das macht jedoch einen besonderen, subtilen Reiz dieses Films aus: Man wird neugierig, wie sich Steffen wohl schlagen würde, ob er komisches Talent besitzt, man wartet auf Gefühlsregungen und fragt sich, ob er zum grimassenschneidenden Clown mutieren würde. Tut er natürlich nicht, aber er wirkt tatsächlich etwas lockerer in der Hüfte und seine müde, geschaffte Mimik passt einmal mehr ideal zum Typus Mensch, den er hier verkörpert: Einem auf der Suche nach dem Glück von Ort zu Ort Getriebenem. Ein herzhafter Biss in eine Peperoni zwingt ihn gar zu ungeahntem Mienenspiel. Fürs Temperament ist jedoch Salerno zuständig, der seinen mexikanischen Kumpel mimt. „Der letzte Zug nach Durango“ ist keine überkandidelte, absurde Slapstick-Revue und erst recht keine Kalauerkanonade, sondern eine charmante Wohlfühlkomödie mit viel herzerwärmendem, augenzwinkerndem Humor, der einen liebevoll karikierenden Umgang mit dem Italo-Western-Genre erkennen lässt. Caianos Film hat viel von einem sog. Buddy-Movie; zwei Verlierer schlagen sich mehr schlecht als recht durchs Leben und haben nicht viel als ihre Klamotten am Leib und ihre Freundschaft. Lauter und krawalliger wird es immer dann, wenn die Mexikaner gehäuft auftauchen. Mexikaner in Italo-Western sind nicht nur das Salz in der Suppe, sondern das Chili in der Bolognese. Auch hier sorgt das sympathische Völkchen für reichlich Feuer, doch leider missbrauchte man die grundsätzlich äußerst angenehme Thematik der mexikanischen Revolution, um die Revolutionäre wenig differenziert allesamt als primitive, geldgierige, auf ihren eigenen Vorteil bedachte Halunken darzustellen, was in dieser nichts sonderlich ernstnehmenden Komödie zwar verzeihbar ist, dem Thema jedoch in keiner Weise gerecht wird. Dieser Umstand führt auch zur Abwertung.

Gut gelungen ist hingegen der allgemeine zynische Blick auf die kollidierenden Interessen unterschiedlicher Parteien, die natürlich alle hinter dem Geld her sind – was in zahlreichen Toten mündet. Diesbezüglich macht auch „Der letzte Zug nach Durango“ trotz seiner komödiantischen Herangehensweise keinerlei Zugeständnisse, verzichtet aber weitestgehend auf den Einsatz von Kunstblut. Und nicht alles endet gleich in Mord und Totschlag, süffisant hält in manch Szene auch die „Pack schlägt sich, Pack verträgt sich“-Mentalität Einzug. Zwar ahnt man, dass sicherlich nicht gleich beide unserer Möchtegern-Helden, die so einiges ertragen müssen und sich in die unmöglichsten Gefahren begeben bzw. in sie hineinstolpern, ihr Leben werden lassen müssen – man kann sich allerdings nie ganz sicher sein, ob nicht doch zumindest einer über die Klinge springen wird. Ihre Spannung gewinnt die Dramaturgie jedoch in erster Linie aus dem mehrmaligen unvermittelten Auftauchen Browns, von dem man nie genau weiß, was er wirklich bezweckt. All das führt zu einer überraschenden Pointe eines Finales, das auf amüsante Weise ein klassisches Western-Duell, jedoch ohne Kugeln in den Revolvern (!), zelebriert. Am Schluss steht einmal mehr ein – Achtung, Spoiler! – anscheinend typisches Steffen-Ende, indem er (fast) alles verliert, was er zu besitzen glaubte.

Eine ebenso starke wie attraktive weibliche Rolle bekleidet Dominique Boschero, die sich in der testosterondominierten Welt durchaus zu behaupten versteht. Zu beobachten, wie sich der arme Gringo um sie bemüht, ist köstlich und mitleiderregend zugleich. Schön auch, dass man es manch erfolgreichem Italo-Western gleichtat und einen verdienten US-Schauspieler für eine der tragenden Rollen verpflichtete, in diesem Falle Mark Damon, der seinen schießgewaltigen Gentleman einwandfrei abliefert. Auch die Nebenrollen wurden namhaft besetzt, daran gibt es nichts zu mäkeln. Carlo Rustichellis Soundtrack weist eine stimmungsvolle Titelmelodie auf, bleibt ansonsten aber gemessen an anderen Genreproduktionen eher unauffällig. Für die die staubige, schwüle Stimmung inmitten karger Landstriche perfekt einfangende Kamera verantwortlich zeichnete übrigens niemand Geringerer als Enzo Barboni, der nur wenige Jahre später mit „Die rechte und die linke Hand des Teufels“ seine erste eigene Western-Komödie – eine der eingangs erwähnten – als Regisseur drehte und in der Folge viele weitere Spencer/Hill-Filme inszenierte, darunter auch das Meisterwerk „Vier Fäuste für ein Halleluja“.

Fazit: Eine leichtfüßige, dennoch angenehm atmosphärische Italo-Western-Komödie für Freunde des Genres, das erfolgreich viele liebgewonnene Genre-Charakteristika vereint, weitestgehend sorgfältig inszeniert und besetzt wurde und Anthony Steffen einmal von einer etwas anderen Seite zeigt – die aber leider etwas am wenig mexikanerfreundlichen Drehbuch krankt. Die eigentliche Revolution des Films ist Steffens Peperoni-Biss mit entsprechendem Resultat, nicht das Bemühen der Compañeros.
Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
Ein-Mann-Geschmacks-Armee gegen die eingefahrene Italo-Front (4/10 u. 9+)
Diese Filme sind züchisch krank!
Benutzeravatar
buxtebrawler
Forum Admin
Beiträge: 41729
Registriert: Mo 14. Dez 2009, 23:13
Wohnort: Wo der Hund mit dem Schwanz bellt.
Kontaktdaten:

Re: bux t. brawler - Sein Filmtagebuch war der Colt

Beitrag von buxtebrawler »

Bild
Zwei wilde Companeros

„Dir trau ich auch nicht, wenn du kalt bist und stinkst!“ (keine guten Voraussetzungen für eine Zusammenarbeit...)

Der italienische Filmemacher Duccio Tessari, der bereits mit seinem Western „Eine Pistole für Ringo“ viel Humor bewies, drehte im Jahre 1972 die Italo-Western-Komödie „Zwei wilde Companeros“, die sich relativ eng an Corbuccis Revolutions-Western(-Komödien) „Mercenario – Der Gefürchtete“ und „Lasst uns töten, Companeros“ orientiert und mit Franco Nero („Django“) und Eli Wallach („The Good, the Bad and the Ugly“) mit zwei Genrestars in den Hauptrollen aufwartet.

Der umtriebige Russe Dimitri Orlowski (Franco Nero) bestiehlt als Pfaffe verkleidet reiche Bürger. Als er aufgrund seiner Verkleidung einem Sterbendem Mann die letzte Ölung erteilen soll, erfährt er aus dessen Munde von einem vergrabenen Goldschatz, dessen Versteck jedoch nur der zum Tode verurteilte mexikanische Bandit Lozoya (Eli Wallach) kennen soll. Kurzerhand sucht er Lozoya im Gefängnis auf und befreit ihn. Er erfährt, dass die Karte zum Schatz auf zwei menschlichen Hinterteilen noch lebender Zeitgenossen eintätowiert wurde. Man bildet also eine Zweckgemeinschaft und begibt sich auf die Suche nach den Ärschen. An ihre Fersen geheftet hat sich die forsche Journalistin Mary O'Donnell (Lynn Redgrave, „Was geschah wirklich mit Baby Jane?“), die Lozoya für den eigentlich längst toten Revolutionär und Volkshelden El Salvador hält und eine Reportage über ihn verfassen möchte. Außerdem wird das ungleiche Duo vom Cousin des Russen (Horst Janson, „Captain Kronos – Vampirjäger“) verfolgt, der vorgeblich den Weg des Gesetzes einschlug, sich als Sheriff verdingt und noch eine Rechnung mit Dimitri offen hat – immerhin hat ihm dieser eine Halskrause und einen Brustharnisch eingehandelt. Und zu allem Überfluss gerät man auch noch in den Strudel der mexikanischen Revolution und hat General Huerta (Eduardo Fajardo, „Mercenario – Der Gefürchtete“, „Lasst uns töten, Companeros“) am Hals…

„Bin ich etwa reich? In ein paar Minuten hab ich nicht mal mehr das Leben!“ (Worte eines todgeweihten Habenichts)

Eigentlich ist „Zwei wilde Companeros“ ein ziemlich dreistes Rip-Off der genannten Filme Sergio Corbuccis mit Versatzstücken anderer erfolgreicher Genreproduktionen wie z.B. Leones Meisterwerk „The Good, the Bad and the Ugly“. Selbst die Rollen wurden sehr ähnlich besetzt; so spielt Nero anstelle eines Polen wie in „Mercenario“ eben einen Russen, Eduardo Fajardo ist erneut ein Armeeoberhaupt und Eli Wallachs Lozoya erinnert nicht von ungefähr an seine große Rolle des Tuco unter Leone. Jedoch entstand der Film unter der Regie Duccio Tessaris und nicht etwa eines zweitklassigen Plagiatoren, so dass er selbstverständlich seine Qualitäten aufzuweisen hat. Neben den Weltstars in den Hauptrollen wäre das zum einen die noch einmal deutlich komödiantischere Ausrichtung im Vergleich mit Corbuccis Werken, die den Film damit von diesen abhebt, zum anderen ein aufwändiger Inszenierungsstil, der sich unter der Kameraführung José F. Aguayos an den Großen orientiert, ein verdammt hohes Tempo und ein gewisser Anspruch hinsichtlich seiner Aussage. Lediglich die musikalische Untermalung Gianni Ferrios kann da nicht ganz mithalten, die keine eigene Linie findet; auch der Schnitt wirkt bisweilen recht hektisch, das mag jedoch auch mit der leider unvollständigen, zensierten deutschen Fassung zusammenhängen.

