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Re: bux t. brawler - Sein Filmtagebuch war der Colt

Verfasst: Mi 24. Okt 2012, 14:26
von buxtebrawler
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Girolimoni – Das Ungeheuer von Rom
Rom, kurz vor der Machtübernahme Mussolinis: Nach wiederholten grausigen Morden an Kleinkindern durchzieht eine Welle der Empörung und Angst das Volk. Ein Verdächtiger entpuppt sich bald als Unschuldslamm und richtet sich selbst. Durch eine Kette unglücklicher Zufälle und niederträchtiger menschlicher und auch politischer Versuchungen gerät schließlich der unschuldige Fotograph Gino Girolimoni (Nino Manfredi) ins Kreuzfeuer der Polizei und Öffentlichkeit. Um seinen Aufstieg zum Diktator nicht zu gefährden und dem Willen der aufgebrachten Öffentlichkeit Rechnung zu tragen ordnet Mussolini dessen Verurteilung an. Für den lebenslustigen Girolimoni beginnt eine fatale Odyssee, ein verzweifelter Kampf um seine Freiheit und gegen das erdrückende faschistische System…
„Die Menge ist eine Frau!“ (Mussolini)

Der italienische Autorenfilmer Diamiano Damiani, der besonders mit seinen desillusorischen, kritischen Filmen über die Mafiaverflechtungen des italienischen Systems auffiel, drehte mit „Girolimoni – Das Ungeheuer von Rom“ einen 1972 veröffentlichten Film, der größtenteils zur Zeit Mussolinis in Rom spielt. Es handelt sich um eine Mischung aus bitterböser Gesellschaftssatire und Kriminal-/Polit-/Historiendrama.

Ein geisteskranker Mörder geht um und vergreift sich an kleinen Kindern. Die Bevölkerung Roms ist in heller Aufregung und will so schnell wie möglich den Mörder finden, um ihn zu lynchen. Rufe nach der Todesstrafe werden laut und falsche Verdächtigungen kolportiert. Plötzlich gerät der unbescholtene Lebemann Gino Girolimoni ins Visier von Polizei und Öffentlichkeit. Die Faschisten haben ein starkes Interesse daran, ihn als Kindesmörder öffentlichkeitswirksam zu verurteilen, um ihre Stärke zu demonstrieren. Aufgrund einer Reihe manipulierter Falschaussagen landet Girolimoni schließlich hinter Gittern…

„Girolimoni – Das Ungeheuer von Rom“ zeigt ein aufgescheuchtes, misstrauisches, chaotisches Italien, das sein Heil im Ordnung und Stärke vorgebenden Faschismus sucht. Auf den Straßen herrscht allgemeine Hysterie, die Bevölkerung schreit ständig herum, beschuldigt sich gegenseitig und geht aufeinander los. So humorgeschwängert Damiani auch an diese überzeichneten gesellschaftlichen Phänomene herangeht, so attestiert er seinen Landsleuten doch einfache Verführbarkeit, fehlende Weitsicht und entsolidarisierten Egoismus. Das macht Damianis Humor passenderweise zu einem sehr bitteren, beinahe zynischen. Untermalt von einem gewohnt hochkarätigen Soundtrack Riz Ortolanis entführt Damiani den Zuschauer in prachtvolle Kulissen Roms der 1920er-Jahre, in denen sich allen widrigen Umständen zum Trotz Girolimoni an einem mondänen Lebenswandel versucht und seinen Interessen, zu denen die Fotografie und schöne Frauen gehören, nachgeht. Als Projektionsfläche für die Missgunst seiner Mitmenschen ist er damit prädestiniert für die Täterrolle, in die er bald gedrängt wird. Ein Mann wie er muss einfach etwas auf dem Kerbholz haben!

Was sich zunächst in Form eines Justizdramas entwickelt, bekommt schnell seine politische Ebene: Die Faschisten haben wenig Interesse daran, den wahren Täter – einen androgynen, derangierten jungen Kerl, der von seiner kaputten Familie gedeckt wird – zu finden, sondern benutzen Girolimoni, um ein Exempel zu statuieren, ihre Überlegenheit zu demonstrieren. Die willfährige italienische Bevölkerung macht es ihnen dabei ganz besonders leicht, denn Opportunisten, Denunzianten und Neider gibt es zuhauf, so dass nach einer Reihe von Falschaussagen auch dem smarten Girolimoni nicht mehr viel einfällt, um seine Unschuld zu beweisen. Zwar kann er längere Zeit den Justizapparat als eine Art Bühne nutzen und die, auf ihr jeweiliges Individuum heruntergebrochene, lächerliche, armselige Autorität vorführen und sich über sie lustig machen, muss jedoch ab einem gewissen Punkt einsehen, nichts mehr ausrichten zu können, da das Urteil von vornherein feststand.

„Siehst du, wie man in die Geschichte eingeht?“ – „Und wie kommt man wieder raus...?“

Es gibt nämlich noch einen weiteren Aspekt, der für die Faschisten wichtig ist: Die allgemeine Empörung, die Stimmung der hysterischen Rachegelüste, soll ausgenutzt werden, um vor dem Hintergrund der Kindesmorde die Todessstrafe wieder einzuführen. Diese soll es dem faschistischen Regime mittelfristig ermöglichen, sich unbequemer Kritiker und Gegner zu entledigen. Das Klima von Angst – und sei es nur um seinen persönlichen gesellschaftlichen Status – aber greift auch ohne Todesstrafe längst um sich, so dass sich auch die Presse als opportunistisch erweist, ihren Opportunismus sich selbst gegenüber damit zu rechtfertigen versucht, „das System von innen aushöhlen“ zu wollen, und sich mit den neuen Gegebenheiten arrangiert. Eine unabhängige, kritische Presse? Fehlanzeige. Der Presse wird darüber hinaus noch eine weitere wichtige Funktion zuteil, mit der der Faschismus spekuliert: Die dauerhafte Rufschädigung durch bewusstes Verschweigen von Tatsachen und die damit einhergehende Manipulation der Massen. Das Prinzip ist simpel: Nachdem durch eine Fehlverurteilung das Ansehen eines Menschen durch entsprechende Schlagzeilen und Artikel komplett zerstört wurde, findet seine Rehabilitation keinen Platz in der Journaille. Was das für Girolimoni bedeutet, dürfte auf der Hand liegen: Er bleibt ein gebrochener Mann, eindrucksvoll dokumentiert durch einen Zeitsprung in die Gegenwart am Ende des Films.

„Girolimoni – Das Ungeheuer von Rom“ ist ein Film, der der zynischen Realität mit einer zynischen Satire begegnet, deren Humorgehalt zwar deutlich vorhanden, jedoch wenig dominant ist. Es ist schwierig, den außergewöhnlichen Tonfalls des Films in Worte zu fassen. Er überspielt nicht die Dramatik und Tragik des Inhalts, er verführt nicht dazu, Desillusion und Wut einfach wegzulachen. Nein, auch dieser Film Damianis geht an die Nieren, wobei er komplett ohne jegliche Melodramatik auskommt. Diese Fähigkeit rechne ich Damiani neben seinem wachen, intelligenten Geist, dem politischen/gesellschaftlichen Überblick und dem Gespür für menschliche Befindlich- und Unzulänglichkeiten hoch an. Allem voran ist er aber natürlich ein hervorragender Filmemacher, was er mit „Girolimoni – Das Ungeheuer von Rom“ einmal mehr unter Beweis stellt. Kleinere erzählerische Irritationen wie der für meinen Geschmack zu schnell und damit in seiner Entwicklung nicht ganz nachvollziehbar gefilmte, jedoch nicht minder erschreckende Auftakt, der darin mündet, dass sich ein zu Unrecht Verdächtigter mittels eines Schlucks aus einer Säureflasche öffentlichkeitswirksam das Leben nimmt, ändern nichts am in jeder Hinsicht hochwertigen Gesamteindruck. Durch die Art, wie Damiani seine Geschichte konstruiert, holt er den Zuschauer dort ab, wo er steht: Bei der berechtigten Empörung über Kinderschänder und -mörder. Was folgt, ist ein fesselndes Lehrstück dahingehend, wie sich die Politik verständlicher menschlicher Emotionen bemächtigt und instrumentalisiert, wie Massenhysterie und Lynchmentalität den antidemokratischen, letztlich menschenfeindlichen Kräften in die Hände spielen. Mühelos lassen sich Parallelen selbst zur aktuellen Gegenwart ziehen: Die Faschisten von NPD und Konsorten gehen mit populistischen Parolen wie „Todesstrafe für Kinderschänder!“ auf Stimmenfang, buhlen um die Unterstützung der einfachen Leute, spiegeln verachtenswerterweise auf dem Rücken der Opfer von gewaltsamen Übergriffen Kinder- und Opferschutz vor, verfolgen aber ganz andere Ziele. Auch die Rolle der Presse hat sich nicht grundlegend geändert. Noch immer betreiben Konzerne wie Axel Springer aktiv Politik mit unlauteren Mitteln und haben eine erschreckend lange Liste von zerstörten Einzelschicksalen zu verantworten, deren Leben aufgrund unseriöser, bösartiger Berichterstattung unwiderruflich vernichtet wurde. Die Manipulation des Lesers bzw. Zuschauers/Zuhörers durch das bewusste Verschweigen von Themen, Tatsachen und Zusammenhängen ist nach wie vor eine der perfidesten, alltäglichen Taktiken der bürgerlichen Medien. Doch „Girolimoni – Das Ungeheuer von Rom“ bietet noch so viel mehr und steckt voller Spitzen und Details, die hier aufzuzählen den Rahmen sprengen würden.

