bux t. brawler - Sein Filmtagebuch war der Colt

Euer Filmtagebuch, Kommentare zu Filmen, Reviews

Moderator: jogiwan

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Re: bux t. brawler - Sein Filmtagebuch war der Colt

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Er kam nur nachts
Howard Trent (Hayden Rorke) ist unzufrieden mit seinem Eheleben. Alle Anzeichen deuten darauf hin, dass seine Frau Irene (Barbara Stanwyck) ihn betrügt. Ihr Reden im Schlaf ist genauso verräterisch wie ihre Art, mit ihm zu sprechen. Es bedarf für den erblindeten Gatten keine Augen, um daraus die entsprechenden Schlüsse zu ziehen. Doch wie es das Schicksal will, kommt Howard in einer gigantischen Explosion ums Leben, nachdem er seine Frau zur Rede gestellt hat. Irene sieht sich daraufhin einem wahren Alptraum ausgesetzt: Die Träume, in denen sie ihren Mann betrog, wandeln sich mit einem Mal zur Horrormähr, in welcher ihr verstorbener Mann sie grausam entstellt aufsucht. Irene ist gefangen in einer Spirale aus Fiktion und Realität. Sie sucht Hilfe bei ihrem Anwalt Barry Moreland (Robert Taylor). Kann der ehemalige Vertraute Howard Trents seiner Witwe dabei helfen, der Spirale zu entkommen?
Nachdem der berüchtigte Regisseur und Gimmick-Freund William Castle „Die Zwangsjacke“ mit Hollywood-Diva Joan Crawford abgedreht hatte und mittlerweile mit Fug und Recht als Experte für laut polternde, liebenswerte und unterhaltsame US-B- bzw. -Low-Budget-Movies galt, verfilmte er mit „Er kam nur nachts“ im Jahre 1964 ein weiteres Drehbuch des „Psycho“-Autors Robert Bloch. „Er kam nur nachts“ ist irgendwo zwischen Grusel-Krimi und Psycho-Thriller einzuordnen und hat mit Barbara Stanwych („Untergang der Titanic“) erneut eine alternde Hollywood-Ikone in der Hauptrolle vorzuweisen.

Der blinde, doch vermögende Howard Trent (Hayden Rorke, „Die unteren Zehntausend“) glaubt, dass seine Frau Irene ihn betrügt, da sie im Schlaf von einem anderen Mann redet. Er vertraut sich dem Anwalt Barry Moreland (Roger Taylor, „Die Macht und ihr Preis“) an und konfrontiert seine Frau mit den Vorwürfen. Kurz darauf ist er nach einer rätselhaften Explosion im Haus spurlos verschwunden. Seine Frau wird fortan mit alptraumhaften Visionen geplagt und bekommt zunehmend Schwierigkeiten, Traumwelt und Realität auseinanderzuhalten. Hilfesuchend wendet sie sich an Moreland…

Oberflächlich betrachtet ist „Er kam nur nachts“ ein reißerischer Kriminalfilm, der sich einiger Horrorfilm-Ingredienzien bedient, in dem letztlich aber nichts wirklich Übersinnliches vor sich geht. Der blinde Howard Trent wird bereits zu Lebzeiten mit seinen weißen, leeren Augen extrem gruselig inszeniert. Sein verbranntes Antlitz steigert diesen Effekt noch und mit Kunstnebel, Schnitttechnik und schaurigen Requisiten erzeugte, atmosphärisch unheimliche Szenen, die bereits das Surreale streifen, beweisen Castles Händchen für die Reproduktion klassischer Genre-Charakteristika, die die Erwartungshaltung des Publikums erfüllen. Ein psychologisch ähnlich versierter Thriller wie „Mörderisch“ oder „Die Zwangsjacke“ wurde „Er kam nur nachts“ indes nicht, wenngleich, wagt man einen Blick unter die Oberfläche, der Subtext im prä-emanzipatorischen Zeitalter durchaus mutig von den heimlichen Wünschen und Begierden einer unbefriedigten Ehefrau handelt, welche als Sympathieträgerin eingeführt wird. Viel mehr an psychologischem Tiefgang bietet Castles Film aber nicht und auch die letztliche Auflösung der Geschehnisse ist nicht sonderlich schwer zu erraten. Stattdessen lädt „Er kam nur nachts“ dazu ein, die schönen, stimmig ausgeleuchteten und von einem sich überraschend im Ohr festsetzenden Soundtrack begleiteten Schwarzweiß-Bilder ebenso auf sich wirken zu lassen wie Taylors und Stanwychs (trotz guter darstellerischer Leistungen Laien-)Psychospiel genussvoll beizuwohnen. Allzu glaubwürdig wirkt dieses aber eben nicht, derart leicht dürfte kaum eine Frau im Vollbesitz ihrer geistigen Kräfte zur Hysterie zu verleiten sein. Auch dann nicht, wenn diese anscheinend stets in voller Montur zu nächtigen bevorzugt…

Wie auch bei „Die Zwangsjacke“ ergeht man sich in etwas unnötig ausführlichen Erklärungen am Ende, statt sich auf den Intellekt seines Publikums zu verlassen. Unterm Strich handelt es sich aber um ein gelungenes, kurzweiliges Vergnügen für den nostalgischen oder historisch interessierten Genrefilmfreund, das auf die Castle-typische Art sympathisch, charmant und ein bisschen naiv erscheint. Und irgendwie gefällt mir die Idee mit dieser bizarren Explosion im Haus sehr. Kawumm, ein Zimmer weniger. Warum nicht.
Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
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Es geschah um 8 Uhr 30
Zwei Babysitterinnen nutzen ihre Arbeitszeit für Telefonstreiche und sagen jedem anonym: "Ich habe gesehen, was Sie getan haben.“, "Ich weiß wer Sie sind". Dabei treffen sie leider auf einen Psychopathen, der gerade seine Frau getötet hat und auch wenig später seiner neugierigen Nachbarin das Leben aushaucht. Die Mädels müssen nun um ihr Leben zittern, denn der Killer will ihren Tod.
Der Altmeister des unterhaltsamen Low-Budget-Spannungs- und Gruselfilms sowie des Gimmick-Kinos William Castle („Mörderisch“) drehte den Thriller „Es geschah um 8 Uhr 30“ im Jahre 1965 und läutete damit langsam, aber sicher seine Endphase ein. Telefonstreichspielende Babysitterinnen geraten mit ihrem Spruch „Ich habe gesehen, was Sie getan haben und ich weiß, wer Sie sind“ an den Falschen, denn ohne es zu ahnen haben sie einen wirklichen Mörder (John Ireland, „Lauf um dein Leben“, „Nackt über Leichen“) an der Strippe, der sich fortan verfolgt wähnt, was ihn nur noch gefährlicher macht.

Hollywood-Diva Joan Crawford, mit der großmundig geworben wurde und mit der Castle kurz zuvor sein Beinahe-Meisterwerk „Die Zwangsjacke“ gedreht hatte, hat zwar nur eine Nebenrolle inne, doch auch die anderen Darsteller spielen ausdrucksstark und mit Sharyl Locke („Der große Wolf ruft“) hat man gar ein wirklich süßes Kind dabei.

