Ruben Brandt, Collector - Milorad Krstić (2018)

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Salvatore Baccaro
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Ruben Brandt, Collector - Milorad Krstić (2018)

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Originaltitel: Ruben Brandt, a gyujto

Produktionsland: Ungarn 2018

Regie: Milorad Krstić


Vorgestern im Rahmen der Mitternachtsreihe des Braunschweiger Filmfests gesichtet:

Mimi ist Kleptomanin. Schon seit sie denken kann. Und seit Neustem reicht es ihr nicht mehr, Äpfel aus der Obstauslage des lokalen Supermarkts zu mopsen. Nein, es müssen größere Dinge sein, die in ihre Tasche wandern. Kostbare Kunstwerke, zum Beispiel. Oder Kronjuwelen. Dinge eben, deren Wert Mimi nur deshalb etwas bedeutet, weil er ihre Kleptomanie quasi adelt, ihre Krankheit mit Superlativen schmückt. Auch wenn ihr Inspektor Kowalski längst auf den Fährten ist: Es gelang ihm bislang nie, die Meisterdiebin dingfest zu machen. Vielmehr liefern sich die beiden ein durchaus von gegenseitiger Sympathie getragenes Katz-und-Maus-Spiel, zu dem, unter anderem, halsbrecherische Verfolgungsjagden quer durch europäische Metropolen gehören. Aber ganz zufrieden scheint Mimi nicht mit ihrer Elsterhaftigkeit zu sein. Deshalb sucht sie sich Hilfe bei dem renommierten Psychiater Ruben Brandt, der seine Kunden in seiner an einem malerischen Bergsee gelegenen Villa empfängt. Wie Mimi schnell herausfindet, ist Ruben indes jemand, der selbst eine Therapie am nötigsten hätte: Seit dem Tod seines Vaters wird er von Alpträumen gepeinigt, in denen ihm Figuren aus berühmten Gemälden der Weltgeschichte ans Leder wollen. Als Mimi zusammen mit seinen drei weiteren Patienten Fernando, Bye-Bye Joe und Membrano Bruno in Rubens Tagebuch schnüffelt und die Ausmaße seiner psychischen Disposition feststellt, kommt ihr eine zündende Idee: Weshalb nicht die Alpträume ihres Psychiaters dadurch zum Schweigen bringen, indem sie zu viert auf Beutezug gehen und die besagten dreizehn Bilder, die ihn im Schlaf verfolgen, aus den Kunstmuseen der Welt stibitzen, um sie Ruben als Geschenk zu überreichen. Nicht zuletzt würde das ja auch ihrer eigenen langfingrigen Neigung zugutekommen, die endlich einmal etwas Gutes bewirken würde, nämlich die Heilung des armen Seelenklempners. Und weil der erste Raub so perfekt funktioniert, folgt ein zweiter, ein dritter. Bald ist Ruben eingeweiht und begleitet seine Schützlinge von einem Kontinent zum nächsten, um Gauguins, Picassos, Botticellis in seine Gewalt zu bringen. Aber Kowalski hat natürlich längst die Fährte aufgenommen. Und ein sinistrer Russe ebenfalls, der es satthat, sich die Hände an Drogen und Prostitution zu beschmutzen, und seine große Chance darin wittert, dem geheimnisvollen Kunstsammler, der die ganze Welt in Atem hält, seine Gemälde abspenstig zu machen und sie seinerseits in harte Währung zu verwandeln. Bald finden sich unsere Freunde eingesponnen in ein Netz, dessen zunehmend straffer gespannten Fäden direkt auf ihre Halsschlagadern abzielen…

Jahrelang hat der ungarische Multimedia-Artist Milorad Krstić an seinem ersten Langfilm RUBEN BRANDT, A GYUJTO gearbeitet. Auf sein Konto gehen sowohl die Rege, das Drehbuch, die Montage, nicht zuletzt die Animationen, die uns in eine bizarre Welt entführen, in der Figuren leben, die man mit ihren verschobenen Physiognomien, ihren vielfachen Extremitäten, Augen, Köpfen oftmals gerade noch knapp als „menschenähnlich“ bezeichnen kann, und in der hinter jeder einzelnen Ecke irgendeine popkulturelle Referenz lauert: Sei es, um einmal bei den Anspielungen auf die Kinogeschichte zu bleiben, THE GODFATHER, sei es UN CHIEN ANDALOU, sei es Paul Wegener in DER STUDENT VON PRAG, - um all das aufzulisten, was Krstić seinem Film an Meta-Text einverleibt hat, bräuchte es wahrscheinlich ein kleines Handbuch, und selbst das würde Gefahr laufen, nicht alles abzudecken, was in den rasant aufeinanderfolgenden Bildern, Szenen, Szenarien alles an Underground und Mainstream verrührt wurde: Sowjet-Kitsch mit Eiswürfeln in Lenin-Gestalt; eine Kollektion berühmter Filmmesser von FIRST BLOOD bis zu Polanskis NOZ W WODZIE; natürlich all die Gemälde Tizians, Magrittes, Hoppers, die sich Ruben gegenüber à la Stendhal-Syndrom wie ein Tor in die Untiefen der eigenen Seele öffnen, - und die Begründung dafür, weshalb unser Held so sensibel auf gerade diese dreizehn Kunstwerke reagiert, stellt folgerichtig eine weitere augenzwinkernde Hommage an die Auswüchse der Popkultur dar, bei der man beispielweise sowohl an FIGHT CLUB wie an die Montagetheorien Sergej Eisensteins denken könnte. RUBEN BRANDT, A GYUJTO ist ein Füllhorn an Ideen, das zuweilen droht, unter der Last seines eigenen postmodernen Exzesses zusammenzubrechen. Dabei bleibt die eigentliche Story manchmal auf der Strecke, wirkt zuweilen dramaturgisch unausgegoren, vom Timing her leicht neben der Spur, und gerade das abrupte Ende hat mich doch ein wenig unbefriedigt zurückgelassen. Als Sog sich dauernd selbst dekonstruierender und kommentierender Bilder und als Beweis dafür, was im animierten Film zwei Jahrzehnte nach der Jahrtausendwende so alles Atemberaubendes möglich ist, funktioniert RUBEN BRANDT, A GYUJTO allerdings freilich bestens, - und nicht umsonst drohte der Kinosaal quasi permanent, vor Lachen zu bersten.
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