bux t. brawler - Sein Filmtagebuch war der Colt

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Tatort: Friss oder stirb

„Hinsetzen!“

Der 15. Luzerner „Tatort“ um Kommissar Reto Flückiger (Stefan Gubser) – der 14. Gemeinsame mit Kommissarin Liz Ritschard (Delia Mayer) – entstand Ende 2017 unter der Regie Andreas Senns („Verfolgt – Der kleine Zeuge“) nach einem Drehbuch Jan Cronauers und Matthias Tuchmanns. Erstausgestrahlt wurde der Krimi am 30. Dezember 2018.

„Es kann nicht jeder mit Privilegien geboren werden – sonst wären’s ja keine mehr!“

Die Luzerner Wirtschaftsprofessorin Meili, die an der örtlichen Universität lehrte, wird durch mehrere Messerstiche ermordet in ihrer Wohnung aufgefunden. Die Kommissare Flückiger und Ritschard hegen einen Anfangsverdacht gegen den CEO des Schweizer Unternehmens „Swisscoal“, Anton Seematter (Roland Koch, „Bettys Diagnose“). Auf den hat es auch der Deutsche Mike Liebknecht (Mišel Matičević, „The Company“) abgesehen, dessen Bremerhavener Arbeitsplatz gerade wegrationalisiert wurde, weil Seematter Stellen nach Asien verlagert hat. Liebknecht überfällt Seematters Frau Sofia (Katharina von Bock, „Plötzlich Deutsch“) und Tochter Leonie (Cecilia Steiner, „Ziellos“) im Familienanwesen und wartet auf dessen Ankunft, um von ihm den Lohn einzufordern, den er in den knapp 20 Arbeitsjahren bis Rentenantritt verdient hätte. Doch auch die beiden Kommissare treffen irgendwann ein…

Die plappernden Navigationsgeräte während der Autofahrten der Beteiligten zieht sich als wiederkehrendes Motiv durch diesen „Tatort“, der sein Publikum zunächst einmal eine halbe Stunde lang in die Irre führt, bis er das Motiv des Home-Invasion-Geiselnehmers preisgibt. Bis dahin hat man von einer möglichen Affäre des Mordopfers sowie etwaigen ausgeschlagenen Bestechungsversuchen erfahren und Cecilia Steiner in hübsch gemachten Poolschwimmszenen im Bikini gesehen, die die luxuriöse Ausstattung des Anwesens veranschaulichen. Hinsichtlich seiner Motivation hielt sich Liebknecht bis zum Eintreffen des Familienoberhaupts jedoch bedeckt und würdigte die Luxusdamen kaum eines Worts.

Nachdem sich Herr und Frau Kommissar zur illustren Runde hinzugesellt haben, gerät der „Tatort“ zum Kammerspiel, wenngleich in einer recht großzügigen „Kammer“. Schüsse Fallen und Karten werden neu gemischt, Fallen gestellt, Sympathien neu verteilt, sich miteinander verschworen, gegenseitig umzubringen versucht und anschließend verbrüdert. Das ist mal durchaus gewitzt, mal aber auch kaum noch nachvollziehbar. Vor allem aber bietet all das kaum Möglichkeiten für die Kommissare, ihrer Arbeit nachzugehen, da sie sich die meiste Zeit in der Gewalt des Geiselnehmers befinden und beinahe sämtliche Entscheidungen über ihre Köpfe hinweg getroffen werden. Sollte es sich dabei um einen absichtlichen Kniffs des Drehbuchs gehandelt haben, hätte man daraus gern mehr machen dürfen, beispielsweise durch eine tatsächlich konsequente Handlungsunfähigkeit des ermittelnden Duos.

Der u.a. mit Johnny Cashs „Danny Boy“ und „Paint It Black“ der Rolling Stones musikalisch unterlegte Krimi mit Thriller- und Familendrama-Anleihen bedient einige Klischees in Bezug auf die stinkreiche Familie und zeichnet vor allem Leonie eindimensional als hassenswerten Stinkstiefel. Der Fall zieht sich bisweilen und mündet in ein melodramatisches Ende, an das ein wenig glaubwürdiger, die Klischees überstrapazierender Epilog gehängt wird, der die Identität des Mörders preisgibt, dessen Überführung quasi nur noch Formsache ist. Als Pointe ist das eher unbefriedigend, wenngleich sich Senn und seine Autoren redlich um Kapitalismuskritik bemühen und die (Nicht-)Käuflichkeit von Menschen auf eigentlich vielversprechender Grundlage thematisieren. In seinem Ergebnis ist dieser „Tatort“ mir aber mit zu dickem Pinsel aufgetragen, zu wenige Zwischentöne aufweisend und unterm Strich eine ganz schöne Räuberpistole, die, stärker mit Genrecharakteristika ausgestattet, sicherlich unterhaltsamer ausgefallen wäre. 5,5 von 10 Beinschüssen dafür.
Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
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Fahrenheit 11/9

Michael Moore, Star des politischen US-amerikanischen Dokumentarfilms, vertauschte für seinen nach „Kapitalismus: Eine Liebesgeschichte“ (2009) und „Where to Invade Next“ (2015) jüngsten Film „Fahrenheit 11/9“ aus dem Jahre 2018 schlicht die Zahlen seines Erfolgsfilms „Fahrenheit 9/11“ (2004), in dem er sich kritisch mit George W. Bushs verheerender Präsidentschaft auseinandersetzte. Anhand der mehr oder weniger überraschenden Präsidentschaft des Milliardärs Donald Trump seit 2016 ergründet er den Zustand der US-amerikanischen Gesellschaft und ihres politischen Systems.

Zunächst einmal zeichnet er ein Bild von Trump als Medienphänomen, das den meisten außerhalb der USA unbekannt gewesen sein dürfte: Wie Trump durch Partizipation an irgendwelchen Unterhaltungssendungen überhaupt erst als Präsidentschaftskandidat ins Gespräch kam, was anfänglich noch gar nicht ernstgemeint war. Was daraus wurde ist Geschichte und wie es dazu kam Gegenstand von Moores Analysen. Es ist das Totalversagen der Gegenspieler Trumps: der Demokratischen Partei. Diese verfügt über keinerlei proletarisches Profil mehr, ist durchzogen von Korruption und fälschte sogar die Ergebnisse parteiinterner Abstimmungen, um eine falsche Schlange wie Hillary Clinton zur Präsidentschaftskandidatin hochzujazzen – die Ehefrau eines der miesesten ehemaligen demokratischen US-Präsidenten sollte Nachfolgerin des Schaumschlägers Obama werden, der vor allem mit Drohnenmorden und der Verurteilung von Whistleblowern auffiel. Trump hingegen schien die Demokraten links zu überholen, als er versprach, mit Kriegen schlusszumachen und die Soldatinnen und Soldaten zurück in die USA zu holen. Das kam ebenso gut an wie seine Anti-Politestablishment-Attitüde. Moore hatte Trumps Wahlsieg vorhergesagt und damit den wesentlich besseren Riecher bewiesen als der Großteil sog. Wahlforscher und -beobachter.

Mit dem Skandal um die Wasserversorgung in Moores Heimatstadt Flint, die der republikanische Gouverneur Rick Snyder im Interesse der Privatwirtschaft auf vergiftetes, bleihaltiges Wasser umgestellt und damit zahlreiche Todesfälle und nachhaltige Vergiftungen zu verantworten hat, hat Moore das perfekte Beispiel für die Perfidie des US-Kapitalismus und dessen Steigbügelhalter, der Republikanischen Partei, gefunden – und für das Enttäuschen aller in die Demokraten gesetzten Hoffnungen: Obama entblödete sich während seiner Präsidentschaft nicht, mit viel Brimborium persönlich nach Flint zu reisen, um das Problem kleinzureden und mehrmals so zu tun (!) als trinke er vom vergifteten Leitungswasser, um zu demonstrieren, wie harmlos es angeblich sei.

