Euer nächstes/letztes Konzert bzw. Live-Event

Moderator: jogiwan

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Maulwurf
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Re: Euer nächstes/letztes Konzert bzw. Live-Event

Beitrag von Maulwurf »

Boah, liest sich als ob ich dabei gewesen wäre. Du hast definitiv den falschen Job erwischt, Musikjournalist wäre ganz klar passender gewesen. Klasse Text! Danke schön :D
Was ist die Hölle? Ein Augenblick, in dem man hätte aufpassen sollen, aber es nicht getan hat. Das ist die Hölle ...
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buxtebrawler
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Re: Euer nächstes/letztes Konzert bzw. Live-Event

Beitrag von buxtebrawler »

Maulwurf hat geschrieben: Mi 30. Mär 2022, 16:40 Boah, liest sich als ob ich dabei gewesen wäre. Du hast definitiv den falschen Job erwischt, Musikjournalist wäre ganz klar passender gewesen. Klasse Text! Danke schön :D
Nun mach mich nicht verlegen :nixda: :oops:
Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
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Blap
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Re: Euer nächstes/letztes Konzert bzw. Live-Event

Beitrag von Blap »

Danke für den tollen Bericht! :thup:
Das Blap™ behandelt Filme wie Frauen
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karlAbundzu
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Re: Euer nächstes/letztes Konzert bzw. Live-Event

Beitrag von karlAbundzu »

2.4.2021 Lagerhaus Großer Saal, Bremen
Das ist Schwierig o. Scheitern 3000 / Acht Eimer Hühnerherzen

Mit mulmigen Gefühl ging ich zu meinem erstenm Indoor-Konzert seit sehr langem. Die letzten Zweifel wurden mir tatsächlich von der 2G+ - Regel im Haus genommen. Ich stand dann auch gleich falsch an, an der hauseigenen Teststation und nicht am Hintereingang, aber ein Security-Mensch wies mir den richtigen Weg. So lernte ich auch in dem schon 100000x besuchten Ort neue Wege.
Ansonsten füllte es sich langsam aber stetig, nicht ausverkauft aber gut gefüllt. Und, für mich überraschenderweise, gab es eine Vorgruppe.
Wie die Hauptband auch drei Personen, klassisch BassGitarreSchlagzeug. Sehr junge Menschen mit ihrem ersten Auftritt.
Nun, ich weiß nicht, ob mich die Euphorie angesichts übehaupt eines Konzerts wieder ergriff, aber hier war eine Gruppe mit herzblut dabei. Eigentlich Grunge mit deutschen Texten. Dreckiger Rock, nicht Metal, nicht Punk, es ging nicht um Geschwindigkeit und nicht um Mackertum, Mudhoney-Beat, Nirvanamelodien, Tontreffen beim Gesang eher egal, es ging um die Inhalte bei den Texten, die, von dem, was ich verstand, bei persönlichen Erlebnissen und Befindlichkeiten waren, gepaart mit Politik und Gesellschaftlichem, also eher Grunge. Auch mal das laut leise Prinzip, mal an die Boxhamsters erinnernd oder an eben dessen Einfluss: Hüsker Dü, Wedding Present. Gen Ende tauschte die Gitarristin/Sängerin mit dem Schlagzeuger die Rolle, dann wurde es mehr frühe/mittlere Tocotronics. Sie waren aufgeregt, unperfekt, fingen auch mal zweimal an, dabei aber so unglaublich chamant, dass ich nicht nur begeistert sondern auch irgendwie gerührt war. Kurz zum Bandnamen: Jemand aus dem Publikum fragte laut, wie sie denn hiessen, woraufhin die Sängerin sagte: Das ist schwierig, von den Acht Eimern später aber Scheitern 3000 genannt.
Nach relativ kurzer Pause dann ACHT EIMER HÜHNERHERZEN, die auch aufgeregt waren. Tourauftakt in Bremen, eigentlich schon zu zwei neuen Platten, viele zum ersten mal live. Sie haben ja durch die Wahl, sowohl mit Akkustikgitarre als auch Akkustikbass einen sehr eigenen Sound. Klar, die sind mit abgenommen, laufen über Verstärkern und werden auch mal mit Effektgeräten malträtiert. Durch die Nylonsaitenwahl musste dann auch mal neu gestimmt werden, und insgesamt war es ein eher leises Konzert. Oder ich werde langsam gehörlos. DIe Sängerin konnte man aber prima verstehen, die Texte haben ja auch etwas sehr eigenes, ich finde unsagbar tolles. Vorab ja schon die Video-VÖs gehört und es reiht sich durchaus zu den anderen beiden Platten ein. Herr Bottrop frönt hier ein wenig mehr seiner Vorliebe des Basses eines Simon Gallups.
Die drei haben auf der Bühne Spaß, das überträgt sich, ich bin schon wieder an einigen Stellen gerührt, merke , wie gut mir Live-Konzerte gefallen. Und die Acht Eimer sind ja das tolle Paket. Eigen, Sympatisch, Gute Songs, Guter Sound.
Danke.
jogiwan hat geschrieben: solange derartige Filme gedreht werden, ist die Welt noch nicht verloren.
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buxtebrawler
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Re: Euer nächstes/letztes Konzert bzw. Live-Event