Wie in manch anderer Italo-Western-Komödie schützt auch hier die Komik nicht vor Gewalt, Folter, Elend und Tod und so gibt es einige zünftige Schießereien und Prügeleien, dementsprechend viele Tote, besondere Nettigkeiten wie einen Spezialstrick mit Stacheldraht und die Erkenntnis, dass ein Menschenleben einen feuchten Kehricht wert ist, was „Zwei wilde Companeros“ den genretypischen zynischen Anstrich verleiht. Weitere Aspekte zwischen dem besonders in der deutschen Brunnemann-Sprücheklopfer-Synchronisation wortgewaltigen Witz und der aus den unterschiedlichen Eigenschaften der konträren Charaktere resultierenden Situationskomik sind Seitenhiebe auf die (hier als normal hingenommene) Sensationsjournalie sowie ein nicht nur (wie etwa in „Der letzte Zug nach Durango“) veralbernder Blick auf die mexikanische Revolution und die Ausbeutung der mexikanischen Arbeiter, was in beschämender Weise nicht nur in Bezug auf Lateinamerika noch immer ein hochaktuelles Thema ist. In dieser Hinsicht vertritt „Zwei wilde Companeros“ recht offen sozialistische Ideale, thematisiert in diesem Zusammenhang aber auch, wie ein aufbegehrendes Volk Leitfiguren und Heldenikonen benötigt bzw. zu benötigen scheint oder schlicht herbeisehnt. Wie unmittelbar der Frauenbewegung der späten 1960er-Jahre entsprungen erscheint hingegen die Rolle der Mary, die nicht nur Journalistin, sondern auch eine äußerst wehrhafte, kämpferische, katholische Irin ist und mit Sicherheit eine der stärksten Rollen in der Geschichte des Italo-Western einnimmt – und sämtliche auf vermeintlichen Männlichkeits-Pathos des Genres abzielende Kritik lügen straft. Selbstredend wird sie auch für den einen oder anderen Macho zum Objekt der Begierde, ihr Umgang mit den Balzritualen ist dabei alles andere als uninteressant. Die überaus wendungsreiche Geschichte um das ungleiche Duo, das sich eigentlich am liebsten gegenseitig umbringen würde, aber gezwungen ist, an einem Strang zu ziehen, wird immer wieder von einer herrlichen Tonkulisse voll lauten Boxereien und Schießereien begleitet und pendelt zwischen fulminanten Szenen wie dem Kriegszustand während einer mexikanischen Feier, auf der die Band vollkommen unbeirrt weiterspielt, auf der einen und leider auch dann doch etwas sehr überzogenen Unwahrscheinlichkeiten auf der anderen Seite, wenn man dem Zuschauer bisweilen klarzumachen versucht, mit welch großen, quasi unverwundbaren Revolverhelden man es hier zu tun bekommt. Und die aus „Für ein paar Dollar mehr“ entlehnte Idee mit der Spieluhrmelodie wirkt sodann auch mehr wie fragwürdig geklaut denn respektvoll ehrerboten oder lustig persifliert.

Ingesamt aber überwiegen die positiven Eindrücke und ich würde lügen, würde ich behaupten, nicht jede Sekunde Eli Wallachs auf dem Bildschirm genossen zu haben. Gibt man sich die deutsche Synchronisation, muss man aber ein dickes Fell bzw. eine besondere Vorliebe angesichts der Klamauksynchro mitbringen, die zwar den einen oder anderen humoristischen Akzent setzt, nicht selten aber auch erschreckend doof und plump ausfiel und sich einmal mehr wenig um die lokale und chronologische Einordnung der Geschichte scherte.
Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
Ein-Mann-Geschmacks-Armee gegen die eingefahrene Italo-Front (4/10 u. 9+)
Diese Filme sind züchisch krank!
Benutzeravatar
buxtebrawler
Forum Admin
Beiträge: 41729
Registriert: Mo 14. Dez 2009, 23:13
Wohnort: Wo der Hund mit dem Schwanz bellt.
Kontaktdaten:

Re: bux t. brawler - Sein Filmtagebuch war der Colt

Beitrag von buxtebrawler »

Bild
Embryo des Bösen
England im Jahre 1795: Charles Fengriffen kehrt mit seiner jungen Verlobten Catherine (Stephanie Beacham) auf sein Schloss auf dem Lande zurück. Während die Beiden sich auf die Hochzeit vorbereiten, hat Catherine immer wieder grauenvolle Visionen und Alpträume. All diese schrecklichen Dinge scheinen mit dem Großvater ihres Mannes zu tun zu haben. Als sie mehr über diesen herausfinden möchte, stirbt jeder der ihr helfen will. Als Catherine dann auch noch schwanger wird und sich sicher ist, dass ihr Mann nicht der Vater ist, wird Dr. Pope (Peter Cushing) gerufen, der bei seiner Suche das schreckliche Familiengeheimnis der Fengriffens lüften kann...
„Gibt es hier einen Geist?“ (Peter Cushing hakt nach)

Der britische Regisseur Roy Ward Baker, der für die „Hammer Film Productions“- und „Amicus“-Produktionsschmieden manch gelungenen Horrorfilm und Episodengrusler wie „Das grüne Blut der Dämonen“ und „Dracula – Nächste des Entsetzens“ drehte, legte 1973, ein Jahr nach dem herausstechenden „Amicus“-Episodenhorror „Asylum“, den Gothic-Grusler „Embryo des Bösen“ ebenfalls für „Amicus“ vor.

Ende des 18. Jahrhunderts zieht der frischvermählte Charles Fengriffen (Ian Ogilvy, „Waterloo“) mit seiner Braut Catherine (Stephanie Beacham, „Das Loch in der Tür“) zurück auf den Familienwohnsitz, ein herrschaftliches Schloss auf dem Lande. Doch Catherine wird von schrecklichen Visionen und Alpträumen geplagt, die auf ein düsteres Familiengeheimnis hinweisen. Je tiefer sie versucht, in die Materie einzusteigen, desto mehr Menschen sterben um sie herum. Lastet ein Fluch auf dem Gebäude oder der Familie? Was ist der Grund für den Spuk? Und was hat der geheimnisvolle Holzhacker damit zu tun? Catherine wird schwanger, zweifelt jedoch die Vaterschaft ihres Gatten an. Dr. Pope (Peter Cushing, „Frankensteins Fluch“) wird zur Hilfe gerufen, der sich auch des Familientraumas annimmt…

Roy Ward Baker verstand es problemlos, die üblichen, typisch britischen Charakteristika eines gelungenen, an alte Geisterlegenden und Gespenster-Comics erinnernden Gothic-Gruslers wie ausladende, erdrückende Gebäude, dichte Nebelschwaden, gedeckte Farben, authentische Kostüme, gemächliches Erzähltempo und Verweise auf die Aristokratie mehr oder weniger neu zusammenzusetzen und gewinnt damit bereits die halbe Miete für Freunde altertümlicher Kulissen und klassischen Spuks. Eine garstige Fratze glotzt aus blutigen, leeren Augenhöhlen durchs Fenster und verschreckt die bemitleidenswerte Catherine, die jedoch in der Folge immer wieder mit dieser Schauergestalt konfrontiert werden soll, ebenso mit einer ein Eigenleben führenden abgehackten Hand, welche offensichtlich einmal zum ungebetenen Blinden gehörte, sein Armstumpf legt diesen Verdacht nahe. Unheimliche Bilder der Ahnengalerie an den Schlossmauern erscheinen ebenfalls „lebensechter“ als gemeinhin üblich und so ist es nur verständlich, dass Catherine auch mal in ihrer Verzweiflung einen markerschütternden Schrei ausstößt (und die Beacham damit ihre „Scream Queen“-Qualitäten eindrucksvoll unter Beweis stellt). Niemand will so recht mit der Sprache herausrücken, die junge Frau prallt mit ihren Ängsten an einer Mauer des Totschweigens ab. Damit erzeugt das Drehbuch eine Spannung, die sich den Zuschauer zunächst fragen lässt, was denn da überhaupt los ist, bis ihn alsbald ebenso wie die Protagonisten die nächste Frage quält: Was ist mit dem Kind?

Eine ausgedehnte Rückblende in die Zeit Großvater Henry Fengriffens (Herbert Lom, „Hexen bis aufs Blut gequält“) entspinnt schließlich die Zusammenhange und zeigt die Ursachen für eine Erbschuld: Gewalt und Erniedrigung, die vom Schlossherrn ausging, der sich an ihm Untergebenen vergriff. Damit greift „Embryo des Bösen“ exemplarisch den Machtmissbrauch der vermögenden und privilegierten Oberschicht auf und zeigt ihn in für einen Film dieses Subgenres verhältnismäßig drastischen, ungeschönten Bildern. Die Schlusspointe schließlich ist konsequent und emotional befriedigend, wenn auch eher unschauriger Natur. Für die Visionen Catherines wurde zuvor viel mit Überblendeffekten gearbeitet, die aus heutiger Sicht mitunter etwas angestaubt wirken. Die Make-Ups können sich aber sehen lassen und verfehlen ihre Wirkung nicht. Die durch die Bank guten Schauspieler veredeln dieses Genre-Kleinord, allen voran die attraktive Stephanie Beacham, der ehrwürdige Gentleman Peter Cushing (der zwar erst relativ spät zum Geschehen dazustößt, dafür aber den davor eingeführten Charakteren Raum zur Entfaltung lässt) und der knorrige Herbert Lom, der einem lange Zeit nur gespenstisch von Gemälden anstarrt. Cushing mimt den intelligenten, psychologisch bewanderten Facharzt, dessen detektivischer Spürsinn schließlich zur – indes unserem Ehepaar wenig Hoffnung spendenden – Auflösung führt. Eine Rolle, die ihm wahrlich auf den Leib geschneidert wurde.

Die finstere Handlung mit ihren kritischen Seitenhieben auf vergangenes Unrecht und ihrem Teufelskreis aus Verzweiflung, Ohnmacht und Rachsucht packt zwischenzeitlich sogar das „Malleus Maleficarum“ alias den „Hexenhammer“ aus und baut dadurch eine Brücke zu weiteren Verbrechen, nämlich der Hexenverfolgung. Wahrhaft bizarr mutet es allerdings an, wenn ein Skelett exhumiert und kräftig verprügelt wird, wenngleich diese Szene auch stellvertretend für fehlende noch lebende Adressaten des eigenen Hasses steht. Die unablässig dudelnde und wabernde musikalische Untermalung bemüht sich leider so sehr, eine unheilschwangere Atmosphäre zu erzeugen, dass man glauben könnte, das Filmteam hätte kein Vertrauen in die ausdrucksstarken Bilder besessen. Mit seiner Dominanz ist er dann doch ziemlich nervig. Ansonsten handelt es sich beim „Embryo des Bösen“ aber um einen weitestgehend gut gelungenen, wenn auch nicht sonderlich originellen Beitrag zum Gothic-Kostüm-Grusel, der Subgenre-Fans erfreuen sollte. In Anbetracht der starken Konkurrenz innerhalb dieses Bereichs zücke ich zunächst 6 von 10 Punkten, evtl. ist nach einer Zweitsichtung auch noch etwas mehr drin.
Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
Ein-Mann-Geschmacks-Armee gegen die eingefahrene Italo-Front (4/10 u. 9+)
Diese Filme sind züchisch krank!
Benutzeravatar
buxtebrawler
Forum Admin
Beiträge: 41729
Registriert: Mo 14. Dez 2009, 23:13
Wohnort: Wo der Hund mit dem Schwanz bellt.
Kontaktdaten:

Re: bux t. brawler - Sein Filmtagebuch war der Colt

Beitrag von buxtebrawler »

