Cecilia - Jess Franco (1983)

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Maulwurf
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Cecilia - Jess Franco (1983)

Beitrag von Maulwurf »

 
Cecilia
Aberraciones sexuales de una mujer casada
Spanien 1983
Regie: Jess Franco
Muriel Montossé, Antonio Mayans, Antonio de Cabo, Ana Paula, Lina Romay, José Valero, Antonio Vasco, France Lomay, Pierre Taylou, Olivier Mathot


Cecilia.jpg
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OFDB

Nach einer Massenvergewaltigung durch ihren Chauffeur und dessen Brüder entdeckt die Diplomatengattin Emanuelle ihre Libido neu. Sie stellt fest, dass es ihr nach der Vergewaltigung ein außerordentliches Vergnügen war, den eigenen geliebten Mann André wieder in die Arme nehmen und mit ihm schlafen zu können. Dieses Vergnügen möchte sie zukünftig gerne öfters haben, und sie möchte auch, dass André dieses Vergnügen genießen kann – Fremdgehen mit Ansage also, heutzutage als „Offene Beziehung“ bekannt. André wehrt sich zuerst naturgemäß, kann aber einer Intrige von Emanuelle, ihrem Onkel und dessen junger Geliebten nichts entgegensetzen. Im Gegenteil findet er den Dreier mit seiner Frau und Onkels Schatzi eigentlich dann doch gar nicht so schlecht. Auf jeden Fall mal besser als die Eifersuchtsszenen aus der frühen Zeit ihrer Liebe.
Aber während Emanuelle ihre Lust immer rücksichtsloser auslebt, und sich im Vollsuff in einem Club auch mal hemmungslos gehen lässt, kommt André mit der ihm zugeschriebenen Rolle immer schlechter zurecht, fühlt er sich eher als Hahnrei denn als erfolgreicher Aufreißer. Seine Eifersucht wird immer stärker, und die Leichtigkeit der ersten Zeit geht verloren und weicht einem Druck aus vorgeschriebener Sexualität. Emanuelle wiederum ist nach einer Liebesnacht mit dem Ex-Chauffeur sowie einer weiteren Vergewaltigung durch vier Kretins moralisch und intellektuell am Ende angekommen. Und André ist fort …

Eine durch und durch düstere Geschichte also, die den Abstieg einer gutsituierten Dame aus bestem Hause mitleidlos illustriert. Mit wunderschöner (wenngleich auch bereits öfter gehörter) Musik und edelsten Bildern wird Emanuelle in einer Welt gezeigt, die die allermeisten von uns niemals kennenlernen werden. Weitläufige und hochherrschaftliche Villen mit Dienstboten, denen nicht einmal die Augen herausfallen, wenn die Dame des Hauses von früh bis spät nackt durch die Gemächer wandelt. Sexuelle Ausschweifungen ohne Reue und vor allem ohne den Schmodder, den man in den italienischen Filmen aus dieser Zeit so oft sieht. Nein, hier ist alles sauber und adrett, ist alles auf Hochglanz und Schick gebürstet, und doch ahnt man hinter diesen Kulissen die tiefe Langeweile Emanuelles, die sich einmal bewusst und absichtlich von vier Männern, den Brüdern und Cousins des Ex-Chauffeurs Khan, in deren ärmlicher Hütte durchficken lässt. Lust auf Leben, Lust auf Sex, raus aus diesem goldenen Käfig, in den André Emanuelle in einer entlarvenden Szene zu Beginn getragen hat. Auch die Langeweile ist ein nicht zu vernachlässigender Punkt: Ohne André ist Emanuelles Leben leer, ist aber auch ihr Gemüt leer, stromert sie durch die Hallen der Villa wie eine Marionette, die nur darauf wartet, dass ihr Herr endlich wieder da ist und sie in die Arme nimmt. Ist er dann aber da und schläft mit ihr, dann wandern die Gedanken wiederum zu anderen Männern, zu anderen Abenteuern.

Was auch leicht als überflüssige Spielereien einer gelangweilten Dame von Welt abgetan werden könnte, wird dank der Ausstrahlung Muriel Montossés zu einem Ritt durch die Tiefen der Seele einer im Grunde einsamen Frau. Emanuelle zeigt uns ihr Ennui genauso wie ihre Leidenschaften, und die dunklen Tiefen dahinter lassen ahnen, dass Emanuelle in einer anderen Welt, ohne den Reichtum und den Rückhalt ihres Onkels, schnell einmal unter die Räder beziehungsweise an den Bordsteinrand gekommen wäre. Aber so bleibt sie immer unsere Identifikationsfigur. Wir leiden mit ihr und wir freuen uns mit ihr. Über die geglückte Intrige mit dem geschickten eingefädelten Dreier freuen wir uns. Über die aparte und sehr erotisch inszenierte Orgie mit Lina Romay und deren 16-jährigen Filmsohn. Oder über den gelungenen Orgasmus mit André.