Apropos Wasser: Aus Protest Trump zu wählen ist natürlich wie aus der Kloschüssel zu trinken, wenn das Bier nicht schmeckt, wie Moore anhand der kritischen Betrachtung Trumps anschaulich darlegt. Jedoch hatte Trump – wie einst Bush jr. – gar nicht die Mehrheit aller Stimmen erhalten. Statt sich gegen seine eigenen Landsmänner und -frauen in Antiamerikanismus zu ergehen, entlarvt er das US-System als kapitalistische Scheindemokratie. Anhand von Umfrageergebnissen zu verschiedenen Themen rückt er das sich gerade im Ausland manifestierende Bild vom reaktionären, stumpfsinnigen US-Bürger zurecht und skizziert das Volk als ein mehrheitlich durchaus progressiv orientiertes. Und statt in Desillusion und Agonie zu verfallen, proträtiert Moore diverse erfolgreiche Aktionen von NGOs und in die Politik drängende unkorrumpierte Menschen, die zu den Hoffnungsträgern dieses Films werden.

Moore wird häufig vorgeworfen, mit populistischen Mitteln zu arbeiten. Ein Teil davon ist bestimmt der hierzulande ungewohnten US-amerikanischen Debattenkultur geschuldet. Nichtsdestotrotz ist es sicherlich grenzwertig, wenn Moore durch Schnittcollagen Trump in die Nähe eines inzestuösen Familienvaters rückt – und vor allem, wenn er Aufnahmen Adolf Hitlers mit Reden Trumps unterlegt, um eindringlich die Parallelen aufzuzeigen und vor der Entwicklung der USA zu einer diktatorischen Autokratie zu warnen. Das Anliegen ist ein hehres, jedoch kann es Hitler-verharmlosend wirken: Autokraten und Diktatoren sind schlimm genug, der industrielle Völkermord Hitlers und seiner Schergen ist jedoch noch einmal von ganz anderer „Qualität“. Doch wie dem auch sei: Die bevorstehende US-Präsidentschaftswahl wird zurzeit mit Spannung erwartet und es würde wohl niemanden wundern, wenn diese nicht reibungslos über die Bühne ginge.

Unterm Strich hat Moore mit „Fahrenheit 11/9“ sehr vieles richtig gemacht: Sachverhalte anhand konkreter Beispiele verdeutlicht, Klartext gesprochen und anhand nachprüfbarer Daten untermauert, zwecks Authentisierung auf zahlreiches Archivmaterial zurückgegriffen und statt auf Frust auf Konstruktivität gesetzt, indem er seinem Publikum engagierte Mitmenschen als Vorbilder präsentiert – und nicht zuletzt seinen zweistündigen Film derart unterhaltsam montiert und geschnitten (bzw. schneiden lassen), dass er kurzweilig anmutet, aber lange nachwirkt.
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Sieben goldene Männer

Goldene Kassen in der Schweiz

Der italienische Regisseur Marco Vicario („Die nackten Stunden“) bediente mit seinem 1965 veröffentlichten Spielfilm „Sieben goldene Männer“ das seinerzeit beliebte Heist-Genre, einen Unterbereich des Kriminalfilms, und kombinierte es mit der Komödie sowie der Swingin‘-Sixties-Ästhetik. Als Hingucker fungierte seine Ehefrau Rossana Podestà („Das Schloss des Grauens“).

„Der Professor“ (Philippe Leroy, „Das wilde Auge“), ein mit bürgerlichem Namen eigentlich Albert heißender Gentleman-Verbrecher, hat eine Bande aus sechs Einbruchsspezialisten aus verschiedenen europäischen Nationen zusammengestellt, deren Namen alle mit dem Buchstaben „A“ beginnen: Adolf (natürlich Deutscher, in der deutschen Fassung machte den Briten Arthur aus ihm; Gastone Moschin, „Milano Kaliber 9“), Aldo (Gabriele Tinti, „Black Emanuelle“), August (Giampiero Albertini, „Das Geheimnis der blutigen Lilie“), Anthony (Dario De Grassi, „Lanky Fellow“), Alfonso (Manuel Zarzo, „Blutiges Blei“) und Alfred (Maurice Poli, „Tote faulen in der Sonne“) sollen unter seiner Federführung und unter Mithilfe seiner Geliebten Giorgia (Rossana Podestà) als städtische Straßenarbeiter getarnt die im Hochsicherheitstresor der Genfer „Credit Suisse Bank“ lagernden nationalen Goldbestände stehlen. Der Weg führt durch die Kanalisation, doch der ausgeklügelte Plan, angeleitet und überwacht von einem zur Kommandozentrale umfunktionierten luxuriösen Hotelzimmer mit Blick auf das Bankgebäude aus, droht aufgrund unvorhergesehener Ereignisse immer wieder zu scheitern. Die Sicherheitsanlagen zählen zu den modernsten schlechthin, die Polizei beginnt ein Auge auf die „Arbeiter“ zu werfen und die Luft unter Tage wird knapp. Erschwerend hinzu kommt, dass sich unterschiedliche Vorstellungen über die Aufteilung der Beute herauskristallisieren…

Vicario stößt sein Publikum direkt ins kalte Wasser, indem er seinen Heist-Film unmittelbar und ohne vorausgeschaltete Erklärungen ungewöhnlicherweise mit dem Coup beginnt. Worum es geht und wie der Plan (von dem übrigens auch eine klassische Faltpapierversion in, nun ja, stark abstrahierter Form existiert, auf das der Professor immer wieder einen Blick wirft) genau aussieht, erschließt sich erst im Laufe der Zeit. Eben jene Zeit ist mit zahlreichen europäischen Galgenvogel-Charaktergesichtern, der erotische Farbtupfer setzenden, in jeder Szene einen anderen irren Fummel und die grellsten Kassengestelle tragenden Podestà sowie einer wahrlich fesselnden, zum Nägelkauen animierenden Inszenierung überaus unterhaltsam und kurzweilig gestaltet.

Der Humor ist keiner der albernen, klamottigen Schenkelklopfersorte, sondern spitzbübisch, süffisant und sympathisch, zudem mit Bedacht gezielt lediglich partiell eingesetzt, wenngleich über dem Ganzen stets die überzeichnete und dadurch bereits humoreske Konstellation schwebt. Auf die Coup-Turbulenzen folgen gleich mehrere Wendungen und schließlich tumultartige Szenen, die Exzentrik des Professors und die Extravaganz Giorgias ergänzen sich prächtig und vor dem Hintergrund der Swingin‘-Sixties-Style-Offensive ist das alles ein gut durchkomponierter, ziemlich gelungener Spaß.

Das häufig wiederaufgegriffene Titellied dürfte an manch Katersonntag jedoch eher Kopfschmerz denn Wohlgefühl bereiten, Leroy gibt sich – zumindest in der deutschen Synchronisation – etwas sehr, aber dafür umso weniger glaubwürdig um einen britischen Akzent bemüht, und, und das wiegt am schwersten: Dass das Harmoniebedürfnis letztlich die Geldgier zu überwiegen scheint und man sich mir nichts, dir nichts diverse Gemeinheiten gegenseitig verzeiht, ist ein für meinen Geschmack zu großes Zugeständnis an den luftigeren Komödienstil. Verglichen mit anderen Heist-Filmen fehlt mir hier die letzte Konsequenz. Nichtsdestotrotz ein schöner, auf der Tonspur auffallend lauter Film und ein idealer Einstieg beispielsweise in ein kleines Kinofestival!

P.S.: Ein echter Coup scheint auch die Entstehung des Films gewesen zu sein, denn angeblich war es verboten, einen Bankraub in der Schweiz zu drehen, weshalb Vicario auf ein gefälschtes Drehbuch zurückgriff…
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Suspiria

Das Geheimnis der blauen Iris

„Das ist Pavlo, unser Faktotum!“

Der italienische Filmemacher Dario Argento, der sich zuvor in erster Linie als Schüler Bavas mit seinen gern zur sog. „Tier-Trilogie“ zusammengefassten Gialli „Das Geheimnis der schwarzen Handschuhe“, „Die neunschwänzige Katze“ und „Vier Fliegen auf grauem Samt“ einen Namen gemacht hatte, legte mit seinem Übersatteln ins Horror-Genre im Jahre 1977 den Grundsein für eine tatsächliche Trilogie: „Suspiria“, dessen von Argento zusammen mit seiner damaligen Lebensgefährtin Daria Nicolodi verfasstes Drehbuch lose auf Thomas de Quincey Prosasammlung „Suspiria De Profundis“ und dessen Beschreibung dreier Hexen sowie Überlieferungen Darias Großmutters, einer ehemaligen Ballettschülerin, basiert, wurde nicht nur zu einem vollen Erfolg an den Kassen der Lichtspielhäuser, sondern stellt bis heute eine unnachahmbare Stilikone des Genres dar.