Nino Manfredi („Ich habe sie gut gekannt“) als Girolimoni spielt die Hauptrolle ganz hervorragend, sie scheint ihm auf den Leib geschneidert. Dann und wann erinnert er etwas an Helmut Berger, abzüglich dessen Arroganz, stattdessen mit einer gewissen spitzbübigkeit gesegnet. In weiteren Rollen sieht man Gabriele Lavia („Inferno“) und Orso Maria Guerrini („Lauf um dein Leben“). Allen Beteiligten scheint diese anklagende Aufarbeitung der italienischen Geschichte inklusive harscher Gegenwartsbezüge eine Herzensangelegenheit gewesen zu sein. Der immense Facettenreichtum der Charaktere kommt voll zur Geltung und macht aus ihnen keine Helden und Monster, sondern Menschen mit menschlichen Emotionen, menschlichen Stärken, menschlichen Schwächen – was den Film auf einer sehr persönlichen Ebene funktionieren lässt.

Ein weiteres großartiges Stück intelligenten, kritischen italienischen Kinos, das vollkommen zu Unrecht in hiesigen Breiten ein Schattendasein fristet. Inhaltlich höchst wertvoll, ohne aufdringlich belehrend zu sein. Eine starke, im italienischen Faschismus, eigentlich aber in den Unzulänglichkeiten jedes Einzelnen fußende Parabel auf die allgegenwärtige Verquickungen von Volkszorn, Medien und Politik.

Re: bux t. brawler - Sein Filmtagebuch war der Colt

Verfasst: Fr 2. Nov 2012, 00:28
von buxtebrawler
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Mondo Candido
Nachdem Candide mit seiner geliebten Kunigunde von deren Vater beim Praktizieren des Sexualakts erwischt worden ist fliegt er achtkantig aus dessen Schloss. Er fristet fortan sein Dasein als Verbannter, reist durch Raum und Zeit bis er sich schließlich im modernen Manhattan wiederfindet, immer auf der Suche nach seiner Kunigunde, die sich jedoch längst fleischlichen Gelüsten und berauschenden Mittelchen hingegeben hat...
„Sich kratzen und schweigen!“

Gualtiero Jacopetti und Franco Prosperi – diese Namen bringt der Filmkenner in erster Linie mit skandalträchtigen Dokumentarfilmen, italienischen „Mondos“, in Verbindung. Die letzte Zusammenarbeit beider war jedoch ein Spielfilm, der trotzdem nicht ohne „Mondo“ im Namen auskam: Die Verfilmung von Voltaires „Candide oder der Optimismus“, die unter dem Namen „Mondo Candido“ im Jahre 1975 veröffentlicht wurde.

Der Jüngling Candide (Christopher Brown, „Das Ritual“) lebt in paradiesischen Zuständen in den Tag hinein. Aus diesen wird er jedoch eines Tages jäh vertrieben, als er dabei erwischt wird, wie er sich seiner geliebten Kunigunde (Michelle Miller, „Das achte Opfer“) vergnügt. Dies ist der Auftakt zu einer Odyssee durch die Weltgeschichte, während der Candide unablässig nach Kunigunde sucht und dabei Bekanntschaft mit allen möglichen und unmöglichen geschichtlichen Ereignissen und organisiertem menschlichen Versagen, (un)menschlichen Abgründen macht. Nie weit entfernt: Der von der Syphilis gezeichnete, doch unverbesserliche Optimist Panglos (Jacques Herlin, „Der Dämon und die Jungfrau“), der gebetsmühlenartig beschwört, man befände sich jeweils in der besten aller möglichen Welten.

Voltaire war einer populärsten Autoren der europäischen Aufklärung. Seine satirische Novelle „Candide oder der Optimismus“ stellte einen Gegenentwurf zur optimistischen Weltanschauung Gottfried Wilhelm Leibniz' dar. Jacopetti träumte schon länger davon, diese einmal zu verfilmen und setzte zusammen mit Prosperi dieses Vorhaben schließlich in die Tat um, indem er den Stoff aktuellen Ereignissen und Gegebenheiten anpasste. „Mondo Candido“ beginnt in einer märchenhaften, betont kitschigen, an den Garten Eden erinnernden Fantasiewelt und bewegt sich fortan episodenhaft, befreit von Zeit und Raum, von Epoche zu Epoche, wo Candide mit den unterschiedlichsten Gefahren konfrontiert wird. Inquisition und Krieg prägen seine Stationen bin in die Gegenwart hinein, wo sich Candide im nordirischen Bürgerkrieg, im kapitalistischen Manhattan und im Palästina-Israel-Konflikt wiederfindet.

Die für ihren Kulturpessimismus berüchtigten italienischen Filmemacher inszenierten ein bizarres, surreales Märchen voll beißendem Zynismus und sarkastischem, schwarzem Humor und legen damit den Finger in die Wunden der blutgetränkten Menschheitsgeschichte. Sie gehen dabei metapherreich und künstlerisch-symbolträchtig vor, ohne jedoch jemals ihre eindeutigen Aussagen zu verschleiern. Der Tonfall indes ist nicht immer einheitlich; so legen es einige Szenen auf eine Absurdität an, die weniger für Lacher als vielmehr für verdutzte Gesichter beim Publikum sorgen dürfte, während andere auch visuell gewisse Härten offerieren, die sicherlich unterschiedlich aufgefasst werden, und wieder andere nur so vor pechschwarzem Humor und/oder scharfzüngigem Wortwitz und blasphemischen Tendenzen strotzen, womit sie stark an britischen Humor à la Monty Python erinnern. Exemplarisch sei hierfür eine meiner Lieblingsepisoden dieses Films genannt, Candides Besuch im bürgerkriegserschütterten Nordirland. Die vier sich durch die Handlung ziehenden Hauptcharaktere – Candide, Panglos, Candides Begleiter (dessen Name mir entweder entfallen ist oder der nie namentlich genannt wird) und Kunigunde – stehen stellvertretend für unterschiedliche menschliche Charaktertypen und Lebensentwürfe. Optimist Panglos ist eigentlich der größte Zyniker, wenn er stets in verantwortlicher Rolle auftritt und sich zum aktiven, willfährigen Diener des jeweiligen Zeitgeists und Systems macht, währenddessen aber von der besten aller möglichen Welten schwärmt. Kunigunde ist das Glück, oft zum Greifen nah, dann wieder so fern, nicht selten trügerisch und letztlich doch anders als erwartet. Und während Candides zumindest in diesem Text namenloser Begleiter das Leben so nimmt, wie es jeweils kommt, sich damit soweit arrangiert, dass er im Hier und Jetzt das Optimum an Genuss und Lebensfreude für sich herausholen kann, bleibt Candide ein Getriebener, rastlos in die Ferne schweifend und liebenswürdig-naiv nach seiner idealisierten Kunigunde strebend.

Jacopetti und Prosperi sowie die 1970er-Dekade wären nicht eben jene, würde der offene Umgang mit Nacktheit ein Problem darstellen. So bekommt man auch hier ganz selbstverständlich einige nackte Tatsachen zu sehen, natürlich, ungeschönt und frei von Prüderie. Den Vogel in Sachen Sexismus schießt man aber ab, als man sich unter eine israelische Frauenarmee mischt, die selbstredend aus einer Ansammlung attraktiver Sexbomben besteht, die man beim Duschen belästigt. Diese im Kontext des Films mir weitestgehend sinnbefreit erscheinende, aber sehr schön anzusehende Szenenabfolge mündet schließlich im Höhepunkt des Films, jener ästhetisierten Schießerei zwischen Frauenarmee und feindlichen Soldaten in einem blühendem Mohnfeld, wo der Kontrast zwischen wahnsinniger Schönheit und ebenso wahnsinniger, hässlicher Gewalt selten so deutlich wurde. Und ebenso ästhetisch wie die blühenden Felder setzt man das Sterben der von Kugeln durchlöcherten Soldaten in Szene, blutige Schusswunden werden in ausgewalzten Zeitlupeneinstellungen verursacht. Generell zieht sich eine hervorragende, über die Schönheit der Natur schwelgende und auf die Gräuel der Menschheit draufhaltende Kameraarbeit durch den gesamten Film, der, unterlegt von einem einmal mehr wunderschönen Soundtrack Riz Ortolanis, temperamentvoll und bisweilen wütend innerhalb pompöser Ausstattung an den verschiedensten Orten gedreht wurde und die ursächlich zugrunde liegende Attitüde irgendwo zwischen aufgeklärtem Mahnen und verzweifeltem Weltschmerz humoristisch aufbereitet zeigt.

Diese weitere Italo-Wundertüte, bei der man wahrlich nie sicher sein kann, was als nächstes passiert und deren von der Literaturvorlage abweichendes Ende in mehrere Richtungen interpretierbar ist, ist ebenso schwer zu beschreiben wie zu bewerten. Im Zuge meiner relativ unvorbereiteten Erstsichtung missfiel mir zunächst ein wenig der inhaltliche Stil mit all seinen eher selten liebenswürdigen, vielmehr plump-provokanten Absurditäten, insbesondere während des in der Vergangenheit angesiedelten Abschnitts. Mit zunehmender Spieldauer aber fand ich besseren Zugang und gewann „Mondo Candido“ an Klasse, entsprach meinem Geschmack für Satire. Zudem lässt sich angenehmerweise unschwer ein Bezug zu heutigen Zeit herstellen, in der noch immer vielerorts die Vorzüge ihrer überbetont und die Blicke von Krieg, Tod, Elend und schreienden Ungerechtigkeiten abgelenkt werden, vorzugsweise von denjenigen, die all das mitzuverantworten haben, während andere Bescheidenheit und eine realistische Einschätzung des eigenen Platzes auf der Gewinnerseite des Erdballs mit Demut und Schicksalsergebenheit verwechseln und damit das Märchen von der „besten aller möglichen Welten“ an- und widerspruchslos aufrechterhalten. Anspruch, Kunstfilm und Exploitation liegen bei „Mondo Candido“ ebenso dicht beieinander wie Genie und Wahnsinn.

