Re: bux t. brawler - Sein Filmtagebuch war der Colt
Verfasst: So 1. Jul 2012, 17:52

Blutiger Schatten
„Um mich herum gibt es nur noch Schweigen!“Der junge Student Stefano (Lino Capolicchio) will seinen Bruder, den Priester Don Paolo (Craig Hill) auf einer kleinen venezianischen Insel besuchen und lernt im Zug die hübsche Stefania (Sandra Sellani) kennen, die das gleiche Ziel hat. Auf Murano angekommen findet er seinen Bruder jedoch in Sorge, denn mit der Gesellschaft des Städtchens steht es nicht zum Besten: offenbar pflegen einige der eher weniger gemochten Subjekte der Stadt die Gesellschaft mit einem Medium, das regelmäßig Seancen abhält und er steht wegen seiner Erfolglosigkeit unter großem Druck. Während eines Gewitters sieht er noch dazu den Mord an einer Frau auf dem Stadtplatz, doch das Opfer wird erst später gefunden - und der Mörder weiß offenbar, daß er beobachtet worden ist, denn er erpresst Don Paolo nun. Dafür machen sich Stefano und Stefania an die Ermittlungen, während der Killer sich durch die Teilnehmer der Seancen arbeitet...
„Blutiger Schatten“ aus dem Jahre 1978 ist der zweite Film und damit auch der zweite Giallo des italienischen Regisseurs Antonio Bido („Die Stimme des Todes“), von dem man danach nicht mehr sonderlich viel hörte. Stefano (Lino Capolicchio, „The House with the Laughing Windows“) besucht seinen Bruder, Priester Don Paolo (Craig Hill, „Meine Kanone, mein Pferd... und deine Witwe“), auf der venezianischen Insel Murano in der Nähe Venedigs. Dort wird er mit einer verschrobenen Inselgemeinschaft, die mit einem Medium Seancen abhält, ebenso konfrontiert wie mit rätselhaften Morden. Zudem sieht sich Don Paolo Erpressungsversuchen scheinbar unbekannter Herkunft ausgesetzt und Stefano kann mysteriöse Erinnerungsfetzen nicht richtig zuordnen. Zusammen mit Sandra (Stefania Casini, „Suspiria“), mit der er vor Ort angebändelt hat, beginnt er seine Recherchen...
Deutlich von klassischen Gialli der Marke Argento inspiriert, erzählt Bido eine verhältnismäßig simple Geschichte offenbar so kompliziert wie möglich, ohne dabei nachhaltig die frühen Verdachtsmomente des Genrekenners erschüttern zu können. Der Spannung indes tut dies wenig Abbruch, schließlich kann man sich als Zuschauer nie wirklich sicher sein und möchte sich letztendlich bestätigt sehen. Dennoch hätte die Handlung hier und da etwas Straffung vertragen können, wenngleich die in mystisch-gruselige Stimmung getauchte Atmosphäre des Films sich durchaus wohlig bahn bricht. Regelmäßige Blutbäder verursachen die „blutigen Schatten“ nicht, doch der eine oder andere Mord wurde äußerst brutal und dazu handwerklich gelungen inszeniert. Genretypisch bekommt man es auch hier mit einer Dopplung der Täterfrage ebenso zu tun wie mit einem gewissen Erotikfaktor, der sich besonders in einer schönen Szene auf dem Flokati vor prasselndem Kaminfeuer findet. Diese kann jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Romanze zwischen Sandra und Stefano eher aufgesetzt wirkt; noch unglaubwürdiger ist die angebliche geschwisterliche Verwandtschaft Paolos und Stefanos – die beiden wirken vielmehr wie Vater und Sohn und die Rollenzuordnung des Films damit reichlich bizarr.
Auch das Handlungselement der Erinnerungsfetzen, die in diesem Falle Stefano einzuordnen versucht, ist aus diversen Gialli bekannt, wird hier jedoch wenig überraschend aufgelöst. Leider fällt man generell der Schwäche einiger Genrevertreter anheim, die schlussendliche Auflösung, die Zusammensetzung aller mysteriösen Momente zu einem gelösten Puzzle, nur so herunterzurattern, als hätte man zuvor zu sehr getrödelt und müsse gegen Ende verlorene Zeit aufholen. Dafür weiß aber die provokante, Verlogenheit und Bigotterie des Klerus anprangernde Ausrichtung von „Blutiger Schatten“ zu gefallen, zumal die Geschehnisse unterlegt wurden von einem bisweilen sehr eigenwilligen, fast schon wahnwitzigen, zu jedem Zeitpunkt jedoch äußerst hörenswerten Progrock-Soundtrack Stelvio Ciprianis, eingespielt von niemand Geringerem als der Gruppe Goblin. Meines Erachtens ist es insbesondere die Musik, die „Blutiger Schatten“ letztlich dann doch unzweifelhaft aus dem Genredurchschnitt heraushebt und zu starken Alleinstellungsmerkmalen verhilft. Lino Capolicchio hat optisch ein bisschen etwas eines jungen Roman Polanskis, Sandra Sellani hingegen wurde – wie jedem im Film – zeitweise eine geheimnisumwitterte Aura zugeschrieben, bleibt ansonsten aber abgesehen von ihrer körperlichen Attraktivität drehbuchbedingt eher unauffällig. Prinzipiell sind alle schauspielerischen Leistungen als in Ordnung zu bezeichnen, lediglich die Interaktion untereinander erscheint aufgrund eingangs beschriebener Merkwürdigkeiten gerne mal etwas gewöhnungsbedürftig.
Fazit: „Blutiger Schatten“ – für erfahrenere Gelbsüchtige sicherlich ein Festschmaus aus der B-Riege, doch auch anderen sollte Bidos Film überdurchschnittliche Thrillerunterhaltung bescheren, über deren Schwächen man angesichts stimmiger Bilder und des Charmes vergangener Tage gern hinwegsieht, sich wegen der nicht immer pointierten Dramaturgie aber auch etwas in Geduld üben muss.