Was vom Tage übrigblieb ...

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Maulwurf
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Malefique: Psalm 666 (Eric Valette, 2002) 6/10

Irgendwo in einem ziemlich heruntergekommenen Gefängnis sind vier Männer in einer Zelle: Ein geistig zurückgebliebener Kannibale, ein testosteron-triefender Transsexueller, ein stiller Bibliophiler der seine Frau zerstückelt hat, und Carrère, der eigentlich nur darauf wartet, dass seine Frau die Kaution stellt, schreckliche Sehnsucht nach seinem Sohn hat, und in 2 Wochen längst wieder draußen sein will. Carrère ist es auch, der das Buch findet. Ein altes Grimoire, in dem Formeln und Rituale beschrieben werden, mit deren Hilfe man diesen ungastlichen Ort verlassen kann. Eigentlich ganz einfach: Man spricht eine Zauberformel, und flugs kann man aus den Mauern herausspazieren. Wirklich so einfach? Es ist nicht das Wesen der Hölle, etwas einfach zu gestalten …

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Eine interessante Grundidee ist das allemal: Vier gegensätzliche Häftlinge in einer Zelle, die sowieso schon mittelalterlich anmutet, und eine dämonische Verlockung zur Flucht. Niemand hat etwas zu verlieren (außer vielleicht seinen Fingern), jeder hat einen großen Wunsch, und jeder hat eine bestimmte Fähigkeit, die er bei dieser Aktion einsetzen kann.

Aber irgendwie zündet diese Grundidee nicht so recht. Die Geschichte zieht sich etwas, ohne wirklich Stimmung oder Spannung aufbauen zu können. Nein, das ist nicht richtig! Stimmung und Spannung werden aufgebaut, aber es passiert so verdammt wenig dabei. Die Personen starren sich gegenseitig an, und sie starren, und starren, und starren … Tatsächlich werden die Charaktere ruhig und gründlich eingeführt, genauso wie die Beziehungen zwischen den Insassen durchdacht modelliert werden, was dann später, beim Ausbruchsversuch, dazu führt, dass es keine unlogischen Überraschungen gibt. Jede Figur hat eine bestimmte Aufgabe wird diese im Kontext des Films und des Ausbruchs auch erfüllen.

Es hat sehr starke Szenen, etwas das Auge in der Vagina, oder die Erkenntnis, wo man nach der erfolgreichen Beschwörung gelandet ist. Der Schluss hat mir ganz außerordentlich gefallen, und ich bin mir gar nicht so sicher, ob das jetzt als Happy-End bewertet werden kann oder ob nicht. MALEFIQUE ist ein Horrorfilm, wie es sie heutzutage gelegentlich nur gibt, wenn man gründlich genug sucht: Er ist ruhig, er ist tiefschürfend, und er bietet den Schrecken ohne Knalleffekte, was in diesem neuen Jahrtausend gar nicht hoch genug bewertet werden kann. Ich befürchte ganz schwer, dass der bei mir nur so durchwachsen wegkommt, weil ich nicht in Stimmung war für klaustrophobisch angehauchten und ruhigen Horror. Darum bitte nicht abschrecken lassen und selber austesten …

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Jack Grimaldi
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Maulwurf
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Re: Was vom Tage übrigblieb ...

Beitrag von Maulwurf »

Anna, quel particolare piacere (Giuliano Carnimeo, 1973) 6/10

Anna arbeitet als Kassiererin in einer Espressobar. Eines Tages betritt dieser Mann die Bar: Er schaut gut aus, er hat Ausstrahlung, er ist selbstbewusst, und er sieht ganz so aus, als ob er Annas Träume von der großen weiten Welt erfüllen könnte. Anna lässt sich auf diesen Fremden, Guido, ein, und auch wenn ihr klar ist dass Guido sicher kein Unschuldslamm ist, so hat sie nicht einmal ansatzweise eine Ahnung was jetzt auf sie zu kommt. Tatsächlich ist Guido ein kleiner Gangster, der für den großen Boss Riccardo Sogliani arbeitet. Zuerst verlangt Sogliani, dass Guido Anna als Tarnung bei einem Drogendeal mitnimmt. Da sie bei dem Job die Ermordung eines Lumpen mit ansieht, muss sie ruhig gestellt werden: Über Guido verlangt Solgiani, dass Anna als Luxusnutte mit alten, fetten Säcken ins Bett geht. Als Guido in den Knast kommt kann Anna, die mittlerweile schwanger ist, sich absetzen und ein neues Leben beginnen. Doch die Vergangenheit schläft nicht - Eines Tages ist Guido plötzlich wieder da, und Anna soll wieder auf den Strich …

