01.08.2013, Hafenklang, Hamburg:
LEFTÖVER CRACK + ANTI-VIGILANTE
Am ersten August-Tag des Jahres ergab sich endlich einmal wieder die Gelegenheit, die grandiosen LEFTÖVER CRACK live zu beäugen und zu belauschen, jene US-Skacore-/Anarcho-Punk-Band, die seinerzeit aus den nicht minder genialen CHOKING VICTIM hervorging und meines Erachtens mal locker zu den besten derzeit existierenden Punkbands zählt! Ihr ureigener Sound, der so meilenweit entfernt ist von locker-flockigem Neo-Ska wie nur irgendwas und sich stattdessen als messerscharfe Mixtur aus aggressivem Hardcore-Punk mit Offbeat-Einlagen, nihilistischer Anarcho-Attitüde und wuchtigen, beinahe blackmetallischen Riffs mit entsprechendem Kreischgesang entpuppt, spielt in der obersten Liga und fischt dank seiner Eingängigkeit trotz der gebotenen Urgewalt in breitgefächerten Fan-Kreisen. Kein Wunder, dass das Hafenklang mal wieder rappelvoll war, als zunächst die Briten von ANTI-VIGILANTE den musikalischen Teil des Abends eröffneten und eher klassischen Skacore (sofern es so etwas gibt) mit trompetespielendem Sänger boten. Das war als Opener vollkommen ok, zumal sich der Sänger äußerst aktiv zeigte und die Band einen sehr spielfreudigen Eindruck machte. Jedoch kein Vergleich zu LEFTÖVER CRACK, die in der aktuellen Besetzung ohne den ausgeschiedenen Gitarristen Ezra die Bühne betraten, als das Klima im Hafenklang bereits so aufgeheizt war, dass einem nur vom friedfertigen Stehen am Rand schon der Schweiß den Körper heruntertriefte. Stza hockte sich zunächst mit Rücken zum Publikum hin, mischte sich in aller Ruhe ein alkoholisches Getränk zusammen, während die Band bereits spielte und das Publikum steilging. Nach einiger Zeit wandte auch er sich dem Publikum zu und schrie ganz in alter Form in hasserfüllten Songs seine Wut über all die Scheiße auf der Welt heraus, woraufhin es natürlich gar kein Halten mehr gab. Es ging tierisch rund und die bestens aufeinander abgestimmte Band peitschte eine Anti-Hymne nach der anderen in den gierigen Mob. Stza kümmerte sich zwischenzeitlich immer wieder um seine Drinks, erzählte auch mal ein paar humorvolle Anekdoten – LöC sind eben keinesfalls eine verbissene, ernsthafte Polit-Band – und ärgerte einen der beiden Gitarristen, der derweil so lange unter einem der vielen Leuchtstrahler an der Decke ächzte, bis das Ding irgendwann kurzerhand weggedreht wurde. Die Jungs kamen sehr sympathisch rüber, überhaupt nicht wie drogensüchtige Vollfreaks, als die sie nicht selten offensichtlich angesehen werden, und lieferten eine 1A-Darbietung, an der es nun wirklich so überhaupt gar nichts zu mäkeln gab. Gut, ein Thema für sich ist natürlich die Setlist, doch da hat man es als Band, die ungelogen fast NUR Hits vorzuweisen hat, naturgemäß nicht leicht. Ich war mit der Songauswahl hochzufrieden und freute mich besonders, dass auch relativ viel altes CHOKING-VICTIM-Material berücksichtigt wurde. Gänsehaut verursachte z.B. „Infested“, das sich seinerzeit nicht einmal auf dem einzigen regulären Album der Vorgängerband befand. Stza war offensichtlich auch sehr angetan von den Publikumsreaktionen und stürzte sich mitsamt Mikro während eines Songs in bzw. auf die Meute zum Crowdsurfen und sang dabei unbeirrt weiter – find ich ja ehrlich gesagt immer beeindruckend, so was. Mit Zugaben wurde auch nicht gegeizt, der „Crack Rock Steady“ fand mit Unterstützung vom ANTI-VIGILANTE-Sänger statt, was verdammt gut kam. Und ich glaube, hinterher waren sich ausnahmslos alle einig, dass das ein verdammt geiler Gig einer verdammt geilen Band war! Die könnte ich mir locker alle paar Wochen angucken, der apokalyptische und doch voller Ohrwürmer steckende, verdammt abwechslungsreiche Sound der Straßen- und Häuserkampf-erprobten, Zensur- und Auftrittsverbot-geplagten nihilistischen Freidenker macht süchtig – wie Crack!
Etwas unglücklich: Trotz voller Hütte blieb die Garderobe des Hafenklangs geschlossen, was besonders nervig für diejenigen war, die im Getümmel auf ihre Rucksäcke etc. achtgeben mussten und letztlich durch Sack und Pack den Laden noch voller machten, als er ohnehin schon war. Tut nicht not.
