bux t. brawler - Sein Filmtagebuch war der Colt

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Everyday Rebellion

Die in Österreich lebenden Exil-Iraner Arash („Nerven Bruch Zusammen“) und Arman T. Riahi („Schwarzkopf“) sind Brüder und mussten in den 1980ern mit ihren Eltern aus dem Iran fliehen, weil diese es gewagt hatten, sich an Protesten gegen die Regierung zu beteiligen. Als erwachsene Filmemacher begaben sie sich, inspiriert von den zahlreichen Protestbewegungen der jüngsten Zeit gerade auch in arabischen Ländern, für ihren als Teil eines Crossmedia-Projekts angelegten Dokumentarfilm „Everyday Rebellion“ in die verschiedensten Orte der Welt, um die unterschiedlichsten Formen friedlichen Widerstands und zivilen Ungehorsams zu dokumentieren und zu einer inspirierenden Collage zusammenzufügen. Der Film wurde in österreichisch-schweizerischer Koproduktion realisiert, 2013 veröffentlicht und erfuhr im Spätsommer 2014 seine Deutschlandpremiere.

Laut eigenem Bekunden hatten die Riahis um ein Vielfaches über das übliche Maß hinausgehendes Filmmaterial angesammelt, das es auszuwerten, zu sortieren und zu schneiden galt – mit dem Ergebnis, dass der erste Rohschnitt noch immer über fünf Stunden ging. So musste für das rund zweistündige Endergebnis weiter radikal aussortiert und gekürzt werden, um es auf kinotaugliche Länge zu trimmen. Herausgekommen ist ein Film voller faszinierender Originalaufnahmen, der mit aus dem Off geflüsterten Auszügen aus dem spanischen „Manifest 15M“ beginnt und fortan zwischen den verschiedensten Orten und Bewegungen pendelt. Angefangen bei den spanischen „Indignados“, die sich u.a. gegenseitig dafür einsetzen, Zwangsräumungen etc. zu verhindern, über die „Occupy Wallstreet“-Bewegung in den USA und die feministischen „Femen“-Aktivistinnen bis hin zu den Protesten im Iran und in Syrien sowie dem arabischen Frühling. Ausschlaggebend für die Berücksichtigung war, dass der kleinste gemeinsame Nenner all dieser Rebellionen letztlich die Achtung der Menschenrechte ist und auf Gewalttätigkeit verzichtet wird. Dieser pazifistische Ansatz zieht sich durch den gesamten Film. Kreative, gewaltlose Protestformen werden hervorgehoben und auch in ihrer Planung und Vorbereitung gezeigt, wobei auch allen Umständen zum Trotz der Humor sowohl der Macher hinter den Aktionen als auch der Aktionen selbst nicht zu kurz kommt, was sämtliche Vorstellungen knochentrockener politischer Materie oder hasserfüllter Straßenkämpfer Lügen straft. „Everyday Rebellion“ konzentriert sich dabei i.d.R. auf einzelne Protagonisten und begleitet diese über einen gewissen Zeitraum, kommt nach seinen Schauplatzwechseln immer wieder auf sie zurück, springt zwischen den verschiedenen Orten. So erfährt der Zuschauer beispielsweise, wie der Kampf um die Wohnung eines armen Spaniers ausging, wird aber auch Zeuge, wie die ukrainische „Femen“-Aktivistin Inna Schewtschenko sich schließlich gezwungen sieht, ihre Heimat gen Paris zu verlassen, wo sie jedoch weitere Mitstreiterinnen rekrutiert und trainiert.

Am beeindruckendsten sind wohl die Bilder aus arabischen Staaten, wo trotz aller Gefahren gutgelaunte Protestler auf die originellsten Ideen kommen, dem Regime ein Schnippchen zu schlagen, sei es durch beschriftete Tischtennisbälle, die zu Hunderten plötzlich durch die Städte springen, oder Luftballons, die beim Zerplatzen Flugblätter herniederregnen lassen. Selbst in abgelegenen Flüchtlingscamps gelingt es, kämpferische Bilder einzufangen. Diese positive Energie und Aufbruchsstimmung ist einer der roten Fäden des Films und exakt diese möchten die Riahis vermitteln. Als Zuschauer fällt es schwer, sich dem zu entziehen. „Everyday Rebellion“ funktioniert in erster Linie über die (nicht wertend gemeinte) Manipulation des Zuschauers in emotionaler Hinsicht, weniger als politische Faktensammlung. So werden immer wieder bewusst berührende Bilder eingestreut, werden Stimmungen musikalisch unterstrichen etc. Die genauen Hintergründe der einzelnen Protestbewegungen, ihre Anlässe, Motive und Ziele, werden allzu oft als entweder bereits bekannt vorausgesetzt oder sollen vom durch den Film interessierten Zuschauer selbst recherchiert werden. Für eine nüchterne, differenzierte Betrachtung der einzelnen Gruppen bleibt ebenso keinerlei Raum wie für eine kritische Auseinandersetzung – für die sich extrem polarisierende Gruppen wie „Femen“ geradezu anbieten würden, wenn die Frage im Raum steht, wieviel Hang zur Selbstdarstellung bei den Damen eigentlich eine Rolle spielt. Und auch, wie schnell sich bei aller Niedrigschwellig- und Hierarchielosigkeit der Protestbewegungen einzelne Führungspersönlichkeiten herauskristallisieren, denen andere im wahrsten Sinne hinterherrennen oder Vorgegebenes papageienartig wiederholen, wäre zumindest einer kritischen Betrachtung wert gewesen – immerhin sind es diese Phänomene, die sicherlich nicht nur mir als Autoritätsskeptiker die Teilnahme an manch Aktion mit ernsthaften gesellschaftspolitischen Zielen erschweren. Spätestens wenn gewagte, angeblich statistisch belegte Behauptungen hinsichtlich des Erfolgs bzw. Versagens friedlicher bzw. Gewalt nicht ausschließender Proteste aufgestellt werden oder gebildete Mittelschichtler sich dazu erkoren fühlen, für (vermeintlich?) unterprivilegierte Analpabeten eine Beschützerposition einzunehmen, wäre eine differenziertere Auseinandersetzung wünschenswert. Andererseits jedoch ist es Konzept des Films, ausschließlich Originalaussagen zu sammeln, ohne diese nachträglich zu kommentieren. Diese werden stets unsynchronisiert, jedoch untertitelt wiedergegeben, bleiben also im Zweifelsfall nachprüfbar.

Die angeratene Auseinandersetzung wiederum kann indes problemlos nachträglich durch den Zuschauer erfolgen, der „Everyday Rebellion“ nicht als sozialromantische Nabelschau selbsternannter Revoluzzer betrachten sollte, sondern dazu aufgerufen ist, gerade auch sein eigenes Potential zu erkennen, sein Bewusstsein für die Vorgänge in der Welt und die Möglichkeiten, ihnen zu begegnen, zu schärfen und eigene Fragen zu formulieren, nach Antworten zu suchen und (dadurch) interessante Perspektiven kennenzulernen. Unterm Strich ist „Everyday Rebellion“ eine beeindruckende Collage jüngster Protestbewegungen über kulturelle und ideologische Grenzen hinaus geworden, in die erkennbar nicht nur unfassbar viel Aufwand, sondern ebenso viel Herzblut geflossen ist, die ansprechend geschnitten wurde, dadurch über die volle Distanz spannend bleibt und den eigenen Horizont erweitert. Was ihr jedoch stets mitschwingt, ist die meines Erachtens etwas naive Vorstellung, durch gewaltlose Aktionen über kurz oder lang tatsächlich die Welt entscheidend ändern zu können – und daran hege ich in all meiner Desillusion dann doch so meine Zweifel, denn sollte es irgendwann tatsächlich hart auf hart kommen, rollen ganz schnell wieder die von den Reichen und Mächtigen finanzierten Panzer, unter die geraten einem all das politische Bewusstsein auch nicht mehr viel hilft.