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Viel Drama, einiges an wahrer und aufrechter Liebe, genauso wie unechte Liebe und Besitzstandsdenken, viel Prügel (wie kann man Edwige Fenech schlagen???????), und dazwischen immer wieder eine Gangsterstory mit der ein oder andere Härte. Vor allem psychisch geht der Film unter die Haut, denn Guido ist wirklich ein mieses Schwein. Auch wenn Anna nach den ersten Schlägen bei ihm bleibt, und dadurch zumindest mal die Verwunderung des Zuschauers auf sich zieht, so ist ihr wahrscheinlich ein Leben in ständiger Erwartung von Gewalt immer noch lieber als das einer Kassiererin in einer Espressobar. Doch was dann alles noch kommt, das hätte sie sich freilich nicht träumen lassen.

Von daher ist man ein wenig zwiegespalten: Auf der einen Seite möchte man ihr die Daumen drücken, dass sie aus dieser Hölle wieder raus kommt und mit dem netten Arzt ein neues Leben beginnen kann, und auf der anderen Seite ist sie irgendwo ein klein wenig selber Schuld. Sie lässt sich halt von Guidos Auftreten und seinen Attributen wie Sportwagen und Einkaufsbummel blenden, das ist ganz deutlich zu merken. Ein Leben als Barista, das ist sicher nicht das, wovon junge attraktive Frauen träumen. Anna ist sich sehr wohl bewusst, bei was für einem Typen sie sich da einhängt. So schlimm wird es schon nicht werden, alles ist besser als dieses öde Alltagsleben, so wird sie sich denken. Pustekuchen …
Die Schauspieler lassen diese (menschlichen) Probleme schnell vergessen: Edwige Fenech gibt das Mädchen vom Lande als ob sie ihr Leben nacherzählen würde, und Corrado Pani wächst in seine Rolle ebenfalls hinein wie in eine zweite Haut. Jede Menge beliebter Nebendarsteller, tolle Musik, und eigentlich wäre alles ganz toll. Nur der Dramaanteil ist mir persönlich manchmal ein klein wenig zu hoch. Vor allem gegen Ende wird der Tränendrüsendrücker etwas sehr permanent bemüht …

Letzten Endes hat ANNA, wenn man genauer hinschaut, so einiges an kleinen und wunderbaren Momente: Beim allerersten Treffen von Anna und Guido etwa steht im Hintergrund ganz klar das Wort Baci - Küsse. Doch die ersten Schläge kommen sehr schnell und sehr unvermutet, und irgendwie kommunizieren die beiden relativ häufig über Spiegel …
Insgesamt also kein Film an dem man achtlos vorbeigehen sollte. Man muss sich halt im Klaren darüber sein, dass ANNA vieles sein mag, aber nie im Leben der Poliziotto als der er verkauft wird, und dass der Herz-Schmerz-Anteil deutlich höher ist als man ursprünglich erwartet haben mag. Der Dramaanteil eines, sagen wir, STRASSE DER ANGST wird nicht erreicht, da ist bei ANNA schon deutlich mehr Krimi enthalten, und es ist wunderschön zu sehen, dass Carnimeo mehr konnte als RATMAN oder die HALLELUJA-Filme. Aber nichtsdestrotzrotz reden wir hier in jedem Fall von einer Geschichte die zu Herzen gehen soll, nicht von einem (reinrassigen) Polizei- oder Gangsterfilm.

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Maulwurf
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Body Count – Die Mathematik des Schreckens (Ruggero Deodato, 1986) 7/10

Eine Gruppe junger Leute fährt ins Hinterland von Colorado, um ein Wochenende in der Wildnis zu verbringen. Unterwegs gabelt man noch Ben auf, und damit ist auch die Frage der Unterbringung geklärt: Bens Eltern haben einen Campingplatz, der zwar eigentlich geschlossen ist, aber wurscht. Nun ist er wieder offen! Der Grund, warum der Platz zugemacht wurde, und warum es im Wald von tödlichen Fallen nur so wimmelt, ist, dass vor 15 Jahren der Geist eines indianischen Medizinmannes hier einige Jugendliche geschnetzelt hat, und Robert, der Besitzer des Platzes, jagt seitdem diesen Medizinmann. Nämlich mit ebendiesen Fallen. Und man ahnt es kaum: Mit den Jugendlichen kommt auch der medizinische Metzger wieder ins Land und säbelt sich durch die Youngsters. Und mittendrin Robert, der schon immer wusste dass der Mörder wiederkommt, Charlie, der örtliche Sheriff, und Julia, Roberts Frau, die zusammen mit Charlie abhauen will. Ein Teufelskreis …

