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Re: bux t. brawler - Sein Filmtagebuch war der Colt

Verfasst: Sa 20. Jul 2013, 00:47
von buxtebrawler
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Satan der Rache
Zehn Jahre saß Gary Hamilton (Klaus Kinski) in einem Arbeitslager - zu Unrecht! Sein früherer Freund Acombar (Peter Carsten) hatte ihm einen Mord angehängt, um sich Hamiltons wertvolle Berggrube unter den Nagel reißen zu können. Nach seiner Freilassung denkt Hamilton nur an Rache...
„Feinde vermehren sich wie Läuse!“ (doch für Acombar reicht ein einziger...)

Der dritte Western, der unter der Regie des italienischen Regisseurs Antonio Margheriti („Asphaltkannibalen“) entstand, nennt sich „Satan der Rache“, erschien in italienisch-deutscher Koproduktion im Jahre 1970 und wartet mit Klaus Kinski („Leichen pflastern seinen Weg“) in der Hauptrolle auf.

Gary Hamilton (Klaus Kinski) landete zu Unrecht im Steinbruch und musste dort zehn lange Jahre schuften, bis er durch den Gouverneur entlassen wurde. Die Zeit nutzte er, um einen detaillierten Racheplan zu schmieden. Nun ist seine Zeit gekommen: Er kehrt zurück in seine alte Heimat, um Rache an seinem ehemaligen Weggefährten Acombar (Peter Carsten, „Dracula im Schloss des Schreckens“) und dessen Gefolgschaft zu üben, die mittlerweile über die Stadt herrschen. Ein aufziehender Tornado spielt Hamilton dabei in die Hände…

Obwohl Margheriti sicherlich viel „von der Stange“ drehte, schuf er mit „Satan der Rache“ doch eine, besondere, aus der Masse herausstechende Variation des typischen Italo-Rache-Westerns. Zwar wird auch dieser Genre-Beitrag verhältnismäßig geradlinig erzählt, doch setzt man nicht auf staubige, sonnendurchflutete Bilder, sondern verstärkt auf aus dem Horror-Bereich entlehnte Stilelemente. Vor der Kulisse eines aufkommenden Tornados kommt es zu einem spannend und atmosphärisch gefilmten Duell einer gegen alle in den Winkeln und Schlupflöchern der Stadt. Ständiges Glockengeläut, Kirchenorgelmusik, ein aus dem Schutze der Dunkelheit heraus zuschlagender, unbarmherziger Racheengel und von den Wetterverhältnissen symbolträchtig reflektierte und verstärkte, beinahe apokalyptische Stimmung erzeugen eine unheimliche, gruselige Szenerie. „Satan der Rache“ spielt zum größten Teil in nur einer Nacht, die schicksalhaft wird für die Stadt und ihre Oberen.

Interessant ist dabei, dass die Unterteilung in Gut und Böse bewusst über weite Strecken nur uneindeutig geschieht. Lange Zeit kann man als Zuschauer für Acombar durchaus Mitleid empfinden, da man ihn in erster Linie als liebenden Vater und angsterfüllten Gejagten kennenlernt. Dies ändert sich erst, als er nach ca. einer Stunde eine nicht zu rechtfertigende Tat begeht. Sogar erst nach rund 75 Minuten erfährt man die eigentliche Vorgeschichte und damit die Gründe für Hamiltons Rachefeldzug. Den daraus resultierenden offenen Vater-Sohn-Konflikt, der Acombar zu seinem Entsetzen auch noch mit seinem Filius Dick (Antonio Cantafora, „Baron Blood“) entzweit, löst dieser sehr pragmatisch, kurz bevor die Familientragik erbarmungslos zuschlägt und ein junges Leben jäh beendet wird. Acombars Imperium zerfällt in nur einer Nacht in seine Einzelteile und offenbart seine gesamte Instabilität, was durchaus als (moralisch-optimistische) Metapher für unrechtmäßig erworbene Macht und Besitz verstanden werden darf. „Satan der Rache“ endet, nachdem für Hamilton alles getan ist, mit einem dann doch recht aufgesetzt wirkenden Bibelzitat aus dem Märchen von Kain und Abel, das in Exploitation-Alibi-Manier Mord und Totschlag an sich infrage stellt.

Klaus Kinski spielt im knallroten Pullover seine Rolle mit der erwarteten Inbrunst und liefert eine Darstellung von beachtlicher Intensität. Sein sehr menschlich gezeichneter Gegenspieler wird von Peter Carsten nachvollziehbar und glaubwürdig verkörpert; Carsten spielt sich von Selbstgefälligkeit und Hochmut bis zum nervösen Wrack herunter. Ein hörenswerter, gelungener Titelsong rundet diesen auf den meisten Ebenen überzeugenden Western ab, der inszenatorisch überaus gelungen ist und zu den besten Arbeiten Margheritis zählt, die ich bis jetzt gesehen habe.

Re: bux t. brawler - Sein Filmtagebuch war der Colt

Verfasst: Mo 22. Jul 2013, 19:45
von buxtebrawler
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Asphaltkannibalen
Zwei Ex-GI's brechen aus einer Nervenheilanstalt aus, in die sie eingewiesen wurden, da sie im Vietnamkrieg Anfälle von Kannibalismus aufzeigten. Erst später stellt sich heraus, daß ihr Verhalten nicht auf einer durch die Kriegserlebnisse gestörten Psyche beruht, sondern durch einen Virus hervorgerufen wurde. Wie reißende Bestien streichen die Kannibalen durch die Stadt - und jeder Gebissene wird mit der gleichen schrecklichen Krankheit infiziert.
„Vietnam-Veteran auf Urlaub aus der Klapsmühle!“

Mit „Asphaltkannibalen“ sprang der italienische Regisseur und Genre-Tausendsassa Antonio Margheriti („Satan der Rache“) im Jahre 1980 auf den Zug kruden, blutigen Italo-Horrors auf, holte die Kannibalen aus dem Dschungel in die Stadt und verband Kriegs-, Action, Kannibalen- und Zombiefilm zu einer bis heutige einzigartigen Melange.

Zwei GIs fallen im Vietnam-Krieg in einer Extremsituation durch kannibalistische Anwandlungen auf und befinden sich, zurück in der Heimat, in psychiatrischer Behandlung. Als sie aus der Anstalt entkommen, suchen sie den Kontakt zu ihrem ehemaligen Vorgesetzten Norman Hooper (John Saxon, „Tenebrae“), der davon zunächst wenig begeistert ist. Es stellt sich heraus, dass ein aggressives Virus für den Kannibalismus verantwortlich ist. Sie terrorisieren die Stadt und finden ein Opfer nach dem anderen. Als die Krankheit auch bei Hooper ausbricht, schließt er sich den beiden an. Die alten Vietnam-Recken sind wieder vereint und finden sich nun selbst in der Rolle der gejagten Guerilla-Kämpfer wieder...

„Keine verdammte falsche Menschlichkeit!“

Im Prolog sieht man US-Soldaten im verbrecherischen Vietnam-Krieg wüten. Wüste Baller-, Flammenwerfer- und Explosionsorgien werden begleitet von einem funkigen ’70s-Italo-Soundtrack Alexander Blonksteiners, den böse Zungen als unpassend bezeichnen mögen. All das entpuppt sich als böser kriegstraumatischer Alptraum Normans, der just zur geträumten Kannibalenattacke auf sich aus dem Schlaf hochschreckt. Bereits zu diesem frühen Zeitpunkt fällt eine sehr dynamische Kameraführung auf, die Kriegsopfer regelrecht auf den Zuschauer zustürzen lässt und mit den typischen unvermittelten Italo-Zooms arbeitet. In der urbanen Atmosphäre der US-amerikanischen Stadt angekommen, wird uns einer der GIs als Charles Bukowski (Giovanni Lombardo Radice, „Ein Zombie hing am Glockenseil“) vorgestellt. Radice steht seine Rolle ausgezeichnet, er wirkt verwegen, unberechenbar, wie eine tickende Zeitbombe und verfügt über einen unnachahmlichen irren Blick. Die Bezeichnung seiner Psychoklinik scheint derweil durchs Bild zu wandern; ein schön gefilmtes, subtil eingeflochtenes, bedeutendes Detail. Im Gegensatz zu Bukowski führt Hopper ein scheinbar normales Leben, doch hat er ein außergewöhnliches Interesse an der frühreifen Mary von nebenan – weniger in sexueller Hinsicht, wie sich herausstellen soll, sondern als Bissopfer. Ein Vorbote der kannibalischen Apokalypse, die auf die Stadt zurollt – und schon verwickelt sich Bukowski in eine Verfolgungsjagd mit actionreichen Motorradstunts, um sich anschließend in einem Supermarkt zu verschanzen und Krieg zu spielen. Parallelen zu Romeros „Dawn of the Dead“ sind sicherlich kein Zufall. Mit Tom Thompson (Tony King, „Jäger der Apokalypse“) stößt Charlies alter Kamerad hinzu und das Unheil nimmt seinen Lauf; spannend und brutal inszeniert Margheriti die sich immer weiter zuspitzende Situation und flechtet einige gelungene, blutig-derbe Spezialeffekte Giannetto De Rossis ein.