Damit möchte ich das Engagement der Riahis aber keinesfalls geschmälert wissen, denen angesichts immer schneller stattfindender lokaler wie globaler Entwicklungen von vornherein bewusst war, wie schnell ihr eigener Film nicht mehr aktuell sein würde, weshalb sie innerhalb des Crossmedia-Konzepts die Möglichkeit schufen, auf http://www.everydayrebellion.net/wall/ weitere, aktuelle Informationen zu bekommen, zu teilen, zu kommentieren etc. Die Kinopremiere am rabattierten „Kinotag“ des Hamburger Abaton-Kinos nahmen beide zum Anlass, persönlich vor Ort zu sein und anschließend dem Publikum Rede und Antwort zu stehen – eine klasse Aktion, die auf viele offene Ohren stieß.
Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
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Der Schädel des Marquis de Sade
Durch den verrufenen Kuriositätenhändler Anthony Marco gelangt Dr. Maitland in den Besitz eines in menschlicher Haut gebundenen Buches des berüchtigten Marquis de Sade. Da Maitlands Interesse geweckt wurde, besucht Marco den Doktor erneut in der darauffolgenden Nacht. Dieses Mal gelangt Maitland in den Besitz des Schädels von Marquis de Sade. Auf die Gerüchte, dass der Schädel besessen sei gibt Maitland nicht viel. Doch dann fangen die Alpträume an und es gibt die ersten Toten...
„Das sind Geister einer bösen Welt!“

Zu den frühen Produktionen der britischen „Amicus“-Filmschmiede ist der Horrorfilm „Der Schädel des Marquis de Sade“ aus dem Jahre 1965 zu zählen, der unter der Regie Freddie Francis‘ damit im gleichen Jahr wie der erste „Amicus“-Episodengrusler „Die Todeskarten des Dr. Schreck“, ebenfalls unter Regie Francis‘, erschien. Es handelt sich um die Verfilmung einer Geschichte Robert Blochs, dem Autor von „Psycho“.

Dr. Christopher Maitland (Peter Cushing, „Frankensteins Rache“) ist Sammler besonderer Kuriositäten. Der Trödelhändler Anthony Marco (Patrick Wymark, „Ekel“) verkauft ihm eines Tages ein in Haut gebundenes Buch des Marquis de Sade. Doch damit nicht genug: Am nächsten Abend bietet Marco Dr. Maitland einen menschlichen Schädel an – angeblich der Schädel de Sades, entwendet von Grabräubern im 18. Jahrhundert. Maitland zögert und lässt sich die Echtheit durch seinen Freund Sir Matthew Phillips (Christopher Lee, „Dracula“) bestätigen. Dieser kennt den Schädel, da er ihm erst kürzlich aus eigener Sammlung gestohlen wurde. Doch er ist froh, dass er ihn los ist, da finstere Mächte von ihm ausgingen. Das weckt jedoch erst recht Maitlands Neugier. Als er Marco aufsucht, findet er ihn aber mit durchbissener Kehle auf. Er nimmt den Schädel an sich und wird selbst Zeuge unheimlicher Vorfälle…

Der Prolog zeigt den Diebstahl des Schädels, zeitlich lange vor der eigentlichen Handlung angesiedelt. In der filmischen Gegenwart, die anscheinend ebenfalls in der Vergangenheit terminiert wurde und über entsprechendes Gothic-Ambiente verfügt, wird mit Rückblenden gearbeitet: Nachdem Marco Cushing den Schädel gebracht hat, wird der Prolog wieder aufgegriffen und gezeigt, welche Konsequenzen die Entwendung des Schädels hatte. In diesen Rückblenden wird der Schädel unnatürlich ausgeleuchtet und durch ihn hindurch gefilmt, was ihm sowohl eine unheimliche Aura suggerieren als auch eine Art Eigenleben verleihen soll, als würde er das Geschehen durch seine nicht vorhandenen Augen beobachten – eine Art gefälschter Point-of-View-Technik also, für die mit einer großen Schädelattrappe gearbeitet wurde (und die nur allzu durchschaubar ist, im wahrsten Sinne des Wortes). Jedenfalls erfährt der Zuschauer so, dass der Schädel den Nachlassverwalter zum Mord an der Witwe des Grabräubers verleitete.

Ein Problem des Films ist, dass er damit zu diesem frühen Zeitpunkt im Prinzip bereits alles gesagt hat: Der Schädel ist böse und veranlasst – wie auch immer – böse Taten. Klar, dass es auch Maitland treffen wird. Einen Trumpf spielt „Der Schädel des Marquis de Sade“ jedoch aus, als er Maitland eine wahrlich grausige Vision seiner eigenen Verhaftung bekommen lässt, die vor einem surrealen Alptraumgericht und dem fliegenden Schädel endet – woraufhin er sich in Marcos Haus wiederfindet. Maitland ist unversehrt, doch als er später zu Marco zurückkehrt, findet er diesen tot auf – mit durchbissener Kehle. Es war und ist Neumond und so erwacht der Schädel schließlich zu all seiner diabolischen Kraft, fliegt mitsamt des de-Sade-Buchs durch den Raum und zwingt den nun gänzlich unter seinem Einfluss stehenden Maitland zu scheußlichen Morden – nur das Kreuz um den Hals seiner schlafenden Frau hält ihn davon ab, sie zu erstechen. Nicht von ungefähr erinnert diese Verquickung mit christlicher Symbolik an die Vampir-Thematik und so albern das auch alles irgendwie mit seinen eingeschränkten Spezialeffekten wirkt, so nimmt die Ernsthaftigkeit der Darbietung doch gefangen.

Cushing spielt wie erwartet toll, insbesondere, wenn er verzweifelt sich gegen den Schädel zu wehren versucht. Christopher Lee bekommt in seiner Nebenrolle hingegen nicht viele Möglichkeiten, aufzutrumpfen, doch auch der Rest der Besetzung ist ohne Tadel. Die Ausstattung mit ihren altertümlichen Brauntönen mutet für dieses kleine Filmchen opulent an und steht im Kontrast zu den simplen Spezialeffekten, die musikalische Untermalung dröhnt enervierend und psychotronisch. Ob es nun eine so gute Idee war, den Marquis de Sade zum Aufhänger für diese streng genommen reichlich beknackte Geschichte zu nehmen, sei einmal dahingestellt, zumal man leider auch auf quasi jedweden psychologischen Unterbau verzichtet. Andere „Amicus“-Produktionen wussten da wesentlich mehr mit Pointiertheit und Augenzwinkern zu überzeugen. Letztlich nur durchschnittliche Kost, die heutzutage unschön unfreiwillig komisch und bieder erscheint.
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Das Wunder der Liebe II - Sexuelle Partnerschaft
Die junge Monika (Petra Perry) und der ältere Michael (Michael Maien) verlieben sich ineinander und werden ein Paar. Doch ihre negativen sexuellen Erfahrungen in ihrer Jugend sorgen für Probleme und auch Streit: Während Michael von Frauen enttäuscht wurde, die Sex und Liebe trennten und er seitdem keine Gefühle mehr offen zeigen konnte, sucht Monika, die als Kind von ihrem untreuen Vater verlassen wurde, nach der großen Liebe... Anhand dieser Spielfilmhandlung kommentiert und erklärt Oswalt Kolle wieder sexuelle Probleme aus dem Off und im Interview mit Experten.
„Ich habe nicht die Absicht, mein Publikum sexuell aufzureizen oder irgendjemanden zu schockieren. Ich will nicht Widerstand wecken, sondern informieren und Fragen stellen.“

Nach seinem skandalträchtigen, doch umso erfolgreicheren ersten Aufklärungsfilm „Das Wunder der Liebe“ schob BRD-Chefaufklärer und Illustriertenschreiber Oswalt Kolle 1968, also nur ein Jahr später, den zweiten von insgesamt acht Filmen zum Thema nach. Als Regisseur engagierte man diesmal Alexis Neve, der hiermit debütierte und noch bei zwei weiteren „Kolles“ auf dem Regiestuhl platznehmen sollte.