Die Handlung ist eine dieser einerseits arg konstruierten, die andererseits aber Erinnerungen an eigene geschmacklose Streiche aus der Jugendzeit weckt und daraus einen nicht unerheblichen Grad an Realismus bezieht sowie die Ängste zu Hysterie neigender Eltern bedient. Der Beginn des Films fällt noch verhältnismäßig komödiantisch aus, die gute Laune der albernen Teenagerinnen und der ganz Kleinen überträgt sich auf den Zuschauer. Das daraus entstehende gleich dreifache Missverständnis auf Seiten der Mädchen, die den Mörder sympathisch und interessant finden und daher sogar dessen Nähe suchen, des Mörders, der denkt, er solle erpresst werden, und der auf den Mörder scharfen, aufdringlichen Nachbarin Amy (Joan Crawford, „Was geschah wirklich mit Baby Jane?“), die glaubt, die jugendliche Libby (Andi Garrett, „Verrückter wilder Westen“) habe ihrerseits eine Affäre mit ihrem Angebeteten, verfügt dann auch noch über einen gewissen schwarzen Humor. Anschließend jedoch beweist Castle wieder sein Geschick für Suspense nach Vorbild Hitchcocks: eine gelungene Dramaturgie verhindert, dass „Es geschah um 8 Uhr 30“ allzu langatmig werden könnte und spannende Einzelszenen inkl. einiger gruseliger Einstellungen verbreiten angenehmes Gänsehautgefühl nach alter Schule. Die Kameraarbeit, die leider erneut auf Farbe verzichten musste, ist zwar recht statisch, beweist aber ein sicheres Händchen in der Wahl ihrer Perspektiven und wird durch einen dynamischen Schnitt aufgewertet. Die musikalische Untermalung erfolgt durch einen sehr pointierten, aber etwas übertriebenen Orchestereinsatz.

So weit, so gut, doch leider kann das Finale des Films da nicht ganz mithalten (Achtung, leichte Spoiler): Ein präziser Schuss durch die Heckscheibe eines Autos? Na gut, von mir aus. Die moralisch-belehrende Aussage des Filmendes jedoch erscheint unpassend, denn immerhin half der Telefonstreich letztlich, ein Verbrechen aufzuklären. Ansonsten ist es Castle aber ein weiteres Mal gelungen, einen unterhaltsamen, comicartig makabren Genrefilm mit einfachen Mitteln zu kreieren, der optimal auf sein Publikum zugeschnitten wurde und mit Sicherheit das eine oder andere nachfolgende Werk aus dem Thriller- und Slasher-Bereich inspiriert hat.
Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
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Tödlicher Sog
After being released from prison, an ex-convict is framed for a murder. The man sets out to find the real killers before the police blame the crime on him.
Bevor US-Regisseur William Castle („Die Zwangsjacke“) antrat, mit seinen eigenen Produktionen Amerika das Fürchten zu lehren („I'm Gonna Scare the Pants off America“), drehte er auch einige Film noir. Einer davon ist „Tödlicher Sog“ aus dem Jahre 1949.

Tony Reagan (Scott Brady, „Bis die Gänsehaut erstarrt“) wird, kurz nachdem er aus dem Gefängnis entlassen wurde, zum Beschuldigten eines Mordkomplotts: Man lässt es absichtlich so aussehen, als hätte er einen alten Mafioso umgebracht. Fortan befindet er sich auf der Flucht vor der Polizei sowie auf der Suche nach dem wahren Täter.

Eine grundsätzlich spannende Handlung inszeniert Castle angenehm unterhaltsam, jedoch auch etwas schluderig. Schnell ist die Identifikation mit Tony hergestellt, doch wundert man sich beispielsweise über eine ohne Ortsangabe getroffene Verabredung. Dies ist jedoch nur ein Detail verglichen mit der großen Schwäche des Films: Das bei allem dramaturgischen Geschick Castles Fehlen wirklicher Höhepunkte. Castle baut seine Szenen gekonnt auf und lässt das Publikum mitfiebern. Er zeigt – um dieses Beispiel exemplarisch aufzugreifen –, wie sich der angeschossene Tony durch die Stadt rettet und verzweifelt einen Ort sucht, an dem er seine Wunde versorgen kann. Als er diesen endlich gefunden hat, wird einfach abgeblendet und er in der nächsten Einstellung mit angelegtem Verband gezeigt, statt das schmerzhafte Begutachten der Wunde, die erschrockene Reaktion seiner Helferin und die Sorge um den Gesundheitszustand als Pointe der Szenenfolge zu zelebrieren. Dafür muss man ja nicht gleich eine blutende, klaffende Wunde in die Kamera halten. Auf diese Weise jedoch beraubt man den Zuschauer um den Lohn seiner Geduld und seines Mitgefühls, lässt ihn unbefriedigt und leicht verwirrt zurück.

Schon besser weiß die genretypische erbarmungslose Brutalität zu gefallen, mit der auf desillusionierende Weise vorgegangen wird. Castle versteht es, seinen geläuterten Ganoven seiner Illusionen von einem rechtschaffenden Leben in Ruhe und Frieden zumindest zeitweise zu berauben und ihn der Gesellschaft falscher Freunde auszusetzen. Tony kommt aus dem Gefängnis und findet sich schneller als ihm lieb ist an einem unbarmherzigen, gefühlsarmen und gefährlichen Ort wieder, an dem sich jeder selbst der Nächste ist und Misstrauen regiert. Natürlich spielt auch eine Femme fatale eine entscheidende Rolle. Das Finale jedoch fiel leider eher unspektakulär aus und geht den Weg des Film noir nicht konsequent zu Ende, sondern präsentiert sich als versöhnliches „Happy End“, statt das Publikum zu verstören. Es setzt den Schlusspunkt unter einen mit den bekannten Versatzstücken des Genres arbeitenden Film, der technisch solide und für Interessierte gut guckbar ist, jedoch über zu wenig Alleinstellungsmerkmale und Höhepunkte verfügt, um etwas Besonderes zu sein und letzten Endes zu sehr im klassischen Kriminalfilm verharrt.

5,5/10 Punkten
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Die verschlossene Tür
Susanna Kelton (Carol Lynley) kehrt mit ihrem Mann Mike (Gig Young) in das verschlafene Fischerdörfchen ihrer Kindheit zurück, nachdem sie jahrelang in der Stadt gelebt hat. Sie haben eine alte verfallene Mühle geerbt, die einen arg spukigen Eindruck macht. Viel beunruhigender finden sie jedoch eine Gruppe von Inselrabauken rund um den wilden Ethan (Oliver Reed), die die Gegend unsicher machen und die Einheimischen, die die Rückkehr von Susanna, die eigentlich Whateley mit Nachnamen heißt, mit sehr gemischten Gefühlen sehen. Allerdings ist eine Sache an der Mühle geheimnisvoll: ein ungemein stark verschlossener, ja beinahe hermetisch gesicherte Raum unter dem Dach. Nachdem Susanna ihre alte, halb verrückte Tante Agatha (Flora Robson) dazu befragt hat, ist ihre Neugier geweckt. Was ist in dem Raum verborgen?
„Ich kann nur sagen, sie sieht, ähm…“ –…grässlich aus! Grauenvoll!“ – „Nein, ich habe eigentlich nur an etwas gedacht wie... romantisch.“ – „Wie wär’s mit... unheimlich?“

Nach einer ganzen Reihe an Arbeiten fürs Fernsehen, vornehmlich für Serien, lieferte der britische Regisseur David Greene („U-Boot in Not“) im Jahre 1967 mit dem Horrorfilm „Die verschlossene Tür“ sein Kinodebüt ab.