Ich zücke zunächst vorsichtig und noch unter dem Eindruck des sich einer Genrezuordnung entziehenden, ebenso originellen wie außergewöhnlichen Films eine etwas ratlose 7/10. Eine Zweitsichtung wird mein Urteilungsvermögen beizeiten mit Sicherheit schärfen, zweifelsohne jedoch handelt es sich um einen besonderen Film unter den vielen besonderen Filmen Italiens, der sich zwischen ganz vielen Stühlen breitgemacht hat. Selten jedenfalls waren Pessimismus und Desillusion so kunterbunt, vergnügt und aufgekratzt wie hier.

Re: bux t. brawler - Sein Filmtagebuch war der Colt

Verfasst: Fr 2. Nov 2012, 16:27
von buxtebrawler
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Tödliche Schlagzeilen
Mailand 1972: Der Wahlkampf steht vor der Tür. Bizzanti (Gian Maria Volontè), Chefredakteur der rechten Zeitung "II Giornale", versucht einem Anarchisten einen Mord anzuhängen. Die Leser und Wähler sollen so gegen die Linken aufgehetzt werden. Doch dann spürt ein Reporter des Blattes den wahren Mörder auf...
In französisch-italienischer Koproduktion entstand der Polit-Thriller „Tödliche Schlagzeilen“ alias „Knallt das Monstrum auf die Titelseite!“ des italienischen Regisseurs Marco Bellocchio („Teufel im Leib“) aus dem Jahre 1972.

Der Chefredakteur der Mailändischen Zeitung „Il Giornale“ gewährt rechten Politikern Unterstützung im Wahlkampf, in dem er einem Linken den Mord an einem Mädchen anhängt. Die Linke soll dadurch verunglimpft werden und die Rechte mehr Zulauf erhalten. Ein Reporter seines Blatts kommt jedoch dem wahren Mörder auf die Schliche, der sich nicht aus den Reihen der Linken rekrutiert…

Sich aktiv und manipulativ am politischen Geschehen beteiligende Massenmedien, die sich im Besitz der vermögenden Oberschicht befinden, sind charakteristisch für kapitalistische Systeme und helfen entscheidend dabei, den eigenen Besitzstand zu wahren und progressive Tendenzen und Bewegungen innerhalb der Gesellschaft zu unterbinden. Die Verlagshäuser decken häufig den gesamten Markt ab, angefangen bei sich an die Unterschicht und bildungsarme Teile der Bevölkerung richtenden Boulevard-Blättern bis hin zu sich den Anstrich von Seriosität gebenden Nachrichtenmagazinen. „Tödliche Schlagzeilen“ setzt sich thematisch mit den schlimmsten Vertretern auseinander, die, wie beispielsweise Axel Springers „Bild“, vorsätzlich, als Konzept, an niederste Instinkte appellieren und den Verlust von Menschenleben billigend in Kauf nehmen.

Gian Maria Volonté („Ermittlungen gegen einen über jeden Verdacht erhabenen Bürger“), sicherlich einer der talentiertesten italienischen Schauspieler, schlüpft für Bellocchios Film in die Rolle des Chefredakteurs Bizanti und verkörpert einen kühl berechnenden Charakter. Da seiner Rolle bei allem Kalkül der Wahnsinn anderer Rollen, denen Volonté auf großartige Weise Leben einhauchte, abgeht, wird er nicht in einem Maße wie in anderen Filmen gefordert. Dennoch spielt er seine hassenswerte Filmrolle, die zu seiner eigenen Persönlichkeit konträr sein dürfte, mit einer beängstigenden Selbstverständlichkeit, scheint eins zu werden mit korrupter Denkweise, reaktionärer Attitüde und ihren Konsequenzen. „Tödliche Schlagzeilen“ zeigt die Mechanismen hinter den Kulissen der Presse, die Zusammenhänge mit Politik und Justiz und die Vorgehensweise, sich das Privatleben anderer zu bemächtigen, um reißerische halbseidene, fadenscheinige Schlagzeilen zu produzieren, menschliche Schicksale dabei für eigene Zwecke zu instrumentalisieren und Menschen knallhart auszunutzen, sie als Marionetten fürs intrigante Puzzlespiel zu missbrauchen.

Im Zuge dessen kniet sich Bellocchio tief in diesen einen exemplarischen Fall hinein und lässt den Zuschauer an der Biographie des vermeintlichen Mörders und einer seiner ehemaligen Freundinnen teilhaben. Diese Teile des Films tendieren stark in Richtung eines Dramas, während man gegen Ende mühelos wieder den Schlenker zum Thriller schafft, wenn der wahre Mörder entdeckt wird. Die Szenen, in denen dieser seine Tat beschreibt und Bellocchio sich Rückblenden bedient, Bizanti aber seinen perfiden Plan, den Erfolg antidemokratischer Kräfte im Wahlkampf und die öffentliche nachhaltige Verleumdung seines Opfers über jeglichen Gerechtigkeitssinn stellt, den Täter unbehelligt lässt und damit die Verantwortung für weitere Morde trägt, sind nur schwer erträglich und werden in einer Intensität dargeboten, die sie zu den erinnerungswürdigsten Momenten des Films machen. Schauspielerisch stets auf hohem Niveau und unterlegt mit der stimmigen Musik Ennio Morricones und Nicola Piovanis gehört auch „Tödliche Schlagzeilen“ in die Riege empfehlenswerter italienischer Polit-/Justiz-Thriller, die zu Unrecht ein Nischendasein fristen.

Re: bux t. brawler - Sein Filmtagebuch war der Colt

Verfasst: Di 6. Nov 2012, 00:17
von buxtebrawler
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Matinee
Amerika, in den 50er Jahren: Der Trash-Regisseur Lawrence Woolsey ist das Idol aller Teenies. In seinen Filmen setzt er auf billige Shock- und Horroreffekte, und erzählt überspitzte Stories. Er schreckt sogar nicht davor zurück, die Stühle im Kino, elektronisch zu verkabeln, so daß die Zuschauer einen kleinen Schlag bei grausamen Szenen bekommen. Außerdem engagiert er einen Statisten, der verkleidet in den Saal stürmt. Bei der Premiere seines Live-Action-Effektes kommt es zur Panik...
Die Komödie „Matinee“ aus dem Jahre 1993 war US-Regisseur Joe Dantes erster Spielfilm nach „Gremlins 2 – Die Rückkehr der kleinen Monster“ und zugleich sein Kinodebüt der 90er-Jahre.

USA, 1962: B-Horrorfilmer Lawrence Woolsey tingelt mit seinen trashigen Horrorfilmen durch US-amerikanische Kinos und versteht sich insbesondere auf die Vermarktung seiner Zelluloid-Erzeugnisse. Sein neuester Streich lautet „Mant“ und handelt von einem Menschen, der zu einem Ameise/Mensch-Hybridwesen mutiert. Als besondere Gimmicks hat er sich allerlei Schnickschnack wie Stromschläge aus Kinosesseln und einen Animateur im Ameisenmenschkostüm ausgedacht, der während der Vorstellung das Publikum erschrecken soll. Dazu gehört auch eine Erdbebensimulation, die jedoch angesichts der sich zuspitzenden Kuba-Krise Panik auslöst…

„Matinee“ ist eine liebevolle Ehrerbietung an das klassische Thriller- und Horror-B-Kino der 1950er- und 1960er-Jahre, das seinerzeit von ambitionierten, erfindungsreichen Filmemachern in die „Double Feature“-Vorstellungen und Autokinos getragen wurde, im Allgemeinen und an William Castle, der für Filme wie „House on Haunted Hill“, „Schrei, wenn der Tingler kommt“ und „Mörderisch“ berüchtigt wurde und dem der von John Goodman („The Big Lebowski“) verkörperte Lawrence Woolsey nachempfunden wurde, im Speziellen. Wie sein Alter Ego in „Matinee“ buhlte auch Castle um die Aufmerksamkeit seines Publikums, indem er seine Filme mit reißerisch Kampagnen bewarb und sich die verschiedensten Gimmicks einfallen ließ, die die Kinobesuche zu individuellen, über den reinen Filmkonsum hinausgehenden Erlebnissen machten. Woolsey wird von Dante als netter, umtriebiger Onkel mit ausgeprägtem Geschäftssinn, der weiß, was sein Publikum erwartet und der stets den Schalk im Nacken mit sich trägt, charakterisiert. Er ist sowohl interessiert an guter, kruder Unterhaltung als auch daran, dass seine Produktionen genügend Gewinn abwerfen. Dafür werden z.B. im Vorfeld zwei Schauspieler engagiert, die in die Rolle protestierender religiöser Moralapostel (einer von ihnen der unverwüstliche Dick Miller) schlüpfen, die eindringlich vor dem Besuch des Films warnen – schließlich ist Anti-Werbung manchmal die beste Werbung. Auch zeigt er sich nicht geizig mit Freikarten und spannt er die örtliche Jugend mit ein, indem er einen Heranwachsenden ins „Mant“-Kostüm schlüpfen lässt und sich fast wie ein Mentor des 15-jährigen Gene Loomis (Simon Fenton, „Ein Ritter in Camelot“) annimmt, dessen Vater weit weg von Zuhause für die US-Armee im Einsatz ist.

