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Romeo Is Bleeding - Peter Medak (1993)

Verfasst: So 27. Jul 2025, 06:52
von Maulwurf
 
Romeo Is Bleeding
Romeo is bleeding
USA 1993
Regie: Peter Medak
Gary Oldman, Wallace Wood, Juliette Lewis, David Proval, Will Patton, Gene Canfield, Larry Joshua, Michael Wincott, Lena Olin, William Duff-Griffin, James Cromwell, Paul Butler, Annabella Sciorra, Tony Sirico, Victoria Bastel, Katrina Rae, Joe Paparone


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Ein Mann tut nicht immer das, was für ihn am besten ist. Manchmal tut er das Schlechteste.

Jack zum Beispiel. Jack ist Polizist. Weil Jack aber Träume hat, und diese Träume Geld kosten, hat er seine Haut an den mächtigen Don Falcone verkauft. Jack verrät der Mafia, wo die Bundespolizei die Mafia-Kronzeugen unterbringt, im Gegenzug bekommt er einen Haufen Geld. Alles läuft gut, bis zu dem Zeitpunkt, an dem die russische Mörderin Mona Demarkov auftaucht. Die nämlich soll erledigt werden, und Jack gibt den Namen des konspirativen Hotels auch schnurstracks weiter. Aber als die Mafiakiller dort ankommen, ist Mona längst umquartiert – Und Jack soll das Problem schnellstens lösen, und zwar auf allerhöchste Anweisung des Bosses persönlich. Denn andernfalls wird seine Frau zerstückelt, wird sein Haus angezündet, und werden seiner Freundin die Eingeweide herausgerissen. Das eine Problem bei der Sache ist, dass Mona immer genau dort ist, wo Jack sie gerade nicht vermutet. Zum Beispiel direkt vor ihm. Das andere Problem ist, dass seine Libido beim Anblick Monas regelmäßig überschwappt …

Ein mehr als nur kleiner Hauch von Noir weht über die Bühne, wenn die ersten Bilder von ROMEO IS BLEEDING eine Wüste zeigen, ein heruntergekommenes Diner, und einen einsamen Mann, der darauf wartet, dass sein Schicksal sich vollzieht. Wir reisen in die Vergangenheit dieses Mannes und lernen, dass er mal ein respektabler Polizist war, eine schöne Frau und ein schmuckes Häuschen hatte, und dass es ihm gut ging. Und wir lernen, dass er Träume hatte. Träume, die einen Mann schnell einmal auf die schiefe Bahn bringen können.

Viele der Figuren in diesem Film sind irgendwie größer als in der Wirklichkeit. Größer, oder schmutziger, oder gemeiner, kaum ein Charakter ist hier in irgendeiner Weise realistisch. Nicht Gary Oldman, der als käuflicher Cop offensichtlich für seine Rolle des ein Jahr später entstandenen LEON – DER PROFI übt. Nicht ein Botox-geglätteter Roy Scheider als Don Falcone, der wie ein überspitzt formulierter Michael Corleone wirkt. Und überhaupt, dieser Name: Richter Giovanni Falcone wurde bei Palermo 1992 von der Mafia auf bestialische Weise ermordet, und ich bin mir nicht sicher, ob ein Mafiaoberhaupt mit dem Namen Falcone eine stille Hommage oder eine Satire sein soll. Und am allerwenigsten realistisch ist Lena Olin als Mona, die Killerin in Strapsen, die sich mit der Flex einen Arm amputiert um den eigenen Tod vortäuschen zu können. Ihre Rolle ist deutlich zwischen BASIC INSTINCT (aus dem gleichen Jahr!) und Filmen von, sagen wir, Jim Wynorski oder David Decoteau angesiedelt: Pure Gewalt in Gestalt einer fleischgewordenen Sexfantasie, die den kleinen Jack nur am Schniepel zu ziehen braucht um eine willige Marionette zu haben. Wobei die spekulative Frage gestattet sein mag, was passiert wäre, wenn Mona und Jacks Frau Natalie sich einmal getroffen hätten. Ob hier die grobe Handlung von LEON vorweggenommen worden wäre …?

Aber im Ensemble funktionieren all diese Kasperlefiguren erstaunlich gut. Die Polizisten sind für New Yorker Verhältnisse erstaunlich wenig korrupt, die Mafia ist erstaunlich zurückhaltend in ihren Methoden, und die russische Auftragskillerin ist in ihrer Gesamtheit einfach erstaunlich. Ein wunderbares Schmierentheater mit einer wunderbar melancholischen Grundstimmung, die nicht auf elegante Shootouts setzt, sondern sich lieber vielmehr darin gefällt, über lange Zeit den Abstieg des Jack Grimaldi so lustvoll-grausam wie möglich zu erzählen. Erst im letzten Drittel nimmt die Gewalt erstaunliche Ausmaße an, und im gleichen Umfang wie die Gewaltexzesse sich steigern, wächst auch die Fähigkeit der Protagonisten, selbst schwere Verletzungen problemlos zu überstehen. ROMEO IS BLEEDING entpuppt sich als Comic im Neo Noir-Gewand, das über Superhelden und Superschurken mit Marvel-Touch (nämlich mit menschlichen Schwächen) versucht, einen ernstzunehmenden Thriller zu inszenieren, stattdessen aber etwas gegen die Wand fährt, was einer Krimiparodie erstaunlich ähnelt: Comics übernehmen die Herrschaft über die Realität, und am Ende dieser Entwicklung wird ein Film wie SIN CITY stehen, der mit ähnlich überzogenen Figuren und mit dem bewussten Verlust jeglicher Bodenhaftung ein Fass aufmacht, dessen Bodensatz mit Filmen wie ROMEO IS BLEEDING angereichert wurde.

ROMEO IS BLEEDING macht Spaß wenn man sich darauf einlässt, und er hat mit seinen Figuren und seiner Stimmung Filmemachern wie Quentin Tarantino, der im gleichen Jahr den etwas wilderen TRUE ROMANCE schrieb, den Weg geebnet: Die lakonischen Hard Boiled-Luschen auf ihrem Weg in den ganz persönlichen Untergang. Und dann passt auch der Cameo von Dennis Farina als Kronzeuge, der sich die Seele aus dem Leib labert, womit wir ganz schnell zu eben diesen Dialogen Tarantinos kommen, zu Tarantinos europäischem Epigonen Guy Ritchie, und zu Farinas großartigem Auftritt als Mafioso in Ritchies BUBE, DAME, KÖNIG, GRAS. Bloß ROMEO IS BLEEDING ernstnehmen, das darf man auf keinen Fall …

7/10