Wie schon der noch komplett in schwarzweiß gedrehte Vorläufer beginnt auch „Das Wunder der Liebe II“ zunächst farblos, und zwar erneut mit einer kleinen Talkrunde, in der Kolle Pro-Verhütungsmittel-Stellung bezieht und die katholische Kirche kritisiert. Die exemplarische, veranschaulichende Spielfilmhandlung beschränkt sich diesmal darauf, nur ein einzelnes Paar und ihr Sexual- und Liebesleben zu beleuchten. Mittels Split-Screen-Technologie bleibt man dem Schwarzweißen treu und betrachtet zunächst bestimmte Ereignisse der Kindheit Michaels und Monikas getrennt voneinander. Da geht es um einen die Familie für längere Zeit verlassenden Vater und einen die Männerrolle übernehmenden Sohn, um eine Geburt, nackte Kinder in der Badewanne und Penisneid. Die kleine Monika überführt ihren Vater des Fremdgehens, Michael erlebt Sex ohne Liebe und landet beim Bund, Monika bei einem regelrechten Arschloch von Mann. Kolle plädiert zwischendurch dafür, die Kinder davor zu bewahren, den elterlichen Geschlechtsakt mitzuerleben.

Als Monika und Michael (als Erwachsene gespielt von Michael Maien und Petra Perry) sich endlich kennenlernen, begibt sich die fiktive Handlung in die Gegenwart, wird das Split-Screen-Verfahren aufgegeben und findet endlich Farbe in den Film. Was nun folgt, ist ein Schmierendrama sondergleichen, das viel von einer Seifenoper hat. Zu kitschiger Musik wird gemeinsam in den Urlaub gefahren und nackt am Strand herumgetollt und -gesprungen, doch Michael, der Schuft, vergisst den ersten Hochzeitstag und zu einer unzweifelhaften Vergewaltigung in der Ehe, die Monika auch noch schön findet (!), gesellt sich einiges an Ehe- und Alltagsstreit – und letzteres ist wirklich zum Gähnen. Zu immer noch und diesmal verdammt unpassender fröhlicher Musik geht Michael ihr schließlich fremd. Das nenne ich eine gewagte Melange, leider zusammengemixt zu einem ungenießbaren Brei.

Kolle unterbricht seinen Film immer einmal wieder oder kommentiert aus dem Off. So erlöst er Michael und mit ihm vermutlich hunderttausende Männer, als dieser mit seiner, nun ja, „Beischlafbeziehung“ nicht so recht kann und erzählt etwas von situativer Impotenz, die nicht besorgniserregend sei. Er äußert sich kritisch zu übereilten Eheschließungen, als Michael und Monika den Bund der Ehe eingehen, und plädiert schließlich dafür, Fremdgehen einfach mal durchgehen zu lassen – manch Mann wird ihm dafür applaudiert haben. Herrjemine, so revolutionär „Das Wunder der Liebe“ noch war und so richtig Kolle oftmals mit seinen Aussagen lag, so sehr versagt dieser Nachfolger doch in mancherlei Hinsicht. Das beginnt bei der langatmigen Thematisierung von Alltagsproblemen und -problemchen, geht über manch psychologisch nicht uninteressanten, in seiner vorgetragenen Resolutheit (von „Fragen stellen“, s. Eingangszitat, keine Spur) jedoch eher etwas fragwürdigen Erklärungsversuch bis hin zum deutlich vom damaligen Zeitgeist geprägten Versuch, körperliche Untreue zu rechtfertigen und damit entlarvend auf die sich durch „Freie Liebe“ etc. ergebenden Möglichkeiten zu schielen. Was sicherlich gut gemeint war, bekommt hier doch einen merkwürdigen Beigeschmack. Nichtsdestotrotz enthält natürlich auch dieser Aufklärungsfilm seine Wahrheiten und wohlplatzierten Kritikpunkte an einer im Entstehungsjahr oftmals doppelmoralischen Elterngeneration.
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Nackt unter Affen
Der ehemalige Söldner Burt fährt mit seinem Freund Robert und dessen Schwester Diana auf eine Safari. Im Lager werden sie von Gorillas überfallen die Diana entführen. Burt findet heraus dass die Gorillas scheinbar manipuliert und zu willenlosen Sklaven gemacht werden. Hinter der Gedankenkontrolle scheint ein machthungriger Mann zu stecken den Burt wenn er Diana und die "weisse Göttin" befreien will besiegen muss...
Einen Film mit dem Titel „Nackt unter Affen“ muss man natürlich gucken – auch, wenn Alternativtitel wie „King Kong und die braune Göttin“ oder „King of Kong Island“ reichlich irreführend sind, da es weder einen King Kong noch eine braune Göttin, geschweige denn eine Insel gibt. Roberto Mauris („Django – sein letzter Gruß“) aus dem Jahre 1968 ist ein Abenteuerfilm, der klassische Genre-Motive mit zur Entstehungszeit modernen Ingredienzien mischt, Mad-Scientist-Sci-Fi in den afrikanischen Dschungel transportiert und aus Söldnerfilmen entsprungene „Charaktere“ in denselben scheucht.

Irgendwo in Afrika überfallen drei Söldner einen Jeep. Albert Muller (Marc Lawrence, „Der Marathon-Mann“) erschießt kurzerhand alle Insassen und macht auch vor seinen beiden Kumpels nicht Halt. Doch Burt (Brad Harris, „Kommissar X“-Reihe) überlebt schwerverletzt und sinnt auf Rache... Er kehrt nach Afrika zurück, sucht den vermögenden Theodore (Aldo Cecconi, „Kennst Du das Land, wo blaue Bohnen blüh'n?“), dessen Frau Ursula (Adriana Alben, „Donnerwetter! Donnerwetter! Bonifatius Kiesewetter“), deren Tochter Diana (Ursula Davis, „Ein Toter hing am Glockenseil“) und ihren Bruder Robert (Mark Farran) auf. Unterwegs im Dschungel mit Diana und Robert wird letztere bereits in der ersten Nacht entführt – von einem Gorilla! Theodore heuert Burt an, sie ausfindig zu machen und als der Name „Turk“ (Paolo Magalotti, „Der Tod ritt dienstags“) fällt, wittert er eine Spur zu Albert. Was er jedoch nicht weiß: Albert hat eine Methode entwickelt, Affen zu seinen willenlosen Sklaven zu machen, um die Weltherrschaft zu erringen...

„Das war mein letzter Kopf – und der hat schon ganz schön gewackelt!“

Kopfwackeln oder vielmehr -schütteln bereitet auch dieser Film, der im Prolog besagten Söldnerüberfall zeigt, um nach dem Vorspann zu einer OP-Szene an einem Affenhirn überzugehen und kurz darauf Brad Harris’ nicht vorhandenes Tanztalent in einer Kneipe zu Funk-Musik zu demonstrieren. Nach knapp 20 Minuten wird die „weiße (nicht braune) Göttin“ erstmals Inhalt der Dialoge, denn diese wird später das beliebte Klischee der edlen Dschungelwilden erfüllen, die nach Tarzan-Manier über die Tiere herrscht und Burt im Kampf gegen Albert und dessen Manipulationsmaßnahmen beisteht. Bis dahin besteht „Nackt unter Affen“ jedoch vor allem aus einer reichlich beknackten Handlung, einer Vielzahl chauvinistischer Sprüche sowie eingestreuten Tier- und Natur-Archivaufnahmen, dargereicht von einer unmotivierten Regie ohne jegliches Gespür für Timing, Dramaturgie oder wenigstens einer auch nur halbwegs interessanten Kameraarbeit. Stattdessen herrscht oftmals eine bizarre Mischung aus Langeweile und unfreiwilliger Komik vor, wenn Brad Harris und Konsorten durch die Kulissen stapfen und irgendein Zeug vor sich hin brabbeln, das niemanden interessiert. Und obgleich die hanebüchene Geschichte mit Sicherheit auch 1968 in keiner Weise ernstzunehmen war und bereits wie ein Relikt aus den 1950ern gewirkt haben dürfte, nimmt sich der Film selbst bierernst und verzichtet auf jeden Anflug eines Augenzwinkern.

