Testament in Blei - Carlo Lizzani (1974)

Action, Crime, harte Cops, Gangster & Mafia

Moderator: jogiwan

Antworten
Benutzeravatar
sid.vicious
Beiträge: 2029
Registriert: Sa 26. Jun 2010, 11:16
Wohnort: Bochum

Testament in Blei - Carlo Lizzani (1974)

Beitrag von sid.vicious »

Originaltitel: Crazy Joe
Regisseur: Carlo Lizzani
Kamera: Aldo Tonti
Musik: Giancarlo Chiaramello
Drehbuch: Lewis John Carlino
53b1b50ba028b6669f5606c5cd82956e.jpeg
53b1b50ba028b6669f5606c5cd82956e.jpeg (130.26 KiB) 451 mal betrachtet
Die Brüder Joe und Richie sind Teil einer fünfköpfigen Gangstergruppe, die für den Underboss der amerikanischen Cosa Nostra, Don Falco, die Drecksarbeit erledigt. Da die mörderische Qualitätsarbeit des Quintetts nicht entsprechend honoriert wird, beschließt das Brüderpaar dem undankbaren Falco einen Denkzettel zu verpassen. Doch ihre hinterhältige Aktion beschwört zugleich einen internen Familienkrieg herauf und ruft gleichzeitig den großen Boss und Schlichter, Don Vittorio, auf den Plan. Hinter dessen scheinheiligen Vertröstungen verschanzt sich allerdings niemand Geringeres als der Verrat, dessen trügerische Klauen Joe für viele Jahre ins Gefängnis zerren…

Ob Tommy Udo (der Richard Widmark gespielte Psycho in „Kiss of Death“) oder Jack Buck (Bogie in „Orchid, der Gangsterbruder“), Joseph Gallo kennt sie alle, die großen Gangster der Lichtspiele, die mit ihrer Coolness die Leinwand „zum Gefrieren bringen“. Die Dialoge seiner Helden erblühen zu seinem persönlichen Vaterunser, und wenn die Kids es wünschen, dann legt (Crazy) Joe auch gern eine Imitation seiner Idole auf das schmutzige Straßenparkett von New York City. Joe ist halt ein spezieller Gangster, der einerseits für die Kids den Narren spielt und andererseits unter Einsatz seines Lebens zwei Kinder aus einem brennenden Haus rettet.

Diese Taten stärken freilich die Beziehung zwischen Joe und den Menschen, die neben ihm leben. Eine Verbindung, welche den Gangster nicht allein für die Kids zu einer Ikone, ja, zu einem Ghettohelden transformieren lässt. Natürlich ist Joe ein Gesetzloser, ein Verbrecher, der - wenn es denn sein muss - auch vor Mord keinen Halt macht, aber er ist kein eigennütziger Mensch, sondern jemand, der für die Gemeinschaft denkt und dieser (der Gemeinschaft) Vorteile erspielen will, die fortan Bestand haben sollen. Folglich sind seine Absichten und die daraus resultierenden Taten nicht von Egoismus, sondern von Werten geprägt, welche Joe aus dem Kreis der gemeinen Verbrecher ausschließen und ihm einen Heldenstatus offerieren. Der Status eines Ghettohelden, der gleichermaßen zum Gewaltausbruch wie zur Gutherzigkeit fähig ist, was ihn ein überwiegend positives Image (darauf legt Lizzanis Inszenierung großen Wert) beschert. Lizzani transportiert Joe Gallo als einen literarisch bewanderten Gangster, der Ausbeuter wie Verräter gleichermaßen hasst, sodass um ihn herum ein leuchtender Nimbus waltet, welcher Joe eine einhergehende Unantastbarkeit bescheinigt und ihn als Mythos definiert, was schlussendlich dechiffrieren lässt, dass Joe Gallos´ irdisches Dasein nur durch den heimtückischen Verrat enden kann.

Wie beispielsweise so mancher Volksheld ist auch Crazy Joe von einer innigen Vaterlandliebe entflammt, was wir gleich zu Beginn des Films beobachten respektive erlauschen können, wenn sich Joe und seine engsten Vertrauten (Mannie, Jelly und Richie) als glühende Repräsentanten bella Italias in New York City vorstellen. Die Erben der italienischen Einwanderer, die mit der Muttermilch die Sizilianische Vesper in sich aufgezogen haben, feiern sich gern selbst, indem sie kollektiv nach vollzogener Mordtat und während der Flucht im Viersitzer ein kräftiges „Figaro“ schmettern. Diese feurigen Patrioten strahlen besonders hell in einer ca. 15 Quadratmeter kleinen Räumlichkeit, in der sich die Truppe mit weiteren Geistesverwandten trifft. Eine Zusammenkunft die - na was wohl? - Spaghettikochkünste präsentiert und einen der Heißsporne, dem Ghetto-Caruso, zur ultimativen „O sole mio“ Gesangseinlage motiviert, was schlussendlich die neapolitanische Hommage komplettiert. Ich find´s klasse und konnte mir so manches Schmunzeln nicht verkneifen.