Es war eine Zeit des noch unschuldigen, naiven Horrorkinos, dem dennoch über die reine Zerstreuung hinaus eine wichtige Funktion zuteilwurde: Es fungierte als Ventil für abstrakte, aber dennoch ganz reale Ängste, die während der Kuba-Krise, als der Welt angesichts eines drohenden Atomkriegs der Atem stockte, einen vorläufige Höhepunkt nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs erreicht hatten. Diesen oft ignorierten und geleugneten gesellschaftlichen Aspekt flocht Dante in die große Parallelhandlung von „Matinee“ ein, die sich auf karikierende und ironische Weise mit dem Verhalten der Menschen vor dem Hintergrund der Krise auseinandersetzt, verschiedene Perspektiven anbietet und das eigenartige, verwirrende Ohnmachtsgefühl greifbar zu machen versucht. Er zeigt, wie letzteres zu verhindern versucht wurde, indem man die Bevölkerung im Zuge der US-Propaganda nur unzureichend über die wahren Folgen eines Atomkriegs aufklärte und durch vermeintliche Übungen für den Ernstfall in Sicherheit zu wiegen gedachte. Er thematisiert dagegen laut werdende Stimmen, panische Hamsterkäufe, gutgläubige Atomschutzbunkerinstallationen und die allgegenwärtige Kommunismus-Paranoia.

Zusammengehalten werden Dantes zwei Hauptthemen von einem Plot in Hollywood-typischer Dramaturgie um den filmbegeisterten Gene Loomis und dessen Liebelei mit der aufgeklärten, kecken Kriegsgegnerin Sandra (Lisa Jakub, „Das Gesicht des Schreckens“), hinter der ihr eifersüchtiger Ex-Freund her ist, der sich zudem als ein wahnsinnig schlechter Dichter entpuppt. Satirisch wird der damalige Zeitgeist ebenso auf die Schippe genommen („3x täglich Fleisch ist gesund für euch!“) wie sowohl das familiär ausgerichtete Kinoprogramm als auch die Horrorfilme, um die sich „Matinee“ dreht. Die gezeigten Ausschnitte dieser fiktiven Filme sind einerseits urkomisch, weisen dank Dantes Beobachtungsgabe und Genrebezug aber tatsächlich viele typische Eigenheiten auf, die Genrekenner sofort wiedererkennen werden. Am Ende steht Woolsey natürlich als Held da, selbstverständlich nicht ohne ein Augenzwinkern. Unterlegt wurde „Matinee“ von einem zeitgenössische Hits enthaltenden Soundtrack, der mit „Loco-Motion“, „The Lion Sleeps Tonight“ und diverser Surf Music wohlige Erinnerungen an jene musikalisch interessante Zeit wachwerden lässt und die 60er-Jahre-Atmosphäre unterstützt.

Fazit: Joe Dante gelang eine sympathische und intelligente Mixtur aus Hommage, Gesellschaftssatire und Geschichtsunterricht, die eine Lanze bricht für den wohligen Schrecken auf der Leinwand. John Goodman fühlt sich sichtlich wohl in seiner Rolle, die Inszenierung ist trotz dann und wann etwas ausufernder Nebenhandlung (die sich als roter Faden durch den Film zieht) kompakt und stets zielgerichtet und sollte auch für Nichtkenner der behandelten Materie keine größeren Längen aufkommen lassen. Für William-Castle-Fans und andere Genre- und Zeitgeistverrückte ist „Matinee“ aber ein schwer zu empfehlendes Filmvergnügen, das sich liebevoll und detailreich längst vergangener Zeit annimmt. Empfehlung für ein „Double Feature“: Der ähnlich gelagerte, mit einem irreführenden deutschen Titel versehen „Skinner …lebend gehäutet“, der bereits zwei Jahre zuvor erschien. Ob Joe Dante den gesehen hatte?

Re: bux t. brawler - Sein Filmtagebuch war der Colt

Verfasst: Mi 7. Nov 2012, 21:43
von buxtebrawler
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The Riffs – Die Gewalt sind wir
Wir schreiben das Jahr 1990. Die hoffnungslos verwahrloste Bronx wird von skrupellosen Banden beherrscht. Die Riffs werden angeführt von Trash, dessen Freundin Ann ins Visier skrupelloser Wirtschaftsbosse gerät. Diese fürchten nämlich Anns bevorstehende Erbschaft, die sie zur größten Teilhaberin der Manhattan Corp. machen wird. Um sie zu beseitigen, wird der Profikiller Hammer entstandt, gegen den Trash und seine Mitstreiter kaum eine Chance zu haben scheinen...
Mit „The Riffs“ inszenierte Action-Spezialist Enzo G. Castellari im Jahre 1982 ein präapokalyptisches Endzeit-Action-Spektakel à la italiano: In der nahen Zukunft des Jahres 1990 wird der heruntergekommene New Yorker Stadtteil Bronx von bewaffneten Banden beherrscht, die ihn unter sich aufgeteilt haben. Dem „Manhattan Corp.“-Konzern wird Angst und Bange, als die jugendliche Ann, baldige Erbin und somit zukünftige größte Teilhaberin des Konzerns, dem korrupten, privilegierten Leben Ade sagt, um zukünftig an der Seite Trashs, dem berüchtigten Anführer der gefürchteten Riffs, in der Bronx zu leben. Man entsendet Polizist und Profikiller Hammer, um Ann gewaltsam zurückzuholen…

Castellaris Sause orientiert sich zwar unübersehbar an großen Vorbildern wie „The Warriors“ und „Die Klapperschlange“, ist aber eigenständig genug, um sich nicht als Plagiatskino bezeichnen lassen zu müssen. Außerdem wurde nicht wie so oft in Kieskuhlen oder auf Schrottplätzen gedreht, sondern an Originalschauplätzen in New York – und mit echten Mitgliedern der „Hell’s Angels“, die in der Komparserie zu finden sind und zudem am Set Sicherheitsdienst leisteten. Das Schöne an „The Riffs“ ist zudem, dass er gängige Actiongülle-Klischees umkehrt und fiese Straßengangs gegen einen noch viel fieseren Oberbullen kämpfen lässt, statt umgekehrt. Damit ist der Film bar jeden reaktionären Tonfalls, im Gegenteil: Er bedient sich quasi einer plakativen Klassenkampfthematik.

Größtenteils ist „The Riffs“ ein Wechselbad der Gefühle: Erstaunlich gute, technisch raffinierte Szenen, Choreographien und Schauspieler treffen auf unfreiwillige Komik und zahlreiche überraschende, skurrile Momente. So droht „The Riffs“ bisweilen innerhalb seiner großartigen Kulissen zu einer tuntigen Kostumschau zu werden, wenn nach „Warriors“-Vorbild eigentümlich gekleidete „Straßengangs“ durchchoreographiert um ihre Gegner herumschlawenzeln, statt wirklich Bedrohlichkeit auszustrahlen. Ähnlich verhält es sich mit Hauptdarsteller Mark Gregory als bezeichnenderweise auf den Namen Trash hörender Riffs-Anführer, den Castellari in einem Fitness-Studio kennenlernte und für seinen Film verpflichtete. Schwer zu glauben, dass Gregory seinerzeit erst zarte 17 Lenze auf dem nicht vorhandenen Buckel gehabt haben soll, durchtrainiert und muskelbepackt wie er war. Allerdings war er nun einmal kein gelernter Schauspieler, was man ihm allerspätestens dann anmerkt, wenn er unsicher durch die Bronx stolziert, als hätte er einen Besenstiel als Wirbelsäulenersatz im Hintern. An seinem Äußeren hingegen dürften sich nach Erscheinen des Films sämtliche Power-Metal-Bands der 1980er orientiert haben, mit langen, schwarzen, lockigen Zotteln heizt er auf seinem Ofen – der mit einem Plastiktotenschädel auf dem Schweinwerfer dekoriert wurde… Auf der anderen Seite haben wir mit Vic Morrow („Die Saat der Gewalt“) in der Rolle Hammers einen verdienten, angesehenen Schauspieler, dessen Comeback-Versuch nach „The Riffs“ beim Dreh des „Twilight Zone“-Spielfilms „Unheimliche Schattenlichter“ ein jähes Ende fand, als er bei einem tragischen Unfall von einem Hubschrauber enthauptet wurde. Er verleiht seiner Rolle die nötige Knurrigkeit und macht sich hervorragend als hassenswerte Exekutive des Großkapitals. In weiteren Rollen findet man Blaxploitation-Star Fred Williamson („Boss Nigger“) als Bandenführer „The Ogre“ und den aus zahlreichen italienischen Genrefilmen berüchtigten George Eastman („Man-Eater“) als Anführer einer weiteren konkurrierenden Gang. Die Nebenrollen sind ansonsten mit zahlreichen weiteren skurrilen Gestalten in abgefahrenen Kostümen besetzt, Hakenkreuzrocker treffen auf Rollschuhfahrer treffen auf peitschenschwingende Dominas treffen auf…

Während das Drehbuch als roten Faden sich Trash durch die Bronx schlagen und vor Hammer sowie den von selbigem durch ein Attentat gegeneinander aufgehetzten Gangs in Acht nehmen lassen muss und unschwer den solidarischen Zusammenhalt der Unterschicht gegen die mächtigen Oberen beschwört, punktet „The Riffs“ immer wieder mit originellen Ideen: So lässt Castellari eine dramaturgisch auf Duell-Präludium gebürstete Szene hochatmosphärisch und vor Spannung knisternd von einem Live-Open-Air-Schlagzeuger begleiten, der an seinem Kit sitzend der Szenerie ihren Rhythmus gibt. Eine meiner weiteren Lieblingsszenen ist, wie ein Gangmitglied auf das Dach eines fahrenden Autos springt und in großen Lettern „Shit“ auf die Windschutzscheibe sprüht. Derlei Momente ziehen sich durch den gesamten Film und tragen entschieden zu dessen Unterhaltungswert bei. Selbstverständlich kommt auch der Action-Anteil nicht zu kurz; es wird geprügelt, geschlitzt, geschossen und explodiert. Walter Rizzatis gelungener Soundtrack trägt zur Atmosphäre bei und versetzt direkt mit dem Titelthema in die passende Stimmung. Das Ende befriedigt den emotional aufgepeitschten Zuschauer mit einer fies-schönen Schlusseinstellung, die gerne noch etwas ausgewalzt hätte werden dürfen. Die Kombination aus technischer Finesse, kruder Action, ungewöhnlichen Ideen und Trash-Elemente macht aus „The Riffs“ letztlich ein überaus charmantes Filmvergnügen, das zu keiner Sekunde langweilt – ganz gleich, ob man gerade ernsthaft mitfiebert oder sich ins Fäustchen lacht. Italophile sowie aufgeschlossene Freunde der 80er-Filmkultur wissen das schon längst, für alle anderen lautet die Parole: Stock aus dem Arsch gezogen, aufs Totenkopfmofa geschwungen und ab in die Bronx!

