Was vom Tage übrigblieb ...

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Maulwurf
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Beatriz (Gonzalo Suárez, 1976) 6/10

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Die gute Nachricht für alle Jess Franco-Fans: Wie es scheint, ist ein bislang unbekannter Film des Meisters aufgetaucht. Die schlechte Nachricht: Ätsch bätsch, der Film ist gar nicht von Jess Franco. Tatsächlich könnte BEATRIZ meistenteils ein Franco sein, gedreht mitten in der Golden-Phase seines Schaffens, die ja eine seiner kreativsten und produktivsten Phasen war. Nur einige wenige Details verraten, dass der Film dann doch kein Franco ist: Wir sehen kein Meer, Lina Romay ist nicht dabei, und völlig unnötige Spielereien mit dem Zoom-Objektiv werden auch nicht veranstaltet. Aber sonst?

Sonst verfolgen wir, auf der Basis zweier Erzählungen des spanischen Dramatikers Ramón del Valle-Inclán, wie eine reiche und stolze galizische Familie durch Aberglauben und ihre Ignoranz gegenüber der Außenwelt in den Abgrund gezogen wird. Der Vater ist tot, die Mutter sitzt den lieben langen Tag nur da und betet den Rosenkranz, gemeinsam mit einer Gruppe alter Weiber. Der jüngere Sohn Juan, der auch der Erzähler der Gesichte ist, und die ältere Tochter Beatriz leben ihr eigenes, ziemlich einsames Leben, und das Hausmädchen Basilisa sorgt sich neben dem Haushalt auch darum, dass die Schwänze der wenigen Männer im Haus nicht vertrocknen. Nur der Student Máximo, der sich um die Bibliothek des Hauses kümmert, ist da ausgenommen. Ein vergeistigter Mensch, der in der Welt seiner Bücher lebt, und mit der Welt da draußen kaum etwas zu tun hat.
Basilisas Kind, das sie vom Schmied bekommen hat, ist kränklich, und um es zu retten, geht Basilisa vermeintlich einen Pakt mit dem Teufel ein. Gerade erst ist ein Mönch auf dem Rückweg vom Heiligen Land durch die Gegend gezogen, wobei er eine Gruppe Banditen dezimiert hat. Einem der Männer hat er ein Ohr abgeschnitten, und dieses Ohr näht Basilisa nun in ein Kopfkissen ein, damit die Besitzerin dieses Kissens die Krankheit ihres eigenen Kindes übernimmt. Das Kissen gehört Beatriz, und der Pakt scheint zu funktionieren: Beatriz wird krank, das Kind wird gesund, und genau in diesem Augenblick kommt der arbeitsuchende Mönch in das Haus, und erweckt in der fiebrigen und gerade zur jungen Frau reifenden Beatriz mehr als nur romantische Gefühle. Fast scheint es, als ob wirklich der Teufel seine Hand im Spiel hat …

Und was hat das jetzt mit Jess Franco zu tun? Erstmal gar nichts, aber diese tieftraurige und gleichzeitig desolat-romantische Stimmung, durchzogen von einer subtilen Erotik und einem wehklagendem Synthesizer, die könnte genau so auch aus Filmen wie SINFONÍA ERÓTICA oder LA CASA DE LAS MUJERES PERDIDAS stammen. Im Kern geht es, allem Anschein nach ganz typisch bei den Werken von del Valle-Inclán, um eine gut betuchte Familie, deren Leben längst in Stillstand übergegangen ist, dem dann knapp auf den Fuß das innere Verfaulen folgt. Das Erscheinen des Mönchs als Katalysator bringt Bewegung in die erstarrten Strukturen, erweckt Gefühle und Bedürfnisse, was aber nicht allen in der Familie passt. Der Mönch, ein gutaussehender und männlicher Kämpfer, der sich gegen seinen eigenen Willen zu Beatriz hingezogen fühlt, zeigt den von der realen Welt abgewandten Menschen in ihrer Isolation, was (körperliches) Leben wirklich bedeutet. Auch hier fallen wieder die Parallelen zu den beiden oben genannten Filmen Jess Francos auf: Ein Eindringling in eine tote Welt erzeugt Bewegungen, die allmählich außer Kontrolle geraten und in einer Katastrophe enden …

