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Re: Friedhof ohne Kreuze - das Jess Rollin-Tribute-Filmtagebuch

Verfasst: Di 6. Sep 2016, 19:24
von jogiwan
Warnung vor einer heiligen Hure

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In der Hotel-Lobby eines spanischen Ferienhotels warten einige Mitglieder einer Film-Crew auf die Ankunft des Hauptdarstellers und ihrem Regisseur Jeff. Als dieser eintrifft fehlt jedoch noch immer das im Vorfeld versprochene Geld und Filmmaterial und der ohnehin etwas cholerische Jeff, der auch mitten in einer persönlichen Schaffenskrise steckt, beginnt seine Zorn auf die Mitglieder seines Teams zu projizieren. Doch der Dreh geht weiter und während sich das Team untereinander vergnügt, betrinkt und persönliche Befindlichkeiten untereinander eher gelangweilt zur Kenntnis nimmt, beginnt auch der Film trotz etlicher Rückschläge langsam Formen anzunehmen…

„Warnung vor einer heiligen Nutte“ ist ein Film, der in der Karriere Fassbinders einen Wendepunkt darstellt, seine bisherigen Erfahrungen beim Filmemachen auf künstlerische Weise reflektiert und anscheinend auch die letzte Zusammenarbeitet mit den Mitgliedern des „Antitheaters“ als produzierendes Kollektiv darstellt. Dabei spielen sich die Mitglieder auf überzeichnete Weise in vertauschten Rollen sich selbst und vor dem Auge des Zuschauers präsentieren sich episodenhafte Ereignisse eines Filmdrehs unter eher unglücklichen Umständen, dass zuerst Momentaufnahmen einer bunt zusammengewürfelten Truppe zeigen und später scheinbar willkürlich bei seinen Erzählungen in der Zeit herumspringt. Dabei hat der Streifen scheinbar keinen Bezug zum Titel und ist auch eine etwas anstrengende Sache, das den Zuschauer ohne Kenntnis der näheren Umstände wohl auch eher ratlos zurücklässt. Fassbinder selbst wollte mit dem Streifen wohl auch das Scheitern einer ambitionierten Gruppe von Individuen mit all ihren Neurosen, Sehnsüchte, Abneigungen, Suche nach Aufmerksamkeit und künstlerischen Anspruch dokumentieren, dass seinerzeit aufgrund persönlicher Differenzen und anderen Dingen auseinander brach. Unterm Strich ein spezieller, aber auch sehr persönlicher Film, der wohl aber auch die Kenntnisse einiger seiner Werke voraussetzt. Wenn Arkschi den Streifen seinerzeit als Einstieg in den Fassbinder-Kosmos gewählt hat, Hut ab, dass er selbigen nicht gleich wieder draufgeschmissen hat…

Re: Friedhof ohne Kreuze - das Jess Rollin-Tribute-Filmtagebuch

Verfasst: Mi 7. Sep 2016, 19:43
von jogiwan
Händler der vier Jahreszeiten

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Hans Epp war bereits bei der Polizei und bei der Fremdenlegion und kehrt nach vielen Jahren im Ausland wieder nach München zurück, wo er es seiner lieblosen Mutter niemals recht machen konnte. Nun ist er in einer Zweckehe mit der biederen Irmgard, lebt mit ihr und seinem Kind in einer bescheidenen Wohnung und schiebt seinen alten Karren in die Münchner Hinterhöfe um dort frisches Obst zu verkaufen. Unzufrieden mit seinem Leben säuft und schlägt er seine Frau und als sich diese von ihm scheiden lassen möchte, erleidet er einen Herzinfarkt, den er nur knapp überlebt. Als er daraufhin keine schweren Arbeiten mehr verrichten darf und Alkohol meiden soll, wird Hans ruhiger und gemeinsam mit Irmgard beginnen die Geschäfte besser zu laufen, dass diese sogar ein klein wenig expandieren können. Doch der Zeit seines Lebens unverstandene Hans fühlt sich zunehmend nutzlos, kommt mit der Kälte und Lieblosigkeit seiner Umgebung nicht mehr klar und verfällt zunehmend in Depressionen.