„Asche zu Asche und Scheiße zu Scheiße!“

Den weit entfernten Vietnam-Krieg nach Hause in die USA zu holen, sollte ein beliebtes Motiv für Filme werden, die sich auf unterschiedliche Weise mit dem Wahnsinn des Kriegs und seinen Folgen auseinandersetzen. Wie später in „Rambo“ gibt es auch in „Asphaltkannibalen“ Veteranen, die in ihrer Heimat, im Alltag, nicht mehr zurechtkommen, die traumatisiert sind von den erlebten Schrecken und womöglich begangenen Taten, die sich von der normalen Gesellschaft entfremdet fühlen und die Gesellschaft von ihnen. In diese Kerbe schlagen Margheritis „Asphaltkannibalen“, wenn auch in exploitativer Umsetzung. Als Symbol für die Traumatisierung durch den Krieg und die Spirale der Gewalt muss hier ein Virus herhalten, das die Infizierten mal mehr, mal weniger schnell zombieartig neue Opfer suchen und attackieren lässt. Das ist relativ leicht zu erkennen, krankt jedoch an seiner unbefriedigenden, plumpen Konstruktion. Hintergrundinformationen zum Virus bekommt man keine, obwohl sich beispielsweise – möchte man bei einem Krankheitserreger als Ursache für den Kannibalismus bleiben – eine eigens für den Kampf konzipierte biologische Waffe als Erklärung angeboten hätte. Herausfordernder für Margheriti und Drehbuchautor Dardano Sacchetti wäre gewesen, auf eine profane biologische Ursache ganz zu verzichten und ausschließlich auf psychologische Abgründe zu setzen. In dieser Form jedenfalls wirken die Erklärungsversuche halbherzig und aufgesetzt. Das möchte ich jedoch fast als einziges wirkliches Manko des Films bezeichnen, der verglichen mit anderen Werken Margheritis so gut wie keine Längen aufzuweisen hat, über eine böse, schmutzige Atmosphäre, zwar nicht immer 100%ig passend eingesetzte, nichtsdestotrotz tolle Musik und eine eindrucksvolle visuelle Umsetzung mit einer recht aktiven, oftmals leicht von unten filmenden Kamera verfügt – ganz zu schweigen vom immer gern gesehenen US-Schauspieler John Saxon, der eine tolle Leistung als zwischen bürgerlicher Zivilisation mit unterdrücktem Kannibalismus-Trieb und wahnsinnigem Untergrund-Kampf an der Seite mehrerer Soziopathen hin- und hergerissener Veteran mit Führungspersönlichkeit abliefert. Mit Giovanni Lombardo Radice hat man zudem eines der charismatischsten Gesichter des Italo-Kinos zu bieten. Meines Erachtens einer der besten Filme Margheritis, der von seinem dreckigen Charme bis heute nichts eingebüßt hat.

Re: bux t. brawler - Sein Filmtagebuch war der Colt

Verfasst: Sa 27. Jul 2013, 19:47
von buxtebrawler
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Das Alien aus der Tiefe
Colonel Kovacs entsorgt für die Fima "E-Chem" auf einer Vulkaninsel im Pazifik radioaktive Abfälle. Das ihm dabei zwei Umweltschützer auf die Schliche kommen, passt ihm gar nicht. Ein Erdbeben zwingt die Gegner jedoch zur Zusammenarbeit. Durch die Katastrophe wird ein Alien-Monster geweckt, das nun frei auf der Insel herumstreunt.
„Hat denn dieser Wahnsinn niemals ein Ende?!“

Nach seinen Kriegsfilmen drehte der italienische Multi-Genre-Regisseur Antonio Margheriti („Asphaltkannibalen“) im Jahre 1989 noch einmal einen Science-Fiction-Horrorfilm, der offensichtlich an die James-Cameron-Erfolge „Aliens“ und „The Abyss“ angelehnt war: „Das Alien aus der Tiefe“. Es sollte einer seiner letzten Spielfilme werden.

Die Umweltschutzaktivisten Jane (Marina Giulia Cavalli, „Ghosthouse 4 - Haus der Hexen“) und Lee (Robert Marius, „Jäger der Apokalypse 2 - Zurück in's Inferno“) suchen eine pazifische Privatinsel auf, um in die geheime Fabrik des Chemie-Konzerns „E-Chem“ einzudringen. Sie sind auf der Suche nach Beweisen dafür, dass dort Atommüll in einen aktiven Vulkan verklappt wird, der dadurch erhöhte Aktivitäten aufweist. Doch kaum hat Lee einiges an Bildmaterial gefilmt, werden beide entdeckt. Lee wird gefangen genommen, Jane gelingt an der Seite des Schlangenfarmers Bob (Daniel Bosch, „Good Morning, Babylon“) die Flucht. Während man überlegt, wie man Lee und seine Aufnahmen aus den Fängen des skrupellosen Sicherheitschefs Colonel Kovacks (Charles Napier, „Philadelphia“) befreien kann, lockt der im Vulkan reagierende Atommüll eine außerirdische Lebensform an, die das Leben aller bedroht. Wird man in der Lage sein, zusammen mit dem Fabrikwissenschaftler Dr. Geoffrey (Luciano Pigozzi, „Blutige Seide“) etwas gegen die extraterrestrische Bedrohung zu unternehmen?

„Das Wichtigste im Leben ist, dass man Geld hat.“

Margheritis Abgesang auf die eigenen Arbeiten in den Bereichen Science Fiction und Horror ist wie erwartet ein trashiges kleines Filmchen, das den großen Vorbildern zu keiner Sekunde gerecht wird. Er kleidete „Das Alien aus der Tiefe“ in ein Öko-Horror-Gewand, besetzte die Hauptrollen mit unerfahrenen Darstellern aus den hinteren Reihen, konnte für seine gewichtigen Nebenrollen jedoch abermals großkalbibrigere Namen wie Napier und Pigozzi gewinnen. Das Charisma letzterer hilft tatsächlich ein wenig, den Film über die volle Distanz zu bringen.

Zunächst wähnt man sich jedoch in einem eher unbeholfen konstruierten Öko-Thriller mit überzeichneten Charakteren, der es nicht immer leicht hat, die Handlung glaubwürdig voranzutreiben. Vorläufiger Höhepunkt des Grotesken ist das eigenartige Techtelmechtel, das sich Jane und die ohnehin schon fragwürdige Erscheinung des „Schlangenfarmers“ Bob liefern. Grenzwertiges Verhalten und ebensolche Dialoge bestimmen das Bild, während Lee in Lebensgefahr schwebt. Bis zum ersten Auftauchen des ungebetenen außerirdischen Besuchers vergehen satte 50 Minuten mit viel sinnlosem Herumgeballer und hirnrissigem Gelaber des grenzdebilen Wachpersonals der Anlage. Ist die verwirrend „Alien aus der Tiefe“ getaufte Kreatur, die vielmehr von hoch droben kommt, erst einmal anwesend, kann man sich jedoch an dessen trashigem, ungelenkem „Alien“-Rip-Off-Biomechanik-Design erfreuen, das durchaus seinen Charme hat. Etwaige Grausamkeiten und Gewaltspitzen werden in Sachen blutiger Spezialeffekte indes lediglich angedeutet, dafür weiß aber ein Finale zu gefallen, das sich angesichts des Produktionsjahrs fast schon anachronistisch liebenswürdiger Miniaturmodelle bedient, innerhalb derer Margheriti sich austobt. Außerdem rennt die Cavalli lange Zeit in ultraknappen Klamotten durch die Szenerie und versieht die Sause mit Sex-Appeal.