Und noch eine Ähnlichkeit zu Francos Filmen ist bei BEATRIZ auffällig, nämlich das langsame Erzähltempo. Regisseur Gonzalo Suaréz verlässt sich auf lange Einstellungen und ruhige und bedächtig daherkommende Erzählmuster. Auch wenn die Figuren alle schnell eingeführt werden, und auch wenn die Geschichte sehr flüssig erzählt wird, so ist die Narration als solche gemächlich, der gezeigten Jahreszeit und der dargestellten Epoche (der Film spielt im Winter, mutmaßlich kurz nach dem ersten Weltkrieg) angepasst. Was aber nicht bedeuten soll, dass nicht der ein oder andere Handlungsstrang, wie zum Beispiel die Moritat rund um das abgeschnittene Ohr, alsbald wieder verschwinden – Auch hier wieder eine Analogie zu Francos Filmen. Die wenigen Actionszenen, und solche sind sehr wohl vorhanden, sind überzeugend gedreht und bringen das Adrenalin in Wallung, und gleichzeitig traut sich Suárez ein Jahr nach General Francos Tod bereits, die volle Breitseite an weiblicher Nacktheit zu zeigen. Nicht zu offensiv wohlgemerkt, BEATRIZ ist kein Exploitationer, der im Programm eines Erwin C. Dietrich seinen Platz gefunden hätte. Im Gegenteil kommt die Blöße erst allmählich im Laufe des Films zum Vorschein, genauso wie die eingefrorenen Seelen der Menschen nur allmählich auftauen und gezwungen werden sich Blößen zu geben. Und wenn am Ende des Films jeder in der Geschichte etwas verloren hat, dann durchzieht die Kälte des nordspanischen Winters nicht nur die gedemütigten Figuren im Film, sondern auch das Herz des Zuschauers ob der gezeigten Grausamkeiten. Ein Ende, wie es auch in den Jess Franco-Filmen der frühen 80er gezeigt wird. Ohne Hoffnung, ohne Mitleid, und von einer grenzenlosen Melancholie durchdrungen. So wie der ganze Film …
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Maulwurf
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The Equalizer (Antoine Fuqua, 2014) 6/10

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Die russische Mafia nimmt sich das was sie will, und eckt damit bei einem professionellen Killer böse an. Der lässt sich nicht lumpen und macht Amerika wieder sauber, indem er die Sowjetlumpen kurzerhand zu Hackfleisch verarbeitet und dafür sorgt, dass am Ende alles wieder gut ist.

JOHN WICK? Nein, der andere Film aus dem gleichen Jahr mit dem gleichen Inhalt: THE EQUALIZER. JOHN WICK gefällt sich in stylischen Actionszenen, John Woo-artigen Shoot-Outs und einer kaum vorhandenen Handlung, während der EQUALIZER mehr auf eine von Ruhe und Melancholie durchzogene Stimmung setzt, punktuell sehr stylische Actionszenen wie Lichtpunkte auf einer dunklen Karte verteilt, und ein klein wenig mehr Handlung integriert als David Leitch und Chad Stahelski es tun. Wobei anzumerken ist, dass dieses „ein klein wenig mehr an Handlung“ so abgenudelt und stereotyp ist, dass es fast wie eine Beleidigung des Zuschauers wirkt. Oder wie anders soll man es nennen, wenn der stille und sauber-ordentliche Protagonist ein kleines Mädchen vor der pösen Mafia beschützt und sich dabei als die ultimative Killermaschine entpuppt, die praktisch problemlos die gesamte Ostküste der USA ent-mafiaisiert? Oder, mehr im Trend der Zeit, de-sowjetisiert?

THE EQUALIZER setzt dabei auf die Qualität des Kameramanns Mauro Fiore, der auch schon Filme wie TRAINING DAY oder TRÄNEN DER SONNE veredelt hat. Allein, was aus grafischer Sicht während des Showdowns in einem Baumarkt(!) passiert, zeigt sich, bei aller Abgedroschenheit der Handlung, als erstklassig inszenierte und verdammt hochwertige Action. Es ist halt schade, dass Denzel Washington fast unbeschadet durch das Blutbad wandelt wie ein Superheld aus einem frühen DC-Comic, und dass er zu keiner Sekunde in Gefahr gerät sein Leben zu verlieren. Wie der Schwertkämpfer Okami in den LONE WOLF AND CUB-Verfilmungen der frühen 70er steht er über allem und jeden, hat in Sekundenbruchteilen immer den perfekten Plan zur Hand (inklusive eines Plan B), und führt die dümmeren Russen an der Nase genau dorthin, wo er sie haben will. Die Gangster aus dem Reich des Bösen wiederum haben sich ihren Platz ursprünglich mit Gewalt und Brutalität erkämpft, und nun werden ihnen ihre Pfründe mittels Intelligenz (und Gewalt) wieder abgenommen. Ein Schelm, wer hier im Jahre 2014 Analogien zu den Ereignissen in der Ukraine ziehen möchte – Robert McCall bringt den Krieg zu den Russen, bestimmt das Schlachtfeld, und zeigt allen, zu was ein Held fähig ist …