Bild
Verblendung
Dem Stockholmer Journalisten Mikael Blomkvist (Daniel Craig) wird im Zuge einer politisch brisanten Enthüllungsstory der Prozess gemacht bei dem er neben seinem tadellosen Ruf auch seine gesamten Ersparnisse verliert. Um der öffentlichen Demütigung zu entgehen, nimmt er den Auftrag des Großindustriellen Henrik Vanger (Christopher Plummer) an, das über 40 Jahre zurückliegende Verschwinden seiner Nichte Harriet aufzuklären. Vanger verdächtigt ein Mitglied seiner von gegenseitigen Antipathien geprägten Großfamilie Harriet ermordet zu haben. Bei der Recherchearbeit wird Blomkvist von der jungen Hackerin Lisbeth Salander (Rooney Mara)unterstützt. Die seit ihrer Kindheit schwer traumatisierte Salander hat wenig Skrupel, auch illegale Methoden anzuwenden und bringt mit ihrer unorthodoxen Vorgehensweise frischen Wind in Blomkvists stockende Ermittlungen. Dabei kommen die beiden einem in den 1950er Jahren wütenden Serienmörder auf die Spur, der in irgendeiner Form mit dem Vanger-Klan in Verbindung zu stehen scheint ...
„Sie ermitteln unter Geizkragen, Dieben, Rüpeln, der wohl widerlichsten Ansammlung von Menschen, die Sie jemals gesehen haben: meiner Familie.“

Nach dem Erfolg der europäischen Thriller-Trilogie „Verblendung“, „Verdammnis“ und „Vergebung“ aus dem Jahre 2009, die auf den Bestsellern des schwedischen Autors Stieg Larsson basieren, wurde auch der US-amerikanische Filmmarkt aufmerksam und beauftragte Regisseur David Fincher („Fight Club“) mit der Neuverfilmung in US-amerikanisch-schwedisch-norwegischer Koproduktion, welche im Jahre 2011 unter dem Titel „The Girl With The Dragon Tattoo“ in die Kinos kam und hierzulande ebenfalls „Verblendung“ tituliert wurde.

Wirtschafts- bzw. Enthüllungsjournalist Mikael Blomkvist (Daniel Craig, „Ein Quantum Trost“) tappt bei seinen Ermittlungen gegen das kriminelle Wennerström-Unternehmen in eine Falle und verliert dadurch einen Gerichtsprozess, der ihn beinahe seine ganze Existenz kostet. Er beschließt, sich vorerst aus der Öffentlichkeit zurückzuziehen und wird von Henrik Vanger (Christopher Plummer, „Insider“), einem der ehemaligen Köpfe des großindustriellen Vanger-Konzerns und jetzt im (Un)Ruhestand, beauftragt, dem Verschwinden seiner Großnichte, die zuletzt 1966 gesehen wurde, nachzugehen, von der er vermutet, dass sie von einem Mitglied seiner eigenen nicht sonderlich solidarisch miteinander umgehenden Familie ermordet wurde. Unterstützung bei seiner Arbeit erfährt er durch die junge Hacker- und Punkerin Lisbeth Salander (Rooney Mara, „The Social Network“), die eigenbrötlerisch ihre eigenen Ermittlungsmethoden verfolgt und durch ein Kindheitstrauma eine ausgeprägte Menschenscheu entwickelt hat. Gemeinsam kommt man einer ganzen Mordserie auf die Spur...

Um es gleich vorwegzunehmen: Meine Kritik wird kein erschöpfender Vergleich beider Verfilmungen, aber auch keine eigenständige Analyse des Inhalts. Ersteres erübrigt sich meines Erachtens insofern, als ich beide Filme in etwa auf Augenhöhe miteinander sehe und letzteres entnehme man bei Interesse meiner Rezension der Erstverfilmung, bei der ich, wenn mich mein Gedächtnis nicht trügt, stärker auf die identische Geschichte und ihre Eigenheiten eingegangen bin.

Mit einem modernistischen animierten Vorspann lässt man, unterlegt von den Klängen Trent Raznors der Gruppe „Nine Inch Nails“, den Zuschauer eintauchen in einen opulent eingefangenen verschneiten schwedischen Winter, dessen Ästhetik fesselt und fröstelt zugleich. Fincher versteht es von vornherein, das Publikum für sich zu gewinnen, dem erst mit der Zeit klar wird, worum es überhaupt geht. Er lädt es dazu ein, es sich bequem zu machen, jedoch nur, damit es besser in der Lage bzw. überhaupt willens ist, sich auf die komplexe Handlung einzulassen, ihr konzentriert zu folgen. Raznors Industrialklänge und Klangcollagen passen dabei gut zum unschöngeistigen Realismus und Pessimismus, die den stimmlich düsteren Film durchziehen, in bester Film-noir-Tradition aber zum Verweilen einladen; nicht zuletzt, da man mit dem ungleichen Duo Blomkvist/Lassander zwei begeisternde Anti-Helden-Typen etabliert. Diese zeigen sich wandelbar und wirken mal fertig, blass und fahl, und mal ausgeschlafen und sogar attraktiv – eine Entwicklung, die mit der geistigen Gesundung durch das Entdecken des jeweiligen Gegenübers für sich in Zusammenhang mit voranschreitenden Erkenntnissen die Vanger-Familiengeheimnisse betreffend einherzugehen scheint.

In seiner Mischung aus urbanem und ländlichem Flair beleuchtet Finchers „Verblendung“ etwas andere Aspekte als seinerzeit Niels Arden Oplev bzw. gewichtet sie ein wenig anders. Gleich geblieben ist jedoch, dass Blomkvists Redaktionspartnerin kaum eine Rolle spielt und die bedeutsame Weiblichkeit fast ausschließlich Lisbeth Lassander zugeschrieben bekommt. Dieser Typus des nur scheinbar scheuen Rehs in Punk-Schutzpanzer-Montur, das sich sehr wohl beispielsweise gegen einen abartigen, perversen Vormund zu wehren versteht und blitzgescheit sowohl ihr eigenes Überleben am Rande der Gesellschaft zu meistern als auch ihre speziellen Fähigkeiten im Umgang mit modernen Kommunikationsmedien zielgerichtet einzusetzen versteht, strahlt eine starke Faszination aus, die sich schließlich in erotische Obsessionen multipliziert, geschauspielert von einer offenherzigen und in ihrer Andersartig- und Natürlichkeit ebenso verunsichernden wie anziehenden, ja, erregenden Jungmimin Rooney Mara. Die Sexszene, in die ihre Beziehung zu Blomkvist kulminiert, wirkt weniger aufgesetzt als unter Oplev und geradezu wohltuend nach allem, was Lisbeth zuvor angetan wurde. Ihre Rolle steht für eine mutige, überfällige Emanzipation im „Blockbuster“-Kino, die auch nicht von der Älterer-Mann-mit-junger-Frau-Phantasie torpediert wird, da die Initiative unvergleichlich selbstbewusst von ihr ausgeht, wie sie generell trotz oder vielmehr wegen ihrer geheimnisvoll bleibenden traumatischen Sozialisation als stärkster Charakter des Rollenensembles aufgrund des Umgangs mit den eigenen Schwächen wirkt. In Sachen Ausdruck hat „James Bond“-Darsteller gegenüber seinem schwedischen Kollegen Michael Nyqvist aus der Erstverfilmung die Nase vorn und beweist eine Palette glaubwürdiger, leiserer Emotionen, Gemütszustände und charakterlicher Tiefen, die bis 2011 seinem Bond-Image konträr gegenübergestanden haben und daher für Überraschungen bis hin zu Unmut seitens eines oberflächlichen Publikums geführt haben dürften. Zur Wahl dieser beiden Hauptdarsteller kann ich nur ausdrücklich gratulieren.

Den Ermittlungen in allen Details zu folgen, fällt nicht immer leicht, doch gelang Fincher das Kunststück, auch demjenigen ein hochgradig spannendes Filmerlebnis zu bescheren, der die Geschichte – auch in Filmform – bereits kennt. Dies wiederum mag sicherlich auch damit zusammenhängen, dass die Kriminalhandlung als eine Art Aufhänger dient für Kritik an einer schwedischen Gesellschaft und ihrer unter den Teppich gekehrten, wenig idyllischen Seite, auf der sich Machtmissbrauch, Faschismus, Sexismus und Korruption ebenso finden wie religiöser Irrsinn (Erinnerungen an Finchers „Sieben“ werden wach) und eben eine ungesühnte Mordserie an Frauen – wohlgemerkt alles zu finden in einer dekadenten, antisozialen Oberschicht und nicht etwa in den Ghettos des Prekariats. Welche Details schließlich formell zu diesen Erkenntnissen führen, ist dabei weniger relevant als das Ergebnis und dementsprechend weniger erinnerungswürdig, dafür jedoch gerade im Zusammenspiel der ambivalenten, tiefgründigen Charaktere miteinander immer wieder spannend anzusehen. Während unter Oplev jedoch die persönliche Ebene von und zwischen Blomkvist und Lassander mit der kritischen Aussage des Films gleichberechtigt einherzugehen schien, geht Finchers Gewichtung zugunsten seiner Protagonisten aus – was ich in diesem Falle als überhaupt nicht negativ erachte. Finchers Film rebelliert als US-Produkt dafür auf anderen Ebenen, allen voran dem gegen die Hollywood-Mainstream-Prüderie gebürsteten, sich in seiner Authentizität nicht selbst limitierenden Stil, der nackte Haut und immer wieder über eine gesundheitlich unbedenkliche Dosierung hinausgehend genossenen Zigarettendunst geradezu in den Vordergrund rückt und in seinem durchästhetisierten Film mit seinen vielen in absoluter Symmetrie eingefangen Formen während Frontalansichten auf Häuser, Straßen, Alleen etc. nicht nur den Willen zum, sondern Beweis des Organischen, Echten, eben wie eingangs erwähnten Ungeschönten antritt.

Unangenehm fallen mir andere Dinge auf, beispielsweise wenn man zeitweise zu vergessen scheint, dass hinter der rauen Oberfläche Lisbeths ein verletzter und verletzlicher, unsicherer, einsamer Mensch steckt und man sie in einem Ausmaße resolut und abgeklärt präsentiert, das mir fragwürdig erscheint und ihre Vielschichtigkeit außer Acht lässt. Richtiggehend genervt hat das Marlboro-, McDonald’s-, Coca-Cola-, Apple- und Google-Product-Placement, wovon ich das NIN-T-Shirt allerdings ausnehme – das hat Raznor sich verdient. Und obwohl Finchers Verfilmung mit seinen knapp 160 Minuten in Sachen Überlänge zwar deutlich aus dem üblichen Rahmen fällt, wird sie zu keiner Sekunde im klassischen Sinne langweilig, jedoch, und das ist mein letzter erwähnenswerter Kritikpunkt nach meiner Erstsichtung, bekommt er mit seiner weiteren Entwicklung nach zwei Stunden Anschlussschwierigkeiten, es schlingert dramaturgisch kurz und die Bruchstelle bleibt sichtbar.

