Transgression - Fabrizio Rampelli (1988)

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jogiwan
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Transgression - Fabrizio Rampelli (1988)

Beitrag von jogiwan »

Transgression

La Trasgressione.jpg
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Originaltitel: La Trasgressione

Herstellungsland: Italien / 1988

Regie: Fabrizio Rampelli

Darsteller: Pierfrancesco Campanella, Milly D'Abbraccio, Angelo Cannavacciolo, Claudia Cavalcanti, Rosanna Banfi

Story:

An angst-ridden college student fears that he will fail his impending test. The boy decides to take some drugs to chill down, but instead of relaxing he starts to hallucinate like a madman. While in his drug-induced dreams, he meets a wonderfully lusty woman who teaches him how to get all of his sex desires fulfilled. Eventually, he will have to go back to reality: but will his newfound lover let him? (quelle: axelmusic.com)
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Salvatore Baccaro
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Re: Transgression - Fabrizio Rampelli (1988)

Beitrag von Salvatore Baccaro »

Bei manchen Filmen muss ich mich dann doch stark darüber wundern, dass der geschätzte Christian Keßler sie in seinem ebenso geschätzten Giallo-Buch verewigt hat, denn bis auf eine einzige Szene ganz am Schluss, in der sich der Protagonist des 1987er Streifens LA TRASGRESSIONE in mörderischer Absicht schwarze Handschühchen überstreift, entspricht, meiner Meinung nach, nun wirklich nichts in diesem obskuren Werk den gängigen Genre-Statuten – kein Whodunit-Mysterium; keine elegant-absurden Morde; kein (laien-)psychoanalytischer Überbau; keine opulente Inszenierung mit Emphase auf einen treibenden Soundtrack und überästhetisierte Bilder -, stattdessen wird einem ein zerfasertes Potpourri kredenzt, bei dem ich das, was im Netz bezüglich der Entstehungsgeschichte des Films kursiert, beinahe noch interessanter finde als den eigentlichen Inhalt dieser knapp achtzig Minuten Italo-Delirium…

Laut meinen Quellen soll es sich nämlich wie folgt zugetragen haben: Der studierte Jurist und leidenschaftliche Filmgeek Pierfrancesco Campanella inszeniert im Jahre 1985 seinen Debüt-Film. CATTIVI PIERROT, wie das Projekt seinerzeit noch heißt, entsteht mit schmalem Budget sowie mit Campanella in Personalunion als Hauptdarsteller und Drehbuchautor. Als die Premiere bei den Filmfestspielen von Venedig ansteht, soll einmal mehr das entsetzte Publikum von der expliziten Gewalt, die CATTIVI PIERROT zelebriert, aus dem Kinosaal gejagt worden sein, - weshalb die Produzenten kurzerhand die Schere ansetzten, etwa eine Viertelstunde Material aus Campanellas Film extrahierten, auch den Rest neu montierten und das Ganze mit einem alternativen Ende versahen. Dass in der einzig heute zugänglichen Fassung der Name Campanellas nicht mehr als Regisseur auftaucht, hat entweder damit zu tun, dass dieser seine Unterschrift nicht länger unter die verstümmelte Version setzen wollte, oder damit, dass die Produzenten selbst es für eine gute Idee hielten, einen gewissen Fabrizio Rampelli, seines Zeichens Produktionsmanager, der mit der Anfertigung der „familienfreundlicheren“ Fassung betraut gewesen ist, stattdessen als eigentlichen Schöpfer des nunmehr LA TRASGRESSIONE getauften Films auszugeben. Diese Angaben sind freilich ohne Gewähr, und ich habe sie mir aus diversen Netzkritiken und Forenkommentaren zusammengeklaubt: Dass jemals eine filmwissenschaftliche Abhandlung erschienen wäre, die LA TRASGRESSIONE gebührend analysiert und vor allem kontextualisiert, ist mir Stand heute nicht bekannt.

