Borgman - Alex van Warmerdam (2013)

Moderator: jogiwan

Antworten
Benutzeravatar
horror1966
Beiträge: 5597
Registriert: Mo 7. Jun 2010, 01:46
Wohnort: Hildesheim

Borgman - Alex van Warmerdam (2013)

Beitrag von horror1966 »

Borgman
02.jpg
02.jpg (57.91 KiB) 408 mal betrachtet

Borgman
(Borgman)
mit Jan Bijvoet, Hadewych Minis, Jeroen Perceval, Alex van Warmerdam, Tom Dewispelaere, Sara Hjort Ditlevsen, Elve Lijbaart, Dirkje van der Pijl, Pieter-Bas de Waard, Eva van de Wijdeven, Annet Malherbe, Gene Bervoets
Regie: Alex van Warmerdam
Drehbuch: Alex van Warmerdam
Kamera: Tom Erisman
Musik: Vincent van Warmerdam
FSK 16
Belgien / Dänemark / Niederlande / 2013

Auf der Flucht vor einer Gruppe brutaler Männer sucht der geheimnisvolle Landstreicher Borgman Unterschlupf bei der wohlhabenden Familie van Schendel. Vom Familienvater Richard zunächst verjagt, kehrt Borgman zurück und verzieht sich heimlich ins Gartenhaus des Anwesens. Richards Ehefrau Marina bietet dem Fremden unkompliziert Hilfe an und ein warmes Bad. Marina fühlt sich zunehmend von ihm angezogen und will nicht zulassen, dass er die Familie wieder verlässt. Kurz darauf verschwindet der Gärtner auf mysteriöse Weise, Borgman schleicht sich mit neuer Identität in die Mitte der Familie und nistet sich ein. Nun geraten auch die Kinder in seinen perfiden Bann, eine kaltblütige Manipulation beginnt.


Die Zerstörung der heilen Welt Fassade


Dieser Satz beschreibt wohl am besten, was der niederländische Regisseur Alex van Warmerdam dem Zuschauer mit seinem Film "Borgman" abliefert, wobei sich die Umsetzung des Ganzen sicherlich vollkommen anders gestaltet, als sich manch einer vorstellen mag. Die vorliegende Geschichte ist nämlich alles andere als der ansonsten handelsübliche Mainstream und auch die Abläufe gestalten sich keineswegs nach einem vorgefertigten Schema, sondern offenbaren in etlichen Passagen sogar viele surreal wirkende Elemente die das gesamte Szenario aber nur noch interessanter machen als es von Haus aus schon ist. Gleichzeitig wirft das Geschehen auch etliche Fragen auf, von denen am Ende längst nicht alle beantwortet werden, doch wenn man diesen Aspekt in unzähligen anderen filmischen Werken auch oft bemängelt, erscheint er in vorliegendem Fall doch gerade wie das Salz in der Suppe. Und so kann man sich dann auch von der ersten Minute an auf ein extrem außergewöhnliches Filmerlebnis einstellen das man in dieser Form nun wirklich nicht alle Tage präsentiert bekommt, wobei der Begriff außergewöhnlich an dieser Stelle noch einmal eine ganz andere Dimension annimmt. Das beginnt schon mit der Einführung als drei bewaffnete Männer (darunter auch ein Priester) sich in den Wald begeben, um dort die unterirdische Behausung der Hauptfigur zu zerstören und Jagd auf den Obdachlosen zu machen. Eine Erklärung dafür wird bis zum Ende nicht geliefert, allerdings ist die Zerstörung der Behausung nahezu symbolisch für die Ereignisse die sich danach abspielen. Das merkt man insbesondere in einer der letzten Einstellungen der Geschichte, als einem noch einmal ein letzter Blick auf das einst wunderschöne Anwesen gegönnt wird, auf dem sich im Prinzip die gesamte Erzählung abspielt.