Die in einem kleinen Fischerdorf auf einer britischen Insel aufgewachsene Susanna Kelton (Carol Lynley, „Beware! The Blob“) hat in New York ihren Mann Mike (Gig Young, „Mein letzter Kampf“) geheiratet. Nach einigen Jahren kehrt sie mit Mike auf die Insel zurück, um einem alten Kindheitstrauma auf die Spur zu kommen: In der elterlichen Mühle, in der sie früher lebte, wurde sie als Kind von etwas Unheimlichem bedroht, als sie im Bett lag. Was hat es damit auf sich? War es nur ein böser Traum? Leider stößt die Anwesenheit der Stadtmenschen unter der ruppigen Bevölkerung, insbesondere bei einer Bande Halbstarker, auf wenig Gegenliebe...

Greenes Film über ein dunkles Inselgeheimnis ist dem Suspense-Bereich zuzuordnen; explizite, blutige Grausamkeiten bekommt man keine zu sehen. Inseln, auf denen ob ihrer Abgeschiedenheit und Isolation mehr oder weniger eigene Gesetze herrschen und deren Bewohner allem, was von Außerhalb kommt, skeptisch bis ablehnend gegenüberstehen, sind ein dankbares Motiv für einen Film dieser Art. So bekommt man einen schrulligen, undurchsichtigen Charakterkopf nach dem anderen zu Gesicht, mit denen die Städter konfrontiert werden. Die eigentliche Handlung wurde um einen sehr dominanten Nebenkriegsschauplatz um den von einem bulligen und bestens aufgelegten Oliver Reed („Der Fluch von Siniestro“) als Ethan angeführten Haufen dreckiger, aggressiver Landeier erweitert, der Susanna und Mike das Leben schwer macht. Besonders Ethan hat etwas dagegen, dass die mittlerweile stillgelegte, verwaiste Mühle in Susannas Besitz übergeht, ist aber gleichzeitig unheimlich scharf auf die attraktive Stadtmieze, wofür er seine einheimischen, rustikaleren Gespielinnen vernachlässigt. Das klassische „Culture Clash“-Thema also, überspitzt wiedergegeben und wenig gutes Haar an den auch vor Vergewaltigung nicht zurückschreckenden jungen Männern lassend. In diesem Rahmen darf Gig Young sogar seine Karatekünste zum Besten geben und sich mit der Bande herumprügeln.

Differenzierter gezeichnet wurde Susannas Tante Agatha (Flora Robson, „Kampf der Titanen“), die zunächst den Eindruck macht, nicht alle Tassen im Schrank zu haben, jedoch zu einer wichtigen Schlüsselfigur wird – was bereits mit Einführung ihrer Rolle zu erahnen ist. Was „Die verschlossene Tür“ aber eigentlich ausmacht, sind insbesondere zwei Aspekte: Zum einen ist es die Stimmung, die Greene zu erzeugen wusste. Er braucht keine nebelverhangenen Nächte bei Gewitter oder ähnliche klischeebehaftete Genrecharakteristika, um eine gruselige Gänsehaut-Atmosphäre zu erschaffen. Er weiß, dass derartige Traumata allgegenwärtig sind, insbesondere, wenn man die mit ihnen verknüpften Orte wieder aufsucht. In sonnendurchfluteten, staubigen, hellen Bildern zeigt uns Greene den leicht paranoiden Horror des Alltags in einer fremdgewordenen Umgebung, projiziert das Gefühl latenten, doch permanenten Unwohlseins auf sein Publikum. Dies gelingt vor allem, und damit komme ich zur zweiten großen Stärke des Films, durch eine Kameraführung, die bereits im grandiosen Prolog den maximal möglichen Schauer aus subjektiver „Point of View“-Perspektive aus Sicht des unheimlichen Etwas, das aufs Kinderbett zuwankt, herausholt und mithilfe derselben Technik immer wieder beobachtende Blicke aus der alten Mühle entsendet, was dem Zuschauer zu einem Wissensvorsprung gegenüber den Protagonisten verhilft und das ungute Gefühl des Ausgeliefertseins in der isolierten Fremde erzeugt und bedient – durchaus vergleichbar mit der in den stärkeren Momenten vorherrschenden Atmosphäre in Joe D’Amatos „Man-Eater“. Darüber hinaus zelebriert die Kamera geradezu eine hochästhetische Bildgestaltung, die u.a. interessante Perspektiven bietet, beispielsweise wird immer wieder durch Glasfenster gefilmt, und seien sie auch noch so klein oder schmutzig, sich für ihre Dynamik an sich in den Details wiederfindenden Formen und Linien der authentisch wirkenden Kulissen orientiert und genau weiß, wann sich ein in die Tiefe gehendes Panorama und wann ein Zoom auf Gesichter anbietet. Das sollte zwar eigentlich selbstverständlich sein, geschieht hier aber auf eine oftmals durchaus originelle, positiv überraschende Weise. Nicht so sehr viel weniger bedeutsam für das Gelingen der atmosphärischen Dichte ist mit Sicherheit der Soundtrack, der häufig mit minimalistischen Tonabfolgen arbeitet, um die Stimmung einzelner Szenen zu unterstützen, ohne sich allzu sehr in den Vordergrund zu drängen. Um es auf den Punkt zu bringen: Schauspieler, Regie, Kamera und Musik harmonieren ganz wunderbar miteinander.

Zum Knackpunkt wird letztlich leider die Handlung, die in einem Finale mündet, das enttäuschend ausfällt, ja, streng genommen nur enttäuschen konnte, nachdem man auf die beschriebene Weise Spannung und Grusel erzeugt hatte. Die Gestalt hinter der verschlossenen Tür kann nicht halten, was zuvor versprochen oder zumindest suggeriert wurde und es erscheint doch arg unglaubwürdig, wie sie in der Lage gewesen sein soll, ihre Opfer zu töten. Stattdessen bekommt der Film zum Ende hin viel – zu viel – von einem Familiendrama verpasst und erzeugt plötzlich tatsächlich mehr Mitleid als Horror. Mit der obligatorischen Feuersbrunst stahl man sich sodann auch denkbar einfach aus der Affäre. Schade, denn „Die verschlossene Tür“ hatte nun wirklich irrsinnig viel Potential, krankt aber an seinem Finale. Für Filmästheten und Suspense-Horror-Freunde dürfte David Greenes Film dennoch ein Genuss sein.
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Die Würger von Bombay
Indien im 19. Jahrhundert: Ein mörderischer Kult, der die Göttin Kali anbetet, überfällt Reisende und stiehlt ihnen ihre Handelswaren. Als sich die Überfälle häufen, kann die British East India Company, welche zu der Zeit die Quasiregierung in Indien darstellte, nicht länger zusehen. Sie beauftragt einen Offizier aus dem britischen Adel, der sich des Problems annehmen soll. Allerdings kennt der Offizier weder Land noch Leute in ausreichendem Maße, so dass er die ihm zugetragene Aufgabe nur mit Mühen bewältigen kann...
„Ihr habt euch gegen die Göttin Kali versündigt!“

Der britische Regisseur Terence Fisher („Dracula“, „Frankensteins Fluch“), einer der versiertesten und fleißigsten Filmer für die altehrwürdigen „Hammer Film Productions“, drehte im Jahre 1960 mit „Die Würger von Bombay“ einen Film, in dem sich Abenteuer-, Historien- und Horrorfilm-Elemente vermischen.

