Was vom Tage übrigblieb ...

Euer Filmtagebuch, Kommentare zu Filmen, Reviews

Moderator: jogiwan

Benutzeravatar
Maulwurf
Beiträge: 3749
Registriert: Mo 12. Okt 2020, 18:11
Wohnort: Im finsteren Tal

Re: Was vom Tage übrigblieb ...

Beitrag von Maulwurf »

Manaslu – Berg der Seelen (Gerald Salmina, 2018) 7/10

Manaslu - Berg der Seelen.jpg
Manaslu - Berg der Seelen.jpg (16.02 KiB) 702 mal betrachtet

Die Höhen und Tiefen eines Menschenlebens. Eines Bergsteigerlebens. 13 der 14 Achttausender bestiegen. Der erste Mensch, der mit Skiern vom Mount Everest abgefahren ist, nachdem er in einer Rekordzeit aufgestiegen war, die bis heute (2023) ungebrochen ist. Der zusammen mit Reinhold Messner zwei Achttausender am Stück überschritt, was ebenfalls bis heute unübertroffen ist. Der die Second Summits der Welt bestieg. Der im Suff einen jungen Mann totfuhr. Und der am Manaslu im Himalaya innert vier Stunden zwei seiner besten Freunde verlor.

Hans Kammerlander ist eine Legende unter den Bergsteigern dieser Welt, und was ihn so menschlich und so nahbar macht sind genau diese Schrecken in seiner Vita. Dass es da Dinge gibt, die einem Menschen auch mal das psychische Genick brechen können. Gerald Salmina versucht in seinem filmischen Portrait, sich der Legende Hans Kammerlander anzunähern. Filmische Szenen, von Schauspielern sehr stark gespielt, zeigen die Kindheit Kammerlanders, gleichzeitig auch immer wieder im Off von Kammerlander selber kommentiert. Wir sehen seinen frühen Erfolgen mit Messner zu, eine Mischung aus zeithistorischen Dokumenten und Spielszenen, und wir sehen seinen Triumph, die Besteigung des Mount Everest ohne künstlichen Sauerstoff und die Abfahrt mit Skiern. Auch hier wieder Spielszenen mit Schauspielern dazwischen, und plötzlich wird aus der nüchternen Beschreibung ein packendes und intensives Abenteuer, wird urplötzlich klar, wie oft und in welchem Grad Kammerlanders Leben auf des Messers Schneide stand.

Wir begleiten Kammerlander aber eben auch in seine persönliche Hölle hinein Der Film gefällt sich nicht in unkritischer Heldenverehrung, sondern zeigt auch die schwarzen Flecken im Lebenslauf. Den von Kammerlander verursachten Autounfall, bei dem ein Mensch ums Leben kam. Und natürlich, dem Film den Namen gebend, das Drama am 8.163 Meter hohen Manaslu, bei dem sein guter Freund Friedl Mutschlechner ein paar Meter neben ihm in einem Schneesturm vom Blitz erschlagen wurde. Nur wenige Stunden, nachdem die beiden ihren Partner und Freund Carlo Großrubatscher tot aufgefunden hatten. Die Verzweiflung Kammerlanders, das Elend dieser langen Nacht, aber auch das Entsetzen von Kammerlanders damaliger Lebensgefährtin die sich im Basislager befunden hatte, all dies wird mit Händen greifbar. Fort aus der reinen Schilderung eines Buches, hin zu bewegten (und bewegenden) Bildern und Tönen.

MANASLU – BERG DER SEELEN hat sicher einiges an Möglichkeiten ausgelassen, und bietet streng genommen auch viele Ansätze, Kritik an Film und Person zu üben. Was mir persönlich an dem Film gefällt ist, dass er die Person Kammerlander nicht himmelhochjauchzend lobt, ihn aber auch nicht, wie es die Presse nach dem schrecklichen Verkehrsunfall tat, in der Luft zerreißt. Regisseur Gerald Salmian versucht, sich einem Menschen wie Du und ich, voller Erfahrungen, Eigenheiten und Fehler, behutsam zu nähern und ein Portrait eines Menschen zu erstellen, der sein Leben mit dem Kopf in den Wolken und mit den Füßen auf dem Boden gelebt hat, viele Zerrreißproben aushalten musste, und dabei eigentlich ein ganz normaler Bergbauernbub geblieben ist. Beeindruckend!
Der Sieg des Kapitalismus ist die endgültige Niederlage des Lebens.
(Bert Rebhandl)
Benutzeravatar
Maulwurf
Beiträge: 3749
Registriert: Mo 12. Okt 2020, 18:11
Wohnort: Im finsteren Tal

Re: Was vom Tage übrigblieb ...

Beitrag von Maulwurf »

Winchester ’73 (Anthony Mann, 1950) 8/10

Bild

Ein Mann auf der Suche nach etwas, das er selber nicht so genau definieren kann. Eigentlich jagt Lin McAdam den Mörder seines Vaters, und als er ihn gefunden hat duelliert er sich mit ihm. Ein Klischee über das Ende eines Westerns? Nein, denn das Duell findet statt in Form eines Wettschießens bei einem Wettbewerb, und ist tatsächlich Beginn wie auch Ende des Films. McAdam gewinnt das eröffnende Schießen, und der Preis ist die legendäre Winchester aus dem Jahr 1873, eine von Tausend, wie es immer heißt – Eine Waffe, für deren Herstellung die Firma Winchester ganz besonders viel Liebe und Sorgfalt aufbrachte. Jeder Mann erliegt sofort der Schönheit und der Ausstrahlung dieser Waffe, so wie es 100 Jahre später etwa ein Ford Mustang tun wird. Die Winchester ist also letzten Endes nichts anderes als ein MacGuffin; ein Requisit, das die Handlung eines Films in Gang setzt. Denn so stolz McAdam auf die Waffe auch sein mag, die Rache an dem Mörder ist wichtiger, was dazu führt, dass dieser ihm die Waffe stehlen kann. Nun jagt McAdam also nicht nur besagten Mörder, sondern auch sein frisch gewonnenes Gewehr. Die Jagd führt ihn quer durch Texas, quer durch verschiedene Handlungsstränge, und das wirklich bemerkenswerte an WINCHESTER ‘73 ist vor allem, dass James Stewart als McAdams strenggenommen nur eine Nebenrolle spielt. Die Hauptrolle, das sind die verschiedenen Episoden, die hier miteinander verknüpft werden und das idealisierte Bild einer Zeit vorspielen, die als grandios und heldenhaft in die Geschichtsbücher eingegangen ist, während die Bilder dieses Ideal gleichzeitig demontieren. McAdam stößt zu Soldaten und kämpft mit ihnen gegen Indianer. McAdam begegnet Banditen und muss gegen sie antreten. MacAdam reitet mit einem rauen Westmann, er trifft eine Saloonsängerin (Huren gab es 1950 noch nicht) und einen anständigen Wirt genauso wie pflichtbewusste Sheriffs und feige Möchtegern-Cowboys, und bestreitet am Ende dann doch das Showdown so, wie es die Gesetze des Wildwestfilms (zumindest damals noch) verlangen: Mann gegen Mann in der Wildnis, die Gefahren der Natur und der menschlichen Niedertracht im Verbund gegen den aufrechten Helden.