Dort wird dem Betrachter nämlich sinnbildlich die Zerstörung einer vormals heilen Welt vor Augen geführt und im Prinzip ist "Borgman" auch nichts anderes, als eine bitter-böse Karikatur einer scheinbaren Bilderbuch-Familie, die ein augenscheinlich tolles Leben in Reichtum und Wohlstand führt und dabei in einem luxuriösen Anwesen zu Hause ist. Das der Schein jedoch sehr trügerisch ist wird schon nach einer relativ kurzen Zeitspanne klar, wobei das Auftauchen des Obdachlosen "Borgman" der Auslöser für eine Aneinanderreihung teils äußerst skurriler Ereignisse ist, die man eigentlich kaum in Worte fassen kann. Selten hat man eine dermaßen faszinierende und charismatische Hauptfigur zu sehen bekommen und Darsteller Jan Bijvoet verleiht dem von ihm dargestellten Charakter eine undurchsichtige Präsenz die sehr schwer zu durchschauen ist. "Borgman" ist vielschichtig, teilweise böse, kaum zu durchschauen, manipulativ, aber bei all diesen Eigenschaften auch auf eine kaum zu erklärende Art extrem sympathisch. Seine dabei schon fast stoische Mimik vermittelt dem Betrachter dabei oft genug den Eindruck, als wenn der gute Mann eher anteillos die Folgen beobachtet die durch sein Handeln ausgelöst werden. So schwer einzuschätzen wie er selbst sind auch die ominösen Helfer Borgmann's, die im Laufe der Zeit wie aus dem Nichts auf der Bildfläche auftreten. Alex van Warmerdam hat sich wirklich alle Mühe gegeben einen Teil der Protagonisten eher schwammig zu skizzieren und so einen großen Teil der Abläufe der Interpretation des Zuschauers zu überlassen. Dieser Punkt wird vielleicht nicht jedem gefallen, doch meiner persönlichen Meinung nach erscheint das Gesamtbild gerade dadurch nahezu genial und offeriert einen derart brillanten Filmgenuss, wie man ihn eher selten geboten bekommt. Dennoch wird diese Geschichte ganz sicher polarisieren, denn nicht ein jeder wird etwas mit der außergewöhnlichen Erzählstruktur anfangen können mit der van Warmedam hier die Meinungen spalten wird. Übrigens ist der gute Mann bei diesem Film nicht nur als Regisseur tätig, denn gleichzeitig zeichnet er auch noch für das Drehbuch verantwortlich und ist so ganz nebenbei auch noch als einer der Darsteller mit von der Partie.

So vielseitig wie der Macher eröffnet sich dann auch das Szenario, das man ganz unmöglich in eine bestimmte Schublade stecken kann, denn "Borgman" ist unmöglich einem bestimmten Genre zuzuordnen. Vielmehr vermischen sich die Elemente eines klassischen Dramas mit den Ansätzen eines Thrillers und als wenn das noch nicht genug wäre, wurden auch noch unzählige Elemente einer rabenschwarzen Komödie beigemengt. In der Summe ist dabei ein Gesamtwerk entstanden das man selbst gesehen haben muss, um die vorhandene Genialität des Ganzen auch erkennen zu können. So undurchsichtig, phasenweise auch sinnlos und surreal sich die Ereignisse für manch einen darstellen mögen, so herausragend kristallisiert sich doch letztendlich die eigentliche Prämisse eines Filmes heraus, der im Prinzip lediglich auf eine krasse Art und Weise mit der Fassade einer Gesellschaft abrechnet, die sich auch in der Realität nur allzu gern gewisse Dinge vorgaukelt. Gleichzeitig wird manch einem vielleicht auch der Spiegel vor das eigene Gesicht gehalten, denn manche Passagen wird man sicherlich auch auf sein eigenes Leben projizieren können. Durch den Einfluss unzähliger sarkastischer Spitzen und jeder Menge Zynismus bekommt das hier dargestellte Inszenierung aber auch eine herrlich überspitzte Note, denn um die scheinbar heile Welt der Familie Schendel aus den Fugen zu kippen, müssen Borgman und seine Gehilfen auch so manches Leben auslöschen, um sich der Leichen danach auf eine höchst kreative Art und Weise zu entledigen. Das manipulative Element spielt in diesem Film auch eine extrem wichtige Rolle, wobei es von den ausführenden Personen clever eingeführt wird, das die Betroffenen überhaupt nicht merken was mit ihnen passiert.