Nichtsdestotrotz ist THE EQUALIZER kein schlechter Film! Er ist atmosphärisch, er ist toll gefilmt, die Schauspieler erlauben sich keine Ausfälle (allerdings auch keine Höhenflüge, was bei einem 08/15-Actioner auch nicht wirklich erwartet werden kann), und er unterhält. 132 Minuten Popcorn-Unterhaltung mit propagandistischer Botschaft. Aber ich glaube trotzdem, dass ich JOHN WICK bevorzuge, der bei aller inhaltlichen Leere einfach der coolere und stylischere ist …
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Maulwurf
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Killer sterben einsam (Giorgio Cristallini, 1978) 7/10

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Der Mann kommt in die Stadt um zu töten. Er ist ein Killer von außerhalb, engagiert, um den Industriellen Martini aus dem Weg zu räumen. Doch ist er mitnichten der eiskalte Mörder, der er zu sein vorgibt – Als nach dem Job bei seinem Abflug unvorhergesehene Probleme auftauchen verliert er schnell die Nerven, lässt seinen nagelneuen Pass bei der Kontrolle liegen und geht stiften. Zurück zu seinem Auftraggeber Micheli, der soll ihm gefälligst helfen. Micheli, der Ex-Partner des toten Martini, hat die deutlich besseren Nerven, verspricht dem Mann zu helfen, lässt sich dabei aber nicht in die Karten schauen, ob er nicht vielleicht ganz andere Pläne mit dem Mann hat. Womit aber Micheli nicht rechnet ist, dass sein Partner Calvi ebenfalls die Nerven verliert und Michelis Tod in Auftrag gibt. Und weil der Mann bei Michelis Tod zufällig in der Nähe ist, wird er nun ebenfalls gejagt. Ein Amerikaner in Rom, ohne Geld und ohne Papiere, von der Polizei und von Killern gejagt …

Und was wie ein knallhartes Action-Vehikel klingt, kommt dann tatsächlich auf überraschend leisen Sohlen daher. Maurizio Merli kann zwar Härte, das hat er oft genug bewiesen, und das zeigt auch hier ein paar Mal, aber diesmal sind in seinem Herzen viel Schwäche und Weichheit zu finden, sind die Sehnsucht nach einem normalen und bürgerlichen Leben und die Reue über die Fehler der Vergangenheit, die ihn in diese ausweglose Situation gebracht haben, die beherrschenden Gefühle. Der Mann trifft auf seiner Flucht Isabelle, und Isabelle ist in ihrem Leben genauso einsam und genauso verbittert wie der Mann. Zwei einsame Menschen auf der Flucht vor … Dem Leben? Dem Tod? Die Szenen zwischen Merli und Nathalie Delon nehmen zwar oft das Tempo aus der Geschichte, und die dabei auftretende Pseudo-Philosophie lässt die Gedanken des Zuschauers gerne einmal in völlig andere Richtungen fließen. Doch sind gerade diese Momente für ein ganz eigenes Flair zuständig, ziehen durch sie doch viel Melancholie und Wehmut durch den Film. Beide Figuren haben in ihrem Leben nicht viel Glück gehabt, und zumindest der Mann (wir erfahren tatsächlich nie den wahren Namen von Merlis Figur – Warum auch?) deutet an, dass er viel Pech hatte, bedingt durch das Verhalten anderer. Einmal vergleicht er Möwen mit Menschen: Die Möwen fliegen tief, damit sie sich die besten Happen schnappen können bevor es andere tun. Und wer zu hoch fliegt, der verhungert halt schnell … Eine treffende Analogie zum Verhalten der drei Geschäftspartner Martini, Micheli und Calvi, von denen einer gefräßiger ist als der andere, aber spannenderweise der mit den schlechtesten Nerven übrig bleibt.