Wenngleich „Das Alien aus der Tiefe“ knietief im Trash watet und man die einzelnen Handlungssequenzen besser nicht näher auf ihren Logikgehalt hin abklopft, so erleidet er doch nie den Todesstoß jedes unfreiwilligen Trash-Films, die totale Langeweile. Nein, sicherlich ist rasante Spannung etwas anderes und betreibt auch Margheriti hier wieder seine berüchtigte Zeitschinderei, doch ist noch genug Tempo vorhanden, um zumindest kurzweilig zu unterhalten. Ein unterdurchschnittlicher End-Achtziger-Billigfilm in jederlei Hinsicht, aber noch keine Vollgurke.

Re: bux t. brawler - Sein Filmtagebuch war der Colt

Verfasst: So 28. Jul 2013, 03:11
von buxtebrawler
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Die perfekte Erpressung
Ein Polizist (Oliver Reed) wird von Unbekannten, die seine Frau entführt haben, dazu erpresst, einen Häftling (Fabio Testi) aus dem Gefängnis befreien. Doch kaum hat er dies ausgeführt, merkt er, das die Verbrecher seinem "Fang" alles andere als wohlgesonnen sind und muss erkennen, das er- ohne es zu wissen- Teil eines politischen Komplotts geworden ist. Der Alpdruck der Hetzjagd schweißt die anfangs verfeindeten Männer zusammen...
„Du glaubst an das Gesetz wie die Betschwestern an die Beichte und an die Absolution!“

Der italienische Filmemacher Sergio Sollima zählt zusammen mit seinen Namensvettern Leone und Corbucci zu den drei großen Sergios des Italo-Westerns. Wenn Leone der Epiker und Corbucci der Zyniker waren, war/ist Sollima der Intellektuelle, um es einmal auf eine ganz vereinfachte Formel zu bringen. Die Charakterstudien seiner mit „Der Gehetzte der Sierra Madre“ begonnenen Western-Trilogie setzte er im Jahre 1973 mit „Die perfekte Erpressung“ fort, der zur Spitze der betont nicht-reaktionären Beiträge zum „Poliziesco“-Genre zu zählen ist. Der Film entstand in italienisch-französisch-deutscher Koproduktion.

Unbekannte haben die Frau (Agostina Belli, „Blaubart“) des rechtschaffenen Gefängnisdirektors Vito Cipriani (Oliver Reed, „Der Fluch von Siniestro“) entführt und erpressen ihn, den Häftling Milo Ruiz (Fabio Testi, „Das Geheimnis der grünen Stecknadel“) auf freien Fuß zu setzen. Um seine Frau wiederzubekommen und der Entführer habhaft zu werden, weicht er nach dessen Freilassung keinen Meter von Ruiz, muss jedoch feststellen, dass Ruiz auch nicht viel mehr weiß als er selbst und die Hintergründe der Erpressung diffus und komplex sind. Aus der Notgemeinschaft beider Männer heraus erwächst vorsichtige gegenseitige Empathie für beide scheinbar so konträren Lebensentwürfe. Doch wer steckt nun wirklich hinter der Entführung und was genau soll mit der Freilassung Ruiz’ bezweckt werden? Und wird Cipriani seine Frau jemals lebend wiedersehen?

Oliver Reed, Fabio Testi, (einmal mehr ganz wunderbare) Musik von Ennio Morricone – auch dieser Film Sollimas kann sich mit gewohnt großen Namen brüsten, vor allem aber mit einem vielschichtigen, intelligenten Drehbuch, das großartig von Sollima umgesetzt wurde. Ein etwas moppeliger Reed lässt mit einer permanenten Mischung aus abgeklärtem, genervtem, bösem und verzweifeltem Blick den gut mitspielenden Schönling Testi fast neben sich verblassen. Nichtsdestotrotz ist „Die perfekte Erpressung“ eine gleichberechtigte, hochspannende Charakterstudie, angesiedelt in zwei grundverschiedenen, sich jedoch gegenseitig bedingenden Milieus, die wie Feuer und Eis aufeinandertreffen und miteinander klarzukommen lernen müssen, ihre Gemeinsamkeiten entdecken. Das erinnert in positiver Weise stark an Sollimas Western-Meisterstück „Der Gehetzte der Sierra Madre“ und findet dennoch seinen eigenen erzählerischen Weg. Charakterlich ist wieder einmal nichts, wie es zunächst scheint. Wenngleich „Die perfekte Erpressung“ nicht übermäßig episodisch aufgebaut ist, findet fast jede Sequenz ihren kleinen Höhepunkt, ihre Entladung – das ist großes italienisches Kino, wie es beispielsweise auch ein Sergio Leone mit „The Good, the Bad and the Ugly“ perfekt beherrschte.

Cipriani foltert Ruiz – damit dieser das Gefängnis verlassen kann. Nach einigen wortgewaltigen Dialogen ist dies eine der ersten kongenialen körperbetonten Szenen, die sich durch den Film bis zu einem krassen, zynischen, verstörenden Finale ziehen. Vom (Fragen aufwerfenden) Prolog einmal abgesehen, hat der Zuschauer meist einen ganz ähnlich Informationsstand wie die Protagonisten, stellt er sich die gleichen Fragen wie sie respektive Cipriani, denn ebenso wie für diesen ist auch für das Publikum die Rolle Ruiz’ in dem Spiel nicht eindeutig, ist über weite Strecken ungewiss, ob er etwas verbirgt und wenn ja, was es ist. Ciprianis Misstrauen bleibt nachvollziehbar, Ruiz Verhalten jedoch ebenso. Welcher Kleinkriminelle hat schon gern einen Gefängnisdirektor wie eine Klette an sich hängen? Beide müssen sich miteinander arrangieren, um ihre Fragen beantwortet zu bekommen, bis sie nach und nach die Gewissheit erlangen, beiderseits Figuren in einem perfiden Spiel zu sein. Die Hintermänner werden dabei sogar jeweils gezeigt, das Motiv bleibt jedoch im Dunkeln.

Carlotta (Paola Pitagora, „Allein gegen das Gesetz“), mit der Ruiz ein Verhältnis eingeht, bringt schließlich Klassenkampfthematik in den Film ein, von der sich Ruiz zunächst wenig beeindruckt zeigt. Auch er ist, ganz dem kapitalistischen System verpflichtet, nur am schnellen Geld interessiert. Seine charakterliche und geistige Entwicklung bedingt durch die neuen Eindrücke und Perspektiven jedoch lässt er sich schließlich von fortschrittlichen gesellschaftlichen Ideen überzeugen, während zynische Aussagen eines Rechtsanwalts im Gespräch mit Cipriani zusätzliches Öl ins Feuer der Gesellschafts- und Systemkritik des Films gießen. Die schlussendliche Auflösung der Geschehnisse macht aus dem einen einen deprimierten, gebrochenen Mann, der alles verloren hat und schließlich zu allem fähig ist. Ohne sein Zutun wurde er zum korrumpierten Spielball außerhalb seines Einflussbereichs liegender Kräfte, die sein Weltbild auf den Kopf stellen, während der andere ebenfalls vom eingeschlagenen Weg abgekommen ist, wenn auch auf gänzlich andere Weise. Was anfänglich galt, gilt schon lange nicht mehr, die Grenzen zwischen Recht und Unrecht in ihrer kleinbürgerlichen Auslegung sind längst bis zur Unkenntlichkeit verschwommen, Wertesysteme haben sich verschoben. Ein Gegeneinander ist nicht mehr gewollt, es wird manipulativ erzwungen. Während der eine langsam seine Stärke begreift, wird dem anderen seine Ohnmacht bewusst. „Die perfekte Erpessung“ endet mit Oliver Reeds versteinerter Miene, der seine Emotionen zurückzuhalten versucht – Gänsehaut pur!

Analog zur Entwicklung seiner Charaktere und der Erweiterung ihrer Horizonte arbeitet die unheimlich flexible, perspektivenreiche Kameraführung ausdrucksstarke Bilder heraus. Sicherlich hätte „Die perfekte Erpressung“ im letzten Drittel etwas mehr Tempo vertragen können, was jedoch den starken Gesamteindruck kaum schmälert. Das ist ambitioniertes, intelligentes Kino der 1970er par excellence, das gewohnte Verhältnisse bewusst auf den Kopf stellt und auf künstlerisch beeindruckende Weise zwischen humanistischem Aufbruch und desillusioniertem Pessimismus pendelt und dabei gewiss niemanden kalt lässt. Ein Film, der durch Mark und Bein geht und einmal mehr noch länger nachhallt.

Dass man seine eigenen Filme und Rollen nicht verstehen muss, beweist beschämenderweise Fabio Testi, der sich nicht entblödet, im realen Leben Berlusconis Verbrecherbande zu unterstützen und sogar in Wahlwerbespots für sie aufzutreten. Wäre Altmeister Sollima schon tot, würde er sich im Grabe umdrehen.

