Überseefestival
Hansator Bremen
25./26.August 2017
Nach drei Jahren Pause fand wieder einmal das Überseefestival statt. Organisiert wird dieses von der Musikszene Bremen e.V. und wurde rund um das alte Zollgebäude in der Bremer Überseestadt veranstaltet. wie man in der Presse lesen konnte, war das Überseefestival in der letzten Ausgabe recht groß geworden und von Nicht-Bremer-Bands dominiert. Dann gab es wohl noch einige Animositäten im Verein und dann war erstmal Schluss. Mit neuer Vereinsführung hieß es dann scheinbar "back to the roots", das Ding wurde kleiner und nur von Bremer Bands (von denen die meisten praktischerweise ihre Übungsräume im alten Zollgebäude haben) bestritten. Da hatten sich dann so viele Band beworben, dass es sogar noch an anderer Stelle zwei "Warm-Ups" gab, um wenigstens einen Teil der Bands noch unterbringen zu können. Die verbleibenden 20 - ich nenne sie mal "Hauptacts" - (plus zwei Schüler-Jazz-Bands) spielten dann an zwei Tagen auf drei Bühnen.
Ich hatte mich schon lange auf das Überseefestival gefreut, da ich nicht nur eine Band schon näher kannte, sondern es mir selber zur Aufgabe gemacht habe, interessante Bremer Bands für mich zu entdecken, und wenn es geht zumindest durch Vinyl/CD-Käufe zu unterstützen. Da draußen gibt es wirklich so viel gutes Zeuges von Bands, die nie so richtig bekannt werden, obwohl sie absolut großartig sind - da blutet mir immer das Herz. Besonders, wenn man hört, was sich so in den Charts tummelt.
Ich war so richtig nur am Freitag da und bin immer noch schwer begeistert von der sehr, sehr hohen Qualität dessen, was da geboten wurde. Die Musik war auch sehr vielfältig und reichte an den zwei Tagen bunt gemischt von Indie-Pop über Punk bis zu Death Metal.
Von der ersten Band MONKEY FIST – Bühne „Hansator“ - bekam ich nicht so viel mit, da ich noch außerhalb des Festivalgeländes auf einen Freund wartete. Die letzten zwei-drei Songs dieser Stoner-Rock-Band habe ich dann noch hören können, aber richtig hängengeblieben ist da leider nichts. Ich war allerdings auch noch nicht richtig angekommen. Die Musik war hart und groovy, aber der Gesang war nicht so meins. Was auch an der "Bühnenshow" des Sängers lag, der entweder da schon ziemlich besoffen war oder den prolligen Trailerpark-Redneck geben wollte. Fand ich etwas aufdringlich. Müsste ich mir aber noch mal in einer ruhigen Minute anhören.
Die nächste Band auf der „Rampe“-Bühne blies mich dann förmlich weg. Okay, wegblasen weckt jetzt falsche Assoziation. MASTERS AND THIEVES spielen "Neo Soul". Ja, Soul-Spuren gab es, aber das Ganze war sehr hübsch mit Indie-Pop aus der etwas schrägeren Ecke gemischt. Die hervorragende Sängerin erinnert mich in den höheren Passage ganz leicht an Björk, wobei der Vergleich hinkt. Eine schöne, einprägsame Stimme, die sowohl die tieferen, als auch die höheren Töne beherrscht. Dazu spielte sie Keyboard und auch mal die Querflöte. Die Rhythmus-Gang, bestehend aus Bass und Schlagzeug machten gut Druck, wo Druck hingehört - konnten aber auch in den ruhigeren Passagen überzeugen. Ass im Ärmel war die "Computerfraktion". Ein junger Mann, der seinem Laptop einige schräge, atmosphärische und immer auf den Punkt passende Töne entlockte, die das (eh schon gute) Material der Band noch einmal deutlich aufwertet, und im Zusammenspiele einen ganz eigenständig-/-willigen Sound mit hohem Wiedererkennungswert zauberte. Tolle Band, tolle Sängerin - behalte ich im Auge. In einer besseren Welt sollte einer steilen Karriere eigentlich nichts im Wege stehen. Blöderweise ist die Welt nicht besser. Auf der Facbookseite kündigte die Band nach dem Konzert dann auch leider an, dass die Sängerin krankheitsbedingt für die nächsten Monate ausfällt. Aber die Band will jetzt wohl die bereits fertigen Aufnahmen demnächst veröffentlichen. Ich hoffe MASTERS AND THIEVES bleibt am Ball und man wird noch von ihnen hören.