Der Ausbruch unterdrückter Emotionen ist die Folge und es gibt so einige Momente, in denen Verzweiflung, Unzufriedenheit und pure Wut zu einer gewaltigen Entladung gelangen. Doch selbst in diesen Momenten verzichtet man auf keinen Fall auf eine schwarzhumorige Note, wobei man als Zuschauer manchmal schon fast den Tränen nahe ist. Trotzdem verliert man zu keiner Zeit die manchmal schon traurige Ernsthaftigkeit der Story aus den Augen, die ganz besonders zum Ende hin noch einmal auf den Plan tritt. Es handelt sich ganz einfach um eine absolut fantastische Kombination mehrerer Genres, die "Borgman" nicht nur zu einem absolut außergewöhnlichen Film macht sondern zu einem wahrlich berauschenden Erlebnis. Diese Meinung wird nicht jeder teilen und der typische Mainstreamer sollte besser gleich die Finger von diesem Werk lassen. Allen anderen sei der Film jedoch wärmstens empfohlen und wer ihn dennoch verpasst wird eben nie erfahren, welch einzigartiges Filmvergnügen ihm durch die Lappen gegangen ist.


Fazit:


Ich kann mich im Moment nicht daran erinnern, das mich in den letzten Jahren ein anderer Film dermaßen mitgerissen hat wie "Borgman", denn diese Produktion sollte man ohne wenn und aber mit dem Prädikat: Besonders wertvoll auszeichnen. Ein charismatischer und faszinierender Haupt-Charakter, eine teilweise surreale Geschichte, jede Menge Humor und unverhohlener Zynismus zeichnen diese Geschichte aus, die dem Zuschauer zudem äußerst nachhaltig im Gedächtnis haften bleiben wird. Hauptdarsteller Jan Bijvoet steht hier geradezu als Synonym für das subversive Element, das auch die stabilste Fassade zum Einsturz bringt.


10/10
Big Brother is watching you
Benutzeravatar
Arkadin
Beiträge: 10961
Registriert: Do 15. Apr 2010, 21:31
Wohnort: Bremen
Kontaktdaten:

Re: Borgman - Alex van Warmerdam

Beitrag von Arkadin »

Eines Tages steht vor der Tür des gut situierten Ehepaares Richard (Jeroen Perceval) und Marina (Hadewych Minis) ein Landstreicher (Jan Bijvoet), der sie bittet, bei ihnen ein Bad nehmen zu dürfen. Als er dann noch behauptet, Marina zu kennen, rastet Richard aus und verprügelt den Mann. Am Abend findet Marina den verletzten Landstreicher, der sich nun Camiel Borgman nennt, in ihrem Gartenhaus. Sie pflegt ihn und lässt ihn heimlich weiter im Gartenhaus wohnen. Bald schon nimmt Borgman auch Kontakt zu den Kindern des Ehepaares auf, die ihm scheinbar vertrauen. Gleichzeitig kontaktiert er seine Freunde Pascal (Tom Dewispelaere) und Ludwig (Alex van Warmerdam), später kommen noch Brenda (Annet Malherbe) und Ilonka (Eva van de Wijdeven) hinzu. Gemeinsam räumen sie zunächst den Gärtner des Anwesens und dessen Ehefrau aus dem Weg. Frisch frisiert nimmt Borgman daraufhin die Stelle als neuer Gärtner bei Richard und Marina an und holt umgehend seine Freunde als angebliche Helfer mit ins Haus…