Re: bux t. brawler - Sein Filmtagebuch war der Colt

Verfasst: Mo 12. Nov 2012, 21:58
von buxtebrawler
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The Riffs II – Flucht aus der Bronx
Die Bronx, Sinnbild amerikanischer Gewalt und Kriminalisierung, soll von korrupten Politikern wegen eines gigantischen Bauprojekts gesprengt werden. Doch die Streetgangs erklären dem Establishment den Kampf und entführen spektakulär den Präsidenten des Multi-Baukonzerns. Doch nun schlägt die Regierung zurück und ein Kampf beginnt in den brodelnden Häuserschluchten New Yorks...
„Unsere Spezialität ist der Terror!“

1983, ein Jahr nach dem Italo-Endzeit-Actioner „The Riffs – Die Gewalt sind wir“, brachte man die Fortsetzung „The Riffs II – Flucht aus der Bronx“, ebenfalls unter der Regie des italienischen Action-Spezis Enzo G. Castellaris gedreht, in die Kinos. Der Konzern „General Constructions“ plant zusammen mit der Politik, die Bronx für ein gigantisches Bauprojekt komplett dem Erdboden gleichzumachen. Während die berüchtigten Straßengangs sich mittlerweile im wahrsten Sinne des Wortes in den Untergrund zurückgezogen haben – sie haben es sich in der Kanalisation eingerichtet –, finden an der Oberfläche radikale „Räumungsaktionen“ statt: Mit Flammenwerfern geht man gegen renitente Bewohner vor, bis es auch Trashs Eltern erwischt (Trash senior: Romano Puppo, „Fireflash – Der Tag nach dem Ende“). Trash, Anführer der „Riffs“, die nach den Ereignissen des ersten Teils fast vollständig dahingerafft wurden, lässt das nicht auf sich sitzen und erhält Hilfe von der Journalistin Moon Grey (Valeria D'Obici, „Midnight Horror“), die die Geschehnisse kritisch beobachtet, entsprechend berichtet und somit Politik und Wirtschaft ein Dorn im Auge ist. Man heckt einen Plan aus und verhandelt mit den Gruppierungen des Untergrunds...

Auch für „Riffs II“ bedienen sich Castellari und sein Team der David-gegen-Goliath-Thematik und erklären sich auf Selbstverteidigung verstehende, wüste Banden zur eigentlichen moralischen Instanz in einer präapokalyptischen Welt, in der Politik und Wirtschaft über Leichen gehend im Sinne des Kapitals wüten. Das heutzutage auch hierzulande ganz real existierende Problem der Gentrifiizierung – der Umwandlung ganzer Stadtteile in Einzugsgebiete für wohlhabendere Schichten und der damit einhergehenden Vertreibung der Bewohner – wird zum Aufhänger für einen hochexploitativen Action-Reißer, der vollkommen überspitzt jene Vorgänge auf die Leinwand bringt. Wenn man sich kritischer Zeitgenossen entledigt, werden keinerlei Gefangene gemacht; wer es wagt, die Stimme zu erheben oder Widerstand zu leisten, muss mit seinem baldigen Ableben rechnen. Die „General Constructions“ entsendet einen Herrn namens Floyd Wrangler, der noch einmal eine ganze Ecke fieser ist als „Hammer“ aus dem ersten Teil – eine Paraderolle für „Eisengesicht“ Henry Silva („Ocean’s Eleven“), der einmal mehr als Bösewicht ganz in seinem Element ist. Als Wrangler wird er beauftragt, die Räumung der Bronx voranzutreiben und sich nicht in die Suppe spucken zu lassen. Aus diesem Grunde verbündet sich Trash mit dem Bandenführer Dablone (Antonio Sabato, „Blutiger Schweiß“) und entführt zusammen mit dem Sprengstoffexperten Stryke (Giancarlo Prete, „Tag des Falken“) und dessen aufgeweckten Sohnemann (herzallerliebst: der achtjährige Alessandro Prete) den Präsidenten der „General Constructions“.

„Riffs II“ verläuft geradliniger und überraschungsärmer als sein Vorgänger, ist dafür aber unfassbar brutal und actionintensiv. Was mir bei meiner lange zurückliegenden Erstsichtung noch wie eine relativ stumpfe Ballerorgie erschien, entfaltete während meiner Zweitsichtung auf großer Leinwand seine ganze Qualität als Action-Feuerwerk mit dem gewissen Etwas, nämlich einer unheimlichen Konsequenz bei der Zurschaustellung äußerster Brutalität und Menschenverachtung in Bezug auf das Vorgehen bei der „Stadtteilbereinigung“. Ständig werden Menschen bei lebendigem Leibe verbrannt, in die Luft gejagt oder erschossen; nicht minder zimperlich setzt sich der Widerstand zur Wehr, die Verluste auf beiden Seiten sind enorm. Endgültig werden die Bronx-Bewohner nicht mehr als Menschen betrachtet, sondern als lästiges Ungeziefer, das beseitigt werden muss. Die Kamera hält auf all das voll drauf, manch kruder Splattereffekt ist die blutige Konsequenz. Unfreiwillig komisch wird es hin und wieder allerdings auch, beispielsweise wenn Helikopter durch simple Revolverschüsse zum Explodieren gebracht werden. Auch hat es manch Dialog in sich. All das verhindert, dass man „Riffs II“ allzu ernstnehmen kann und verleiht dem Treiben einen comichaft-übertriebenen Anstrich. Mark Gregory hat diesmal weniger Leinwandpräsenz, die Geschichte wurde weniger auf seine Rolle aufgebaut. Nichtsdestotrotz sorgt er für einen großen Wiedererkennungseffekt, auch wenn er die Überlegenheit ausstrahlende Aura des ersten Teils etwas eingebüßt hat.

Die unheimlich abgewrackten Kulissen des zerstörten Stadtbilds eignen sich hervorragend als Schauplatz für das Spektakel und sind in Ihrer Omnipräsenz eines der wichtigsten Stilmittel Castellaris, aus denen er eine Menge herausholt. Als man gegen Ende des Films irgendwann regelrecht abgestumpft ob der kriegerischen Szenen ist, läutet man zum richtigen Zeitpunkt das Finale ein, versäumte es aber leider, ein den Abläufen gerecht werdendes, spektakuläres Ende zu inszenieren. Es wirkt fast, als hätte man selbst nicht mehr so recht gewusst, wie man fürs finale Duell noch einen draufsetzen könnte und lässt Mr. Wrangler über die Klippe springen, als wäre er lediglich einer von vielen gewesen. Das wirkt ziemlich einfallslos und ist ein wenig enttäuschend für einen Film, der generell überdurchschnittliche Actionkost unter zumindest hinsichtlich der Geschichte weitestgehendem Verzicht auf typische US-Action-Klischees bietet, dem es aber verglichen mit dem Erstling auch etwas an Charme mangelt.

Re: bux t. brawler - Sein Filmtagebuch war der Colt

Verfasst: Di 13. Nov 2012, 12:58
von buxtebrawler
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Urlaub in der Hölle
Roger und Frank reisen mit ihren Freundinnen im Wohnwagen quer durch die USA. In einer abgelegenen Gegend machen sie Rast, um dort eine Weile zu bleiben und den Urlaub zu genießen. Plötzlich sehen sie in weiter Ferne ein großes Feuer, um das eine Gruppe verhüllter Menschen steht. Als sie sich dem Geschehen nähern werden sie Zeuge eines grausamen Rituals, bei dem eine Frau geopfert wird. Die vier werden entdeckt und können nur knapp entkommen. Doch fortan werden sie überall hin von Mitgliedern der mysteriösen Sekte verfolgt – kann es ein Entkommen geben?
„Urlaub in der Hölle“, auch bekannt unter unglaublichen deutschen Titel „Vier im rasenden Sarg“, ist ein Action-Thriller/Horrorfilm, der im Jahre 1975 unter der Regie des US-Amerikaners Jack Starrett („Schreit, wenn wir verrecken“) umgesetzt wurde. Zwei Paare treten einen gemeinsamen Urlaub an, einen USA-Trip im Wohnmobil. Während einer Rast werden sie zufällig Zeugen eines satanistischen Rituals, im Zuge dessen eine junge Frau ermordet wird. Die Sektenmitglieder bemerken die ungebetenen Beobachter und blasen zur Jagd auf selbige...