Wie gesagt ist das Tempo zeitweise des Films etwas, sagen wir mal, verschleppt, gerade wenn Nathalie Delon ihre Runden dreht. Aber die dadurch entstandene Abwechslung ist dann auch wieder interessant, denn die Action ist gut und mitreißend inszeniert, und bietet einen guten Gegensatz zum Weltschmerz der Protagonisten. KILLER STERBEN EINSAM ist eben keine Dauer-Action-Berieselung mit quietschenden Reifen und Permanent-Geschieße, sondern letzten Endes eine traurige Geschichte über einsame Menschen, die mit dem Rücken zur Wand stehen und sich nur mit Gewalt wehren können. Es ist wie so oft eine Sache der Erwartungshaltung, was man mit diesem Film anfangen kann. Der im gleichen Jahr entstandene CONVOY BUSTERS, ebenfalls mit Maurizio Merli, fällt mir da als Vergleich ein. Hier wie da gut gemachte Action, aber eben auch dieses wehmütige Flair, das über allem und jedem hängt, und den Film irgendwie in ein mildes, in ein sanfteres Licht setzt.

KILLER STERBEN EINSAM bietet viel. Den tiiiiiiefen von Ausschnitt Dagmar Lassanders Kleid. Einen unbeschnäuzerten Maurizio Merli als harten Kerl mit weichem Kern. Franco Garofalo als herrlich widerlichen Auftragsmörder. Eine unauffällige, gut ins Ohr gehende und ihre Funktion ausgesprochen stark machende Filmmusik von Carlo und Paola Cristallini. Einen stringent erzählten und ohne Ausfallerscheinungen daherkommenden Thriller mit ein paar Herz-Schmerz-Momenten. Viele Straßenszenen eines sommerlichen Roms mit tollem Lokalkolorit. Ja was will man denn mehr? Action pur? Dann bitte einen der Belli-Kracher auswählen! KILLER STERBEN EINSAM hat einen anderen Anspruch als die klassischen Poliziotti, und ist, auch wenn er diesen Anspruch nicht immer erfüllen kann, trotzdem sehr wohl sehenswert.
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Maulwurf
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Sodom und Gomorrha (Joe D’Amato, 1995) 4/10

Sodom und Gomorrha.jpg
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Die zwei stupiden Gefängniswärter wollen die süße Blondine im Kerker noch schnell vergewaltigen, bevor die Revolution kommt und sie alle hinwegspült. Aber ein Aristokrat kommt in die Zelle, noch rechtzeitig, um die Unschuld der Holden zu retten. Und den beiden Trotteln darzulegen wie man einer Frau Vergnügen bereiten kann, sogar ohne sie anzufassen. Dazu erzählt er, wie er sich in seiner Jugend mit ein paar Freunden und einer Menge attraktiver Damen auf einem Schloss verlustierte. Ohne Tabus, ohne Hemmungen, und ohne Kleidung wurde dort den wildesten Ausschweifungen gefrönt, während die blonde Gefangene beim Zuhören ob all dieser Lust förmlich dahinschmilzt.

Das wäre so ungefähr der Text, den sich der DVD-Anbieter für die Inhaltsangabe vorstellt. Und was geschieht wirklich? Sehr schöne Damen und attraktive und gut gebaute Männer in oberschenkellangen Strümpfen und komischen Perücken haben unspektakulären Sex miteinander. Dieser ist dann auch eher einer der durchschnittlichen Art, und es gibt keine wirklichen Ausreißer die tatsächliche (erotische oder wenigstens sexuelle) Spannung erzeugen könnten. Wenn man mal von dem Riesenlümmel des Domestiken absieht und seiner Unfähigkeit, das Ding länger als ein paar Sekunden in der Dame zu halten, was aber auch mehr in die Richtung unfreiwilliger Komik geht …

