The Field Guide to Evil - Handbuch des Grauens (2018)

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Salvatore Baccaro
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The Field Guide to Evil - Handbuch des Grauens (2018)

Beitrag von Salvatore Baccaro »

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Originaltitel: The Field Guide to Evil

Produktionsland: Neuseeland 2018

Regie: Ashim Ahluwalia, Can Evrenol, Severin Fiala/Veronika Franz, Katrin Gebbe, Calvin Reeder, Agnieszka Smoczynska, Peter Strickland,
Yannis Veslemes

Darsteller: Marlene Hauser, Luiza Oppermann, Andrzej Konopka, Thomas Schubert, Lili Epply, Vangelis Mourikis


Dass der Kompilationsfilm THE FIELD GUIDE TO EVIL, (der übrigens, wie ich kürzlich erfuhr, seine Deutschlandpremiere nur wenige Gehminuten von meiner derzeitigen Wohnung entfernt erlebte, was mich irgendwie affiziert, als sei es ein für meine Kurzkritik eigentlich völlig überflüssiges, jedoch dadurch umso schöneres Detail), auf der IMDB derzeit eine Wertung von gerade mal fünf Pünktchen genießt, liegt mit Sicherheit an einer falschen Erwartungshaltung desjenigen Teils des Publikums, der mit einem bunt zusammengewürfelten Haufen blutgetränkter Horror-Anekdoten rechnete. Weshalb ich der Sammlung von insgesamt acht Kurzfilmen, die sich allesamt an schaurigen Legenden, Sagen, Mythen ihrer jeweiligen Herkunftsländer abarbeiten, drei Punkte mehr vergeben würde, liegt wiederum daran, dass ich ebenfalls auf einen blutig zusammengewürfelten Haufen Geschnetzeltes eingestimmt gewesen bin, und nicht gedacht hätte, dass die meisten Geschichten sich in primär atmosphärischen Gefilden verorten, wenn nicht sogar reines Experimentalfilmterrain streifen…

Für den österreichischen Beitrag DIE TRUD zeichnet das Regie-Duo Severin Fiala und Veronika Franz verantwortlich, die mich mit ihrem Debut-Spielfilm ICH SEH, ICH SEH restlos begeisterten, und deren Nachfolgewerk THE LODGE mir zumindest einen soliden Psycho-Horrorfilm bescherte: Irgendwann zu Großvaters Zeiten in den Alpen. Der Frühling lässt sein grünes Band flattern und in unserer Heldin, einem einfachen Bauernmädchen, erwacht die Liebe zum eigenen Geschlecht. Es wird wenig gesprochen, jedoch viel getastet, wenn sie zunehmend zärtliche Bande zu einer Altersgenossin knüpft, die innerhalb der Waldgemeinde als Außenseiterin gilt, da sie ein uneheliches Kind erwartet. Nicht von ungefähr wirken die Zusammenkünfte zwischen den beiden Frauen zugleich wie transzendente Lebensfeste, aber auch wie sündhafte Rituale: Um sich von ihrer Schuld zu befreien, soll unsere Heldin, wie ihr die erwachsene Frau befiehlt, unter deren Obhut sie lebt, etliche Vaterunser sprechen, ansonsten kommt nämlich die Trud und zieht sie zur Rechenschaft. Poetische Landschaftsaufnahmen, erotisch-lyrische Sexszenen, eine Alptraumsequenz, in der wie wild masturbiert wird, um die Trud anzulocken, und dann unschädlich machen zu können, ein vieldeutiges, nahezu metaphysisches Ende machen DIE TRUD zu einem der schönsten Kurzfilme vorliegender Anthologie.

Dass der türkische Regisseur Can Evrenol mich mit seiner Episode AL KARISI kaum vom Hocker reißt, wundert mich schon allein deshalb nicht, weil mir auch sein Langfilm-Debut BASKIN, dieser bemüht artifizielle Style-over-Substance-Ausflug ins Höllenreich, kaum erreicht hat. Seine „Geschichte“ um ein kleines Mädchen, das zusammen mit einer bettlägerigen-lethargischen alten Frau in einer ärmlichen Hütte haust, und als einzigen Gefährten einen meckernden Ziegenbock hat, bedient inszenatorisch die schlimmsten Klischee aus dem Fundus des Mainstream-Horrors: Jump Scares am laufenden Band, ohrenbetäubende Soundeffekte, plakative Spezialeffekte sind jedenfalls nicht das, was auf meiner Seite wohlige Atmosphäre schafft, auch wenn es natürlich immer wieder angenehm ist, einen teuflisch behexten Ziegenbock sehen zu dürfen.