„Sie sieht wirklich göttlich aus. Und klettert wie ein Affe.“

Als Eva, die „weiße Göttin“ (Esmeralda Barros, „Nur Gott war sein Colt“), dann endlich auftaucht, erfüllt sich zumindest ein Stück weit der vom Titel suggerierte Erotikfaktor. Der barbusige und natürlich ungewöhnlich attraktive Tarzan-und-Jane-in-einer-Person-Verschnitt verhüllt wallenden Haupthaars zwar gern einmal die sekundären Geschlechtsorgane, doch in einer unfassbar kitschigen Szene lässt Mauri sie so, wie der Dschungelgott sie schuf, in Zeitlupe durchs Bild laufen, während Burts Buschsklave grammatikalisch fragwürdig ihre Bedeutung in blumigen Sprachbildern erkläutert. Besagter, ähm, lokaler Ansprechpartner fällt ansonsten vor allem durch seine ausgeprägte Ängstlichkeit und seine besorgten Worte auf. Es muss eben erst ein Brad Harris oberkörperfrei den Dschungel entern, um für Ordnung zu sorgen.

Sobald die manipulierten Gorillas – Menschen in affigen Karnevalskostümen – ihre Auftritte haben, werden diese wie quasi alle weiteren Mad-Scientist-Szenen mit elektronischen Science-Fiction-Klängen unterlegt, damit auch der letzte Affe kapiert, dass man es hier mit zukunftsweisender Hochtechnologie zu tun bekommt... Schließlich überschlagen sich die Ereignisse und die Handlung wird immer hektischer und chaotischer, bis man ihr kaum noch folgen kann. Immer mehr Charaktere bzw. das, was man dafür hielt, tauchen mit unterschiedlichsten Motivationen auf, versammeln sich alle in Alberts Versteck, liefern sich gegenseitig wüste Eifersüchteleien und schießen sich nach dem Motto „jeder gegen jeden“ über den Haufen, bis es für den einen oder anderen doch noch ein Happy End gibt.

Vom Prädikat „affentittengeil“ ist „Nackt unter Affen“ leider weit entfernt, obwohl das Drehbuch augenscheinlich von einem Schimpansen verfasst wurde. Vielmehr ist es erstaunlich, was sich Mauri damals wirklich einem Publikum vorzusetzen traute. So spaßig das auch alles klingen mag, viel zu oft regieren hier inhaltliche wie audiovisuelle Leere. Eingeschworene Trashologen dürften in geeichter Runde ihre Freude am Dilettantismus dieses Affentheaters haben, ich hingegen hätte es wesentlich spannender gefunden, hätte man erörtert, wer denn nun eigentlich die Kokosnuss geklaut hat...
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Oswalt Kolle: Deine Frau, das unbekannte Wesen
Oswalt Kolle informiert den modernen Mann von heute über das Gefühlsleben und Sexualempfinden der Frau. Episodenhaft geht er dabei auf die verschiedensten Ebenen ein und untermalt dabei das Ganze mit seinen bekannten Kommentaren, die den Männern die Augen öffnen (sollen), damit sie ihre Frau im Anschluss besser verstehen können.
Kolle, die Dritte – 1969, also im Jahre zwei nach seinem „Skandalfilm“ „Das Wunder der Liebe“, hievte der Chefaufklärer der bundesdeutschen Nation einen weiteren Aufklärungsfilm in die Lichtspielhäuser. Mit der Regie betraute er erneut Alexis Neve, der bereits für Kolles schlicht „Das Wunder der Liebe II“ betitelte Zweitwerk verpflichtet worden war. In drei Episoden wirbt der Film um mehr Verständnis für die Frau.

„Ich glaube, mit 19 weiß man alles!“

Ohne persönliche Einführung Kolles und ohne schwarzweiße Gesprächsrunde steigt man diesmal direkt mit der ersten geschauspielerten Episode ein, die zwei hübsche junge Mädels zeigt, die ihren Brustumfang messen, sich nackt auf dem Bett räkeln und über lesbischen Sex plaudern. Für das, was folgt und eigentlicher Inhalt dieser Episode ist, ist all dies vollkommen unerheblich und wohl in erster Linie geeignet, ein auf nackte Tatsachen fixiertes männliches Publikum ins Kino zu locken und dessen Phantasien vom privaten Treiben geschlechtsreifer Backfische zu bedienen – auch wenn Herr Kolle sicherlich das Gegenteil behaupten würde. Mit einem wie auch immer gearteten wissenschaftlichen oder aufklärerischen Anspruch hat das jedenfalls nichts mehr zu tun. Eines der Mädchen erzählt davon, wie es beinahe zum ersten Mal Sex gehabt hätte. Hierfür bedient sich der Film einer Rückblende auf eine Party und flicht erstmals Kommentare aus dem Off ein. Ihre Freundin berichtet anschließend von einem Techtelmechtel mit dem Klassenlehrer. Das Thema sexuelle Belästigung wird ebenfalls in Form einer Rückblende gestreift, wobei ein aufdringlicher Kerl in die Weichteile getreten bekommt und daraufhin übertreiben laut herumschreit, was den Komikfaktor dieser Episode in die Höhe schnellen lässt. Nach zwei Jahren schließlich treffen sich die Mädchen, mittlerweile 19-jährig, in einem Restaurant wieder. Die Rothaarige rekapituliert, wie sie sich ihren Robert geangelt hat und seither in einer glücklichen Beziehung weilt, während ihre Freundin lediglich von unglücklicher Liebe und einem schlimmen ersten Geschlechtsverkehr zu berichten weiß. Und die Moral von der Geschicht’: Das war Sexploitation, die gibt’s hier nicht.

„Ein Büchsenöffner, der nicht funktioniert – zum Kotzen ist das!“

Im Vorfeld der folgenden Episode erscheint erstmals Kolle persönlich im Bild, ebenfalls in Farbe – im Jahre 1969 war man dann anscheinend tatsächlich endlich soweit, einen Film wie diesen komplett farbig ins Kino bringen zu können. Szenen einer Ehe dann in Episode 2, wenn sich eine selbstbewusst gebende Frau mit ihrem Mann über dessen Mutter streitet, ihn zur Selbständigkeit zu erziehen versucht und auch das Berufsleben Anlass zu hitzigen Meinungsverschiedenheiten bietet. Ihr fehlt es an Spontaneität und Leidenschaft, beim Sex kommt er ihr zu schnell. Auf die Faschingsparty seiner Firma geht er als Cowboy, während sie sich sehr freizügig gibt und die Blicke der Gäste auf sich zieht. Wieder zu Hause, hat er kapiert, welch heißen Feger er geehelicht hat. Beide landen im Bett und er lässt sie die dominante Rolle übernehmen. Kolle erscheint wieder auf dem Schirm und spricht sich gegen Geschlechterrollen und somit für mehr Gleichberechtigung aus. Doch meine Moral von der Geschicht’: Kleid dich wie ’ne Nutte, dann ziert sich auch dein Cowboy nicht.

„Für die Frau bedeutet jede Schwangerschaft eine imposante Leistung!“

Neue Episode, neues Familienglück: Barbara macht den Krötentest, damals anscheinend eine gängige Form des Schwangerschaftstests, und das Ergebnis ist eindeutig: Ihr Klaus hat voll ins Schwarze getroffen. Doch dieser freut sich gar nicht so recht und dass sie keine Lust mehr auf Sex hat, macht ihn erst recht sauer. Barbara wiederum scheint ebenfalls mit ihrem Schicksal zu hadern, träumt sie doch, den Kinderwagen vor einen fahrenden Lastwagen zu schubsen! Und obwohl ihr Klaus ihr Windeln und Schmuck zum Geburtstag schenkt, wird sie grundlos eifersüchtig und dichtet ihm sogar eine Affäre mit der Kinderwagenverkäuferin an. Kolle kommentiert recht gewagt, spricht von unterbewussten Schuldgefühlen und plädiert für einen geduldigen und verständnisvollen Umgang miteinander. Während er herausstellen möchte, welch Ausnahmesituation eine Schwangerschaft insbesondere für eine Frau, aber auch für eine Ehe bedeutet, schafft er es, schwangere Frauen als kaum zurechnungsfähige Superzicken darzustellen.