Alex van Warmerdams Film „Borgman“ lief im letzten Jahr auf einigen Filmfestivals, neben Cannes waren es vorzugsweise jene, die sich dem fantastischen Film verschrieben haben. Ob „Borgman“ nun dahin passt oder nicht, kann man mit ja und nein beantworten. Zwar werden in „Borgman“ immer wieder übernatürliche Dinge angedeutet, aber sie spiele keine große Rolle. Scheinbar besitzt die Titelfigur Camiel Borgman die Fähigkeit, die Träume anderer zu beeinflussen. Immer wieder wird gezeigt, wie er des nachts nackt auf der Brust der Protagonistin sitzt, die sich unter ihm in Albträumen windet. Selbstverständlich zitiert van Warmerdams dabei Johann Heinrich Füslis „Nachtmahr“, aber ist Borgman dieser Dämon? Gleich zu Beginn wird gezeigt, wie sich drei Männer aufmachen, Borgman in seinem unterirdischen Versteck zu vernichten. Einer davon ist ein Priester, dessen verbrämter Gesichtsausdruck zeigt, dass er sich auf einer heiligen Mission wähnt. Doch bis auf diese Szene und eine kurze Sequenz, in der plötzlich zwei abgemagerte Wundhunde scheinbar aus dem Nichts im Hause der Familie auftauchen (ob diese nur Borgmans Freunde Ludwig und Pascal oder Brenda und Ilonka in anderer Gestalt sind, bleibt der Fantasie des Zuschauers überlassen), hält sich Van Warmerdam mit übersinnlichen Phänomenen stark zurück. Seine Bande an merkwürdigen Außenseitern, die da in das Leben einer gut situierten Mittelklasse-Familie eindringt, braucht auch keine Hilfe von „unten“, sondern nur einen festen Willen und eiskalte Skrupellosigkeit, um ihren Plan (welcher zunächst diffus bleibt) in die Tat umzusetzen. Dabei gehen sie mit einer emotionslosen Professionalität vor, wie man sie aus caper-movies kennt. Jeder kennt seinen Platz im Geflecht und führt mit größter Präzision seine Aufgaben durch. Es ist aber nicht so, dass hier eine Maschine in Gang gesetzt wird, die sich nicht aufhalten ließe. Natürlich könnte sich die Familie gegen die perfiden Manipulationen wehren, doch Borgman kennt ihre Natur zu gut, und Marina und Richard agieren zu dumm und zu egozentrisch, um das große Bild zu erkennen.

Die Geschichte des Fremden, der plötzlich in das Leben einer Familie tritt, um diese kräftig durcheinander zu rütteln, kennt man aus Renoirs „Boudu – Aus den Wassern gerettet„, Pasolinis „Teorema“ oder Miikes „Visitor Q„. Zwar gehen diese Geschichte in der Regel nicht immer gut aus, doch steht am Ende zumeist ein manchmal schmerzhaftes Selbsterkennen der Beteiligten, die sich ihrer wahren Natur oder zumindest einer lohnenswerten Alternative gegenüber stehen sehen. Doch in „Borgman“ bleibt der Familie diese Erleuchtung vorenthalten. Bis zum Schluss begreifen sie ihr eigenes Wesen nicht, verstehen nicht, was sie in den Abgrund führt und dass ihr Verhalten, ihre Egozentrik und Arroganz es waren, die den Angreifern ein so leichtes Spiel gemacht hat. Ja, sie verstehen noch nicht einmal, dass sie Opfer eines Angriffs geworden sind, so borniert gehen sie von ihrer Unfehlbarkeit aus. Das moderne Designer-Haus, welches mitten in die Natur geklotzt wurde, ist ein Sinnbild für Richard und Marina. Auf den ersten Blick beeindruckend und vielleicht sogar begehrenswert, will es bei näherer Betrachtung gar nicht in seine Umwelt passen. Dort wirkt es wie fetter, kalter und unpersönlicher Brocken, ein alles dominierender und einnehmender Fremdkörper, der alles andere mit kalter Brutalität verdrängt. Auch innerhalb des Hauses wirkt alles steril und ungemütlich. Erst wenn am Ende das Haus ganz von Borgman und seinen Mitstreitern vereinnahmt wurde, scheint es sich zu verändern. Dann wirkt das Wohnzimmer plötzlich wie ein Lounge-Bar aus den 70er Jahren, und das auch das elterliche Schlafzimmer bekommt eine schwül-barocke Note. Nein, einladend ist es immer noch nicht, aber immerhin zeigt es Charakter. ebenso wie Borgman und Genossen, die man auch nicht gerne zu sich nach Hause einladen würde, die aber sich aber immerhin bewusst sind, was sie sind und was sie wollen. Im Gegensatz zu Richard und seiner Frau Marina, die ein Scheinleben führen, bei dem Selbst- und Fremdwahrnehmung gehörig auseinander klaffen.