„Händler der vier Jahreszeiten“ ist der erste Spielfilm Fassbinders, der nicht mehr in Zusammenarbeit mit dem Antitheater entstand und der Auftakt seiner zahlreichen Dramen über Liebe und Tod und Menschen in Ausnahmesituationen. In diesem Fall ein einfacher Obsthändler, der Zeit seines Lebens mit Unverständnis und Ablehnung zurechtkommen musste und als sogenanntes schwarzes Schaf der Familie ein monotones Leben zwischen Zweckehe, Arbeit und Wirtshaus führt. Als ihm durch Expansion, Gesundheitszustand und andere Umstände auch noch der Spaß an der Arbeit genommen wird, verfällt dieser jedoch vor den Augen seiner Umgebung zunehmend in Depressionen und säuft sich schließlich bewusst zu Tode. Dabei handelt der interessante Streifen von unerfüllten Sehnsüchten und einem Menschen, der von seiner Umgebung zu Dingen gedrängt wird, die er selbst eigentlich nie selber wollte. Der nüchtern und einfach erzählte „Händler der vier Jahreszeiten“ zeugt dabei von feiner Beobachtung und hält den Zuschauer trotzdem irgendwie auf Distanz. Gleichzeitig verzichtet „Händler der vier Jahreszeiten“ auch auf dramaturgische Mätzchen oder falsche Sentimentalitäten und zeichnet so auch das realistische Bild eines Mannes, der an seiner teilnahmslosen bis feindseligen Umgebung scheitert und in dem sich ein Großteil seines Publikums dennoch in der ein- oder anderen Form selbst erkennen kann.

Re: Friedhof ohne Kreuze - das Jess Rollin-Tribute-Filmtagebuch

Verfasst: Do 8. Sep 2016, 19:46
von jogiwan
Singles - Gemeinsam einsam

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Anfang der Neunziger leben in Seattle ein paar Mitzwanziger als Singles in einem Mietshaus und sind auf der Suche nach der perfekten Beziehung, während die Stadt gerade durch Grunge einen ungeahnten Boom erlebt und mit Bands wie Pearl Jam, Alice in Chains und Soundgarden in den Fokus der musikalischen Welt gerät. Zwischen Job, Coffee-Shop und abendlichen Besuch im Rock-Club sind diese auf unterschiedliche Weise damit beschäftigt nach dem jeweils perfekten Partner zu suchen und lassen sich auch von kleinen und größeren Rückschlägen nicht beirren.

„Singles“ gilt ja gemeinhin als DER „Grunge“-Film und ist auch eine stets grundsympathische Mischung aus Drama und Komödie über eine Handvoll Mitzwanziger, die in Seattle leben und auf der Suche nach dem perfekten Partner alle möglichen Höhen und Tiefen erleben. Dabei ist Cameron Crowe ein sehr warmherziger, schöner und unterhaltsamer Streifen mit viel Lokalkolorit gelungen, der irgendwo zwischen „Friends, „Sex and the City“ und Yuppie- und Slackerfilm angesiedelt ist und auch sehr viel über das damalige Lebensgefühl Anfang der Neunziger aussagt. Obwohl „Singles“ kein reiner Musikfilm ist, spielt diese aber im Leben der Musik-begeisterten Twens natürlich eine gewichtige Rolle und so gibt es neben Live-Auftritten von Alice in Chains und Soundgarden in den besuchten Clubs auch noch viel andere und damals schwer angesagte Grunge-Bands im Soundtrack zu hören. Die Mitglieder von Pearl Jams sind auch als Matt Dillons Band zu sehen und Chris Cornell hat wie Regisseur Tim Burton ebenfalls einen ironischen Gastauftritt. Alles in allem ist „Singles – Gemeinsam einsam“ ein liebenswerter Film über sympathische Menschen mit episodenhaften Handlungsverlauf und viel Musik, der als „Feelgood-Movie“ der Generation X statt Underground zwar etwas oberflächlich bleibt, aber wohlige und musikalische Erinnerungen an die Neunziger wieder aufleben lässt, ohne dabei in geringster Weise aufdringlich, altmodisch oder verklärt zu wirken. Nirvana fehlt halt irgendwie, aber ansonsten schon eine sehr schöne Sache, das!