Re: bux t. brawler - Sein Filmtagebuch war der Colt

Verfasst: Mo 29. Jul 2013, 23:59
von buxtebrawler
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Der unerbittliche Vollstrecker
Nachdem der alte Polizeichef Jovine (Lee J.Cobb) seinen Job quittiert hatte, verärgert darüber, das seine Behörde in mehrere Entführungsfälle nicht eingebunden wurde, tritt Cardone (Enrico Maria Salerno), aus Rom kommend, die neue Stelle an. Und führt sich gleich tatkräftig ein, als er bei einem Bankraub nicht auf die Forderung der Räuber eingeht, die mit Geiseln ihre Flucht freipressen wollen, und es gelingt, sie zu verhaften. Einerseits von der Presse für sein kompromissloses Durchgreifen gelobt, steht er in der Kritik des Staatsanwalts (Jean Sorel), der seine Methoden nicht gut heißt, da der Schutz des Lebens der Geisel für ihn an erster Stelle steht. Doch Cardone bleibt seiner Linie treu, und setzt bei einer neuerlichen Entführung den Vater des Opfers unter Druck, mit der Polizei zusammen zu arbeiten. Gegen dessen Willen, unterbindet er die Geldübergabe, als er plötzlich zu einem Tatort gerufen wird. Der entführte junge Mann wurde tot aufgefunden...
„Der Polizei sind – wie immer – beide Hände gebunden!“

1972 begründete der unter der Regie Stenos entstandene Spielfilm „Das Syndikat“ ein neues italienisches Filmgenre: den Poliziesco. Zwar gab es bereits zuvor Gangster-Filme aus dem Land des Stiefels, doch hatte kein Film zuvor die Polizeiarbeit derart in den Mittelpunkt gestellt. Ein Jahr später setzte sich einer der Produzenten des Erfolgsfilms, nämlich Roberto Infascelli, höchstpersönlich auf den Regiestuhl, um mit „Der unerbittliche Vollstrecker“ eine Art Nachfolger, erneut mit Enrico Maria Salerno in der Hauptrolle, zu drehen. Der Film entstand in italienisch-französischer Koproduktion und sollte Infascellis einzige Regiearbeit neben dem Abenteuerfilm „Luana - Der Fluch des weißen Goldes“ bleiben.

Polizeichef Jovine (Lee J. Cobb, „Der Exorzist“) wirft entnervt das Handtuch, nachdem abermals ein Kind wohlhabender Eltern entführt wurde und diese lieber anstandslos das Lösegeld zahlten, statt die Polizei einzuschalten. Sein Nachfolger Cardone (Enrico Maria Salerno) ist nicht gewillt, die Gangster weiterhin mit all ihren gewalttätigen Gesetzesübertretungen zu lassen. Bei einem Banküberfall mit Geiselnahme bleibt er stur und schafft es tatsächlich, sie unblutig zu beenden und der Ganoven habhaft zu werden. Auf Kritik stößt er jedoch bei Staatsanwalt Aloisi (Jean Sorel, „Malastrana“), der Cardones Methoden als fragwürdig und die Geiseln gefährdend empfindet. Doch unbeirrt fährt Cardone weiter seine harte Linie und stellt sich bei einer weiteren Erführung gegen den Vater des Opfers, vereitelt die Geldübergabe. Doch die Geisel ist tot – wie sich herausstellt war sie es bereits, bevor Cardone eingriff. Während die Kritik an ihm abstreift, sinnt die Unterwelt auf Rache und entführt seinen Sohn (Giambattista Salerno). Bleibt Cardone seiner kompromisslosen Linie treu?

Ich hoffe, dass ich nicht damit daneben liege, wenn ich annehme, dass der Anfang der 1970er-Jahre Spezialeinheiten zur Befreiung von Geiseln etc. noch nicht selbstverständlicher Bestandteil der Exekutive westeuropäischer Staaten waren. Insofern schätze ich die in „Der unerbittliche Vollstrecker“ behandelten Probleme als nicht unrealistisch ein: Wie reagiert man adäquat auf eine Konjunktur von Entführungen, ohne dabei die Sicherheit der Geiseln zu gefährden, aber auch ohne der Unterwelt das Gefühl zu vermitteln, mittels Entführungen ideale Methoden gefunden zu haben, rasch hohe Geldsummen zu erpressen und sich des gesetzlichen Zugriffs zu entziehen? Das klingt zunächst einmal angenehm differenziert und wie eine gute Prämisse für einen durchdachten Polizeifilm. Eine fantastische Titelmelodie Stevio Ciprianis (später wiederverwendet für „Der Tod trägt schwarzes Leder“ und geklaut von Tarantino für „Death Proof“) stimmt ein auf intelligentes und/oder unterhaltsames Kino à la italiano und ein engagierter Salerno nimmt seine Rolle sehr ernst, verhilft dem Film zu Charisma und Ausstrahlung.

Doch zu früh gefreut, denn die Handlung setzt im Gegensatz zu „Das Syndikat“ auf eine einseitige Darstellung der Polizei als von Vorschriften und Gesetzen in ihrer Arbeit behinderte, geradezu ohnmächtige Behörde, die doch eigentlich nur Gutes im Sinn hat, und legt dem ehemaligen Polizeichef markige, reaktionäre Sprüche in den Mund. Diese wiederum will man offensichtlich nicht lediglich als Ausdruck eines frustrierten Pensionärs verstanden wissen, sondern scheint von 12 bis Mittag gedacht das Übertreten von Vorschriften zu glorifizieren. Dies äußert sich vornehmlich im Lauschangriff auf den Erpressten ohne entsprechenden Beschluss; dieser nachvollziehbar präsentierte Einzelfall jedoch sagt in naiver Weise aus, dass der Zweck die Mittel heilige, die Polizei zu wenig Rechte habe und das Ignorieren von Vorschriften zum Erfolg der Justiz führe – welch ein perfider Widerspruch in sich und welch gefährliches Spiel mit den Errungenschaften des Rechtsstaats, denn wer seine Freiheit für Sicherheit aufgibt, wird beides verlieren. Das interessiert in „Der unerbittliche Vollstrecker“ indes ebenso wenig wie Fragen nach für den Verbrechensanstieg (mit-)verantwortlichen gesellschaftlichen Hintergründen und Umständen. Die Verteilung des Reichtums, wie es sein kann, dass wohlhabende Bevölkerungsschichten ohne mit der Wimper zu zucken exorbitant hohe Geldsummen an die Entführer zu zahlen in der Lage sind, wird in keiner Weise thematisiert, stattdessen wird der Eindruck erweckt, Grund für die Vielzahl der Entführungen sei ausschließlich die Unfähigkeit der Polizei.

Als schließlich Cardones Sohn entführt wird, gewinnt der „Der unerbittliche Vollstrecker“ an persönlicher Ebene, baut den ersten wirklichen Konflikt für Cardone auf. Das ist zwar Anlass für rasante Verfolgungsjagden, die beeindruckendes ’70er-Action-Kino bieten, ansonsten jedoch in seiner für italienische Verhältnisse überraschenden Inkonsequenz bzw. Zurückhaltung nicht mehr als ein weiterer kurzer Schrecken für Cardone und die Zuschauer mit dem Ergebnis, dass man seiner Linie treu bleiben müsse, auch wenn es einmal weh tun sollte. Wie das persönliche Schicksal hier jedoch unter das der „Gerechtigkeit“ und der Nation gestellt wird, hat schon einen etwas merkwürdigen Beigeschmack, wurde jedoch wie prinzipiell das gesamte Finale auch nicht vollends durchexerziert.

„Der unerbittliche Vollstrecker“ (dessen deutscher Titel irreführender Humbug ist, denn von einem eiskalten Richter über Leben und Tod ist Cardone noch weit entfernt), weiß anscheinend selbst nicht so recht, was er will, lenkt den Polizeifilm ein Stück weit in Richtung Selbstjustiz, versucht dabei jedoch stets, seinen seriösen Anstrich zu bewahren, wenngleich er Tiefgang ebenso vermissen lässt wie Konsequenz und stattdessen nur an der Oberfläche kratzt. Langweilig jedoch wird er dabei nie, Zeitkolorit und technische Versiertheit sichern ein gewissen Unterhaltungs- und formales Qualitätslevel, schauspielerisch gibt es bis auf den zu blassen und bubenhaften Jean Sorel als Staatsanwalt ebenfalls wenig zu beanstanden. Wo „Das Syndikat“ aber wunderbar differenziert und intelligent konstruiert war, dabei Fragen von gesellschaftlicher Relevanz aufwarf und zu Debatten anregte, wirkt „Der unerbittliche Vollstrecker“ unentschlossen, blauäugig und vermeintlich einfache Antworten bietend – und damit letztlich leider enttäuschend.

