Sohn der weißen Stute - Marcell Jankovics (1981)

Moderator: jogiwan

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jogiwan
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Sohn der weißen Stute - Marcell Jankovics (1981)

Beitrag von jogiwan »

Sohn der weißen Stute

01.png
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Originaltitel: Fehérlófia

Alternativtitel: Son of the White Mare

Herstellungsland: Ungarn / 1981

Regie: Marcell Jankovics

Darstelller: -

Story:

In einem hohlen Baumstamm bringt eine weiße Stute einen blonden Sohn zur Welt, der sich auch prächtig entwickelt. Diesem erzählt sie beim Heranwachsen die tragische Geschichte eines ehemaligen Königreichs, dass durch das Verhalten seiner Bewohner mittlerweile von Drachen und anderen Monstern in der Unterwelt gefangen gehalten wird. Nach vielen Jahren ist der blonde Junge zu einem Hünen mit erstaunlichen Kräften herangewachsen und macht sich auf die Reise, auf der er auch seine beiden Brüder trifft. Gemeinsam macht man sich auf den Weg um den Eingang in die Unterwelt zu suchen um das untergegangene Königreich aus der Macht des Bösen zu befreien.
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jogiwan
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Re: Sohn der weißen Stute - Marcell Jankovics (1981)

Beitrag von jogiwan »

Optisch ist der ungarische „Der Sohn der weißen Stute“ ja ein absoluter Overkill aus Farben und Formen, der mir auch ausnehmend gut gefallen hat und mich schon von Beginn an völlig in seinen Bann zog. Teilweise wirken die Zeichnungen von Marcell Jankovics wie Linol-Schnitte und sind wirklich wunderbar anzuschauen und sind wirklich der feuchte Traum eines jeden Grafikers. Die Geschichte, die einer ungarischen Volkssage entsprungen ist, kann da leider nicht wirklich mithalten und erzählt von einem heldenhaften und gütigen Mann, der sich auf dem Weg macht um gegen Drachen und böse Monster zu kämpfen um Prinzessinnen zu befreien. Ja, die Geschichte fällt leider völlig ab, was ich total schade finde, weil mir der Streifen optisch so gut gefällt und man sich fast jede Szene als Poster als die Wand hängen möchte. „Der Sohn der weißen Stute“ hat mich auch an „Belladonna of Sadness“ erinnert, der auch zu den ungewöhnlichsten Animationsfilmen der Filmgeschichte zählt. Doch „Der Sohn der weißen Stute“ ist inhaltlich viel bodenständiger, weniger psychedelisch und leider auch weniger originell. Die Optik steht hier jedenfalls meines Erachtens weit über den Inhalt und muss auch als Grund für die Kaufentscheidung ausreichend sein. Verpassen sollte man so etwas Großartiges auch nicht, selbst wenn man Helden, toxische Männlichkeit, Fabelwelten und antiquierte Rollenbilder sonst eher nicht so prickelnd findet.
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Salvatore Baccaro
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Re: Sohn der weißen Stute - Marcell Jankovics (1981)

Beitrag von Salvatore Baccaro »

Gestern im Rahmen der Mitternachtsreihe des Braunschweiger Filmfests erstmals auf der großen Leinwand gesehen:

Gerne würde ich Jogis Kritik an diesem psychotronischen Feuerwerk, was den schematischen Inhalt betrifft, ins Positive wenden: Im Grunde tun Marcell Jankovics und sein Team mit FEHERLOFIA ja nichts anderes als unzählige Generationen von Märchenerzählern vor ihnen, - sie greifen sich eine sattsam bekannte, aus konventionellen Versatzstücken zusammengesetzte Geschichte, (in diesem Fall ein ungarisches Volksmärchen voller hünenhafter Helden, entführter Prinzessinen und vielköpfiger Drachen), und kleiden sie in ein neues, sprich, zeitgenössisches Gewand. Rein plottechnisch überrascht FEHERLOFIA tatsächlich kaum, und schöpft seine Motiven aus dem Füllhorn der Sagen und Legenden aller Völker des Erdenrunds: Eine Unterweltreise; eine mythische Herkunft des Helden aus dem Bauch eines sprechenden Tiers; ein Kampf mit drei Widersachern; Helfergeister, die erst durch List dazu gebracht werden müssen, ihre Unterstützung zu leisten; ein üppiges Hochzeitsbrimborium im Finale. Doch scheint es Jankovics' Ansatz gewesen zu sein, den Stil konsequent über die Substanz zu stellen, - weshalb man, (wie ich es gestern getan habe), FEHERLOFIA auch völlig unbehindert davon, ob man der Story nun im Detail folgt, als rein audiovisuelle Seherfahrung genießen kann, - denn, dass das Gute am Ende siegt, ist eine sichere Bank.