Marina hält sich für eine liberale Frau mit künstlerische Ambitionen und eine gute Mutter. Doch tatsächlich erfüllt sie keine dieser Kriterien. Nicht nur, dass sie den rassistischen Äußerungen ihres Ehemanns nicht entschlossen entgegen tritt, sie selbst verhält sich dem dänischen Dienstmädchen gegenüber, wie eine strenge Herrin gegenüber der Dienstmagd und betont immer wieder, dass diese nicht den sozialen Stand besitzt, wie ihre Familie. Ihren künstlerische Ambitionen geht sie eher gelangweilt und planlos nach, statt mit Leidenschaft. So als wenn diese eben zum guten Ton dazu gehören. Und als Mutter versagt sie, wenn sie die Aufsicht und Erziehung ganz ohne Not an das Kindermädchen abgibt und dabei völlig den Kontakt zu ihren Kindern verliert, die sich dann auch schnell anderen Bezugspersonen zuwenden. Richard ist der simpelste und damit auch langweiligste Charakter in diesem Film. Cholerisch verprügelt er Obdachlose, knallt afrikanischen Arbeitssuchenden die Tür vor der Nase zu und hintergeht in seiner Firma scheinbar auch seinen Partner. An seiner Frau ist er ebenso wenig interessiert, wie an seinen Kindern, die er schnell mal an ihm Unbekannte abschiebt, als es ihm lästig ist, sie zur Schule zu fahren. Und so bereiten den Boden für den eigenen Untergang. Während Jeroen Perceval als Richard seine Rolle recht offen und eindimensional als aggressives Ekelpaket anlegt, gelingt Hadewych Minis als Marina der Spagat zwischen verbitterter Erkenntnis, dass ihr Leben nicht so ist, wie sie es sich vorgestellt hat und gleichzeitigem arroganten Stolz auf darauf, wie man finanziell und sozial dasteht. Diese Ambivalenz zeichnet sich auch im ganzen Auftritt Hadewych Minis‘ – die entfernt an Julianne Moore erinnert – ab, der sie mal als attraktiv-mondäne Frau und manchmal als ein leicht übergewichtiger Trampel erscheinen lässt. Eine faszinierende Schauspielerin von der mehr gerne mehr sehen würde.

Ebenfalls faszinierend ist Jan Bijvoet in der Titelrolle. Schon zu Beginn, lässt er unter der Zottelfrisur und dem wilden Bart einen distinguierten Gentleman durchscheinen. Seine Art sich zu bewegen und auszudrücken passt dann auch gar nicht zu seinem Waldschrat-Outfit. Vielleicht ist es dann auch genau das, was Marina dazu bringt, ihm zu helfen und eine immer stärker werdende Faszinationen für diesen geheimnisvollen Typen zu entwickeln. Ohne übertriebene Gesten, mit fast unbewegtem Gesicht, füllt Bijvoet den Film ganz mit seiner Persönlichkeit aus und sein Borgman liegt wie ein bedrohlicher Schatten über jeder Szene. Kongenial sind auch seine Partner besetzt. Tom Dewispelaere als Pascal und Regisseur und Drehbuchautor Alex van Warmerdam in der Rolle des Ludwig, wirken zunächst wie ein Komiker-Pärchen, offenbaren aber bald, dass sie unter ihrer scheinbar harmlose-lustigen Fassade ebenso kaltblütig und gefährlich sind, wie Borgman selber. Auch die großartige Annet Malherbe als Brenda und Eva van de Wijdeven als Illonka vermitteln einem mit ihrer scheinbaren Normalität, und verwundert auch nicht, dass die mollige Malherbe mühelos und sehr glaubwürdig die Rolle einer fürsorglichen Ärztin annehmen kann. Da man der Zuschauer aber schnell lernt, dass diese scheinbare Fürsorge jederzeit in tödliche Aktionen umschlagen kann, entsteht ein unangenehmes Gefühl.

