Forentreffen 2017 - Deliria över München:
Das Schloss der blauen Vögel
Der Auftakt des diesjährigen Forentreffen im Münchner Werkstattkino stand nur vermeintlich im Zeichen der Tierwelt und führte uns nach einer fachkundigen Einführung unserer werten Bremer Jungs in ein etwas seltsames Sanatorium, in dem sich Wahnsinn, Mord, Cricket-Spiel und Nymphomanie die Klinke in die Hand geben. Dabei konnte Fernando Di Leos Streifen bei mir nicht so wirklich punkten und die sehr minimale Krimihandlung dient ja nur als loser Aufhänger um den Zuschauer jede Menge Fummelszenen vor die Linse zu knallen: Mädchen mit Junge, Mädchen mit Mädchen, Junge mit „Eiserner Jungfrau“ – jede nur erdenkliche Kombination ist im „Schloss der blauen Vögel“ denkbar und so ist es auch wenig verwunderlich, dass man sich rasch wahlweise sabbernd oder delirierend im Kinosaal wiederfindet. Irgendwie war ich dennoch nicht so wirklich begeistert und auf eine gute Szene kommen mindestens zwei bis drei schlechte und jede Menge Füllmaterial und abseits von hübschen Mädels in diversen Posen, bietet das alles auch nur wenig Substanz und ist als Giallo eigentlich auch gänzlich unbrauchbar. Vereinzelt war im Kino und in geselliger Runde auch für Heiterkeit gesorgt, wenn z.B. nach „der Musik der Heimat“ getanzt wird und am Ende noch rasch die Polizei auf dilettantische Weise auf Ermittlung geht - insgesamt konnte mich das Werk bei der Erstsichtung nicht so wirklich überzeugen und bei aller Liebe zu Sleaze und Handschuhmördern fand ich das alles bestenfalls unterdurchschnittlich bis völlig lahm. Mir wurde aber mehrfach und glaubhaft versichert, dass „Das Schloss der blauen Vögel“ bzw. der „Schnarcher“ durchaus das Potential eines „Schläfers“ hat und der Film auch mit jeder Sichtung wachsen und an Größe gewinnen soll. Das bleibt zwar noch zu beweisen und das Werk wurde danach auch durchaus kontrovers diskutiert, aber selbst eine Giallo-Graupe ist immer noch ein Giallo und auf großer Leinwand und in netter Runde ein dennoch sehr schönes und einmaliges Erlebnis, dass man auch auf keinen Fall missen möchte.
Sado - Stoss das Tor zur Hölle auf
Als Zweitfilm am Freitag stand ja ein erklärter Lieblingsfilm von mir am Programm, auf dessen Sichtung ich mich ja schon sehr gefreut habe und der nach „Das Schloss der blauen Vögel“ das durch Sauerstoff-Entzug etwas gebeutelte Publikum mit einem Paukenschlag aus der Schläfrigkeit und Lethargie zurück in die Welt der sexuellen Abgründe holte. Nach einer informativen, eloquenten und mindestens genauso unterhaltsamen Einführung inklusive Wiedersehen mit dem legendären Wienerwald-Kohlrabi unseres werten Christophs und Verweise auf klassische Schauergeschichten-Literatur ging es auch los mit dem Titel, der im Vorfeld ja auch rechtlichen Gründen nicht genannt werden sollte und auch als „Überraschungsfilm“ am Flyer angekündigt wurde. Die Liebesgeschichte in den (Süd-)Tiroler Alpen bzw. im Umfeld des jugendlichen Tier-Präparators, dies sich im inhaltlichen Verlauf etwas einseitig gestaltet, ist sich ja für keine Geschmacklosigkeit zu schaden und jeder der diesen Film gesehen hat, wird ihn wohl nicht mehr so schnell vergessen. Egal ob Leichen-Präparation, Maniküre, Säurebad oder Gulasch – hier dreht sich bei Bedarf nicht nur der Magen, sondern er rotiert und so ist es auch wenig verwunderlich, dass fast jeder der Anwesenden so seine ganz eigene Anekdote zu diesem Streifen zu erzählen hatte. Regisseur Joe D’Amato – dass muss man neidlos anerkennen – hat hier auch einen ungemein effektiven, stimmigen und kurzweiligen Italo-Klassiker geschaffen, der sich auf großer Leinwand als das erwartete Highlight entpuppte und die Gemüter der Anwesenden teils so erregte, dass sich diese erst wieder bei einem anschließenden Kofferraumbier beruhigen ließen.
Aus gegebenem Anlass habe ich daher auch wieder den alten Foto-Roman ausgegraben – viel Spaß!