Ebenfalls super waren ECHOSCHLEIFE, eine Deutsch-Pop-Punk-Band um Elli, der ehemalige Gitarristin und Mitgründerin der legendären Mimmi's. Schnelle, ins Tanzbein gehende und eingängige Musik zwischen Punk und Pop mit intelligenten deutschen Texten und der aggressiv-sarkastischen Stimme von Elli. Das macht Laune und lädt schnell zum Mitgröhlen ein. Leider, leider, leider war der Auftritt auf der „Hanastor“-Bühne von technischen Problemen geprägt, da ständig über mehrere Minuten hinweg der Strom ausfiel. Die Band nahm das aber locker, lies sich die gute Stimmung nicht verderben und meinte dann, sie würden jetzt die restlichen Songs einfach dreimal so schnell spielen, da der Zeitplan der Veranstaltung sehr eng gesteckt war. Höhepunkt war dann das letzte Stück "Keine Party" mit dem Sänger von "The Bernie and the Jörgi" (die Band habe ich neulich mal auf Youtube entdeckt und möchte ich auch demnächst mal live sehen) als Überraschungsgaststar. Boah, was für eine Rampensau. Trotz des Songtitels war das Party pur und die Stimmung wunderbar am Kochen. Ganz toll! Auch hier: Werde ich werde beobachten.
Danach ließen wir es locker angehen. Rüber zur "Rampe"-Bühne, wo die Sieger des Local Hero Wettbewerbs auftraten. PAD UND DIE WASCHBÄRENBAND lieferte leider so deutschsprachigen Betroffenheits-Weltschmerz-Indie-Schmuse-Pop den ich so überhaupt gar nicht mag. Als Begleitmusik beim Pissen war das okay, aber mehr wollte ich davon nun wirklich nicht hören. Also schnell weiter in die Zollkantine, wo das Deep-House-Duo DARE auftrat. Das war dann elektronische Musik mit schönen Soundscapes und eine an James Blake/Jimmy Woon Stimme. Später nahm er noch eine Mandoline oder Ukulele (ich kenne mich da nicht so aus, eine kleine Gitarre halt) dazu, was sehr schön klang. Leider war die überfüllte, stickigen Zollkantine in der eine ständiges Kommen und Gehen und Geschnatter herrschte, nicht der ideale Ort für sowas. In einem gemütlichen Club hätte mich das sicherlich weitaus mehr mitgerissen. Da bald auch schon bald am Hansator weitergehen sollte, bleiben wir nicht lange.
Kommen wir zum Höhepunkt des Abends: VLADI WOSTOK! Wow, wow, wow! Russian Surf nennt sich das, was die machen. Ich möchte das mal als gesunder Mischung aus Rockabilly, Punk, Ska, Surf und russischen Volksweisen nennen. Was für ein Auftritt. Der Sänger, der mich stark an eine explosive Mischung aus Falco und Iggy Pop erinnerte, war der Hammer! Am Anfang trat er noch im engen Trenchcoat und City-Cobra-Sonnenbrille auf, der Trenchcoat wurde dann aber bald abgelegt, um den muskulösen, nackten Oberkörper zu entblößen. Und, alter Schwede, was legte der für eine Show hin. Das hat keinen ganzen Song gedauert, bis Vladi Wostok das Publikum fest im Griff hatte. Die (fast ausnahmslos in Russisch vorgetragen) Stücke luden aber auch zum Abfeiern und Herum-Pogen ein. Dazu noch dieses gewaltige Charisma des Sängers (nebst wirklich witzigen, russische-radegebrochenen Ansagen) – da kochte das Hanasator. Aber auch sonst gab es bei Vladi Wostok musikalisch nichts zu meckern. Eingehende Rhythmen, mal schnell, mal hart, mal groovy, mal fast schon mit Schunkelcharakter – und immer durchweht mit einer gewissen russischen Melancholie. Großartig. Da konnte ich gar nicht anders, als hier und da mal ein Live-Stream dieses grandiosen Auftritts via Facebook in die Welt zu blasen. Im Publikum gab es anschließend nur glückliche Gesichter. Mein Kumpel und ich sagten beide daraufhin unisono: „Oh Mann, nach so einem Tornado würde ich jetzt nicht auftreten wollen“. Was mir im Herzen schon etwas weh tat, kannte ich doch die Band die danach noch das Hansator rocken sollte.
Da es bis dahin noch ein paar Minuten dauerte, schlichen wir wieder zur Rampe rüber, wo WE HAD TO LEAVE noch spielten. In deren melancholischen, an Bands wie Editors oder Interpol erinnernden Indie Rock Elektro-Sound kamen wir nach dem Vladi-Wostok-Flash aber gar nicht mehr rein. Eigentlich mag ich ja die Musik der oben genannten Referenzbands, aber nach Vladi Wostok kam mit das plötzlich lasch und farblos vor. Eine sicherlich ungerechte Bewertung, die unter anderen Umständen sicherlich anders ausgefallen wäre. Da muss ich nochmal irgendwann ran.