„Borgman“ wird häufig mit Michael Hanekes „Funny Games“ verglichen. Aber obwohl eine thematische Verwandtschaft mit diesem besteht, erinnert „Borgman“ doch vielmehr an die „stillern“ Filme eines Michael Hanke und weniger mit dem sehr plakativen, „lauten“ „Funny Games“. Vor allem erinnert er an „Caché“ und „Das weiße Band„, die auch dieses unheilvolle Vibrieren unter den Bildern besaßen, welches von einer diffusen, noch nicht greifbaren Gefahr zeugt. Auch die blasse Farben und die oftmals in Tableaus angeordneten Szenen, in denen sich die Figuren verlieren, erinnern an die Werke des Österreichers. Doch während dieser dem Zuschauer die Auflösung seiner filmischen Rätsel absichtlich verweigert, ist Alex van Warmerdam nicht ganz so grausam. Zwar wählt auch er bewusst nicht den einfachen Weg und erklärt dem zuschauer seinen Film bis ins Letzte, aber er gibt mit einigen wenigen Hinweisen und vor allem aber dem Eingangszitat und dem Schlussbild, dem Zuschauer genug Futter, um die Puzzleteile zu einem – wenn auch noch unvollständigen, letztendlich aber doch recht eindeutigen Bild zusammenzusetzen.

Alex van Warmerdams Film erzählt in (beun)ruhigen(den) Bildern davon, wie eine Gruppe Fremder sich mit eiskalter Professionalität in das Leben einer finanziell gutgestellten, aber arroganten und egoistischen Familie einschleicht, und diese durch perfide Intrigen vernichtet. Die kühle und stilbewußte Erzählweise erinnert dabei an die Filme Michael Hanekes, erweist sich aber als zugänglicher. Getragen wird der Film von einem faszinierenden Jan Bijvoet in der Titelrolle und sehr guten Nebendarstellern.

Screenshots & DVD-Details: http://www.filmforum-bremen.de/2015/02/ ... n-borgman/
Früher war mehr Lametta
***************************************************************************************
Filmforum Bremen
Weird Xperience
Benutzeravatar
buxtebrawler
Forum Admin
Beiträge: 38713
Registriert: Mo 14. Dez 2009, 23:13
Wohnort: Wo der Hund mit dem Schwanz bellt.
Kontaktdaten:

Re: Borgman - Alex van Warmerdam (2013)

Beitrag von buxtebrawler »

„Nur ein paar Tage...?“

Der Niederländer Alex van Warmerdam („Grimm“) führte Regie beim niederländisch-belgisch-dänisch koproduzierten Mystery-Drama/-Thriller „Borgman“, der im Jahre 2013 erschien.