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Und was soll ich sagen? Der Film rockt! Klar ist da auch Bullshit drin: Unpassende Szenenanschlüsse, dümmliche Dialoge, nervige Jugendliche, vorhersehbare Szenen … Aber in der Summe ist der Unterhaltungsfaktor einfach erheblich höher als die Peinlichkeiten es sind. Ruggero Deodato ist kein Anfänger auf dem Regiestuhl und weiß genau, inwieweit er die Bedürfnisse des Publikums zu erfüllen hat, und wann er diese Bedürfnisse ad absurdum führen muss, um den Unterhaltungswert zu steigern. Zum Beispiel ist es enorm hilfreich, dass die Camper zwar einiges an Nervpotential haben, sich aber untereinander gut verstehen, was den Sympathiefaktor für die Gruppe durchaus nach oben schnellen lässt. Irgendwie ist keiner dabei, über dessen Ableben man sich freut, und das hilft BODY COUNT erheblich, um über die gängigen Schemata hinaus zu kommen. Dazu kommen ein wie immer hinreißender David Hess, dessen Grimassieren und Chargieren schon die halbe Miete ist, ein obercooler Charles Napier als Sheriff, dem man ansieht dass er den Job nur für die Kohle angenommen hat, und Mimsy Farmer, die, ich kann mir nicht helfen, wie eine kleine graue Büromaus am Ende ihrer Träume aussieht …

Ein paar unlogische Dinge sind drin, und ich kann mich zum Beispiel noch nicht entscheiden, ob Julias Traum jetzt ein roter Hering, ein Patzer des Drehbuchs oder ein Hinweis auf den Mörder sein soll. Ist aber gleich, die Spannung wird gehalten, die Stimmung auf dem Camping platz und auf dem Sofa steigt, und insgesamt macht die Sause einfach ziemlich Spaß. Am hübschesten finde ich den Moment, wo David Hess unter der Schlitz-Werbung sitzt. Ob Deodato wohl den deutschen Verleihtitel seines eigenen LA CASA SPERDUTA NEL PARCO kannte …?

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Maulwurf
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Mes nuits avec … Alice, Pénélope, Arnold, Maud et Richard (Didier Philippe-Gérard, 1976) 8/10

Drei Frauen, und alle versuchen Selbstmord zu begehen, weil sie sexuell unterdrückt und ausgenutzt werden. Weil sie von den Männern nur als Fickfleisch gesehen werden, und ihr Menschsein ignoriert wird. Maud nimmt diese Frauen auf in ihr Schloss und zeigt ihnen, dass es auch eine andere Art gibt, mit dem Verlangen nach Sex umzugehen. Eine selbstbestimmte Art, die nicht auf Unterdrückung sondern auf Lust aufbaut. Aber auch hier ist der Weg zur Frustration nicht lang, und das Ziel ist sowieso von vornherein klar vorgegeben: Vor Lust zu sterben …

Was im Aufbau grundlegend schon mal an DAS GROSSE FRESSEN erinnert: Vier Frauen ziehen sich zurück um ihre Lust auszuleben und dadurch letzten Endes in den Tod zu gehen. Was manchmal skurril wirkt, manchmal grotesk, und manchmal einfach nur unendlich traurig. Aber die Bilder sind immer erotisch, die Lust kommt spürbar rüber, und der Film sprüht geradezu vor visuellen und sexuellen Ideen.
Dazu kommt ein Soundtrack, der teilweise aus klassischen Stücken, teilweise aus Jazzrock besteht, und sich immer perfekt an die jeweilige Stimmung anpasst. Schon allein die Szene mit den Müllmännern, die totale Unterordnung unter die männliche Phantasie, zu der ein stetig anschwellender, fast dissonanter Jazzscore bullert, ist so unbehaglich und sinnlich zugleich, wie ich nie gedacht hätte dass es zusammenpasst. Kein Wohlfühlsex, aber auch kein moderner Gonzo. Vielmehr ein erotisch-cineastisches Experiment in Domination und Lust. Was im Übrigen auf den ganzen Film passt …

Anstatt schlecht gesetzter Worte, die dieses eindrucksvolle Spektakel eh nicht richtig würden könnten, lieber ein paar Eindrücke:

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Maulwurf
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Tatort: Die Nacht gehört Dir (Max Färberböck, 2020) 4/10

Die erfolgreiche Immobilienmaklerin Barbara Springer wird am Tag nach ihrem Geburtstag tot aufgefunden. Todesursache: Zwei Stiche mit einem Sushimesser. Recht schnell bekommen die beiden Kommissare Ringelhahn und Voss heraus, dass die integere, beliebte, menschenscheue und freigiebige Luxusdame sich schon seit Jahren erfolgreich in Dating-Portalen rumgetrieben hat. Vor einem halben Jahr allerdings war abrupt Schluss damit, und den Geburtstag hat sie ausgerechnet mit ihrer Kollegin verbracht. Könnte Eifersucht das Motiv gewesen sein? Oder steckt da vielleicht noch mehr dahinter?

