The Absence of Apricots - Daniel Asadi Faezi (2018)

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Salvatore Baccaro
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The Absence of Apricots - Daniel Asadi Faezi (2018)

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Originaltitel: The Absence of Apricots

Produktionsland: Pakistan/Deutschland 2018

Regie: Daniel Asadi Faezi

Cast: Die Bewohner eines nordpakistanischen Gebirgsdorfs


„Due to a landslide in 2010 the Hunza River in Northern Pakistan was blocked. Within six months the river turned into a 30km long lake. Thousands of homes and fields were flooded. Entire villages disappeared, people got dislocated. Eight years later the lake is still there.“

In seinem experimentellen Dokumentarfilm oder dokumentarischem Experimentalfilm THE ABSENCE OF APRICOTS besucht der Absolvent der HFF München Daniel Asadi Faezi eins der wenigen Dörfer, die von der Naturkatastrophe nicht dem Erdboden gleichgemacht beziehungsweise unter die Wasseroberfläche versetzt worden sind - immerhin die obere Hälfte der Ortschaft, in dem der knapp fünfzigminütige Streifen spielt, ist von den Wassermassen verschont geblieben. In seinem Bestreben, sowohl die Lebensrealität der Dorfbewohner abzubilden wie auch visuelle Poesie zu generieren, schwank THE ABSENCE OF APRICOTS zwischen Dokumentation und Fiktion, zwischen offenkundig inszenierten Bildern, die Erinnerungen an Faezis selbsterklärte Vorbilder wie Sergej Paradjanow, Andrej Tarkowskij oder Abbas Kiarostami wachrufen, und Sequenzen, in denen wir den Mitgliedern einer der ruralen Familien im Cinéma-Vérité-Stil einfach nur beim Kochen, bei der Ausübungen traditioneller Zeremonien oder dabei zuschauen, wie sie noch immer den Schutt zerstörter Häuser abtragen, zwischen den veristisch eingefärbten Erinnerungen einer Mutter an die Katastrophe, die sie ihrem kleinen Sohn mit auf den Weg gibt, und allegorischen Darstellungen einer lokalen Legende von einem heiligen Steinbock und einem Jäger, der diesen, trotz Verbots einer Göttin, zu jagen beabsichtigt.

Ins Positive gewendet könnte man sagen, dass Faezi den Versuch unternimmt, performative und dokumentarische Ansichten in Harmonie zueinander zu bringen, dass er den nüchternen Ton der Reportage permanent gegen die symbolistischen Bilder seiner Märchenebene ausspielt, dass er surreal angehauchte Bilder wie das eines Mannes, der in der Krone eines mitten aus dem See aufragenden Baumes sitzt, oder das finale, nicht mit frisch abgetrennten Ziegenköpfen geizenden schamanistische Rituale inmitten einer aufmerksamen Studie über den politischen, gesellschaftlichen, sozialen Alltag seiner Laiendarsteller pflanzt. Für mich ist aber gerade dieser Versuch nicht wirklich geglückt: Für einen Film, der ernsthaft über das aufklären möchte, was den Dorfbewohnern widerfahren ist, ob und in welchem Ausmaß sie Unterstützung von der pakistanischen Regierung beim Aufbau ihrer Ortschaft erfahren haben, und inwieweit die religiösen Überzeugungen dieser Menschen die zurückliegende Katastrophe konturieren und möglicherweise in einen größeren Sinnzusammenhang stellen, liefert THE ABSENCE OF APRICOTS schlicht viel zu wenig Kontext, - denn letztlich erfahren wir nicht mal wirklich, welchem Volksstamm, welchem Glauben, welchem kulturellen Hintergrund die Menschen angehören, denen wir fast eine Stunde beim Arbeiten, Schlafen und Klettern in Baumkronen zuschauen; für einen Film, der sich ganz dem Träumerischen, dem Lyrischen, dem Zauberhaften zuwenden möchte, bietet THE ABSENCE OF APRICOTS wiederum viel zu viele Momente, deren betont positivistischer Tonfall in Diskrepanz zu den erwähnten Ausbrüchen ins Surreale und Poetische stehen.

Wie eine Landschaft menschliche Biographien zu verändern vermag, und wie Menschen Katastrophen mittels des Erzählens von Geschichten kanalisieren und sublimieren, das ist sicherlich ein spannendes Sujet, - nur befleißigt sich THE ABSENCE OF APRICOTS über weite Strecken eines stark auf den Schaueffekt zielenden, stellenweise in Kitsch abzugleiten drohenden Inszenierungsstil, der nicht nur, was die musikalische Untermalung betrifft, etwas zumindest für mich unangenehm New-Age-isques hat: Als sei dieser sicherlich gutgemeinte, aber irgendwie dann doch viel zu arg einer Mainstream-Vorstellung von Independent-Kino folgende Streifen das audiovisuelle Äquivalent zu einer Meditations-CD voller säuselnder und schwirrender Synthesizer, bei der man den einen oder anderen schönen Ton erhaschen kann, (dann, wenn Männer in Bäume klettern oder während schamanistischer Rituale mit frisch abgetrennten Ziegenköpfen tanzen), die einem auf Dauer gerade wegen ihres offensiven Schwelgens in Wohlklangs, wegen ihrer Überraschungsarmut, wegen ihres eintönigen Klangteppichs dann aber doch eher in den Schlaf wiegt statt zu neuen Bewusstseinsebenen führt.
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