Green Elephant - Svetlana Baskova (1999)

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Salvatore Baccaro
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Green Elephant - Svetlana Baskova (1999)

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Originaltitel: Zelyonyy slonik

Produktionsland: Russland 1999

Regie: Svetlana Baskova

Cast: Sergey Pakhomov, Vladimir Epifantsev, Aleksandr Maslaev, Anatoliy Osmolovskiy, Oleg Mavromatti


Zwei Männer in einer engen, feuchten, schmutzigen Kellerzelle. Warum sie dort sind, erfahren wir nicht. Auch ihre richtigen Namen lernen wir nicht kennen. „Poekhavshiy“ nennt der eine den anderen, was auf Russisch so viel wie „Verrückter“ heißt, während der Zweite von seinem Gegenüber stets als „Bratishka“, „Bruder“, angesprochen wird. Beide scheinen sie Angehörige des Militärs zu sein. Hat sie möglicherweise irgendeine dienstliche Verfehlung in ihre missliche Lage gebracht? Auf jeden Fall reagiert Bratishka auf die Situation mit kühlem Kopf, während Poekhavshiy eher im Begriff steht, denselben zu verlieren. Anfangs findet Bratishka das pausenlose Plappern seines Zellengenossen noch halbwegs amüsant, doch mit der Zeit geht ihm dessen niemals stillstehendes Mundwerk gehörig auf die Nerven. Poekhavshiy erzählt ihm Anekdoten aus seinem Leben: Wie viele Liegestützen er früher, als er noch keine Plauze gehabt habe, hintereinander habe absolvieren können; wie er einmal ins Schwarze Meer geschissen habe; wie er von seinen Kameraden in der Militärakademie für schwul gehalten worden sei, worauf er einem von ihnen in die Stiefel kotete, und zur Strafe anschließend mit seinen eigenen Exkrementen eingeschmiert wurde. Überhaupt scheint Poekhavshiy eine gewisse Obsession zu haben, was menschliche Ausscheidungsstoffe aus dem Darmtrakt betrifft: Mehr als einmal lässt er durchblicken, dass ihn der tätliche Übergriff seine Kameraden, die ihn den eigenen Kot essen ließen, gar nicht so unlieb gewesen sei. Irgendwann reißt Bratishka die immer brüchiger gewordene Hutschnur: Erst brüllt er bloß auf Poekhavshiy ein, der ihn plötzlich im Plural anspricht, ihn unvermittelt fragt, ob er einen Ständer habe, ihm ein selbstkomponiertes Lied vom Grünen Zirkuselefanten vorsingt; dann droht er seinem Zellengenossen, er solle endlich die Klappe halten, seine uferlosen Monologen würden ihn noch in den Wahnsinn treiben, was Poekhyashiys Mundwerk freilich ebenfalls nicht zum Stillstand bewegen kann; schließlich schlägt er in einem cholerischen Anfall auf den Mithäftling ein. (Diese ganze Eröffnungssequenz ist übrigens per Handkamera nahezu ohne Schnitte gefilmt: Ein existenzialistisches Kammerspiel aus der Feder von Sartre oder Beckett, zugleich abstoßend und amüsant in seiner verbalen Härte, seinem absurden Setting, dem Zusammenspiel der beiden Protagonisten, das einem, je länger man ihm beiwohnt, zunehmend auf unangenehme Weise vertraut vorkommt.)

Zwischendurch wird Bratishka von zwei weiteren Männern abgeholt, dem Capitan und dem Colonel, bei denen ebenfalls ein klares Machtgefälle vorliegt: Der Colonel dient seinem Vorgesetzten als Sklave, muss ihm beispielweise die Teetasse mit dem Mund reichen. Am Ende der Hierarchie stehen aber klar unsere beiden Gefangenen: Bratishka soll mit einer Gabel (!) eine völlig verschissene Toilette säubern; Poekhavshiy wird schulmeisterhaft vom Captain bezüglich des Angriffs auf Pearl Harbor unterrichtet, muss auswendig lernen, wie viele Schiffe auf japanischer und US-amerikanischer Seite in der Seeschlacht vorhanden gewesen sind, und wie jedes einzelne beim Namen hieß. Endgültig kollabiert das nur zweckdienliche Gemeinschaftsband zwischen unseren Helden, als Poekhavshiy seine Lust an verfemten Stoffen nicht mehr unter Kontrolle halten kann: Er erleichtert seinen Darm auf einen Teller, beginnt, die Exkremente zu verspeisen, sich damit einzureiben, und weckt Bratishka, um ihm etwas von seinem Frühstück anzubieten, worauf dieser ihn einmal mehr anbrüllt, ihn beleidigt, ihn attackiert.