War „Das Wunder der Liebe“ tatsächlich noch so etwas wie ein überfälliges Stück Aufklärung für die verklemmte BRD, so ist dieser dritte „Kolle“ kaum noch ernstzunehmen und vor allem in seinen ersten beiden Episoden reichlich profan. Kolle droht, sich zu wiederholen, lotet in Episode 1 die Grenzen zum Erotik-/Sexfilm aus und schafft es lediglich im letzten Abschnitt, mit der Schwangerschaft ein wirklich neues Thema anzuschneiden und sicherlich gerade jungen Paaren ein paar wertvolle Tipps mit auf den Weg zu geben, wenn auch manch Aussage in ihrer Allgemeingültigkeit keiner genaueren Betrachtung standhalten dürfte. Inwieweit Kolle mit diesem Film für uns Männer zur Entmystifizierung der Frau beitragen konnte, sei einmal dahingestellt...
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Oswalt Kolle: Zum Beispiel: Ehebruch

„Das Bett ist nicht der Mittelpunkt der Ehe!“

Mit seinem dritten Aufklärungsfilm „Deine Frau, das unbekannte Wesen“ aus dem Jahre 1969 nicht genug, nein, noch im gleichen Jahr brachte der Aufklärer der Nation, Journalist Oswalt Kolle, sein viertes Werk „Zum Beispiel: Ehebruch“ in die bundesdeutschen Kinos. Wie bei den vorausgegangenen beiden Filmen übernahm Alexis Neve die Regie, diesmal jedoch zusammen mit Kolle höchstpersönlich.

Man mutmaßt, dass die Abschaffung des Paragraphen, der Ehebruch unter Strafe stellte, im selben Jahr Anlass für Kolle war, einen Film zu eben diesem Thema zu realisieren. Damit packte er sicherlich ein heißes Eisen an und widmete sich für die damalige Zeit offen einem Tabu-Thema. Stilistisch geht er zurück zu seinen ersten Filmen, indem er sich zu Beginn in schwarzweiß vom Diplom-Psychologen Helmut Kentler befragen lässt. Kolle stellt die im Jahre 1969 in weiten Teilen der Gesellschaft bestimmt als unerhört aufgefasste These auf, dass ein Ehebruch heilsam sein könne, weil er oftmals eine Ehekrise erst aufdecke. Erneut wählt Kolle den Weg, anhand von beispielhaften Spielfilmepisoden, die Aufmerksamkeit des Publikums zu gewinnen und seine Thesen zu untermauern. Die Spielfilmszenen sind wieder von Anfang an in Farbe.

In der ersten Episode fühlt sich die Ehefrau nicht gut von ihrem Gatten behandelt, ja, als selbstverständlich hingenommen und weitestgehend mit ihren eigenen Bedürfnissen ignoriert. Als sie ihren Jugendfreund wiedertrifft, betrügt sie ihren Mann mit ihm. Daraufhin klappt es zwar sexuell wieder prima mit ihrem Mann, doch als sie sich ihm offenbart, reagiert dieser mit Unverständnis. Im Anschluss an die bisweilen kitschig gestaltete Episode, in der die Dame mit ihrem Jugendfreund auf einer Wiese herumtollt, kommt es zu einem Streitgespräch zwischen Kolle und Kentler, in dessen Rahmen Kolle richtigerweise mit dem Vorurteil aufräumt, dass nur Männer nach sexueller Abwechslung strebten.

Die zweite Episode präsentiert eine zunächst nach Friede, Freude, Eierkuchen aussehende Ehe, die die Frau aus dem Off kommentiert. Ihr Mann muss jedoch für das Klischee herhalten, sich an seine blonde Sekretärin heranzumachen. Als es zum Sex mit ihr kommt, berichtet er sein Eheverständnis aus dem Off und zeigt sich verwundert, dass seine Frau auf seinen Ehebruch mit Eifersucht reagiert – für ihn scheint sein Handeln ganz selbstverständlich. So überspitzt dieses krasse Beispiel auch sein mag, so sensibel zeigt sich der Film, als er ihre ausführlichen Gedanken, alles, was ihr durch den Kopf geht, ausspricht. Ungewöhnlich direkt fällt dann auch die Visualisierung ihrer Wutphantasien aus, in der sie der Nebenbuhlerin den Rücken blutig peitscht. Schließlich kommt es dennoch zum Versöhnungssex mit ihrem Mann und auf angenehm differenzierte Weise findet erneut die weibliche Gedankenwelt in den Film.

So richtig, aber auch skandalträchtig es für gerade für die damalige ältere Generation sicherlich auch gewesen ist, dieses Tabuthema einmal offen anzusprechen und dafür zu plädieren, nach einem erfolgten Seitensprung nicht grundsätzlich die komplette Ehe infrage zu stellen, sondern ihn als Indikator für eine Krise zu sehen, die die Chance einer Bewältigung und einer gegenseitig befriedigend und harmonisch weiterverlaufenden Ehe bietet, so fortschrittlich es anmutet, den reinen Sexualakt von seinem Podest herunterzuholen und darauf zu verweisen, dass andere Formen der Treue mitunter einen weitaus höheren Stellenwerk besitzen bzw. besitzen sollten, so wenig allgemeingültig lässt sich dieses sensible Thema natürlich anhand zwei arg konstruierter und abstrahierter Beispiele abhandeln. Inwieweit eine Ehe eine solche Störung zu verkraften imstande ist, hängt von vielen weiteren Faktoren ab, die hier bestimmt nicht zur Genüge behandelt werden. Dennoch handelte es sich damals um einen Schritt in die richtige Richtung, und sei es nur aufgrund der Enttabuisierung des Themas. Inwieweit es dem aufklärerischen Anspruch des Films gerecht wird, beide Spielfilmepisoden mit zahlreichen Softsexszenen zu unterlegen, sei einmal dahingestellt – der Seriosität kam diese Herangehensweise nicht unbedingt entgegen.
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Justine
Der Film erzählt die Geschichte zweier Schwestern. Die Eine verdingt sich gierig und im Streben nach Macht als Prostuierte und die Andere - Justine - ist tugendhaft. Sie soll durch ihre Gutmütigkeit nur ausgenutzt werden und ein leidvolles Leben führen, in dem sie sich mit Dieben, Vergewaltigern und anderen Unholden konfrontiert sieht...
„Nur wer andere quält, erlebt den höchsten Genuss!“

Der spanische Filmbesessene Jesus „Jess“ Franco, oftmals als Schmuddel- und Trash-Filmer verschrien, gehörte zu den europäischen Pionieren des betont freizügigen Erotikfilms und half, die sexuelle Revolution auf der Leinwand einzuläuten. Eine von mehreren Verfilmungen nach Motiven des Marquis de Sade ist „Justine“ aus dem Jahre 1969, die auf de Sades „Justine ou les malheurs de la vertu“ beruht und in britisch-deutscher-spanisch-italienischer Koproduktion entstand.

„Wo bleibt die Gerechtigkeit?“

Die ungleichen Geschwister Justine (Romina Power, „Exzess“, später Gesangsduettpartnerin von Al Bano) und Juliette (Maria Rohm, „Der Hexentöter von Blackmoor“) wachsen in einem Kloster auf und erben eines Tages einen kleinen Geldbetrag, mit dem sie sich auf in die große weite Welt machen. Während Juliette keine größeren Probleme damit zu haben scheint, fortan ein lasterhaftes Leben zu führen, sich zu prostituieren und gegen das Gesetz zu verstoßen, übt sich Justine in einem tugendhaften und keuschen Dasein. Dies dankt ihr jedoch niemand und während Juliette sich nach oben schläft, stiehlt und mordet, wird Justine immer und immer wieder selbst Opfer ähnlich skrupelloser Menschen…

„Du bist eine dumme Gans!“

Aus der (von mir bisher nicht gelesenen) literarischen Vorlage, die offenbar eine Art pessimistisches Sittengemälde der Lebzeiten de Sades zeichnete und die desillusorische Aussage traf, dass ein Leben in Unschuld, Anstand und Moral ein verschwendetes sei, macht Franco unter Produzent Harry Alan Towers einen üppig budgetierten, erotischen Kostümfilm, in dem Aussichts- und Hoffnungslosigkeiten zugunsten parodistischer bzw. satirischer Elemente weichen. Er beginnt „Justine“ mit Gefängnisszenen zu epochaler Klassikmusik, denn der Marquis de Sade (Klaus Kinski, „Nosferatu in Venedig“) sitzt einer Zelle, berichtet aus dem Off und erspäht eine blutende, barbusige Frau. Er kritisiert die Mächtigen und Herrschenden, womit der Film bereits seinen autoritätskritischen Ansatz bekommt. De Sade beschließt, seine Phantasien zu Papier zu bringen und beginnt mit der Arbeit an „Justine ou les malheurs de la vertu“, die in die eigentliche Handlung übergeht. Kinski selbst hat schauspielerisch nicht sonderlich viel zu tun und agiert weitestgehend isoliert von sämtlichen anderen Charakteren.

