Farha - Darin J. Sallam (2021)

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Salvatore Baccaro
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Farha - Darin J. Sallam (2021)

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Originaltitel: Farha

Produktionsland: Jordanien / Saudi-Arabien / Schweden 2021

Regie: Darin J. Sallam

Cast: Karam Taher, Ashraf Barhom, Ali Suliman, Tala Gammoh, Firas Taybeh, Sameera Asir, Majd Eid


Palästina im Jahre 1948: Die 14jährige Farha wünscht sich nichts Sehnlicher als die Erlaubnis ihres Vaters, zur Schule in die Großstadt gehen zu dürfen; dort nämlich wohnt nicht nur ihre beste Freundin, sondern es locken auch wesentlich lukrativere Zukunftsmöglichkeiten für eine erwachsenwerdende Frau wie sie als in dem verschlafenen Dorf, wo ihr Papa das Bürgermeisteramt bekleidet und die Mädchen ihre Wissenslaufbahn mit Abschluss der Koranschule im Grunde vollständig absolviert haben. Dass ihr Vater schließlich unter Farhas Hartnäckigkeit und dem Zuspruch eines Onkels einknickt, versetzt unsere Heldin in den siebten Himmel, - woran nicht mal etwas ändern kann, dass die Wunscherfüllung an den Deal geknüpft ist, sie solle dafür einen Cousin heiraten, den sie zwar nicht über alle Maße liebt, jedoch immerhin auch nicht völlig unausstehlich findet. Dann aber wendet sich das Blatt jäh: Die englischen Besatzungstruppen verlassen Palästina; im dadurch entstehenden Machtvakuum brechen sich die Konflikte zwischen autochthoner Bevölkerung und dem frisch ins Leben gerufenen Staat Israel alsbald ungezügelt Bahn; die Israelis beginnen damit, systematisch die Einwohner kleinerer Ortschaften gewaltsam zur Migration zu zwingen, während die Palästinenser wiederum zu den Waffen greifen, um einen blutigen Guerilla-Krieg gegen ihre Feinde zu führen…

Auch wenn sich FARHA vordergründig als Historiendrama präsentiert, das, wie der Vorspann verspricht, auf wahren Begebenheiten beruhend aus palästinensischer Sicht von der gewaltsamen Landnahme Israels nach Abzug der britischen Kolonialmächte erzählen möchte, handelt es sich im Kern doch vor allem um ein Coming-of-Age-Drama, - was nicht zuletzt besonders plakativ die Szene veranschaulicht, in der die Titelheldin, nachdem sie Zeugin der Hinrichtung eines Ehepaars und ihrer Kinder geworden ist, zum ersten Mal ihre Periode bekommt, (eine Szene, die mich stark an einen ganz ähnlichen Moment im philippinischen Sexploitation-Arthouse-Hybrid SILIP von 1985 erinnert hat): Stark beim Langfilm-Debüt der jordanischen Regisseurin Darin J. Sallam ist der Anfang, der uns ein junges Mädchen vorstellt, das gerade tief in einem Emanzipationsprozess steckt, bei dem sie sich vom Vater abzunabeln versucht und für sich das Recht erstreitet, dieselbe Bildung wie die gleichaltrigen Jungen genießen zu dürfen; dann rücken die israelischen Truppen näher, die meisten Menschen fliehen, Farhas Vater, immerhin Bürgermeister des beschaulichen Wüstendörfchens, will mit einigen wenigen Mutigen seine Heimaterde verteidigen, - und weil die Tochter sich in letzter Sekunde dazu entscheidet, ihren Vater nicht zu verlassen, wird sie von diesem in einem düsteren Verschlag versteckt: Die Tür ist zugehämmert, gewährt lediglich durch einen schmalen Spalt Ausblick zunächst auf das Chaos der Flucht, sodann auf die Monotonie des menschenleeren Innenhofes, und schließlich zu den oben angedeuteten Gräueln, die der Film freilich recht zurückhaltend - (man könnte auch sagen: inkonsequent) - bebildert. Der Ausgangspunkt für einen klaustrophobischen Horrorfilm, der die Enge, die Unsicherheit, die Verzweiflung unsrer Heldin physisch erfahrbar macht, wäre durchaus gegeben gewesen; leider bleibt FARHA hinter seiner Prämisse zurück, - so wie auch die Mise en Scene (Ton; Kamera; Montage) sich nie wirklich bemüht, aus den Statuten konventionellen Filmemachens auszubrechen. Dadurch wirken manche Bilder, manche Ideen abgeschmackt, weil tausendfach gesehen; seine Meriten indes hat FARHA für mich dennoch, und zwar meist in kleinen intensiven Momenten: Ein Auge in Großaufnahmen, durch den Verschlag direkt auf Farha blickend, (und wenn man dann noch begreift, wem dieses Auge gehört!); ein Massaker, das sich uns rein akustisch mitteilt; ein Spiel mit den Hülsen von Nüssen, das die Langeweile im Versteck vertreiben soll. Die motivische Analogie zu etlichen Holocaust-Dramen - (am prominentesten wahrscheinlich: Anne Frank im Hinterhausversteck) -, dürfte volle Absicht sein, genauso wie, dass die Vater-Tochter-Beziehung zu Beginn in Farben geschildert wird, die angesichts des historischen Kontexts für meine Begriffe beinahe etwas zu mild wirken, und die Darstellung der israelischen Soldaten als gewissen- und kompromisslose Bestien in Uniformen zuweilen dann doch etwas zu arg in plumpe Schwarz-und-Weiß-Dichotomien verfällt, (und bei mir in der oben erwähnten Exekutions-Szene wiederum Flashbacks zu einschlägigen NS-ploitern der italienischen Schule à la LA BESTIA EN CALORE geweckt hat...)
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