Indien im 19. Jahrhundert: Machtlos muss die britische Kolonialmacht mit ansehen, wie Handelsreisende immer wieder spurlos verschwinden. Sie werden überfallen, beraubt, erwürgt und verscharrt. Captain Harry Lewis (Guy Rolfe, „Dolls“) kommt einem Geheimkult auf die Spur, der die Göttin Kali anbetet und ihr Opfer darbringt – doch niemand will ihm Glauben schenken…

„Die Würger von Bombay“ ist ein unheimlich dialoglastiger Abenteuerfilm, der leider viel zu sehr auf das hektische Herunterbeten für die Handlung nicht wirklich notwendiger Informationen setzt. Zeit für schauspielerische Glanzpunkte bleibt da kaum und so kommt es, dass die Herren in ihren Kostümen selten Authentizität und Glaubwürdigkeit ausstrahlen. Immerhin führen sie das Geschehen nicht ad absurdum, sondern bemühen sich um Ernsthaftigkeit und einen gewissen Anspruch. Rechte Atmosphäre, die den Zuschauer ins Indien des 19. Jahrhundert zurückversetzt, will in den nüchternen Schwarzweißbildern jedoch nicht aufkommen: Zu selten schöpft man das exotische Potential der Prämisse aus, zu allgegenwärtig bleibt der kulissenhafte Eindruck. Eingesetzte Archivaufnahmen wie die eines Kampfes zwischen Mungo und Schlange sind schnell als solche zu entlarven.

Seine stärkeren Momente hat Fishers Film, wenn manische Kultanhänger ihre Konsequenz unter Beweis stellen und Ängste vor martialischen fremden Traditionen und Riten schüren sowie die Erhabenheit der Kolonialmacht ankratzen. Was die visuelle Darstellung expliziter Gewalt betrifft, soll „Die Würger von Bombay“ zudem verhältnismäßig offenherzig konzipiert worden sein, was man dem Zuschauer in der deutschen Fassung jedoch vorenthält und den Film damit seiner dramaturgischen Höhepunkte beraubt haben dürfte. Insofern bezieht sich meine Kritik leider auf einen unvollständigen Film, der in der vorliegenden Form nicht mehr ist als ein höchst durchschnittliches Vergnügen für Freunde alter europäischer Abenteuerschinken oder „Hammer“-Komplettisten.
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Sacco und Vanzetti
1920 - die us-amerikanische Regierung ist beunruhigt wegen des verstärkten Aufkommens linksorientierter Gruppierungen, gegen die sie mit großem Polizeieinsatz vorgeht. Auch die beiden Anarchisten und italienischen Einwanderer Nicola Sacco (Riccardo Cucciolla) und Bartolomeo Vanzetti (Gian Maria Volonté) werden im Zuge einer solchen Maßnahme verhaftet. Dabei stellt die Polizei Waffen sicher, von denen eine das selbe Kaliber aufweist, mit dem zwei Männer bei einem Überfall getötet wurden. Sacco und Vanzetti werden deshalb des Mordes angeklagt. Sie beteuern ihre Unschuld, aber der Staatsanwalt Katzmann (Cyril Cusack) lässt eine Vielzahl von Zeugen auftreten, die behaupten, sie bei dem Überfall gesehen zu haben. Auch der Verteidiger Moose (Milo O'Shea), erfahren in der Vertretung von Anarchisten, verfügt über eine große Zahl von Zeugen, die den Angeklagten ein Alibi geben können, aber Katzmann erzeugt Zweifel an diesen, in dem er auf deren Einwandererstatus hinweist. Auch die Tatsache, das sich Sacco und Vanzetti 1917 vor der Musterung als Soldat gedrückt hätten, indem sie nach Mexiko gingen, hätte deren fehlende Liebe zu ihrem neuen Heimatland bewiesen...
„Es ist noch gar nicht so lange her, da wären zwei Anarchisten wie Sacco und Vanzetti ohne Umschweife deportiert worden!“ – „Und jetzt wartet unter Umständen der elektrische Stuhl auf sie.“ – „Nach einem ordnungsgemäßen Prozess! Und ich finde, das ist doch ein beachtlicher Fortschritt für das demokratische Amerika!“

Ferdinando „Nicola“ Sacco und Bartolomeo Vanzetti waren zwei Italiener, die in die USA emigriert waren und sich der anarchistischen Arbeiterbewegung angeschlossen hatten. Als die USA nach Ende des Ersten Weltkriegs in eine Wirtschaftskrise gerieten, bekam man angesichts der russischen Revolution 1917 Angst vor antikapitalistischen Kräften und einem politischen Umsturz, weshalb man die Propagandamaschinerie fortan polemisch gegen gewerkschaftliche und fortschrittliche Kräfte richtete und in rassistischer Manier gegen Einwanderer hetzte. Ein Klima von Angst, Misstrauen und antikommunistischen, fremdenfeindlichen Ressentiments wurde erzeugt und nach vermeintlich revolutionär motivierten Bombenanschlägen schließlich staatsterroristisch gegen missliebige politische Aktivisten und Migranten vorgegangen. Bestehende Gesetze wurden missachtet und entstellst, brutale Razzien durchgeführt und Menschen misshandelt. Sacco und Vanzetti gerieten in die Mühlen der reaktionären Justiz, nachdem am 15. April 1920 in South Braintree, Massachusetts, bei einem Raubmord zwei Männer erschossen wurden. Polizei und Staatsanwaltschaft nutzten dieses Ereignis, um es Sacco und Vanzetti anzuhängen, einen Indizienprozess zu konstruieren und sich so nach einer Farce von einem Gerichtsverfahren ihrer durch Todesurteile entledigen zu können. Es folgten weltweite Massenproteste, doch trotz aller offensichtlichen Fehler und Manipulationen des fingierten Prozesses blieb das Urteil bestehen.

Dieses düstere Kapitel der US-amerikanischen Geschichte greift der italienische Regisseur Giuliano Montaldo („Top Job“) in seinem historischen Justiz-/Politdrama „Sacco und Vanzetti“ auf, das in italienisch-französischer Koproduktion entstand und 1971 veröffentlicht wurde – einer Zeit, in der sich im politischen Klimas Italiens einige Parallelen zu den eingangs beschrieben US-amerikanischen Verhältnissen ziehen ließen.