THE KINDLER AND THE VIRGIN stammt aus Polen und wird inszeniert von Agnieszka Smoczynska, die 2015 mit ihrem Debut CÒRKI DANCINGU das bizarrste mir bekannte Horrormusical über männerverschlingende Meerjungfrauen aller Zeiten vorgelegt hat: Ein Mann, der scheinbar beruflich im Wald Holz sammelt, wird von einer Art osteuropäischen Banshee in Gestalt eines jungen Mädchens besprungen, worauf diese ihm die Prophezeiung ins Ohr flüstert, er müsse die Herzen dreier frisch Verstorbener verzehren, und schon würden alle seine Wünsche in Erfüllung gehen. Für den Rest des mutmaßlich im frühen 20. Jahrhundert angesiedelten Kurzfilms plündert unser Held die Gräber entlegener Friedhöfe und bereitet sich am mitternächtlichen Lagerfeuer seine grausige Speise zu. Was nun nicht sonderlich aufregend klingt, wird unter der Hand von Frau Smoczynska zu einem kompakten Wunderwerk an schauerromantischen Bildern, assoziativen Montagesprüngen und wie beiläufig hingehauchten Subversionen, dass ich mich vor Verzücken dabei genauso wenig einkriegte wie über das offene Ende, mit dem der Film in zwei, drei Einstellungen plötzlich so wirkt, als sei ihm seine dialogarme Erzählung nur Vorwand gewesen, um völlig unprätentiös die historischen Traumata Polens aufs Tableau zu hieven.

Mit BEWARE THE MELONHEADS folgt nach diesem künstlerischen Höhenflug allerdings sogleich die Ernüchterung bei Fuße: Der mir zuvor völlig unbekannte US-Amerikaner Calvin Reeder tischt uns eine vor allem in ihrer Pointe absolut absonderliche Geschichte auf, die sich über weite Strecken anfühlt wie ein konventioneller Horrorfilm von der Konfektionsstange, wenn eine dreiköpfige Familie – Mutter, Vater, Bub – in die Ferien ins Hinterland von Ohio oder Wisconsin aufbricht, und die Erwachsenen dort alsbald dabei mit konfrontiert werden, dass ihr Sprössling Freundschaft mit einem weiteren Knaben schließt, der mutmaßlich nur in seiner Phantasie existiert und über eine, sagen wir, eher ungewöhnliche Kopfform verfügt. Auch wenn Reeder sich offenkundig inspiriert zeigt von klassischen Grusel-Comics und das Grande Finale keinen Hehl daraus macht, dass sein Beitrag nicht hundertprozentig ernstgenommen werden möchte, haben mir seine Melonenköpfe eher keine schlaflose oder auch nur aufwühlende Nacht bereitet.

Meinem Geschmack indes schmeichelt wiederum sehr der Ausflug ins Griechenland des 19. Jahrhunderts, mit dem der (mir zuvor ebenfalls gänzlich fremde) Regisseur Yannis Veslemes den mit Abstand experimentellsten Film der Sammlung abliefert. Reizvoll zwischen archaisch-dionysischem Rausch und futuristischem Endzeitszenario pendelnd illustriert der Streifen ein traditionelles Volksfest, bei dem sich die männlichen Mitglieder eines Fischerdorfes bis zur Besinnungslosigkeit besaufen, und dann plötzlich in ihrer Mitte einen waschechten Goblin entdecken, den sie gefangen nehmen, um zu versuchen, mit seiner Hilfe ein naheliegendes Höllentor zu finden und aufzustoßen. Das klingt inhaltlich genauso bizarr, wie es letztlich ästhetisch-technisch umgesetzt wurde: Eine audiovisuelle Orgie voller mit Ziegenfellpelzen bekleideter Trunkenbolde, einem spitz- und langnäsigen Kobold wie aus dem Geisterbahnkabinett, sowie begnadeter Kameraschwenks und Bildkompositionen. Wenn ich mir die restlichen im Netz kursierenden Reviews so anschaue, ist jedoch gerade WHAT EVER HAPPENED TO PANAGAS THE PAGAN? einer der Hauptgründe dafür gewesen, dass viele der Rezensenten vorliegende Anthologie wutentbrannt in der Luft zerrissen.