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Als fast-gebürtiger Nürnberger habe ich mir die Folge eigentlich nur wegen der alten Mehr-oder-weniger-Heimat angeschaut. Entsprechend waren meine persönlichen Highlights die beiden Assis Fleischer und Schatz, die in breitestem Fränkisch immer wieder Stimmung erzeugten. Aber der Rest, also alles was mit dem Kriminalfall zu tun hatte, war eher dröge. Ein mühsam konstruiertes Drama mit mühsam konstruierten Zusammenhängen und mühsam konstruierten Figuren, die kaum Realitätsnähe hatten und einer wie der andere unsympathisch waren. Auch bei den beiden Kriminalhauptkommissaren hielt sich meine Zuneigung in Grenzen – Dagmar Manzel kam mir mit ihrer melancholischen Art im Lauf der Folge durchaus immer näher, während Fabian Hinrichs als alerter Nordfriese eher fremd blieb. Aber dann doch nicht so fremd, als dass er wie ein Fremdkörper in der fränkischen Gemütlichkeit gewirkt, und somit zu skurrilen oder merkwürdigen Situationen beigetragen hätte. Nein, der Fall an sich war nichts Besonderes, die Ermittler ebenfalls nicht, und nur die Ansichten der Städte Nürnberg und Fürth, sowie die Verwendung des traumhaft schönen Keep the streets empty for me von Fever Ray haben für Zustimmung und gegen Schlaf geholfen. Mühsame Durchschnittsfernsehware …

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Sweet taste of honey (Max Pécas, 1976) 7/10

Nach einer Trennung kehrt Laure zurück in ein Hotel, in welchem sie mit ihrem Ex-Mann eine glückliche Zeit verbracht hatte. Der Gedanke an Selbstmord schwebt in der Luft, aber anstatt auf den Tod trifft sie auf ein frisch verliebtes, laut vögelndes und recht animierendes Liebespaar im Nachbarzimmer, auf viele angenehme und unangenehme Erinnerungen, sowie auf einen Hotelmanager, der die Abwesenheit ihres Mannes auf Biegen und Brechen ausnutzen will. …

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Ein Genre, von dem ich gar nicht wusste das es existiert: Das HC-Drama. Kein Witz, LUXURE ist schwermütig, düster und oft unangenehm anzuschauen, und dabei werden all die bitteren und bösen Szenen umrahmt von einem fast ununterbrochenen Hardcore-Gestoße. Die erste Sexszene mit dem Hotelmanager etwa ist unterlegt mit einem sinisteren und leicht dissonanten Score, der Erinnerungen weckt an Riz Ortolanis Score zu CANNIBAL HOLOCAUST. Nicht die schöne Easy Listening-Melodie wohlgemerkt, sondern die schräge Untermalung der Massakerszenen.

Damit ist die grundsätzliche Ausrichtung auch bereits beschrieben. Denn auch in LUXURE ist diese Ahnung von Massaker da wenn diese Musik ertönt. Die finale Sexszene mit Laure und den Männern, die, nennen wir es ruhig so, Vergewaltigung durch die Freunde des Managers, ist nicht erotisch und schon gar nicht angenehm anzuschauen. Eine Zusammenstellung, die heute höchstens im Gonzo-Film denkbar ist. Hier aber ist das Unbehagen, ist die Vergewaltigung Laures gerade auch über die Musik deutlich zu verspüren. Bei besagter Sexszene mit dem Manager ist es zwar Laure die den Sex erzwingt, aber auch in diesem Moment ist klar zu spüren, dass etwas nicht stimmt. Das Gleichgewicht zwischen den beiden ist verschoben, und der Score, der sehr stark die Stimmung beeinflusst, erzeugt ein Kribbeln und Kratzen, welches die Szene … eben unangenehm macht. Kein Spaß am Voyeurismus ist es, der uns hier zuschauen lässt, sondern etwas anderes. Etwas Dunkleres. Etwas, was uns Psychodramen und Horrorfilme anschauen lässt …