Die blutjunge US-Amerikanerin Suzy Bannion (Jessica Harper, „Phantom im Paradies“) reist nach Deutschland, um an der Freiburger Tanzakademie Ballett zu studieren. Als sie sich per Taxi vom Münchner Flughafen in die Freiburger Escherstraße fahren lässt, wird sie Zeugin, wie eine junge Frau aus der Ballettschule zu fliehen scheint. Suzy indes verwehrt man den Einlass. Am nächsten Morgen jedoch empfängt ihre Lehrerin Mrs. Tanner (Alida Valli, „Schwarze Messe der Dämonen“) sie freundlich, muss ihr jedoch auch eröffnen, dass es in der letzten Nacht zu einem furchtbaren Todesfall gekommen sei. In der Tat wurden die junge Frau, die Suzy beobachtet hatte, und deren Freundin in einem Hotel von dämonischen Kräften ermordet. Suzy versucht sich einzuleben und findet in Sara (Stefania Casini, „Andy Warhols Dracula“) eine Freundin, die mit der Toten befreundet war und Suzy anvertraut, dass ihr die Akademie nicht geheuer sei: Seltsame Dinge gingen vor sich. Nachdem sich mysteriöse Ereignisse häuften und eines Tages auch Sara verschwunden ist, stellt Suzy auf eigene Faust Nachforschungen an…

Man merkt „Suspiria“ durchaus an, dass Argento vom Giallo kommt, sei es durch die von außerhalb, gar aus dem Ausland, eindringende Figur, der es schließlich obliegt, einem Geheimnis auf die Spur zu kommen, sei es durch das wichtige Detail, das diese Figur aufgeschnappt hat, es aber noch nicht zu dechiffrieren versteht. Wesentlich interessanter aber ist der visuelle Stil dieses Films mit seinen schaurig-schönen, expressionistischen Bildern, seiner aggressiven, die Technicolor-Möglichkeiten wiederaufgreifenden und ausreizenden Farbgebung und die aus ihr resultierende Farbdramaturgie sowie die Inszenierung von Architektur, die Argento etwas später in „Inferno“ auf die Spitze treiben sollte. Die Fassade des Freiburger „Haus zum Walfisch“ wurde als Studiokulisse nachgebaut und wird zum Einfalltor in eine oft unwirklich, beinahe surreal anmutende, bedrohliche Welt, in der nicht nur junge Frauen unangenehm herrischen, matronenhaften Leiterinnen ausgesetzt sind, sondern ein stummer Diener (Giuseppe Transocchi, „Töten war ihr Job“) als Faktotum bezeichnet wird, ein blinder Pianist (Flavio Bucci, „Die Arbeiterklasse kommt ins Paradies“) plötzlich nicht mehr genehm ist, es Maden von den Zimmerdecken regnet und man nach Begegnungen mit unheilvollen Gestalten erst einmal das Krankenbett hüten muss – ganz zu schweigen vom fürchterlichen Röcheln, das sich nachts durchs Gemäuer hindurch an die Ohren der Schülerinnen bahnt.

Die Bezugnahmen auf den Künstler M.C. Escher wirken in diesem Zusammenhang wie ein Beleg für die bewusste Anreicherung des Films um surrealistische Motive, die ihm zusammen mit der visuellen Darreichungsform etwas Märchen- und Fiebrig-Alptraumhaftes zugleich verleihen. Die Kamera scheint ein Eigenleben zu führen, umkreist ihre Figuren und lässt plötzlich von ihnen ab wie ein Insekt, das sich nicht nur für die Menschen, sondern für den ganzen Raum interessiert, unstet suchend und in seinen Bewegungen schwer vorauszuahnen. Bereits die im strömenden Regen spielende Eröffnungssequenz ist eine meisterhafte Inszenierung nicht nur puren Terrors, sondern auch jugendlicher Angst vor dem Unheil aus dem Dunkel – und der eigenwilligen Zelebrierung und Ästhetik des Todes, wenn Argento in einer irren Bildabfolge Gewalt und tödliche Kettenreaktionen in mit Kunstblut verzierte Mädchenleichen kulminieren lässt. Das Prinzip ist nicht neu, hier aber besonders eindrucksvoll präsentiert.

Ein echter Besetzung-Coup war die Verpflichtung Jessica Harpers. Mit ihren großen Augen und ihrer Ausstrahlung erinnert sie an ein scheues Reh und weckt unweigerlich Beschützerinstinkte, doch im besten Stile eines Final Girls sieht das Böse sich in ihr getäuscht, denn sie wächst über sich hinaus – in einem Kampf, in dem Fäulnis und Verfall den Kontrast zur Blüte der Jugend bilden, die sich der Lebensenergie raubenden Macht des sich auf ihre Kosten künstlich am Leben haltenden Alten erwehrt. Dass die Hexenthematik des (mutmaßlich) in der Gegenwart des Entstehungszeitraums spielenden Films ebenso anachronistisch wirkt wie der unerbittlich maßregelnde und zum Konformismus erziehende, jedoch stets unter dem Deckmantel von Anstand, Sitte und Kultur elitär agierende Konservatismus der Akademie ist dabei sicher kein Zufall. Ausgerichtet hat Argento seinen Film voll und ganz auf die weiblichen Figuren; wie er namhafte Schauspieler wie Udo Kier („Hexen bis aufs Blut gequält“) und Rudolf Schündler („Der Exorzist“) auf die Nebenplätze verweist, ist beinahe provokant. Herausfordernd ist auch die grafische Gewalt, die sich punktuell auch über die Exposition hinaus durch den Film zieht und sich an blutigen Spezialeffekten ergötzt.

Damit bedient „Suspiria“ aller Entrücktheit zum Trotz indes auch Genreklischees, zu denen auch der intensive Einsatz von Unwetter, Blitz und Donner zu zählen ist. Während sich daran sicherlich kaum ein(e) Genrefreund(in) stören dürfte, mutet Argentos Handlungsortspagat mitunter etwas befremdlich an: Dass eine Taxifahrt von München nach Freiburg eher ungewöhnlich ist, lässt sich nicht einmal an der Reaktion des Taxifahrers (Fulvio Mingozzi, „Frankenstein ‘80“) ablesen und spielte für Argento offenbar keine Rolle. Dass es den blinden Pianisten nach seiner Entlassung ins Münchner Hofbräuhaus verschlägt, wo er eine furchtbare Schuhplattleraufführung vermutlich nur aufgrund seiner Behinderung zu goutieren weiß, ist jedoch ein Bayernklischee, das mit dem eigentlichen Handlungsort – Freiburg – nun so gar nichts zu tun hat. Will sagen: Beide Städte verschmelzen bei „Suspiria“ auf ungünstige Weise miteinander. Dass sich Argento kaum über das Mindestmaß hinaus für seine Figuren interessiert und selbst die Biografie der Hauptrolle im Diffusen belässt, ist wiederum ein Indiz für die Gewichtung des Films zugunsten seiner audiovisuellen Erscheinung, weniger seines erzählerischen Inhalts. An der Imposanz eben jener Erscheinung hat die Progrock-Band Goblin entscheidenden Anteil, die einem mit ihren Stücken das Gruseln lehren und zugleich ein Klangerlebnis schaffen, das in seiner Dominanz und seinem Mut zur Eigenständigkeit über das so vieler anderer Horrorfilme hinausgeht und Goblin zum Durchbruch verhalf.

„Suspiria“ ist bewusst überaus artifiziell gehalten, und doch versteht es Argento, eine Vielzahl ganz wunderbarer Suspense- und Grusel-Szenen zu arrangieren und miteinander zu vermengen, die sein Publikum auf emotionaler Ebene mitnehmen. Von „Momenten“ zu sprechen verbietet sich da, vielmehr handelt es sich um von langer Hand vorbereitete und ohne falsche Hektik durchexerzierte Sequenzen. In Bezug auf die Klimax leisten sie jedoch auch einer Erwartungshaltung Vorschub, die die dann leider doch etwas profan geratene finale Konfrontation mit dem Bösen nicht erfüllen kann. Das Finale ist der vielleicht größte Schwachpunkt dieses ansonsten insbesondere auf großer Kinoleinwand faszinierenden, unverwechselbaren Films.