Alles in allem aber gereicht David Fincher dem Stoff zur Ehre, der es ebenso wie sein Vorgänger verstand, einen modernen, rauen, kantigen Noir-Thriller zu drehen, der ebenso fasziniert wie inspiriert und das Individuum in seiner Zurückgezogen- und Insichgekehrtheit betont, was in entsolidarisierten Industrienationen nicht auf taube Ohren stoßen sollte. Bleibt die Frage, inwieweit sich die Fortsetzungen der geplanten Trilogie am politkritischen Gewicht der europäischen Verfilmungen orientieren werden oder ob man sie zugunsten anderer Charakteristika der Reihe abschwächen wird, weil man sie eventuell als zu wenig interessant für den amerikanischen Markt betrachtet. Ich brauche eigentlich keine weitere Verfilmung des zweiten Teils, aber das dachte ich damals auch, als ich von diesem just besprochenen Film erfuhr... wir werden sehen.
Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
Ein-Mann-Geschmacks-Armee gegen die eingefahrene Italo-Front (4/10 u. 9+)
Diese Filme sind züchisch krank!
Benutzeravatar
buxtebrawler
Forum Admin
Beiträge: 41729
Registriert: Mo 14. Dez 2009, 23:13
Wohnort: Wo der Hund mit dem Schwanz bellt.
Kontaktdaten:

Re: bux t. brawler - Sein Filmtagebuch war der Colt

Beitrag von buxtebrawler »

Bild
Lemmy
Der Film zeigt Lebensabschnitte, Interviews und das alltägliche Leben abseits der Bühne von Motörhead-Frontmann Lemmy Kilmister. Sein Sohn kommt ebenso zu Wort wie weitere Musiker, mit denen Lemmy die Jahre über zum Teil auf der Bühne stand - darunter Metallica, Ozzy Osbourne und Slash von Guns N' Roses. Daneben zeigt der Film Lemmy, der in seiner Stammkneipe stundenlang am einarmigen Banditen sitzt, ständig Jack and Coke trinkt und sich mit allen Fans unterhält, die ein Autogramm und ein Foto möchten. Dazwischen befinden sich mehrere musikalische Einspieler von Konzerten inklusive einem Auftritt zusammen mit Metallica...
„Wenn eine Atombombe auf die Erde fällt, werden nur Lemmy und die Kakerlaken überleben!“

Das ist ein Zitat aus dem Dokumentarfilm „Lemmy“ von Greg Olliver und Wes Orshoski aus dem Jahre 2010 über eben jene schon zu Lebzeiten zur Legende gewordenen Rock’n’Roll-Ikone. Die Rede ist natürlich vom Sänger und Bassisten der britischen Band Motörhead, die die internationale Musikszene seit 1977 beständig mit einem dreckigem Sound beehrt, der seine Wurzeln im klassischen Rock’n’Roll, Beat und Blues-/Hardrock hat, aufgrund der Vehemenz, mit der er vorgetragen wird, seiner je nach Song Schwere oder Geschwindigkeit und der oftmals ausgefeilten Lead-Gitarren-Arbeit gern auch der Heavy-Metal-Sparte zugeordnet wird. Motörhead ist eines der Originale, das all die Jahrzehnte überlebt und unzählige andere Künstler inspiriert hat. Motörhead ist eine Marke, die für ehrlichen, rauen Rock’n’Roll und eine unpeinliche Variante des „Sex, Drugs & Rock’n’Roll“-Klischees steht. Kopf der Band ist eben jener Lemmy Kilmister, der vorher Beatmusik mit „The Rocking Vicars“ und psychedelischen Space-Trip-Rock mit „Hawkwind“ machte und als seine Lieblingsbands stets die alten Rock’n’Roll-Helden der 1950er sowie die Beatles angibt. Als er von „Hawkwind“ gefeuert wurde, gründete er Motörhead – und wurde erfolgreicher als all seine vorherigen Bands.

Ollivers und Orshoskis Film porträtiert jedoch nicht etwa die Band Motörhead, sondern eben ihren Frontmann. Dieser lebt in einer Mietswohnung in unmittelbarer Nachbarschaft seiner Lieblingskneipe in Los Angeles und vertreibt sich die Zeit zwischen Touren und Albumaufnahmen anscheinend in der Regel mit Whiskey-Cola und Glücksspielautomaten. Der Film bestätigt das Bild des altersweise wirkenden, mit einem trockenen Humor gesegneten Altrockers, der auf erstaunlich unaufgeregte Weise seinem Lebensstil frönt, statt am laufenden Band „Skandale“ zu produzieren/zu inszenieren, und sich an ihm gemessen trotz seines fortgeschrittenen Alters einer recht guten Konstitution erfreut. Anstelle eines Schlosses, eines Palasts oder eines Luxusanwesens bewohnt er ein bezahlbares Appartement, das bis unter die Decke vollgestopft ist mit teils bizarren Erinnerungsstücken, die ein bewegtes Leben ebenso wie eine ausgeprägte sentimentale Ader widerspiegeln. Auf die Präsentation von Lemmys Weltkriegs-Devotionalien muss der deutsche Zuschauer übrigens verzichten, das erschien dann anscheinend zu provokant und wurde kurzerhand herauszensiert. Ehrfurchts- und respektvoll nähern sich Olliver und Orshoski Mr. Kilmister und halten sich weitestgehend im Hintergrund. Kritische Interviews oder dergleichen darf man also nicht erwarten, aber das wird auch nicht die Intention des Films gewesen sein. Stattdessen filmt man Lemmy während eines Radio-Interviews, beim Einkauf von Beatles-Platten, beim Einspielen eines Chuck-Berry-Songs („Run Rudolph Run“) zusammen mit „Foo Fighter“ Dave Grohl und beim Musizieren mit Metallica, mit seiner Rockabilly-Band Headcat und natürlich auf Tour mit Motörfuckin’head! Man bekommt Einblicke in die berüchtigte „Roadcrew“ – und lernt seinen Sohn kennen, wodurch sich tatsächlich recht intime Einblicke ergeben, denn auch wenn die Vater-Sohn-Beziehung der Beiden sicherlich unkonventioneller Natur ist, so sind auch einem Lemmy Vatergefühle nicht fremd. Zwischendurch werden einige Archivaufnahmen eingestreut und natürlich zahlreiche aktuelle und ehemalige Weggefährten vor die Kamera geholt, die ein paar Worte über Lemmy verlieren dürfen, darunter Musiker wie Henry Rollins, Slash, Steve Vai, Ozzy Osbourne, Joan Jett, Scott Ian, Dee Snider und Captain Sensible, die Tätowiererin Kat von D, der Wrestler Triple H, sein Stiefelhersteller etc. Am interessantesten sind indes die Gespräche mit ehemaligen Bandkollegen der Rocking Vicars sowie vor allem von Hawkwind, denn Lemmys Rauswurf scheint noch immer zwischen Lemmy und letzteren zu stehen und an Lemmy zu nagen.

Krawallig oder laut wird der Film dennoch nur während der eingespielten Songs; dazwischen sind es die leiseren Töne und Details, auf die es zu achten gilt – etwa wenn Lemmy einmal mehr eine Ehrerbietung an die Beatles formuliert und sie sogar als die authentischere Rock’n’Roll-Band der Arbeiterklasse als die Rolling Stones betrachtet (was in der Regel diejenigen Musikfreunde überrascht, die sich von Image und Klischees blenden lassen), wenn das Augenmerk auf bestimmte „Einrichtungsgegenstände“ seiner Wohnung gelenkt wird, wie beispielsweise den „Don’t Worry, Be Happy“ singenden Fisch im Badezimmer, oder wenn er sich nach einem Konzert allein Wasser ins Gesicht spritzt und kurz innehält. So entsteht ein Bild eines Mannes, der nach wie vor für, aber auch vom Rock’n’Roll lebt, dabei mit beiden Beinen auf dem Boden geblieben ist, selbstironisch sein selbstgewähltes Schicksal als einem der Letzten einer aussterbenden Gattung akzeptiert und sich bewusst für eine außerhalb des Musikzirkusses und -geschäfts trotz vieler Freunde und Fans eher einsame, einzelgängerische Lebensweise entschieden hat, die ebenso wie ganz konventionelle Lebensentwürfe ihren Alltag und ihre Routine mit sich bringt. Insofern ist „Lemmy“ wie so viele gelungene Musik-Dokumentationen und -Biographien auch ein gutes Stück weit inspirierend, nimmt keinerlei Wertung vor, verzichtet auf jeden eigenen Kommentar seitens der Filmmacher und gefällt besonders durch seine Entmystifizierung und -glorifizierung, die den freien, niemals pietätlos-voyeuristischen oder vorführenden Blick auf eine Kult- und Vorbildfigur, vor allem aber auf eine reife Rockmusiker-Persönlichkeit erlaubt. Unschön ist lediglich, dass fürs Ende ausgerechnet eine nicht sonderlich gelungene Live-Darbietung des Motörhead-Hits „Overkill“ gewählt wurde, die dadurch alles andere als repräsentativ für die nach wie vor gegebene Live-Power der Band ist.
Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
Ein-Mann-Geschmacks-Armee gegen die eingefahrene Italo-Front (4/10 u. 9+)
Diese Filme sind züchisch krank!
Benutzeravatar
buxtebrawler
Forum Admin
Beiträge: 41729
Registriert: Mo 14. Dez 2009, 23:13
Wohnort: Wo der Hund mit dem Schwanz bellt.
Kontaktdaten:

Re: bux t. brawler - Sein Filmtagebuch war der Colt

Beitrag von buxtebrawler »

Bild
Super 8
In der typisch amerikanischen Kleinstadt Lillian, stirbt Elizabeth Lamb (Caitriona Balfe) bei einem Unfall, für den ihr Mann, Deputy Jackson Lamb (Kyle Chandler), in Louis Dainard (Ron Eldard) den Verantwortlichen sieht. Jacksons heranwachsender Sohn Joe (Joel Courtney) bleibt praktisch allein zurück, da er zu seinem Vater keine nennenswerte Verbindung hatte. So bleiben ihm in den kommenden Monaten nur seine Freunde, die beabsichtigen, einen Zombie-Detektivfilm in und um die Stadt herum mittels ihrer Super-8-Kamera zu drehen. Dazu lädt sein bester Freund schließlich auch Alice Dainard (Elle Fanning) als Darstellerin ein, die Joe nicht nur einen Gefühlsschub versetzt, sondern auch von seinem Vater nicht gern in seiner Gesellschaft gesehen wird. Als die "Filmcrew" eines Abends Aufnahmen von einem vorbeifahrenden Zug machen will, werden sie Zeugen eines schrecklichen Unfalls, der den ganzen Zug entgleisen läßt. In dem folgenden Chaos hört Joe, wie etwas aus dem Zug auszubrechen scheint, doch sie werden bald mit Waffengewalt von dem Zug ferngehalten. Doch damit fangen die Probleme in Lillian erst an, denn nach und nach kommt es zu immer mehr Verwüstungen, erst Hunde und dann Menschen verschwinden und immer mehr Militär rückt an. Was immer aus dem entgleisten Zug entkommen ist, es ist noch irgendwo in der Stadt und wird zur Gefahr als auch zur Bewährungsprobe für Joe, seinen Vater und die ganze Stadt...
„Durch Schmerzen und Mitleidlosigkeit haben wir ihn gelehrt, uns alle zu hassen! Wir haben ihn uns zum Feind gemacht!“ (Abrams und Spielberg über mich als Zuschauer)

Mit dem US-amerikanischen Spielfilm „Super 8“ aus dem Jahre 2011 drehte Regisseur J.J. Abrams („Star Trek“) einen Science-Fiction-Thriller „für die ganze Familie“, den er mit Komödien-, „Coming of age“- und Drama-Aspekten vermengte und der zugleich Charakteristika einer Hommage an vergangene Filmtage aufweist. An der Produktion beteiligt war u.a. Steven Spielberg.