16.08.2013, JUZ Reinbek:
VIOLENT INSTINCT + THE MORTIS + YACØPSAE + BOLANOW BRAWL + KAOS KABELJAU
Heidi und Christian haben geheiratet! Und direkt vom Standesamt ging’s ins Reinbeker Jugendzentrum, um dieses einschneidende Ereignis zünftig zu feiern. Schon früh wurden wir gefragt, ob wir mit BOLANOW BRAWL dort aufspielen wollten und sagten selbstverständlich zu. Zusammen mit drei oder vier anderen Bands sollte der Gig über die Bühne gehen, doch je näher der Termin rückte, desto stärker wurde das geplante Line-up durchgeschüttelt, rotierte munter das Band-Karussell: Die Oi!-Punks und -Skins von IN VINO VERITAS sahen sich gezwungen, ihren Auftritt wegen Querelen mit dem VIOLENT-INSTINCT-Drummer abzusagen. Evtl. sollten die Kolumbianer von INFESTO, die gerade in Deutschland weilten, noch vor ihrem Gig in der Lobusch spontan für ein paar Songs einspringen, was letztlich leider nicht klappte. KAOS KABELJAU kamen ins Gespräch, was jedoch bis zuletzt auf der Kippe stand, allein schon, weil man sich kurz zuvor von seinem Sänger getrennt hatte. Usw. usf. – die Zeichen standen auf Überraschungs-Line-up und selbst unser Gig auf der Kippe, da Lead-Gitarrist Ole auf Montage in Brasilien festhing und aufgrund eines Helikopterpiloten-Streiks nicht rechtzeitig nach Deutschland zurückkam. Kurzerhand hatten wir aber beschlossen, einfach auf die zweite Gitarre zu verzichten und schneller, lauter und dreckiger unser Set durchzuziehen – allerdings auch noch ungeprobt, weil die Urlaubssaison ausgebrochen war... Am Juz angekommen wurde, nachdem der zickige und unterkühlte Grill endlich lief, nicht nur für reichlich Freibier, sondern auch für Speisen gesorgt und nach gar nicht allzu langer Zeit betraten dann auch KAOS KABELJAU die Bretter, tatsächlich ohne ihren Sänger, also nur noch als Trio, wobei man sich den Gesang aufteilte. Dem deutschsprachigen Hardcore-Punk der Kiemenkaoten schadete das nicht unbedingt, allgemein wirkten die Songs etwas kompakter als zuletzt und war ein Fortschritt erkennbar, der der Band gut zu Gesicht stand. Das Fehlen des Sängers geht allerdings zu Ungunsten des Charismas der Band – mal schauen, wie sich das weiterentwickeln wird. Der Opener zu recht früher Stunde zu sein, ist natürlich immer eine etwas undankbare Aufgabe, aber man erntete Applaus und zog sich sehr achtbar aus der Affäre!
Dann schlug die Stunde der Wahrheit und wir fanden uns zum Soundcheck auf der Bühne ein. Ein paar technische Probleme wurden schnell gelöst und uns ein glaube ich ganz guter Sound zurechtgezimmert. Der Alkoholisierungsgrad unserer Band hatte jedoch einen neuen Rekord aufgestellt, zumindest, was die Zeit auf der Bühne betrifft. Bis auf einen neuen Coversong zogen wir das komplette Set durch, das dann doch recht dankbar aufgenommen wurde, da kam was vom Publikum zurück (und es war kein faules Obst!). Die Luft war noch gut und unverbraucht, meine Texte saßen souverän und dass Oles Gitarre fehlte, hörten wir natürlich an allen Ecken und Enden, störte das in Ermangelung von erhältlichen Aufnahmen nicht sonderlich mit dem Material vertraute Publikum aber natürlich weitaus weniger als uns. Wir machten schlicht das Beste aus der Situation und hatten viel Spaß dabei, laberten so viel Mist wie nie zuvor auf der Bühne und überspielten die etwas widrigen Umstände mit Grottenhumor. Christian an der einzig verbliebenen Gitarre sang zwischenzeitlich sogar ein Solo – hört man auch nicht alle Tage. Wie gesagt war der Funke übergesprungen und führte dazu, dass Heirats-Christian die Bühne besetzte und eine Zugabe forderte, als wir schon längst wieder am Einpacken waren. Also doch noch einmal „Total Escalation“ herausgepeitscht und Schluss!