Dass „Suspiria“ der Auftakt einer Trilogie sein würde, war zum Zeitpunkt seiner Veröffentlichung gleichwohl noch nicht klar. Erst „Inferno“ rückt die Geschichte um die drei Hexen in den Mittelpunkt und enthüllt die Identität der Akademieleiterin Helena Markos als Mater Suspiriorum (Mutter der Seufzer).
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Tatort: Land in dieser Zeit

„Kill all Nazis“

Der fünfte „Tatort“ des in Frankfurt am Main ermittelnden Kommissarduos Anna Janneke (Margarita Broich) und Paul Brix (Wolfram Koch) wurde im Frühjahr 2016 unter der Regie Markus Imbodens, der seit 2011 bereits diverse Beiträge der öffentlich-rechtlichen TV-Krimi-Reihe inszeniert hatte, auf Basis eines Drehbuchs Khyana el Bitars, Dörte Frankes und Stephan Brüggenthies‘ gedreht. Die Erstausstrahlung erfolgte im Januar 2017.

„Fallfischbauch!“

Auf einen Friseursalon am Frankfurter Tettenbornplatz wird zu vorgerückter Stunde ein Brandanschlag verübt, der verkohlte Leichnam der Auszubildenden Melanie Elvering anschließend im ausgebrannten Laden aufgefunden. Auf den Bürgersteig vorm Salon wurde „Kill all Nazis“ geschrieben. Die Kripokommissare Anna Janneke und Paul Brix befragen zunächst die Leiterin des Salons, Rosi Grüneklee (Birge Schade, „Der Skorpion“), und anschließend deren junge Angestellte Vera Rüttger (Jasna Fritzi Bauer, „Jerks“). Zusammen mit Melanie war sie kurz zuvor in Streit mit dem senegalesischen Drogendealer John Aliou (Warsama Guled, „Zeit der Kannibalen“) geraten, der sich vorm Salon aufhielt und die Frauen als Nazis beschimpft hatte. Tatsächlich werden seine Fingerabdrücke an den Überresten des Brandsatzes gefunden. Doch ist er wirklich der Täter? Vera und ihre WG-Mitbewohnerin Juliane Kronfels (Anna Brüggemann, „Kleinruppin Forever“) gehören offenbar zum neurechten Milieu der Stadt, zu dem auch Kioskbesitzerin Margaux Brettner (Odine Johne, „Die Welle“) zählt…

„Waren Sie nie im Chor?!“

Woher dieser „Tatort“ seinen Titel nimmt, wird schnell klar, wenn zu Beginn das von einem Chor gesungene „Kein schöner Land“ erklingt. Beim Anblick der bis zur Unkenntlichkeit verkohlten Leiche dürfte sich manch Zuschauer(in) erschrocken haben, danach allerdings gelingt es dieser Episode kaum, nachhaltiges Interesse zu wecken. Regelmäßige Zuschauer(innen) der Janneke/Brix-„Tatorte“ müssen sich unvermittelt an einen neuen Leiter der Mordkommission gewöhnen, denn Roeland Wiesnekker hat seine Rolle als Kommissariatsleiter Henning Riefenstahl überraschend und innerhalb des Narrativs unthematisiert hingeschmissen. Als sein Nachfolger tritt nun Bruno Cathomas („Ich und Kaminski“) als Fosco Cariddi in Erscheinung, eine Rolle, die offenbar humoristisch konnotiert werden sollte, den neuen Leiter jedoch als seltsamen Freak zeichnet, der keine Gelegenheit auslässt, anlasslos schräge Gedichte des Österreichers Ernst Jandl zu deklamieren.

Dieser Running Gag erweist sich als ebensolcher Rohrkrepierer wie die Posse um die Flüchtlinge, die Brix‘ Vermieterin Fanny (Zazie de Paris) in der gemeinsamen Wohnung einquartiert hat. Ein zweifelhaftes Humorverständnis, das hier an den Tag gelegt wird – und sich auch in den überflüssigen Slapstick-Einlagen widerspiegelt, wenn wieder einmal etwas zu Boden fällt oder verschüttet wird. Auch die unvermittelten Gesangseinlagen hätte man sich besser verkniffen. Neben der Polizeiarbeit mit Verhaftung, erkennungsdienstlicher Behandlung, Gegenüberstellung und Einblicken in ein zugegebenermaßen ziemlich faszinierendes Scherbenzusammensetzungsprogramm am Polizei-PC beleuchtet dieser „Tatort“ Vera Rüttgers Umfeld zwischen Chorproben und Rockdisco. Im Rahmen der Polizeiarbeit ergeben sich Zweifel an Veras und Margaux Brettners Zeuginnenaussagen und tatsächlich hat sich manches anders zugetragen als zunächst zu Protokoll gegeben.

Zwar verweist man damit auf die sicher nicht unrealistische Unzuverlässigkeit von Zeuginnen und Zeugen, doch wohin die Reise geht, lässt sich bald erahnen: Der Verdächtige ist nicht der Täter. Handelte es sich um einen Neonazianschlag, der ihm in die Schuhe geschoben werden soll, eventuell gar in Verbindung mit einem Versicherungsbetrug? Das ist schon einmal nicht unbedingte die begnadetste Drehbuchidee, war aber vielleicht gut gemeint, um auch eher unliebsame ausländische Mitbürger wie kleinkriminelle Drogendealer vor Vorverurteilung zu schützen und aufzuzeigen, wozu sich in der Öffentlichkeit eher bieder gebende organisierte Neonazis fähig sind. Nur zeigt sich im Verlaufe der Handlung recht deutlich, weshalb gut gemeint mitunter das Gegenteil von gut gemacht ist.

Die Disco, in der einer der Kripobullen einen peinlichen Auftritt aufs Parkett legt, spielt mehr oder weniger zeitgenössische Rock- und Metal-Musik, scheint aber zugleich so etwas wie das Hauptquartier der Neonazis zu sein, wodurch diese Musik indirekt mit ihnen in Verbindung gebracht wird. Besten Dank auch… Die gekonnt aggressiv aufspielende Jasna Fritzi Bauer wertet diesen „Tatort“ zumindest so lange auf, bis das Verhalten ihrer Rolle nicht mehr nachvollziehbar ist und sie sogar für eine zum Fremdschämen anregende Szene herhalten muss, in der sie jemandem in der Disco einen runterholt. Narrativ entscheidende Ereignisse hingegen werden lediglich in Dialogform nacherzählt, aber nicht gezeigt. Wie fast alle anderen Figuren auch bleibt Vera einem fremd. In der Handlungszuspitzung darf natürlich nicht ausbleiben, dass die Polizei einen vermeintlichen Syrer aus Brix Wohnung abholt, weil es sich eigentlich um einen Afghanen handelt, und eine Muslimin wird auf der Straße von drei Männern zusammengeschlagen. Mit dem eigentlichen Fall hat all das indes nichts zu tun. Authentisch wirkt hier kaum etwas, eher wie eine einzige unfreiwillige Freakshow, an deren Ende zu allem Überfluss auch niemand überführt wird. Stattdessen suggerieren Imboden und seine Autor(inn)en, die Dealer harter Drogen würden von der Polizei mit Samthandschuhen angefasst. Das ist Wasser auf die Mühlen Rechtsradikaler und erweist „der guten Sache“, der dieser „Tatort“ mutmaßlich dienen will, endgültig einen Bärendienst. Ein absolutes Negativbeispiel für aktuelle gesellschaftliche und politische Themen aufgreifende „Tatorte“.
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Thunder – Denn auf Blitz - folgt Donner…

„Mehr als meinen Körper haben sie meine Seele verletzt, diese dreckigen Hunde!“

Der Italiener Fabrizio De Angelis, zuvor in erster Linie als Produzent in Erscheinung getreten, besetzte ab den 1980er unter seinem Pseudonym Larry Ludman auch den Regiestuhl. Im Jahre 1983 debütierte er, inspiriert vom US-Kassenschlager „Rambo“, mit dem Action-Reißer „Thunder“.