Nach diesem Prolog schickt Franco die Geschwister vom Kloster direkt ins Bordell, wo sie Unterkunft suchen. Dort trennen sich auch die Wege der beiden, denn während Juliette sich schnell mit Milieu und Verbrechen arrangiert, zieht Justine weiter und trifft auf einen vermeintlichen Pater, der ihr Unterkunft vermittelt und das Geld abnimmt. Ihr Hauptaugenmerk richtet die Handlung fortan vornehmlich auf Justine, die sehr zerbrechlich, beschützenswert und süß, aber eben auch naiv und wie für die Opferrolle gemacht von einer jungen Romina Power gespielt wird. Die Ärmste muss sich nun vor den Augen ihres Vermieters und Arbeitsgebers umziehen, der Sleazefaktor des Films gewinnt an Fahrt. Für Franco-Verhältnisse hält sich dieser jedoch den gesamten Film über in durchaus angenehmen Grenzen und wird nicht allzu exploitativ; selbiges gilt für den Grad an visueller physischer Gewalt. Dies ist sicherlich zum einen dem damaligen Zeitgeist geschuldet, zum anderen aber bestimmt auch dem Versuch, mit einer Art Vorzeigeprojekt ein breites Publikum zu erreichen, das sich nicht gleich hocherschrocken abwenden sollte. Ohnehin schien Franco im damaligen Zeitraum noch wesentlich geschmackssicherer zu drehen als zu späteren Zeiten.

Zur Ästhetik des Films zählen auch die kunterbunten Ausleuchtungen, wenn auch etwas plumper als beispielsweise von einem Mario Bava eingesetzt. Justines Leidensweg führt über ein Frauengefängnis (inkl. Tanzszenen) über einen Ausbruch zusammen mit einer Mörderin zu deren Bande, um einer Vergewaltigung durch dieselbe zu entgehen. Während im Puff ihrer Schwester gemordet wird, kann Justine eine Prügelei der Bande der Ausbrecherin nutzen, um dieser zu entkommen. Dies dürfte der Punkt sein, an dem Franco und Autor Towers von der Vorlage am stärksten abweichen, denn Justine findet in die Arme eines tatsächlich zu ehrlicher Liebe fähigen Malers, vor dem sie sich erstmals freiwillig entkleidet – der erste positiv konnotierte Charakter neben Justine. Bald muss sie jedoch erneut fliehen, wird von zwei Aristokraten als Spionin gefangen und bekommt von einem der beiden Zuflucht in seinem Zuhause angeboten. Dort wird sie jedoch der Beihilfe zum Mord angestiftet und bekommt ein Brandzeichen aufgebrannt. Ihre Odyssee nimmt kein Ende und jeder Anflug von Hoffnung wird jäh zerstört, vermeintlich besorgte Mitmenschen entpuppen sich als Wölfe im Schafspelz und haben nichts Gutes mit ihr im Sinn. Und Während Juliette sich ihrer Komplizin entledigt, erhält Justine Asyl bei Mönchen. Statt dort zur Ruhe zu kommen, wird sie gefoltert und soll umgebracht werden. Längst zog also auch der Härtegrad des Films kräftig an, ohne es jedoch mit expliziten Folterszenen zu übertreiben. Der die Mordabsichten unterbrechende Einsturz des Châteaus wäre im Prinzip ein durchaus stimmiger Abschluss des Films gewesen, doch reizt Franco die Überlänge voll aus und lässt die bemitleidenswerte und mittlerweile auch körperlich arg gebeutelte Justine weiter umherirren, zwingt sie in ein erotisches Varieté usw.

Spätestens hier nutzt sich das irgendwie immer gleiche Konzept der Inszenierung ab und wird etwas zäh. Der zunächst interessante Ansatz, die Charaktere karikierend zu überzeichnen, gerät ob diverser Albernheiten zur nervlichen Geduldsprobe und wird dem düsteren Inhalt auf Dauer kaum gerecht. Auch dürfte das Ende nicht wirklich in de Sades Sinne gewesen sein. Über weite Strecken fühlte ich mich vom Kontrastprogramm zwischen Desillusion, Pessimismus und – natürlich – Sadismus einer- und einer entrückten Interpretation á la „Justine im Wunderland“ andererseits jedoch gut unterhalten, ließ mich wohlig vom Beschützerinstinkt für Justine kitzeln und von ihrer sinnlichen Unschuld inmitten einer Welt des Chaos umschmeicheln, ohne de Sades Thesen wirklich bis auf ihren Grund zu folgen. Erwartet man gar nicht mehr als das von mir Beschriebene, hat Francos Umsetzung definitiv etwas, was auch über die namhafte Darstellerriege, zu der sich auch Jack Palance („Lasst uns töten, Companeros“), Rosalba Neri („Sklaven ihrer Triebe“) und selbstverständlich Franco-Stammmime Howard Vernon („Necronomicon - Geträumte Sünden“) gesellen, hinausgeht.
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Retribution
George Miller, ist ein junger und erfolgloser Künstler, der in Los Angeles seinem Leben ein Ende machen möchte. Er steigt auf das Dach des alten Hotels, in dem er lebt und springt in die Tiefe. Er fällt und fällt und wird in einen Todestunnel gerissen. Eine Teufelsfratze stellt sich ihm in den Weg und schickt ihn zurück in die Welt, die er verlassen wollte. George überlebt. Trotz erfolgreicher Rehabilitation und Betreuung seiner Psychologin Jennifer verfolgen ihn wahnsinnige Albträume. Seine Bilder und Statuen nehmen ein beängstigendes Eigenleben an. Und plötzlich beginnt eine mysteriöse und brutale Mordserie die Stadt zu erschüttern. Was hat George damit zu tun - und was zieht ihn immer wieder zu einem bestimmten Friedhof?
„Warum flippst du denn so aus?! Wir hatten doch nur einen Joint!“

Guy Magar trat in erster Linie als Regisseur für US-Fernsehserien in Erscheinung. Jedoch drehte er auch wenige Spielfilme, darunter den unterhaltsamen dritten Teil der „Stepfather“-Trilogie „Vatertag“ sowie den umstrittenen siebten Teil der „Kinder des Zorns“-Reihe. Sein Spielfilmdebüt aber datiert auf das Jahr 1987 und heißt „Retribution“ alias „Die Rückkehr des Unbegreiflichen“.

Der frustrierte Maler George Miller (Dennis Lipscomb, „WarGames – Kriegsspiele“) lebt in einem alten Hotel in Los Angeles. Er möchte seinem Dasein ein Ende bereiten und stürzt sich vom Dach des Gebäudes. Doch er kann im Krankenhaus gerettet werden und findet dank der Behandlung und der Betreuung durch seine Psychologin Jennifer (Leslie Wing, „The Frighteners“) wieder zurück ins Leben. Fortan wird er jedoch von schrecklichen Alpträumen gequält. Als die Stadt von einer unheimlichen und brutalen Mordserie heimgesucht wird, scheint er sich an die Untaten erinnern zu können – hat er etwas mit den Morden zu tun?

Mittels einer Nachtfahrt durch Los Angeles, unterlegt von einem treibenden Synthesizer-Soundtrack (der mich an irgendetwas erinnert – sind es „Die dreibeinigen Herrscher“?), nimmt Magar den Zuschauer mit auf einen Trip zunächst in die Abgründe George Millers, der sich in einen selbigen stürzt. Auffällig ist, wie lange anfänglich kein einziges Wort gesprochen wird, der Film allein mit seinem audiovisuellen Rausch auskommt. Schon bald aber wird aus „Retribution“ ein Horror-Schocker mit Seelenwanderungs- und Rachethematik, der seine Protagonisten zwar lange im Unklaren, den Zuschauer aber schnell wissen lässt, wie der Hase läuft. Dies geschieht leider stark zu Lasten der Spannung und auch die Stilisierung des Underground-Künstler-Umfelds Georges wirkt lediglich anfänglich wirklich interessant. Andererseits weiß die typische ‘80er-Neon-Optik über weite Strecken zu gefallen und vermittelt bisweilen die richtige Mischung aus Großstadtkälte und artifizieller Wärme. Vor allem aber sind es die deftigen Splatter- und Gore-Spezialeffekte von John Eggett und Kevin Yagher, die die fiesen, sadistischen Tötungsszenen auf die absolute Spitze treiben und trotz aller Übertreibung doch im ernsthaften Tonfall des Films arg unangenehm wirken. Störend wirken sich hingegen ein paar alberne CGI aus der Frühzeit solcher Effekte aus.