Re: Friedhof ohne Kreuze - das Jess Rollin-Tribute-Filmtagebuch

Verfasst: Fr 9. Sep 2016, 19:38
von jogiwan
Ferien mit einer Leiche

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Die psychisch etwas angeschlagene Lene macht mit ihrem Freund Einar Urlaub auf einer kleinen, abgelegenen Insel, auf der auch ihr Jugendfreund Bjorn eine Hütte hat. Als Einar mit Bjorn über Nacht zum Angeln fährt und Lene allein lässt, steht auf einmal deren Ex Gaute mit Blumen und Konfekt als Überraschungsgast vor der Tür, der gerade von Frau und Kind sitzen gelassen wurde und Zuspruch und Alkohol benötigt. Am nächsten Tag liegt der Ex aber nackt und tot im Bett und Lene hat gerade noch Zeit, diesen zu verstecken, ehe ihr chronisch eifersüchtiger Freund vom Fischen zurückkommt. Wenig später lässt sich das tote Geheimnis aber nicht länger verbergen und aus Angst um ihre Zukunft beschließen die Beiden in Panik erst einmal die Leiche verschwinden zu lassen. Doch das entpuppt sich als wesentlich komplizierter als gedacht und wenig später kommen auch die ersten Bedenken, ob der Ex auch tatsächlich eines natürlichen Todes gestorben ist…

„Ferien mit einer Leiche“ ist nicht nur eine tiefschwarze Krimi-Dramödie aus norwegisch-schwedischer Produktion, sondern war auch die Vorlage für den US-Film „Kopf über Wasser“, der hierzulande wohl wesentlich bekannter sein dürfte. Ich kannte bis gestern keinen der beiden Streifen, aber „Hodet over vannet“ ist ein durchaus solider Streifen, der wirklich etwas an den danach entstandenen „Fargo“ der Coen-Brüder erinnert, sein kurioses Szenario mit einer Leiche auch bitterböse auskostet und nach einem etwas lahmen Start immer mehr an Fahrt gewinnt und in einem haarsträubend skurrilen Finale mündet. Spaßig fand ich den als Komödie angekündigten Thriller zwar nicht sonderlich, aber das Ende ist ja schon ein Kracher und die finale Pointe nach dem Abspann ist auch absolut herrlich. Allerdings hat der skandinavisch unterkühlte Streifen auch ein paar Längen und wirkt zu Beginn von den Handlungen der Protagonisten etwas unglaubwürdig, was sich im Verlauf des Streifens aber wieder relativiert. Insgesamt betrachtet schon eine unterhaltsame, unkonventionelle und gelungene Mischung aus Krimi-Drama und tiefschwarzer Groteske, der zwar entgegen der Ankündigungen am Cover keine großen Lacher provoziert, aber Fans von schwarzhumorigen Thrillern mit Euro-Anstrich dennoch gut munden dürfte.

Re: Friedhof ohne Kreuze - das Jess Rollin-Tribute-Filmtagebuch

Verfasst: Sa 10. Sep 2016, 19:56
von jogiwan
Mulholland Drive - Straße der Finsternis

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„Mulholland Drive“ ist ja erst vor kurzen in einer BBC-Umfrage von renommierten Filmkritikern zum besten Film des 21. Jahrhunderts gewählt worden und daher war es auch wieder einmal Zeit diesen unkonventionell erzählten Film aus dem Jahr 2001 zu sichten. Den Versuch einer Interpretation unterlasse ich ja lieber an dieser Stelle, aber auch wenn der Streifen wie ein cineastisches Rätsel den Zuschauer bewusst ratlos zurücklässt, kann man sich der Wirkung dieses Filmes doch kaum entziehen. Wie die titelgebende Straße schlängelt sich der Film kurvenreich dahin, bis man das ursprünglichen Start nur noch schemenhaft aus Ferne sieht und am Ende auch kein Navi der Welt mehr helfen kann, weil man sich nicht sicher sein kann, was überhaupt das Ziel dieser Reise sein soll. Lynch taucht tief ein in eine Welt aus (Alp-)Träumen, Wünschen und unterbewussten Ängsten, Liebe und Eifersucht ein und präsentiert das alles in einer Art Psychothriller mit Mystery-Einschlag, der mit seinen sympathischen bis exzentrischen Figuren und seltsamen Ereignissen wie im Flug vergeht und in der letzten halben Stunde dann völlig abdriftet ohne sperrig oder abgehoben zu wirken. Dabei ist „Mulholland Drive“ mit seinen Zutaten ein selbstreferenzielles Werk, trägt unverkennbar die Handschrift des Regisseurs und ist für Fans ein großes Vergnügen, die ja eigentlich auch darauf warten, dass Lynch ihnen wieder einmal genüsslich den Boden unter ihren Füssen wegzieht.