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Und sonst? Außer dem Sex, der übrigens mitunter auch sehr schön und sexy rüberkommen kann? Eine unglaublich dichte und intime Szene, die mit einer anderen Wortwahl so auch in einem Mainstreamfilm sattfinden könnte, wird durchlebt, wenn Laure Peter erzählt, was sie am meisten antörnt. Durch die Wortwahl und die, trotz der Örtlichkeit am belebten Swimming Pool, intime Stimmung wird ein hoher erotischer Druck aufgebaut, der den Moment umso intensiver erleben lässt, und Peter eine peinliche Erektion beschert.
Oft ist schwer zu unterscheiden zwischen Laures Erinnerungen und ihren Fantasien. Ist das grausame Spiel zwischen ihrem ach so geliebten Jack, dem Manager und ihr, ist das nun tatsächlich passiert, oder handelt es sich um eine Vergewaltigungsfantasie einer einsamen und verlassenen Frau? Wenn Jack mit Laure am Swimmingpool Sex hat, bedeuten die Schaufensterpuppen im Hintergrund, dass das wirklich stattgefunden hat? Oder dass Laure sich in wilde Phantasien flüchtet, die aus ihrer unerfüllten Lust stammen? Oder eine ganz gewagte Theorie: Laure hat eine kleine Pistole im Gepäck, und welche Frau hat so etwas in der Reisetasche? Könnte Laure eine Edelhure sein, die ihr Gewerbe von der Großstadt aufs Land verlegen will? Vielleicht, weil sie die Stadt verlassen musste …? Die letzten Einstellungen deuten ein wenig in diese Richtung …

Max Pécas schafft es hervorragend, Geschichte und Atmosphäre in der Schwebe zu halten. Eingerahmt von teils sehr erotischen und teils unangenehmen Szenen entfaltet sich eine Story, bei welcher der Zuschauer nie genau weiß ob er sich jetzt in einer Traumwelt, in einer Erinnerung oder in der Realität befindet. LUXURE ist eine Reise durch eine böse und düstere Welt, die sich durch Sex definiert. Eine überaus faszinierende Reise! Ich habe gelesen, dass Pécas nach LUXURE keine erotischen Filme mehr gedreht hat. Denn was könnte nach diesem Film noch kommen?

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Re: Was vom Tage übrigblieb ...

Beitrag von Maulwurf »

The Fog - Nebel des Grauens (John Carpenter, 1980) 7/10

Die Filmwelt hat John Carpenter einiges zu verdanken. Vor allem in seiner Frühphase, also etwa bis 1980, hat er mit Filmen wie ASSAULT – ANSCHLAG BEI NACHT, HALLOWEEN oder DIE KLAPPERSCHLANGE definitive Kinogeschichte geschrieben. Auch THE FOG ist in solchen Auflistungen zu finden, aber gehört er wirklich dorthin?

Die Geschichte um die Seeleute, die 100 Jahre, nachdem sie durch ein falsches Leuchtfeuer in den Tod gesegelt sind, wiederkommen um Rache zu nehmen an den Urenkeln der Missetäter, die Geschichte ist einfach genug um durch alle Zeiten zu fesseln. Aber trotz des vernünftigen Casts, trotz hoher Spannung und mitreißender visueller Einfälle, trotzdem wollte der Film bei der Sichtung 40 Jahre nach seiner Entstehung nur zum Teil zünden. Woran kann das liegen?

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Ich würde den Großteil der Schuld auf ein Drehbuch schieben, das es nicht schafft, den Figuren Leben einzuhauchen. Darwin Joston als Napoleon Wilson in ASSAULT, Jamie Lee Curtis in HALLOWEEN, oder Kurt Russells Snake Plissken in DIE KLAPPERSCHLANGE (Ups, der ist ja erst nach THE FOG entstanden) sind Charaktere, die mit wenigen und einfachen Pinselstrichen zum Leben erweckt werden. Die Interesse wecken, und mit denen man mitfiebern kann. Die lebendig wirken. Aber was bietet THE FOG? Uninteressante Gestalten wie Nick Castle (Tom Atkins bleibt komplett blass, wie vom Nebel verschluckt …), Schema F-Figuren wie Father Malone oder Kathy Williams (die nur zum Leben erweckt wird, weil Janet Leigh so gnadenlos überagiert, dass an diesem Punkt aus jeder Figur Leben sprühen würde), oder gleich vollkommen überflüssige Langweiler wie Jamie Lee Curtis‘ Figur, deren Sinn innerhalb der Story sich mir in keiner Sekunde erschließt. Mag ja sein, dass nach all der Zeit solche Charaktere zu oft gesehen wurden, aber ich stelle jetzt trotzdem einfach mal die Behauptung in den Raum, dass in dieser Menage auch nicht eine einzige Person ist, zu welcher der Zuschauer eine Bindung aufbauen kann. Doch, eine: Adrienne Barbeau, die als Radio-DJane Stevie Wayne als einzige mehr macht als entweder dumpf vor sich hin zu starren, oder eben zu viel Darstellung zu bieten. Die nämlich einer Filmfigur eine Persönlichkeit, und damit dem Zuschauer eine Identifikationsfigur, gibt.

