
- 61spJeYGNVL._AC_UF1000,1000_QL80_.jpg (20.21 KiB) 92 mal betrachtet
Zwischen überlaufenden Windeln, schrillen Nachtschreien, geschmacklos eingerichteten Kinderarztwartezimmern, gouvernantenartigen Stillberaterinnen und zahllosen Kleinigkeiten, die sich plötzlich zu epochmachenden Ereignissen ausdehnen, findet sich vielleicht nicht unbedingt die Zeit für eine komplette Filmsichtung, jedoch immerhin für die Lektüre des einen oder anderen einschlägigen Buches, weshalb ich, ein schnarchendes Bündel vor den Brustkorb geschnallt, kürzlich innerhalb von zwei Tagen vorliegende Veröffentlichung Roberto Curtis verschlungen haben - jenes verdienten Historikers des stiefelländischen Genrekinos, dem wir allein eine dreibändige Geschichte des Gothic Horror all'italiana verdanken. BLOOD AND BLACK LACE ist Teil einer Serie von Monographien zu mehr oder minder arrivierten Klassikern des Horrorfilms, die sich "Devil's Advocates" nennt, und deren Konzept es ist, dass sich jeweils ein Autor oder eine Autorin ausführlichst mit einem einzigen Film auseinandersetzt. Für knapp 120 Seiten fällt Curtis Wahl auf Mario Bavas Giallo-Iniitalzündung SEI DONNE PER L'ASSASSINO, und beleuchtet so ziemlich alle Aspekte, auf die man bei diesem zugleich ästhetisch märchenhaften wie inhaltlich niederträchtigen Meisterwerk den primärfarbigen Scheinwerferkegel werfen kann: Von der Produktions-, Distributions- und Rezeptionsgeschichte über bestimmte Motive und Themen, mit denen sich Bava in eine schauerromantische Tradition stellt, oder die ihrerseits Einfluss auf die weitere Entwicklung des Horrorfilms nehmen werden, bis hin zu unterschiedlichen Interpretationsansätzen, die dem Film bescheinigen, ein misogynes Machwerk zu sein, sein Style-over-Substance-Prinzip in die Nähe der klassischen Avantgarden wie insbesondere des Surrealismus rücken, oder aber in seinem Subtext ironisch-hintersinnige Reflexionen über Vergangenheit und Gegenwart der italienischen Filmindustrie zu erkennen meinen. Bei BLOOD AND BLACK LACE handelt es sich um ein populärwissenschaftliches Werk im besten Sinne: Curti geht weit darüber hinaus, den reinen Filminhalt zu rekapitulieren, bloße Fakten aneinanderzureihen, oder aus zeitgenössischen Kritiken zu paraphrasieren; zugleich aber versteigt er sich nie in die Höhen elfenbeintürmener Filmtheorie, gerät nie in Versuchung, Bavas Film weit hergeholte Thesen einprügeln zu wollen, behält stets die Bodenhaftung und seinen Gegenstand klar im Blick. Nachdem mich Curtis Beitrag zur "Devil's-Advocats"-Reihe derart entzückt hat, ernüchterte mich indes gleich meine zweite Lektüre wieder einigermaßen. Ein gewisser Martyn Conterio nämlich hat Bava ebenfalls einen Band gewidmet, namentlich seinem offiziellen Regie-Debüt LA MASCHERA DEL DEMONIO. Auch das ist beileibe kein unlesbares Buch, aber eines, bei dem mir der oftmals saloppe und pauschalisierende Stil sauer aufstieß, das zudem große Teile einfach aus Tim Lucas' Bava-Monographie "All the Colors of the Dark" übernimmt, (darunter auch einige faktische Fehler), und das sich sonst immer wieder gerne in purem Name-Dropping verliert, wenn zum Beispiel über Seiten hinweg Texte der literarischen Gotik aufgezählt werden, die - möglicherweise! - in irgendeiner Form Bava inspiriert haben könnten. Weitere Filme, die in der Reihe gewürdigt werden, sind Zulawskis POSSESSION, Murnaus NOSFERATU und Argentos SUSPIRIA. Vielleicht riskiere ich dort auch mal einen Schlüssellochblick. Vorliegenden Beitrag jedenfalls kann ich als entspannte Sommerlektüre am Ostseestrand fernab schummriger römischer Modehäuser wärmstens empfehlen...