Re: Friedhof ohne Kreuze - das Jess Rollin-Tribute-Filmtagebuch

Verfasst: So 11. Sep 2016, 19:46
von jogiwan
Hoffnung auf Eis

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Dr. Miller betreibt vordergründig ein Institut für Cyogenic, in dem Menschen eingefroren werden um diese zu einem späteren Zeitpunkt wieder aufzutauen, wenn die Medizin soweit Fortschritte gemacht hat, dass eine weitere Behandlung möglich ist. In Wirklichkeit betreibt er aber einen schwunghaften Handel mit Organen und kümmert sich nicht um die Befindlichkeiten seiner wohlhabenden Kunden. Als eines Halloween ein Sturm über die Stadt aufzieht und der Blitz in zahlreiche Container mit Eingefroren einschlägt, erwachen diese zum Leben und machen sich hinter den zahlreichen Lebenden her, die sich aus unterschiedlichen Gründen an diesem Abend in der wissenschaftlichen Einrichtung eingefunden haben…

„Hoffnung auf Eis“ ist leider ein in allen Belangen unterdurchschnittlicher und lahmer Zombiestreifen aus den Untiefen der Achtziger, der sich recht unverhohlen an Wes Cravens „Chiller – Kalt wie Eis“ und „Return of the Living Dead“ orientiert. Dabei ist „The Chilling“ teils so schludrig und mit so vielen Anschluss- und Logikfehlern inszeniert, dass man meinen möchte, hier waren absolute Laien am Werk und so etwas sie Spannung oder Atmosphäre kommt in dem Werk der Güteklasse-C auch zu keiner Sekunde auf. Auch die Darsteller scheinen ja am Dreh keine rechte Freude gehabt zu haben und Parade-Pausbäckchen Linda Blair und „Der Mann aus den Bergen“ Dan Haggerty laufen lustlos durch die medizinische Einrichtung, die wahlweise wie eine Lagerhalle, oder Industriehalle aussieht. Alles in allem ein Horrorfilm, der zwar ein paar Härten aufzuweisen hat, aber so etwas wie Charme gänzlich vermissen lässt und selbst hartgesottenen Trashfans mit seiner durchgängigen Unentschlossenheit kaum begeistern dürfte und keine Chance auslässt, seine Potential zu verschenken.

Incident on and off a mountain road

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Die hübsche Ellen hat sich gerade von ihrem Gatten getrennt, da dieser immer mehr an paranoidem Verfolgungswahn zu leiden schien und statt ehelicher Zärtlichkeit zunehmend militärischer Drill für einen vermeintlichen Ernstfall am Programm stand. Wenig später kracht sie mitten in der Nacht in einer entlegenen Bergstraße in ein stehendes Auto und sieht sich auf einmal einem entstellten Killer mit riesigem Messer gegenüber, der mit sadistischer Lust seine Opfer zu Tode quält und vor seinem Haus stapelt. Doch Ellen ist keine leichte Beute und obwohl sie körperlich unterlegen ist, will sie in dieser Situation nicht so einfach aufgeben und beschließt mit dem im Vorfeld erlernten Wissen über Selbstverteidigung und psychologischer Kriegsführung es dem mysteriösen Killer so schwer wie nur möglich zu machen…