„Es ist Zeit für Liebe, es ist Zeit für Trost.“

Drei übernatürliche Wesen, die ihre Gestalt zwischen Hund und Mensch wechseln können, leben im Wald, versteckt in Erdhöhlen. Nachdem sie von dort verjagt wurden, sucht einer von ihnen, der sich Camiel Borgman (Jan Bijvoet, „The Broken Circle“) nennt, die Villa einer wohlhabenden Familie auf. Er sieht aus wie ein verwahrloster Landstreicher und bittet die Bewohner(innen), ein Bad nehmen zu dürfen. Die Familienmutter Marina (Hadewych Minis, „Loft - Liebe, Lust, Lügen“) kenne er zudem von früher. Doch ihr Ehemann Richard (Jeroen Perceval, „Bullhead“) reagiert derart aggressiv auf Borgman, dass er ihn brutal zusammenschlägt und verletzt vor dem Haus zurücklässt. Am Abend desselben Tags stellt Marina fest, dass Borgman sich in ihr Gartenhaus zurückgezogen hat. In einer Mischung aus schlechtem Gewissen und Faszination für den Fremden hilft sie ihm schließlich ohne Wissen Richards, die freigewordene Stelle als Gärtner anzutreten. Was sie jedoch nicht weiß: Die Stelle ist nur deshalb freigeworden, weil Borgman & Co. seine Frau und ihn ermordet haben – der Beginn einer unheimlichen Mordserie im Umfeld der Familie. Rasiert, frisiert und in frischer Kleidung erkennt Richard den Bewerber nicht und stellt ihn tatsächlich als neuen Gärtner ein, womit er sich einen wahren Teufel ins Haus geholt hat, der zusammen mit seinen „Kollegen“ derart manipulativ vorgeht, dass er die Kinder und das Kindermädchen für sich gewinnt und somit seinen finsteren Plan zu Ende führen kann…

Vorrangig mit den narrativen Stilmitteln eines Home-Invasion-Thrillers demontiert der Film die trügerische Idylle einer selbstgerechten, dekadenten Wohlstandsfamilie, hinter deren Fassade kaum etwas so ist, wie es scheint; Liebe und Geborgenheit gibt es kaum, das Gefüge entpuppt sich als dysfunktional und in Oberflächlichkeit, Egoismus und Routine gefangen. Dies bietet Borgman & Co. reichlich Anknüpfmöglichkeiten für ihre Manipulationen und letztlich die Zerstörung der Familie. Das Motiv des in eine Familie eindringenden und sie vollends auf den Kopf stellenden Fremden ist auch in seiner psychologischeren und philosophischeren Herangehensweise nicht neu, Buch und Regie versuchen zu variieren. Mehrfach werden bizarre Abwandlungen des klassischen Nachtmahr-Motivs inszeniert, in denen Borgman nackt auf dem Bett der schlafenden Marina sitzt – oder gar direkt auf ihr.

Doch statt konsequent den psychologischen Topos zu bedienen, einen handfesten Thriller auszuarbeiten oder sich nach Art eines Horrorfilms auf den übernatürlichen, dämonischen Aspekt zu konzentrieren, tun Buch und Regie, nun ja – nichts von alledem. Wie es Borgman gelingt, die Familie zu manipulieren, bleibt diffus – es passiert eben einfach. Dabei bleibt – natürlich! – nicht aus, dass Marina plötzlich auf Borgman steht, auf dieses Stereotyp wollte man dann doch nicht verzichten. In erster Linie werden jedoch alle zunehmend aggressiv und verhalten sich immer seltsamer, bis hin zu einer grotesken Ballettaufführung im Garten.