Montaldos Film beginnt mit einem in Schwarzweiß gefilmten Prolog, der das brutale Vorgehen der Exekutive zeigt. Recht sachlich-nüchtern werden anschließend die Vernehmungen Saccos und Vanzettis gezeigt, bis sich im Prozess die Schlinge immer weiter zuzieht. Ein Prozess, der dem Zuschauer ob seiner Unrechtsstaatlichkeit und offen zum Ausdruck gebrachter politischer und rassistischer Misstöne die Haare zu Berge stehen lässt. Montaldo nimmt sich die Zeit, in seinem rund zweistündigen Werk relativ detailliert die Entwicklung des Prozesses zu zeigen, Angeklagte, Richter Thayer (Geoffrey Keen, „Doktor Schiwago“), Staatsanwalt Katzmann (Cyril Cusack, „Harold und Maude“) und Verteidiger Moore (Milo O'Shea, „Theater des Grauens“) zu charakterisieren sowie die gespannte Atmosphäre im Gerichtssaal spürbar zu machen, Spannungen, die sich immer wieder in wüsten emotionalen Ausbrüchen der Beteiligten entladen. Wortgefechte donnern durch Justizias heilige Hallen, Appelle an die Vernunft treffen auf Demagogie, berechnende Prozesstaktik auf menschliche Ängste, Verzweiflung und Wut.

Dabei ist es nie Montaldos Ziel, Sacco und Vanzetti zu hochpolitischen und/oder radikalen Heldenfiguren oder Märtyrern hochzustilisieren, im Gegenteil: Er zeigt beide von Beginn an als in erster Linie einfache Arbeiter, die aus Angst z.B. bewusste Falschangaben bei Polizeiverhören machen, statt stets mit geballter Faust voran durchs Leben zu schreiten und sich als Führungskräfte einer Bewegung zu verstehen. Man lernt sie als von den versprochenen Möglichkeiten des „amerikanischen Traums“ enttäuschte, sich daraus resultierend mit anarchistischen Idealen solidarisch erklärt habende Männer kennen, denen unwohl dabei ist, wie der Gerichtssaal als politische Bühne gebraucht wird – auch von ihrem eigenen Anwalt Moore. Nach Abschluss des Prozesses erlebt man Sacco und Vanzetti weiter differenziert: Während Vanzetti seinen Kampfgeist bewahrt hat und verhältnismäßig gefasst wirkt, ergeht sich Sacco in introvertierter Lethargie, aus der ihn hin und wieder Tobsuchtanfälle reißen. Er wurde krank, zu einem gebrochenen Mann. In weiteren Schwarzweiß-Bildern, die den dokumentarischen Charakter unterstreichen, flocht Montaldo Bilder der Proteste gegen den Prozess ein, der abertausende Menschen auf die Straße trieb. Die Spannung – zumindest für diejenigen Zuschauer, die mit der kurzen Biographie Saccos und Vanzettis nicht vertraut sind – hält weiter an, als Vanzetti sein Gnadengesuch einreicht, während Sacco diesen Schritt ablehnt. Es kommt zu einem Treffen mit dem Gouverneur, in dessen Rahmen in wenigen gesprochenen Zeilen viel Bedeutung steckt, über die nachzudenken sich lohnt.

Die Schauspieler Riccardo Cucciolla („Nackt über Leichen“, „Wild Dogs“) als Sacco und Gian Maria Volonté („Von Angesicht zu Angesicht“, „Ermittlungen gegen einen über jeden Verdacht erhabenen Bürger“) als Vanzetti sehen den echten Opfern nicht nur sehr ähnlich, sondern spielen ihre ambivalenten Rollen überzeugend und glaubwürdig, wobei Cucciolla verglichen mit Volonté sogar hervorsticht, was aber sicherlich an seiner emotionaleren Rolle liegt. Auch sämtliche anderen Schauspieler machen ihre Sache tadellos, niemand gefährdet den authentischen Charakter des Films durch unpassende, ungelenke oder narzisstische Ausfälle. Besonders eindrucksvoll spielt Cusack den knorrigen Staatsanwalt, der Verhöre, Polemik und Politik miteinander vermengt, als wäre es das Selbstverständlichste in einem Gerichtsgebäude und Unglaubliches von sich gibt. Ein Paradebeispiel für einen geistigen Brandstifter in Biedermannkluft. Veredelt wird „Sacco und Vanzetti“ von einem wie so oft wundervollen Soundtrack Ennio Morricones, dessen „Here’s to you“ Bedeutung in der zeitgenössischen Arbeiterbewegung erlangte und in verschiedenen Versionen und Sprachen bekannt ist, wunderschön gesungen von Joan Baez.

In der Nacht vom 22. auf den 23. August 1927 wurden Sacco und Vanzetti auf dem elektrischen Stuhl hingerichtet. Montaldos Film wurde zu einem emotionalen, aber nicht bemüht melodramatischen Film, der sich dennoch nicht wütend oder trotzig hat ideologisieren und damit schlimmstenfalls in seiner potentiellen Wirkung einschränken lassen. In entscheidenden Momenten sowie wichtigen Details bleibt der Film sachlich, ohne dem spröden oder trockenen, fragwürdigen Charme paragraphenverliebter Justizpossen zu erliegen. Er hilft, das Andenken Saccos und Vanzettis in Ehren zu halten und schärft auf hochbrisante Weise das Bewusstsein für politische Missbrauchsmöglichkeiten der Justiz im Allgemeinen und der barbarischen Todesstrafe im Speziellen.

Sacco und Vanzetti wurden erst 1977 durch den damaligen Gouverneur von Massachusetts „rehabilitiert“. Ein weiterer beschämender Fleck auf der blutgetränkten Weste des vermeintlichen „Land of the free“.
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Blut an den Lippen
Auf der Rückreise von ihren Flitterwochen in der Schweiz stranden Stefan und Valerie in einem abgelegenen Hotelpalast an der belgischen Küste. Dort machen sie die Bekanntschaft der Gräfin Bathory und ihrer Bediensteten Ilona, die laut Aussage des Portiers vor gut 40 Jahren schon einmal dort war und sich seitdem kaum verändert hat. Tatsächlich ist die Gräfin eine Art Vampir und die Zofe steht unter ihrem Einfluß. Doch in Valerie sieht sie eine mögliche Nachfolgerin für Ilona. Tatsächlich gewinnt die Gräfin mit einigen Berichten aus der schrecklichen Geschichte ihrer Familie langsam Einfluß auf das Mädchen, während Stefan die sadistische Beichte anmacht. Ein blutiges Drama nimmt seinen Lauf...
„Man soll keine Angst davor haben, in seine tiefsten Tiefen zu blicken – dorthin, wo nie im Leben der kleinste Funken Licht hinkommen wird.“

Der belgische Regisseur Harry Kümel („Malpertius“) drehte 1971 mit dem Vampirfilm „Blut an den Lippen“ ein in belgisch-französisch-deutscher Koproduktion entstandenes Erotikdrama, das sich lediglich dem Sujet eines Horrorfilms bedient.