„Wenn du deinen Schwanz behalten willst, lass es!“

Der kräftige junge Navajo-Indianer Thunder (Mark Gregory, „The Riffs“) kehrt nach Arizona zu seiner Freundin Shyla (Valeria Ross alias Valeria Cavalli, „Der Bomber“) zurück, die eine kleine Tankstelle betreibt. Ebendort wird sie von Deputy Henson (Raimund Harmstorf, „Der Seewolf“) verbal belästigt, woraufhin Thunder sie gegen den Widerling verteidigt. Daraufhin hat dieser ihn auf dem Kieker. Als Thunder von seinem Großvater erfährt, dass die Weißen vertragsbrüchig wurden und die uralte Begräbnisstätte seines Stammes sprengen wollen, um ein Observatorium zu errichten, und sogar die Bauarbeiter schon angerückt sind und auf den Friedhof pinkeln wollen, zieht er ihnen die Scheitel gerade und versucht, mit Sheriff Bill Cook (Bo Svenson, „Night Warning“) ins Gespräch zu kommen – vergeblich. Auch ein Sitzstreik vorm geldgebenden Kreditinstitut führt nicht zum gewünschten Erfolg, stattdessen wird er von Henson verhaftet und, unter der Auflage, die Stadt nicht mehr zu betreten, aus eben jener verfrachtet. Zu allem Überfluss wird er auch noch von zwei rassistischen Rednecks misshandelt. Doch statt klein bei zu geben, beschließt Thunder für das Recht seines Stammes zu kämpfen und den Indianerfriedhof zu verteidigen – ob mit Pfeil und Bogen oder mit der schweren Bazooka…

„Du macht ein Gesicht, als hätte dir ein Pferd auf den Kopf geschissen, Peter!“

Für die indigenen Völker Nordamerikas wäre es das Beste gewesen, die Europäer hätten den Kontinent nie erobert und die USA wären niemals gegründet worden. Doch statt in antiamerikanische Ressentiments zu verfallen, widme ich mich lieber De Angelis‘ „Thunder“, der sich „Rambo“ zum Vorbild nahm, aber doch eine ganz eigene Geschichte erzählt. Die Verachtung, die amerikanischen Ureinwohnern entgegenschlägt, wird bereits in der Eröffnungssequenz deutlich, wenn ein von Harmstorf eindrucksvoll gespielter weißer Kotzbrocken, der zudem Teil der US-Exekutive ist, Thunder rassistisch beschimpft, nachdem dieser seine Freundin verteidigen musste. Mehr als nur ein Indiz ist der Kampf, den Thunder anschließend gegen die Bautruppmitglieder bestreiten muss, als diese den heiligen Ort mit ihrem Urin entweihen wollen und ebenfalls nicht mit rassistischen Beschimpfungen geizen.

„Ein Weißer kratzt keinem Weißen die Augen aus…“

Doch was hier mit Faustkämpfen beginnt, schraubt sich in der Spirale der Gewalt und des Terrors immer höher. Zurück in der Stadt sieht sich Thunder einmal mehr Amtsmissbrauch und Polizeibrutalität ausgesetzt, als Henson ihn bis aufs Blut beleidigt, ihn bedroht und schließlich feige mit seinen Kollegen zusammenschlägt. Als Thunder sich zu wehren versteht machen die Feiglinge Jagd auf ihn und tun sich sogar mit den Rednecks zusammen. Dies ist der Ausgangspunkt für den Guerillakrieg (im kleinen Maßstab), den Thunder anzunehmen gezwungen ist und, um nicht weniger als sein Leben kämpfend, mit voller Wucht zurückschlägt. Dennoch ist er keinesfalls von blinder Wut getrieben, einem jungen Bullen (Giovanni Vettorazzo, „Sie nannten ihn Mücke“) rettet er sogar das Leben.

Zwischen die Fronten gerät der junge Reporter Brian Sherman (Paolo Malco, „Ich habe Angst“), der über die Ereignisse zu berichten beginnt, damit für eine weite Verbreitung des Kampfes bis in die US-amerikanischen Wohnzimmer hinein sorgt, aber auch als eine Art moralischer Instanz fungiert. Beide Seiten rüsten hoch, wobei Thunder nach wie vor eine (im US-Actionfilm klassische) Einmannarmee darstellt, während Henson auf Rache sinnend verletzt zu Hause sitzt. Die Durchführung des sinistren Plans, seine Freundin zu entführen und zu misshandeln und den Versuch, sie zu vergewaltigen, beantwortet Thunder mit dem Griff zur Bazooka und dem Kapern eines Bulldozers. Daraufhin geht’s natürlich so richtig rund, was seitens der weißen Aggressoren auch intendiert war: Sie haben ein Mordkomplott geschmiedet und wollten Thunder auf diese Weise anlocken, haben jedoch einmal mehr die Rechnung ohne dessen Wehrhaftigkeit gemacht.

„Thunder“ ist zwar relativ unblutig, verfügt aber einige schöne Stunts (u.a. einen spektakulären Sprung Thunders von einer hohen Klippe ins Wasser), Explosionen und Feuer sowie Verfolgungsjagden zu Lande und in der Luft. Statt auf Stuntmen griff man zwar auf Puppen zurück, was man aber größtenteils gut zu kaschieren verstand. Die Kamera arbeitet in den Actionszenen mit Peckinpah’schen Zeitlupen und außerhalb dieser mit Froschperspektiven und Panoramen der Drehorte, u.a. das wunderbar in Szene gesetzte Monument Valley, das eine wirklich prachtvolle Kulisse abgibt. Unterlegt werden die Bilder von einer an Morricone erinnernden Musik des Komponisten Francesco De Masi. Bei den Rollen handelt es sich um recht flache Klischeefiguren, die vom namhaften internationalen Ensemble jedoch mit einigem Leben gefüllt werden. Mark Gregory in der Hauptrolle stiefelt nicht mehr so stocksteif wie noch in „The Riffs“ durch die Steppe, ist aber kein großer Schauspieler. Dies macht er mit seiner physischen Präsenz wett, während seine Emotionsarmut mit etwas Wohlwollen als Ausdruck des Stoizismus seiner Rolle aufgefasst werden kann. Seine vermutlich in erster Linie budgetbedingten, aber sicherlich auch drehbuchimmanenten Schwächen verleihen „Thunder“ zeitweise einen gewissen naiven Charme, der ein wenig die gezeigte Grausamkeit abschwächenden Charakter besitzt, aber auch daran erinnert, dass man das alles nicht allzu verbissen ernstnehmen sollte. Die eine oder andere schräge Idee trägt ihren Teil dazu bei.

Wenngleich De Angelis seinen Film eindeutig als emotional an Gerechtigkeitsempfinden, Vergeltungssucht und archaische Kampfeslust seines Publikums appellierendes Genreprodukt konzipierte, ist es ihm zu danken, dass er ihn nicht auf eine männliche, weiße, reaktionäre US-Vietnamverlierer-Zielgruppe zuschnitt, wie es nicht nur so viele US-Action-Produzenten, sondern auch europäische Plagiatoren (vgl. Matteis „Der Kampfgigant“) seinerzeit taten oder sich sogar als Propagandisten fürs US-Militär einspannen ließen (s. „Top Gun“ und Konsorten). Im Gegenteil: „Thunder“ ergreift Partei für eine systematisch, u.a. von den Mitgliedern o.g. Zielgruppe unterdrückte Minderheit, plakativ zwar, aber daraus resultierend eben auch sehr unterhaltsam und ins Genre passend. Die aufgegriffenen Themen sind leider nach wie vor von bedrückender Aktualität: Bullenterror und Rassismus sind (nicht nur) in den USA allgegenwärtig, korrupte Politiker zerstören Reservate für Pipeline-Bauten usw… Ein Film wie „Thunder“ verschafft da wenigstens kurze Genugtuung. So hätte „Rambo II“ aussehen müssen!
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Tatort: Frankfurter Gold

„Gold hat etwas Magisches!“

Der „Tatort: Frankfurter Gold“ – ausgestrahlt im April 1971, sechster Beitrag zur deutschen TV-Krimireihe überhaupt – stellt das Debüt des Main-Frankfurter Hauptkommissars Konrad (Klaus Höhne, „Wilder Reiter GmbH“) dar. Für Buch und Regie zeichnet Eberhard Fechner („Vier Stunden vor Elbe 1“) verantwortlich, dessen erster „Tatort“ zugleich sein letzter wurde. Sein Drehbuch orientiert sich stark am realen Fall um den Goldfälscher Joachim Blum, mit dem Fechner für „Frankfurter Gold“ in Kontakt getreten war. Achtung, diese Besprechung enthält Spoiler!