Klar, „Borgman“ will die Nutzlosigkeit der Oberschicht illustrieren, vor allem aber ihre Angst davor, dass etwas in ihre scheinbar heile Welt eindringen und sie zerstören könnte, dass man ihr den ganzen sinnlos angehäuften Wohlstand und sogar den eigenen Nachwuchs nehmen könnte, wenn dieser beschließt, ein anderes Leben zu führen und anderen Vorbildern als denen der Eltern folgt – eine Angst, auf der letztlich der gesamte politische Konservatismus fußt und unter der seit jeher Unter- bis Mittelschicht und stigmatisierte Minderheiten, alternative Lebensentwürfe etc. zu leiden haben. Van Warmerdam aber ist – bis auf eine hübsche Oben-ohne-Szene Sara Hjort Ditlevsens („Rita“) und den erwähnten Nachtmahr-Szenen – weder an Schauwerten noch an psychologischer Finesse oder Plausibilität gelegen. Die Familie überzeichnet er derart stark, dass sie in ihrem unnatürlichen Verhalten schlicht vollends entrückt wirkt und einem auf die Nerven geht. Damit beraubt er sie jedoch jeden Identifikationspotentials, absolut niemand wird sich in dieser Familie wiedererkennen wollen. Eine Mythologie der offenbar übernatürlichen Eindringlinge wird angerissen, aber nicht weiterverfolgt; stattdessen werden nicht nur sie, sondern regelrecht alle Figuren zu Metaphern, zu allegorischen Symbolbildern, wo der Verzicht auf diese Mischung aus Abstraktionen und klischeesierten Projektionsflächen viel spannender gewesen wäre – ganz gleich ob als realistisches Sozialdrama oder als Genrefilm. So wartet man beharrlich auf eine wie auch immer geartete Auflösung der Chose, auf eine Pointe, eine Wendung oder einen Aha-Effekt, während der Film in seinem Pseudosurrealismus verharrt und sein Publikum mit einer spröden Inszenierung ohne Filmmusik in erzwungen langsamem Erzähltempo und Überlänge bestraft.

Damit dürfte, wie so oft, wenn sich die Mittelschicht ihrer anzunehmen vorgibt, die Unterschicht außenvorbleiben, während das Bildungsbürgertum sich fürs naheliegende „Entschlüsseln“ der Metaphern und diverser Anspielungen und Symboliken gegenseitig auf die Schulter klopfen und sich versichern darf, mit der hier abgebildeten Oberschicht ja so gar nichts zu tun zu haben – Menschen also, denen man mal eine Gruppe Punks vorbeischicken müsste, die die Craftbierkästen im Keller findet, eine zünftige Party feiert, Körperflüssigkeiten und Brandlöcher auf dem guten Teppich hinterlässt und anschließend mit dem Nachwuchs abzieht, um ihn weiter zu verderben.
Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
Ein-Mann-Geschmacks-Armee gegen die eingefahrene Italo-Front (4/10 u. 9+)
Diese Filme sind züchisch krank!
Benutzeravatar
jogiwan
Beiträge: 38389
Registriert: So 13. Dez 2009, 10:19
Wohnort: graz / austria

Re: Borgman - Alex van Warmerdam (2013)

Beitrag von jogiwan »

Bei weitem kein einfacher Film, der uns hier mit „Borgman“ serviert wird und der Inhalt und die Beweggründe bleiben vage und so auch auf vielseitige Weise interpretierbar. Ein fremder Mann drängt sich in das Leben einer Familie und bringt mit weiteren Helfern auf mysteriöse und teils gewaltvolle Weise das scheinbar gutsituierte, überlegen- und doch gefühlskalt wirkende Gefüge auseinander. Doch das Warum bleibt rätselhaft und anstatt einer feindlichen Übernahme und sich ins gemachte Nest setzten zu wollen, geht es wohl eher darum ein bestimmtes Szenario aus unbekannten Beweggründen nachhaltig zu zerstören. Dabei gibt es Verweise auf religiöse und mythologische Komponenten, genauso wie die des modernen Klassenkampfes, die Faszination des Bösen und die Abrechnung mit gesellschaftlichen Befindlichkeiten. Auffällig auch die Nähe zu dem koreanischen Programmkino-Hit „Parasite“ und „Borgman“ wirkt fast wie eine Vorstudie zu Bong Joon Hos Streifen mit religiöser und übernatürlicher Komponente. Doch „Borgman“ arbeitet statt mit bissigem Humor mit den verstörenden Mitteln eine Genre-Films und bleibt dabei doch auch stets auf funktionale Weise sehr beunruhigend.
it´s fun to stay at the YMCA!!!



» Es gibt 1 weitere(n) Treffer aus dem Hardcore-Bereich (Weitere Informationen)
Antworten