Etwas eingängiger wird es mit THE PALACE OF HORRORS, wo der indische Regisseur Ashim Ahluwalia, dessen Filmographie erneut ein unbeflecktes Blatt Papier für mich darstellt, eine im besten Sinne klassische Gruselgeschichte zum Besten gibt. Seine kinematographische Variation einer Story, die ich mir beispielweise auch aus der Feder eines H. P. Lovecraft hätte vorstellen können, (inklusive der für viele Betrachter sicherlich frustrierenden Schlusspointe, das das per se unbeschreibliche Grauen lediglich angeteasert und nie vollherzig gezeigt wird), entführt uns in Zeiten, als Indien noch britische Kronkolonie gewesen ist, und unser Ich-Erzähler gemeinsam mit einem englischen Beamten, der die Dschungel des Subkontinents nach interessanten archäologischen Stätten durchstreift, in den titelgebenden Schreckenspalast gerät – einem Tempelkomplex, dessen Katakomben nahtlos mit der Unterwelt verknüpft sein sollen. Erzählerisch geschieht vergleichsweise wenig, dafür zaubert Ahluwalia wundervolle Schwarzweißbilder auf die Leinwand, die auf angenehme Weise wirken, als hätten sie auch ein halbes Jahrhundert zuvor bereits ihre schaurige Wirkung entfalten können.

Mit TORE TANZT hatte Katrin Gebbe seinerzeit einen der verstörendsten Filme gedreht, die ich jemals sehen durfte/musste/wollte. In ihrem Kurzfilm A NOCTURNAL BREATH variiert sie im Grunde jene Geschichte von der sündenstrafenden Trud, die bereits im Beitrag von Fiala und Franz Verwendung gefunden hat, was allein ihrer Episode schon einen undankbar repetitiven Charakter verleiht. Denn leider ist Gebbes Episode dem österreichischen Vorgänger in allen relevanten Punkten unterlegen: Ihr Kammerspiel um zwei einsam irgendwo im zivilisationsfernen Deutschland des 19. Jahrhunderts in einer Waldhütte lebenden Geschwister, die miteinander nicht nur brüderlich-schwesterliche Gefühle teilen, fährt zwar eine CGI-Ratte auf und überrascht mit einer garstigen Finalepisode, ist im Gesamtkontext jedoch eher im unteren Mittelfeld dieses „Handbuch des Grauens“ angesiedelt – und zu keinem Zeitpunkt in der Lage, die zerrüttende Qualitäten von Gebbes Debut-Film auch bloß anzudeuten.

Peter Strickland dürfte der weithin bekannteste Regisseur sein, der für THE FIELD GUIDE OF EVIL ein Segment beigesteuert hat: Mit seinem Meta-Giallo BERBERIAN SOUND STUDIO hatte mich der Brite, bei dessen Beitrag es sich indes um eine ungarische Produktion handelt, zutiefst verzückt; seinen DUKE OF BURGUNDY empfand ich immerhin als manieristische Studie einer sadomasochistischen Beziehung gefiltert durch die Perspektive 70er Softerotik-Kinos. Mit THE COBBLER’S LOT dreht der Exzentriker auf Grundlage eines osteuropäischen Märchens einen veritablen Stummfilm, der mit beiden Händen aus den Asservatenkammern deutschen Stummfilmexpressionismus schöpft, diesen aber konsequent durch den (selbst-)ironischen Fleischwolf dreht: Zwei Brüder, beide Schuhmacher, verlieben sich in die Prinzessin; ihr königlicher Vater verspricht demjenigen seine Tochter zur Frau (bzw. ihre grazilen Sandalen), der ihm einen magischen Felberich aus einer magischen Quelle herbeischaffe – die übliche Quest also, die Strickland nicht nur mit Referenzen an Lang, Murnau, Wiene spickt, sondern die ebenso Erinnerungen an Guy Maddin, Jan Svankmajer oder Technicolor-Träume wie Powells und Pressburgers THE TALES OF HOFFMANN wachruft, nur freilich versetzt mit den obligatorischen Strickland-Seltsamkeiten.