Re: bux t. brawler - Sein Filmtagebuch war der Colt

Verfasst: Fr 2. Aug 2013, 03:30
von buxtebrawler
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Der Mann mit der Todeskralle
Auf dem Land in der Nähe Hongkongs wird Lee (Bruce Lee), der überragende Karateschüler des Shaolin-Tempels, von Braithwaite (Geoffrey Weeks), einem Agenten einer internationalen Geheimdienstorganisation, angesprochen. Er will, daß Lee an dem Brutalsten aller Karateturniere teilnimmt. Das Turnier wird von Han Shih Kien, einem ehemaligen Shaolin-Schüler, auf dessen geheimnisvoller Inselfestung veranstaltet...
„Nicht denken – fühlen sollst du!“ (Auch ein Rat an den Zuschauer?)

„Der Mann mit der Todeskralle“ ist in gleich mehrerer Hinsicht ein besonderer Film: Der 1973 von Robert Clouse („New York antwortet nicht mehr“) gedrehte Martial-Arts-Eastern war die erste chinesisch-US-amerikanische Koproduktion, der erste in den USA produzierte Martial-Arts-Film überhaupt – und leider auch der letzte vollständige mit Kampfsport-Ikone Bruce Lee, der drei Wochen vorm Kinostart überraschend und viel zu jung verstarb.

Shaolin-Templer Lee (Bruce Lee, „Die Todesfaust des Cheng Li“) ist ein Meister der Kampfkünste. Der Agent eines internationalen Geheimdiensts Braithwaite (Geoffrey Weeks) bittet Lee, am brutalen Turnier des Millionärs Han (Sek Kin, „Three Encounters“) auf einer geheimnisvollen Inselfestung teilzunehmen und nach Beweisen zu suchen, dass der ehemalige Shaolin-Schüler tief in illegalen Drogen- und Menschenhandel verstrickt ist. Von Lees Vorgängerin, der Agentin Su Lin, fehlt jede Spur. Lee zögert zunächst, doch als er erfährt, dass seine eigene Schwester von Hans Schergen in den Harakiri getrieben wurde, sinnt er auf Vergeltung und begibt sich zusammen mit den amerikanischen Kampfsportlern Roper (John Saxon, „Asphaltkannibalen“) und Williams (Jim Kelly, „Drei eiskalte Profis“) zu Hans Anwesen...

„Jetzt machen Sie hier doch nicht den Dr. Fu Man Chu!“ (Ein Genre-Querverweis!)

Der sich anscheinend in einer Mischung aus klassischem Martial-Arts-Eastern und Agentenfilm präsentierende „Der Mann mit der Todeskralle“ scheint mir ein idealer Einstieg in das Metier fernöstlicher Kampfkunstfilme zu sein, denn selbst ich als erklärter Eastern-Muffel konnte ihm doch so einiges abgewinnen! Vergleiche mit anderen Produktionen anzustellen fällt mir aufgrund meiner Genre-Unbelecktheit demnach schwer, also versuche ich einfach ganz blauäugig zusammenzufassen, weshalb mein Schritt, meine diesbezüglichen Scheuklappen einmal abzulegen sich meines Erachtens als vollkommen richtige Entscheidung erwies: Da wäre zum einen die längere, aber nicht als zu langwierig empfundene Exposition, die eine nicht uninteressante und mehrbödige Geschichte erzählt, bevor es in der sprichwörtlichen Höhle des Löwen so richtig zur Sache geht. Da werden unterschiedliche Charaktere grob umrissen, Gegensätze, nicht nur kultureller Natur, aufgezeigt, die in der Kampfkunst jedoch ihren gemeinsamen Nenner finden, und US-Bullen auch schon mal als rassistische Arschlöcher dargestellt. Die Reise zur Insel Hans ist bereits ein kleines Abenteuer für sich. Jene Insel entpuppt sich dann als Mischung aus Sündenpfuhl (was u.a. Anlass zu einigen Erotik-Szenen gibt), knallharter eigener Gesetze und bis zum Tod des Gegners ausgefochtener Kampfsport-Turniere.

Erwartungsgemäß erwarten den Zuschauer beeindruckend choreographierte Kampfkunstszenen. Mittendrin: der unverwüstliche John Saxon, nicht nur stets gern gesehener Darsteller in zahlreichen Klassikern des Genre-Kinos unterschiedlicher Couleur, sondern auch noch Träger eines schwarzen Gürtels in Karate. Egal, ob er sich als Großstadtkannibale mit Vietnam-Erfahrung verdingt, sich mit niemand Geringerem als Freddy Krueger anlegt oder sich von Dario Argento einen tollen Hut aufsetzen lässt, Saxon macht immer eine gute Figur und so auch bei seinen Kampfsportszenen, die mich richtiggehend begeistert haben, allein schon, weil sie das Überraschungsmoment auf ihrer Seite haben. So kämpft man sich durch eine exotische, gefährliche Parallelwelt, der man schutzlos ausgeliefert ist und die manch Opfer fordert. Gebrochene Rückgrate und Genicke pflastern den mit zahlreichen Fiesheiten gespickten Weg zu Han, der verdammt viel von einem „James Bond“-Superschurken hat – u.a. die titelgebende Todeskralle. Begleiten lässt man sich von einer fantastischen musikalischen Untermalung Lolo Schifrins, der auf famose Weise ’70er-Groove-Funk mit fernöstlicher Instrumentierung mischt und sich durch das unheimliche Klappern der Schlaghölzer, das im übertragenen Sinne klingt wie das Scharren mit den Hufen instinktgetriebener Raubtiere, ins Unterbewusstsein fräst.

Das Finale im Spiegelkabinett war seinerzeit was die Idee betrifft sicherlich ebenso wenig neu wie im Prinzip alle anderen Elemente des Films, aber die Mischung, das richtige Zusammenfügen, macht es eben manchmal und wird somit auch hier zu einer ästhetisch ebenso wertvollen wie atemberaubend spannenden Angelegenheit. Woher die ganzen schwarzgekleideten Kämpfer am Schluss der actionreichen zweiten Hälfte auf einmal herkamen, erschloss sich mir indes nun nicht unbedingt. Gut möglich, dass es erwähnt wurde, jedoch steht insbesondere das letzte Drittel eindeutig nicht mehr im Zeichen von Erklärungen, Handlung und Dialog, sondern kredenzt knallharte, körperbetonte Action, insbesondere in Form einer Massenschlägerei epischen Ausmaßes. Bei allem Wohlwollen ist es spätestens hier soweit und die typisch übertrieben lauten Schlag- und Tretgeräusche sowie das spackige schrille Geschrei und Gejohle in ihrer geballten Form erinnern mich an einen von mehreren Aspekten, weshalb ich normalerweise einen Bogen um dieses Genre mache.

Nichtsdestotrotz fühlte ich mich gut unterhalten, konnte ein bisschen was von der Eastern-Faszination nachvollziehen und in mich aufnehmen sowie mittels des Filmmediums einem US-Fernost-Kulturaustausch beiwohnen, der auch meinen Horizont erweiterte. Memo an mich: Besser nicht mit dem Sachsen-Johnny anlegen...

Die Filmsichtung und diese meine Notizen erfolgten in Gedenken an Jim Kelly (1946-2013). Möge er in Frieden ruhen.

Re: bux t. brawler - Sein Filmtagebuch war der Colt

Verfasst: Sa 3. Aug 2013, 21:25
von buxtebrawler
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Der Kleine und der Drunken Master
"Der Polizeioffizier Liu verhaftet den gefährlichen Gangster San. Auf dem Weg ins Gefängnis versuchen die Kumpanen, den Halunken zu befreien. Doch die Schlitzohren Chu und Pan vereiteln dies. Als es San dann doch gelingt zu entkommen, will er sich an Liu und seiner Familie rächen. Die Frau kommt ums Leben, Liu wird gefangengenommen. Aber Chu und Pan, die tollkühnen Kämpfer, greifen ein..." (Cover-Text)
„Ich trinke zu viel, um noch Schüler auszubilden!“

„Der Kleine und der Drunken Master“ ist offensichtlich einer von unzähligen Martial-Arts-Eastern, die in den 1970ern auf den Markt drangen und in erster Linie viel Gekloppe für simple Gemüter und Kampfsport-Möchtegerns baten. Der Film aus Hongkong stammt aus dem Jahre 1979, Regie führte Tu Lu-Po („Bruce Lee - Seine tödliche Rache“).