„Isch versteh kei Wott!“

Der junge Bankier und Börsenmakler Johannes Stein (Michael Gruner, „Publikumsbeschimpfung“), ehrgeizig und aufstrebend, erliegt dem Lockruf des Geldes und der Gier und bekommt den Hals nicht voll: Er sucht sich wohlhabende Opfer für seine Betrügereien und tritt als Geschäftemacher mit todsicheren Geheimtipps auf, von denen angeblich alle Seiten profitieren. Familie Wimper, mit der Stein und seine Verlobte Barbara Ratzmann (Ilona Grübel, „Die Jungfrauen von Bumshausen“) befreundet sind, beschwatzt er, sich auf eine besonders windige Gaunerei einzulassen: Sie sollen die Goldbarren einer Schweizer Bank mit 200.000,- DM ihres Privatvermögens über einen Zeitraum von zwei Jahren beleihen. Diese Barren existieren jedoch gar nicht. Stein lässt sie vom ehemaligen Knacki Günther Ackermann (Hans Christian Blech, „Cardillac“), den er in einer Kneipe kennengelernt hat, fälschen. Ackermann bestreicht Bleibarren mit etwas Gold und Stein glaubt, damit durchzukommen, da in Bankschließfächern verschlossene und zudem in versiegelten Holzkisten aufbewahrte Barren ohnehin nicht kontrolliert würden. Doch Ackermann, von Stein stets „Einstein“ genannt, misstraut seinem Partner und trägt die Goldschicht extradünn auf, um den größten Anteil des Golds als Sicherheit zu verwahren…

„Er hat eine chamäleonische Adaptionsgabe!“

„Frankfurter Gold“ ist ein stilistisch reichlich kurioser Früh-„Tatort“: Kommissar Konrad begrüßt das Publikum im Archiv der Polizei und durchbricht die vierte Wand, indem er, eine Akte öffnend, direkt zu ihm spricht und ihm mehr Spaß an dem Fall wünscht als er gehabt habe. Was folgt, erinnert in seinem dokumentarischen Stil mehr an „Aktenzeichen XY“ denn an einen „Tatort“: Betrüger Stein verliest aus dem Off seinen Lebenslauf, der handschriftlich der Akte beiliegt, unterbrochen von Kommentaren anderer Off-Sprecher, während die Kamera weitere Bestandteile der Akte abfilmt. Die Spielszenen beginnen mit Steins Anstellung bei einem Börsenmakler an der Frankfurter Börse, auf deren Parkett er sein karges Gehalt aufstockt. Familie Wimper wird in die Handlung eingeführt, indem sie ebenfalls direkt zum Zuschauer (oder einem sich außerhalb des sichtbaren Bereichs befindenden Reporter) spricht. Die Betrügereien um die Goldbarren werden fortan chronologisch nachgespielt, hin und wieder unterbrochen von Off-Kommentaren und Erklärungen der Beteiligten. Später werden die Geldsummen, mit denen Stein gerade hantiert, eingeblendet und hoch- bzw. heruntergezählt.

„Entweder mehr Geld – oder wir erkennen die DDR an!“

Ackermann, als bauernschlauer, nicht unsympathischer alter Gauner prima von Hans Christian Blech gespielt, hat schon zu viel erlebt, um Stein ohne Weiteres zu vertrauen, Stein hingegen wird großkotzig und dekadent – und hat auch, nachdem der Betrug auffliegt, schon zu sehr von Reichtum und Anerkennung genascht, als dass er bereit wäre, diesen Lebensstil aufzugeben. Schließlich verschlägt es ihn nach Paris, wo er sich an Dr. Otto (Karl Lieffen, „Die Engel von St. Pauli“) heranwirft und in seine Geschäfte hineinzuziehen versucht. Während dieser karikierend überzeichnet angelegt wurde, gibt Michael Grunder einen schelmischen Schwindler, der mit seinem Auftreten, seiner Ausstrahlung und seiner kumpelhaften Wortgewandtheit schnell seine Mitmenschen für sich und seine Ideen einzunehmen versteht. Dem Zuzusehen macht ebenso viel Spaß wie dem Lauschen der Dialoge mit ihrem allgegenwärtigen hessischen Dialekt. Das Drehbuch scheint jedoch hier und da etwas lückenhaft. Wie ist einer der falschen Goldbarren in der Tagespresse gelandet? Und weshalb wundert sich der Kommissar nicht über die zwischenzeitliche Bahnhofsschließfachaufbewahrung der Fälschungen, wenn selbst ich es tue? Jener Kommissar übrigens stößt nach dem Auftakt erst spät wieder zur Handlung hinzu, nämlich nachdem Günter Strack („Das Wunder des Malachias“) als interessierter Goldkäufer Teufel nicht auf Stein hereingefallen ist. Stein indes geriert sich bis zum bitteren Ende derart übertrieben als Weltbänker, dass der Kommissar ihn nicht in den Knast wirft, sondern in die Klapse einweisen lässt. Und nach den Abschlusserklärungen aller Beteiligten spielt – weshalb auch immer – die zwischenzeitlich zu Steins Privatbesitz zählende Stimmungskapelle „Auf der Reeperbahn nachts um halb eins“.

Mit seiner besonderen Art der Inszenierung erinnert „Frankfurter Gold“ an gemeinsame Familienabende vor der Glotze, wenn das bereits erwähnte „Aktenzeichen XY… ungelöst“ über den Äther flimmerte und für leichtes Unbehagen sorgte, wenngleich man hier über die eine oder andere Kuriosität hinwegsehen muss. Dieser semidokumentarische Stil passt wiederum insofern, als, wie eingangs erwähnt, dem Ganzen ein realer Fall zugrunde liegt. Das Pikante dabei ist, dass „Frankfurter Gold“ zwei Jahre vor Beginn der Gerichtsverhandlungen gegen den Fälscher und Betrüger Joachim Blum ausgestrahlt worden war und sich Blum durch diesen „Tatort“ vorverurteilt sah. Er schaltete einen Anwalt gegen den Hessischen Rundfunk ein. All das macht Fechners Film zu einem besonderen „Tatort“, der nicht nur stilistisch aus der Art geschlagen wirkt, sondern auch dadurch reale Geschichte schrieb, dass er medienethische Fragen aufwarf.
Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
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Cassandra Crossing – Treffpunkt Todesbrücke

„So etwas passiert einem nur in Europa!“

Von der Katastrophenfilmwelle der 1970er wollten auch europäische Filmproduzenten partizipieren. Der Italiener Carlo Ponti und der Brite Lew Grade beauftragten den griechischen Filmemacher Georgios „George“ Pan Cosmatos („Tödlicher Irrtum“) mit Drehbuch (zusammen mit Robert Katz) und Regie des Epidemie-Thrillers „Cassandra Crossing – Treffpunkt Todesbrücke“, der im Jahre 1976 als großzügig budgetierte Produktion in die Kinos kam.

„Die Nacht ist über uns gekommen…“

Zwei schwedische Terroristen dringen in die Internationale Gesundheitsorganisation in Genf ein und verüben einen Anschlag. Dabei geraten sie in Kontakt mit einem unter Verschluss gehaltenen biologischen Kampfstoff der USA. Sie infizieren sich mit einem hochgefährlichen und -ansteckenden Lungenpest-Bakterium, woran einer der Täter kurz darauf stirbt, während der andere (Lou Castel, „Nada“) sich in einen intereuropäischen Fernzug rettet und den Erreger zunächst unbemerkt unter den Reisenden verbreitet. US-Colonel Mackenzie (Burt Lancaster, „Zelle R 17“) soll verhindern, dass das Bakterium den Zug verlässt und zugleich die Vorfälle vertuschen – um jeden Preis. Während sich bei den Reisegästen nach und nach teils schwerwiegende Symptome entwickeln, tritt Mackenzie in Funkkontakt mit dem sich an Bord befindenden Wissenschaftler Dr. Jonathan Chamberlain (Richard Harris, „Der Mann, den sie Pferd nannten“) und plant, ohne ihn einzuweihen, den Zug über die baufällige polnische Cassandra-Brücke umzuleiten, in der Hoffnung, dass diese unter der Last zusammenstürzt und sich das Problem damit wie ein Unfall aussehend erledigt. Damit auch niemand vorher den Zug verlassen kann, lässt er ihn während eines Zwischenhalts versiegeln und schickt schwerbewaffnetes Militär in die Waggons, um die Reisenden in Schach zu halten…