Das konsequente Anti-Happy-End ist die Pointe eines Films, der sicherlich gern grimmiger und verstörender ausgefallen wäre, als er es letztlich wurde, denn außerhalb der expliziten Gewalt schwächelt „Retribution“ dramaturgisch doch beträchtlich und versteht es nicht, einen psychologischen Unterbau glaubwürdig zu errichten, der zu wirklicher Empathie mit der Hauptrolle geführt hätte. So wirkt Magars Film unentschlossen, überfordert und ein bisschen substanzlos. Außerdem ist Lipscomb bestimmt kein untalentierter Schauspieler, fährt hier aber ein derart gewöhnungsbedürftiges Erscheinungsbild auf, dass er beinahe unsympathischer wirkt, als er eigentlich sollte. Ich bin zwiegespalten, gehe mit „Retribution“ möglicherweise etwas hart ins Gericht, werde bis zur evtl. etwas revidierenden Zweitsichtung aber sicherlich einige Zeit ins Land gehen lassen. Wen das Drumherum nicht so sehr interessiert und wer vornehmlich gern einmal wieder ein paar gut eingestreute Spezialeffekte aus der kreativen Schlachtbank der ‘80er sehen möchte, sollte ruhig einmal Ausschau nach einer vollständigen Fassung halten.
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Komm, liebe mich

„Man darf aber auch nichts mehr in diesem Haus!“

1960 war Richard Balducci noch in Godards „Außer Atem“ zu sehen, 1969 debütierte er mit der Kriminalkomödie „Die Familienschande“ als Regisseur und drehte ein Jahr später in französisch-italienischer Koproduktion das Liebesdrama „Komm, liebe mich“.

Ein junges Paar freut sich des Daseins und der Liebe. Als Jackie (Martine Brochard, „Labyrinth des Schreckens“) jedoch schwanger wird und schließlich einen Jungen zur Welt bringt, bekommt die Idylle Risse. Unter der Mehrbelastung droht die Beziehung zu scheitern.

Für seinen Liebesfilm kostete Balducci die Vorzüge der sexuellen Revolution, die mittlerweile auch auf der Leinwand stattfand, insofern aus, dass er sein eigentlich klassisches und nicht sonderlich spektakuläres Drama von Beginn an mit Nackt- und freizügigen Liebesszenen des Paars spickt, die einerseits in ihrer Natürlichkeit erfrischend und kaum sexploitativ-voyeuristisch wirken, andererseits den Geist einer neu gewonnenen Freiheit atmen, der sich vordergründig auf das Paar bezieht, eigentlich aber das Medium Film meint. Bereits zum Vorspann wird sich ordentlich geliebt, unterlegt von einem französischen Chanson. Das junge, überschwängliche Liebesglück ist unschwer zu erkennen und natürlich spielt es in der „Stadt der Liebe“ Paris, wo man frisch in eine gemeinsame Wohnung gezogen ist. Und die Stadt scheint sich den beiden anzupassen, zeigt sich in Bezug auf das Wetter stets von seiner besten Seite. Man unternimmt Cabrio-Fahrten und geht Nacktbaden, läuft und hüpft vergnügt durch die malerische Gegend und tollt umher, dazu dudelt schwelgerische Musik. Als Zuschauer wähnt man sich in einer seichten Komödie.

„‘n Fernseher? Der ist aber teuer!“

Nachdem unser Pärchen die weitere Wohnungseinrichtung geplant hat, wird Jacke schwanger, womit das Liebesglück seinen Höhepunkt zu erreichen scheint: Ihr Mann Bot (Josep Maria Flotats, „Tante Zita“) freut sie wie Bolle und alles ist gut. Eine vollkommen heile Welt präsentiert uns Balducci auch an Weihnachten und schließlich bringt Jackie den gemeinsamen Sohn zur Welt. Erst nach 55 Minuten schleichen sich die ersten Misstöne in die Symphonie des Glücks: Man bekommt Geldprobleme. Zudem ist Bot zunehmend genervt vom Baby. Beruflich läuft es auch nicht rund, die Präsentation seiner technischen Erfindung geht schief. Paris quittiert dies mit Regenwetter und Gewitter. Als auch seine Gattin dünnhäutig wird und zickig auf die Gesamtsituation und vor allem auf ihn reagiert, haut er ihr ab und zieht zu einem Kumpel. In seinem Trotz schläft er auch beinahe mit einer anderen, macht im letzten Moment aber einen Rückzieher, kommt zur Besinnung und kehrt zu seiner Frau zurück. Ein paar Probleme lösen sich von selbst, andere erscheinen gar nicht mehr so gravierend – Happy End.

Damit ist „Komm, liebe mich“ neben einer Demonstration freizügigen romantischen Kinos ein schönes Plädoyer für die Zweisamkeit, dafür, sich von Alltagsproblemen nicht entmutigen zu lassen und seiner Beziehung oder Ehe auch nach Zeiten der Trennung weitere Chancen einzuräumen. So gar nicht einmal unrealistisch die zwischenzeitliche Entzweiung auch dargestellt wird, so übertrieben wirkt die glückliche, heile Welt, die den Großteil des Films ausmacht. Derart unbekümmert verläuft wohl kaum eine Partnerschaft auch vor dem Auftreten üblicher Probleme, welche hier fast wie exemplarische Beispiele aus einem Kolle’schen Aufklärungsfilm wirken. Dargestellt wird ein Ideal, das in der Realität kaum jemand jemals erreichen dürfte, vermutlich zu Zwecken des angestrebten Kontrasteffekts. Den sinnlichen Genuss trübt dies jedoch nicht, eher im Gegenteil. Balducci gelang somit ein nettes, naives kleines Liebesfilmchen, das, passabel gespielt und sich in den Annehmlichkeiten des Liebeslebens suhlend, niemandem wehtut und höchstens zur damaligen Zeit noch diverse Sittenwächter auf den Plan rief. Eines sollte aber noch angemerkt werden. Ein Baby mit ins Ehebett zu nehmen, empfiehlt sich anders als hier gezeigt keinesfalls, droht doch die Gefahr, es ungewollt zu ersticken – womit auch ich meinen kleinen aufklärerischen Beitrag geleistet habe.
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Lolita am Scheideweg
Der Playboy und Lebemann Alberto de Rosa ist von Sex und Eskapaden mit seiner Stiefschwester Alba gelangweilt. Ihre Unersättlichkeit stellt für Alberto keinerlei Befriedigung mehr dar, weshalb eine neue Herausforderung her muss! Er setzt es sich in den Kopf die blutjunge Lolita aus dem Nachbarhaus besitzen zu wollen, die sich zunehmend ihrer Sexualität bewusst wird, die Gefahr durch das aufdringliche Geschwisterpaar aber nicht einschätzen kann. Dank der körperlichen Reize und der unersättlichen Gier von Alba, denen der Vater des jungen Mädchens erliegt, kann Lolita aus ihrem Elternhaus gelöst und auf die luxuriöse Ferieninsel der Geschwister gelockt werden. Hier treibt sie ihr jugendlicher Leichtsinn erst in Exzesse und später in Lebensgefahr…
„Als ich schlief, spürte ich einen stechenden Schmerz!“

Der spanische Filmbesessene Jess Franco war offenbar fasziniert von den Werken des Marquis de Sade, bezog er sich doch immer wieder filmisch auf sie. „Die Philosophie des Boudoirs“ um die minderjährige Eugenie verfilmte er gleich zwei Mal: 1970 als „Die Jungfrau und die Peitsche“ und 1980 als „Lolita am Scheideweg“ – wobei der deutsche Verleih aus „Eugenie“ schlicht „Lolita“ machte. Zudem wurde das eigentlich über 90-minütige Werk fürs deutsche Kino stark gekürzt, mit einem neuen Soundtrack versehen und um eingefügte Szenen aus „Die Insel der 1000 Freuden“ erweitert. Die deutsche Heimkinoauswertung musste weitere Federn lassen. In dieser Kritik beziehe ich mich auf die 77-minütige deutsche Kinofassung.