Den durch satanisch gesinnte Ex-Hippies hervorgerufenen Satanismus-Wahn der damaligen Zeit macht sich „Urlaub in der Hölle“ zu Eigen, indem er ein Opferritual zum Aufhänger für einen Genre-Mix aus Backwood-Thriller mit Horrorelementen und reinrassiger Action macht. Stilprägende Elemente des Films sind dabei die Backwood-typische Verfolgungsparanoia und rasante Verfolgungsjagden per Automobil inklusive hoher Blechschäden. Man lässt die vier Protagonisten die schmerzhafte Erfahrung machen, dass die Satansjünger eine ganze Region infiltriert und sich hinter der bürgerlichen Fassade breite Akzeptanz und Unterstützung gesichert haben, was verhindert, dass sich unsere Urlauber von Außerhalb jemals sicher fühlen können. Je mehr sie erkennen, dass sie niemandem trauen können und man ihnen gar nach dem Leben trachtet, desto mehr verfallen sie in Panik und verständliche Angst um ihr Leben. Das ist grundsätzlich der Stoff, aus dem Kultur-Clash-/Backwood-Thriller sind, deren Aushängeschild nach wie vor „The Texas Chainsaw Massacre“ sein dürfte. Das Problem jedoch ist, dass „Urlaub in der Hölle“ die Hintergründe lediglich höchst unzureichend beleuchtet und außer einer haarsträubenden Aztekenmumpitz-Geschichte mit keinerlei brauchbaren Informationen herausrückt, die die Vorgänge in irgendeiner Weise nachvollziehbar und glaubwürdig machen würden, so dass die angepeilte Wirkung rasch verpufft. Stattdessen ergeht man sich in ausgedehnten Verfolgungsjagden, die Freunde von „On the road“-Action sicherlich erfreuen dürfte, sich mir jedoch nicht als adäquater Ersatz für eine ausgetüftelte, mit Überraschungen gespickte Handlung darstellt.

Das ist schade, denn gerade die Momente der, wie sich leider allzu schnell herausstellen wird, vollkommen angebrachten Paranoia sind es, die die größte Stärke des Films ausmachen. Doch das ist zu wenig und vor allem zu geradlinig, zumal auch die Viererkonstellation der Verfolgten, bestehend aus Peter Fonda („Easy Rider“), Warren Oates („The Wild Bunch“), Loretta Swit („M*A*S*H - Mach's gut, leb' wohl und Amen“) und Lara Parker („Das Schloss der verlorenen Seelen“), kaum eine charakterliche Entwicklung durchläuft und in Anbetracht der bekannten Namen enttäuschend blass bleibt. Sie sollen unübersehbar Durchschnittstypen darstellen – und leider tun sie auch genau das. Die Rollenverteilung ist klassisch, in Bezug auf die weiblichen Hauptrollen sogar klischeebehaftet und rückwärtsgewandt, nehmen sie doch in erster Linie Opferpositionen ein. Grafisch bleibt „Urlaub in der Hölle“ wenig explizit, was in Ordnung geht – denn Blut und Innereien sind es nicht, woran es dem Film mangelt. Eher im Gegenteil: So sehr man sich in Einzelszenen auf die Erzeugung der paranoiden Stimmung verstand, so wenig macht man aus ihr, so wenig dockt man sie an möglicherweise weitere interessante Aspekte menschlicher Emotionen und Verhaltensmuster an. Statt auf einen Aha-Effekt, beispielsweise in Form eines gewitzten Plottwists, steuert man auf ein Action-Finale zu, das wie der gesamte Film zwar durchaus passabel zu unterhalten weiß, letztlich aber lediglich an der Oberfläche kratzt und mich mit dem unguten Gefühl zurücklässt, dass es dem Film an irgendetwas ganz deutlich fehlt: An Substanz nämlich. Schade um das vergebene Potential, das die Filmcrew offensichtlich nicht erkannt hat, sich stattdessen in Stereotypen wälzt und wichtige Fragen un- oder nur halbherzig beantwortet lässt sowie sich einer kleinbürgerlich-spießigen Sichtweise verdächtig macht, die jegliches Gespür für Ambivalenz, stimmungsvolle Mystik oder pointierten Grusel vermissen lässt. Aber Hauptsache, es scheppert ordentlich...

Re: bux t. brawler - Sein Filmtagebuch war der Colt

Verfasst: Do 15. Nov 2012, 21:56
von buxtebrawler
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Halloween – Die Nacht des Grauens
Der kleine Michael Myers bringt in einer finsteren Halloweennacht seine Schwester um. Viele Jahre später gelingt ihm die Flucht aus einem Sanatorium. Es ist wieder Halloween und in seiner Heimatstadt Haddonfield verfolgt Michael nur ein Ziel: Seine Schwester Laurie zu töten. Für seinen Therapeuthen Dr. Loomis, der die Gefahr erkennt, beginnt ein Wettlauf gegen die Zeit...
„Ich traf auf ein sechsjähriges Kind mit einem blassen, farblosen, emotionslosen Blick und den schwärzesten Augen – teuflischen Augen. (...) Ich wusste zu gut, was sich hinter diesen Augen verbirgt: Das absolut Böse.“

Nach „Dark Star – Finsterer Stern“ und „Assault – Anschlag bei Nacht“ drehte US-Regisseur John Carpenter seinen ersten Horrorfilm: Den legendären „Halloween – Die Nacht des Grauens“ mit einem erneut kargen Budget von lediglich rund 300.000 Dollar. Inspiriert von Hitchcocks Klassiker „Psycho“, Teenager-Psycho-Thrillern wie „Die Fratze“ und „Black Christmas“ sowie sicherlich dem einen oder anderen Giallo erschuf er DEN Prototypen eines sog. Stalk’n’Slash-Films und trat damit, bedingt durch den wirtschaftlichen Erfolg, im Jahre 1978 eine beispiellose Welle von Fortsetzungen, Plagiaten und seinerseits inspirierten Schlitzerfilmen los: die „Slasher-Welle“. 1984 von Wes Craven durch die „A Nightmare on Elm Street“-Reihe auf ein neues Level gehievt und in den 1990ern mit der „Scream“-Reihe publikumswirksam parodiert, ist diese Art von Film bis heute allgegenwärtig und nicht mehr aus dem Genre wegzudenken. Das wegweisende Original aber verfügt bis heute über eine Ausnahmestellung.

Im zarten Alter von nur sechs Jahren bringt Michael Myers in der Halloween-Nacht aus unbekannten Gründen seine ältere Schwester um und vegetiert die nächsten 15 Jahre in einer Heilanstalt vor sich hin, ohne jemals wieder ein Wort gesprochen zu haben. Im Jahre 1978 aber gelingt ihm überraschend die Flucht. Er sucht seinen Heimatort Haddonfield, eine verschlafene US-amerikanische Kleinstadt, auf, streift sich Overall und eine Halloween-Maske über und hat es auf die örtlichen Teenager abgesehen, unter ihnen Laurie Strode (Jamie Lee Curtis, „The Fog – Nebel des Grauens“), die in dieser Nacht als Babysitterin arbeitet. Sein Therapeut Dr. Lomis (Donald Pleasence, „Geschichten, die zum Wahnsinn führen“) ist ihm auf den Fersen, doch zunächst will ihm niemand so recht Glauben schenken. Ein tödlicher Irrtum...

Bereits die Eröffnungssequenz ist stilprägend: Carpenter setzt auf subjektive Kameraführung, die sog. Point-of-View-Perspektive. Im Zusammenspiel mit einer langsamen, an die ruhige Gehgeschwindigkeit Myers angepassten Kamerafahrt entfaltet sich so eine geheimnisvolle, Unwohlsein erregende Stimmung, die sich durch den gesamten Film ziehen wird. Im Verlauf des Films verwendet Carpenter immer wieder POV-Beobachtungsperspektiven, Myers selbst sieht man lange Zeit nur von hinten, zunächst gar lediglich dessen Schulterpartie. Obwohl man weiß, dass es sich um Myers handelt, umgibt ihn dadurch eine Aura des Unbekannten, des unheimlichen Fremden. Zudem wird der Eindruck einer hünenhaften Statur erweckt, was automatisch mit Gefahr und Kraft assoziiert wird. Sieht man Myers dann endlich vollständig in Nahaufnahme, bewirkt die steife, beigefarbene Maske, durch die man sein schweres, gleichmäßiges Atmen hört, im Zusammenhang mit seiner Emotionslosigkeit eine Entmenschlichung seiner Person, die entscheidend ist für die Wirkung des Films und ihn damit klar dem Horrorgenre zuordnet. Michael Myers wird zu einem Synonym für „den schwarzen Mann“, für das motivlose, nicht erklärbare abgrundtief Böse. Psychologische Hintergründe des Antagonisten entfallen komplett. Myers wird zu einem Phantom, das seine späteren Opfer zunächst nur schemenhaft wahrnehmen, wenn es regungslos an Straßenecken oder Hecken steht und mit dem nächsten Augenblinzeln schon wieder verschwunden ist – so dass sich die Protagonisten fragen, ob sie „Gespenster sehen“. Eine klassische, oft kopierte Szene ist die, in der Laurie auf der Schulbank sitzt, gedanklich abschweift und Myers kurz durchs Fenster beobachtet.