Cosmatos etabliert zu Beginn demonstrativ einen Heile-Welt-Mikrokosmos innerhalb der bereits rollenden Bahn: Blumenkinder (u.a. Ann Turkel, „König Ballermann“ und Ray Lovelock, „Das Leichenhaus der lebenden Toten“) spielen Akustikklampfe und singen miteinander, der Schaffner (Lionel Stander, „Milano Kaliber 9“) beäugt das bunte Treiben mit viel Wohlwollen. Die totale Harmonie also, die nach der packend inszenierten Terrorattacke auf die fiktionale „Internationale Gesundheitsorganisation“ empfindlich ge- und schließlich zerstört wird. Neben dem renommierten Wissenschaftlicher Chamberlain, der an Bord des Zugs mit seiner Ex-Frau Jennifer (Produzent Pontis Ehefrau Sophia Loren, „Die Frau vom Fluß“) konfrontiert wird, welche gerade ein pikantes Enthüllungsbuch über ihre Ehe mit ihm veröffentlichen lassen hat, befinden sich die Waffenfabrikantsgattin Nicole Dressler (Ava Gardner, „Hexensabbat“) mit ihrem Toyboy Robby (Martin Sheen, „Das Mädchen am Ende der Straße“), O.J. Simpson („Flammendes Inferno“) im Priestergewand als getarnter FBI-Agent Galey und der Holocaust-Überlebende Herman Kaplan (Lee Strasberg, „Der Pate – Teil 2“) in der Bahn. Darüber hinaus natürlich viele weitere Nebenrollen und Komparsen, doch das genannte Ensemble ist es, mit dem „Cassandra Crossing“ die Zuschauerinnen und Zuschauer vertraut macht, um sie emotional an ihrem Schicksal teilhaben zu lassen.

Dass es hier um keine kontinentale Naturkatastrophe geht, die anhand des Einzelschicksals einer Familie durchexerziert wird, erleichtert es mir als Katastrophenfilmmuffel ungemein, mich auf den Film und seine dargestellte Situation einzulassen, zumal Cosmatos auf allzu aufdringliche Melodramatik verzichtet. Gerade in Zeiten der Covid-19-Pandemie wirken die dargestellten Infektionsketten besonders unangenehm. Der Krankheitsverlauf ist rasant und unter Zuhilfenahme etwas Make-ups auch optisch nachzuvollziehen, aufgrund der Enge des eigentlich komfortabel ausgestatteten Zugs bricht sich ein klaustrophobisches Gefühl des Ausgeliefertseins in einem rollenden Sarg im wahrsten Sinne des Wortes Bahn – zumal das Publikum gegenüber den Reisenden lange Zeit einen Wissensvorsprung aufgrund der Szenen um den kaltschnäuzigen Colonel hat, der, streng nach Militärlogik im Interesse der US-Regierung operierend, seinen Auftrag verfolgt, die Menschen zu opfern, um nicht nur eine Ausbreitung der Infektion zu verhindern, sondern auch ihre Ursache zu vertuschen. Mit der Zurschaustellung dieses Zynismus übt „Cassandra Crossing“ herbe Systemkritik, die das Katastrophenfilmsujet ebenso sprengt wie der actionlastige dritte Akt, in dem auch die Passagiere zu den Waffen greifen.

Bis zu diesen Actionszenen hat Cosmatos seinen Film behutsam aufgebaut, persönliche Befindlichkeiten und Konflikte zwischen den Figuren ausgehandelt und unterschiedlicher kaum sein könnende Charaktere zusammengeführt. Vor dem Hintergrund der drohenden, unmittelbaren und doch lange Zeit unsichtbaren Gefahr ist das spannend mitanzusehen, ein bisschen wie eine äußerst gestreckte Suspense-Szene, wobei die verdiente, namhafte internationale Schauspieler(innen)riege entscheidenden Anteil daran hat – wenngleich die Passagen um den heldenhaften Dr. Chamberlain und die ihm noch immer verbundene Jennifer schon stark an der Seifenoper kratzen. Angenehmerweise verzichtete das Drehbuch auf übertriebene Hysterie und weitestgehend auch auf allzu unglaubwürdige Entscheidungen der Protagonist(inn)en – Versatzstücke, die das Ansehen manch Spielfilms um Menschen in Extremsituationen schnell zur Tortur machen können. Eindringliche Sequenzen wie die nächtliche Zugversiegelung durch bewaffnete Männer in Infektionsschutzanzügen wecken jedoch gänzlich andere Assoziationen. Mit dem Zug nach Polen ins Verderben – da kommen sicherlich nicht nur beim kauzigen alten Herrn Kaplan unschöne Erinnerungen an das unrühmliche Kapitel großdeutschen NS-Terrors auf, etwas plakativ, aber zugleich effektiv in die Handlung eingewoben. Über den spektakulären Überlebenskampf der Passagiere in Besprechungen wie dieser zu viel zu verraten, wäre Sünde, angemerkt sei indes noch, dass der Ausgang der Misere hält, was der Film bis dahin versprach.

„Cassandra Crossing – Treffpunkt Todesbrücke“ – das ist großes europäisches Genrekino, mitreißend inszeniert, prächtig unterhaltend, Autoritäten anklagend und nicht zuletzt für ein mulmiges Gefühl sorgend, wenn der eigene Zug das nächste Mal plötzlich umgeleitet oder eine Station haltlos überfahren wird… Umso beschämender, dass sich Cosmatos Mitte der 1980er ausgerechnet für den erzreaktionären „Rambo II“ verpflichten ließ.
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Das total verrückte Ferien-Camp

„Großer Gott, genau so'n Camp kam in ‘nem Film vor: Freitag der 13.!“

Im Jahre 1979 definierte US-Regisseur Ivan Reitmann mit „„Babyspeck und Fleischklößchen“ alias „Meatballs“ das uramerikanische Subgenre der Ferienlager-Komödie und zog einige Nachahmer nach sich. Eine offizielle Fortsetzung ließ jedoch bis 1984 auf sich warten: „Das total verrückte Ferien-Camp“ alias „Meatballs Part II“ entstand unter der Regie Ken Wiederhorns, der 1977 mit dem Nazi-Zombie-Heuler „Shock Waves“, zwei Jahre später mit dem „Animal House“-Rip-Off „King Frat“ und anschließend dem Semi-Slasher „Die Augen eines Fremden“ auf sich aufmerksam gemacht hatte.

„Ich dulde kein Gerede über Pimmelchen!“

Das von Besitzer Giddy (Richard Mulligan, „Der rosarote Panther wird gejagt“) betriebene Feriencamp „Sasquash“ ist von der Schließung bedroht, seit Militärcamp-Betreiber Hershey (prädestinierter Name: Hamilton Camp, „Der Teufels-Schrei“) das gesamte Gebiet aufkaufen will, um sein „Camp Patton“ auszuweiten. Giddy schlägt vor, den traditionellen Boxkampf Ende des Sommers über die zukünftigen Gebietsansprüche entscheiden zu lassen. Der juvenile Delinquent Flash (John Mengatti, „Hadleys letzter Kampf“) aus der Stadt muss derweil als Bewährungsauflage als „ASK“ („Aufseher für schwererziehbare Kinder“) in Giddys Camp, wo die naive Cheryl (Kim Richards, „Assault - Anschlag bei Nacht“) ein Auge auf ihn wirft – und er auf sie. Als auch noch ein außerirdisches Elternpaar seinen Sohn Armefett (Felix Silla, „Sssssnake Kobra“) ins Camp abschiebt, freunden sich Flashs Schützlinge mit dem fremden Besucher an. Und dann ist da auch noch Jeremy O. (uncredited), der zum Camp dazustößt, weil sein Auto eine Panne hat. Als er von der ungewissen Zukunft des Camps erfährt, verbündet er sich mit Flash und Armefett gegen Hershey und dessen finstere Absichten…

Mit seinem gut ins Bein gehenden Rock’n’Roll-Song im Vorspann beginnt „Meatballs Part II“ eigentlich recht lässig, die extrahohe Fistelstimme des Busfahrers Albert (Paul Reubens, „Freitag, der 713.“) ist jedoch bereits ein erstes Indiz für das bisweilen recht flache Humorverständnis des Films. Die exemplarisch herausgepickten Eltern-Kind-Verabschiedungen angesichts des bevorstehenden Ferienlageraufenthalts punkten hingegen mit Dialogwitz und Hersheys Drillcamp kann als Karikatur aufs Militär durchgewunken werden. Die mehrmalige Bezugnahme auf die „Freitag der 13.“-Camp-Slasher-Reihe durch die Kampierenden ist ein Indikator für Wiederhorns Affinität zum Horror-Genre (im Lagerkino läuft zudem „Shock Waves“) und beweist, wie sehr diese Filme zum Populärkulturgut geworden waren. Anstelle eines maskierten Killers bekommt man es hier jedoch mit einem „niedlichen“, schüchternen Außerirdischen im Ostfriesennerz mit großen Kulleraugen zu tun. Es wirkt fast so, als habe man versucht, auf der „E.T.“-Welle um freundliche Außerirdische mitzureiten. Ca. 20 Minuten sind vergangen, wenn die Alien-Eltern ihren Sohn ins Ferienlager abschieben, wo er von den jüngsten Bewohnern auf dem Klo entdeckt wird.