Polizeichef Liu (Park Jong-guk, „Tiger of Northland“) gelingt es endlich, den gemeingefährlichen Ganoven San (Chen Sing, „Das Schwert des gelben Tigers“) zu verhaften. Das befreundete ungleiche Duo Chu (Chi Kuan-Chun, „Der Tempel der Shaolin“) und Pan (Bruce Leung Siu-Lung, „Black Belt Karate“) verhindert, dass Sans Freunde ihn befreien. Dennoch entkommt San später dem Justizvollzug und übt grausame Rache an Lius Familie. Doch hat er die Rechnung ohne Chu und Pan gemacht...

Diese hirnrissige Backpfeifenorgie, die irgendwann in einer nicht näher definierten Vergangenheit spielt, pendelt extrem zwischen komödiantisch/albern und bitterem Ernst, wechselt anscheinend beliebig zwischen beiden Extremen, bedient aber hauptsächlich den Grottenhumor, der die miesesten, ausgelutschtesten Spencer/Hill-Klamauk-Auftritte noch locker unterbietet. Ständige minutenlange Prügeleien unter Begleitung dämlicher Sprücheklopferei wirken arg ermüdend und reduzieren die Handlung auf eine Alibifunktion. Besonders schlimm wird’s, wenn man die Schauspieler ausgiebig beim Üben und Schattenboxen zu beobachten genötigt wird. Dabei suggeriert der Film eine Welt oder zumindest einen Landstrich, in dem jeder Kampfsport beherrscht und alle einer Spezies von Supermännern anzugehören scheinen. Unmittelbar nach dem Training trifft man dann auf den „Drunken Master“ (Phillip Ko, „Der Herausforderer“), der lediglich eine Nebenrolle inne- und im Filmtitel nichts zu suchen hat, und prügelt von Neuem los – erschöpft oder aus der Puste ist niemand...

Obligatorisch ist die völlig übertriebene Geräuschkulisse während der Kämpfe. Das Totschlagen von Menschen allerdings passt so überhaupt nicht ins überwiegend komödiantische Sujet. Im einen Moment zeigt man den titelgebenden Kleinen beim Stuhlgang, im nächsten regieren Mord und Totschlag – Witz, komm raus. Der Kleine trägt dabei einen anachronistischen Vokuhila-Schnitt spazieren und sieht genauso lächerlich aus wie ein Großteil der grimassierenden Beteiligten, von denen vor allem der „Tiger“ ganz besonders doof aus der Wäsche glotzt – was wohl ebenfalls witzig sein soll. Ein völlig abruptes Ende macht dem geschmacksverirrten Spuk glücklicherweise irgendwann ein ebensolches. Das Beste an diesem peinlichen Volltrash in billigen Kulissen ist noch der Soundtrack, der zarte fernöstliche Folklore mit Orchesterklängen mischt und eine eingängige Titelmelodie aufzuweisen hat.

Fazit: Nur für extrem anspruchslose Gemüter wie Eastern-Allesgucker geeignet, die tatsächlich Spaß dabei empfinden, wenn ein paar Hirnis spielfilmlängenlang so tun, als würden sie sich gegenseitig verprügeln.

Re: bux t. brawler - Sein Filmtagebuch war der Colt

Verfasst: Mo 5. Aug 2013, 02:11
von buxtebrawler
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Nada

„Hass auf unseren bürokratischen Kapitalismus, der mir vorkommt wie ein alter Eunuch ohne Eier!“

Der französische Filmemacher Claude Chabrol gilt als einer der wichtigsten Protagonisten der französischen Nouvelle Vague. Meine mutmaßlich erste Konfrontation mit seinem Werk ist der 1974 in französisch-italienischer Koproduktion entstandene Thriller „Nada“, der gleichermaßen den politisch motivierten Terrorismus extremistischer Splittergruppen und reaktionären Staatsterrorismus thematisiert.

Die Gruppe Nada plant den gewaltsamen Sturz des kapitalistischen französischen Systems zugunsten einer neuen Gesellschaftsordnung nach kommunistischem oder anarchistischem Vorbild. Zu diesem Zwecke entführt sie einen US-Diplomaten und stellt Forderungen an die französische Regierung. Diese scheint zunächst auf die Forderungen einzugehen, instrumentalisiert den Fall jedoch für ihre eigenen Zwecke...

„Nada“ beginnt im Stile eines Heist movie, indem die Vorbereitungen und schließlich die Durchführung der Entführung detailliert gezeigt und die einzelnen Charaktere der Gruppe vorgestellt werden. Viel französische Lebensart durchzieht dabei den Film und sarkastisch-zynisch werden Polizei und Polit-Diplomatie aufs Korn genommen, wenn man sie als doppelmoralische Bordellgänger darstellt – was auch gern genutzten Anlass für Nacktszenen bietet. Von einer prüden, kopflastigen Polit-Parabel demnach keine Spur, über weite Strecken schwingen unterschwelliger Humor, Ironie und eine Spur gegen jegliche Selbstzensur gerichtetes Laissez-faire mit.

„Die ganze Erde ist bevölkert mit Scheißefressern!“

Nach ungefähr der Hälfte der Spielzeit erfolgt ein Perspektivenwechsel und man rückt die Ermittlungsarbeit der komödiantisch leicht überzeichneten Polizei in den Vordergrund. In diesem Zuge erfährt der Zuschauer mehr und mehr über die Hintergründe der Entführer, die nun bis zur finalen Konfrontation immer wieder gegengeschnitten werden und das Bild eines sich über Sinn und Zweck der Entführung selbst uneinigen, aus unterschiedlichen Individuen zusammengewürfelten Haufens abgeben, der einiges an wirrem, sektiererischem „linkem“ Geschwätz parat hat und eindeutig misanthropische Tendenzen aufweist. Ferner lernt man einen Justiz-/Machtapparat kennen, der aus dem Polizeichef, dem Innenminister und Kommissar Goemond besteht und sich im weiteren Verlauf nicht mit Ruhm bekleckern wird.

„Lohnt es sich überhaupt, dass man sie lebend fasst?“

Die genauen Motive der Entführer werden nie erläutert, sie bleiben diffus. Spätestens dadurch entgeht Chabrol Vorwüfen, mit extremistischen Ideen zu sympathisieren, nimmt er sich aber auch die Möglichkeit, diverse tatsächliche Missstände zu benennen, die auch Zuschauern ohne politisches Bewusstsein zumindest die rudimentären Beweggründe der Gruppe Nada begreiflich machen würden. Dafür zeigt Chabrol aber eine ständig ihre Befugnisse übertretende Polizei, die beispielsweise Verdächtige foltert und im selben Atemzug zynischerweise konstatiert, es gäbe hier keine Folter. Noch einen entscheidenden Schritt weiter geht der Film, wenn er in Zeiten von RAF und Brigate Rosse beispielhaft erläutert, wie die herrschenden Strukturen als Nutznießer aus der Entführung hervorgehen und bewusst den Tod der Geisel für politische Zwecke in Kauf nehmen. Das funktioniert auf der einen Seite durch erbarmungslosen Staatsterrorismus, der eine sich ergebende Gruppe komplett exekutiert. Auf der anderen Seite bieten terroristische Aktivitäten politisch wirrer Splittergruppen willkommenen Anlass für eine Verschärfung der Repression, der Überwachung aller und der allgemeinen Einschränkung der Freiheit für ein Mehr an vermeintlicher Sicherheit – ein perfides System, das bis heute angewandt wird. Dass der leitende Kommissar dafür als Bauernopfer herhalten und zum Sündenbock erklärt werden muss, damit der Staat nach außen hin sein Gesicht wahrt, wird billigend in Kauf genommen.