Generell kann „Halloween“ – nicht nur in Hinblick auf sein Budget – als Film der wirkungsvollen Minimalismen bezeichnet werden. Die Hintergrundgeschichte ist auf ein Minimum reduziert, die Handlung schnell erzählt. Dennoch (oder gerade deshalb?) gelingt es Carpenter, frei von jeglichem Prätentiösen, unter quasi völligem Verzicht auf grafisch explizite Gewaltszenen, Blut und aufwändige Spezialeffekte, ein Maximum an Spannung und Grusel zu erzeugen. „Halloween“ erscheint nicht undurchdacht oder unoriginell, sondern aufs Wesentliche heruntergebrochen. Dazu passt auch ganz wunderbar sein von ihm selbst komponierter Soundtrack, eine simple Elektronik-Melodie, die die gespenstische Ruhe des Films immer wieder unterbricht und in ihrer Erinnerungswürdigkeit so stark nachwirkt, dass man sie, ganz gleich, wo und in welchem Zusammenhang sie erklingen mag, nach wenigen Tönen unmittelbar mit „Halloween“ in Verbindung bringt. Was vielen anderen nicht glückt, nämlich eine reduzierte, mehr Fragen aufwerfende als beantwortende Handlung in sich schlüssig, geheimnisvoll-mystisch und unwohlig-gruselig zu präsentieren, leistet Carpenter mit Bravour. Durch die Kombination aus Szenendramaturgie, Bildaufbau und Musik holt er aus seiner Prämisse heraus, was es herauszuholen gibt. Carpenters Intention, das unfassbare, unerklärbare, motivlose und schon gar nicht therapierbare Böse in eine Allerwelt-Mittelklasse-Familie einer idyllischen Kleinstadt hineinzugebären geht nicht nur auf, sondern ist maßgeblich verantwortlich für die schockierende Wirkung von „Halloween“, der den Schrecken zurückbrachte in das zum kitschigen Kostümfest mutierte Fest des keltisch-stämmigen Samhains und an dessen ursprüngliche Mythologie erinnerte.

Doch auch „Halloween“ verfügt über wohldosierten Humor, der sich in erster Linie aus den schnippischen Backfischen ergibt, die neben Dr. Loomis durch die Handlung führen. Die Rollenverteilung sollte sich dabei ebenso klassisch auf das Genre auswirken wie vieles andere: Laurie als vernunftbetonteste und sexuell zurückhaltendste junge Frau der Clique, zu der u.a. P.J. Soles (Riff Randell aus „Rock’n’Roll Highschool“) und Nancy Kyes (ironischerweise unter ihrem Pseudonym Nancy Loomis, „Assault - Anschlag bei Nacht“) zählen, überlebt bis zum Schluss, wurde „Final Girl“ und „Scream Queen“ und verhalf ihrer Rolle als starke, wehrhafte Jugendliche mit ihrer Ausstrahlung und ihrem Talent zu einem zusätzlichen Schuss Charakteristik. Dass es sich bei ihr um die Tochter von „Psycho“-Schauspielerin Janet Leigh handelt, lässt sich einen weiteren Kreis schließen. Eine ebenso glückliche Besetzung war die Verpflichtung von Donald Pleasence, der seine Rolle weniger im Stile eines Therapeuten als vielmehr in einer Mischung aus Privatdetektiv, Unheilsboten und besessenem, getriebenem Kauz spielt und wichtigen Dialogen den nötigen Nachdruck verlieht. Da verzeiht man gern, dass ein Teil der Kinderdarsteller nicht ganz ohne Nervfaktor auskommt, insbesondere in der deutschen Synchronisation. Im nervenaufreibenden Finale kämpft Laurie ums nackte Überleben, bis der Film nach seinem scheinbaren Ende den wahren Schluss offen lässt, woran die erste Fortsetzung direkt anknüpft und die Mythologie der Filmreihe fortsetzt.

Fazit: John Carpenter hat alles richtig gemacht. Er destillierte aus verdienten Vorbildern den Psycho-Thrill, rührte ihn mit einigen deftigen Zutaten des Suspense-Horrors neu an, warf sein Geschick für das Erzeugen filmischer Atmosphäre bei wenigen zur Verfügung stehenden Mitteln in die Waagschale und schuf damit den Archetypus des in Serie gehenden Slashers sowie mit Michael Myers eine DER Genreikonen schlechthin und erschreckt, fasziniert und inspiriert sein Publikum mit „Halloween – Die Nacht des Grauens“ bis zum heutigen Tage. Nicht ohne Grund zählen Slasher dieser Sorte bis heute zu meinen absoluten Favoriten, wenn es um nicht allzu anspruchsvolle, verhältnismäßig geradlinige, doch in ihrer Simplizität bestechende, spannende und im Falle charismatischer Zentralfiguren sich fest im Gedächtnis verankernde Horrorkost geht. Nettes Trivium: In der Halloween-Nacht des Films läuft Howard Hawks‘ „Das Ding aus einer anderen Welt“ im TV – jener Stoff, mit dessen Neuverfilmung John Carpenter einige Jahre später ein fulminantes, effektreiches Science-Fiction-Horror-Spektakel kreieren sollte. Aber das ist ein anderes Thema.

Re: bux t. brawler - Sein Filmtagebuch war der Colt

Verfasst: Sa 17. Nov 2012, 23:00
von buxtebrawler
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Der 4D Mann
Nachdem sein Labor in Flammen aufgegangen ist, sucht Dr. Tony Nelson (James Congdon) nach einer neuen Möglichkeit, seine Experimente mit der Molekularstruktur von Gegenständen fortzusetzen. In einem Forschungsinstitut, in dem auch sein Bruder Scott (Robert Lansing) als erfolgreicher Wissenschaftler arbeitet, wird er mit offenen Armen empfangen. Doch zwischen den beiden Brüdern entsteht bald großes Konfliktpotential. Denn Scott, der seiner hübschen Assistentin Linda (Lee Meriwether) einen Heiratsantrag machen wollte, muss erkennen, dass diese sich in Tony verliebt hat. Und als Scott in seiner Enttäuschung auf eigene Faust versucht, die geheimen und gefährlichen Experimente Tonys näher zu untersuchen, führt dies zu einer fatalen Veränderung in Scotts eigener Molekularstruktur...
„Kannst du nicht aufhören, zu töten?“ – „Ich könnte.“ – „Dann tu es bitte.“

Der US-Amerikaner Irvin S. Yeaworth Jr. war schon ein Unikum – eigentlich war er ein Pastor, der christliche Lehrfilme drehte. Doch anstatt Science-Fiction- und Horror-Themen zu meiden wie der Teufel der Weihwasser, drehte er Ende der 1950er-Jahre für Produzent Jack H. Harris drei Low-Budget-Science-Fiction-Movies, von denen insbesondere einer, „Blob – Schrecken ohne Namen“, Kultstatus erlangte und meines Erachtens mit zum Besten gehört, was das Genre seinerzeit zu bieten hatte. Auf diesen folgte im Jahre 1959 der Film „Der 4D Mann“, ein Mad-Scientist-Science-Fiction-Thriller.

Atomphysiker Dr. Tony Nelson (James Congdon, „Der jüngste Tag“) experimentiert mit der Molekularstruktur von Gegenständen. Nachdem bei einem seiner Versuche sein Labor niederbrannte, wird er im Forschungsinstitut „Fairview“, in dem auch sein Bruder Scott (Robert Lansing, „In der Gewalt der Riesenameisen“) arbeitet und das an „Carsonit“, einem extrem dichten, harten Metall forscht, aufgenommen. Dort setzt er seine Versuche erfolgreich fort: Es gelingt ihm, eine Methode zu entwickeln, feste Materialien mit weicheren Stoffen zu durchdringen, ohne sie dabei zu beschädigen. Schnell erkennt er aber die Gefahr, die seine Entdeckung mit sich bringt, und bricht die Versuchsreihe ab. Frustriert davon, dass Tony mit seiner attraktiven Freundin und Assistentin Linda (Lee Meriwether, Catwoman in „Batman hält die Welt in Atem“!) anbändelt, beschäftigt er sich heimlich mit Tonys Experimenten und stellt fest, dass er mit Hilfe der Forschungsergebnisse und durch Kontakt mit dem atomaren Schmelzofen sich selbst in die Lage versetzen kann, durch feste Materie hindurchzugreifen und sie sogar physikalisch zu durchschreiten. Die sich ihm dadurch eröffnenden Möglichkeiten nutzt Scott intensiv, muss jedoch die bittere Erfahrung machen, dass sie derart große körperliche und mentale Anstrengungen erfordern, dass sein Alterungsprozess rapide voranschreitet. Die einzige Möglichkeit, sich zu regenerieren: Er muss die Lebensenergie anderer Menschen abzapfen…

Wie auch der „Blob“ wurde „Der 4D Mann“ für einen Film dieser Art ungewöhnlicherweise komplett in Farbe gedreht, womit man seinerzeit bereits die Aufmerksamkeit des Publikums für sich gewonnen haben dürfte. Lange Zeit verbringt man jedoch damit, die einzelnen Rollen genauestens zu charakterisieren, was prinzipiell nichts Schlechtes ist, hier jedoch in Form einer unheimlichen Fülle an teils redundanten, teils ermüdenden Dialoge geschieht. So vergeht viel – zu viel – Zeit, bis „Der 4D Mann“ an Fahrt gewinnt. Die Spezialeffekte sodann können sich mehr als nur sehen lassen, sie wurden auf faszinierende Weise und technisch sauber umgesetzt, womit sie das Herzstück des Films darstellen. Doch auch die eigentliche Handlung hat weitaus mehr zu bieten als Füll- und Streckwerk. Es ist die Geschichte eines ungleichen Bruderpaars, die nach anfänglichem gegenseitigem Respekt geprägt ist von Konkurrenzkampf, Eifersucht und Neid – menschliche Eigenschaften, die im Zusammenhang mit der Macht über tödliche Technologien sich noch viel gefährlicher auswirken können, als sie es ohnehin schon sind. So ist folgerichtig ein weiterer Aspekt des Films die Verantwortung im Umgang mit dem technischen Fortschritt, die aus unterschiedlichen Perspektiven und nicht nur bezogen auf die „Vierdimensionalität“ beleuchtet wird. Die inhaltliche Stärke dieses Subplots entschädigt ein Stück weit für die schleppende, dramaturgisch ungeschickte Inszenierung.