In zunächst vom extraterrestrischen Besucher getrennt zu betrachtenden Handlungssträngen lässt sich Flash von Giddy (im Deutschen mit Homer-Simpson-Stimme!) zum Kampf gegen den stotternden Boxer Boomer (Joe Nipote, „Der Kuß des Fremden“) überreden, während sich die Mädelsclique um Cheryl Pimmelfotos ansieht und es sich aufgrund Cheryls Unaufgeklärt- und Unerfahrenheit zum Ziel setzt, dass sie vor Ferienende einen echten Penis zu Gesicht bekommt – wobei sie die Rechnung jedoch ohne die sexualfeindliche Aufseherin gemacht haben. So bleibt „Meatballs Part II“ ähnlich wie sein Vorgänger recht züchtig, Oben-ohne- oder gar Softsex-Szenen gibt es keine. Ein recht witzig anzusehender Streich um vertauschte Hüttennummern bringt sowohl Boomer als auch den Aufseher um den Stich, was zudem allegorisch für den Film ist: Alberei schlägt Sex. Wie sich Cheryl und Flash näherkommen ist eigentlich ganz süß, wird aber leider abrupt abgebrochen. Dass Flash schließlich um die „Seemeisterschaft“ boxen wird, ist ebenso vorhersehbar wie der Slapstick und Klamauk, aus denen sich der Humor des Films zu immer größeren Teilen speist. Die obligatorische Aerobic-Szene erinnert daran, dass man sich im Jahre 1984 befindet.

Für fragwürdige Abwechslung sorgt Armefett (im Original „Meathead“), der durch feste Materie hindurchgehen kann und sich mit den Jünglingen sowie mit Flash anfreundet, um – natürlich – Flash im finalen Boxkampf gegen „Henry, das Monster“ beizustehen: Als Flash zu verlieren droht, reanimiert Armefett ihn und verleiht ihm Flügel. Oh je… Damit verabschiedet man sich endgültig in Richtung Kinderfilm, nachdem man zuvor zumindest über weite Strecken allen Albernheiten zum Trotz immerhin eine nette Ferienlageratmosphäre inklusive einiger hübscher Nachtaufnahmen durchschimmern hatte lassen. Nach einem allumfassenden Happy End und dem im Abspann erneut aufgegriffenen Titelsong hat dieser Spuk ein Ende, den man sich eigentlich auf der Suche nach etwas Zerstreuung an einem Sonntagnachmittag schon einmal drücken kann, der durch sein infantiles Science-Fiction-Crossover aber leider doch ein hartes Brot wird…
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Zorn: Tod und Regen

„Wir haben einen Fall! Einen mutmaßlichen Mordfall“ – „Boah…“

Mit „Zorn: Tod und Regen“, der Verfilmung des gleichnamigen Romans aus der Feder des Schriftstellers Stephan Ludwig, etablierte die ARD im Frühjahr 2014 eine neue TV-Krimireihe jeweils rund eineinhalbstündiger Filme um den Hallenser Kripokommissar Claudius Zorn und seinen ungleichen Kollegen Schröder. Mit der Regie des ersten Falls betraute man Mark Schlichter, der zuvor bereits einige Erfahrung u.a. im Inszenieren von „Schimanski“- und „Tatort“-Episoden gesammelt hatte.

„Sie gelten als faul und unmotiviert!“

Kripokommissar Claudius Zorn (Mišel Matičević, „Im Schatten“) hatte sich seinen Beruf ursprünglich einmal anders vorgestellt: Statt Schwerverbrecher zu überführen scheint er zum Aktenwälzen verdammt. Entsprechend demotiviert kommt der mürrische Einzelgänger seinen Aufgaben nach, kann aber glücklicherweise auf seinen strebsamen Kollegen Schröder (Axel Ranisch, „Dicke Mädchen“) zählen. Doch als die Folterspuren aufweisende, ausgeblutete Leiche einer Frau auf einer Parkbank drapiert aufgefunden wird, setzt Staatsanwalt Sauer (Anian Zollner, „Keine Angst“), wahrlich kein Freund Zorns, ausgerechnet ihn auf den Fall an. Zunächst eher widerwillig arrangiert sich Zorn mit seiner Aufgabe und stößt auf Widersprüchlichkeiten, die sogar Sauer eventuell verdächtig machen. Doch während der Ermittlungen sind weitere Todesfälle zu beklagen – sogar ins Zorns persönlichem Umfeld…

Man versucht sich hier an einem etwas merkwürdigen Spagat: Einerseits entwickelt man eine düstere Stimmung, in deren Mittelpunkt mit Claudius Zorn ein schlecht gelaunter, leicht abgefuckter Ermittler steht, der von allem und jedem genervt scheint, Kette raucht, soziale Kontakte meidet und ein Problem mit dem weiblichen Geschlecht hat – und unter seiner rauen, abweisenden Schale einen tiefsitzenden Weltschmerz verbirgt. Sein adipöser Kollege bildet einen Antipol, entspricht eher dem Typ „ungebumster Streber“ und sorgt im Zusammenspiel mit Zorn als Teil einer entgegengesetzten Zweckgemeinschaft andererseits für einen komödiantisches Tonfall in den gemeinsamen Szenen. Dem gegenüber stehen wiederum die grausamen Morde und die unappetitlichen bis gruseligen Bilder der Opfer, mit denen der Film nicht geizt.

Nur in dieser Episode fungiert Katrin Bauerfeind („Halbe Hundert“) als sexy Vorzimmerdame Hannah, die Zorn offensiv Avancen macht und ihn tatsächlich ins Bett bekommt, während es ihm im Fahrstuhl mit seiner sympathischen jungen Nachbarin Malina (Katharina Nesytowa, „Let’s Go!“) regelmäßig die Sprache verschlägt. Mit einem Streifenbullen (Martin Reik, „Bornholmer Straße“) liefert sich Zorn einen Kleinkrieg, weil er erwartet, über der Straßenverkehrsordnung zu stehen, und mit dem Ehemann (Lucas Gregorowicz, „Das Wunder von Bern“) der zweiten Toten betrinkt er sich in einem Restaurant. Dass Hannah das nächste Opfer wird ist eine handfeste Überraschung, da ihre Rolle als von längerer Verweildauer angelegt schien. Dass sie nicht das letzte Todesopfer in diesem Reihenauftakt bleiben wird, ist der geheimnisvollen, verschwörerischen Handlung geschuldet, die sich erst gegen Ende im Showdown in Form von Dialogen und in Schwarzweiß gehaltenen Rückblenden komplett entspinnt und als überkonstruierte Räuberpistole entpuppt, die auch vor einem beinahe toten Kollegen Zorns nicht Halt macht. Dick aufgetragen und ein bisschen zu viel des Guten. Thorsten Merten (Weimarer „Tatorte“) als Robert Stapic einmal arg gegen den Strich besetzt zu sehen bereitet indes Freude.

Die Figuren erscheinen fast allesamt noch etwas zu unglaubwürdig, allen voran Zorn, der von Matičević verkörpert noch zu viel von einem Schönling hat. In Verbindung mit den starken Kontrasten zwischen komödiantischem Buddy-Witz und bemühter Neo-noir-Atmosphäre will das alles noch nicht so ganz zusammenpassen, birgt aber – auch aufgrund stark besetzter Nebenrollen wie beispielsweise der der Staatsanwältin Frieda Borck mit der wunderbaren Emily Cox („Rammbock“) – einiges Potential für ansprechende und spannende Krimiunterhaltung mit einem Antihelden als Zentrum.
Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
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