Neun Leichen hat die Woche
Der Handelsvertreter Dante fährt mit seiner Klapperkiste von Adelshaus zu Adelshaus um Bücher zu verkaufen, in denen die Legenden und Geschichten aristokratischer Familien aus Italien zusammengefasst wurden. Als er eines Abends an der Tür eines verarmten Adelshauses läutet, platzt er mitten die Begräbnisvorbereitungen des kürzlich verstorbenen Schlossherrn und wird im Kreise der etwas seltsam wirkenden Familie von der hübschen Ilaria dazu genötigt doch ein paar Tage im Schloss zu verbleiben. Doch schon am nächsten Tag beginnt eine unheimliche Mordserie, die mit einer Prophezeiung aus dem Buch des Vertreters übereinstimmt, die von neun Leichen, einer unerwarteten Auferstehung und einem Schatz erzählt und die sich auf drastische Weise zu bewahrheiten scheint. Obwohl alle Familienmitglieder und natürlich auch Dante hochgradig alarmiert sind, geschehen weitere Morde auch ein eilig herbeigerufener und im Grunde völlig unfähiger Privatdetektiv sorgt für weitere Verwirrung, die sich der unbekannte Mörder ebenfalls zu Nutze macht…
Mit „Neun Leichen hat die Woche“ stand am zweiten Tag des Foren-Treffen 2017 ein Streifen am Programm, den die wenigstens - inklusive meiner Wenigkeit - bislang gesehen hatten und der abseits von der deutschen Kinorolle wohl bislang auch nur auf einer italienisch-sprachigen DVD existiert. Der von unserem werten Udo kompetent und unterhaltsam als Giallo-Komödie mit Teufel, Jazz und Hakennase angekündigte Streifen entpuppte sich auch als sehr passables Werk, das vor allem zu Beginn durch bissige Dialoge und einer politisch unkorrekten Situationskomik glänzt. Allseits beliebte Klischees und Konventionen des italienischen Genre-Kinos werden augenzwinkernd auf den Kopf gestellt, die Figuren gnadenlos überzeichnet um sich dann im Endergebnis ebenfalls und mit Karacho zwischen alle Stühle zu setzen. Leider hält „Neun Leichen hat die Woche“ das hohe Tempo des Beginns aber nicht allzu lange durch und auch der sympathische Hauptdarsteller wird nach der Hälfte von dem inkompetenten und etwas nervigen Figur des Schnüfflers zunehmend aus der Handlung gedrängt, die sich ab einen gewissen Zeitpunkt dann auch als etwas zu klamaukig entwickelt. Dennoch macht der turbulente und überdrehte Streifen durchaus Laune und sorgte für allgemeine Heiterkeit und zahlreiche Lacher im Publikum, während auch der Bodycount und eine wohlige Giallo-Atmosphäre ebenfalls nicht zu kurz kommen. Das Ende war in der Form dann zwar ebenfalls zu erwarten, aber insgesamt betrachtet war „Neun Leichen hat die Woche“ ein Streifen, der Spaß macht, den meisten Anwesenden recht gut zu gefallen schien und den ich liebend gern in die Sammlung stellen würde. Pupi Avati kennt man ja sonst eher von seinen ernsthafteren Filmen wie „Zeder“ und „Das Haus der lachenden Fenster“ aber das er auch durchaus ein Händchen für Komödien hat, hat er an diesem altweiberlichen Spätsommer-Oktober-Samstagnachmittag in München ebenfalls sehr spaßig und unterhaltsam unter Beweis gestellt.
Ermittlungen gegen einen über jeden Verdacht erhabenen Bürger
Als cineastischer Abschluss des diesjährigen Foren-Treffens im wunderbaren Werkstattkino stand dieses Jahr ein Streifen am Programm, der inhaltlich kaum mit den bisher gezeigten Werken von Mattei, D’Amato und Konsorten vergleichbar ist und neben einer Auszeichnung in Cannes im Jahr 1971 sogar den Oscar für den besten ausländischen Film nach Italien holte. Eigentlich starker Tobak für das Schmuddel-erprobte Publikum und doch zählt der Streifen mit dem kompakten Titeln zu den Lieblings-Titeln der zahlreich anwesenden Delirianer, der trotz Anspruch und Überlänge wie erwartet auch beim Rest für Begeisterung sorgte. Der als „One-Man-Show“ mit Gian Maria Volonté von Elio Petri inszenierte und bittere Polit-Thriller aus dem Jahr 1970 mit seinen satirischen Einschlag ist eine eigentlich erschreckend real gezeichnete Psychostudie über Macht und Korrumpierung bzw. einen Mord aus niederen Beweggründen, in der ein hochrangiger Inspektor des Morddezernats hochgradig manipulativ zu Werke geht um so viele Verdachtsmomente wie nur möglich auf sich zu lenken, die jedoch aufgrund der gesellschaftlichen Stellung nie so wirklich weiter verfolgt werden. Nach einer knackigen und informativen Einleitung von Schnellsprecher Lars zog der Streifen nicht nur aufgrund der wunderbaren Kinokopie alle Anwesenden in seinen Bann und Herr Volonté rockt in diesem dialog-lastigen und unterschiedlichen Zeitebenen wunderbar inszenierten Thriller auch so derart Hütte, dass man als Zuschauer kaum zum Durchatmen kommt. Eine zweistündige Achterbahnfahrt aus patriarchalischen Machtstrukturen, Manipulation und selbstherrlicher Überlegenheit eines Einzelnen, die auch 47 Jahre nach Erscheinen kaum etwas von seiner Brisanz eingebüßt hat und sich auch als absolut würdiger Schlusspunkt eines tollen Wochenendes mit wunderbaren Menschen in München präsentierte, dass sich an diesem Wochenende nicht nur Wetter-technisch ebenfalls von seiner besten Seite zeigte.