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Da die Figuren fade bleiben, fällt auch auf, wie schlicht die Story tatsächlich gestrickt ist. Bin ich ursprünglich noch von der 08/15-Handlung mit den Stadtoberen ausgegangen, die nicht wollen dass die Feier ins Wasser fällt (wie es beim WEISSEN HAI so hübsch vorgemacht und hundertmal kopiert wurde), so verlässt sich John Carpenter hier ausschließlich auf die Macht seiner visuellen Ideen. Die allerdings zugegeben wirklich gut sind! Die Toten im Nebel, und überhaupt der von innen heraus leuchtende Nebel, der mit einem Affenzahn das Land überflutet, das imponiert auch heute noch. Ich vermute mal ganz schwer, dass THE FOG auf der großen Leinwand erheblich intensiver wirkt als auf dem Fernsehbildschirm, und all die oben genannten Mängel im Kino einfach verpuffen. In der Macht des leuchtenden Nebels verschwinden, und von den eindrucksvollen Toten in Stücke zerhackt werden.

Auf dem Fernseher allerdings zeigt sich, dass THE FOG gealtert ist. Nicht mehr und nicht weniger, als vom Zug der Zeit ein wenig überrollt wurde, und außer von den letzten 20 Minuten, in denen Stimmung, Effekte und Musik zu einem überwältigenden Ganzen zusammenfinden, nur ein Gefühl übrigbleibt, welches zwar gefangennimmt, aber nicht lange vorhält. THE FOG ist kein Film mehr, der einem noch tagelang im Kopf herumspukt. Er ist spannend, er ist gut – aber ein Meisterwerk, wie so viele andere Filme aus dieser Schaffensphase Carpenters, ist er nicht. Mehr.

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Die Bett-Hostessen (Erwin C. Dietrich, 1972) 5/10

Der Fensterputzer Blomsky hat in seinem Job die Möglichkeit, in vieler Frauen Fenster zu schauen. In eben dieser Eigenschaft als Fensterputzer krabbelt er bei der Filmgesellschaft Ascot-Film durchs Fenster, und weil in seinem Leben nicht nur Fensterputzer, sondern auch Masseur, Kutschenfahrer, Krankenpfleger und wer weiß noch alles war, erzählt Blomsky nun dem geneigten Produzenten, Erwin C. Dietrich himself, lustige Schwänke aus seinem Leben: Was der 6-Tage-Rennen-Profi hinterm Vorhang treibt, was Arzt und Schwester machen wenn ein Patient das Bett verlässt, wie hinterhältige Fotografen unschuldigen Mädchen vorgaukeln, dass sie gerade mit Umberto Fellini telefonieren würden (“Marlon Brando in LETZTES POLKA“) ... Solche Dinge halt.

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Dass es dabei nur um eines geht ist klar, immerhin reden wir hier von einem Film von Erwin C. Dietrich, womit Handlungs(?)ablauf, Stil der Erotik, Musik und der Grad der Nacktheit eigentlich festgelegt sind, und der Zuschauer früher oder später selig entschlummern kann.

Doch halt, was ist das? Die letzte Episode dieses bunten und meist drögen Einerleis, die ist anders. Die ist ... fremdartig: Erwin C. Dietrich macht transgressives Kino! Eine nackte Frau im Stroh, drumherum eine Gruppe Männer (zuerst im sexy 70er-Jahre-Trainingsanzug, dann nackt), und die Frau tanzt zu hypnotisch-psychedelischen Rhythmen. Ein Krug geht herum mit einer unbekannten Flüssigkeit, welche sich in eine Schlange verwandelt und den Körper der Frau liebkost. Jeder darf die, sich im Stroh aufreizend gebärende, Schönheit mal genießen, wobei das bis hin zu Überblendungen von Gewaltfantasien über den sich räkelnden Körper geht, während die übrigen Männer vollkommen regungslos dabei stehen. Und als Geräuschkulisse, gleichberechtigt zur Musik - die Geräusche eines Fußballplatzes …

