Cinema Sabaya - Orit Fouks Rotem (2021)

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Salvatore Baccaro
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Cinema Sabaya - Orit Fouks Rotem (2021)

Beitrag von Salvatore Baccaro »

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Originaltitel: Cinema Sabaya

Produktionsland: Israel 2021

Regie: Orit Fouks Rotem

Cast: Dana Ivgy, Aseel Farhat, Marlene Bajali, Amal Murkus, Joanna Said, Liora Levi, Yulia Tagil, Khawlah Hag-Debsy


Acht Frauen unterschiedlicher sozialer Herkunft, unterschiedlicher kultureller Hintergründe, unterschiedlicher religiöser Konfession nehmen an einem Video-Workshop teil, den eine aufstrebende Filmemacherin in einem Jerusalemer (?) „Coexistence Center“ abhält. Für Woche erhalten die Teilnehmerinnen sich steigernde Aufgaben, vom Drehen kleiner Home-Video-Schnipsel, die ihren Alltag illustrieren sollen, bis hin zu Rollenspielen, bei denen sie abwechselnd die Ehepartner ihres Gegenübers verkörpern. Mit der Zeit öffnen sich die Frauen mehr und mehr, - sowohl der Workshop-Leiterin wie auch einander -, werden mit ihren Sehnsüchten und ihren Dämonen konfrontiert, und ohne dass der Film jemals die nüchtern-sterilen Seminarräume verlassen würde, erfahren wir viel über ihre alltäglichen Sorgen und Nöte, finden uns bald verheddert in theologischen Streitgesprächen untereinander (bspw. die mutmaßliche Homosexualität der Regisseurin betreffend), erleben mit, wie sich die Gruppendynamik innerhalb des Seminars entwickelt, wie die Frauen verbal voreinander die Hüllen fallenlassen, wie sie Tränen vergießen, von traumatischen Begebenheiten in ihren Vergangenheiten berichten, wie sie zusammen Spaß daran haben, Stück für Stück in das Handwerk des Filmemachens, sprich, Kameraführung, Schnitt, Nachvertonung eingeführt zu werden, blicken vor allem aber tief hinein in die Geschlechterverhältnisse des Nahen Ostens, in breitgefächerte Formen weiblicher Unterdrückung unter dem Deckmantel des Glaubens, in mal zarte, mal aggressive Emanzipationsprozesse, die es manchen der Frauen möglich gemacht haben, ihre Leben in die eigene Hand zu nehmen, oder die auf halber Strecke dabei Schiffbruch erlitten.

Die Regisseurin währenddessen verhält sich, wie die semi-dokumentarische Inszenierung, weitgehend passiv, auch wenn sie insgeheim davon träumt, die Erfahrungen ihres Workshops in einen Spielfilm zu transferieren - eben der Film, der dann CINEMA SABAYA geworden ist. Mal abgesehen davon, dass die schlussendliche Botschaft à la: alle Frauen leiden auf ihre Weise unter dem Patriarchat, ob nun in einem christlichen, jüdischen oder muslimischen Kontext, vielleicht etwas zu plakativ transportiert wird, und dass es bei der betont zurückhaltenden Mise en Scene naturgemäß nicht den geringsten Spannungsbogen und nicht die geringste (technisch-ästhetische und/oder narrative) Überraschung gibt, hat der Film bei mir gerade wegen seiner visuellen Monotonie und der erzählerischen Gleichförmigkeit eine Art meditative Sogwirkung entwickelt, - zumal ich den Ansatz von Regisseurin Orit Fouks Rotem sowohl nachvollziehen wie gutheißen kann: Kino, oder konkret: Filmemachen, das ist in CINEMA SABAYA ein Tool zur Selbsterkenntnis, und dadurch zur Selbstbefreiung gerade weiblicher Personen. Anders gesagt: Je mehr die Workshop-Teilnehmerinnen über die technische Seite des Filmedrehens lernen desto mehr werden sie sich auch über ihre eigene Lebensrealität bewusst, ob sie in dieser nun zufrieden sind oder ob sie sie zum Kotzen finden. Behutsam metareflexiv erzählt Rotem vom kinematographischen Medium als einem Aufklärungswerkzeug, das Ungerechtigkeiten zwar nicht beseitigen kann, jedoch über den Weg der Sichtbarmachung derselben zu einem ersten Schritt hin zu ihrer Beseitigung führen kann. Schön in dieser Hinsicht ist beispielweise eine Szene, in der eine der Frauen im Rollenspiel mit ihrem eigenen, von einer anderen Damen gespielten Gatten konfrontiert wird, der ihr verbietet, den Führerschein zu machen, oder wie eine andere Frau heimlich ihren Ehemann filmt, und in dem Moment, als sie ihn auf der Leinwand erblickt, plötzlich ein ganz anderes Bild von ihm bekommt als das, das sie bislang von ihm gehabt hat. Film, das ist der Ausgang der Frau aus ihrer unverschuldeten Unmündigkeit, könnte man CINEMA SABAYA frei nach Kant als Motto beigeben.
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