Die Jungvermählten Stefan (John Karlen, „Die Zeit verrinnt, die Navy ruft“) und Valerie (Danielle Ouimet, „Wild auf junge Knospen“) sind auf dem Weg nach England, um Stefans Mutter die Nachricht von der Heirat persönlich zu überbringen. Bevor sie von Belgien aus mit der Fähre rübermachen können, sind sie jedoch gezwungen, einige Zeit in einem nahezu menschenleeren Hotel an der belgischen Küste zu verbringen. Dort treffen sie auf Gräfin Bathory (Delphine Seyrig, „Der Schakal“), eine Nachfahrin der berüchtigten „Blutgräfin“, die in den letzten 40 Jahren keinen Tag gealtert zu sein scheint...

Mit dem reißerischen Versprechen eines blutigen Vampirfilms wollte man anscheinend das Publikum ins Kino locken, kann dieses Versprechen aber nicht einlösen. „Blut an den Lippen“ präsentiert düster-stimmungsvolle Bilder en masse und von teils beeindruckender Tiefe, spielt mit der Symbolwirkung kräftiger Farben und rückt seine Darsteller in ein entsprechendes Licht. Sie wirken, als würden sie gefangen genommen von jenem Hotel, das Gräfin Bathory zu ihrer Spielwiese auserkoren hat. In Anlehnung an den Reichtum sexueller Metaphern der Vampirthematik steckt die Handlung voller morbider sexueller Obsessionen. Gräfin Bathory beschwört verborgene Phantasien und Gelüste des jungen Ehepaars herauf und macht sich diese zunutze. Ihre Begleiterin, die attraktive brünette Ilona (Andrea Rau, „Das Stundenhotel von St. Pauli“), wird ebenfalls zum Teil des Spiels zwischen Lesbensex, Lustgewinn durch Blut, Leid und Qual und gar angedeuteter Nekrophilie. Das eigenartige Ambiente des Hotels und das Gebaren der Gräfin wirken ebenso irreal wie ab einem gewissen Zeitpunkt der gesamte Film, der wie ein verbotener, sexuell aufgeladener Traum erscheint, aus dem man irgendwann schweißgebadet erwacht.

Leider gefährdet Kümel diese Wirkung seines Films, indem er stellenweise die Dialoge auf Softcore-Niveau abdriften lässt, was nicht so recht zur Erhabenheit Bathorys und künstlerischen Bilderflut passen will. Negativer jedoch wirkt der beinahe völlige Verzicht auf klassische Vampirelemente. „Blut an den Lippen“ ist enttäuschend unblutig ausgefallen und verleugnet über weite Strecken in seiner Ausführung den Horroranteil der Geschichte. Das Morbide spielt sich über weite Strecken vornehmlich in Dialogen ab, stattdessen überwiegt der Erotik-Anteil – jedoch nicht derartig offensiv-exploitativ, dass er das Fehlen klassischer Gruselelemente vergessen lassen würde. Damit ist Kümels Werk ein kurzweiliges, überdurchschnittliches, durchaus sinnliches Filmvergnügen, letztlich aber nicht konsequent genug in eine der beiden möglichen Richtungen. Artifiziell-künstlerisch und abseitig-erotisch, aber blutarm und zumindest meinen beispielsweise durch die „Hammer“-Karnstein-Trilogie hochgesteckten Erwartungen nicht ganz gerecht werdend.
Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
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Goké – Der Vampir aus dem Weltall
Kurz nachdem ein Entführer (Hideo Ko) ein japanisches Passagierflugzeug in seine Gewalt gebracht hat, kollidiert dieses mit einem merkwürdigen Objekt und die Piloten werden so zu einer Crash-Landung in einer unwirtlichen Gegend gezwungen. Dem Entführer gelingt in dem Durcheinander die Flucht und wird schon bald mit der Absturzursache konfrontiert. Ein UFO hat das Flugzeug aus der Bahn gebracht und eine außerirdische Lebensform ergreift Besitz vom Körper des Entführers...
„Ich bin Psychiater. Mich interessiert in erster Linie, wie sich Menschen in Ausnahmesituationen verhalten.“

„Goké – Der Vampir aus dem Weltall“ ist ein japanischer Science-Fiction-Horrorfilm von Regisseur Hajime Sato („UX-Bluthund – Tauchfahrt des Schreckens“) aus dem Jahre 1968. Ein japanisches Passagierflugzeug kollidiert mit einem unbekannten Flugobjekt und wird zur Notlandung in einer wüstenähnlichen Gegend gezwungen. An Bord befand sich u.a. ein Flugzeugentführer, der den Jet eigentlich nach Nordkorea umzuleiten gedachte. Nach der Crash-Landung flüchtet er und wird von einer vampiristischen außerirdischen Lebensform befallen, die seinen Körper als Wirt benutzt und scharf ist auf das Blut der restlichen Besatzung…

Zunächst einmal beginnt die bunte Sause damit, dass die unterschiedlichen Passagiere und Besatzungsmitglieder mal mehr, mal weniger charakterisiert werden. Neben dem Entführer gibt es dort einen Politiker, einen Vertreter der Industrie und dessen Frau, einen Psychiater, einen vermeintlichen Bombenattentäter, eine Amerikanerin, deren Mann in Vietnamkrieg starb, einen Wissenschaftler sowie den Kapitän des Flugzeugs und eine Stewardess. Und wer jetzt findet, dass das arg konstruiert klingt, hat natürlich recht; fast sämtliche Rollen haben diverse Klischees zu erfüllen und sind mit ihrem unfreiwillig komischen Schauspiel, ihren Dialogen etc. leider kaum ernst zu nehmen.

„Goké – Der Vampir aus dem Weltall“ ist nämlich in erster Linie ein kunterbuntes Sci-Fi-Trash-Vergnügen, das zwar mit ziemlich gelungenen Lichteffekten auftrumpft, ansonsten aber vornehmlich durchschaubare Effekte zu bieten hat, die ihren eventuell angepeilten Härtegrad meist verfehlen. Gedreht hat man allem Anschein nach in einer Kieskuhle, authentisch oder glaubwürdig wirkt hier nichts. Begleitet wird der Unfug von einer typischen Science-Fiction-Sound-Kulisse unter Einsatz des Theremins. Besonderes Augenmerk richtete man auf eine plakative Prise Gesellschaftskritik, die anhand der Rollenklischees zum Ausdruck gebracht wird. Unterschiedliche einflussreiche gesellschaftliche Gruppen und Schichten werden durch sie repräsentiert und überspitzt aufs Korn genommen – was durchaus zu gefallen weiß, sich aber nur schwerlich mit dem Horroranteil der Handlung in Verbindung bringen lässt. Letztlich war man 1968 in Bezug auf Genreware wie diese schon weiter; der größte Teil des Unterhaltungswerts dieses nicht unsympathischen B-Films ist dann doch unfreiwilliger Natur.
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Red Riding Hood
Die 12 Jährige Jennifer lebt ohne Eltern in Rom. Dort hat sie es sich zur Aufgabe gemacht, Verbrechern wie Dieben und Betrügern, auf blutige Art und Weise, das Handwerk zu legen. Hilfe bekommt sie dabei von ihrem Freund George, einem Mann im Wolfskostüm. Alles läuft auch soweit wie geplant, bis eines Tages Jennys Großmutter nach Rom kommt, um ihre Enkelin mit nach New York zu nehmen. Doch die Göre denkt gar nicht daran, hübschbrav mit ihrer Oma in die Staaten zu fliegen. Statt dessen bringt sie nun auch ihre Großmutter in ihre Gewalt...
„Moral und Werte existieren in dieser Welt nicht mehr!“

Mit seinem Regiedebüt „Red Riding Hood“ aus dem Jahre 2003 schuf der italienische Regisseur Giacomo Cimini einen kleinen, feinen Horrorfilm, der sich lose Grimm’scher Märchenmotive bedient und darüber hinaus fleißig das Genre zitiert.

