Originaltitel: L'Uomo Meccanico
Produktionsland: Italien 1921
Regie: André Deed
Darsteller: André Deed, Valentina Frascaroli, Mathilde Lambert, Gabriel Moreau, Ferndinando Vivas-May
In seiner ursprünglichen Fassung soll dieser wohl früheste italienische Science-Fiction-Film überhaupt folgenden Plot vermittelt haben: Professor D’Ara entwickelt einen Maschinenmenschen, den er mittels elektromagnetischer Strahlen von seinem Labor aus wie eine Spielzeugfigur steuern kann. Per Knopfdruck lassen sich nicht nur sämtliche seiner Extremitäten in Bewegung setzen, man kann mit dem einen normalen Menschen übrigens gerade mal um zwei bis drei Kopflängen überragenden und über enorme Kräfte verfügenden Roboter auch eine wahre Zerstörungsorgie entfachen. Davon bekommt eine Gaunerbande Wind, die unter weiblicher Oberherrschaft steht. Mado, in den originalen Zwischentiteln ein bisschen verharmlosend als Abenteuerin bezeichnet, ist eine negative Heldin in der Nachfolge von beispielweise Irma Vep aus den VAMPIRES-Serials von Louis Feuillade. Sie trägt stets eine Maske, unter der man ihre verführerische Schönheit jedoch mehr als erahnen kann, und trägt sich mit dem Plan, den mechanischen Mann in die Dienste zukünftiger krimineller Aktionen zu stellen. Nachdem man D’Ara ermordet hat, um ihm seinen Maschinenmenschen zu entführen, verlässt die Halunken kurzzeitig ihr Glück: sie werden von der Polizei gefasst, nur Mado kann entkommen, indem sie ein Krankenhaus in Brand steckt und unzählige Unschuldige für das Retten ihrer eigenen Haut opfert. Zurück in Freiheit bringt Mado die Nichte D’Aras, Elena, in ihre Gewalt und zwingt sie, ihr preiszugeben wie sie den Maschinenmenschen ihrer Kontrolle unterstellen kann. Unter Mados Führerschaft wird der einst friedliche Roboter zum Amok laufenden Monstrum. Doch zum Glück hat D’Ara noch einen Bruder, der sofort daran schreitet, einen zweiten Maschinenmenschen zu bauen. Dieser soll nunmehr gegen den ersten Maschinenmenschen in die Schlacht ziehen. Auf einem Maskenball in einem Opernhaus stehen sich die beiden Kontrahenten, und damit das böse und das gute Prinzip im Menschen, zum finalen Kampf gegenüber…
Ich muss zugeben, selbst mit dieser Inhaltsangabe im Hinterkopf, die ein Filmstudio in Bologna mithilfe zeitgenössischer Filmkritiken rekonstruiert hat, fällt es mir über weite Strecke schwer, in den Fragmenten von L’UOMO MECCANICO irgendeine schlüssige Narration zu erkennen. Es klaffen einfach zu viele Lücken zwischen den einzelnen Szenen, als dass L’UOMO MECCANICO in seiner derzeitigen Verfassung noch eine nachvollziehbare Geschichte erzählen könnte. Interessant ist indes, dass die, die er wohl in intaktem Zustand einmal erzählt hat, nicht viel weniger abenteuerlich klingt als eine, die auch in einem italienischen B-Movie vierzig oder fünfzig Jahre später hätte Verwendung finden können.
Eine Figur, die in dem Schnipselsalat, den L’UOMO MECCANICO heute leider darstellt, hervorsticht ist ein gewisser Saltarello, ein völlig überzeichneter Klamaukbruder, dessen Slapstick-Einlagen hauptsächlich darin bestehen, auf dem Bauch Kellertreppen hinunterzurutschen oder einfach mal aus dem Stand heraus auf den Rücken zu fallen. Gespielt wird Saltarello von niemand Geringerem als André Deed (1879-1940), dem Regisseur des vorliegenden Films. Vor L’UOMO MECCANICO, der dann auch seine letzte Regiearbeit sein sollte, hat der gebürtige Franzose sich vor allem einen Namen mit ebensolchen überzeichneten Komödien gemacht, in denen man es noch witzig finden durfte, wenn Leute auf Bananenschalen ausrutschen oder einen Eimer Wasser über den Kopf geschüttet bekommen. Seine bekannteste Rolle ist wohl die des Cretinetti (im Italienischen) bzw. Boireau (im Französischen), eines typischen Stummfilmclowns, den er in zahllosen, heute weitgehend verschollenen und seinerzeit überaus erfolgreichen Kurzsketchen verkörpert hat. Es fällt leicht, sich vorzustellen, dass eine außerhalb von Gesetz und Verstand agierende Gestalt wie Saltarello bei L’UOMO MECCANICO die Fäden fest in Händen hält, inszeniert Deed seinen auf dem Papier ziemlich apokalyptisch und brutal klingenden Stoff doch wie einen LSD-Trip auf den Rummelplatz.