Die wohlhabenden und miteinander liierten Stiefgeschwister Alberto (Antonio Mayans, „Der Bastard“) und Alba de Rosa (Mabel Escaño, „Thunderbolt“) lassen es gerne krachen und suchen in ihrer gelangweilten Dekadenz nach immer neuen sexuellen Obsessionen. Diese findet Alberto in der minderjährigen Jungfrau Lolita (Katja Bienert, „Die Schulmädchen vom Treffpunkt Zoo“), Tochter seiner Nachbarn, deren Sexualität gerade erwacht. Mit ihrem Körper setzt sich Alba bei den Nachbarn dafür ein, Lolita auf die Ferieninsel der de Rosas zu locken, wo sie zum Spielball des perversen Paars wird…

Francos freie Interpretation der literarischen Vorlage ist als Erotikthriller angelegt und spielt an der spanischen Küste nahe Alicante. Ein interessantes und im Gedächtnis bleibendes Stilelement sind die Sandskulpturen entkleideter Frauen, die sich am Strand finden und sowohl Beginn als auch Ende des Films markieren. An der Entrücktheit und sadistischen Ader der de Rosas lässt Franco von vornherein keinen Zweifel, halten sie sich doch die devote Sultana (Lina Romay, „Entfesselte Begierde“) als menschliche Hündin. Fortan frönt Franco ausgiebig seinem Voyeurismus, indem er die Kamera Nahaufnahmen menschlicher Körper bzw. Körperstellen einfangen lässt, ja, die weiblichen Wesen des Films mit dem Objektiv geradezu abzutasten scheint. Zusammen mit den sonnendurchfluteten Bildern, die bewusst Überblendungen in Kauf nehmen, den Eindrücken dünn besiedelter Ferienparadiese und dem natürlichen Elemente-Dreigestirn aus Wasser, Sonne und Sand entsteht ein überaus ästhetischer, auf einlullende Weise selbstzweckhafter visueller Eindruck, der die Handschrift des leidenschaftlichen, am Resultat ernsthaft interessierten bekennenden Voyeurs Francos trägt. Konterkariert wird das natürliche Ambiente durch die architektonisch eigenwilligen, weil labyrinthischen und künstlerischen Gebäude „La Muralla Roja“ und „Xanadu“ Ricardo Bofills in ihren satten Farben schwarz und rot, in denen sich große Teile der Handlung abspielen und die immer wieder von außen gezeigt werden, damit Francos Sinn für eindrucksvolle Architektur entsprechen.

Insgesamt wirkt „Lolita am Scheideweg“ damit wie in einer irrealen, konstruierten Phantasiewelt spielend, der sich die Charaktere unterordnen, die sie als gegeben hinnehmen, da sie selbst lediglich stilisierte Ikonen und keine wirklichen ambivalenten, emotionalen Charaktere sind. Sie werden auf ihre Funktionen für den Film beschränkt und bleiben weitestgehend eindimensional („flach“ wäre hier das falsche Wort gewesen). Die de Rosas sind ein abseitiges, vergnügungssüchtiges, amoralisches Paar, das seine Sexualität nicht nur exzessiv zum eigenen Vergnügen, sondern auch zur Manipulation anderer in Form einer Waffe einsetzt. Beziehungen zu anderen Menschen sind nie freundschaftlicher Art, sondern ebenfalls manipulativ und egozentrisch, werden für eigene Zwecke ausgebeutet. In der Opferrolle findet sich Lolita, gezeichnet als extrem naive, klischeehafte Fetisch-Vorstellung einer körperlich reifen, geistig jedoch kindlichen Kindfrau, die noch mit Teddys und Puppen spielt und ihre ersten Masturbationserfahrungen sammelt. Problematisch wird hierbei, dass sie von der seinerzeit tatsächlich erst 14-jährigen Deutschen Katja Bienert gespielt wird, deren augenscheinlich bereits voll ausgereiften Körper Franco quasi stets unbekleidet und auf ebenfalls voyeuristische Weise ausgiebig ins Licht rückt. Das spezielle Interesse der de Rosas an der Kombination aus körperlicher Entwicklung und geistiger Kindlichkeit, das schließlich in einer Vergewaltigung Lolitas mündet, rückt den Film möglicherweise ins Interessengebiet von Menschen, die dieselben Neigungen verspüren, wenngleich es sich natürlich um keine Pornographie handelt: Alle Szenen sind nur gespielt, echter Sex findet nicht statt, die de Rosas sind zudem unschwer als Antagonisten und keinesfalls als Sympathieträger erkennbar, Lolita wird sich ihrer Opferrolle schließlich bewusst und kämpft dagegen an.

„Deine Gier nach Sex hat dein Gehirn zerfressen – und dein Rückenmark zerstört!“

Zwischen niveauvoller Erotik und glitschigem Sleaze pendelnd, entfacht „Lolita am Scheideweg“ die Stimmung eines fiebrigen Sextraums einer schwülen Sommernacht, obsessiver, amoralischer Fantasien, losgelöst von Zeit und Raum, und bedient ebenso sadomasochistischen Fetisch durch die zunächst klare Aufteilung in hilflose devote und handelnde sadistische Rollen. Jegliche sinnliche Wirkung zerstört Franco indes jäh, als er einen übermäßig behaarten Affenmenschen sich auf Lolita stürzen lässt. In der Folge hält immer mehr Francos Faszination für das Morbide Einzug, lässt er die Rollenkonstellation, die er zuvor behutsam aufgebaut hat, einstürzen wie einen Turm Bauklötzchen und erklärt er die symbolische Wirkung der Sandskulpturen. Lolitas Kampf und das Filmende dürften vom vermutlich wesentlich pessimistischeren Finale der Literaturvorlage abweichen, beweisen aber Gnade mit dem Zuschauer. Bei einer blutigen Szene blitzt dann leider auch arg die gefürchtete und ihm einen schlechten Ruf eingebracht habende Schludrigkeit des Jess Franco durch, denn eine Harpune o.ä. prallt sehr offensichtlich am Bauch des Ziels ab, das sich im nächsten Moment dennoch im Todeskampf wiederfindet. Hätte man diesem „Spezialeffekt“ auch nur ansatzweise die Sorgfalt zuteil werden lassen, mit der man zuvor den weiblichen Körper inszeniert hat, wäre dieser Fauxpas beim Schnitt aufgefallen. Sei’s drum, denn trotzdem schafft es das Finale, in seiner Ästhetik zu überzeugen und ein letztes Mal symbolträchtig kraft seiner Bilder in Unwirklichkeit zu schwelgen, bevor zumindest die von mir gesehene deutsche Kinofassung reichlich abrupt endet.

Eben diese Fassung wurde wie eingangs erwähnt stark bearbeitet, wobei sich – in meiner Unkenntnis der Originalfassung – die Verwendung des vorzüglichen Georg-Heinz-Soundtracks anstelle von Pablo Villas Jazz-Klängen als Glücksgriff erwiesen haben dürfte. Überraschenderweise sind auch die als Traumszenen eingefügten Versatzstücke aus „Die Insel der 1000 Freuden“ gar nicht einmal so schlecht integriert worden, sorgen sie doch zumindest für zusätzlichen Sleaze-Gehalt. Nichtsdestotrotz kann ich mir über Francos Vision dieses Films natürlich kein wirkliches Urteil erlauben, wäre aber durchaus neugierig auf die Originalfassung. Eines kann ich Franco aber in jedem Fall zu Gute halten: Trotz Erstverfilmung des Stoffs 1970 hat er sich nicht selbst kopiert, sondern etwas Neues, ganz Eigenes geschaffen – für das ich durchaus empfänglich war.
Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
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