Beitrag von buxtebrawler »

23.04.2022, Bambi galore, Hamburg:
MIND-THE-GAP-FEST mit EMILS + NOVOTNY TV + SMALL TOWN RIOT + DV HVND


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Gierfisch und der Captain, seit Ende der 1990er Macher des Hamburger Mind-The-Gap-Fanzines, planten vor mittlerweile langer Zeit nicht nur, ein kleines Punkrock-Festival aufzuziehen, sondern auch, eigens zu diesem Zwecke die aufgelösten NOVOTNY TV aus ihren Steueroasen und Wellness-Tempeln zu locken und mittels Starkstromstößen sanft zu einer Live-Reunion zu überreden. Stattfinden sollte es im kleinen Billstedter Kellerclub Bambi galore. Doch dann kam die Pandemie dazwischen und die Sause musste aufs nächste Jahr verschoben werden. Und dann gleich noch einmal. Mit ungetrübtem Optimismus terminierte man auf Ende April ’22 und suchte sich um die NOVOTNY TV herum eine Reihe weiterer Bands, zu denen die beiden einen besonderen Bezug haben. Eigentlich sollten auch die eigens für dieses Ereignis reanimierten ANTIKÖRPER mit von der Partie sein, doch ein plötzlicher Todesfall im Familienkreis verhinderte traurigerweise die Teilnahme. Ganz üble Scheiße, mein Beileid.

Es handelte sich übrigens um mein erstes Indoor-Punkkonzert seit über zwei Jahren, zuletzt hatte ich mir Punkklänge live beim Hafenstraßen-Open-Air im September 2020 (!) um die Ohren blasen lassen. Es wurde also verfickt noch mal echt wieder Zeit! Leider musste ich dafür schweren Herzens auf die von mir hochgeschätzten DÖDELHAIE verzichten, die zeitgleich das Gängeviertel mit „linksextremer Hassmusik“ beschallten. Kaum gehen die Konzerte wieder los, hat man auch wieder die oftmals schwierige Qual der Wahl…

Vor Ort gab’s ein Wiedersehen mit zahlreichen alten Bekannten, auch im Wortsinn: Der Altersdurchschnitt war erhöht, insgesamt bot sich aber das Bild einer angenehm heterogenen Mischung von grün hinter den Ohren bis Oppa mit Krückstock. DV HVND aus Hessen eröffneten den Reigen und holten die Feier zur Veröffentlichung ihres „Bollwerk“-Albums nach. Ich wüsste nicht, von der Band zuvor schon mal was gehört zu haben, aber das hier ging klar: Melodischer deutschsprachiger Punkrock mit leichtem Hang zur Melancholie, aber auch mit paar flotteren Nummern dazwischen. Stilistisch und inhaltlich wohl mehr verrauchte Kneipe denn Hörsaal bei sympathischer Ausstrahlung, aber enttäuschend wenig hessischem Dialekt in den Ansagen. Der Bass war etwas laut, insgesamt drückte der Sound aber ganz gut. Als irritierend empfand ich das UNTERGANGSKOMMANDO-Cover („Bis nichts mehr übrig bleibt“) als letztem Song, da ich diese Gruppe als weitestgehend überflüssig gespeichert hatte. Die Bude war bereits gut gefüllt, DV HVND spielten vor für den Opener eines kleinen Festivals ordentlicher Kulisse.

