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Re: Was vom Tage übrigblieb ...

Verfasst: Fr 3. Okt 2025, 06:22
von Maulwurf
Beatriz (Gonzalo Suárez, 1976) 6/10

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Die gute Nachricht für alle Jess Franco-Fans: Wie es scheint, ist ein bislang unbekannter Film des Meisters aufgetaucht. Die schlechte Nachricht: Ätsch bätsch, der Film ist gar nicht von Jess Franco. Tatsächlich könnte BEATRIZ meistenteils ein Franco sein, gedreht mitten in der Golden-Phase seines Schaffens, die ja eine seiner kreativsten und produktivsten Phasen war. Nur einige wenige Details verraten, dass der Film dann doch kein Franco ist: Wir sehen kein Meer, Lina Romay ist nicht dabei, und völlig unnötige Spielereien mit dem Zoom-Objektiv werden auch nicht veranstaltet. Aber sonst?

Sonst verfolgen wir, auf der Basis zweier Erzählungen des spanischen Dramatikers Ramón del Valle-Inclán, wie eine reiche und stolze galizische Familie durch Aberglauben und ihre Ignoranz gegenüber der Außenwelt in den Abgrund gezogen wird. Der Vater ist tot, die Mutter sitzt den lieben langen Tag nur da und betet den Rosenkranz, gemeinsam mit einer Gruppe alter Weiber. Der jüngere Sohn Juan, der auch der Erzähler der Gesichte ist, und die ältere Tochter Beatriz leben ihr eigenes, ziemlich einsames Leben, und das Hausmädchen Basilisa sorgt sich neben dem Haushalt auch darum, dass die Schwänze der wenigen Männer im Haus nicht vertrocknen. Nur der Student Máximo, der sich um die Bibliothek des Hauses kümmert, ist da ausgenommen. Ein vergeistigter Mensch, der in der Welt seiner Bücher lebt, und mit der Welt da draußen kaum etwas zu tun hat.
Basilisas Kind, das sie vom Schmied bekommen hat, ist kränklich, und um es zu retten, geht Basilisa vermeintlich einen Pakt mit dem Teufel ein. Gerade erst ist ein Mönch auf dem Rückweg vom Heiligen Land durch die Gegend gezogen, wobei er eine Gruppe Banditen dezimiert hat. Einem der Männer hat er ein Ohr abgeschnitten, und dieses Ohr näht Basilisa nun in ein Kopfkissen ein, damit die Besitzerin dieses Kissens die Krankheit ihres eigenen Kindes übernimmt. Das Kissen gehört Beatriz, und der Pakt scheint zu funktionieren: Beatriz wird krank, das Kind wird gesund, und genau in diesem Augenblick kommt der arbeitsuchende Mönch in das Haus, und erweckt in der fiebrigen und gerade zur jungen Frau reifenden Beatriz mehr als nur romantische Gefühle. Fast scheint es, als ob wirklich der Teufel seine Hand im Spiel hat …

Und was hat das jetzt mit Jess Franco zu tun? Erstmal gar nichts, aber diese tieftraurige und gleichzeitig desolat-romantische Stimmung, durchzogen von einer subtilen Erotik und einem wehklagendem Synthesizer, die könnte genau so auch aus Filmen wie SINFONÍA ERÓTICA oder LA CASA DE LAS MUJERES PERDIDAS stammen. Im Kern geht es, allem Anschein nach ganz typisch bei den Werken von del Valle-Inclán, um eine gut betuchte Familie, deren Leben längst in Stillstand übergegangen ist, dem dann knapp auf den Fuß das innere Verfaulen folgt. Das Erscheinen des Mönchs als Katalysator bringt Bewegung in die erstarrten Strukturen, erweckt Gefühle und Bedürfnisse, was aber nicht allen in der Familie passt. Der Mönch, ein gutaussehender und männlicher Kämpfer, der sich gegen seinen eigenen Willen zu Beatriz hingezogen fühlt, zeigt den von der realen Welt abgewandten Menschen in ihrer Isolation, was (körperliches) Leben wirklich bedeutet. Auch hier fallen wieder die Parallelen zu den beiden oben genannten Filmen Jess Francos auf: Ein Eindringling in eine tote Welt erzeugt Bewegungen, die allmählich außer Kontrolle geraten und in einer Katastrophe enden …

Und noch eine Ähnlichkeit zu Francos Filmen ist bei BEATRIZ auffällig, nämlich das langsame Erzähltempo. Regisseur Gonzalo Suaréz verlässt sich auf lange Einstellungen und ruhige und bedächtig daherkommende Erzählmuster. Auch wenn die Figuren alle schnell eingeführt werden, und auch wenn die Geschichte sehr flüssig erzählt wird, so ist die Narration als solche gemächlich, der gezeigten Jahreszeit und der dargestellten Epoche (der Film spielt im Winter, mutmaßlich kurz nach dem ersten Weltkrieg) angepasst. Was aber nicht bedeuten soll, dass nicht der ein oder andere Handlungsstrang, wie zum Beispiel die Moritat rund um das abgeschnittene Ohr, alsbald wieder verschwinden – Auch hier wieder eine Analogie zu Francos Filmen. Die wenigen Actionszenen, und solche sind sehr wohl vorhanden, sind überzeugend gedreht und bringen das Adrenalin in Wallung, und gleichzeitig traut sich Suárez ein Jahr nach General Francos Tod bereits, die volle Breitseite an weiblicher Nacktheit zu zeigen. Nicht zu offensiv wohlgemerkt, BEATRIZ ist kein Exploitationer, der im Programm eines Erwin C. Dietrich seinen Platz gefunden hätte. Im Gegenteil kommt die Blöße erst allmählich im Laufe des Films zum Vorschein, genauso wie die eingefrorenen Seelen der Menschen nur allmählich auftauen und gezwungen werden sich Blößen zu geben. Und wenn am Ende des Films jeder in der Geschichte etwas verloren hat, dann durchzieht die Kälte des nordspanischen Winters nicht nur die gedemütigten Figuren im Film, sondern auch das Herz des Zuschauers ob der gezeigten Grausamkeiten. Ein Ende, wie es auch in den Jess Franco-Filmen der frühen 80er gezeigt wird. Ohne Hoffnung, ohne Mitleid, und von einer grenzenlosen Melancholie durchdrungen. So wie der ganze Film …