Nachdem ihr Vater, offensichtlich ein hochrangiger Politiker, von einer Attentäterin erschossen wurde und später ihre Mutter mit einem neuen Freund durchbrannte, lebt die zwölfjährige Jennifer allein in Rom. Das Sorgerecht fällt auf ihre Großmutter (Kathleen Archebald), die aus New York anreist, um Jennifer mit in die USA zu nehmen. Was sie jedoch nicht ahnt: Zusammen mit einem geheimnisvollen Mann im Wolfskostüm sorgt Jennifer auf den Straßen Roms für Recht und Ordnung bzw. das, was sie dafür hält: Das Duo spürt Lügner, Betrüger, Diebe etc. auf und richtet sie blutig. Jennifer hat wenig Lust, ihre Tätigkeit aufzugeben und möchte partout nicht zurück in die USA…

„Red Riding Hood“ präsentiert ein aufgewecktes, selbstbewusstes, jedoch psychisch krankes Mädchen und lässt es den Film aus dessen Perspektive erzählen. Zu Beginn trägt es seiner Großmutter zunächst einmal eine „alternative“ Form des Märchens von Rotkäppchen und dem bösen Wolf vor und weckt damit später entsprechende Assoziationen, wenn sie als präpubertäres Mädchen zusammen mit einem Mann im Wolfskostüm gemeinsame Sache macht und sich gegen die Großmutter verschwört. Weitere Bezugnahmen auf das Märchen gibt es aber praktisch nicht, so dass auch nicht wirklich die Rede von einer Märchenadaption im Horrorgewand sein kann. Stattdessen bekommt man es mit einem comichaften, zynischen, schwarzhumorigen und harten Film zu tun, der ein kleines Mädchen mit verqueren, radikalen Moralvorstellungen als Richterin und Henkerin zugleich etabliert.

Sehr zu Gute kommt dem Film dabei die Wahl Susanna Sattas als Jennifer, die mit ihren buschigen schwarzen Augenbrauen ungewöhnlich und schon ein Stück weit geheimnisvoll aussieht, irgendwo zwischen niedlich-verschmitzt und teuflisch-verschlagen. Die kleine Satta brodelt dabei vor Spielfreude und scheint vor Ausstrahlung beinahe überzukochen – eine großartige Leistung der Jungschauspielerin, die über weite Strecken den Film auf ihren Schultern zu tragen hat. Eine dynamische Kameraarbeit und ein moderner, rasanter Schnitt verschleiern gut die eine oder andere Länge und stehen dem aufgedrehtem Film prima zu Gesicht.

Die sauber herbeikonstruierten Mordmotive und ihre jeweils baldigen, in Form wirklich guter Spezialeffekte umgesetzten Ausführungen erinnern an Slasher-Filme und Gialli der blutigen Sorte, die Sadismen gegen die gefangengehaltene Großmutter hingegen beginnen schwarzhumorig mit Schlafmitteln und Erdnussbutter (die rüstige ältere Dame reagiert allergisch auf Erdnüsse) und steigern sich zum Ende zu einer Reminiszenz an „Misery“, dass einem das Lachen im Halse stecken bleibt. Dies geschieht ohnehin in schöner Regelmäßigkeit, wenn die eingeschränkte, undifferenzierte, naive Sichtweise einer radikalmoralistischen Zwölfjährigen blutiger Ernst wird, während Jennifer ihr Treiben konsequent kaltschnäuzig und neunmalklug, doch dabei letztlich unvermindert infantil kommentiert. Auch die Liebe darf nicht fehlen – ohne, dass „Red Riding Hood“ dafür seinen Tonfall ändern würde: Die Konfrontation mit dem ersten Verliebtsein hat natürlich auch ihre bösen Folgen.

Seine Schwachpunkte offenbart „Red Riding Hood“ in erster Linie in der Klimax des Drehbuchs. Was anscheinend als Überraschungseffekt vorgesehen war
► Text zeigen
, dürfte jedem Zuschauer bereits zu einem sehr frühen Zeitpunkt klar sein. Zudem scheint die Handlung so sehr der Realität entrückt, dass klassische Spannung nicht unbedingt entwickelt wird. Dafür versuchte man aber, mit einem bizarren Ende das Publikum gleichsam zu ekeln und mit einer weiteren satten Dosis schwarzen Humors zu erfreuen, und tatsächlich unterstreicht es die zynische Note gekonnt. Unterm Strich nimmt „Red Riding Hood“ pointiert und kurzweilig die einseitige, vermeintliche Allgemeingültigkeit von Moralvorstellungen aufs Korn und zeigt die Notwendigkeit der kritischen Auseinandersetzung mit denselben anhand eines vereinsamten Kindes auf, das hierzu nie die Möglichkeit bekam und sie dadurch ins Gegenteil verkehrt – selbstverständlich in Form eines exploitativen, wunderbar geschmacklosen Horrorstreifens, der bei all seinem Humor fast immer rechtzeitig davor Halt macht, ins allzu Alberne abzudriften.
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Die Arbeiterklasse kommt ins Paradies
Lulù Massa (Gian Maria Volontè) arbeitet seit 15 Jahren in seiner Fabrik und hat es zum Vorbild für effektive Arbeitsweise gebracht. Dass sowohl seine Gesundheit als auch seine Familie stark darunter leiden, ist ihm bei der Jagd nach immer höheren Fertigungszahlen entgangen. Auch bei den Kollegen hat er sich damit unbeliebt gemacht. Lange Zeit zeigt er sich resistent gegen die studentischen Parolen, die ihm vor dem Fabrikeingang zurufen, sich für bessere Arbeitsbedingungen und höhere Gehälter einzusetzen, aber als er bei seiner Arbeit einen Finger verliert, beginnt er langsam deren Argumenten zu folgen. Er setzt sich an die Spitze einer Streikbewegung...
„Wir sind wie die Maschinen! Ich bin eine Maschine! Ich bin ein Metallstück! Ich bin eine Spindel! Ich bin ein Handrad! Ich bin ein Transportband! Ich bin eine ganz gewöhnliche Pumpe! Und die Pumpe, die ist jetzt kaputtgegangen! – Es ist aus!“

Der italienische Filmemacher Elio Petri schuf nur ein Jahr nach seinem Meisterwerk „Ermittlungen gegen einen über jeden Verdacht erhabenen Bürger“ mit „Die Arbeiterklasse kommt ins Paradies“ 1971 einen weiteren gesellschafts-, polit- und systemkritischen Spielfilm. Erneut konnte er auf Gian Maria Volonté als Hauptdarsteller zurückgreifen.