Einen Bewegtbildeindruck davon kann man sich dank „Shitty Videos Galore“ verschaffen:


SMALL TOWN RIOT, ursprünglich (und zu Teilen immer noch) aus der gleichen Gegend wie die unlängst gen Hamburg emigrierten Fanziner stammend, hatten sich ebenfalls zu einem ihrer raren Gigs überreden lassen und lieferten einmal mehr hymnischen bis zackigen und ruppigeren Streetpunk’n’Roll für Feinschmecker bei nunmehr perfektem Sound. Arme gingen in die Luft, es wurde fleißig skandiert und mitgesungen sowie getanzt und sich gefreut. Zwei Klampfen, die für die sich unverschämt einschmeichelnden Melodien sorgen, Timos und Normans Wechselgesang, die persönlich geprägten, großartigen Texte – mal wieder ‘ne glatte Eins! Mehr davon und Küsschen!

„Shitty Videos Galore“ war auch hier am Start:


NOVOTNY TV aus dem Münsterland hatten in der zweiten Hälfte der 1990er zwei Alben bei Nasty Vinyl veröffentlicht, die mit sarkastischen, schrägen Garage-Psych-Noise-Orgel-Trash-Punk-Krachern wie „Butterfahrt im Gazastreifen“ oder „Deutschland braucht Deutschpunk“ einen sehr individuell Stil pflegten und in der Szene bestens ankamen. Live gesehen hatte ich sie damals leider nie. Nun tummelten sich sechs Herren auf der kleinen Bambi-Bühne. Der Sänger hatte sich als Bankkaufmann verkleidet und dürfte somit der erste Künstler sein, der je im Bambi (vermutlich gar in ganz Billstedt) eine Krawattennadel trug. Links neben ihm hatte der Orgelspieler im Schneidersitz platzgenommen und machte an seinem Mini-Keyboard auf keine Miene verziehenden Autist. An den Drums wechselten sich – warum auch immer!? – der Originaldrummer und Jesus Maria Hagemann von DISMALFUCKER und diversen weitere Krachkapellen ab, manchmal unterstützte der Originaldrummer dann vorne den permanent grinsend und die immer gleichen Tanzschritte ausführenden Sänger. Es war ein kräftiges Gewusel auf der Bühne und immer wat los, das meiste davon Musik. Während ich dieser lauschte, fiel mir wieder ein, dass ich das zweite Album aus nicht mehr nachvollziehbaren Gründen gar nicht kenne, sodass ich bei Songs wie „Nieder mit der Popkultur“ oder „Lederjackenmann“ mehr oder weniger aufmerksam zuhörte. Mir bekanntes Material des „Tod, Pest, Verwesung“-Albums (inklusive sich perfekt einfügendem HERMANN'S-ORGIE-Cover „Moderne Musik“) hingegen lud zum fröhlichen Mitsingen/-grölen ein und war bei nach wie vor großartigem Sound ein wunderbares Beispiel für gut gealterten bzw. zeitlos gebliebenen Punk, der sich einen Dreck um Konventionen schert, ohne dabei mit blasierter Kunstkacke zu nerven. Schönes Detail auch: Entgegen der Reihenfolge auf dem Album wurde „Invasion vom Mars“ noch vor „Kaputtsaniert“ gespielt. Da auf letztgenannten Song jedoch in „Invasion…“ Bezug genommen wird, hieß es in der entscheidenden Zeile nun: „Der Rentner aus ,Kaputtsaniert‘ – kommt noch! – der kricht die Birne abrasiert!“. Band wie Publikum hatten allem Anschein nach einen Mordsspaß, es wurde kräftig getanzt, gepogt und gefeiert und, wenn ich mich recht entsinne, NOVOTNY TV auch zu ‘ner Zugabe genötigt. Bei „Zeit schlafen zu gehen“ wurden Feuerzeuge geschwenkt wie einst bei der KELLY FAMILY. Geiler verrückter Scheiß!