Aber dass diese Vorgeschichte nicht einfach nur ein Marketing-Stunt sein dürfte, mit dem Campanella seinem eigenen Werk einen verkaufsförderlichen Nimbus überwerfen möchte, sieht man bereits mit bloßem Auge, wenn man sich LA TRASGRESSIONE, wie ich gestern, einmal unvoreingenommen zu Gemüte führt: Der Film wirkt außerordentlich fragmentarisch; zuweilen verschwinden Figuren spurlos aus der Handlung, ohne dass wir erfahren würden, was eigentlich mit ihnen geschehen ist; die gesamte Handlung ähnelt stellenweise eher einem Flickenteppich und ist zudem sehr umständlich erzählt; in einigen Szenen sticht es einem zudem regelrecht in die Netzhäute, dass da irgendetwas zu fehlen scheint, dass eine Situation nicht ganz aufgelöst worden ist, dass eine Gewalttat im Original noch wesentlich mehr Screentime in Beschlag genommen haben dürfte. All das macht es natürlich schwierig, LA TRASGRESSIONE anders zu betrachtet als einen zerstückelten Leichnam, dessen ursprüngliche Identität festzustellen dem cinephilen Profiler einiges abverlangt. Doch worum geht es eigentlich in diesem grenzüberschreitenden Skandalwerk?

Pierfrancesco Campanella spielt den, laut Drehbuch, 20jährigen Studenten Angelo, der gerade für seine Abschlussprüfung büffelt beziehungsweise damit beschäftigt, diese in verschriftlichter Form anzufertigen, und dabei auf die glorreiche Idee kommt, seine Aufnahme- und Leistungsfähigkeit dadurch in die Höhe treiben zu wollen, dass er sich einen Drogencocktail mixt. Dieser freilich hat die Nebenwirkung, dass der sowieso bereits ein bisschen derangierte Jüngling eine Art Transfusion in seinen persönlichen Mr. Hyde durchlebt: Beim Besuch der im Rollstuhl sitzenden Mutter verweigert er ihr ihre lebenswichtigen Medikamente, erniedrigt die alte Dame zudem aufs Übelste, worauf sie vor seinen Augen einen qualvollen Tod stirbt; und als sein Bruder mit dem kleinen Neffen zur Trauerfeier der toten Mutter anreist, nutzt Angelo die erstbeste sich bietende Gelegenheit, den Säugling in seiner Wiege mit Nadelstichen zu quälen, dass sich der arme Tropf die Seele aus dem Leib schreit. Das alles ist aber bloß der Anfang einer wahrhaft transgressiven Tour de Force quer durch Italien und mitten hinein ins Herz der Finsternis, das in jedem Menschen schlummert und in Angelos Fall allein durch eine Prise Kokain aus dem Schlaf wachgerüttelt worden ist…

Auf einem Parkplatz bandelt Angelo mit einem älteren Mann an, der (mutmaßlich) auf der Suche nach Knaben für homoerotische Liebesabenteuer ist. Tatsächlich sucht der Greis, der Angelo spontan mit in seine üppige Villa nimmt, jedoch einen Gespielen für seine psychisch angeschlagene Tochter Valeria. Wie selbstverständlich zieht Angelo bei den beiden ein und findet in Valeria eine Seelenverwandte. Als deren Vater doch übergriffig wird, und den gerade mit sich selbst Billard spielenden Angelo splitterfasernackt überfällt, um ihn gleich direkt auf dem Billardtisch zu vergewaltigen, stellt sich Valeria reflexartig gegen ihren Erzeuger. Gemeinsam tötet unser frischgebackenes Liebespärchen erst den Vater, sodann muss auch die Haushälterin als unliebsame Zeugin über den Jordan schippern. Anschließend wechseln Angelo und Valeria in den Bonnie-&-Clyde-Modus und fahren ziellos mit Papas Wagen durch die Gegend, um Unheil über weitere arglose Sünder zu bringen. Spätestens jetzt ist von einer kohärenten Narration kaum noch die Nasenspitze zu erkennen: Angelo und Valeria lernen am Strand ein zweites Pärchen kennen, fesseln es in seiner Ferienhütte und lassen diese in Flammen aufgehen; unsere Anti-Helden lassen sich darauf ein, einer betuchten und betagten Marquise zu Liebesdiensten zu sein, was im Erdrosselungstod der Lebefrau endet; außerdem hat man eine diebische Freude daran, die Lebensmittel im Supermarktregal per Injektion mit einem letalen Gift zu kontaminieren, und danach breitgrinsend den Schreckensmeldungen aus dem Radio zu lauschen, dass so und so viele Menschen in diesem und jenem Stadtbezirk aufgrund einer unerklärlichen Vergiftung krepiert seien. Höhepunkt ist aber wahrscheinlich der Auftritt von Altstar Giorgio Ardisson, dessen Gesicht man aus etlichen Sandalen-, Agenten- und Westernfilme der 60er und 70er kennt, und der sich auf seine alten Tage von Valeria und Angelo mit einer Geflügelschere kastrieren lassen muss…