Mit „Incident on and off a Mountain Road“ hat Don „Das Böse“ Coscarelli einen soliden Auftakt zu der Serie „Masters of Horror“ abgeliefert, der sich auch nicht lange mit Nebensächlichkeiten aufhält und den Kampf einen jungen Frau gegen einen mysteriösen Killer präsentiert. Dabei ist die Episode überraschend hart ausgefallen und angesichts der Zeigefreudigkeit ist es fast schon verwundert, dass diese Folge unangetastet erschienen ist. Die knapp fünfzig Minuten sind jedenfalls recht knackig inszeniert und in Rückblenden wird nicht nur das Scheitern einer Beziehung, sondern auch das Wissen um Selbstverteidigung und Überlebenswillen präsentiert, dass der jungen Frau in dieser Extremsituation natürlich zu Gute kommt. Zwar bleibt die Motivation des mit „Moonface“ betitelten Killers größtenteils im Dunkeln, aber das stört in der kurzweiligen und brutalen Episode auch gar nicht und mit kleinen Überraschungen wird der Zuschauer zusätzlich bei Laune gehalten und als Gast gibt sich auch noch Angus „Tall Man“ Scrimm die Ehre. Rückblickend erscheint mir die ganze Serie auch wesentlich besser, als der ihr anhaftende Ruf und auch Don Coscarellis Beitrag lässt sich trotz hässlichem Cover sehr gut gucken und sollte Fans derartiger Werke keinesfalls enttäuschen.

Re: Friedhof ohne Kreuze - das Jess Rollin-Tribute-Filmtagebuch

Verfasst: Mo 12. Sep 2016, 19:54
von jogiwan
Kinetta

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In einem Hotelbunker aus den Siebzigern in dem griechischen Küstenort Kinetta lebt und arbeitet ein introvertiertes Zimmermädchen, das sich scheinbar mehr als nur aus beruflichen Gründen für ihre Gäste interessiert. Zwischen der täglichen Reinigungsroutine und dem Alleinsein im spartanisch eingerichteten Zimmer ist in der Nebensaison aber auch immer noch genug Zeit für andere Dinge und so stellt die junge Frau an realen Tatorten gemeinsam mit einem älteren Polizisten Mordszenen nach, die von dem Angestellten eines Fotoladens auf Foto und Video festgehalten werden. Während die Motivation des Polizisten im Dunkeln bleibt, scheinen die realistischen Darstellungen bei dem Zimmermädchen zunehmend ein selbstdestruktives Verhalten auszulösen und auch beim jungen Mann hinterlassen die verstörenden Eindrücke scheinbar ihre Spuren…

„Kinetta“ ist ein experimentelles Frühwerk des griechischen Regisseurs Yorgos Lanthimos, der sich mit „Dogtooth“ und „The Lobster“ ja mittlerweile in die A-Liga des europäischen Autorenfilms katapultiert hat. Sein 2005 entstandenes Werk ist jedoch wesentlich sperriger bzw. rätselhafter ausgefallen und präsentiert dem Zuschauer drei unterschiedliche Personen mit seltsamen und gemeinsamen Freizeitaktivitäten, über die man so gut wie gar nichts erfährt. Keine der drei namenlosen Figuren zeigt in den 95 Minuten auch nur den Anflug einer Emotion und warum der Polizist mit seinem Hang zu schnellen Autos und russischen Frauen die Morde so detailgetreu nachstellt bleibt ebenso unklar, wie das destruktive Verhalten der jungen Frau, dass scheinbar hilf- aber nicht teilnahmslos von dem Angestellten des Fotoladens beobachtet wird. Dennoch bleibt alles nur angedeutet und die teils sehr hektische Handkameraführung, das Spiel mit Schärfen, die nüchternen Settings und oft quälend lange Szenen, die man als Zuschauer nur schwer verorten kann, machen „Kinetta“ jedenfalls zu einem nicht sehr einfach konsumierenden Vergnügen, dass auch das Wohlwollen und Strapazierfähigkeit des Zuschauers auf die Probe stellt. Ein herkömmlicher Arthouse-Unterhaltungsfilm mit Geschichte ist der Streifen auch nicht geworden und dennoch gibt das anstrengende und dennoch interessante Werk die Richtung und weitere Studien in Menschen-Betrachtung vor, die mit „Dogtooth“ und auch „The Lobster“ vom Regisseur konsequent weiter verfolgt wurde.