Der „Shitty Videos Galore“-Mitschnitt:


Natürlich war’s längst nicht Zeit, sich in die Pofe zu begeben: Perfekt in diese Riege nicht mehr blutjunger Bands, die noch gezielt ausgesuchte Gigs spielen, aber keine neue Musik mehr veröffentlichen, passten auch die EMILS, eine meiner favorisierten Hamburger Combos. Diese ließen sich nicht lumpen und zockten derart fehlerfrei und abgewichst, als täten sie Woche für Woche nichts anderes, ein Best-of-Set quer durch ihre HC-Punk-Diskografie (lediglich das finale „Partytime“-Album wurde ausgespart, oder?). Shouter Ille kommunizierte launig mit dem Pöbel und los ging’s mit „Viel zu langsam“, über „Kampfsignal“, „Pass dich an“, „Wer frisst wen?“, „Kirche nein“, „Neo-Nazis“, „Die Abrechnung“, „Dumm-Punk“, „Wir müssen draußen bleiben“ und wie sie alle heißen bis hin zum BUTTOCKS-Cover „Nein Nein Nein“, und als Kirsche auf der Sahnehaube wurde abschließend noch ein komplettes SLIME-Best-Of aller ‘80er-Alben in einem flott gezockten Medley verwurstet. All dieses Zeug ist bereits vor unzähligen Jahren Teil meiner subkulturellen und musikalischen DNA geworden; zu partizipieren, wie es live derart energiegeladen und mächtig zelebriert wird, geht euphorisierend in Herz, Hirn und Weichteile. Der Mob tobte sich inklusive eures Chronisten kräftig aus, immerhin ungefähr die Hälfte des Sets bekomme ich durchaus noch durchgetanzt. Ille stachelte einen zusätzlich an, indem er das Mikro ins Publikum hielt und zum Mitsingen aufforderte, was dankend angenommen wurde. Besser hätte dieses Festival nicht enden können!

Nicht CRASS, sondern die EMILS, festgehalten von „Shitty Videos Galore“:


Die DJs Starry Eyes und Hollyholetsgo legten anschließend noch auf, während ich jedoch draußen vor der Tür nach Luft japste und trunken nicht nur vom vielen Bier mit Freunden herumalberte, bis die Vernunft siegte und der ÖPNV uns nach Hause transportieren durfte. NOTOTNY TV hatten wahnsinnigerweise noch zugesagt, am nächsten Morgen zusammen mit NIXDA! an der Hamburger Marathonstrecke ein Set zu spielen, was sie, wie ich den sozialen Netzwerken entnehmen konnte, jedoch nicht geschafft haben (NIXDA! zogen aber durch). Geiles Festival, das von mir aus gern regelmäßig einmal jährlich stattfinden dürfte. Gierfisch, Captain: Macht mal!

P.S.: Manu vom SCHRAIBFELA-Videofanzine war übrigens auch zugegen und hat der Nachwelt folgenden Clip hinterlassen:



Reich bebildert auch hier:
https://www.pissedandproud.org/23-04-20 ... t-dv-hvnd/
Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
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karlAbundzu
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Re: Euer nächstes/letztes Konzert bzw. Live-Event

Beitrag von karlAbundzu »

Ach, die Emils hören auch nicht auf. Habe ich vor 30 Jahren gesehen, war sehr geil
jogiwan hat geschrieben: solange derartige Filme gedreht werden, ist die Welt noch nicht verloren.
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buxtebrawler
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Re: Euer nächstes/letztes Konzert bzw. Live-Event

Beitrag von buxtebrawler »

karlAbundzu hat geschrieben: Do 28. Apr 2022, 17:40 Ach, die Emils hören auch nicht auf. Habe ich vor 30 Jahren gesehen, war sehr geil
Die hatten ja 'ne ganze Weile aufgehört, erst seit 2011 sind die live wieder sporadisch aktiv. Und dass sie damit noch nicht wieder aufhören, ist wirklich gut. Ein Konzertbesucher meinte erstaunt während des EMILS-Gigs zu mir, dass, wenn er die Augen schließt, er den Eindruck hat, eine junge Band stehe auf der Bühne.
Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
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Re: Euer nächstes/letztes Konzert bzw. Live-Event