SODOM UND GOMORRHA ist gekünstelter 08/15-Porno mit ein paar hübschen Bildern, sehr schönen Damen, ich erwähnte es bereits, und viel Leerlauf. Man wäre gerne dekadent und verdorben, ergibt sich aber doch nur dem Einerlei. Dazu kommt ein, in der deutschen Fassung extrem lauter, Neo-Klassik-Score der endlos durchloopt und irgendwann gehörig auf den Sack geht, mit den dazugehörigen Auf-den-Sack-geh-Konsequenzen selbstverständlich. Von D’Amato habe ich aus dieser Zeit schon erheblich besseres gesehen, und generell fehlt mir hier einfach das Kratzige, das Widerborstige, aber auch das Lockende. Weder sind die Spielchen der Damen und Herren in irgendeiner Art „dekadent“, noch ist es die Stimmung. Eine Art Upper Floor im Zeitalter des Barock, aber ohne dessen Grenzüberschreitungen. Das Gepoppe langweilt sich durch runde 95 Minuten durch und gefällt zwar mit schönem Ambiente, aber die Fick-Routine, die hier an den Tag gelegt wird, und die selbst die meisten Damen eher lethargisch bleiben lässt, die ist schon ein böser Stimmungskiller. Nein, Onkel Joe, das geht auch besser …
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Maulwurf
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The red headed corpse (Renzo Russo, 1972) 6/10

Irgendwo in den Tiefen des Internets begraben.jpg
Irgendwo in den Tiefen des Internets begraben.jpg (7.4 KiB) 20 mal betrachtet

An diesem Film ist vieles mysteriös. Fast alles! Die Handlung, um nur ein Beispiel zu nennen: Der auf den Hund gekommene Maler John versucht, in Istanbul seine Bilder an Galeristen zu verkaufen, die ihm das wenige Geld, das er für seinen Whiskykonsum benötigt, bar auf die Hand geben. Ein schwieriger Mensch, aber ein großartiger Künstler, wie es einer der Käufer einmal ausdrückt. Eines Tages wird John von einer rothaarigen Hure angesprochen, die mysteriöserweise Hemmungen hat sich nackt zu zeigen. Sie möchte für ihn Modell stehen, was zu einer mysteriösen Rückblende führt, in der John ein stummes Mädchen, das er offensichtlich sehr liebt, verpflegt liebt malt. Aber ach, er gibt ihr die falsche Kleidung zum Anziehen. Diejenigen Fummel, die ein anderes Modell einmal trug, in welches er ebenfalls verliebt war. Eine rothaarige Nymphomanin, die es mit absolut allen Männern trieb, die ihr gerade über den Weg liefen. Und die John heftige Vorhaltungen machte, wenn er ihr von seiner Knete nichts kaufte. Schmuck, Kleidung, Stiefel, solche Dinge. Die rothaarige Nymphomanin(?) blättert in der „Neuen Welt“ und schwärmt von den Wunderdingen der Novemberausgabe 1971, während John neben ihr sitzt und in Alkohol, Trübsal und Eifersucht versinkt. John beschattet die Nymphomanin, und sein Zorn wächst immer mehr. Auf den Jäger. Auf den Galeristen. Auf den Studenten. Alle dürfen mal ran, aber ihn hat die Rothaarige in der Hand, denn die Bilder von ihr bringen ein Vielfaches Geld seiner anderen Bilder. Johns Geist vernebelt sich zusehends, und er kann, genauso wie der Zuschauer zu diesem Zeitpunkt, Wirklichkeit und Schein nicht mehr so recht auseinanderhalten.

Auch die Zeitebenen verwischen immer mehr zugunsten ungelöster Fragen. Wo ist die Stumme? Was ist mit der schüchternen Hure passiert? Wieso begräbt John eine Schaufensterpuppe? Wie viele ineinander geschachtelte Rückblenden kann ein Zuschauer auseinanderhalten, bevor er den Pinsel abgibt und sich den wohlgefälligen Bildern, dem schmeichlerischen Soundtrack und dem giftigen Charme Erika Blancs hingibt? Ohne weitere Fragen zu stellen, wohlgemerkt …

Nein, mit Logik hat es THE RED HEADED CORPSE nicht wirklich. Genauso wenig wie mit einer stringenten Handlung oder nachvollziehbaren Aktionen. Aber dafür hat man das Vergnügen, einer Erika Blanc in Hochform zuzuschauen, wie sie die halbe Männerwelt Istanbuls verrückt macht, und den Zuschauer mit ihrem ständig angedeuteten Ausziehen gleich mit. Mann darf einen Film bestaunen, der fürmal nicht von J&B sondern von der Zigarettenmarke Peer gesponsort wurde. Die schönen Bilder aus dem damaligen Istanbul verzücken und sorgen auf ihre Art für eine fast somnambule Stimmung, und es ist dem Regisseur Renzo Russo dabei hochanzurechnen, dass er auf die üblichen touristisch interessanten Aufnahmen komplett verzichtet, und dafür lieber tief in das Alltagsleben der Metropole eintaucht. Weiter gibt es eine sehr hübsche Ganzkörperansicht desjenigen Models, welches für das Plakat des Films DIE ROTE DAME aus dem gleichen Jahr ihr Gesicht hergab. Es hat Erika Blanc (erwähnte ich schon, wie aufregend sie hier aussieht?). Und last but not least Farley Granger, der gestrauchelte Starschauspieler, der es hier tatsächlich schafft, völlig überzogen und dabei gleichzeitig realistisch zu wirken.