Re: Friedhof ohne Kreuze - das Jess Rollin-Tribute-Filmtagebuch

Verfasst: Di 13. Sep 2016, 19:30
von jogiwan
Die bitteren Tränen der Petra von Kant

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Petra von Kant ist eine scheinbar emanzipierte und erfolgreiche Modeschöpferin, die sich in ihrer schicken Wohnung in Bremen mit ihrer Freundin Sidonie über das unglückliche Ende ihre Beziehung zu ihrem zweiten Mann unterhält. Dabei erzählt sie von Liebe, Verlangen und Wünschen, die aufgrund der ständigen Nähe zerrieben wurden und dem Ekel, den schlussendlich nur noch für ihren Partner empfand. Wenig später lernt sie durch Sidonie die junge Karin kennen und Hals über Kopf verliebt sich die ältere Frau in das junge Model. Diese genießt die Aufmerksamkeit und die Möglichkeiten, die sich durch ihre einflussreiche Freundin ergeben. Monate später ist aber auch diese Beziehung am Ende und während sich Karin mit anderen Männern trifft und Petra gleichgültig behandelt, hält diese verzweifelt an dieser Liebe fest…

„Die bitteren Tränen der Petra von Kant“ ist ja einer der bekanntesten Filme Fassbindern, der mich jedoch frappant an den zwei Jahre zuvor entstandenen Streifen „Boys in the Band“ erinnert, der zahlreiche Parallelen aufweist. Beides sind Adaptionen von Theater-Stücken, handeln von homo- oder bisexuellen Beziehungen, haben einen begrenzten Handlungsort und Protagonisten, die im Verlauf des Streifens mit viel Alkohol eine Katharsis durchleben. Während bei „Boys in the Band“ jedoch ausschließlich Männer agieren, ist Fassbinders Streifen nur mit Frauen besetzt, deren Figuren jedoch laut Wikipedia von Fassbinder selbst und seinem Umfeld inspiriert wurden. Im Grunde ist die Geschichte über eine unglückliche Liebe auch auf beide Geschlechter übertragbar und handelt von einem erfolgreichen und rationalen Menschen, der durch die Liebe völlig aus dem Gleichgewicht gerät und eine bittere Lektion über sich selbst lernen muss. Dabei wirkt „Die bitteren Tränen der Petra von Kant“ mit seinen mehreren Akten und langen Einstellungen bewusst künstlich und Fassbinder präsentiert seine eloquenten Figuren oftmals kunstvoll stilisiert wie Bilder aus Modestrecken aus Hochglanz-Magazinen. Doch hinter der hübschen und gebildeten Fassade lauern die üblichen Fallstricke wie Eifersucht, Abhängigkeit und Misstrauen, welches einer gesunden Beziehung im Wege stehen und am Ende eine unbequeme Einsicht. Tolles Thema, großartig gespielt und wunderbar inszeniert – viel mehr gibt es eigentlich auch nicht zu sagen.

Re: Friedhof ohne Kreuze - das Jess Rollin-Tribute-Filmtagebuch

Verfasst: Mi 14. Sep 2016, 19:46
von jogiwan
Pin

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Während andere Kinder in ihrem Altern mit Freunden herumtollen dürfen, müssen die Geschwister Leon und Ursula wegen ihren überfürsorglichen und strengen Eltern ohne Freunde in einem „goldenen Käfig“ als Heim aufwachsen, in dem nur Disziplin, Lernwille und Sauberkeit zählt. Als einer der wenigen sozialen Bezugspunkte dient lediglich Pin, eine Anatomiepuppe in der Arztpraxis des Vaters, der von diesem mittels Bauchreden zum Leben erweckt wird. Vor allem für Leon wird die lebensgroße Puppe zum einzigen Freund und während Ursula mit 15 Jahren auch langsam außerhalb der Familie soziale Kontakte aufbaut, bleibt Leon der introvertierte Einzelgänger und entwickelt ein bizarres Freundschaftsverhältnis zu Pin, dass auch nicht seinem Umfeld verborgen bleibt…