Doch findet der ach so heroische Kampf gegen die Indianer nicht Mann gegen Mann statt, die Banditen nehmen Frauen und Kinder als Geiseln, und die Soldaten sind halbe Kinder, unerfahren im Kampf und völlig überfordert, während der eigentliche Held der Geschichte an seinem Gewehr mehrere Mal ahnungslos vorbeireitet. So richtig glücklich, im Sinne einer klassischen Hollywood’schen Dramaturgie, wird hier niemand. Mit diesen narrativen Strukturen im Gepäck werden die Western der 50er-Jahre vorbereitet. Filme wie Manns DER MANN AUS DEM WESTEN oder Boettichers RANOWN-Zyklus, und eine heile Welt wird im Lauf der Jahre in schmutzige Scherben fallen, um einige Zeit später dann den Italo-Western zu gebären, und aus dem Schmutz und der Niederträchtigkeit eine eigene Kunstform zu generieren. Aber soweit sind wir hier noch nicht.

Noch sind wir bei etwas, was sich in der Inhaltsangabe zwar wie eine zelluloidgewordene Aneinanderreihung von Klischees klingt, im Film aber gerade durch die episodenhafte Struktur geschickt als spannendes Drama gelöst ist. So stereotyp viele der Figuren auch auf den ersten Blick sein mögen, und so schablonenhaft manche der erzählten Geschichten auf den ersten Blick wirken, so vielfältig ist die Narration aufgesetzt. Vor allem das hohe Tempo des Films lässt es nicht zu, sich Gedanken zu machen über den Weg des Lin McAdam, der wie ein Besessener nach einem Phantom jagt, und dafür bereit scheint seine zivilisatorische Tünche aufzugeben. Tatsächlich ist es wohl eher dem Entstehungszeitraum zu verdanken, dass Stewart hier noch nicht so misanthrop rüberkommt wie drei Jahre später in NACKTE GEWALT, wo er als Kopfgeldjäger jegliche Umgangsformen längst verlernt hat, und sich vorwiegend der konsequenten Anwendung von Gewalt widmet. Aber das ist hypothetisch, in WINCHESTER ’73 darf Stewart noch romantische Gefühle zeigen, und sein Zynismus und die abwehrende Behandlung anderer Menschen hält sich durchaus noch im Rahmen. Aber es ist deutlich zu spüren, dass dieser Mann auf dem Weg nach unten ist. In einer Zeit, in der das Faustrecht das geschriebene Recht oft überlagerte, ist der gewalttätige Weg des Lin McAdam kein ungewöhnlicher Weg. Sheriff Wyatt Earp zum Beispiel respektiert beim Wettschießen die Rache McAdams völlig problemlos, solange sie nicht in seinem Ort durchgeführt wird. Ein Mann muss tun was ein Mann tun muss, und das Recht auf Rache darf jederzeit vollendet werden. Wenn James Stewart als McAdam und Dan Duryea als soziopathisch-sympathischer Gesetzloser Waco Johnny Dean die Charaktere tauschen würden, dann würde sich der Zuschauer urplötzlich in einem späteren Italo-Western wiederfinden, wo die „Guten“ manches Mal fast rücksichtsloser agieren als die „Bösen“. Dan Duryea schaut gut aus, lächelt nett, und schießt Giftpfeile aus seinem Mund und Patronen aus seinem Colt in fast der gleichen Geschwindigkeit ab. Wenn der Mann Kinder gezeugt hätte, Richard Widmarks Tommy Judo aus DER TODESKUSS wäre einer seiner Nachkommen. Und als McAdam in der Kneipe Wacos Kopf auf den Tisch schlägt um Informationen über den Aufenthalt des Mörders zu bekommen, da ist tatsächlich eine Zeitenwende im Western zu sehen: Der „Held“, der einen Bösewicht in aller Öffentlichkeit und vor dem Auge der Kamera misshandelt um zum Ziel seiner eigenen Rache zu kommen – Ein großer Schritt auf dem Weg zu Django und Dirty Harry, und im Jahre 1950 dürfte dieser Moment im Kino für einen ernsthaften Schock gesorgt haben. Oder hatten die Noirs und Gangsterfilme der 40er, genauso wie die Erlebnisse des Krieges in der Realität, längst den Weg für solche Szenen bereitet? Der edle und hilfreiche Westmann hatte in diesem Augenblick jedenfalls ein für alle Mal ausgedient …

WINCHESTER ’73 ist ein wilder und schneller Ritt durch die Welt des Westerns, und er scheut auch nicht davor zurück, dunkle Untertöne anzustimmen, sich ein wenig in die Richtung eines Film Noir zu bewegen, ohne allerdings dessen psychologische Komplexität wirklich zu erreichen. Das muss er aber auch gar nicht, denn durch die Erzählstruktur ist der Film interessant und abwechslungsreich, durch sein hohes Tempo spannend, und die erstklassigen Schauspieler ergeben dann in Summe ein Bild eines großartigen Films, über den es sich lohnt nachzudenken, um seine Tiefen ausloten zu können. Auf der Oberfläche ein packender Western, darunter ein gut gemachtes Drama, und ganz unten die Charakterstudie eines Mannes auf dem Weg in die Hölle. Warum bitte schön habe ich mich so lange gegen die älteren US-amerikanischen Western gewehrt …?
Der Sieg des Kapitalismus ist die endgültige Niederlage des Lebens.
(Bert Rebhandl)
Benutzeravatar
Maulwurf
Beiträge: 3749
Registriert: Mo 12. Okt 2020, 18:11
Wohnort: Im finsteren Tal

Re: Was vom Tage übrigblieb ...