Die Frage nach Italiens beliebtesten Regisseuren wird immer mit den üblichen Verdächtigen beantwortet, dabei bleibt Lizzani meist unerwähnt, was ich persönlich sehr schade finde. Der Schöpfer geliebter Genreperlen wie „Die Banditen von Mailand“, „Mögen sie in Frieden ruhen“, „San Babila, 20 Uhr: Ein sinnloses Verbrechen“ sowie „Storie di vita e malavita“ (dessen deutsche Firmierung, „Straßenmädchen-Report“, ich für unangemessen halte, da sie falsche Erwartungen weckt) konnte mit „Testament in Blei“ ein weiteres starkes Vehikel kreieren. Eine Mixtur aus italienischem Maffiafilm, den Klassikern des amerikanischen Gangsterkinos und Blaxploitation. Unter anderem aufgrund dieser Polyvalenz läuft der Film niemals Gefahr in einem stereotypen Aufstieg und Fall-Thema zu veröden, sodass sich dieser (der Film) schlussendlich als eine individuelle und sehenswerte Gangsterfilmarbeit ausweist, welche sehr viel richtig macht. Ein durch die Bank stark besetzter Film, der einen skrupellosen, aber - wie ich bereits verlauten ließ - durchaus sympathischen Zeitgenossen präsentiert, da Lizzani auf äußerst pfiffige Spielweise das Böse mit dem Guten überlagert. Somit schließe ich die Besprechung mit den Worten des Literaturnobelpreisträgers Bob Dylan, der auf seinem 1976er Studioalben, „Desire“, Joseph (Crazy Joe) Gallo, folgende Zeilen widmet.

“And someday if god's in heaven overlooking his preserve. I know the men that shot him down will get what they deserve.“
Bild
Benutzeravatar
Maulwurf
Beiträge: 2764
Registriert: Mo 12. Okt 2020, 18:11
Wohnort: Im finsteren Tal

Re: Testament in Blei - Carlo Lizzani (1974)

Beitrag von Maulwurf »

Der lief 2017 beim Norimberga Violenta-Festival in Nürnberg am Freitag Abend, und war auf der großen Leinwand ein echter Knaller. Folgendes habe ich damals im Festival-Rückblick geschrieben:

Die wenigsten hatten größere Erwartungen an den nächsten Film TESTAMENT IN BLEI von Carlo Lizzani. Zu wenig war bekannt über den Streifen, zu amerikanisch klangen Stab, Besetzung und Inhalt. In der kurzen Pause nach DER MAFIABOSS wurde vielmals diskutiert wie schlecht der sein soll, und in Anbetracht der späten Zeit überlegten einige, ob man sich den überhaupt antun soll. Aber welch Überraschung, der Film rockt durchaus! Kein typischer Mafiathriller italienischer Herkunft, sondern eher ein klassischer Gangsterfilm US-amerikanischen Zuschnitts: Die Brüder Joe und Richie Gallo wollen nicht mehr die armen Würstchen in der Organisation des großen Falco sein, sie wollen selber an den Speck. Sie wollen die Big Men sein, so würde Tommy Judo in DER TODESKUSS von 1947 es sagen, und Joe ist dessen größter Fan (sowohl der Filmfigur als auch des Films). Also beginnen die beiden mit ihren Leuten einen Gangsterkrieg, an dessen Ende Joe für10 Jahre ins Kittchen wandert. Dort lernt er den Schwarzen Willy kennen und die beiden freunden sich an. Wieder draußen kommt es zur afro-italienischen Brüderschaft, und die alteingesessenen Herren der Mafia müssen zu rigiden Mitteln greifen um dieser Bedrohung Herr zu werden.

Nach einem starken Anfang treten im Lauf der Zeit leider ein paar Hänger auf, und das letzte Drittel kommt dann erzählerisch ernsthaft in Schwierigkeiten. Die Sache mit der italienischen Föderation ist etwas merkwürdig, aber die National Italian American Foundation, gegründet 1975, existiert tatsächlich, und sie ist anscheinend auch heute noch das Sprachrohr für Italiener in den USA. Sachen gibt’s … Aber im Großen und Ganzen war TESTAMENT IN BLEI überraschend gut: Der Versuch, in einer Organisation nach oben zu kommen, der so gar nicht von Erfolg gekrönt ist, vergleichbar vielleicht ein wenig mit Filmen wie FEUERTANZ (ebenfalls von Carlo Lizzani, wen wundert’s …).
Was mich sehr beeindruckt hat sind die Bilder von New York im Jahre 1973. Mein Gott, wie man kann nur in solchem Schmutz leben? Jeder der da groß geworden ist muss unweigerlich raus wollen, muss an die Spitze wollen, egal ob er Donald Trump oder Joe Gallo heißt (wobei die Unterschiede zwischen den beiden, abgesehen von der Frisur, ja nun eher gering sind). Die Bilder wirken dunkel und dreckig, wodurch eine hohe Street Credibility entsteht. TESTAMENT ist so ganz anders als der geleckte DER PATE, und dabei nie so übertrieben wie etwa BLACK CAESAR, sondern immer knallhart realistisch, stilistisch vergleichbar vielleicht mit den frühen Filmen Martin Scorseses. Die starke Stimmung und die eindrückliche Bilder untermalen das stellenweise harte Drama sehr gut. Kein Überflieger, aber sehenswert.
Was ist die Hölle? Ein Augenblick, in dem man hätte aufpassen sollen, aber es nicht getan hat. Das ist die Hölle ...
Jack Grimaldi
Benutzeravatar
sid.vicious
Beiträge: 2029
Registriert: Sa 26. Jun 2010, 11:16
Wohnort: Bochum

Re: Testament in Blei - Carlo Lizzani (1974)

Beitrag von sid.vicious »

Dazu habe ich, auch wenn ich nicht anwesend war, noch das schöne Programmheft, dass mir eben klar machte, dass es nach den HÖLLENHUNDEN noch einen Überraschungsfilm gab.
Bild
Antworten