Nein, mit herkömmlichen Begrifflichkeiten kann man THE RED HEADED CORPSE nicht zu Leibe rücken, dafür ist dieser Film zu mysteriös. Aber als Wunderhorn obskurer Merkwürdigkeiten, als Galavorstellung Erika Blancs und als drolliges Schmuckstück aus der hinteren Reihe der unentdeckten Gialli, da taugt der Film auf jeden Fall. Nichts für Giallo-Anfänger, aber für erfahrene Giallo-Fans mit Erfahrung und gewaltigem Bock auf die Erika eine ziemliche Empfehlung. Tipp: Das Gehirn vor der Sichtung nach Möglichkeit irgendwo ablegen, vielleicht zum Trocknen über eine Staffelei hängen, damit das Mysteriöse besser genossen werden kann …
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Das Wirtshaus von Dartmoor (Rudolf Zehetgruber, 1964) 8/10

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Nebel wabert über dem Moor. Ein Käuzchen schreit. Obskur-schrille Musik, die verdächtig nach Peter Thomas klingt, umfasst den Gang eines Mannes. Er bleibt stehen. Dreht sich um. Die Polizei kommt immer näher. Es ist Zeit, sich zu beeilen. Der Mann geht weiter, direkt zu dem Gerippe eines toten Baumes. Er betätigt einen verborgenen Hebel, und aus dem Sumpf taucht ein Steg auf, der ihn über das gefährliche Gelände und in Sicherheit bringt vor dem Zugriff der nahenden Polizei, und direkt unter den unheimlichen Mauern des Wirtshauses von Dartmoor. Ein mysteriöser Fall für Inspektor Cromwell von Scotland Yard, der so ganz nebenbei eine schöne Freundin findet, seinen Vorgesetzten Sir James zufriedenstellt, und auch sonst beweist, dass er ein patenter Kerl ist, den die Zuschauer damals wie heute so richtig ins Herz schließen konnten.

Alles klar, wir sprechen hier von einem Edgar Wallace-Krimi. Die einen lieben diese Serie, die anderen fürchten sie, und beide Male sind die Gründe die gleichen. Die Schauspieler, die Handlungsbausteine, der Zeitgeist …
Neben der Constantin, der Produktionsfirma der großen Wallace-Klassiker, gab es zu dieser Zeit auch noch ein paar andere Produktionsfirmen, die alle auf den Erfolgszug aufspringen wollten, unter anderem die Arca-Winston Films aus Göttingen, die es mit DAS WIRTSHAUS VON DARTMOOR tatsächlich schaffte, generell gesehen einen der besten Filme der Serie zu schaffen.

Aus dem Gefängnis von Dartmoor sind in den letzten drei Jahren zwölf gefährliche Verbrecher entkommen, und von keinem von ihnen wurde jemals eine Spur gefunden. Inspektor Cromwell von Scotland Yard hat eine Ahnung warum, und seine Spürnase führt ihn in das Wirtshaus, gleich beim Gefängnis schräg gegenüber, und nur durch ein paar wenige Meilen Moor und Sumpf voneinander getrennt. Dort trifft er einen Mann namens Smith, der aus Australien stammt und hier einen Besuch macht. Im Moor. In dieser Kaschemme. Mit dem Gesicht von Heinz Drache. Schnell stellt sich heraus, dass Smith gar nicht Smith heißt, sondern Anthony Nash, und der letzte geflohene Sträfling früher mal sein Freund war, dieser aber ein Verbrechen beging und die Schuld auf Nash lenkte. Nash ist jetzt hier um diesen Mann zu finden. Und um sich zu rächen.