Mit dem 1988 entstandenen Streifen „Pin“ hat Regisseur und Drehbuchautor Sandor Stern eine sehr seltsame und irgendwie auch verstörende Psycho-Studie abgeliefert, der sich irgendwo zwischen Drama, „Coming-of-Age“ und Thriller einpendelt und einen jungen Mann präsentiert, der zu einer gruseligen Anatomie-Puppe (!) ein ungesundes Abhängigkeitsverhältnis aufbaut und auch keine Skrupel hat, diese bizarre Freundschaft auch mit allen Mitteln zu verteidigen. Dabei ist der Streifen eher ruhig erzählt, präsentiert seine Geschichte auch ohne plakative Momente und schafft es dennoch eine ganz merkwürdige Stimmung zu kreieren. In der Horror-Ecke ist der Streifen jedoch ganz falsch aufgehoben und mit Telepathie (wie von manchen behauptet) hat das Werk dann auch gleich überhaupt nichts am Hut. Vielmehr geht es in dem schrägen Werk um Themen wie Freundschaft, soziale Isolation und psychische Erkrankungen und deren Auswirkungen auf das überforderte Umfeld. „Pin“ ist aber auch ein Streifen, der sich zwischen alle Stühle setzt und für das Thriller-Publikum ist das Ganze wohl zu lahm, für das Drama-Publikum zu schräg und die Erwartungen der Horror-affinen Audienz werden gleich gar nicht erfüllt. Ein durchaus interessanter, aber schon auch sehr spezieller Streifen, der aber auch mit der ein- oder anderen Länge zu kämpfen hat und es sich dennoch verdient hat, von einem breiteren Publikum entdeckt zu werden.

Re: Friedhof ohne Kreuze - das Jess Rollin-Tribute-Filmtagebuch

Verfasst: Do 15. Sep 2016, 20:04
von jogiwan
Haze

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Ohne das Wissen warum und mit einer ominösen Verletzung am Bauch erwacht ein namenloser Mann ein einem klaustrophobisch engen und dunklen Beton-Labyrinth. Während er sich verzweifelt versucht zu erinnern oder auszumalen, was ihn in diese Lage gebracht hat, beginnt er sich langsam in dem Labyrinth fortzubewegen, was sich jedoch aufgrund der Enge als sehr anstrengend entpuppt. Wenig später beobachtet er durch einen Spalt jedoch noch weitere Menschen, die von einem nicht sichtbaren Etwas in dem Labyrinth zerstückelt werden und landet mit den Körperteilen in einem weiteren Raum, in dem sich jedoch noch eine weitere Überlebende befindet…

Der knapp 50minütige Streifen „Haze“ von „Tetsuo“-Regisseur Shin'ya Tsukamoto ist schon eine sehr ungewöhnliche Angelegenheit und der experimentelle Kurzfilm schafft es in den ersten zwanzig Minuten scheinbar mühelos das körperliche Unbehagen seines Hauptdarstellers auf den Zuschauer zu übertragen. Dieser leidet Sekunde um Sekunde mit dem namenlosen und vom Regisseur selbst gespielten Protagonisten, wie dieser verzweifelt sich einem dunklen, engen Labyrinth aus Beton und Scherben um sein Leben kämpft. Nach ca. zwanzig Minuten wird man jedoch quasi erlöst und der Protagonist trifft auf eine Frau mit gleichem Schicksal, der er sich anschließt und schließlich kommt auch etwas mehr Licht in die ganze Sache. Die Auflösung wird natürlich nicht verraten, aber der zweite Teil des Streifens bietet dann nicht mehr die Intensität der ersten zwanzig Minuten, wobei ich persönlich darüber auch gar nicht böse war. Wer Tsukamoto und ein paar seiner Werke kennt, kann sich ungefähr ausmalen, welche Tour-de-Force einem erwartet und „Haze“ geht auch schon in Richtung körperliche Erfahrung, die sich vermutlich nur entsprechend aufgeschlossene Menschen stellen sollten und bei der sich die Frage anschließend auch gar nicht mehr stellt, ob man das jetzt gut oder schlecht finden soll. Kalt lässt das Ganze aber wohl niemanden.