Stephen Thrower allerdings, und da muss unbedingt eingehalten werden, wirft CECILIA die Grundhandlung vor, dass nämlich durch eine Vergewaltigung die sexuelle Freiheit einer Frau erst so richtig aufblüht, die dann hemmungslos bis zu einer zweiten Vergewaltigung ausgelebt wird, welche dann wiederum das Ende der offenen Beziehung ist und der Neubeginn einer monogamen Ehe. Ein Vorwurf, der sich nicht von der Hand weisen lässt, aber im Gegensatz zu Thrower sehe ich durchaus die Parallelen zu Arthur Schnitzlers Traumnovelle: Ein Paar, das in einer in Konventionen erstarrten Ehe lebt, und durch das (geistige) Durchleben sexueller Fantasien wieder zueinander findet. Jess Franco wäre nicht Jess Franco, wenn er diese Fantasien nur auf der erzählerischen Ebene behandeln würde, natürlich müssen diese Fantasien auch bebildert werden. Aber die Handlung ist durchaus gegeben: Die gelangweilte und sich eingesperrt fühlende Emanuelle, deren Sexualität durch ein Schlüsselereignis erwachen, und die spürt, dass in ihrer Ehe nicht alles so läuft wie es mal erträumt war. Der Versuch, die Grenzen dieses Käfigs ein wenig zu erweitern, wird mit Erniedrigung und körperlichem Schmerz in Form der ersten Vergewaltigung bestraft. Eine moralische und erzkonservative Ansicht, was Thrower dem Film ebenfalls vorwirft, und wo man ihm auch Recht geben muss. Die These, dass Frauen selber schuld sind wenn sie vergewaltigt werden, ist ja in manchen Kreisen selbst heute noch Usus, und wird hier auch genauestens bebildert: Emanuelle zieht sich im Rücksitz ihrer Limousine aus und präsentiert sich Khan so schön wie Gott sie schuf. Der wiederum, schon immer verliebt in seine schöne Arbeitgeberin, kündigt umgehend und fährt zu seinen Brüdern, auf dass diese Schönheit auch ordentlich geschändet werden kann. Was dann folgt ist eine klassische männliche Fantasie: Die beiden Männer fallen über Emanuelle her, tun ihr Gewalt an (wobei die Hosen die ganze Zeit angezogen bleiben), und Emanuelles Angstschreie werden allmählich zu Lustseufzern, bis sie die Köpfe der Männer sogar streichelt. Der Ausgangspunkt dafür, dass das kleine gelangweilte Luxusweibchen von großen und behaarten Schwänzen träumt? Möglich, warum sonst würde Emanuelle zu einem anderen Zeitpunkt in die Hütte von Khans Cousins gehen, sich dort auf den Tisch stellen, das Kleid ausziehen, und sich als Frischfleisch auf den Tisch legen?

Ebenfalls alles andere als libertär ist die zweite Vergewaltigung, die als Strafe für Emanuelles Lotterleben gesehen werden kann, und im Gegensatz zur ersten ohne jeglichen Wohlfühlfaktor daherkommt. Auch sind die Männer hier wesentlich gröber gestrickt – Khans Brüder sind gutaussehende Zuchthengste die anscheinend immer oben ohne herumlaufen und durchaus eine gewisse erotische Komponente ausstrahlen, während die Tiere der zweiten Vergewaltigung schon durch ihr Aussehen eher in Richtung Neandertaler tendieren. Trotzdem ist auch und gerade nach dieser Untat die Welt wieder in Ordnung - Emanuelles Leben ist, aus reaktionärer Sicht, geradegerückt, über die Vergewaltigung wird kein Wort mehr verloren, und André steht auch irgendwann wieder da und liebt sein Frauchen immer noch. Mir ist vollkommen bewusst, dass Jess Franco kein Feminist war, und dass die soziologische Aufarbeitung eines Vergewaltigungstraumas nicht das Thema dieses Films ist, aber da bleibt deutlich mehr als ein unschönes Geschmäckle zurück. Ein Ton, der diesen oft so poetischen Film leider in Richtung moralischen Schund zieht, was er eigentlich nicht verdient hat. Denn die Einheit aus Bild und Musik, die wunderbaren Darsteller und die ganze Atmosphäre der ersten etwa 60 Minuten reiht sich durchaus ein in Francos lyrisch-morbide Meisterwerke wie ENTFESSELTE BEGIERDE oder SHINING SEX. Aber trotzdem kann man den Vorwurf des gedanklichen Faschismus hier nicht von der Hand weisen, ist der Geschmack im Mund hinterher nicht honigsüß sondern eher unangenehm.

Der Film als solcher wurde in Spanien unter dem Titel ABERRACIONES SEXUALES DE UNA MUJER CASADA veröffentlicht, in Frankreich lief er als CECILIA. Beide Fassungen beinhalten Szenen, die im jeweils anderen Film nicht enthalten sind. Gesehen wurde die DVD von Blue Underground, die aus diesen beiden Versionen eine sehr gelungene Integralfassung schustert, die 10 Minuten länger ist als jeweils die beiden genannten Fassungen und rundum gelungen daherkommt. Als Tonformate sind Englisch und Französisch anwählbar, und wenn man, wie ich, die französische Fassung mit englischen Untertiteln wählt, dann wird aus Emanuelle flugs Cecilia. Auch die anderen Namen sind nicht hieb- und stichfest, so heißt Emanuelles libertärer Onkel eigentlich Antonin, hat in der französischen Fassung aber gar keinen Namen, und André heißt im spanischen „Original“ Andreas. Dies möchte ich nur erwähnt haben, falls sich jemand wundert ob des eigenartigen Namedroppings …

7/10
Der Sieg des Kapitalismus ist die endgültige Niederlage des Lebens.
(Bert Rebhandl)
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