Code 46 - Michael Winterbottom (2003)

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Maulwurf
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Code 46 - Michael Winterbottom (2003)

Beitrag von Maulwurf »

 
Code 46
Code 46
Großbritannien 2003
Regie: Michael Winterbottom
Tim Robbins, Togo Igawa, Nabil Elouahabi, Samantha Morton, Sarah Backhouse, Jonathan Ibbotson, Natalie Mendoza, Om Puri, Emil Marwa, Nina Fog, Christopher Simpson, Bruno Lastra, Lien Nguyin, David Fahm, Jeanne Balibar, Mick Jones, Taro Bahar


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Wissenschaftliche Untersuchungen haben ergeben, dass bei Menschen, die sich auf Anhieb gut verstehen, der Genpool zu großen Teilen identisch ist. Freunde sind also deswegen Freunde, weil ihre Gene sich ähneln. CODE 46 geht einen Schritt weiter und baut auf dieser Grundlage einen Film auf: Es ist weltweit verboten, zu jemandem eine körperliche Beziehung aufzubauen, der das gleiche Genmaterial hat. Eine solche Beziehung wird nach der Nummer des Gesetzes als Code 46 bezeichnet. In dieser zukünftigen Welt leben die Menschen gut bewacht in Städten, dazwischen ist nur Wüste (also zwischen den Städten, aber oft genug auch zwischen den Menschen), Lebensraum für Ausgestoßene und Verbannte. Reisen sind nur möglich mit sogenannten Papeles (spanisch für Papiere), die für eine bestimmte Zeit und einen bestimmten Ort Schutz geben. In Shanghai sind gefälschte Papeles aufgetaucht, und der Ermittler William reist von London dorthin um den Übeltäter zu finden. Das gelingt ihm auch sehr schnell, aber er verliebt sich in die junge und geistig unglaublich freie Fälscherin, Maria Gonzales. Er schützt sie und schläft mit ihr, was aber überraschenderweise(?) zu einem Code 46-Problem führt …

Irgendwie musste ich bei der Sichtung oft an den BLADE RUNNER denken. Nicht die düstere und verregnete Stimmung, nicht die Replikanten und schon gar nicht die Gewalt. Aber das Grundsetting ist so ausgesprochen ähnlich: Die Menschen die in Großstädten leben. Die nebeneinanderher leben. Die ihre Arbeit machen und in Wohnsilos vor sich hin vegetieren. Die keinen Lebensinhalt haben außer demjenigen, für eine anonyme Firma zu arbeiten und sich abends sinnlos zu vergnügen. Die ihr Leben hinter Mauern und in geschlossenen Räumen führen, ohne zu wissen was Natur ist. Und wenn sie nicht das tun was vorgeschrieben ist, verlieren sie den Schutz der Gesellschaft und müssen raus in die Wüste. DER BLADE RUNNER endet in der deutschen Kinoversion mit der Flucht des Ermittlers Harrison Fords aus der Stadt, gemeinsam mit einer Replikantin in die er sich verliebt hat. Ein Mann, mehr oder weniger mächtig und stark, der seine Pflicht aufgibt und sein bisheriges Leben fortwirft um seinem Herzen zu folgen und etwas zu tun was verfemt ist. Sicheren Grund verlässt um frei zu sein. CODE 46 hat die gleiche Grundhandlung. Auch hier wird der trickreiche und abgeklärte Ermittler von einer Frau, deren physischer Präsenz er restlos erliegt, zu einer anderen Lebenseinstellung gebracht. Job, Frau, Kind – Alles egal, Hauptsache mit der Geliebten zusammen sein. Reisen, frei sein, Liebe machen, von einem Tag auf den anderen leben, keine Sicherheiten mehr haben, dafür aber im Bewusstsein, Liebe zu erleben. Geliebt zu werden ohne Wenn und Aber …

Leicht macht es CODE 46 dem Zuschauer dabei nicht. Er verkleidet sich geschickt als Science Fiction-Film mit einem leicht dystopischen Ansatz, und dabei steckt unter der angedeuteten Anklage der modernen Welt doch nur eine überaus romantisch-dunkle Liebesgeschichte. Die Story eines Mannes, der sich selbst aufgibt um sich neu zu entdecken. In wunderschönen und ruhigen Bildern, untermalt von einer perfekt-stimmigen Musik, schweben die Schauspieler scheinbar mühelos durch die urbanen Albtraumgebilde aus Highways, Hochhäusern und Bars, lachen miteinander, necken sich, treffen Bekannte, lernen sich kennen, und verlieben sich ineinander. Die Chemie zwischen Tim Robbins und Samantha Morton scheint perfekt zu sein, was eine spürbare Intimität zwischen den Figuren ergibt. Das Miteinander von Tim und Samantha, von William und Maria, ist unglaublich und trägt den gesamten Film. Der Höhepunkt ist dabei der Liebesakt, wenn wir aus der POV-Perspektive das Gesicht Marias sehen, und nur ihr Gesicht, während sie Liebe mit William macht und sich einfach wohl fühlt. Ein so tiefgehender und emotionaler Moment, wie ich ihn schon lange nicht mehr in einem Film gesehen habe!

Man sollte also vor der Sichtung ungefähr wissen was auf einen zukommt, damit Enttäuschungen vermieden werden. Ich persönlich hatte etwas ganz anderes erwartet und habe entsprechend lange gebraucht um zu merken, dass CODE 46 eine kleine Sternstunde des modernen Films ist. Michael Winterbottom traut sich, tief in den Protagonisten verborgene Emotionen zu zeigen, und er bringt seine Schauspieler dazu, wahrhaftig zu sein, und diese verborgenen Emotionen nach außen zu tragen, was zu sehr intensiven Momenten führt.

Ich lehne mich mal aus dem Fenster und wage zu behaupten, dass es gar nicht möglich sein dürfte, mit nur einer Sichtung alles zu erfassen was in diesem Film steckt. So viel Gefühl, aber auch so viel geschickt versteckte Zeigefinger, die auf Missstände in der heutigen schnelllebigen und vergnügungssüchtigen Gesellschaft zeigen, deren logische Fortführung hier dargestellt wird. Doch vor allem die Leichtigkeit und das Sentiment, dem sich die Geschichte jederzeit gerne unterordnet, diese beiden erzeugen zusammen mit der lockeren Kameraführung einen flüssig dahingleitenden Strom von Bildern und Gefühlen, die den Zuschauer kaum merklich in ihren Bann schlagen und ihm zeigen: Steh zu Deinen Gefühlen! Lass Dich von der Maschinerie nicht unterbringen. Rebelliere nicht offen, da kannst Du nur verlieren, sondern steh zu Deinem Innersten. Lebe. Und liebe …

7/10
Der Sieg des Kapitalismus ist die endgültige Niederlage des Lebens.
(Bert Rebhandl)
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