Pale Cocoon

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In einer fernen Zukunft lebt die dezimierte Menschheit unter Tage und der junge Ura ist als Archivar einer staatlichen Behörde damit beschäftigt Datenrelikte und Bildfragmente aus längst vergangenen Tagen für die Nachwelt zu retten. Während seine Freundin und Kollegin Rika es mit der Arbeit nicht so genau nimmt und wie auch viele andere überhaupt am Wahrheitsgehalt und Wichtigkeit der geretteten Bilder zweifeln, ist Ura fest davon überzeugt, dass diese Zeugnisse aus einer längst vergangenen und besseren Zeit sind. Als er eines Tages eine stark beschädigte Videodatei erhält, beginnt er in mühevoller Arbeit Bild und Ton wiederherzustellen und entdeckt etwas, dass sein Leben für immer verändern wird…

Der japanischen Anime-Regisseur Yasuhiro Yoshiura steht ja quasi noch am Anfang seiner Karriere und hat auch erst eine Handvoll Kurz- und Langfilme realisiert, die jedoch international Aufsehen erregen konnten. Mit „Pale Cocoon“ hat er im Alter von 25 Jahren eine düstere Zukunftsvision entwickelt, die trotz kurzer Laufzeit von knapp 20 Minuten sehr interessant ausgefallen ist und den Zuschauer mit einem Szenario konfrontiert, in der die Welt wie wir sie kennen, erfolgreich zerstört wurde und sich die dezimierte Menschheit nur noch durch das Wiederherstellen von Bild- und Tondokumenten daran erinnert, wie das Leben vor vielen Jahrtausenden einmal ausgesehen hat. Dabei hat „Pale Cocoon“ nicht nur einen hübschen Look, sondern überrascht auch durch seine zurückhaltende Erzählweise, die für den Zuschauer am Ende auch gleich zwei Überraschungen bereithält. Leider wird der interessante Kurzfilm aber leider etwas überteuert unter die Leute gebracht und einen zwanzigminütigen Streifen mit etwas Bonus (einem Interview, Trailer und den zehnminütigen Kurzfilm „Aquatic Language“) auf zwei DVDs zu strecken und von einer „Enhanced Edition“ zu sprechen, wirkt ebenfalls nicht gerade besonders Fan-freundlich.

Masters of Horror: Dance of the Dead

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In einer nicht allzu fernen Zukunft betreibt die junge Peggy mit ihrer Mutter ein kleines Diner, dass jedoch unter Besuchermangel zu leiden hat und hört täglich im Radio von steigender Kriminalität, Junkies und Untoten, die nach dem dritten Weltkrieg die verdreckte Erde bevölkern. Als eines Tages ein Gruppe Kleinkrimineller in das Lokal kommt ist Peggy von den aufregenden Leben der Outlaws angetan und verabredet sich verbotenerweise mit dem Rocker Jac um mit diesen in der Nacht in eine Stadt zu fahren, in der das Gesetz keine Gültigkeit mehr hat. Als sie daraufhin in einem Club Zeuge einer bizarren Aufführung wird und dabei eine grauenvolle Entdeckung macht, wirft dieses aber ein vollkommen neues Licht auf ihr bisheriges Leben…

Tobe Hooper ist ja immerhin der Regisseur einiger renommierter Horrorklassiker und da fragt man sich schon, was da eigentlich bei einer „Masters of Horror“-Episode großartig schief gehen soll. Leider alles, wie „Dance of the Dead“ leider sehr eindrucksvoll beweist und der Regisseur scheitert mit seiner bemüht düsteren Zukunftsvision gleich an mehreren Fronten. Die Geschichte versucht ja alles mitzunehmen, was man in den letzten fünfzig Jahren in Punkto düsterer Zukunftsvision gesehen hat, versucht dem Ganzen noch etwas draufzusetzen und langweilt aber eher durch ihre inhaltliche Unstimmigkeit und wirkt mit zunehmender Laufzeit auch dank optischen Firlefanz arg ermüdend. Irgendwie passt hier nichts zusammen, wirkt sogar eher unfreiwillig trashig und das Overacting der ganzen Darsteller und die nervige Musik von Billy Corgan setzen dem Ganzen dann noch die Krone auf. Ein Satz mit X, das war wohl nix und mehr Worte mag ich darüber auch gar nicht mehr verlieren. „Dance of the Dead“ ist der absolute Tiefpunkt einer ansonsten gar nicht mal so schlechten Serie und für einen derartigen Schmonz müsste sich Herr Hooper ja eigentlich in Grund und Boden schämen.