Beitrag von Maulwurf »

Lili Marleen (Rainer Werner Fassbinder, 1981) 6/10

Bild

Was für ein großartiger und bunter Bilderbogen, den Rainer Werner Fassbinder hier vor uns ausbreitet. Und was für eine fantastische und märchenhafte Geschichte vom hässlichen kleinen Entlein, das ein stolzer Schwan werden möchte, und dabei Gefahr läuft zum eitlen Pfau zu werden. Eine Geschichte, so recht aus einem Buch zum Träumen: Da ist die junge Willi, die als Sängerin im Dritten Reich so gerne groß rauskommen möchte. Ein gewisser Hans Hinkel bietet ihr die Möglichkeit, und erst spät erfährt Willi, dass Hans Hinkel der Leiter des Reichskulturamtes ist, und damit das Auf und Ab der Künstlerkarrieren fest in der Hand hat. Willi geht also nach Berlin, geht zu Hinkel, und nimmt ein Lied auf: Lili Marleen. Ein verliebter Jüngling landet als Soldat mit dieser Platte in der Hand im Studio des Soldatensenders Belgrad, dort wird das Lied gespielt, und fortan wird es über die Kriegsjahre hinweg allabendlich die Träume und Sehnsüchte der Landser begleiten. Und nicht nur der Deutschen, sondern aller Soldaten, auch der Alliierten, denn der Magie dieses Zauberliedes kann sich niemand verschließen.
Doch, einer kann es, der böse Wolf: Wegen seines „morbiden und depressiven“ Textes verbietet Goebbels Lili Marleen, (und in Wahrheit vor allem auch deswegen, weil die Sängerin Kontakte zu Schweizer Juden hatte). Willi gerät in Ungnade, und weil ihr Verlobter Robert Juden aus Deutschland heraus schmuggelt, muss auch Willi verschwinden. Es heißt, sie sei in einem Lager ermordet worden, woraufhin die Proteste unter den Soldaten so groß sind, dass Willi wieder auftreten darf, damit dieses Gerücht dementiert werden kann. Aber ihr großes Lied, das darf sie nicht mehr singen. Doch irgendwann ist auch dieser schreckliche Krieg zu Ende. Willi kann wieder in die Schweiz, zu ihrem geliebten Robert. Und zu dessen … Frau?

Ein großer bunter Bilderbogen, der so kitschig wie pulpig aufgebaut ist, und eigentlich die Vorlage zu einer Soap-Opera bietet - Und wie eine Soap-Opera hat Fassbinder den Film auch aufgebaut. Hochgradig künstliche Dialoge, die teilweise zwischen direkt aneinanderkomponierten Einsätzen sogar noch Sprechpausen haben. Eine Musik, die jede noch so kleine Stimmungsschwankung mit hochdramatischem Einsatz begleitet und aus jeder Maus ein ganzes Elefantenballett macht. Gefühle, die sich gegenseitig überbieten und Wellen schlagen so hoch wie das Brandenburger Tor. Unechte Figuren, die sich durch reichhaltig ausgestaltete Kulissen bewegen und eine Geschichte zum Besten geben. Eine Geschichte, die mit der Wirklichkeit kaum etwas zu tun hat, dafür aber eine Phantasie bietet, wie sie schon seit Menschengedenken immer wieder erzählt wird. Drama, Liebe, Eifersucht, Romantik, Musik, ein klein wenig Tod, böse Menschen, gute Menschen, verliebte Menschen, Freundschaft – Alles genau die Dinge, die eine großartige Geschichte halt so braucht. Und die Fassbinder hier in satten Farben und mit überwältigenden Gefühlen garniert darbietet. LILI MARLEEN ist somit keine Aufarbeitung künstlerischer Vergewaltigung im Dritten Reich, genauso wenig wie eine Untersuchung der Ränkeschmiede der Reichskulturkammer. LILI MARLEEN ist ein Märchen für Erwachsene, das mit den nackten Brüsten Hanna Schygullas beginnt, mit einer Hommage an Kristina Söderbaum endet, und dazwischen einfach mal jedes Klischee mitnimmt das gerade im Weg herumsteht. Eine LINDENSTRASSE im Dritten Reich.

LILI MARLEEN kann Spaß machen, wenn man den Film nicht ernstnimmt, sondern als Burleske ansieht. Als verzerrte Komödie über Menschen im Dritten Reich. Darf man über Nazis lachen? Nein, man muss. Dieses bekannte Motto könnte fast im Hintergrund der Story stehen. Insofern ist LILI MARLEEN ein etwas zwiespältiges Vergnügen. Denn Dinge wie knallharte Politik oder gar Kritik an den Zuständen im Dritten Reich darf man hier nicht erwarten. Ein Märchen eben. Oder eine Soap-Opera …
Der Sieg des Kapitalismus ist die endgültige Niederlage des Lebens.
(Bert Rebhandl)
Benutzeravatar
Maulwurf
Beiträge: 3749
Registriert: Mo 12. Okt 2020, 18:11
Wohnort: Im finsteren Tal

Re: Was vom Tage übrigblieb ...

Beitrag von Maulwurf »

Ein Schuss zuviel (Rafael Romero Marchent, 1968) 5/10

Bild

Die Bande von Bill Anderson, eine herabgekommene Truppe einstiger konföderierter Soldaten, terrorisiert das Städtchen Springfield in Missouri. Dem Richter der Stadt geht das irgendwann zu weit, und er organisiert Hilfe von der Detektei Pinkerton. Kurz darauf kommen zwei Fremde in die Stadt: Daniel G. Samuelson behauptet, dass er auf dem Weg nach Westen sei um Gold zu schürfen (oder richtiger: Welches zu organisieren), und Ringo legt sich mit allem und jedem an, rettet mal eben zwei Geiseln der Anderson-Bande vor dem Tod, und macht ansonsten ein großes Geheimnis aus seiner Person. Die beiden Männer raufen sich zusammen, um der Bande endlich den Garaus zu machen. Die unterschiedlichen Motive machen dabei gar nichts, Hauptsache man kann den Banditen endlich das Handwerk legen.
Die allerdings haben sich mittlerweile nach Colorado abgesetzt. Unterwegs trifft die Bande auf eine Gruppe Mormonen, woraufhin die Gangster dann, weil Bill Anderson gar nicht so dumm ist, fortan als Mormonen unterwegs sind, und die Ranch, die sich die gottesfürchtigen Männer zu Lebzeiten gekauft hatten, auch gleich in Besitz nimmt, um von dort aus Raubzüge zu unternehmen. Doch die wackeren Kämpfer Dan und Ringo sind schon unterwegs …