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Dietrich und sein Stamm-Kameramann Walter Baumgartner verlassen mit dieser Episode die Welt der kleinen billigen Sexfilmchen und stoßen in die Sphären eines Kinos vor, von dem ich an dieser Stelle niemals zu träumen gewagt hätte. Bild, Ton und Assoziation gehen durch ihre Verschiedenartigkeit eine Synthese ein und erschaffen etwas ganz Neues. Etwas hocherotisches und zugleich mystisches. Eine künstlerisch-sexuelle Darbietung, die vielleicht nicht gegen die Fantasien von, sagen wir, Michael Ninn bestehen kann, aber wenn sie von Schmuddel-Onkel Erwin kommt, definitiv etwas Außergewöhnliches ist. Und den ansonsten eher mauen 08/15-Softsexer gewaltig aufwertet. Auch wenn man um die Filme von Dietrich einen Bogen macht – diesen sollte man mal gesehen haben.
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The Midnight Meat Train (Ryûhei Kitamura, 2008) 7/10

Auch wenn das im Film so nie erwähnt wird, aber im Prinzip könnte das auch eine Urban Legend sein: Menschen verschwinden spurlos in der U-Bahn, und sie tauchen nie wieder auf. Denn im letzten Zug der U-Bahn soll ein Mann sitzen, der die späten Heimkehrer abschlachtet. Der Fotograf Leon kommt per Zufall darauf, dass dieser Mann tatsächlich existiert – Leon fotografiert ihn, und verfolgt ihn anschließend, um das Geheimnis dieses Mannes zu lüften. Der Mann, Mahogany mit Namen, weiß aber, dass er verfolgt wird. Der Jäger wird zum Gejagten. Zum Opfer. Allerdings ist die Rolle Leons noch um einiges fremdartiger und aberwitziger, als dieser sich das vorstellen kann. Denn es gibt andere, grausamere Schicksale, als nachts in der U-Bahn zerstückelt zu werden …

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Dies ist Vinnie Jones‘ Film! Der großgewachsene Ex-Fußballer mit dem stoischen Gesichtsausdruck beherrscht MIDNIGHT MEAT TRAIN in absolut jeder Sekunde, in der er zu sehen ist. Wenn Vinnie Jones sich umdreht, scheint die Zeit stillzustehen. Sein Blick lässt Menschen erstarren und U-Bahn-Waggons zu Kältekammern verkommen. Obwohl er nur einen einzigen Satz spricht, reicht seine physische Ausstrahlung, um jeden Moment dieses Films absolut zu beherrschen. OK, Bradley Cooper macht seine Sache gut, und der Struppiger-Köter-Look steht ihm wirklich nicht schlecht. Leslie Bibb als Love Interest gefällt mir mindestens genauso gut wie Pater Jacobson als jüdischer Imbissbesitzer, und Brooke Shields läuft ganz entschieden unter dem Begriff MILF. Aber einem Vinnie Jones hat sich einfach alles andere unterzuordnen, so platt das jetzt klingen mag.

Zugegeben, die Kameraführung ist an dieser Aura nicht ganz unschuldig. Was sich Kameramann Jonathan Sela einfallen lässt ist nicht von schlechten Eltern, und allein die Kamerafahrt von Mahogany über sein Opfer, bis zum Blick des abgetrennten Kopfes und den sterbenden Augen in der Ich-Perspektive auf Mahogany mit dem eigenen Rumpf im Vordergrund, das ist großes Kino, welches so vor ganz vielen Jahren auch mal von einem Dario Argento hätte kommen können. Endlich mal CGI-Effekte, die auch wirklich sinnvoll und atmosphärisch eingesetzt werden (zugegeben nicht alle, aber viele). Und von diesen Momenten gibt es einige.
Nur leider leidet das alles ein wenig unter dem glatten Look des Films. Will sagen, dass MIDNIGHT MEAT TRAIN sicher einige starke und gorige Momente hat, sich vor Splattereffekten nicht scheut, und den Begriff Happy End auch neu definiert. Aber der Film ist nicht räudig genug, um wirklich unangenehm zu sein. Er kratzt nicht am Befinden des Zuschauers, was heißen soll, dass er nicht wirklich berührt. Er läuft vor dem Auge des Betrachters ab, und der Betrachter ist sich in jeder Sekunde klar darüber, dass er einen Film anschaut. Eine Fiktion, eine Phantasie eines begabten Drehbuchautors, der seine Fähigkeiten mit einem begabten Regisseur und einem ausgesprochen kreativen Kameramann kombiniert hat. Aber die unangenehme Intensität von Filmen wie DAS HAUS AN DER FRIEDHOFMAUER oder DIE BRUT, den Schmerz eines MÄDCHEN IN DEN KRALLEN TEUFLISCHER BESTIEN, so etwas vermisse ich hier sehr. Wer die Filme von zum zum Beispiel Shin’ya Tsukamoto kennt, weiß was ich meine. Denn genau diese Intensität, diese Wildheit und Wucht, dieses Unangenehme (sic!) ist es, was aus einem guten Film ein Meisterwerk macht. Und was das Quäntchen zum Cineasten-Glück ist, das hier eben gerade fehlt.