Mir fielen spontan drei, vier Foren-Mitglieder ein, von denen ich mir vorstellen könnte, dass sie mindestens an der Hälfte der hier vorgelegten acht Episoden ihre helle Freude haben könnten…
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Re: The Field Guide to Evil - Handbuch des Grauens (2018)

Beitrag von Arkadin »

Also mich hast Du vollauf überzeugt :)

Ich glaube, ich werde mir auch die Tage mal "Fuga" von Frau Smoczynska ansehen. Der liegt hier auch schon seit einem Jahr. Stricklands "Duke of Burgundy" sogar noch länger. Und Severin Fiala und Veronika Franz klingt auch gut, den "The Lodge" muss ich mir noch besorgen.

Schön übrigens die Kommentare auf Amazon (Rechtschreibung, Grammatik und fehlende innere Logik sind 1:1 übernommen):
Sonst endet das Ganze wie auf dieser DVD:als grosser Haufen lächerlichem Mist.Das liegt zum Teil auch daran,dass viele die VHS-3er nachahmen möchten.Ich hab mir schon mehrere DVD's mit "gruseligen" Kurzgeschichten angeschaut,die aber alle nicht an die VHS-Stories herankamen.Die sind unschlagbar!
Tja - mal wieder ein Film (bzw. viele Filmchen in einem), der mich als Zuschauer rat- und fassungslos zurücklässt... Kein Kurzfilm, der für mich einen Sinn machte, teilweise mit der Vorspann/Sage rein gar nichts zu tun hatte...ist so etwas Kunst?!?
Der Film ist sogar für das Bügeln nicht geeignet
So einen pseudo-intelektuellen Horror-Kunst Schrott ohne jegliche Handlung, in keiner der vorgestellten Regie Streiche ist wirklich eine Zumutung.
Echt übelste Kost ohne Sinn und Verstand von irgendwelchen stümperhaften Laiendarstellern performter Mist !!
Also ich habe selten so einen Schrott gesehen, ein Stern ist noch zu viel !
Wer was zu lachen sehen will, kann sich das angucken.
Herzlichst gelacht haben wir.
So enttäuscht das ich kaum Lust habe was zu sagen .Einfach nicht empfehlenswert
Also, ich bin jetzt angefixt :)
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Salvatore Baccaro
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Re: The Field Guide to Evil - Handbuch des Grauens (2018)

Beitrag von Salvatore Baccaro »

Arkadin hat geschrieben: Di 9. Feb 2021, 14:15 Also mich hast Du vollauf überzeugt :)
An Dich hatte ich mitunter auch als Zielpublikum gedacht... :wink:

Dass Frau Smoczynska bereits 2018 einen zweiten Langfilm gedreht hat, ist bis gestern ja tatsächlich völlig an mir vorbeigegangen.

Ich kenne nun zwar all diese Kompilationen à la VHS oder ABCs OF DEATH nicht, aber da die Verantwortlichen bei THE FIELD GUIDE TO EVIL ja größtenteils aus dem Arthouse-Bereich kommen oder zumindest keine 08/15-Mainstream-Horrorfilmer sind, dürften da bei der falschen Erwartungshaltung durchaus Welten aufeinanderprallen. Die paar Kritiken auf der OFDB tönen allerdings auch alles andere als begeistert. Vielleicht habe ich mir auch längst selbst durch zu viel Genuss von Polselli, Zulawski, Nollywood et. al. den Zugang zur normalen Welt versperrt...
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Arkadin
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Re: The Field Guide to Evil - Handbuch des Grauens (2018)

Beitrag von Arkadin »

Bin gerade noch mal über den "Field Guide" gestolpert, weil ich was zu Peter Strickland gesucht habe. Noch habe ich den Film nicht in meinen Händen, habe aber grade mal ein wenig im Internet nach Kritiken gesucht. Die sind alle zwischen schlecht und naja, aber was ich hochspannende finde: Jede Rezension schreibt eine andere Episode stark bzw. schwach. Was bei dem einen das Highlight ist bei dem anderen der Tiefpunkt der Anthologie. Da gibt es fast null Konsens. Jetzt bin ich sehr gespannt und die Disc wandert gleich mal in den Einkaufskorb.
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