Trotz des Wenigen, was heute noch von ihm zu sehen ist, kann man sagen, dass L’UOMO MECCANICO für das Jahr 1921 eine recht ungewöhnliche Produktion gewesen sein muss. Neben den bereits erwähnten Witzeleien eines Saltarello, ein bisschen Detektivarbeit, die von einem gewissen Ramberti erledigt wird, der an Mados Fersen klebt, um sie dingfest zu machen bevor sie die halbe Welt in Schutt und Asche gelegt hat, und einer wirklich sensationellen Szene, in der Mado sich auf unkonventionelle Weise aus dem Krankenhaus befreit, in das sie als verletzte Gefangene eingeliefert worden ist – (sie greift sich, während die Ärzte sie behandeln, quasi hinter deren Rücken ein Glas mit einer entzündlichen Substanz, schüttet diese neben ihr Krankenbett, wartet bis die Ärzte sie alleingelassen haben, zückt sodann ein Streichholz, das sie offenbar immer zwischen ihren Augenbrauen stecken hat, und lässt die Pfütze auf dem Boden in Flammen aufgehen, um danach im allgemeinen Tumult stiften zu gehen) -, sind es natürlich vor allen Dingen die Roboterszenen, die selbst auf einen heutigen Betrachter, meine ich, noch außerordentlich bizarr wirken dürften.
In einer Szene überrascht der einstmals liebe, nun böse Originalmaschinenmensch eine Gruppe von Damen in einem Salon. Erschrocken schlagen sie ihm die Tür im Glauben vor der Nase zu, das könne ihn aufhalten, worauf der Roboter sie – die Tür, nicht die Damen - kurzerhand in ihre Bestandteile zerlegt. Eine andere Szene zeigt eine Verfolgungsjagd zwischen einem Auto und einem der Roboter. Wie ein geübter Sprinter setzt der Maschinenmensch, der offenbar in die Szene hineinkopiert worden ist, dem fliehenden Fahrzeug hinterher, was einfach nur unbeschreiblich aussieht. Der finale Zweikampf der Giganten steht dem in nichts nach, wirkt es doch eher, als würden die Roboter, die sich im Prinzip lediglich umarmen und ein bisschen herumschubsen, ein Tänzchen miteinander wagen. Meine liebste Szene indes ist die, in der einer der Roboter in den Maskenball hineinstolpert und von den Anwesenden, die nicht begreifen, dass es keiner ihrer Freunde in Verkleidung ist, für seine originelle Kostümierung gelobt wird. Man setzt sich an einen Tisch, schäkert miteinander, der Roboter bestellt lauthals Champagner, bevor er plötzlich scheinbar grundlos austickt und anfängt, das Opernhaus zu verwüsten.
Ich kann natürlich nur spekulieren, was für einen Eindruck L’UOMO MECCANICO in seiner vollständigen Fassung auf einen zeitgenössischen Betrachter erweckt haben mag, vermute aber, dass er von André Deed primär als Komödie gedacht gewesen ist. Jeder der vor Verfall und Vergessen geretteten Szenen scheint mir ein, mal mehr, mal weniger ausgeprägter, Schalk im Nacken zu sitzen. L’UOMO MECCANICO hat zumindest auf mich ungemein erheiternd gewirkt, wenn er es nicht sogar in mindestens zwei Szenen – der Autoverfolgungsjagd und der Maskenballschäkerei – geschafft hat, mich sprachlos vor einem solchen delirierenden, am Rande der menschlichen Vernunft angesiedelten Reigen zurückzulassen, der mir tatsächlich bereits einiges von dem zu antizipieren scheint, was das italienische Genrekino später zu einem der surrealistischsten und waghalsigsten ganz Europas gemacht hat.