„Es lebe der Tod!“

Dieses Prinzip erkennt auch der Aussteiger aus der Gruppe Nada und schließlich muss auch Buenaventura Diaz (Fabio Testi, „Die perfekte Erpressung“) begreifen, dass sein ehemaliger Kampfgenosse Recht hatte: Linker Terror spielt dem Staat in die Hände. Daraus seine Schlüsse zu ziehen, erfordert dann nur noch wenig Abstraktionsvermögen des Zuschauers. Der Weg dorthin ist gepflastert mit einem überaus spannenden und unterhaltsamen Spielfilm, der neben der pointierten Dramaturgie getragen wird von einem fantastischen Schauspieler-Ensemble bestehend aus dem Italiener und späteren Berlusconi-Unterstützer Fabio Testi, dem mit einem Bart erfolgreich etwas von seinem Schönlingsgesicht genommen wurde und der sich einmal mehr überraschend gut in seine Rolle mit dem gebotenen Ernst einzufühlen versteht, der charismatischen Italienierin Mariangela Melato („Die Arbeiterklasse kommt ins Paradies“), französischen Charakterköpfen wie Michel Duchaussoy („Das Biest muss sterben“), Maurice Garrel („Die Braut trug schwarz“), Michel Aumont („Das Spielzeug“), Didier Kaminka („Ich weiß von nichts und sage alles“), André Falcon („Der unsichtbare Aufstand“) sowie dem gebürtigem Kolumbianer Lou Castel („Töte Amigo“). Ein richtiges Ende indes findet „Nada“ so schnell dann nicht, der Schluss wirkt etwas aufgesetzt und man spürt als Zuschauer, wie sich Chabrol verzweifelt um so etwas wie Gerechtigkeit bemüht, bevor er sein Publikum entlässt. Kleinere inhaltlich-logische Ungereimtheiten (weshalb gibt es kein Phantombild des „Experten“ der Gruppe, der unbehelligt durch eine Polizeikontrolle fährt?) bleiben die Ausnahme; dominiert wird „Nada“ von der geballten Wucht engagierten, den Finger treffsicher in die Wunden legenden westeuropäischen Politthrill-Kinos, das mit einer ordentlichen Schippe Hohn und bitterer Satire einer- sowie einer tief humanistischen Aussage andererseits gewürzt wurde und dem es ebenso wenig an inhaltlicher wie visueller Härte und Temperament mangelt. Auch diesen Film gilt es unbedingt wiederzuentdecken, er hat an Aktualität und Brisanz kaum eingebüßt, lässt sich mühelos auch auf aktuelle politische und gesellschaftliche Realitäten übertragen und dürfte manch Zuschauer treffen und länger in ihm nachhallen.

Re: bux t. brawler - Sein Filmtagebuch war der Colt

Verfasst: Mo 5. Aug 2013, 03:27
von buxtebrawler
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Wild Dogs
Nach einem blutigen Banküberfall flüchten die Täter quer durch die Stadt. Um ungesehen entkommen zu können, nehmen sie Geiseln und verschwinden in einem fremden Auto. Der Fahrer transportiert ein kleines Baby, daß dringend ärztliche Hilfe benötigt. Verfolgt von der Polizei beginnt ein Nervenkrieg zwischen den Geiseln und den Kriminellen. Die Situation spitzt sich immer mehr zu, denn die Gangster nutzen ihre Machtposition rücksichtslos aus...
Dem 1974 gedrehten Thriller „Wild Dogs“, einem ungewöhnlichen Spielfilm für den italienischen Regisseur Mario Bava, der sich in erster Linie mit dem Ur-Giallo „Blutige Seide“ sowie seinen Gothic-Horror-Filmen einen Namen gemacht hat, erschwerten es äußerst diffizile Produktionsbedingungen, überhaupt an die Öffentlichkeit zu gelangen: Kurz vor Fertigstellung musste die Produktionsfirma Insolvenz anmelden und der Film wurde beschlagnahmt. Erst im Jahre 1996 gelang es, ihn zurückzukaufen. Bava-Sohn Lamberto drehte mit Produzent Alfredo Leone einige Szenen nach und nahm hier und da Änderungen vor, bevor „Wild Dogs“ endlich veröffentlicht werden konnte.

Eine Gangsterbande überfällt einen Geldtransporter, doch schnell ist die Polizei zur Stelle und schießt einen der Täter nieder. Die verbliebenen drei aber nehmen sich Geiseln, töten eine von beiden und treten mit der anderen die Flucht im Auto eines Mannes (Riccardo Cucciolla, „Gewalt - Die fünfte Macht im Staat“) an, der ein kleines Kind dabei hat, das dringend ärztliche Versorgung benötigt. Doch die Kidnapper zwingen den Mann zu einer Irrfahrt durch Italien, die Polizei stets im Nacken. Die Situation spitzt sich zu und fordert immer weitere Opfer...

Unmittelbar nach seinem Exposé offenbart „Wild Dogs“ seine eigentliche Natur, nämlich die einer gewagten Mischung aus klaustrophobischem Kammerspiel und Road Movie, denn der überwiegende Anteil der Handlung spielt im engen Wagen des bedauernswerten Mannes, der mit den Gangstern „32“ (George Eastman, „Man-Eater“) und Bisturi (Don Backy, „Prügel, daß die Fetzen fliegen“) zwei psychopathische Mörder und Sadisten auf der Rückbank sitzen hat, die häufig mehr schlecht als recht von ihrem einen wesentlich gesitteteren und intelligenteren, jedoch nicht minder skrupellosen Eindruck machenden Anführer, den sie schlicht den „Doktor“ (Maurice Poli, „Der Killer“) nennen, zur Ordnung gerufen werden. Weitere „Fahrgäste“ sind der sich in einem permanenten Dämmerzustand befindende kranke Junge und die Geisel Maria (Lea Lander, „Blutige Seide“). Es herrscht eine schwitzig-schwüle Atmosphäre vor, es ist ein heißer Tag und man sitzt auf einem rollenden Pulverfass. Die Spannung dieser Konstellation ergibt sich vor allem aus der Unberechenbarkeit der Geiselnehmer, die beinahe unmenschlich-bedrohlich charakterisiert werden und zur Nervosität aller gern mit ihren Waffen herumfuchteln. Das zumindest vorübergehende Überleben sichert hier am ehesten eine gewisse Art von Psychologie, um sich selbst und die mörderischen Mitfahrer möglichst ruhig zu halten.

Als eine Art kleiner Running gag entpuppt sich, wie irrsinnig viel das Trio von seiner Beute unterwegs los wird. Bei einem derart teuren Leben wird es fast verständlich, dass man den Pfad der Tugend verlässt und anderweitig an den Mammon zu gelangen strebt. Die nervenzerreißende Anspannung findet immer wieder Entladung in Demütigungen, Gewaltausbrüchen und immer weiteren Opfern, zurückhaltend gefilmt, in ihrer Wirkung jedoch extrem. Nach einer jede Grenze des Anstands und der Moral sprengenden Tort(o)ur findet die Flucht schließlich scheinbar ihr erfolgreiches Ende, doch hält „Wild Dogs“ noch eine vollkommen überraschende, fiese Wendung bereit, die den zynischen Charakter des Films auf ein neues Level hievt. In geradezu misanthropischem Ausmaße zeichnet Bava ein Bild von Verrohung, Verkommenheit und Niedertracht in aller Konsequenz, ohne dafür auf ein hohes Budget und die sich daraus ergebenden Möglichkeiten zurückgreifen zu müssen. Es sind die Schauspieler, die „Wild Dogs“ tragen. Die Kamera klebt häufig richtiggehend an ihren Gesichtern und holt alles aus ihrer Mimik heraus, die in beachtlichem Maße Unwohlsein und Grauen erzeugt. Insbesondere George Eastman in seiner Paraderolle als irrer Soziopath sticht dabei besonders hervor. Zwar neigt er zum Overacting, doch passt das meist recht gut zu seiner Rolle als eine Art amoralischem Riesenbaby. Bisturi ängstigt mit seiner Hypernervosität und seinem ihm gerne mal „ausrutschenden“ Messer. Alle Hoffnung ruht auf dem „Doktor“, der diese jedoch keinesfalls zu erfüllen bereit ist. Erbarmungswürdig ohnmächtig sind Maria und Fahrer Riccardo. Bei allem Wahnsinn blieb jedoch auch Platz für rabenschwarzen Humor, wobei ich an eine einfach zuviel redende Frau denke.

Etwas gewöhnungsbedürftig ist der Look des Films, der zwar einerseits roh und ungeschliffen, jedoch auch irgendwie überscharf wirkt. Eine Folge der Jahrzehnte später erfolgten Nachbearbeitung? „Wild Dogs“ präsentiert sich sehr nüchtern, der Soundtrack beschränkt sich auf jazzige, für meinen Geschmack etwas zu dudelige Klänge. Tempo und Schnitt stimmen jedoch überwiegend und halten die Spannung bis zur bösen Pointe aufrecht. Die erzählte Geschichte erscheint eher unwahrscheinlich, sehr fiktional, bedient aber zielsicher die Ängste einer von zunehmenden Verbrechen geplagten Gesellschaft, die mit ansehen muss, wie der Wert eines Menschenlebens offensichtlich immer weiter sinkt. Analysen oder Lösungsmöglichkeiten werden nicht angeboten, Bava bleibt mit „Wild Dogs“ dem Unterhaltungsfilm verhaftet, der keine Debatten lostritt oder Fragen aufwirft – der aber mit seiner konsequenten Härte niemanden kaltlassen dürfte und auf beachtliche Weise aus kargen Mitteln ein Maximum herausholt.