Tja, und die entrückten Klänge und entfesselten Animationen, die mir Jankovics um Ohren und Augen schlägt, haben es fertiggebracht, mich zugleich in eine meditative Stimmung zu versetzen, dass ich beinahe im Kinosaal weggedämmert wäre wie auch mich permanent erregt auf meinem Sitz hin und her rutschen zu lassen. Gerade zu Beginn, wenn die Hintergrundgeschichte des "Schimmelprinzes" erläutert wird, wirkt FEHERLOFIA wie ein abstraktes Avantgardeexperiment, bei dem man Mühe hat, Vertrautes in den irgendwo zwischen fließenden Mandalas, ikonenhaften Ornamenten und Pop-Art-Eruptionen umherwirbelnden Farben und Formen zu erkennen; wenn der Film im weiteren Verlauf einer (weitgehend) kohärenten Handlung folgt, wechseln die konkreter gewordenen Bilder doch zumeist in einem Tempo, die den Sehorganen keine Zeit zum Verschnaufen, dem Kopf keine Zeit zu ihrem Verarbeiten lässt; und zuletzt findet noch die eine oder andere bizarre, nicht erwartbare Idee ihren Platz, wie der Umstand, dass es sich bei den erwähnten Drachen eben nicht um Schuppenechsen handelt, sondern um a) einen Art Maschinenmenschen-Golem, b) einen schießwütigen Panzer, und c) eine futuristische Metropole, deren Skyscraper bedrohlich blitzen. Wenn man so will, spielt FEHERLOFIA in seinem Subtext die technokratische Moderne gegen eine magische Märchenwelt aus, und gesteht letzterer zu, dass sie durch die Kraft ihrer Imagination noch jede Betonwüste locker in ihre Schranken verweist; weniger im Subtext, sondern recht plakativ sind Bilder eingestreut, bei denen ich mich nicht anders kann, als sie für wenig verklausulierte Darstellungen von Geschlechtsorganen zu halten: Eine pulsierende Vagina in einem Baumstumpf; das Schwert unseres Helden, das als Substitut für seinen Penis fungiert. Dass sich einige Situationen, wie man das aus Märchen kennt, stets dreimal wiederholen, spielt der kontemplativen Seite des Films in die Hände; dass mir als jemandem, der nicht unbedingt mit osteuropäischen Märchen aufgewachsen ist, einige Symbole und Szenarien schlicht rätselhaft bleiben, trägt zum hermetischen, aufwühlenden Charakter dieses eigenartigen Films bei.

Zwei Bemerkungen auf der deutschsprachigen Wikipedia haben mich dann noch zum Schmunzeln gebracht:

"Auch berichtet Jankovics, eine frühere Fassung des Drehbuches, in der er die Wiederholungen der Geschichte eine wichtigere Rolle spielten, sei abgelehnt worden, da sie der marxistischen Anschauung über den linearen Ablauf der Zeit (siehe auch: Historischer Materialismus) widerspreche."

"Später wurde der Film eher als psychedelische Kunst wahrgenommen, auch wenn Jankovics immer betont, dass es ihm um eine traumhafte Atmosphäre ging und im Produktionsprozess keine Drogen involviert waren."
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Arkadin
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Re: Sohn der weißen Stute - Marcell Jankovics (1981)

Beitrag von Arkadin »

„Es war einmal vor langer Zeit, da stand in einem Land so weit von hier, fast schon am Höllentor, eine alte Zerreiche. Sie hatte 77 Wurzeln und 77 Äste. Auf den 77 Wurzeln standen 77 Drachen. Auf den 77 Ästen saßen 77 Raben… Hör lieber zu, mein Sohn“, sprach die Weiße Stute, „auf dass die Drachen dir nicht die Seele stehlen und dir die Raben nicht die Augen aushacken! Es waren einmal ein König und eine Königin, die hatten drei Söhne, alle groß und stark. Sie lebten glücklich und zufrieden, bis sie die Warnungen des Königs missachteten und die Kette des Drachen zerbrachen. Und über uns brach die Hölle herein… (Text: Bildstörung)