Schlecht ist EIN SCHUSS ZUVIEL ja eigentlich(!) nicht, bietet er doch auf der Habenseite einige wirkliche starke Actionszenen, harte Prügeleien, Dynaik Zurakowska in einer völlig verschenkten Rolle und, selten genug zu sehen, Piero Lulli als Good Guy. Die Musik geht gut ins Ohr, die Landschaft reizt zum Mitraten aus welchen Filmen man diese Kulissen bereits kennt, und man kann anderthalb Stunden auch bedeutend schlechter verbringen. Aber ach, das waren ja nur die guten Seiten des Films, da hat es leider auch noch den ein oder anderen Kritikpunkt. Die sauberen und wie frisch gewaschenen Charaktere, klar und sofort erkennbar in Gut und Schlecht aufgeteilt zum Beispiel. Außer einem gewissen Michael, der hier Kid genannt wird (oder vielleicht Kitt? Was ja gut zu Michael passen würde? Ach nee, falsche Baustelle), der sich zumindest eine Zeitlang eine gewisse Ambivalenz erhalten kann, außer diesem Michael Kid sind alle Figuren so platt und schablonenhaft wie in den amerikanischen Western vor 1940. Gerade dass die Guten nicht auch noch weiße Hüte aufhaben. Aber die zweifelhaften Charaktere und moralisch verkommenen Anti-Helden des gängigen Italo-Westerns des Jahres 1968 werden hier nicht einmal ansatzweise getroffen.
Da wäre aber auch die spannungsarme und vorhersehbar ablaufende Geschichte, die in ihrer ganzen Anlage ebenfalls in die Filmjahre vor 1940 verlegt werden könnte. Bis auf den Schluss gibt es keine Überraschungen, keine Twists, keine Volten, und die Narration ist so flach wie das Grasland in den Great Plains. Hübsch anzuschauen, aber eben unaufregend. Vielleicht könnte man sich über den ein oder anderen völlig unerheblichen Nebenplot aufregen, damit wenigstens ein klein wenig Adrenalin verströmt wird – So ist etwa die Geschichte um die hübsche Lucy, Michaels Freundin, vollkommen zweckbefreit, und generiert nur unnötige Laufzeit. Der Bösewicht, der sowohl in der Stadt als auch bei der Bande auf zwei Hochzeiten tanzt, ist so schnell identifiziert als hätte er ein Schild um, und auch seine Geschichte versandet irgendwann. Von der Nebenfigur Michael Kid dann ganz zu schweigen, der nebulös und unscharf eine interessante Storyline antäuscht, nur um dann im Staub der Prärie vergessen zu werden, genauso wie der Plot um die Detektei Pinkerton, der zu Beginn auf das Interessanteste angetäuscht wird, ab einem bestimmten Zeitpunkt dann aber einfach nicht mehr auftaucht.

Der Western, vor allem der Italo-Western, glänzt oft durch seine ikonischen Bilder. EIN SCHUSS ZUVIEL allerdings nicht. Es gibt diesen Moment, wenn die Bande die Mormonen massakriert, und nur Kid nicht mitmacht, weil er so ein Sensibelchen ist. Die Szene beginnt sehr stark mit dem Gesicht Kids zu den tödlichen Schüssen. Aber leider nur ein oder zwei Sekunden, danach wechselt der Schnitt auf die Colts und der großartige Moment des Grauens vergeht so spurlos wie ein Kojotenruf in der Nacht. Auch sonst gibt sich Kameramann Emanuele Di Cola sehr viel Mühe, die Landschaft rund um Almería so unauffällig wie möglich darzustellen, und überhaupt bloß keine Extravaganzen zuzulassen. Die Kameraführung ist ungefähr genauso langweilig wie die Figuren oder die Geschichte …

Klingt jetzt alles nicht so prickelnd, und das ist es auch nicht. Die positiven Aspekte habe ich angeführt, und an denen hängt man sich dann halt auf. Aber ehrlich gesagt gibt es selbst bei den Western aus der dritten Reihe ansprechendere Arbeiten. Für einen Western von Rafael Romero Marchent auf jeden Fall steckt hier deutlich zu wenig Herzblut und Sorgfalt drin.
Der Sieg des Kapitalismus ist die endgültige Niederlage des Lebens.
(Bert Rebhandl)
Benutzeravatar
Maulwurf
Beiträge: 3749
Registriert: Mo 12. Okt 2020, 18:11
Wohnort: Im finsteren Tal

Re: Was vom Tage übrigblieb ...

Beitrag von Maulwurf »

Underwater Love (Shinji Imaoka, 2011) 8/10

Bild

Ein Kappa ist ein fischähnliches Wesen aus der japanischen Mythologie. Kappas haben auf dem Kopf eine Bewässerungsmulde, die immer feucht gehalten werden muss damit sie nicht austrocknen. Sie ernähren sich von Fisch und lieben Gurken, spielen Menschen gerne Streiche oder ziehen sie ins Wasser. Die Arbeiterin in einer Fischfabrik Asuka sieht einen Kappa im Hafen. Und sie stellt fest, dass sie diesen Kappa kennt, war er doch vor 17 Jahren ein Teenager namens Aiku, der in einem Teich ertrank, und dann als Kappa wiedergeboren wurde. Aiku liebt Asuka, schon seit mehr als 17 Jahren, aber Asuka steht kurz vor der Hochzeit mit ihrem Chef und möchte Aiku nicht als Dauergast in ihrer Badewanne haben. Also lässt sich Aiku in der Fabrik anstellen, damit er immer bei Asuka sein kann, die ihn für die Arbeit anlernen muss. Doch der Gott des Todes, der mit Aiku gerne mal ein paar Sake zu viel trinkt, hat aus Versehen ausgeplaudert, dass Asuka morgen bei Sonnenuntergang sterben wird. Ein Schock für Aiku, der seine Angebetete davon überzeugt zu fliehen. Wohin? Zu seinen Artverwandten, denn nur dort gibt es die Analperle, vor der der Gott des Todes zurückschreckt …

Eins, zwei, drei, vier. Eins, zwei drei.
Eins, zwei, drei, vier. Eins, zwei drei.
Die alte Frau setzt sich in Bewegung. Die alte Frau erhebt sich
Der Magen der alten Frau knurrt.
Alte Frau! Alte Frau!
Die alte Frau überlegt, überlegt mit leerem Magen.
Überlegt was sie tun soll.
Mit ihrem beschränkten Verstand.
Mit ihrer dreckigen Fantasie.