Wie man schon meiner kursorischen Inhaltsangabe entnimmt: LA TRASGRESSIONE steckt randvoll mit Seltsamkeiten, kaum eine der Figuren verhält sich nach gängigen psychologischen Gesetzmäßigkeiten, und zu den völlig unmotivierten Gewaltexzessen, in die sich Valeria und Angelo zunehmend hineinsteigern, kommen noch befremdliche Momente en masse, die den Film mal sacht, mal mit voller Breitseite ins Surreale kippen lassen. So serviert das Pärchen, das Valeria und Angelo am Strand kennenlernen, seinen Gästen beispielweise dosenweise Hundefutter, und die Figur, die Adisson verkörpert, ist nicht einfach nur ein weiterer Sex-Greis, den Angelo und Valeria irgendwo aufgabeln, sondern ein Bombenattentäter, dem unsere Helden auf die Schliche gekommen sind, und der scheinbar seit geraumer Zeit Italien mit Explosionen erschüttert. Eine weitere Episode lässt Angelo zwischen den Sanddünnen auf einen entlaufenen Psychiatrie-Insassen treffen, dem er ohne zu zögern den Garaus macht, und eine lange Dialogpassage unterm Dach des Appartements der Marquise besteht im Grunde einzig daraus, dass sich die Darsteller Sätze wie Werbeslogans um die Ohren hauen, bei denen vor allem Kosmetikartikel marktschreierisch angepriesen werden. Sinn und Zweck zweier Pierrots, die in kurzen Zwischensegmenten auftreten und pantomimisch die Handlung zu kommentieren scheinen, hat sich mir ebenfalls nicht erschlossen, wenn sie auch natürlich offenkundig auf den Originaltitel von Campanellas Projekt rekurieren, (und in dieser möglicherweise eine transparentere Funktion erfüllt haben.) Vollkommen abstrus wird es allerdings in der letzten Viertelstunde, wenn Campanella plötzlich einen Plot-Twist anbringt, der nachgerade David Lynchs MULHOLLAND DRIVE zu antizipieren scheint, und den Film unvermittelt in eine völlig unerwartete Richtung führt. Ohne zu viel spoilern zu wollen: Die Ereignisse der ersten sechzig Minuten entpuppen sich als Traum, den Angelo sein Kokainkonsum einflüsterte, worauf wir in den letzten fünfzehn Minuten den relevantesten Personen aus Angelos Wahngebilden nunmehr in der "Realität" wiederbegegnen, und jedes Mal die etablierten Charakterrollen auf den Kopf gestellt werden. Während zum Beispiel Angelo gar kein gemeingefährlicher Sadist, sondern ein etwas einfältiger Junge ist, dem die Frauenwelt permanent das gutmütige Herz bricht, stellt sich die Professorin, bei der er seine Abschlussprüfung ablegen muss, als die Marquise heraus, von der Angelo sein Selbstbewusstsein untergraben bekommt, denn das, was er als Arbeit eingereicht habe, sei das Papier nicht wert, auf dem es stünde…