Über „Der Sohn der weißen Stute“ zu schreiben ist nicht einfach, denn es fehlen einem oftmals wie Worte, um die Bilder zu beschreiben, die Marcell Jankovics auf die Leinwand zauberte. Zu ungewöhnlich wirkt dies alles. Denn Regisseur und Animator Marcell Jankovics fand hier eine Bildsprache, die irgendwo zwischen Kinderbuchillustration, Heiligenbildern und Pop-Art liegt. Die teilweise abstrakt wirkenden, grellbunten Bilder übermannen einen förmlich, und man weiß nie genau, wohin man sein Augenmerk legen soll – und dann sind sie auch schon wieder verschwunden. Es fällt zunächst schwer sich auf diese neue Sehgewohnheit einzulassen. Die Fülle an Formen, Farben und Details überfordert einen manchmal. Vor allem wenn sie mit ungeheurer Dynamik und Kraft über einen hinwegrollen. Das Auge muss sich schließlich erst einmal an diesen seltsamen Stil gewöhnen. Als ich den Film erstmals sah, war ich erschöpft von einem anstrengenden Tag Mitten in der Pandemie, der mit HomeOffice, HomeSchooling und unnötigen Ärger hier und dort seinen Tribut forderte. Schon ein wenig schläfrig warf ich „Der Sohn der weißen Stute“ in den Player, und so erwischte mich der Film in einem Zustand, der die Rezeption des Filmes perfekt unterstützte. Bald schon verabschiedete ich mich von dem Vorhaben der (im Grunde eigentlich simplen) Handlung folgen zu wollen. Ich ließ mich ganz in das Geschehen hineinsaugen, welches mich auf hypnotische Weise in eine dämmerige Zwischenwelt aus Schlafen und Wachen entführte, die mich immer mehr faszinierte. Die seltsamen, teilweise naiv anmutenden Bilder nahmen von mir Besitz und irgendwann konnte ich nicht mehr sagen, ob ich nicht doch eingenickt war und im Kopf die Geschichte weitergesponnen hatte. Als ich später über den Film recherchierte, fand ich heraus, dass genau dies auch die Wirkung war, die Marcell Jankovics zu erreichen hoffte. „One of Marcell Jankovics’s objectives was to make his film feel like a dream or trance. This wasn’t merely achieved through the visuals: the meditative chant „ommmm“ can often be heard on the soundtrack, and Mari Szemes was asked to speak silently and elongate her vowels when voicing the White Mare, giving her expository narration a bedtime story-like quality.“ So steht es in der Trivia-Sektion der IMDb zu diesem Film. Und ich habe aufgrund meiner persönlichen Erfahrungen keinen Grund dies anzuzweifeln (auch wenn man mit Infos aus der IMDb immer etwas vorsichtig umgehen sollte).

Die Handlung des Filmes setzt sich aus dem Volksmärchen „Fehérlófia“ (so auch der Originaltitel des Filmes), verschiedener Varianten dieser Geschichte, weiterer ungarischen Volksmärchen zusammen. All diese Einflüsse wurden von Marcell Jankovics in seinem Drehbuch zusammengefasst und zu einer Geschichte verwoben. Diese ist im Grunde – wie es alle Volksmärchen sind – recht simpel. Der Held Fehérlófia (Baumausreißer) macht sich auf den Weg, um drei Prinzessinnen vor einem schier übermächtigen Feind zu retten. Dabei trifft er seine beiden Brüder und muss beweisen, dass er der Stärkste ist. Er muss sich eines hinterlistigen Gnoms erwehren und am Ende Gnade walten lassen. Diesem einfach geflochtenen Handlungsfaden kann man im Grunde – und wie ich bei einer zweiten, wacheren Sichtung feststellte – leicht folgen, auch wenn man häufiger das Gefühl hat, dass einem vielleicht die eine oder andere Allegorie und Anspielung durch die Lappen gegangen ist.

Was durchaus der Fall sein kann, denn da man hierzulande die literarischen Vorbilder nicht kennt und auch mit der Geschichte Ungarns vielleicht nicht so vertraut ist, ist es gut möglich, dass man solche Feinheiten nicht erkennt. Dies sollte allerdings dazu anreizen, sich einmal mit der Historie des Landes und mit seinen Mythen auseinanderzusetzen. Wie generell „Der Sohn der weißen Stute“ mit erneutem Anschauen noch einmal mehr zu gewinnen weiß. Einige Allegorien sind aber auch für den Nicht-Ungarn gut zu verstehen. So sind die drei Drachen, die Baumausreißer besiegen muss, klar als zivilisatorische Auswüchse und Gefahren zu erkennen. Besonders deutlich beim zweiten Drachen, der im Grunde eine gewaltige Kriegsmaschine ist, mit Kanonenrohren und Bomben. Und dem dritten Drachen, der eine computervernetzte, moderne Stadt (dies bereits 1981!) darstellt. Hier kann man Jankovics Einstellung entweder als Technologie-kritisch oder als etwas sentimental-konservative Rückbesinnung auf „die gute alte Zeit“ verstehen, in der Traditionen stärker als der Fortschritt sind. Beides ist möglich.
Früher war mehr Lametta
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