Dies wird gesungen wie ein lustiges Kinderlied, oder eher noch wie ein Klassiker aus der Zeit der späten Neuen Deutschen Welle, und die Arbeiter der Fischfabrik tanzen beschwingt und grinsen in die Kamera.

Oder:

Ich bin entschlossen und bereit.
Ich bin entschlossen und bereit.
Nichts Gutes wird geschehen, mein fester Glaube war dumm.
Gehofft habe ich, weil ich jung war.
Bringt ihn um, bringt ihn verdammt noch mal um!
Bringt den verlogenen Kappa um.
Bringt ihn verdammt noch mal um!

Und hier tanzen und hüpfen und springen und plantschen Asuka und die Gruppe der Kappas im Wasser herum wie betrunkene Kindergartenkinder und haben sichtlich Spaß bei dem Versuch, so ausgelassen wie möglich herumzuhüpfen.

Was das soll? Nun ja, UNDERWATER LOVE ist ein Musical! Ein Pink-Musical!! Hier wird zu klassischem New Wave gesungen und getanzt (eher gehüpft), man hat Sex, und dazwischen wird ein Liebesdrama präsentiert das sich gewaschen hat. Im wahrsten Sinn, denn Aiku muss seine Bewässerungsmulde so nass wie möglich halten, damit er nicht austrocknet und seine Kraft verliert. Also steht er eigentlich ständig unter der Dusche, oder er wird von den Frauen in der Fischfabrik nassgespritzt. Alle Schauspieler scheinen dabei ein Maximum an Spaß zu haben, und viele Szenen wirken so improvisiert und absolut natürlich wie von Klaus Lemke gedreht. Vor allem Sawa Masaki als Asuka möchte man die ganze Zeit am liebsten in den Arm nehmen und knuddeln, so süß und liebenswert wie sie „spielt“.

UNDERWATER LOVE ist genau das durchgeknallte und abgefahrene Nippon-Kino, das seinen guten Ruf zu Recht hat. Hier verquickt mit Musik und Sex, mit vielen Lachern und ein klein wenig Tränen. Und mit dem Gott des Todes, den ich mir so wie hier irgendwie noch nie vorgestellt habe. Als Mann im engen blumigen Sommerkleid, mit Jesus-Latschen, dauerrauchend und –saufend, und mit Banzai-Stirnband um die wilde Haarpracht zu bändigen …

Schwere Empfehlung für alle die denken, sie hätten schon alles gesehen!
Der Sieg des Kapitalismus ist die endgültige Niederlage des Lebens.
(Bert Rebhandl)
Benutzeravatar
Maulwurf
Beiträge: 3749
Registriert: Mo 12. Okt 2020, 18:11
Wohnort: Im finsteren Tal

Re: Was vom Tage übrigblieb ...

Beitrag von Maulwurf »

Fantomas (André Hunebelle, 1964) 6/10

Bild

Es könnte so etwa im Alter von 10 Jahren gewesen sein, da habe ich diesen Film das erste Mal im Fernsehen gesehen. Zuerst fand ich das alles ganz aufregend, aber irgendwann, nämlich als der Mann mit der lila Gesichtsmaske auf den Plan trat, habe ich schon ganz schön Angst bekommen. Und als dieser Mann seine lila Maske abzog, und darunter das Gesicht seines Gegenübers zu sehen war, da war der Ofen aus. Der kleine Maulwurf hatte eine Scheißangst und verkroch sich schnurstracks ins Bettchen …

Denn der Mann war Fantomas, der gefürchtete Superschurke, dessen Ziel es ist, unaufhörlich Verbrechen zu begehen. Überfälle, Morde, Attentate - Fantomas ist immer und überall, und der kleine Kommissar Juve von der Polizei kommt kaum hinterher auch nur an die Tatorte zu fahren. Und dann ist da ja auch noch der umtriebige Journalist Fandor, der Fantomas durch ein erfundenes Interview verhöhnt, und damit dem Kommissar zusätzlich noch gewaltig gegen die Kandare fährt. Fantomas findet Fandor aber auch nicht wirklich komisch, entführt diesen, und begeht mit dem Gesicht Fandors Verbrechen. Und danach dann auch noch mit dem Gesicht des Kommissars! Das Maß ist voll, und Juve und Fandor tun sich zusammen, um den gerissenen Bösewicht zu fangen …

Klingt ganz wie so ein typischer Euro-Spy aus den 60erm eben so klingt: Megaverbrecher will die Welt unterjochen, mutiger Kommissar und/oder trotteliger Journalist (oder, wie im vorliegenden Fall, umgekehrt) bekämpfen den Verbrecher an den exotischsten Orten die Budget und Rückpro so hergeben, und die Füllszenen zwischen der Action werden normalerweise mit schönen Frauen gefüllt, hier stattdessen halt mit den Grimassen Louis de Funès‘. FANTOMAS, der sich bekanntlich aus einer langen literarischen, filmischen und vor allem politischen Tradition ableitet, ist hier das Mittel für de Funès, seine Komik endlich auf die ganz großen Leinwände zu bringen, und zusammen mit dem im gleichen entstandenen DER GENDARM VON ST. TROPEZ den Durchbruch zum Superstar zu schaffen. Entsprechend gibt es keine politischen Anspielungen wie im Original, sondern ein Zusammenspiel aus dem Stichwortgeber Jean Marais, dem Komiker de Funès, der sexy Mylène Demongeot, und als Protagonisten dann eben den ein wenig unpersönlich gehaltenen Fantomas. Viel Maschinengewehrgeschnatter de Funès‘, einige wundervolle Sprüche des Bösewichts („Ich morde zwar ein bisschen, zugegeben, aber immer mit einem Lächeln auf den Lippen.“), Jean Marais als positiv konnotierter Held und Identifikationsfigur, und eigentlich ist das Vergnügen perfekt.

