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Re: bux t. brawler - Sein Filmtagebuch war der Colt

Verfasst: Do 27. Nov 2025, 13:33
von buxtebrawler
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Gegen die Wand

„Ich will leben, ich will tanzen, ich will ficken!“

Das Migrations- und Liebesdrama „Gegen die Wand“ aus dem Jahre 2004 bedeutete den Durchbruch für den Hamburger Regisseur Fatih Akin („Solino“). Akin vermischte europäisches und Hollywood-Erzählkino miteinander, sorgte für Hamburger Lokalkolorit und verfilmte sein eigenes Drehbuch, das eine sehr individuelle und doch in gewisser Hinsicht universelle Liebesgeschichte zwischen Emanzipation vom Zuhause und dessen Erwartungen, Selbstzerstörung und Selbstfindung ist, in einem Drama in fünf Akten.

Der verwitwete 40-jährige Deutschtürke Cahit (Birol Ünel, „Duell – Enemy at the Gates“) ist fertig mit sich und seinem Leben, liegt nach Alkohol- und Drogenexzessen und einem Selbstmordversuch in einem Hamburger Krankenhaus. Sibel (Sibel Kekilli, „Kebab Connection“) ist eine ebenfalls in Hamburg aufgewachsene Deutschtürkin, aber nur halb so alt wie Cahit. Sie versuchte, das Leben in vollen Zügen zu genießen, verzweifelt jedoch an der Erwartungshaltung ihrer erzkonservativen, gläubigen Familie – was sie ebenfalls in einen Suizidversuch trieb. Nun lernen die beiden sich auf der Krankenhausstation kennen. Sibel sieht eine Chance, ihrer Familie zu entkommen, darin, dass Cahit sie ehelicht. Nach einigen Überlegungen willigt Cahit ein, beide ziehen zusammen. Sibel genießt die Freiheiten, die ihre Scheinehe für sie mit sich bringt – bis Cahit sich eingestehen muss, tatsächlich zärtliche Gefühle für Sibel zu entwickeln…

Seinen vornehmlich in „seinem“ Hamburg spielenden Film eröffnet Akin mit einer Musikeinlage der türkischen Folkloregruppe Selim Seslers, die sie in Istanbul unter freiem Himmel zum Besten geben. Dies ist offenbar bewusst kitschig visualisiert, das musikalische Thema wird den Film hindurch wiederholt aufgegriffen werden. Ein abrupter Szenenwechsel führt nach Hamburg-Altona zum Veranstaltungszentrum „Fabrik“, bevor es ins Krankenhaus nach Ochsenzoll geht. Sibel steht unter dem Zwang ihrer Familie, ihr ehrloser Bastard von Bruder (gespielt von Fatih Akins Bruder Cem), droht ihr gar mit „Ehrenmord“. Ihre Familie verabscheut alles Westliche, außer dessen Geld. Fatih Akin scheut sich also ganz und gar nicht, der eigenen „Community“, wenn man es so nennen will, ans Bein zu pinkeln. Auch bei Sibel und Cahit handelt es sich um ambivalente Charaktere; Akins Verständnis für Menschen ohne festen Halt im Leben führt zu einer differenzierten Figurenzeichnung.

Damit, dass eben diese sich nach ihrer Heirat doch noch ineinander verlieben, beginnen andere Probleme. Die grobe Struktur des Films kennt die Phase der Emanzipation Sibels und ihrer Scheinhochzeit – und alles danach. Sibels Entscheidung, sich eine Kurzhaarfrisur zuzulegen, markiert diesen Übergang. Sie fungiert auch als Sprecherin aus dem Off und ist die Hauptfigur eines Films, der viel männliche, sexistische Übergriffigkeit und Gewalt zeigt und damit verdammt wütend macht. Nachdem sich die Handlung nach Istanbul verlagert hat, wird Sibel im Suffkoma vergewaltigt und beinahe umgebracht. Meine Dozentin sagte dazu, Sibel verhalte sich wie ein Mann und provoziere dadurch aufs Äußerste. Dies sei überall auf der Welt tödlich. Womit sie vermutlich Recht hat. Dies sind die heftigsten Szenen des Films, die zugleich vermitteln, dass es sich um eine Art perverser Normalität handelt. „Gegen die Wand“ ist hart und nervt damit, stört, rüttelt auf. Gut so.