Kurz darauf finden sich Poekhavshiy und Bratishka in einer Halle wieder. Captain und Colonel scheinen ihre Hinrichtung zu planen. Oder besser: Bratishka soll zunächst Poekhavshiy töten, bevor er selbst wiederum vom Colonel ermordet wird. Dabei haben sie die Rechnung aber ohne Brastishkas Überlebenswille gemacht. Der nämlich schließt einen Pakt mit dem Colonel, der vorsieht, dass die drei Männer ihre gemeinsame Kraft gegen den vermeintlich Überlegenen richten. Was folgt, ist eine Gewaltorgie unaussprechlichen Ausmaßes: Nach allen Regeln der Kunst wird der Captain von Bratishka zerlegt, ihm die Wirbelsäule herausgerissen, auf der Poekhavishy sodann sein Elefantenlied spielt (!), die Leiche anal vergewaltigt, nachdem man ihr die Eingeweide entnommen hat. Scheinbar entsetzt über den eigenen Contenance-Verlust suizidiert sich Bratishka anschließend selbst. Auch der Colonel hat bereits ein Seil geknüpft, um sich daran aufzuhängen. Allein bleibt Poekhavshiy mit den Toten zurück, und macht sich daran, seinen erigierten Penis das Rektum des Colonels erkunden zu lassen…

Es scheint mir durchaus plausibel, Svetlana Boskavas ZELYONYY SLONIK als Parabel zu verstehen: Auf Gewaltskandale innerhalb der russischen Armee; auf den politischen Zustand der russischen Gesellschaft auf der Schwelle zum neuen Jahrtausend; auf Konzepte wie Patriarchalismus, Militarismus, Populismus im Allgemeinen. Letztlich scheinen mir die visuellen Grenzüberschreitungen einem moralischen Apell zu dienen, einer Diagnose gesellschaftlicher Verwerfungen, einer Kritik an herrschenden Verhältnissen: Je länger ich darüber nachdenke desto mehr der Beobachtungen finde ich in ZELYONYY SLONIK wieder, die der französische Philosoph Michel Foucault in seinem 1975er Hauptwerk „Überwachen und Strafen“ bezüglich der modernen Disziplinargesellschaft gemacht hat: Poekhavshiy und Bratishka als dressierte Körper, eingeschlossen in einem panoptischen Gefängnis, in dem unhinterfragt befremdliche Rituale vollzogen werden, deren einziger Sinn es im Grunde ist, die Körper weiter zu dressieren und zu domestizieren, und aus dem lediglich der Tod einen praktikablen Ausweg darstellt.

In seinem ersten Drittel ist ZELYONYY SLONIK wirklich großartig: Diese klaustrophobische Enge; die pointierten Dialoge; die darstellerische Leistung von Sergey Pakhomov und Alexander Maslaev – das alles spielt einem dreckigen Realismus in die Hände, bei dem nicht zuletzt die zeitweise ganz dicht an den Gesichtern der Schauspieler klebende Kamera das Gefühl verleiht, man befände sich selbst mit den beiden Männern im ranzigsten Kellerloch der Filmgeschichte. Allerdings schraubt Boskava diesen naturalistischen Anstrich mit zunehmender Laufzeit immer weiter zurück: Das furiose Finale unterscheidet dann kaum noch etwas von der affektierten Performance einer modernen Kunsttheatertruppe. Es wird ununterbrochen geschrien, es werden Grimassen gezogen, man suhlt sich in plakativen Splatter-Effekten. Genau mit diesem artifiziellen Gestus jedoch verhindert Boskava, dass ich von ihrem Film bis ins Mark erschüttert werde. Stets schwingt da diese ostentative Meta-Ebene mit: Es ist alles nur ein wildes Spiel! Was aber nicht heißen soll, dass ich nicht doch positiv überrascht bin von diesem oftmals auf den berühmt-berüchtigten Listen der (angeblich) verstörendsten Filmen aller Zeiten auftauchenden Streifen bin. Man sollte sich nur darauf einlassen, dass Boskavas Handschrift eher die einer dezidierten Künstlerin ist, die zudem gerade kürzlich noch einmal einen Blick in ihren Foucault geworfen, und vielleicht sogar noch Deleuzes „Postskriptum über die Kontrollgesellschaft“ studiert hat, und die die daraus gewonnen Erkenntnisse nun in ein abgefilmtes Theaterstück überführen möchte.

Allen, die weder herrschaftskritischen philosophischen Exkursen noch absurdem Theater, transgressiven Body Performances oder räudigem Underground-Kino etwas abgewinnen können, und denen zudem schon die Orgie in Makavejevs SWEET MOVIE zu viel des Guten (oder des Schlechten) gewesen ist, sei von diesem eigenartigen Werk allerdings vollumfänglich abgeraten…
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