Das Jahr 1979 in der US-amerikanischen Kleinstadt Lillian, Ohio: Eine Gruppe vor- bzw. frisch pubertierender Heranwachsender möchte mit einer Super-8-Kamera einen Zombie-Film nach Art George A. Romeros drehen. Als sie eines Nachts Aufnahmen am Bahnhof zusammen mit ihrer gleichaltrigen Bekannten Alice (Elle Fanning, „Der seltsame Fall des Benjamin Button“) drehen, werden sie Zeuge, wie ihr Biologielehrer Dr. Woodward (Glynn Turman, „Burlesque“) mit seinem Pickup absichtlich ein Unglück provoziert und unter Einsatz seines Lebens den Zug entgleisen lässt. Er rät den Kindern, Stillschweigen zu bewahren und Joe (Joel Courtney, „The Between“), einer der Jungs der „Filmcrew“, nimmt einen geheimnisvollen Metallwürfel vom Unglücksort mit, von denen Tausende verstreut liegen. Die Nachwuchsfilmer müssen drei Tage auf die Entwicklung ihres Films warten, während denen Seltsames in der Kleinstadt vor sich geht: Die Hunde scheinen aus der Stadt zu fliehen und elektronische Bauteile verschwinden spurlos, später auch Menschen. Der Zug gehörte dem Militär, welches das Gebiet abriegelt und die Einwohner evakuiert. Auf dem entwickelten Film machen die Jungs die Entdeckung, dass eine unheimliche Kreatur aus dem Zug entwich. Und zu allem Überfluss ist auch noch Alice nicht mehr auffindbar, zu der Joe zarte Gefühle entwickelt halt – zum Missfallen seines Vaters (Kyle Chandler, „Argo“), dem Deputy der Stadt, der Alice’ Vater (Ron Eldard, „Sleepers“) für den Unfalltod seiner Ehefrau und Mutter Joes verantwortlich wähnt...

Was in schön reproduzierter End-’70er-Atmosphäre als Hommage an frühjugendliche Horrorfilmbegeisterung und den Beginn der Filmleidenschaft Heranwachsender vielversprechend startet und mit augenzwinkernder Ironie zu begeistern weiß, flacht bereits nach dem computergenerierten Zugunglück ab in einen nach mit allen Zutaten der „Mainstream-Formel“ aufgeblasenen „Blockbuster“, der unbedingt auf Nummer sicher gehen möchte und jegliche eigene Identität aufgibt. Zwar erinnert die Kleinstadt-Szenerie in ihren besten Momenten an von Stephen King heraufbeschworenes suburbanes Grauen und versteht es, auch mit der Ausarbeitung ihrer einzelnen Charaktere zumindest partiell über den reinen Ansatz hinaus zu punkten, doch ist „Super 8“ für eine Komödie zu ernst und rührselig geraten und für einen Film, der ernstgenommen werden will, zu witzig und zu oberflächlich-locker. Mal nimmt der Film sich und seine Charaktere ernst, mal ganz und gar nicht. (Achtung, ab jetzt folgen Spoiler! Wer sich den Film noch immer ansehen möchte, sollte an dieser Stelle das Lesen einstellen.) Da wurde sich kräftig bei Vorbildern von Familien-Science-Fiction à la „E.T.“ – ein Außerirdischer möchte nach Hause – über Kinder-Abenteuerfilme der 1980er – die Kinder sind’s, die sich gegen die ignorante Erwachsenenwelt behaupten und ein gutes Ende herbeiführen – bis hin zu King’schen Jugendtraumata der Marke „Es“ – zusammenhalten müssende Außenseiter, Familientragödien, unterirdisch lebende Kreatur, die betäubte menschliche Körper in einer Art Vorratskammer aufbewahrt – bedient und alles zu einer kitschigen, spielbergesk auf Familienunterhaltung getrimmten Suppe verrührt, die das Thema der eigentlich gar nicht so bösen, auf der Erde gestrandeten, doch vom US-Militär misshandelten außerirdischen Kreatur ausbeutet und letztlich nur unzureichend bedient.

Zugegeben – wenn man die fremdartige Spezies dann irgendwann auch endlich einmal zu Gesicht bekommt, sieht sie nicht schlecht aus, und auch die Idee mit den mysteriösen Würfeln, aus denen sich die extraterrestrische Lebensform per Telekinese ihr Raumschiff zusammensetzt, ist nicht schlecht; vielleicht weiß ich aber auch nur nicht, woher diese Idee wiederum ausgeliehen wurde. Doch der weg zum ultrakitschigen Ende enttäuscht mit der vorhersehbaren Gewissheit, dass keiner der „Guten“ das Zeitliche segnen wird und ist gespickt mit Logiklöchern. Natürlich wissen die Kinder sofort, wo sie Dr. Woodwards Aufzeichnungen suchen sollen, geht die Bevölkerung unfassbar gleichgültig mit der Evakuierung um und lässt sich die Stadt selbst, als sie zum wahrhaftigen Kriegsgebiet wird, wie während eines Spaziergangs durchstreifen – stellen sich Amis so Krieg vor? Spätestens hierdurch wird der mit etwas Wohlwollen erkennbare militärkritische Unterton ad absurdum geführt. Und während all dem klingelt der auf Dramatik komponierte Bombast-Score in den Ohren.

Die größte Stärke von „Super 8“ ist die titelgebende Filmtechnik, denn wann immer diese zum Einsatz kommt und sich die Rotzlöffel um ihr Filmprojekt kümmern, geht einem das Herz auf. Da werden Horrorklischees aufs Korn genommen, Seitenhiebe auf Amateurfilmer verteilt, da wird der Spaß am Medium Film, am Experimentieren mit Einstellungen und Perspektiven und am Herummantschen mit Spezialeffekten spürbar und man fühlt sich an ambitionierte Projekte – ob nun im Zusammenhang mit Film oder ganz etwas anderem – seiner eigenen Kindheit/Jugend erinnert. Ja, da empfindet man manchmal gar das King’sche erst Zweckgemeinschafts-, dann Verschworenheitsgefühl Jugendlicher, die nicht bei den Großen und Coolen mitspielen dürfen und deshalb ihr eigenes Ding auf- und durchziehen müssen – und schließlich über sich hinauswachsen. Insofern lohnt es sich tatsächlich, bis zum Abspann auszuharren, denn dort wird das auf wunderbare Weise Zombie-Filme karikierende, fertige Werk der Nachwuchs-Romeros komplett gezeigt. Und gerade diese Jungdarsteller sind es auch, die Abrams überambitionierten und aufdringlich kommerziellen Film retten, denn sie versehen ihn mit dem Zauber jener schicksalhaften Jahre im Leben eines Menschen, sind reif genug, ihre Emotionalität differenziert einzusetzen und lassen es auch zwischenmenschlich knistern. Fazit: Die Jungmimen empfehlen sich für weitere Filme, Abrams, Spielberg & Co. sollten besser abtreten – oder sich um vernünftigere Drehbücher bemühen.
Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
Ein-Mann-Geschmacks-Armee gegen die eingefahrene Italo-Front (4/10 u. 9+)
Diese Filme sind züchisch krank!
Benutzeravatar
buxtebrawler
Forum Admin
Beiträge: 41729
Registriert: Mo 14. Dez 2009, 23:13
Wohnort: Wo der Hund mit dem Schwanz bellt.
Kontaktdaten:

Re: bux t. brawler - Sein Filmtagebuch war der Colt

Beitrag von buxtebrawler »

Bild
Der Exorzismus von Emily Rose
Es passiert nur selten, aber eines Tages entscheidet sich die katholische Kirche offiziell dazu, einen Exorzismus an einer 19jährigen College Studentin durchzuführen. Doch die Austreibung der Dämonen geht schief und die junge Frau stirbt. Durchzogen mit vielen Rückblicken auf das heftige Ritual wird der Prozess gegen den durchführenden Priester gezeigt, der wegen fahrlässiger Tötung angeklagt wird. Laura Linney spielt die Rechtsanwältin, die die Verteidigung des Priesters übernimmt und mit ihrem Job als Anwältin nicht allzu zufrieden ist.
„Wir wollen hier einem Mann Gottes an den Kragen!“ (Na wartet, wir sehen uns wieder vorm jüngsten Gericht!)

Zwischen dem vielgescholtenen (doch meines Erachtens gar nicht schlechten), direkt für den Videothekenmarkt gedrehten fünften Teil der „Hellraiser“-Horrorreihe „Hellraiser: Inferno“ und dem Remake des Science-Fiction Klassikers „Der Tag, an dem die Erde stillstand“ drehte US-Regisseur mit „Der Exorzismus von Emily Rose“ im Jahre 2005 seinen ersten Kinofilm. Das Drehbuch stammt von Derrickson in Zusammenarbeit mit Paul Harris Boardman. Gerade hierzulande wurde der Film missverständlich aufgefasst, da er für den deutschsprachigen Markt mit dem Zusatz „Nach einer wahren Geschichte“ vermarktet wurde, was von den Filmmachern so nicht intendiert war. Zudem präsentiert sich der Film als Mischung aus Okkult-Horror und Justiz-Drama/-Thriller und legt mitnichten sein Hauptaugenmerk auf Exorzisten-Horror à la „Der Exorzist“.