Eigentlich, aber so ein wenig ist der Film leider doch gealtert, trotz der wundervollen Ansichten von Paris und dem Pariser Hinterland(?) bis runter zum Mittelmeer und trotz der genialen ohrwurmartigen Musik. Die reine de Funès’sche Durchschlagskraft kam erst etwas später (und vor allem mit besseren Regisseuren), und das Zusammenspiel aus dem schablonenhaft agierenden Schurken und dem quirligen Kommissar ist nicht immer so perfekt wie es die Erinnerung vorgaukelt. Nein, ich rede nicht von Längen oder Durchhängern, und genauso wenig von peinlichen Momenten. Es fehlt einfach ein ganz klein wenig der Pep der späteren de Funès-Filme, die Spritzigkeit, die Anarchie im Spießertum, der Moment, in dem de Funès‘ Charakter seinen ganz persönlichen Höhepunkt erlebt, durchdreht, und den Zuschauer zu Lachtränen zwingt. Diese Augenblicke sind bei einem André Hunebelle nicht drin gewesen, dazu war der Mann einfach nicht phantasievoll genug, und konnte das Potential des genialen Giftzwerges wohl auch nicht richtig einschätzen. Stattdessen ist das letzte Drittel des Films eine nicht enden wollende Verfolgungsjagd zu Lande, zu Wasser und in der Luft, der irgendwann ein klein wenig die Kraft ausgeht, auch wenn es schade ist so etwas zugeben zu müssen.

Was bleibt ist ein gelungener und komischer Krimi im Fahrwasser der Euro-Spys, der dank der Schauspieler, der Musik und der Bilder erstklassig unterhält, aber eben leider noch Luft nach oben gehabt hätte. Trotzdem, ich bin glücklich den Film endlich in meiner Sammlung haben zu dürfen. Und für eine gelegentliche Sichtung an einem Sonntagnachmittag reicht es allemal.
Der Sieg des Kapitalismus ist die endgültige Niederlage des Lebens.
(Bert Rebhandl)
Benutzeravatar
Maulwurf
Beiträge: 3749
Registriert: Mo 12. Okt 2020, 18:11
Wohnort: Im finsteren Tal

Re: Was vom Tage übrigblieb ...

Beitrag von Maulwurf »

Paradise lost (Michael Raven, 2002) 7/10

469246h.jpg
469246h.jpg (23.99 KiB) 411 mal betrachtet

Die Ehe ist am Ende. War er vor 7 Jahren noch ihr Held und wurden ihr bei seinem Anblick die Knie weich, hasst sie ihn mittlerweile nur noch. Und für ihn bedeutet eine Aussprache, dass er darauf rumreitet, dass sie seit 3 Monaten keinen Sex mehr hatten. Dabei geht sie gleichzeitig jeden Donnerstag in den Paradise Club, sich auf einer kleinen Fläche für die geilen Typen herumräkeln, nur damit irgendjemand die Rechnungen zahlen kann. Er jedenfalls hat keinen Pfennig in der Tasche, denn er ist seit 7 Jahren arbeitslos, und seine Versuche, ein eigenes Geschäft aufzubauen, gingen jedes Mal in die Hose. Man redet miteinander, vielmehr aber streitet man. Gegeneinander. Und beide, Adam und Eva, sehen vor ihrem geistigen Auge die eigenen Wünsche und Phantasien, aber auch die vermutlichen Gedanken des jeweils anderen. Das Paradies, das es vor 7 Jahren mal war, ist verloren, und der Teufel geht in der Gestalt von Mr. Marcus umher und gibt diabolische Ratschläge.

Während Eva sich zurücksehnt nach ein wenig Zärtlichkeit, sehen wir ihre Assoziation dazu: Eine Liebesszene zwischen zwei Frauen, die so zärtlich zueinander sind, dass es schon fast kitschig aussieht. Im Gegenzug sehen wir Adams Vermutung, was in Evas Kopf abgeht, wenn sie im Club auftritt: Ein muskulöser Fantasyheld in einer Superheldenuniform will Sex von der Frau, die er, Adam, doch eigentlich liebt. Wo ist nur die Unschuld hin? Die Unschuld, die wir in Form einer edlen Dame und eines Mönches sehen, die sich in einer angedeuteten Kirche zwischen Kerzen anmachen …

Diese Bilder sind der eigentliche Film, und diese Bilder sind wunderschön und sehr sexy, geben sie doch der Fantasie jede Menge Raum. Ein Kampf zwischen einem Ehepaar. Was ist denn eigentlich so ein Kampf? Ein Bett in einer leeren Wüste, zwei nackte Menschen, bar jeden Schutzes, und man kämpft auf dem Bett um die Macht über den anderen, während gleichzeitig ein abstrakter Schwertkampf zu sehen ist. Einer verliert am Ende. Wer? Das ist unwichtig. Der Kampf ist zu Ende, und einer der Ehepartner muss sich unterwerfen …
Die Emotionen, die vor allem die Hauptdarstellerin Julia Ann dabei zeigt, gehen tatsächlich unter die Haut, und erheben einen vermeintlichen 08/15-Allerwelts-Porno weit über das Mittelmaß hinaus. Natürlich sind wir hier in einem Michael Raven-Film, was bedeutet, dass kein einziger Darsteller so aussieht wie auch nur irgendein Zuschauer auf dieser Seite des Bildschirms. Alle Schauspieler sind muskulös, sind in ihren Proportionen groß und mächtig, alle strahlen entweder tierhaften oder sinnlichsten Sex aus. Aber sie sind schön anzusehen, und sie tun schöne Dinge miteinander (es gibt keine einzige Gewaltszene, und der Sex ist, wie so oft bei Michael Raven, eher bieder zu nennen). Zusammen mit den fantasievollen Settings, den wunderschönen Kostümen und der gotisch angehauchten Musik ergibt sich eine reich bebilderte Sex-Fantasie voller Lust und seelischem Schmerz, die allen Ernstes Spielfilmqualitäten hat. Für alle, denen athletisches Dauergepoppe im Porno schon lange auf die Nerven geht, ist PARADISE LOST damit eine echte Empfehlung!
Der Sieg des Kapitalismus ist die endgültige Niederlage des Lebens.
(Bert Rebhandl)
Benutzeravatar
Dick Cockboner
Beiträge: 3506
Registriert: Sa 30. Mai 2015, 18:30
Wohnort: Downtown Uranus

Re: Was vom Tage übrigblieb ...

Beitrag von Dick Cockboner »

Maulwurf hat geschrieben: Mi 16. Jul 2025, 05:03 Fantomas (André Hunebelle, 1964) 6/10
...
Sehe ich in diesem Fall etwas anders. "Fantomas" ist ein gutes Beispiel für einen Film, der mich sofort zurück katapultiert in die Zeit der Erstsichtung. Die Frage "Wie wirkt dieser Film in 2025 auf mich?" stellt sich dabei gar nicht, ich werde augenblicklich wieder der Junge, der mit großen Augen am Fernseher hing und gerade einen unfassbar tollen Film gesehen hat. "Fantomas" ist großartig! Der eigentliche Star des Film, Jean Marais, wurde hier ja ordentlich weggebumst durch LdF. :kicher:
Hunebelle war ein Regisseur der leichten, erfolgreichen, Unterhaltung. Passt also!
Genau so wie er ist passt (für mich) dieser Film in den popkulturellen Filmkanon der (französischen) mitt60er Grand Public Kinounterhaltung.
Nicht "Comme ci comme ça", sondern ganz klar und für immer "très bien". :nick:
“It’s hard to see things when you’re too close. Take a step back and look.”
Bob Ross
Benutzeravatar
Maulwurf
Beiträge: 3749
Registriert: Mo 12. Okt 2020, 18:11
Wohnort: Im finsteren Tal

Re: Was vom Tage übrigblieb ...