Die Herren YACØPSAE, seit Jahr und Tag eine Hamburger Legende, wenn es um Klangerruptionen der heftigsten Sorte geht, waren nun an der Reihe und die orakelige Ansage, gleich den Laden leerzuspielen, sollte sich unverständlicherweise ein Stück weit bewahrheiten. Tatsächlich war das folgende Soundgewitter dem einen oder anderen anscheinend zu derbe, so dass sie sich lieber bei bestem Wetter vor der Tür tummelten. Auch unser Drummer Raoul versicherte mir noch mit Bolanow-geschwängertem Blick, dass Power Violence sein „Lieblings-Violence“ wäre – und ward anschließend nicht mehr gesehen. YACØPSAE begannen mit einem schleppenden Stück und ließen die tiefstgestimmten Instrumente röhren, beim pfeilschnellen Grindgedonner hatte ich dann durchaus meine Freude. Zugegeben, so richtig tanzbar ist das dann weniger, aber nach relativ kurzer Zeit (20 Minuten?) hatte der Spuk (?) auch schon wieder ein Ende und THE MORTIS aus Meppen, die mir nun so gar nichts sagten, legten los – und wie! Die Band machte einen sehr erfahrenen Eindruck und begann mit einigen Songs, die mich ein wenig an die flotteren älteren BACK-SABBATH-Songs mit 'ner Punknote erinnerten, was schon sehr ohrenschmeichelnd klang. Doch man hatte glatt noch ein Ass im Ärmel, tauschte kurzerhand die Bassgitarre gegen einen Kontrabass aus und änderte den Stil zugunsten hymnischen Punk'n'Rolls mit gewisser MISFITS-Horrorpunk-Kante, ohne Glenn Danzig & Co. stumpf zu kopieren. Das überraschte, denn manch einer hätte sicherlich eher mit Rocka- oder Psychobilly gerechnet. Mir hat der Stil außerordentlich gut gemundet und dem Rest der Anwesenden ebenfalls, wodurch der Abend seinen ersten echten Höhepunkt erreichte.
Währenddessen flossen auch die Erfrischungsgetränke in Strömen und VIOLENT INSTINCT um die charismatische Sängerin Aga und mit einem neuen Bassisten für die ausgeschiedene Viersaiterin hatten leichtes Spiel, den Ball aufzunehmen und zu verwandeln. 1A-Streetpunk mit intelligenten deutschen Texten, Genre-Klischees weitestgehend außen vor lassend und ebenso druckvoll wie leidenschaftlich vorgetragen. Der Sound war auch klasse und eingestreute Oi!-Klassiker wie „Watch Your Back“ und „Solidarity“ luden zum kollektiven Mitgrölen ein, während Aga immer wieder das Mikro ins Publikum reichte. BOLANOW-BRAWL-Bassist Stulle und ich feierten die Band gnadenlos ab und gaben uns den Rest. In meiner Erinnerung verließen wir nach dem Schlussakkord brav den Ort des Geschehens und traten die Heimreise an, doch Pustekuchen, wie mir meine glücklicherweise stets die Übersicht bewahrende Perle von Freundin am nächsten Tag eröffnete: Nach VIOLENT INSTINCT wurde noch fleißig weitergefeiert, bis Stulle und ich uns sogar noch einen waschechten Bolanow-Brawl lieferten – Authentizität ist eben alles!
Alles in allem war's 'ne überaus gelungene Party bei und mit fitten Leuten in einem coolen Laden und mir bleibt nur, mich bei den Roses zu bedanken! Klar, ein paar mehr Leute hätten von mir aus ruhig noch reingepasst, aber dafür war's eben 'ne Privatparty, die im Vorfeld nicht an die große Glocke gehängt wurde. Dass wir auch auf deren nächster Hochzeit spielen würden, verkneif ich mir an dieser Stelle aber aus gutem Grunde.
31.08.2013, Skorbut, Hamburg:
DOGS ON SAIL
Nach langer Zeit mal wieder die seit dem Sängerwechsel doch recht umtriebigen Segelhunde anschauen – das war ein guter Plan für den Samstagabend. Ein Kneipenkonzert im Skorbut, wo ich sie auch zuletzt zur Release-Party ihres noch immer aktuellen Albums sah. Auch zur Überraschung der Band war der Laden zum für meinen Geschmack etwas späten Beginn gegen 22:50 Uhr fast komplett gefüllt und von Anfang an ging’s – diesmal mit zweiter Gitarre verstärkt – gut ab: George ist in seiner Rolle als DOGS-ON-SAIL-Frontmann mittlerweile voll aufgegangen und führt absolut souverän und ohne Nervosität durch den Set. Unter ihm wirken die alten Songs rauer und aggressiver, die leiseren, zurückhaltenderen Parts versieht er mit einem originellen Flüstergesang und bei den dominanten, wütenden Refrains – gerade des neueren Materials – zeigt sich ein sich voll mit seiner Rolle und seinen Texten identifizierender Mensch, der sehr viel ehrliches Gefühl in die Songs legt. Kein Wunder, dass da der Funke aufs Publikum sofort überspringt, die ersten Bierspritzereien nicht lange auf sich warten lassen mussten und die eingängigen Refrains der englischsprachigen Punkrock-Songs mit Orange-County-Melodic-Schlagseite aus vielen heiseren Kehlen mitskandiert wurden. Ansonsten präsentierte man sich völlig schnörkellos, verzichtete weitestgehend auf Ansagen und setzte auch bei der Wahl der Coverversionen auf Altbekanntes: Immer noch die unverwüstliche KIM WILDE mit „Kids in America“ und die Guilty Pleasures PENNYWISE mit ihrer „Bro Hymn“. Auch ‘ne Zugabe musste sein (oder war das schon die „Bro Hymn“?) und nach schätzungsweise einer guten Dreiviertelstunde entließ man die Köter zurück in ihre Körbchen, jedoch nicht, ohne ihnen ein paar Leckerlis zuzuwerfen. Geile Scheiße für so Chappi-Fresser!