Emily Rose (Jennifer Carpenter, „Pakt der Rache“) ist tot – sie wurde nur 19 Jahre alt. Der katholische Priester Richard Moore (Tom Wilkinson, „Rush Hour“) sitzt in Untersuchungshaft, angeklagt wegen fahrlässiger Tötung. Emily hatte ihr Studium abgebrochen und war ins heimische, ländliche Elternhaus zurückgekehrt, nachdem sie, beginnend eines Nachts um 3:00 Uhr, Wahnvorstellungen und Muskelkrämpfe erlitt. Ein Zustand, der anhielt und sich verschlimmerte, auch unter medikamentengestützter ärztlicher Behandlung gegen eine epileptische Psychose. Man zog Pater Moore zu Rate, der sie von einem Dämon besessen wähnte und schließlich einen Exorzismus an ihr durchführte – ohne Erfolg. Die alleinstehende, ehrgeizige Anwältin Erin Christine Bruner (Laura Linney, „Die Truman Show“) übernimmt die Verteidigung Moores. Während die Staatsanwaltschaft davon ausgeht, dass die Aussetzung der medizinischen Behandlung und die Anstrengungen des Exorzismus für den Tod der jungen Frau verantwortlich sind, versucht die zunächst noch zweifelnde, doch dem Pater mit der Zeit immer mehr Glauben schenkende Anwältin, die Geschworenen von der Unschuld ihres Mandanten zu überzeugen: Dessen Exorzismus hätte versagt, weil er unter dem Einfluss des Medikaments in Emilys Körper nicht an den Dämon herangekommen sei.

Für seinen Film hat Derrickson sich zwar offensichtlich inspirieren lassen vom Fall der Anneliese Michel, die 1976 in Deutschland von der katholischen Kirche fahrlässig getötet wurde, indem man an ihr den sog. „großen Exorzismus“ durchführte, doch gibt es im Film viele Abweichungen zu diesem Fall, dessen Handlung daher als fiktiv bezeichnet werden muss. In Rückblenden aus Sicht Moores erzählt „Der Exorzismus von Emily Rose“ die Ereignisse nach, die Emily schließlich ihr Leben und Moore seine Freiheit kosteten. Dies geschieht in Form von Gesprächen mit der zunächst skeptischen, sich selbst als Agnostikerin bezeichnenden Anwältin, in deren unsteten Lebenswandel sich jedoch auch bald eigenartige und beängstigende Phänomene schleichen. Dass sie einen Drink bestellt, ohne ihn zu trinken, ihn aber von ihrem männlichen Gesprächspartner bezahlen lässt, ist dabei ein sicherlich wenig relevantes Detail, nicht erst bei genauerer Überlegung recht unrealistisch erscheint es hingegen, dass sich Bruner die Ereignisse nur etappenweise erzählen lässt: Moore gibt ihr ein paar Informationen, es geht vor Gericht zum ersten Verhandlungstag, dann lässt sie sich in chronologischer Abfolge weitere Details berichten etc. Dies ist mit Sicherheit der Dramaturgie des Films geschuldet, denn kein ernstzunehmender Anwalt würde in der Realität so verfahren, erscheint mir aber dennoch etwas unglücklich. Ein weiterer Schachzug Derricksons ist es, seinen Film mit der Verhaftung des Paters im Winter zu beginnen und mit der Verhandlung im Herbst fortzuführen, während er den Sommer komplett überspringt – so kann er die Tristesse und Melancholie winterlicher und herbstlicher Stimmung für sich nutzen, ohne dass ihm strahlender Sonnenschein und ausgelassene Fröhlichkeit dazwischenfunken würden.

Das mag man für leicht durchschaubar halten und das ist es vermutlich auch, dafür beweist er aber inszenatorisches Geschick und ein sicheres Gespür für Gänsehaut bei den Bildern der Rückblenden: Zusammen mit der erbarmungswürdigen Emily muss der Zuschauer gediegenen Suspense-Horror ertragen, wenn sie vor lauter Grusel keine Bettruhe findet, mit finsteren Fratzen konfrontiert wird und schließlich selbst ein dämonisches Antlitz im Pferdestall aufsetzt. Ihre neuentdeckte kulinarische Affinität zu Spinnentieren sorgt zudem für einen nicht zu knappen Ekelfaktor. Die enorm wandlungsfähige Jennifer Carpenter durchlebt in ihrer Rolle als Emily Rose eine grauenvolle Metamorphose von der unbedarften, hübschen Studentin zum die Kontrolle über seinen Körper verloren habenden, ausgemergelten, zerschundenen, angsteinflößenden Etwas, die ihre Wirkung auf den Zuschauer nicht verfehlt. Der Exorzismus schließlich entpuppt sich keinesfalls als Kernstück des Films und ist – eine entsprechende Erwartungshaltung vorausgesetzt – sicherlich eher enttäuschend ausgefallen, hatte man sich eine Art Regan 2.0 erhofft.

Im Endeffekt interessanter ist jedoch der Gerichtsprozess, der in ruhigem, durchaus angenehmem Erzähltempo in bewährter Justiz-Thriller-Manier geführt wird und in seinem Dialogreichtum dahingehend konzipiert wurde, dass man Verständnis für beide Parteien entwickelt. Die, das muss ich genau so anerkennen, sehr guten Schauspieler erleichtern die Identifikation mit bzw. das Verständnis für die unterschiedlichen Charaktere und ein eindeutiges Gut/Böse-Schema gibt es nicht. Jedoch tut „Der Exorzismus von Emily Rose“ zwar so, als ließe er die Wahrheit offen, als überließe er sie der Interpretation des Zuschauers, steuert dabei aber tendenziös in Richtung der Verteidigung, indem er die Anwältin umso mehr dämonische Phänomene erleben lässt, je ausgiebiger sie sich mit dem Fall beschäftigt. Schließlich lässt man sie gar eine charakterliche Entwicklung vollziehen, an deren Ende die ehemals so ehrgeizige Frau einen feuchten Kehricht auf ihre Karriere gibt. Möchte der Films uns weismachen, dass eine Karrierefrau etwas Unanständiges sei und sie besser zu Gott bzw. ihrer eigenen Spiritualität zurückfinden solle? Möchte man uns dahingehend manipulieren, Moores Ausführungen und seiner Überzeugung Glauben zu schenken und sie als die wahrscheinlichere Option der tatsächlichen Wahrheit zu akzeptieren? Dann wäre „Der Exorzismus von Emily Rose“ kein auf christlicher Mythologie basierender Thriller, auf den der Klerus erfahrungsgemäß nicht sonderlich gut zu sprechen ist, sondern ein Werbefilm für die katholische Kirche und eine Rechtfertigung ihrer menschenunwürdigen Praktiken. Oder warnt Derrickson mit seinem Film vor genau dieser Art der Manipulation, vor der Anfälligkeit sich selbst mit beiden Beinen auf dem Boden der Tatsachen glaubender, diesseitsorientierter, weltlicher Menschen für religiösen Eifer und wirre Sekten, beispielsweise durch jahrelange Leugnung eigener spiritueller Bedürfnisse und deren Ersetzung mit Materialismus? Ich bin nach meiner Erstsichtung dieser handwerklich größtenteils sehr gut gemachten und spannenden Genre-Melange unschlüssig und behalte mir eine Bewertung in Punkten daher zunächst vor.
Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
Ein-Mann-Geschmacks-Armee gegen die eingefahrene Italo-Front (4/10 u. 9+)
Diese Filme sind züchisch krank!
Benutzeravatar
buxtebrawler
Forum Admin
Beiträge: 41729
Registriert: Mo 14. Dez 2009, 23:13
Wohnort: Wo der Hund mit dem Schwanz bellt.
Kontaktdaten:

Re: bux t. brawler - Sein Filmtagebuch war der Colt

Beitrag von buxtebrawler »

Bild
Ein Tolpatsch kommt selten allein
Der trottelige Pechvogel François (Pierre Richard) erhält einen wichtigen Auftrag: Er soll die Tochter seines Chefs finden, die in Mexiko verschollen ist. Dummerweise zieht Marie das Pech ebenso magisch an wie François. Ob Detektiv Campana (Gérard Depardieu) Hilfe leisten kann?
„Jemand wie Sie kann sie nicht wiederfinden, denn Sie sind normal. Ein Pechvogel dagegen rutscht auf der gleichen Bananenschale aus. Stolpert über den gleichen Teppich. Auf die Weise kann er vielleicht ihre Spur wiederfinden.“ (Wenn Normalität hinderlich wird...)

„Ein Tolpatsch kommt selten allein“ alias „Der Hornochse und sein Zugpferd“ ist 1. nach “Das Spielzeug” die zweite Arbeit des französischen Regisseurs und Drehbuchautors Francis Veber, 2. auch dessen zweite Zusammenarbeit mit dem französischen Komödienstar Pierre Richard („Die Regenschirmmörder“), 3. die erste von drei Kollaborationen des Duos Richard/Depardieu, 4. die erste Komödie mit Richard in der Hauptrolle des 1980er-Jahrzehnts und 5., und das ist das Wichtigste: meiner Meinung der beste Pierre-Richard-Film überhaupt – und derer gibt es nicht wenige!

Marie (Corynne Charbit), die Tochter des vermögenden Unternehmers Alexandre Bens (Michel Robin, „Die fabelhafte Welt der Amelie“) wurde in Mexiko entführt, seither fehlt jede Spur von ihr. Selbst der professionelle Privatdetektiv Campana (Gérard Depardieu, „Der Loulou“) tappt im Dunkeln. Da Bens’ Tochter ein ausgewiesener Pechvogel ist, bekommt der Betriebspsychologe die Idee, den ebenfalls permanent vom Pech verfolgten Buchhalter François Perrin (Pierre Richard) Campana an die Seite zu stellen, damit ihn dieser unbewusst auf die richtige Spur bringt. Campana ist von dieser Idee wenig begeistert, denn die wahren Beweggründe will man gegenüber Perrin verschweigen und ihm stattdessen Glauben machen, ihn aufgrund seines außerordentlichen Scharfsinns für diese Mission auserkoren zu haben und ihm Campana als „Assistenten“ zur Verfügung zu stellen. So macht sich das ungleiche Duo aus einem begeisterten Perrin und einem genervten Campana gemeinsam auf die Suche…

„Sie hat einen außergewöhnlichen Schutzengel. Einen Schutzengel, der soviel Arbeit mit ihr hat, dass er super trainiert ist!“

In der Vergangenheit erwies es sich schon des Öfteren als überzeugendes Konzept, Richard für seine Komödien einen starken männlichen Partner an die Seite zu stellen, doch „Ein Tolpatsch kommt selten allein“ ist in dieser Hinsicht Paradebeispiel und Meisterstück. Großen Anteil daran hat die sorgfältige, detaillierte und vielschichtige Zeichnung beider Charaktere, die in keinerlei Hinsicht zu wandelnden Klischees, die sich in gegenseitigem Klamauk ergehen, konstruiert wurden. Selbst den aufgrund der Konstellation so naheliegenden Slapstick strapaziert man nicht über, setzt vielmehr auf sich aus der naiven Einschätzung Perrins seines Auftrags und seiner Neigung zur Selbstüberschätzung ergebende schadenfrohe Situationskomik. Doch obwohl Perrin immer wieder unter Beweis stellt, welch regelrechte Nervensäge er auch unabhängig von seiner sein Leben lang andauernden Pechsträhne sein kann, wird er nie zur Projektionsfläche für die Antipathie des Zuschauers, wenn dieser erkennt, dass Perrin auch stellvertretend steht für das spießige, wenig aufregende Leben des typischen Max Mustermanns, in dem die Sehnsucht nach Anerkennung und Abenteuer schlummert. Schnell verzeiht man ihm neben bereits erwähnten Charakterschwächen auch sein amateurhaftes Verhalten, mit dem er sich und Campana in Gefahr bringt. Perrin spielt eine Klaviatur des Grauens auf den Nerven Campanas. Doch aufgrund Perrins Pechs kommt sogar noch eine ausgesprochene Portion Mitleid hinzu, der Film jongliert geschickt mit tragikomischen Elementen.