Beitrag von buxtebrawler »

29.04.2022, Indra, Hamburg:
RED BRICKS + THE YOUNG ONES


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Bei der Hamburger Oi!-/Streetpunk-Band RED BRICKS ging alles unfassbar schnell: Letztes Jahr Bandgründung mit alten Szenehasen wie Drummer Chris (ex-HARBOUR REBELS, ex-HEIAMANN) und Gitarrist Boris (ex-VOLXSTURM); unser Bassist Keith nutzte die Zeit, in der wir mit BOLANOW BRAWL pandemiebedingt pausieren mussten, ebenfalls, um sich dort eine weitere Spielwiese zu suchen. Rasch wurden ein komplettes Album eingespielt, mit Contra Records ein Label gefunden, ein Videoclip veröffentlicht und reichlich Gigs gezockt. Die Facebook-Follower wurden vierstellig, alle Welt schien sich für diese Band zu interessieren und zu begeistern. Wofür andere Bands Jahre brauchen, fand hier innerhalb weniger Monate statt. Auch dass der andere Gitarrist Tim (FIRM HAND) aus persönlichen Gründen die Band verlassen musste, lief vollkommen geräuschlos ab, Ben German ersetzte ihn kurzerhand. Doch just, nachdem die LP „Built Over Time“ aus dem Presswerk gekommen war und die Record-Release-Party unmittelbar bevorstand, trennte man sich vom italienischen Sänger und Texteschreiber Rino. Aber selbst das haute die Band nicht um: Als temporären Ersatz gewann man Baba der singapurischen Band THE BOIS, der bereits einen Gastpart im Song „Blood Pact“ übernommen hatte, um für den Gig einzuspringen! Wohl nur möglich, weil dieser ohnehin gerade wegen eines britischen Festivalsauftritts mit THE BOIS in Europa weilte.

So ging die Sause also beinahe wie geplant im Indra, jenem Kiezclub, den der umtriebige Sam zusätzlich zum Monkeys Music Club übernommen hat, über die Bühne. Keith hatte mich freundlicherweise auf die Gästeliste gesetzt, unser gemeinsamer Bandkollege Christian hatte sich angekündigt und ein DJ-Duo legte Reggae-, Ska- und Soul-Klassiker auf – gute Voraussetzungen für einen fröhlichen Abend schon mal. Den Support übernahmen die Niederländer THE YOUNG ONES, die nach reichlich Zeit zum Vorglühen (angegeben war ein Beginn um 20:00 Uhr, doch es wurde deutlich später) im inzwischen vollen Laden als klassisches Quintett mit Sänger und zwei Gitarristen ihre Streetpunk-Attacken ritten. Sofort begannen einige mit Ausdruckstanz und Rempelrangel, andere feuerten anderweitig die Band an oder hörten schlicht interessiert zu. Zu letzteren zählte ich mich, denn ich kannte die Band, die seit 2005 vier Alben und ebenso viele EPs veröffentlicht hat, bisher nicht. Ihre Spielfreude war ansteckend und ein genialer Refrain wie z.B. von „Forever Young“ (kein Alphaville-Cover) ging direkt ins Ohr und lud zum leidenschaftlichen Mitsingen ein. Etwas unverständlich, dass der ausgelassenen Stimmung und dem verdammt guten P.A.-Sound zum Trotz niemand außer mir eine Zugabe forderte, sodass meine Worte ungehört verhallten. Klasse Liveband jedenfalls, während deren Auftritt kurioserweise der bereits gehisste RED-BRICKS-Banner von der Wand segelte.