Re: bux t. brawler - Sein Filmtagebuch war der Colt

Verfasst: Mo 5. Aug 2013, 16:13
von buxtebrawler
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Link, der Butler
Die Studentin Jane arbeitet in einem abgelegenen Haus für den Zoologen Dr. Philipp (Terence Stamp). Ansonsten wird das Haus nur durch die Versuchsaffen und den 45jährigen Orang Utan Link bevölkert, letzterer übt die Funktion eines Hausdieners aus. Als Philipp daran denkt, Link einzuschläfern, verschwindet der Wissenschaftler spurlos und Link wird zunehmend agressiver. Intelligent wie er ist, versteht er es, Jane von der Außenwelt zu isolieren...
Affentheater

„Stellen Sie sich ein zorniges Baby vor, das zehnmal mehr Kraft hat als Sie!“

Der australische Regisseur Richard Franklin („Patrick“, „Psycho II“) drehte mit „Link, der Butler“ im Jahre 1986 eine Mischung aus Tierhorrorfilm und -Psycho-Thriller in britisch-US-amerikanischer Koproduktion.

Biologie-Studentin Jane (Elisabeth Shue, „Mysterious Skin“) assistiert in den Semesterferien ihrem Professor, dem Zoologen Dr. Philips (Terence Stamp, „Superman – Der Film“) in dessen abgelegenen Haus an einer schottischen Steilküste. Dort experimentiert er mit Affen und hält sich einen Orang-Utan als Diener, den er Link getauft hat. Doch eines Tages ist Dr. Philips spurlos verschwunden. Durch einen unangekündigten Besucher erfährt Jane, dass Link eingeschläfert werden sollte. Derweil isoliert Link Jane mehr und mehr auf Dr. Philips Anwesen. Welchen Plan verfolgt der Affe?

Ein sehr gut gefilmter Prolog versetzt den Zuschauer zunächst einmal in die Stadt, wo er aus einer offensichtlich tierischen Point-of-view-Perspektive eine Familie beobachtet, die sich gerade „King Kong“ im Fernsehen anschaut, während die Tochter aufrecht im Bett sitzt und nicht schlafen kann, weil sie unheimliche Geräusche vernimmt. Nach dem Szenenwechsel erfährt man, dass man sich in London befindet, wo an der Universität der kauzige, unfreundliche Dr. Philips und seine liebreizende zukünftige Assistentin Jane dem Zuschauer vorgestellt werden. In Schottland angekommen, fällt Philips weiterhin durch seine sarkastischen Dialoge mit Jane auf, doch schürt er auch permanent vollkommen ernst Respekt vor den Kräften der Affen, womit langsam der zumindest zu gewissen Teilen wissenschaftlich verbürgte Tierhorroranteil des Films beginnt. „Link, der Butler“ räumt auf mit dem kindlichen Klischee immer lustiger, doch dummer Affen, die man im Käfig und Zirkus zu Unterhaltungszwecken einsetzt, was besonders jüngere Zuschauer verstören oder zumindest ihr Bild dieser Tiere kräftig durcheinander bringen dürfte.

Nach einer tumultartigen Szene wird dem Zuschauer nicht verraten, was mit Dr. Philips geschehen ist, es lässt sich jedoch erahnen. Dieser zwischenzeitliche dramaturgische Höhepunkt bedeutet eine Zäsur für die Handlung, denn fortan richtet sich das Hauptaugenmerk des Films auf Jane und Link und die Beziehung zwischen beiden. Und die unheimlichen Ereignisse häufen sich: Im Schrank findet sich ein toter Affe, Link tötet einen Hund, der Jane bedroht hat etc. Die Affen bestimmen immer mehr das Geschehen auf Philips Landsitz, sie schlagen einen Mr. Bailey (Kevin Lloyd, „Fröhliche Weihnacht“) in die Flucht, der einen Affen kaufen wollte, und Link beweist beeindruckend seine Bärenkräfte, als er dessen Auto hochhebt. Spätestens ab diesem Punkt macht sich das Gefühl der Überlegenheit der tierischen Hausbewohner und des Kontrollverlusts breit, in der Mimik des stummen Links gilt es zu lesen und zu deuten, über seine Motive zu rätseln – Psycho-Thrill mit einem tierischen Antagonisten, wie ihn Hitchcock nicht besser hätte inszenieren können. Die absolute Gleichberechtigung der Affen, was ihr Handeln und ihren Status in der Geschichte betrifft, unterstreichen zahlreiche weitere Point-of-view-Kamerafahrten, wie man sie sonst beispielsweise aus Slasher-Filmen kennt.

Die tapfere Jane versucht, den Überblick über die Situation zu bewahren, muss jedoch zu ihrem Entsetzen bald erkennen, dass Link es unmissverständlich auf sie abgesehen hat. Eine Art Belagerungszustand entsteht, der Orang-Utan wird zum Sinnbild des Terrors. Eine groß angelegte Tierverschwörung à la „Die Vögel“ indes wird nicht daraus, selbst die Schimpansen fürchten sich vor dem immer gewalttätiger werdenden Link und lassen sich von Jane zur Beruhigung Märchen vorlesen. Nachdem Janes Freund mitsamt Kumpeln nach dem Rechten sieht und die Situation vollends eskaliert, besiegelt ein infernalisches, typisches Horrorfilmende mit seinem reinigenden Feuer das Ende des Films auf, was Links Rolle in ihm betrifft, durchaus überraschende Weise.

Franklin arbeitet neben den erwähnten Point-of-view-Perspektiven mit einigen originellen Kniffs und filmt z.B. durch ein großes Schlussloch einer Tür. Außerdem fängt er auf sehr stimmige Weise die schroffe, unwirtliche und doch mit einer schönen, rauen Ästhetik gesegnete schottische Natur ein, gibt der Isolation ein natürliches Gesicht. Ein spannungsgeladener, mit Zirkusklängen versetzter Soundtrack von Jerry Goldsmith begleitet das Geschehen und unterstützt es im einen Moment, um es im nächsten zu konterkarieren und den Kontrast zum eingangs beschriebenen Affenbild herauszuarbeiten. Die Schauspieler machen ihren Job passabel, wobei man den Professor etwas überzeichnen musste, um auch nach seinem Verschwinden aus der Handlung noch im Zuschauergedächtnis präsent zu bleiben. Die Rolle der Jane (die Namensgleichheit mit dem weiblichen Gegenpart zu Tarzan dem Affenmenschen wird bewusst gewählt worden sein) bleibt im netten, verantwortungsvollen, moralischen Mädchen von nebenan verwurzelt, Schlüpfrigkeit und/oder Nacktheit mutete man ihr nicht zu, eine sexuelle Ebene zwischen ihr und den Affen bleibt höchstens angedeutet. Die eigentlichen Stars des Films sind aber die Affen, die von niemand Geringerem als von Ray Berwick dressiert wurden, der bereits für „Die Vögel“ mit Hitchcock zusammenarbeitete. Franklin versteht es wunderbar, Link und Co. bedrohlich in Szene zu setzen und unwohlige Momente zu erzeugen, die nachhaltig Respekt vor den Tieren einflößen dürften.

Bei allen Qualitäten des Films bleiben jedoch auch eine Menge Fragen offen, die auf ein hastig umgeschriebenes Drehbuch oder einen holperigen Schnitt in der Nachproduktion hindeuten: In welchem Zusammenhang steht der Prolog zum Rest des Films? Was hat es mit den kurz erwähnten, doch neugierig machenden Experimenten mit Gedankenübertragung auf sich? Sind diese dafür verantwortlich, dass Link von seiner geplanten Einschläferung wusste oder reichte dafür sein tierischer Instinkt aus? Warum geht man nicht näher auf die Forschungsgegenstände Dr. Philips ein? Wo sind die auf dem Familienfoto erkennbare Frau und der Sohn Dr. Philips? Und woher weiß Jane im Finale plötzlich ganz gewiss, dass Dr. Philips tot ist? Trotz all dieser Ungereimtheiten ein guter, spannender Tierhorrorfilm mit Niveau.