Auch hat man es mit überdurchschnittlich talentierten Schauspielern zu tun, die dem naturgemäß tendenziell oftmals eher trashigen, pseudowissenschaftlichen Treiben Ernst und Glaubwürdigkeit entgegensetzen und mit ihrer verglichen mit anderen „B-Movies“ anspruchsvolleren Charakterisierung nicht überfordert sind. Mit seinen beengten Kulissen, die man an einer Hand abzählen kann, kann „Der 4D Mann“ seine Zugehörigkeit zum Billigspektrum des Genres jedoch nicht verleugnen; auch dann nicht, wenn sie knalligen Bonbonfarben präsentiert werden. Die modernistische Variation der altbekannten Vampir-Thematik aber weiß zu gefallen und wurde gleichberechtigt neben den technologischen Phantastereien angesiedelt. Ein wahrhaftig dramatisches Finale mit viel Tragik und einem beim Regisseur offensichtlich beliebten offenen Ende rundet den Film positiv ab und sollte zumindest die Freunde dieser Filme weitestgehend befriedigen. Fragwürdig vielleicht, in jedem Falle der Entfaltung einer düster-mystisch-atmosphärischen Stimmung nicht sonderlich zuträglich, jedoch recht kurios ist der beschwingte, jazzige Soundtrack, der mit seinem Pauken und Trompeten mitunter arg dominant ertönt.

Fazit: Ein sehenswerter Science-Fiction-Film der alten Schule mit einigen originellen und ungewöhnlichen Ideen, der einen gewissen Anspruch verfolgt und seine Stärken besonders im visuellen Bereich vorzuweisen hat, jedoch leider über weite Strecken recht behäbig inszeniert wurde und letztlich dann doch zwei Ligen unter dem „Blob“ spielt.

Re: bux t. brawler - Sein Filmtagebuch war der Colt

Verfasst: Mo 19. Nov 2012, 21:47
von buxtebrawler
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Obsession – Besessene Seelen
Die junge Jenny wird von einem reichen aber auch finsteren Mann angeheuert dessen zwei Kinder auf dem abgelegenen Familienanwesen zu unterrichten. Kurz nach ihrer Ankunft merkt die Privatlehrerin, dass nicht alles mit rechten Dingen zugeht. Langsam verfestigt sich bei ihr der Eindruck, dass die Kinder von den Geistern des bösen Quint und dem früheren Kindermädchen Miss Jessel besessen zu sein scheinen. Zu Lebzeiten unterhielten Quint und Miss Jessel eine zum Teil perverse Liebesbeziehung bevor sie auf grausame Weise ihr Leben verloren...
„Wenn Sie etwas sehen, was mit allen logischen Regeln in Widerspruch steht, aber trotzdem da ist, fangen Sie an, sich Fragen zu stellen...“

„Obsession – Besessene Seelen“ aus dem Jahre 1992 ist nach „Schloss des Schreckens“ (1961, mit Deborah Kerr) die zweite Verfilmung der Novelle „The Turn of the Screw“ (Michael Winners Prequel „Das Loch in der Tür“ nicht mitgerechnet) aus dem Jahre 1898 des US-amerikanischen Schriftstellers Henry James. Der in britisch-französischer Koproduktion entstandene Film ist der zweite der zusammen mit einer weiteren Literatur-Adaption, „Die Reise zum Mittelpunkt der Erde“, nur zwei Beiträge umfassenden Filmographie des Regisseurs Rusty Lemorande.

Die junge Frau Jenny (Patsy Kensit, „Absolute Beginners“) wird vom vermögenden, aber unabkömmlichen Vormund der Kinder Miles und Flora engagiert, sich als Privatlehrerin und Kindermädchen auf dem abgelegenen Landsitz, auf dem die beiden zusammen mit der Haushälterin Mrs. Grose (Stéphane Audran, „Spider Labyrinth“) leben, um sie zu kümmern. Doch schon kurz nach ihrer Ankunft wird sie Zeugin eigenartiger Phänomene. Bald glaubt sie, dass die Geister der verstorbenen früheren Bediensteten Quint und Miss Jessel ihr Unwesen treiben und negativen Einfluss auf die Kinder ausüben…

Vergleiche mit der mir lediglich durch eine Inhaltsangabe und unterschiedliche Interpretationsansätze bekannten Literaturvorlage stelle ich aus gutem Grunde nicht an, ebenso wenig mit „Schloss des Schreckens“, da ich „Obsession – Besessene Seelen“ als eigenständige Verfilmung betrachte. Diese versucht sich auch direkt zu Beginn durch eine zeitliche Neueinordnung von den Vorlagen abzusetzen, indem sie während des noch in Schwarzweiß gedrehten Prologs eine alte Dame (Marianne Faithfull, „Intimacy“) in der Gegenwart aus Tagebucheinträgen Jennys zitieren lässt. Der Film fungiert demnach als eine Rückblende in die 1960er-Jahre, in denen die Haupthandlung angesiedelt wurde. Diese Erzählerin kommentiert fortwährend immer mal wieder die Geschehnisse aus dem Off. Ihre Identität wird im Epilog gelüftet.

„Obsession – Besessene Seelen“ präsentiert sich als eine Mischung aus Mystery-Drama und klassischem Grusel mit Gotik-Anleihen – und ist optisch sehr durchdacht und geglückt. Zeitweise bewegt man sich fast in Richtung künstlerischer Kubrick-Optik, arbeitet mit ebenso prachtvollen wie effektiven Ausleuchtungen und entsprechenden Farbkontrasten. Neben Aufnahmen des Ambientes, die immer dann besonders beeindruckend sind, wenn sie Weitläufigkeit und Tiefe aufweisen oder Architektur übermächtig erscheinen lässt, wird relativ häufig auf die Gesichter der Protagonisten gezoomt und insbesondere die Augenpartie der attraktiven Patsy Kensit betont in Szene gesetzt. Ihre großen, verzweifelt aufgerissenen Augen spiegeln mehr Schrecken wider, als der Zuschauer eigentlich zu sehen bekommt. Die 60er-Dekade indes wird in der Retrospektive beinahe überstilisiert, fast karikiert, um als Kontrast zum Landleben auf dem Anwesen herzuhalten, wo die Zeit stehen geblieben zu sein scheint. Großteile des Films wurden unterlegt mit sanften Klaviermelodien, die sich wohldosiert abwechseln mit wunderbar atmosphärischen dramatischen Klängen, in denen Glockengeläut zum dominanten Element wird.

Auf der Traumebene begegnet Jenny Quint und wird Zeugin seines Treibens; unpassenderweise zeichnete man ihn leider als weichzügigen Schönling, was zumindest bei mir – nicht unbefangen durch Kenntnis von Erstverfilmung und Prequel – nicht so recht mit der imaginären Vorstellung seiner Person korrespondieren will. Die sexuelle Aufgeladenheit der Vorgeschichte um Quint und Miss Jessel und die Rolle, die die Kinder dabei spielten, bleibt weitestgehend angedeutet und wird kaum provokativ oder offenherzig eingesetzt, beflügelt dafür jedoch die Phantasie des Rezipienten – auch dank einiger gruseliger Motive und Details. Als dramaturgische Unbeholfenheit möchte ich „Obsession – Besessene Seelen“ aber ankreiden, dass Jenny und Mrs. Grose wenig nachvollziehbar bereits zu einem frühen Zeitpunkt als gegebenen Fakt hinnehmen, dass Quint und Miss Jessel als Geister durchs Gemäuer spuken. Insbesondere Jennys Abdriften in den Wahnsinn – denn diese Frage nach Wahn oder Wahrheit stellt der Film, und zwar recht geschickt – hätte eines sorgfältigeren Aufbaus bedurft. Doch statt eine Vielzahl auf verschiedene Weise gruseliger Geistererscheinungen auf Jenny respektive das Publikum loszulassen, lässt man sie in Form eines „Running Gags“ sich ständig vor der Haushälterin erschrecken und löst somit etwas sehr häufig falschen Alarm aus – von dem ich bezweifle, dass er so humoristisch intendiert war, wie er auf den Betrachter wirkt. Letztendlich wirkt „Obsession – Besessene Seelen“ trotz seiner passablen bis überzeugenden Schauspieler und seiner visuellen Pracht mitunter doch arg rührselig und melodramatisch, weshalb ich mir eine noch stärkere Verortung im Horrorbereich oder aber eine stärkere Hervorhebung des Psycho-Thriller-Aspekts gewünscht hätte. Ich gebe aber zu, dass diese Auffassung mit einer etwas fehljustierten Erwartungshaltung zusammenhängen kann, weshalb ich beizeiten gern eine Zweitsichtung einräumen werde. Das dramatische Finale jedenfalls wirft sämtliche Zutaten noch einmal munter zusammen, die bösartige Pointe droht dabei etwas unterzugehen.

Fazit: Wenig bekannte, doch interessante Neuverfilmung eines Klassikers mit vielen Stärken, jedoch auch einigen inhaltlichen Schwächen. Nichtsdestotrotz ein kleiner Genuss für Freunde des etwas sanfteren, wohligen Grusels mit zum Nachdenken und Interpretieren einladender psychologischer Komponente, deren mehrere Auslegungsmöglichkeiten sich evtl. nicht sofort erschließen.