
Lohn der Angst
Abt. Himmelfahrtskommando
„Die Entfernungen sind zu groß. Daran gehen wir hier alle kaputt.“
Die erste Regiearbeit des Franzosen Henri-Georges Clouzot („Unter falschem Verdacht“) der 1950er-Dekade ist die in französisch-italienischer Koproduktion entstandene Verfilmung des Romans „Lohn der Angst“ aus der Feder Georges Arnauds. Das Drehbuch dieser Melange aus Drama, Thriller und Roadmovie verfasste Clouzot zusammen mit Jérôme Géronimi. Der Film kam 1953 in die Kinos.
„Unter diesen Bedingungen bleibt einem Fahrer nicht mal die Chance 50:50!“
Wer im venezuelischen Örtchen Las Piedras – einer Tristesse, dem sprichwörtlichen Arsch der Welt gleich – gestrandet ist, hat kaum eine Chance, wieder fortzukommen. Ausländische Hilfsarbeiter, die sich mehr schlecht als recht durchschlagen, treffen kaum auf Einheimische. Kaum jemand hat Geld, man lungert herum und zählt die Stunden. Die US-Ölgesellschaft Southern Oil Company ist dort ansässig, hat aber keine lukrativen Jobs für alle. Als jedoch eine 500 Kilometer entfernte Ölquelle in Flammen steht, schreibt sie eine Prämie für diejenigen aus, denen es gelingt, per Lkw eine große Ladung Nitroglycerin dorthin zu steuern, damit das Feuer durch die Druckwelle der Explosion gelöscht werden kann – ein Himmelfahrtskommando, denn die Stecke führt über bergige Straßen mit zahlreichen Unebenheiten, Schlaglöchern und anderen Herausforderungen. Und bei der geringsten Erschütterung droht die Ladung hochzugehen. Doch die Gesellschaft weiß, dass viele Bewohner Las Piedras‘ nichts zu verlieren haben. Tatsächlich melden sich zahlreiche Männer für diesen Job, aus denen zwei Zweiterteams ausgewählt werden: der Franzose Jo (Charles Vanel, „Die Teuflischen“) und der jüngere Korse Mario (Yves Montand, „Der unsichtbare Aufstand“) im einen, der Deutsche Bimba (Peter van Eyck, „Hallo, Fräulein!“) und der Italiener Luigi (Folco Lulli, „Andere Zeiten“) im anderen Lastwagen. Dies soll die Chance erhöhen, dass wenigstens eines der Fahrzeuge zum Ziel gelangt – doch die Prämie streichen nur diejenigen ein, die dort zuerst eintreffen.
„Hier gibt’s genug Gesindel! Die sind vogelfrei!“
Clouzot zeigt das Dorfleben Las Piedras‘ sehr ausführlich und wendet viel Zeit für die Exposition auf – zu viel. Die vier Fahrerfiguren bleiben dennoch eine diffuse Mischung aus Charakteren und Allgemeinplätzen, denn ihre Vergangenheit, ihre persönliche Geschichte, wird kaum behandelt. Erst nach knapp 40 Minuten kommt es zur Planung des Auftrags, doch was dann folgt, ist sicherlich einer der gehaltvollsten und im positiven Sinne perfidesten Beiträge zum Spannungskino der 1950er. Trotz inhaltlicher Versatzstücke aus dem Abenteuer- und Actionkino verfällt Clouzot nie in Versuchung, die Spannung seines Films in regelmäßigen kurzen Eruptionen zu entladen. Stattdessen wird die Fahrt durch unwegsames Gelände und über morsche Brücken „genüsslich“ (man muss hier in diesem Kontext in Anführungsstriche setzen) ausgekostet und die Spannungsschraube immer weiter, Stück um Stück, angezogen, während das Publikum nägelkauend darauf wartet, das sie überdreht. Entschleunigung statt Tempo, Rasanz oder Bombast. Und wie böse Entschleunigung ohne Entspannung sein kann, beweist „Lohn der Angst“ eindrucksvoll.
„Die Angst überfällt einen wie die Pocken! Und wer sie bekommt, behält sie fürs Leben!“
Die Extremsituation, in der sich die Fahrer befinden, führt naturgemäß zu Gefühlsausbrüchen und Konflikten, die das Salz in der Suppe sind. Kollegialität versus Konkurrenz, menschliche Werte müssen mit egoistischen Motiven verhandelt werden, Todesangst mit Hoffnung, Fatalismus mit Überlebenswillen. All das findet in einer schwülen Atmosphäre statt, in der Angst- und Hitzeschweiß ineinanderfließen. Clouzots Schwarzweißbilder sind mehr als nur funktional, fokussieren technische wie menschliche Details, machen aus idyllischen Landschaften bedrohliche Todesfallen und aus ihrem Voyeurismus gegenüber dem kreuzgefährlichen Abenteuer der vier Antihelden keinen Hehl. Vandel und dem jungen Montand zuzuschauen, ist ein schauspielerischer Genuss. Die Stimmung erinnert mitunter an Antikriegsfilme oder erst später entstandene, grimmige Italo-Western. Der bittere Nihilismus des Films findet seinen finalen Ausdruck in einem in mehrerer Hinsicht erschütternden Ende.
„Seit wir unterwegs sind, bin ich schon mindestens 50-mal krepiert!“
Zweifelsohne ist „Lohn der Angst“ einer jener ernsten französischen Filme der 1950er Jahre, die man gesehen haben sollte – auch oder gerade dann, wenn man ansonsten mit dem französischen Kino vielleicht nicht allzu viel anfangen kann. Anschließend lohnt es sich durchaus, tiefer in Clouzots Œuvre einzutauchen. Regie-Genius William Friedkins in der zweiten Hälfte der 1970er als „Atemlos vor Angst“ entstandene Neuverfilmung des Stoffs ist etwas anders, steht Clouzots Klassiker qualitativ aber in nichts nach.