Am Hansator machten sich dann WARAN an die schwere Aufgabe, nach Vladi Wostok nochmal dem Publikum einzuheizen. Und wie ich am nächsten Tag vom Sänger erfuhr, hatte die Band auch einen Klos im Hals. Was aber völlig unbegründet war, denn WARAN rockten los als gäbe es kein morgen. Ich hatte die ja schon vor einigen Monaten in der Zollkantine gesehen und für gut befunden. Aber hier übertrafen die sich noch einmal um ein vielfaches. Ein fürwahr großartiger Gig, der noch einmal alle Lebensgeister in dem erschöpften Publikum weckte. Da ging es dann vor der Bühne gut her. Waran spielen „Crashcore“ (mir ein völlig neuer begriff). Harte, sehr aggressive Musik, die allerdings nicht stumpf drauflos brettert, sondern durch sehr coole Hooks und eine gekonnte, gleich ins Ohr gehende Melodieführung gefällt. Die verzweifelt gebrüllten Lyriks stammen von einem – mittlerweile gestorbenen – Obdachlosen, der sie dem Sänger vor Jahren mal in die Hand gedrückt hatte. Sehr hörenswert! Überhaupt war der aggressive Gesang gegenüber den letzten Gig um einiges besser. Da saßen jetzt auch die etwas höheren Töne, der Ausdruck war variantenreicher und man konnte die Texte auch sehr viel besser verstehen, ohne, dass die Aggressivität darunter litt. Tolle Band,absolute Empfehlung da mal rein zuhören. Ich hoffe, da kommt bald mal was auf Vinyl. Wie ich aus zuverlässiger Quelle weiß, ist damit aber nicht vor 2018 zu rechnen.
Danach ging es dann erschöpft, aber glücklich nach Hause.
Am nächsten Tag war ich um 15:00 Uhr auch wieder beim Überseefestival, diesmal allerdings mit der ganzen Familie. Ich wollte gerne die beiden sehr jungen Jazz-Bands hören, die dort vor – viel zu wenig – Publikum spielten. Meine Güte, fühlte ich mich da alt. Die Jungs waren schätzungsweise so um die 15/16, beherrschten ihre Instrumente aber bereits wie die alten. Sehr gut hat mir die erste Band, THE MINOR PRINCIPLE, gefallen, die vor allem eigene Sachen spielten, die sich stark an e.s.t. Anlehnten, aber durchaus eine eigene Note hatten. Sympathisch und mit viel Freude bei der Sache. Die zweite Band waren SWANK THING, die Covers und Standards spielten, einen etwas volleren Sound hatten (auch durch das Saxophone), aber auch bei aller Perfektion, „gewöhnlicher“ waren. Da verloren sie mich irgendwann und ich kümmerte mich mehr um meine Kinder, als um die (Hintergrund)Musik.
Da zwischen 16:45 und 18:00 sonst nichts los war, zogen wir uns mit den Kindern und einigen Kindergarteneltern, die wir getroffen hatten in eine Ecke bei der Rampe zurück, wo die Kleinen am Herumtoben waren. Ab und zu hörte man eine mal eine Soundprobe (PAUL klang ganz vielversprechend) und eine Trio namens GISBERT UND DER HASE hatte sich „eingeschmuggelt“. Ein Trio bestehend aus einer Akkordionspielerin, einem Sänger/Gitarristen und einem Saxophonspieler. Die Musik würde ich mal als Pub-Mucke beschreiben. Der Sänger hatte eine angenehm raue „irische“ Stimme und der Saxophonist machte den kleinen Teufel, der überall plötzlich auftauchte. Beide spielen auch bei den NORDIC ASHTRAYS, die laut Lokalzeitung wohl abends ziemlich die Hütte haben brennen lassen. War nett. Dann ging es an IVANCA, die gerade am Hansator zu spielen begonnen hatten, mir aber von dem Bisschen, was ich mitbekommen habe, zu konventionell klangen, vorbei ab nach Hause.
Insgesamt eine sehr runde Sache, die mit einigen exotischen Leckereien und insgesamt guter Verpflegung sehr gut organisiert war. Die Stimmung war super, extrem positiv und sehr friedlich. Nirgendwo gab es Stress oder irgendwelche Misstöne. Schön, dass so etwas möglich ist. Ich freue mich jedenfalls schon auf eine Neuauflage und werde jetzt mal die von mir gelobten Bands im Auge behalten.