So wild LA TRASGRESSIONE auf seinem eigenen Papier klingt, so konventionell erweist sich wiederum die Inszenierung Campanellas. Die Mise en Scene kommt recht steif und statisch daher, zumal das mangelnde Budget dem Film die Optik einer beliebigen Fernsehproduktion verleiht. Auch wenn LA TRASGRESSIONE von einem Trip erzählt, bei dem noch die letzten ethisch-moralischen Schranken abgefackelt werden, so folgt er ästhetisch-technisch brav dem kleinen Einmaleins des Kommerzkinos ohne gesteigerte künstlerische Ansprüche, - was jemandem wie mich mit seinen verwöhnten Augen unterm Strich eher langweilt denn besonders affiziert. Ob CATTIVI PIERROT nun in der Originalfassung eine größere Offenbarung gewesen ist, kann ich nicht abschließend beurteilen: Irgendwie fällt es mir aber schwer, mir vorzustellen, dass Campanella in der Lage gewesen sein soll, wirklich heftige Splatterszenen, die gar einen ganzen Kinosaal leerzufegen imstande sind, auf Zelluloid zu bannen, denn so wie der Film sich in der letztlich veröffentlichten Fassung präsentiert, scheinen mir die zur Verfügung stehenden Mittel möglicherweise höchstens für etwas Himbeersirup und die eine oder andere Schaufensterpuppenprothese gereicht zu haben. Trotzdem fällt, wie gesagt, aber natürlich auf, dass sich sämtliche Gewaltszenen im Off abspielen, wobei der öfters krude Schnitt nahelegt, dass dies bei CATTIVI PIERROT nicht der Fall gewesen sein dürfte. Explizite Körperdestruktionen hin oder her: Letztendlich hat mich LA TRASGRESSIONE eher unbefriedigt zurückgelassen. Schauspielerisch, inszenatorisch, dramaturgisch glimmt der Streifen auf recht kleiner Flamme, und punktet im Grunde einzig durch die oben aufgezählten außergewöhnlich wirren Momente des mäandernden Plots - und, mit Verlaub, Campanella ist nun wirklich auch kein Mime, der es ansatzweise schaffen würde, den Realitäts- und Moralverlust seines Helden in gesteigerter Dramatik auf die Bühne zu bringen.

„Die Überschreitung", schreibt Michel Foucalut in seiner „Préface à la transgression“, „durchbricht eine Linie und setzt unaufhörlich aufs Neue an, eine Linie zu durchbrechen, die sich hinter ihr sogleich wieder in einer Welle verschließt, die kaum eine Erinnerung zulässt und dann von neuem zurückweicht bis an den Horizont des Unüberschreitbaren. Doch bringt dieses Spiel weit mehr ins Spiel als diese Elemente; es versetzt sie in eine Ungewissheit, in Gewissheiten, die sogleich verkehrt werden, wo das Denken rasch Schwierigkeiten bekommt, wenn es sie fassen will.“ Anders gesagt: Für einen kurzen Moment kann die Überschreitung die Ordnung der Dinge aus den Angeln heben und gehörig durcheinanderwirbeln, an der grundlegenden Konstitution dieser Ordnung jedoch ändert sie nichts, sondern fällt immer wieder in die vorherige etablierte Struktur des Gegebenen zurück. Pointiert führt Foucault als Beispiel den „Blitz in der Nacht“ an. Der schafft es zwar, die Dunkelheit in Frage zu stellen und herauszufordern, indem er sie jäh mit Helligkeit durchbricht. Seine Kraft jedoch ist schnell verbraucht, und wenn Blitz und Donner verloschen beziehungsweise verstummt sind, wird diese kurze Transgression auch schon wieder von der monotonen Finsternis zugedeckt. Für mich hat Campanellas Film gewissermaßen einen ähnlichen Effekt: Da sind diese himmelschreienden und haarsträubenden Augenblicke – das Hundefutter; die Geflügelschere; der Vergewaltigungsversuch am Billardtisch -, doch kaum hat man diese überstanden und sich die eigene Verwunderung gelegt, purzelt der Streifen schon wieder in die altbekannten Fahrwasser des generischen (und mich gähnen lassenden) Filmemachens zurück – weshalb er, mit Foucault gedacht, seinen Namen vielleicht zu Recht trägt und vielleicht mehr über Grenzüberschreitungen aussagt, als wenn es sich um eine audiovisuelle Orgie gehandelt hätte, die sich über jede noch so basale Regel der allgemeinen Filmsemiotik hinwegsetzt.
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