Beitrag von Maulwurf »

Dick Cockboner hat geschrieben: Sa 19. Jul 2025, 21:22
Maulwurf hat geschrieben: Mi 16. Jul 2025, 05:03 Fantomas (André Hunebelle, 1964) 6/10
...
Sehe ich in diesem Fall etwas anders. "Fantomas" ist ein gutes Beispiel für einen Film, der mich sofort zurück katapultiert in die Zeit der Erstsichtung. Die Frage "Wie wirkt dieser Film in 2025 auf mich?" stellt sich dabei gar nicht, ich werde augenblicklich wieder der Junge, der mit großen Augen am Fernseher hing und gerade einen unfassbar tollen Film gesehen hat. "Fantomas" ist großartig! Der eigentliche Star des Film, Jean Marais, wurde hier ja ordentlich weggebumst durch LdF. :kicher:
Hunebelle war ein Regisseur der leichten, erfolgreichen, Unterhaltung. Passt also!
Genau so wie er ist passt (für mich) dieser Film in den popkulturellen Filmkanon der (französischen) mitt60er Grand Public Kinounterhaltung.
Nicht "Comme ci comme ça", sondern ganz klar und für immer "très bien". :nick:
Kann das bei mir vielleicht daran liegen, dass ich die Erstsichtung vor 50 Jahren abgebrochen haben wegen Angst? Tatsächlich schiebe ich die Sichtung des dritten FANTOMAS schon länger vor mir her. Ich sollte wohl besser mit Deiner Einstellung dran gehen: Kleiner Junge, fliegender Citroen, große Augen ... :sabber: Danke für die Inspiration!
Der Sieg des Kapitalismus ist die endgültige Niederlage des Lebens.
(Bert Rebhandl)
Benutzeravatar
Maulwurf
Beiträge: 3749
Registriert: Mo 12. Okt 2020, 18:11
Wohnort: Im finsteren Tal

Re: Was vom Tage übrigblieb ...

Beitrag von Maulwurf »

Cecilia (Jess Franco, 1983) 7/10

Cecilia.jpg
Cecilia.jpg (10.04 KiB) 370 mal betrachtet

Nach einer Massenvergewaltigung durch ihren Chauffeur und dessen Brüder entdeckt die Diplomatengattin Emanuelle ihre Libido neu. Sie stellt fest, dass es ihr nach der Vergewaltigung ein außerordentliches Vergnügen war, den eigenen geliebten Mann André wieder in die Arme nehmen und mit ihm schlafen zu können. Dieses Vergnügen möchte sie zukünftig gerne öfters haben, und sie möchte auch, dass André dieses Vergnügen genießen kann – Fremdgehen mit Ansage also, heutzutage als „Offene Beziehung“ bekannt. André wehrt sich zuerst naturgemäß, kann aber einer Intrige von Emanuelle, ihrem Onkel und dessen junger Geliebten nichts entgegensetzen. Im Gegenteil findet er den Dreier mit seiner Frau und Onkels Schatzi eigentlich dann doch gar nicht so schlecht. Auf jeden Fall mal besser als die Eifersuchtsszenen aus der frühen Zeit ihrer Liebe.
Aber während Emanuelle ihre Lust immer rücksichtsloser auslebt, und sich im Vollsuff in einem Club auch mal hemmungslos gehen lässt, kommt André mit der ihm zugeschriebenen Rolle immer schlechter zurecht, fühlt er sich eher als Hahnrei denn als erfolgreicher Aufreißer. Seine Eifersucht wird immer stärker, und die Leichtigkeit der ersten Zeit geht verloren und weicht einem Druck aus vorgeschriebener Sexualität. Emanuelle wiederum ist nach einer Liebesnacht mit dem Ex-Chauffeur sowie einer weiteren Vergewaltigung durch vier Kretins moralisch und intellektuell am Ende angekommen. Und André ist fort …

Eine durch und durch düstere Geschichte also, die den Abstieg einer gutsituierten Dame aus bestem Hause mitleidlos illustriert. Mit wunderschöner (wenngleich auch bereits öfter gehörter) Musik und edelsten Bildern wird Emanuelle in einer Welt gezeigt, die die allermeisten von uns niemals kennenlernen werden. Weitläufige und hochherrschaftliche Villen mit Dienstboten, denen nicht einmal die Augen herausfallen, wenn die Dame des Hauses von früh bis spät nackt durch die Gemächer wandelt. Sexuelle Ausschweifungen ohne Reue und vor allem ohne den Schmodder, den man in den italienischen Filmen aus dieser Zeit so oft sieht. Nein, hier ist alles sauber und adrett, ist alles auf Hochglanz und Schick gebürstet, und doch ahnt man hinter diesen Kulissen die tiefe Langeweile Emanuelles, die sich einmal bewusst und absichtlich von vier Männern, den Brüdern und Cousins des Ex-Chauffeurs Khan, in deren ärmlicher Hütte durchficken lässt. Lust auf Leben, Lust auf Sex, raus aus diesem goldenen Käfig, in den André Emanuelle in einer entlarvenden Szene zu Beginn getragen hat. Auch die Langeweile ist ein nicht zu vernachlässigender Punkt: Ohne André ist Emanuelles Leben leer, ist aber auch ihr Gemüt leer, stromert sie durch die Hallen der Villa wie eine Marionette, die nur darauf wartet, dass ihr Herr endlich wieder da ist und sie in die Arme nimmt. Ist er dann aber da und schläft mit ihr, dann wandern die Gedanken wiederum zu anderen Männern, zu anderen Abenteuern.