Vor dem Hintergrund realer Ereignisse während Ende des 1960er-Jahrzehnts in Italien – Arbeiter protestierten zusammen mit Studenten für bessere Arbeitsbedingungen – entstand Petris Film, der die jeweils möglichen Extreme eines Arbeiters im Charakter seiner wandelbaren Hauptrolle vereint: Lulù Massa. Dieser malocht seit Jahren im Akkord für eine Fabrik, in der er zusammen mit einer Vielzahl Kollegen mit routinierten, immer wiederkehrenden Handgriffen Einzelteile fertigt, von denen niemand weiß, wofür genau sie überhaupt benötigt werden. In seiner Tristesse stürzt Massa sich auf die Arbeit, vollbringt immer höhere Leistungen und wird dadurch zum Aushängeschild für die Vorgesetzten, die mit Verweis auf Massa die übrige Belegschaft zu immer mehr „Effizienz“ verdonnern. Dass Studenten mit ihren Megaphonen vor dem Werksgelände, in das sich die Arbeiter jeden Tag im Morgengrauen schleppen, lautstark protestieren und die Menschen aufzurütteln versuchen, interessiert ihn genauso wenig wie sein desolates Privatleben. Wenn er nach Hause kommt, ist er viel zu erledigt, um sich einem Sexualleben mit seiner attraktiven Frau hinzugeben. Doch abschalten und erholsamen Schlaf finden kann er auch nicht so recht. Er ist ein Mensch geworden, der nur noch im Rhythmus der Maschinen funktioniert, anstatt zu leben. In daraus resultierender schlechter körperlicher wie geistiger Verfassung und allgemeiner Hektik passiert ihm jedoch eines Tages ein Arbeitsunfall, der ihn einen Finger kostet und ausschlaggebend dafür ist, dass er den Studenten zunächst einmal zuhört und sich kurze Zeit als Arbeiterführer an ihre Spitze stellt…

Vordergründig ist „Die Arbeiterklasse kommt ins Paradies“ ein Polit-Drama, das vor historischem Hintergrund ein Einzelschicksal unterschiedliche Stationen zwischen den Polen unterwürfiges Arbeitstier und rebellischer Aufständischer durchlaufen lässt. Petri thematisiert den alten Konflikt zwischen von ihren Tätigkeiten abhängigen Arbeitern und vorlauten Studenten, die sich Dummheit und andersherum Weltfremdheit vorwerfen. Und mittendrin gemäßigte Gewerkschaften, die an den Symptomen herumdoktern, dadurch jedoch schnelle Teilerfolge erzielen wollen. (Achtung, Spoiler bis zum Absatzende!) Als es doch zu einer Zusammenarbeit kommt, ist es Massa, der Leidtragender ist, denn er wird als einziger entlassen. Er erklärt sich weiterhin solidarisch mit den Studenten, doch an seinem Einzelschicksal zeigen diese wenig Interesse und widmen sich anderen Dingen. Massas Privatleben zerbricht vollends und er steht vor dem absoluten Nichts. Statt seinen Film derart pessimistisch enden zu lassen, lässt Petri seine Protagonisten bei Verhandlungen durchsetzen, dass Massa seinen Job wiederbekommt und die Arbeitsbedingungen sich zumindest ein wenig verbessert haben, selbst seine Frau kehrt zu ihm zurück. Was in Hollywood zu einem klassischen „Happy End“ gereicht hätte, bekommt unter Petri jedoch eine bedrückend-fatalistische Note: Massa scheint, nachdem sich die Ereignisse derart überschlugen, verwirrt und apathisch und kehrt in seinen alten roboterhaften Trott zurück.

Für seinen Film bedient sich Petri eines realistischen Stils, der einzelne Elemente jedoch besonders stark betont und hervorhebt, durchaus auf fremd erscheinende oder vielmehr befremdliche Weise. Eine unruhige Kamera unterstreicht die allgemeine Unrast, den Stress, die Angespanntheit, die der Handlung innewohnt. Der aufpeitschende Soundtrack Ennio Morricones klingt kühl, amelodisch und mechanisch, womit er perfekt die unwirtliche Fabrikszenerie sowie die Entmenschlichung ihrer Lohnsklaven unterstreicht. Eine beinahe permanente Geräuschkulisse lässt den Zuschauer nicht zur Ruhe kommen, ständig wird geschrien und durcheinandergeredet. Massa wirkt gehetzt und getrieben, wie ein Herzinfarktpatient. Und bei allen scheinen die Nerven blank zu liegen. Die Dialoge sind scharfzüngig, Beleidigungen und Flüche keine Seltenheit. Dadurch gelingt es Petri, auf empathischer Ebene sein Publikum zu erreichen, spürbar zu machen, was diese Art von Arbeit für den einzelnen bedeutete, wie sie sich angefühlt haben muss. Der Wahnsinn der Fabrik-Akkordarbeit überträgt sich auf den Zuschauer, dessen innere Unruhe nur eines der Symptome ist, die Petri vermittelt. Folgerichtig ist „Die Arbeiterklasse kommt ins Paradies“ auf seine Weise anstrengend zu gucken, für einen entspannten Filmabend ungeeignet, und das ist genauso gewollt.

Nicht unerwähnt bleiben darf in diesem Zusammenhang indes die satirische Note, die bei aller Ernsthaftigkeit dem Film anhaftet. Durch seine gezielten Überzeichnungen streift er dieses Stilmittel, andere Szenen wie das Sinnieren über wertlosen Konsumplunder oder vor allem die unglaubliche Sexszene zwischen Massa und einer jungfräulichen Fabrikangestellten, die unter widrigen Umständen und viel Gequatsche hochgradig unerotisch in einem italienischen Kleinwagen vonstattengeht, sind mit ihrem bitteren Humor unschwer erkennbar satirisch angelegt worden.

Sicherlich ist Petris Film manipulativ, so manipulativ wie ein mitreißender Film eben sein kann, jedoch ideologisch keine Lösungen offerierend. Zwar richtet man sich unzweideutig gegen die Ausbeutung des Menschen, verzichtet aber dankenswerterweise darauf, ein alternatives Gesellschaftssystem o.ä. lobzupreisen. In seiner kritischen Sichtweise auf die Dinge macht Petri keinen Halt vor dem politischen Aktivismus mehr oder weniger radikaler Gruppen, schärft den Blick für das Einzelschicksal, statt unreflektiert Kollektivismus zu beschwören und regt an zum Nachdenken über bestehende Konflikte und Zustände, statt blinden Aktionismus zu idealisieren.

Unterm Strich ist „Die Arbeiterklasse kommt ins Paradies“ damit ein wertvoller Beitrag zu einem wichtigen gesellschaftlichen Diskurs, intelligent, aber nicht geschwollen-intellektuell, die Möglichkeiten des Mediums Film in vielerlei Hinsicht ausnutzend, insbesondere durch seinen Hauptdarsteller: Volonté beweist einmal mehr, dass er zu den besten italienischen Schauspielern gehörte, indem er eine unfassbar intensive, manische Leistung abliefert, sich in seine Rolle bis in die Haarspitzen hineinsteigert, alles in sie hineinlegt, was er hat. Das ist kein klassisches Overacting, das ist 100%ige Identifikation gepaart mit exzentrischer Ausstrahlung und dem Ausdruck eines temperamentvollen, lebendigen, hungrigen, wütenden Geistes. Grandios!
Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
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