Ein böses Omen für den Auftritt der LP-Debütanten? Weit gefehlt! Der Banner wurde wieder aufgehängt und hielt den kompletten Gig. Gastsänger Baba hatte nur wenige Proben mit RED BRICKS, niemand hatte erwarten können, dass er alle Texte auswendig kennt. Es gelang ihm aber, als Sänger mit Textständer auf der Bühne nicht albern auszusehen – ganz im Gegenteil: Wie da quasi jeder Einsatz saß und er nicht verunsichert permanent mit den Augen an den Textblättern klebte, sondern sie wie nebenbei ablas, um sie mit kräftiger, rauer Stimme selbstbewusst zu interpretieren, ringt mir eine Menge Respekt ab. RED BRICKS spielen viel in wuchtigem Midtempo gehaltenen, englischsprachigen No-Bullshit-Oi! mit Melodie und einigem Pathos, zu dem der Mob vom ersten Akkord an mitging. Anlässlich ihrer Albumveröffentlichung wurde die absolut souverän auftretende Band gefeiert wie Szenestars, was sicherlich auch als Zeichen des Zusammenhalts innerhalb der sich explizit antifaschistisch positionierenden Skinheadszene gewertet werden kann – und natürlich nicht zuletzt dafür, dass der Sound den Geschmack größerer Teile der Szene trifft. Dennoch: Der Geist von Solidarität und gegenseitiger Unterstützung, gerade unter widrigen Umständen und über Ländergrenzen oder gar Kontinente hinweg, durchzog diesen Konzertabend, sei es durch das kurzfristige Einspringen eines singapurischen Sängers, sei es durch den Rückhalt durchs Publikum, den die Band auch nach der Trennung von ihrem Sänger erfuhr. Der Auftritt endete nach zehn Songs mit „Alerta Antifascista“-Chören seitens des Publikums, die Band hatte die Herausforderung mit Bravour bestanden. Ihre LPs schienen sich wie geschnitten Brot zu verkaufen und im Gartenbereich des Indras wurde fröhlich weitergetrunken, sich ausgetauscht und gefeiert, während man drinnen zu den DJs tanzte, bis die Party ins St. Pauli Eck verlagert wurde.

Dieses dann gleich auszutrinken, bis man in den frühen Morgenstunden zusammen mit dem Unrat vor die Tür gefegt wird, entsprach nicht unbedingt dem ursprünglichen Plan, aber, hey: „Built Over Time“-Record-Release-Party ist nur einmal im Leben und man muss die Feste feiern, wie sie fallen!

Vielleicht noch ein paar nachdenklichere Worte zum Schluss: Dass man sich von seinem Sänger trennt, weil man ihn für nicht mehr tragbar hält, seine Texte aber weiterhin singt bzw. singen lässt, fühlt sich irgendwie seltsam an. Letztlich ist das wohl ein Beispiel dafür, Kunst und Künstler, wenn man so will, voneinander zu trennen. Dies ist RED BRICKS offenbar geglückt, denn das Publikum hat es akzeptiert, zumal die Texte damit auch nichts zu tun hatten. RED BRICKS suchen gerade aktiv nach einem neuen Sänger, der dann sicherlich auch eigene Texte einbringen könnte. Wer Interesse hat, kann die Band über die üblichen Kanäle kontaktieren. Ich gratuliere zum Album sowie zur Release-Party und wünsche viel Glück!

Reich bebildert auch hier:
https://www.pissedandproud.org/29-04-20 ... oung-ones/
Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
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karlAbundzu
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Re: Euer nächstes/letztes Konzert bzw. Live-Event

Beitrag von karlAbundzu »

Ausdruckstanz und Rempelrangel!
Wäre auch ein guter Titel.
Danke für den bildhaften Bericht.
jogiwan hat geschrieben: solange derartige Filme gedreht werden, ist die Welt noch nicht verloren.
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FarfallaInsanguinata
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Re: Euer nächstes/letztes Konzert bzw. Live-Event

Beitrag von FarfallaInsanguinata »

Wow!
Spannender Konzert-Bericht; ich wusste nämlich gar nicht, dass es "The Young Ones" überhaupt noch gibt. Und hätte ich rechtzeitig gewusst, dass die in Hamburg spielen, wäre das sogar interessant für einen persönlichen Besuch gewesen. :(

btw. Sind "The Young Ones" nicht in den 00ern mal in dieser bösen belgischen Skinhead-Kneipe aufgetreten, wo auch böse Bands wie "Vortex" und "Endstufe" zu Gast waren? :kicher:
Diktatur der Toleranz
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