Anders verhält sich da mit dem raubeinigen, doch professionellen Campana. Dieser steht mit beiden Beinen auf dem Boden der rationalen Tatsachen und glaubt nicht an Glück, Pech oder derartige Vorhersehungen, sondern schlicht daran, dass jeder für sein Schicksal selbst verantwortlich ist. Nur zähneknirschend fügt er sich seinem Auftrag, einen Amateur als Vorgesetzten zu akzeptieren bzw. diesen in diesem Glauben zu lassen. Er hält Perrin für einen Schwachkopf und entwickelt mit der Zeit eine regelrechte Wut auf ihn, wähnt ihn eigenverantwortlich für sein andauerndes Pech. Doch mit der Zeit kommen ihm Zweifel, die sein Weltbild erschüttern. Zu allem Überfluss scheint sich das Pech auch noch auf Campana zu übertragen. Spätestens da ist seine Geduld mit Perrin am Ende. Diese Momente, in denen nach und nach Campanas Welt und alles, was er übers Leben zu wissen glaubte, auf den Kopf gestellt wird, funktionieren häufig nicht über Brachialhumor, sondern das genaue Gegenteil: Über subtile Mimik, über bedeutungsschwangeres Schweigen, über leises Stirnrunzeln und Augendrehen. Neben den Actionszenen und insbesondere Richards Willen und Begabung, sich selbst ohne Rücksicht auf Verluste zu verballhornen, sind es gerade diese Momente, die das schauspielerische Talent und die sich potenzierende Wechselwirkung der entgegensetzten Charaktere offenbaren. Dennoch geht es wie bereits angedeutet auch immer wieder heftiger zur Sache: Campana wütet sich durch, flucht unablässig – und doch ist es immer wieder sein herrlich ungläubiges, fassungsloses Gesicht, das am stärksten hervorsticht und sogar Richards Backpfeifenvisage Konkurrenz in Sachen Ausdruck macht.

Dramaturgisch funktioniert „Ein Tolpatsch kommt selten allein“ in leicht episodenhaftem Stil, an deren Ende in der Regel tatsächlich ein Vorankommen, die Entdeckung oder Aufnahme einer vielversprechenden Spur steht, was weder durch Campanas Rationalität und schon gar nicht durch Perrins zum Scheitern verurteiltes Detektivspiel erreicht wurde, sondern tatsächlich durch Perrins Pech. Wie sich einzelne Situationen dadurch entwickeln, bleibt meist wenig vorhersehbar und glaubt man, die Rezeptur des Films durchschaut zu haben, überlistet er gerne einmal die Erwartungshaltung des Zuschauers. Vebers Film ist eine dieser Komödien, die heutzutage in ihrer Machart, beispielsweise was das Erzähltempo, das genüssliche Auskosten bizarrer Momente und die Fokussierung auf leisere schauspielerische Zwischentöne betrifft, aus der Reihe fallen, sicherlich ungewohnt wirken und insbesondere bei einer mit dem ADS-Aufmerksamkeitsspannenhumor à la „Family Guy“ und Konsorten aufgewachsenen Generation auf Unverständnis stoßen und einen schweren Stand haben dürfte. Ich werde jedoch nie vergessen, wie ich im Vorschulalter sah, wie Pierre Richard im Treibsand versinkt, während Gérard Depardieu daneben auf festem Boden steht und schon wieder genervt und fassungslos ist, während mir der Mann mit der lustigen Lockenmähne so leidtat und mich gleichzeitig königlich amüsierte. Nach meiner Wiederentdeckung des Films erwies sich dieser als echter Klassiker, der kaum Staub angesetzt hat und den man sich immer wieder gern anschaut, ja, der länger nachklingt als eine übliche Zerstreuungskomödie und sich sogar entwickelt, vielleicht bei der nächsten Sichtung wieder noch einen kleinen Tick besser gefällt.

Kurioserweise schien es seinerzeit übrigens Mode geworden zu sein, Richards Rollen immer wieder nach der seines Durchbruchs mit „Der große Blonde mit dem schwarzen Schuh“ zu benennen: François Perrin. Bereits in Vebers Vorgänger „Das Spielzeug“ hieß er so, und wenn er im Laufe der Handlung wieder einmal einen Schuh verliert, ist auch das mit Sicherheit als Hommage an Yves Roberts Agentenfilmparodien zu verstehen. Nicht uninteressant erscheint mir im Zusammenhang mit einer (im Grunde genommen) Detektivgeschichte die steife, beinahe verdächtig britische Höflichkeit zu Beginn des Films.

Hinweisen muss ich noch auf die zwei unterschiedlichen deutschen Synchronfassungen, von denen nur die fürs Fernsehen angefertigte als empfehlenswert und dem Film gerecht werdend gilt. „Ein Tolpatsch kommt selten allein“ ist ferner ein weiterer Pierre-Richard-Film, der ein US-amerikanisches Remake erfuhr: 1991 erschien „Reine Glückssache“ alias „Dumm sucht dümmer“ unter der Regie Nadia Tass‘.
Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
Ein-Mann-Geschmacks-Armee gegen die eingefahrene Italo-Front (4/10 u. 9+)
Diese Filme sind züchisch krank!
Benutzeravatar
buxtebrawler
Forum Admin
Beiträge: 41729
Registriert: Mo 14. Dez 2009, 23:13
Wohnort: Wo der Hund mit dem Schwanz bellt.
Kontaktdaten:

Re: bux t. brawler - Sein Filmtagebuch war der Colt

Beitrag von buxtebrawler »

Bild
Argo
Teheran, 1979 - wütende Demonstranten stehen vor der us-amerikanischen Botschaft und fordern die USA auf, den Schah wieder an den Iran auszuliefern, dem dort nach der Machtübernahme der Mullahs Asyl gewährt wurde. Plötzlich dringen erste Männer in die Botschaft ein, die Wachleute können die Menge nicht zurückhalten und die Botschaftsangehörigen werden als Geiseln festgenommen. Nur Sechs von ihnen konnten zuvor fliehen, indem sie auf der Rückseite des Gebäudes auf die Straße gelangten und in der kanadischen Botschaft Zuflucht fanden. Wochen später sind die Schwierigkeiten für die Amerikaner nicht kleiner geworden. Mehr als 50 US-Amerikaner leben in Geiselhaft und auch die sechs Flüchtigen können kaum einmal aus ihrem Versteck heraus. Zudem setzen die Iraner die geschredderten Unterlagen wieder zusammen, um die Gefangenen mit den Personalien abzugleichen, weshalb nicht mehr viel Zeit bleibt, bis sie von den sechs fehlenden Personen erfahren werden. Gleichzeitig versucht Tony Mendez (Ben Affleck), Spezialist der CIA für die Befreiung von Gefangenen, einen Plan zu fassen, um sie aus dem Iran zu holen. Doch die iranischen Behörden haben ihre Anstrengungen erhöht, jeden US-Amerikaner heraus zu filtern...
„Das ist die beste blöde Idee, die wir haben, Sir – mit Abstand!“

Die dritte Regiearbeit des vornehmlich als Schauspieler bekannten US-Amerikaners Ben Affleck („Jay & Silent Bob schlagen zurück“) ist der 2012 veröffentlichte und mehrfach oscarprämierte Polit-Thriller „Argo“, den Affleck auch zusammen mit George Clooney (Regie und Produzent bei „The Ides of March - Tage des Verrats“) und Grant Heslov (Produzent bei „The Ides of March - Tage des Verrats“, Regie bei „Männer die auf Ziegen starren“) produzierte. Das Drehbuch von Chris Terrio erzählt die Geschichte des „Canadian Caper“ nach, für die Affleck auch gleich die Hauptrolle übernahm:

Nachdem der iranische Premierminister Mohammad Mossadegh sein Land vor der Ausbeutung durch den britischen BP-Vorgänger AIOC bewahren wollte und daher die Ölförder- und Raffinerieanlagen verstaatlichte, taten sich die Briten und die USA zusammen, schürten antikommunistische Paranoia und stürzten schließlich mithilfe des CIA Mossadegh mit einem blutigen Militärputsch, um den Schah (iranischer Monarch) wieder an der Staatsspitze zu installieren, welcher schließlich die Verwestlichung des Irans rasant vorantrieb. Dieser wiederum wurde 1979 von einem breiten Revolutionsbündnis gestürzt und durch den Islamisten Chomeini ersetzt. Der Schah genoss daraufhin Asyl in den USA. Aufgebrachte Demonstranten fordern vor der US-Botschaft in Teheran die Auslieferung des Schahs an den Iran und stürmen schließlich die Botschaft, nehmen die Mitarbeiter als Geiseln. Sechs Botschaftsangehörige können jedoch fliehen und kommen zunächst in der kanadischen Botschaft unter. Doch wie bekommt man diese sechs unerkannt aus dem Land mit seiner gefährlichen Anti-US-amerikanischen Stimmung geschleust? CIA-Offizier Tony Mendez (Ben Affleck) spinnt mithilfe der Hollywood-Größen John Chambers (John Goodman, „The Big Lebowski“) und Lester Siegel (Alan Arkin, „Edward mit den Scherenhänden“) den Plan, mit einer fingierten Filmproduktion in den Iran zu reisen, sich und die Flüchtigen als Kanadier zu tarnen, die angeblich nach exotischen Drehorten für den Science-Fiction-Film „Argo“ suchen – und sie schließlich mithilfe gefälschter Papiere außer Landes zu fliegen...