Was auch leicht als überflüssige Spielereien einer gelangweilten Dame von Welt abgetan werden könnte, wird dank der Ausstrahlung Muriel Montossés zu einem Ritt durch die Tiefen der Seele einer im Grunde einsamen Frau. Emanuelle zeigt uns ihr Ennui genauso wie ihre Leidenschaften, und die dunklen Tiefen dahinter lassen ahnen, dass Emanuelle in einer anderen Welt, ohne den Reichtum und den Rückhalt ihres Onkels, schnell einmal unter die Räder beziehungsweise an den Bordsteinrand gekommen wäre. Aber so bleibt sie immer unsere Identifikationsfigur. Wir leiden mit ihr und wir freuen uns mit ihr. Über die geglückte Intrige mit dem geschickten eingefädelten Dreier freuen wir uns. Über die aparte und sehr erotisch inszenierte Orgie mit Lina Romay und deren 16-jährigen Filmsohn. Oder über den gelungenen Orgasmus mit André.

Stephen Thrower allerdings, und da muss unbedingt eingehalten werden, wirft CECILIA die Grundhandlung vor, dass nämlich durch eine Vergewaltigung die sexuelle Freiheit einer Frau erst so richtig aufblüht, die dann hemmungslos bis zu einer zweiten Vergewaltigung ausgelebt wird, welche dann wiederum das Ende der offenen Beziehung ist und der Neubeginn einer monogamen Ehe. Ein Vorwurf, der sich nicht von der Hand weisen lässt, aber im Gegensatz zu Thrower sehe ich durchaus die Parallelen zu Arthur Schnitzlers Traumnovelle: Ein Paar, das in einer in Konventionen erstarrten Ehe lebt, und durch das (geistige) Durchleben sexueller Fantasien wieder zueinander findet. Jess Franco wäre nicht Jess Franco, wenn er diese Fantasien nur auf der erzählerischen Ebene behandeln würde, natürlich müssen diese Fantasien auch bebildert werden. Aber die Handlung ist durchaus gegeben: Die gelangweilte und sich eingesperrt fühlende Emanuelle, deren Sexualität durch ein Schlüsselereignis erwachen, und die spürt, dass in ihrer Ehe nicht alles so läuft wie es mal erträumt war. Der Versuch, die Grenzen dieses Käfigs ein wenig zu erweitern, wird mit Erniedrigung und körperlichem Schmerz in Form der ersten Vergewaltigung bestraft. Eine moralische und erzkonservative Ansicht, was Thrower dem Film ebenfalls vorwirft, und wo man ihm auch Recht geben muss. Die These, dass Frauen selber schuld sind wenn sie vergewaltigt werden, ist ja in manchen Kreisen selbst heute noch Usus, und wird hier auch genauestens bebildert: Emanuelle zieht sich im Rücksitz ihrer Limousine aus und präsentiert sich Khan so schön wie Gott sie schuf. Der wiederum, schon immer verliebt in seine schöne Arbeitgeberin, kündigt umgehend und fährt zu seinen Brüdern, auf dass diese Schönheit auch ordentlich geschändet werden kann. Was dann folgt ist eine klassische männliche Fantasie: Die beiden Männer fallen über Emanuelle her, tun ihr Gewalt an (wobei die Hosen die ganze Zeit angezogen bleiben), und Emanuelles Angstschreie werden allmählich zu Lustseufzern, bis sie die Köpfe der Männer sogar streichelt. Der Ausgangspunkt dafür, dass das kleine gelangweilte Luxusweibchen von großen und behaarten Schwänzen träumt? Möglich, warum sonst würde Emanuelle zu einem anderen Zeitpunkt in die Hütte von Khans Cousins gehen, sich dort auf den Tisch stellen, das Kleid ausziehen, und sich als Frischfleisch auf den Tisch legen?

Ebenfalls alles andere als libertär ist die zweite Vergewaltigung, die als Strafe für Emanuelles Lotterleben gesehen werden kann, und im Gegensatz zur ersten ohne jeglichen Wohlfühlfaktor daherkommt. Auch sind die Männer hier wesentlich gröber gestrickt – Khans Brüder sind gutaussehende Zuchthengste die anscheinend immer oben ohne herumlaufen und durchaus eine gewisse erotische Komponente ausstrahlen, während die Tiere der zweiten Vergewaltigung schon durch ihr Aussehen eher in Richtung Neandertaler tendieren. Trotzdem ist auch und gerade nach dieser Untat die Welt wieder in Ordnung - Emanuelles Leben ist, aus reaktionärer Sicht, geradegerückt, über die Vergewaltigung wird kein Wort mehr verloren, und André steht auch irgendwann wieder da und liebt sein Frauchen immer noch. Mir ist vollkommen bewusst, dass Jess Franco kein Feminist war, und dass die soziologische Aufarbeitung eines Vergewaltigungstraumas nicht das Thema dieses Films ist, aber da bleibt deutlich mehr als ein unschönes Geschmäckle zurück. Ein Ton, der diesen oft so poetischen Film leider in Richtung moralischen Schund zieht, was er eigentlich nicht verdient hat. Denn die Einheit aus Bild und Musik, die wunderbaren Darsteller und die ganze Atmosphäre der ersten etwa 60 Minuten reiht sich durchaus ein in Francos lyrisch-morbide Meisterwerke wie ENTFESSELTE BEGIERDE oder SHINING SEX. Aber trotzdem kann man den Vorwurf des gedanklichen Faschismus hier nicht von der Hand weisen, ist der Geschmack im Mund hinterher nicht honigsüß sondern eher unangenehm.

Der Film als solcher wurde in Spanien unter dem Titel ABERRACIONES SEXUALES DE UNA MUJER CASADA veröffentlicht, in Frankreich lief er als CECILIA. Beide Fassungen beinhalten Szenen, die im jeweils anderen Film nicht enthalten sind. Gesehen wurde die DVD von Blue Underground, die aus diesen beiden Versionen eine sehr gelungene Integralfassung schustert, die 10 Minuten länger ist als jeweils die beiden genannten Fassungen und rundum gelungen daherkommt. Als Tonformate sind Englisch und Französisch anwählbar, und wenn man, wie ich, die französische Fassung mit englischen Untertiteln wählt, dann wird aus Emanuelle flugs Cecilia. Auch die anderen Namen sind nicht hieb- und stichfest, so heißt Emanuelles libertärer Onkel eigentlich Antonin, hat in der französischen Fassung aber gar keinen Namen, und André heißt im spanischen „Original“ Andreas. Dies möchte ich nur erwähnt haben, falls sich jemand wundert ob des eigenartigen Namedroppings …
Der Sieg des Kapitalismus ist die endgültige Niederlage des Lebens.
(Bert Rebhandl)
Antworten