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MIDNIGHT MEAT TRAIN ist ein guter Film, der von einem überragend wirkenden Vinnie Jones und einem erstklassigen Jonathan Sela zu einem starken Film gemacht wird. Aber dennoch muss sich MIDNIGHT MEAT TRAIN zum Beispiel hinter dem ähnlich gelagerten BONE HUNTER einreihen, denn der hatte im Gegensatz zum Clive Barker-Film und trotz seiner Mainstream-Ausrichtung eine spannende Thrillerhandlung, die nicht nur stimmungsvoll, sondern auch fesselnd und atmosphärisch war. MIDNIGHT MEAT TRAIN fehlt leider das letzte Stückchen anarchische Bosheit, der Dreck unter den Fingernägeln gewissermaßen …
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In ihren Augen (Juan José Campanella, 2009) 7/10

Der pensionierte Richter Benjamin Esposito will ein Buch schreiben. Einen Roman. Über den einen Fall, der ihn so lange beschäftigt hat, und den er nie lösen konnte. Nichts Großartiges eigentlich, eine Vergewaltigung mit Todesfolge. Aber in all seinen Komplikationen und Konsequenzen ein Fall, der sein Leben wesentlich beeinflusste. Und dies auch heute immer noch tut. Während Esposito für das Buch recherchiert, und seine damalige Vorgesetzte und heimliche Liebe um Informationen bittet, kommen die Schatten der Vergangenheit immer näher. Unmerklich, aber auch unaufhaltsam. Warum konnte der Mörder nie gefasst werden? Was ist mit seinem knuffig-versoffenem Kollegen Pablo passiert? Und warum hatte er selber nie die Chuzpe, sich seiner Liebe zu offenbaren?

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IN IHREN AUGEN ist prinzipiell erstmal ein sehr ruhiger Film, der sich in wunderschönen Bildern und mit einer geradezu träumerischen Farbgebung nicht entscheiden kann, wo er denn eigentlich hin möchte. Teilweise ein Krimi mit einem Hauch Politik, teilweise eine bittere Liebesromanze, und über lange Strecken eine philosophische Fragestellung über das Ziel des Lebens, zieht der Film seine Spannung und Faszination gerade aus dem Zusammenspiel dieser Komponenten: Dem Verbrechen, der Liebe, der Philosophie, der Farbe, und den Bildern. Die Menschen reden zwei Stunden lang, unterbrochen nur für eine aberwitzige Plansequenz über, in und durch ein Fußballstadion, und oberflächlich betrachtet geschieht zwei Stunden lang sehr wenig. Gut, es gibt ein paar kürzere Schockmomente, die wie ein Schuss Chili im Essen genau die richtige Würze geben, aber ansonsten gilt, dass der Film ein langer ruhiger Fluss ist. Wenn man sich allerdings auf ihn einlässt, dann passiert etwas ganz Merkwürdiges. IN IHREN AUGEN offenbart sich ein Geheimnis, nämlich das Geheimnis eines guten Films: Eine perfekt austarierte Story, mit perfekten Bildern garniert, in einer perfekten Darbietung kredenzt.
Vielleicht gleichzeitig ein wenig zu glatt, manchmal würde man sich unter Umständen ein wenig mehr Schmackes wünschen (und sich dann als Rezensent wieder beschweren, dass da zuviel Schmackes war), aber in der Summe ist die Balance, die sich in diesem Film zeigt, geradezu erschreckend hochwertig. Alles passt zusammen, bildet eine Einheit, und man wünscht sich keine Sekunde weg aus der Welt der fluchenden Richter und saufenden Justizbeamten, der eiskalten Killer und noch kälteren Bänker. Und noch viel weniger wünscht man sich fort aus der weichen und verzaubernden Welt der Liebe, die sich wie ein Bogen zwischen den ersten und den letzten Bildern spannt.

IN IHREN AUGEN ist ein warmer und wunderbarer Bilderbogen über die Liebe und das Verbrechen. In dieser Reihenfolge.

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