Das politische Klima zwischen den USA und dem Iran ist aktuell wieder einmal alles andere als entspannt. Wenn nun die als nicht so doof wie die üblichen Action-Verdächtigen geltende Hollywood-Flanke um Clooney und Affleck sich eines Themas wie diesem annimmt, darf man grundsätzlich gespannt sein. So macht „Argo“ zu Beginn auch unmissverständlich die Rolle der USA beim Sturz Mossadeghs deutlich, nennt Ross und Reiter, zeigt die hektische Aktenvernichtung der US-Amerikaner angesichts der aufgepeitschten Menge in Teheran und beurteilt die Menschenrechtssituation unter dem Schah kritisch. So weit, so gut. Doch hat es sich Affleck nun einmal vorgenommen, den lange Zeit unter Verschluss gehaltenen, o.g. „Canadian Caper“ nachzuzeichnen, von dem er 2007 aus dem „Wired Magazine“ erfuhr. Somit beruhen seine Informationen wohlgemerkt zu einem großen Teil auf den Angaben des CIA und sind nach wie vor nur schwer nachprüfbar. Handelt es sich dabei um eine politisch motivierte Legendenbildung, müssen sich Affleck & Co. gefallen lassen, sich für sie instrumentalisieren haben zu lassen. Nach einer durchaus sympathischen Ehrerbietung an Maskenbildner John Chambers, verleitet „Argo“ sein Publikum dazu, mit den US-Amerikanern mitzufiebern, statt mit den aufgebrachten Iranern, die auf Grundlage dessen, was der Film bis jetzt seinen Zuschauern an politischen und historischen Informationen mitgegeben hat, vollkommen zurecht stocksauer sind und die Auslieferung des Monarchen fordern. An dieser Stelle beginnt die US-typische Manipulation des Zuschauers, die chauvinistisch suggeriert, dass das Schicksal jener sechs Botschaftsangehöriger wichtiger sei als das des iranischen Volks.

Die Betonung von Einzelschicksalen, von Unrecht, das US-Bürgern und dafür Gehaltenen angetan wurde, bei fortan nahezu völliger Ausklammerung des Leids der Iraner, im Zusammenspielt mit permanent um Sympathie buhlendem Humor mit seinen abgeklärten Sprüchen und einer derben Schippe an streng nach Mainstream-Formel programmierten Rührseligkeiten, ist unerträglich und tendenziös. Nicht fehlen darf auch hier das Motiv des altbekannten Einzelkämpfers, in diesem Falle Mendez, der seine „Mission“ eigenverantwortlich gegen bestehende Anweisungen durchzieht. Regelrecht rassistisch wird „Argo“, wenn während der Ausreise der Farsi sprechende Spion bzw. Diplomat dem iranischen Wachmann in sein Gegenüber herabwürdigender Babysprache die Handlung des fiktiven Films erklärt.

Affleck sieht als Mendez beinahe aus wie Ahmadinedschad und kommt unter seinem Vollbart mit nur einem Gesichtsausdruck aus. Ist er erst einmal im Iran angekommen, zieht er die Dramaturgie des Films für satte 15 bis 20 Minuten lang nach unten, beendet die Langatmigkeit indes im Rahmen einer spannenden Szene auf dem engen Basar, durch den die vermeintliche Filmcrew geschleust werden muss – verzichtet jedoch unverständlicherweise darauf, zu zeigen, wie die bedrohlich inszenierte Konfliktsituation gelöst wurde. Generell verfügt „Argo“ zwar über relativ authentisch anmutende ’70er-Jahre-Kulissen, wurde aber anscheinend zu keiner Sekunde tatsächlich im Iran gedreht – was bei genauerer Überlegung auch leicht bizarr anmutet angesichts der Inkognito-Filmteam-Thematik. Höhepunkt ist dann das Finale, das die letztlich glücken werdende Ausreise in nervenzerrender Anspannung zelebriert; die anschließende Freude im „Happy End“ sodann wirkt einmal mehr zynisch. Und anstatt es dabei bewenden zu lassen, wird im ausgedehnten Epilog noch einmal überflüssigerweise die volle Kitschoffensive aufgefahren.

Damit ist „Argo“ leider dann doch das befürchtete propagandistische Ami-Produkt geworden, das, zudem qualitativ nur mäßig geschauspielert, bei näherer, kritischer Betrachtung wirkt, es wolle es sich an der Reinwaschung einer der mächtigsten Verbrecherorganisationen der Welt beteiligen, als würde der mehr oder weniger detailliert gezeigte, originelle Einsatz der CIA den unrechtmäßigen Putsch aufwiegen. Angesichts der allgemeinen Qualitäten des US-Propagandafilms jedoch ist der Fingerzeig auf die von den USA mitverursachte Ausgangssituation evtl. anzuerkennen und mit etwas Wohlwollen lässt sich ein Plädoyer für friedliche Konfliktlösungen erkennen, möglicherweise gar bewusst vor dem Hintergrund des aktuell schwelenden Konflikts ausgesprochen. Von neutralem Boden aus betrachtet aber ist „Argo“ für die politisch-historische Bildung in etwa das, was die US-Demokraten für den Weltfrieden sind: Ganz ähnlicher Inhalt im etwas anderen Gewand. Insofern wenig überraschend, letztlich aber doch enttäuschend.
Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
Ein-Mann-Geschmacks-Armee gegen die eingefahrene Italo-Front (4/10 u. 9+)
Diese Filme sind züchisch krank!
Benutzeravatar
buxtebrawler
Forum Admin
Beiträge: 41729
Registriert: Mo 14. Dez 2009, 23:13
Wohnort: Wo der Hund mit dem Schwanz bellt.
Kontaktdaten:

Re: bux t. brawler - Sein Filmtagebuch war der Colt

Beitrag von buxtebrawler »

Bild
Eine Jungfrau in den Krallen von Zombies
Die junge Christina erhält die Nachricht, dass ihr Vater gestorben ist. Sie macht sich auf den Weg zur Testamentseröffnung, die auf dem Schloss mitten in England stattfinden soll. Sie unterbricht ihre Reise in einem Gasthaus. Dort wird sie nicht nur von schrecklichen Träumen heimgesucht , sondern auch von der Wirtin gewarnt, nicht zum Schloss Montserrat zu fahren. Angeblich ist es verlassen und keiner ihrer Verwandten mehr am Leben. Trotzdem trifft am Morgen Basilio ein, der geschickt wurde, Christina abzuholen. Im Schloss angekommen muss Christina feststellen, dass es doch bewohnt ist. Seltsamerweise wirken aber alle emotionslos und kalt. Direkt im Anschluss an die Testamentsverkündung erscheint ihr der tote Vater als Geist mit einem Strick um den Hals. Er verrät ihr, dass er ermordet wurde und auch sie von den "untoten" Verwandten geopfert werden soll. Bevor Christina jedoch flüchten kann muss sie mehrere Vergewaltigungen, explizite erotische Ausschweifungen und eine "Orgie des Todes" über sich ergehen lassen. Der Tod in Form einer nackten, schwarzhaarigen Frau öffnet die Arme nach ihr! Covertext der X-Rated DVD
„Warum stellen Sie so viele Fragen?“

In belgisch-französisch-italienisch-liechtensteinischer (!) Koproduktion entstand im Jahre 1971 der Erotik-Grusler „Eine Jungfrau in den Krallen von Zombies“ unter der Regie des spanischen Viel- und Billigfilmers Jess Franco („Die Säge des Todes“, „Faceless“). Der deutsche Titel ist irreführend, denn in der ursprünglichen Franco-Fassung kamen keine Zombies vor. Für den Videothekenmarkt wurden später von Jean Rollin einige Zombieszenen nachgedreht und in den Film integriert – zum Unmut Francos.

Die hübsche junge Christina (Christina von Blanc, „Hochzeitsnacht-Report“) reist zur Testamentseröffnung Ihres verstorbenen Vaters (Paul Muller, „Lady Frankenstein“) zum Schloss Montserrat. Sie schlägt die Warnungen der Dorfbewohner aus und lässt sich ins Innere des Gemäuers führen, wo sie vom ihr unbekannten Rest der Familie begrüßt wird. Es bietet sich ihr eine bizarre Szenerie von über Leben und Tod sinnierenden Verwandten. Traum und Wirklichkeit verfließen immer mehr miteinander, wenn sie Visionen lesbischer Spiele, blutiger Gewalt und ihres toten Vaters mit einem Strick um seinen Hals hat – letzteres ist eine eindeutige Warnung, doch längst befindet sich Christina in den Krallen der geheimnisvollen Hausbewohner..

Du liebe Güte, was habe ich mir nur hier wieder angetan? Da traue ich mich bisher noch nicht einmal an die in manchen Kreisen Kultstatus besitzenden Erotik-Grusel-Filme Jean Rollins heran, schiebe aber vollkommen unbedarft einen Film Francos in den Player, mit dem er dem Franzosen anscheinend nacheifern wollte. Doch der Reihe nach: Während Christinas Autofahrt ins Dörfchen hält sie aus dem Off einen Monolog über die Bizarrheit der Umgebung, während die Bilder schlicht schnöde europäische Laubwälder offenbaren. Schon früh beginnt Franco, einzelne Szenen auskosten zu wollen, indem er sie unnötig in die Länge zieht. Auch versieht er seine Szenen gern mit schaurigen Geräusch- und Gesangskulissen, die in der filmischen Realität für die Charaktere gar nicht stattfinden. Christina entpuppt sich als supernaives Dummenblondchen, das sich noch darüber freut, dass sich ihre abseitige Familie wie Soziopathen benimmt und findet alles furchtbar witzig. Ihr Onkel (Howard Vernon, „Die geschändete Rose“) spielt andauernd bedeutungsschwanger Piano und verzapft hochgestochenes Zeug.

Trotz allem bleibt Christina auch nach der Testamentsverkündung vor Ort. Was soll’s, so richtig nachvollziehbar ist die Handlung ohnehin nie gewesen. Dafür räkeln sich nun ansehnliche weibliche Nackedeis zu Klavierklängen auf dem Fußboden und vergnügen sich Lesbierinnen bei vampiristischen Spielchen. Der große Dildo (!), der plötzlich inmitten Christinas Zimmer steht, wird allerdings von ihr beherzt weggeschlagen... Mittlerweile redet auch ihr Vater in ihren Visionen geschwollen daher, Christina irrt im Zeitlupentempo durch den Wald... und irgendwann installiert Franco dann das erlösende Ende, das ich schlichtweg nicht verstanden habe. Bis es allerdings soweit ist, muss man Francos permanente, schon geradezu aufdringliche Zooms auf die nicht immer sonderlich hübschen Visagen und Augenpartien seiner Pro- und Antagonisten ertragen sowie einen Billig-Synthie-Soundtrack, der wie einem ’70er-Jahre-Porno entlehnt klingt. Ein paar hübsche, voyeuristische Erotikaufnahmen sind das einzige, das diese groteske Vampirfarce zu bieten hat. Franco verlässt meines Erachtens zu keinem Zeitpunkt bewusst den „narrativen Pfad“, wie manch überinterpretierfreudige Obskuritäten-Jünger behaupten mögen, sondern hat ihn nie gefunden! Ohne seine Erotik ist „Eine Jungfrau in den Krallen von Zombies“ quasi gar nichts, und diese rechtfertigt auch nicht unbedingt das Ansehen dieses langweiligen Schnarchers – es sei denn, man frönt dem Franco-Fetisch und befindet sich als Jungfrau in dessen Zombie-Krallen...
Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
Ein-Mann-Geschmacks-Armee gegen die eingefahrene Italo-Front (4/10 u. 9+)
Diese Filme sind züchisch krank!
Antworten