Was macht DAS WIRTSHAUS VON DARTMOOR zu etwas Besonderem? Was unterscheidet ihn von den Erfolgsreißern der Constantin? Klar die oben erwähnten Bausteine sind alle da, werden nach Plan aneinandergefügt und ergeben in Summe, wie vom Reißbrett, einen ordentlich inszenierten Krimi. Aber da ist noch mehr: Ingmar Zeisberg als Thekenkraft Evelyn, die mit ihren Reizen sehr freizügig umgeht, und in ihren Szenen eine herbe und umfassende Erotik verströmt. Obwohl sie die weibliche Hauptfigur ist (erzähl mir hier bitte keiner was von der blassen Judith Dornys!), ist sie doch offensichtlich nicht ganz stubenrein, scheinen ihr kriminelle Intrigen nicht fremd. Eine ungewöhnliche Frau in einer starken Rolle, die die meisten ihrer Kollegen auf die Plätze verweist. Oder Paul Klinger, der hier schon im letzten Drittel seiner langen Karriere stand, und dem grantigen und hartnäckigen Inspektor Cromwell viel Profil verleiht. Nicht die altväterliche Gutmütigkeit eines Siegfried Lowitz, nicht das junge Aufbegehren eines Joachim Fuchsberger, und auch nicht die überhebliche Art eines Heinz Drache. Klinger ist einfach … anders. Abgeklärter. Nüchterner. Richtig gut passend als Inspektor von Scotland Yard.
Dann ist da noch das relativ hohe Tempo des Films, das vom Drehbuch regelmäßig Handlungssprünge und vom Zuschauer ein gewisses Maß an Mitdenken erfordert. In sich ist zwar alles logisch, aber manchmal ging wohl der Schweinsgalopp mit dem Zehetgruber durch. Oder der Zehetgruber mit dem Schweinsgalopp, so genau weiß man das nicht. Das Setting im Moor scheint fast auf die, zu dieser Zeit recht erfolgreichen, Gruselfilme aus Italien zu verweisen: Der Sumpf wabert, Nebelschwaden ziehen über das Moor, und fast erwartet man, dass gleich eine schwarze Kutsche auftaucht mit einem finsteren Arturo Dominici an Bord. Oder einer kalt-verführerisch lächelnden Barbara Steele. Horrorstimmung pur, und wenn Heinz Drache am Ende durch den Sumpf flüchtet, das Gesicht verschmutzt, Panik im Blick, und vor ihm zwei unheimliche Lichter einen vermeintlichen Weg weisen, dann könnte das auch aus einem Horrorstreifen der Universal sein. Oder aus einem Italo-Western …

Die Nebendarsteller sind perfekt in ihren Rollen: Kai Fischer, die in jeder ihrer viel zu wenigen Szenen mehr Sex ausstrahlt als die meisten anderen Schauspielerinnen in den schwarzweißen Wallace-Krimis. Eine Frau, die damals schon alle Filmregeln sprengte, und in kein Klischee passen konnte und wollte. Ralf Wolter als komischer Sidekick, der bei weitem nicht so nervt wie Eddi Arendt sondern sehr zurückhaltend komediert und dabei tatsächlich erstklassig passt. Friedrich Joloff als gehbehinderter Kneipenwirt mit dem Tod in den Augen. Mady Rahl als seine neugierige Frau, und wir wissen, dass die Neugierde die Katze tötete. Friedrich Schoenfelder mag als Sir James vielleicht nicht so überzeugend wirken wie Siegfried Schürenberg als Sir John, dafür ist er ernster und ernstzunehmender. Und hat durch seine Stimme bei mir persönlich sowieso einen ganz hohen Bonus. Wolfgang Völz schaut als kluger Kleinkriminaler am Ende auch einmal kurz vorbei, Dieter Eppler ist wie so oft der obskure Spießer mit dem Hang zum Bösewicht (oder umgekehrt, auch hier weiß man das nicht so genau), und Stanislav Ledinek ist Epplers abgefuckte Version. Es passt einfach alles perfekt zusammen, und dass die Figuren sich manchmal anders orientieren, Entscheidungen treffen die man ihnen nicht zutraut, und diese die Handlung in eine ungeahnte Richtung drehen, das ist dann noch das Sahnehäubchen.

DAS WIRTSHAUS VON DARTMOOR mag mit den Klassikern DER HEXER oder DIE TOTEN AUGEN VON LONDON vielleicht nicht ganz mithalten, aber er steht auf jeden Fall in vorderster Reihe der deutschen 60er-Krimis und macht mächtig Laune.
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