Und „Gegen die Wand“ ist inszenatorisch dabei sehr gut gemacht, entwickelt eine Sogwirkung auf sein Publikum, auch auf ein möglicherweise zunächst skeptisches. Die Kamera ist sehr nah an den Figuren und arbeitet mit Zooms, die Musik kann stets als Kommentar zur Handlung verstanden werden. Der Film ist urban, realistisch und spröde, zeigt Frau und Mann in natürlicher Nacktheit, sowohl körperlich als auch emotional. Ihr Hang zur Selbstzerstörung wird in einen Kontext eingebettet, der ein typischer des migrantischen Films ist, dem Akin damit aber neue Facetten hinzufügt und so weit geht wie vermutlich kein deutscher bzw. deutsch-türkischer Filmemacher zuvor – ohne es dabei auf einen Krawallfilm anzulegen. Die ehemalige Pornodarstellerin Sibel Kekilli wechselte mit „Gegen die Wand“ ins seriöse Fach, was sich als absoluter Glücksgriff erwies. Vermutlich ermöglichte ihr die eine oder andere Parallele zwischen ihr und ihrer Rolle ein besonders glaubwürdiges Spiel. In Birol Ünel (R.I.P.) fand sie einen Schauspielpartner, bei dem es sich offenbar ähnlich verhielt. Das halboffene Ende kann unterschiedlich aufgefasst werden – ob es sich um ein Happy End handelt oder nicht, bleibt Auslegungssache.

Fatih Akins Drama ist ein intensiver, beeindruckender Film, der auf der Berlinale sogar mit dem Goldenen Bären ausgezeichnet wurde, womit er in Volker Schlöndorffs Fußstapfen trat. Dieser Film hat den Blick auf Deutschland als Filmland zum Positiven verändert.

Re: bux t. brawler - Sein Filmtagebuch war der Colt

Verfasst: Do 27. Nov 2025, 16:35
von buxtebrawler
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L.S.D.

Lévitte, zur Titte, zum Sack, zack zack

„Na, meine Taube, gehen wir Pflaumen pflücken?“ (Nein.)

Nach der sexuellen Revolution waren Erotik- und Sexfilme möglich geworden, ohne dass die Macher hätten befürchten müssen, rechtlich dafür belangt zu werden. Bekanntermaßen machten die Deutschen von diesen neuen sich bietenden Möglichkeiten regen Gebrauch – und auf eine gelungene Produktion kamen locker zehn halbgare bis unausstehliche. Unseren französischen Nachbarinnen und Nachbarn sagt man nach, wesentlich mehr von Liebe und Erotik zu verstehen, oh l’amour… Dass dieses positive Vorurteil einer näheren Betrachtung längst nicht immer standhält, beweist Jean Lévitte („Die Sex-Klinik“) mit seinem im Jahre 1971 veröffentlichten „L.S.D.“.

„Unglückselige, bedauernswerte Geschöpfe!“ (Gemeint sind die Zuschauer.)

Der Titelsong „I Believe“ wird in verschiedenen Sprachen gesungen. Renée (Christine Fersen, „Der große Bruder“) steht irgendwo in einer französischen Stadt herum und erzählt irgendetwas, zusammenhanglos werden dann Oben-ohne-Mädels gezeigt sowie ein Lustmolch, der auf der Straße junge Frauen belästigt. Renée zieht eine Konservendose an einer Schnur hinter sich her. Sie mietet einen jungen Mann (Edgar Baum, „Sklavin der Wollust“), der sich Kiss nennt, aber eigentlich Jimmy heißt, für eine Konservenbüchse pro Stunde. Dafür könne er Mundharmonika spielen und „Liebe machen“.

Szenenwechsel: Ein Chef will mit seiner Tippse Jacqueline (Françoise Arouet), bei der es sich um Renées Schwester handelt, eine Kathedrale besuchen und schneidet erst ihren Rock und dann ihre Haare ab. Sie rennt panisch davon, Cheffe hinterher. In einem Hauseingang trifft Jacqueline auf ihre Schwester mit Kiss. Sie jammert herum und ist sexuell noch unerfahren, doch statt sie zu trösten oder ihr zu helfen, zwingt Renée sie, sich bei ihrem Chef zu entschuldigen. Dort bricht sie in Tränen aus. Es stellt sich heraus, dass Jacqueline das Studium ihrer Schwester finanziert!?

Nächster Szenenwechsel: Der Chef geht mit Jacqueline Essen, faselt wieder von der Kathedrale und reißt ihr das Kleid vom Leib, sodass sie erneut flieht – diesmal auf einem Boot, Cheffe auf anderem Boot hinterher, dazu dudelt nervige Flötenmusik. Die reinste Schmierenkomödie. Man stolpert über einen Homosexuellen, den Cheffe mundzumundbeatmet und der daraufhin den Chef verfolgt, weil er geil geworden ist usw... Auf diesem Niveau geht's weiter. Mon Dieu!

Nun platzt man in die Szenerie mit den Oben-ohne-Mädels vom Beginn, Blasmusik oder so was ähnliches ertönt im Hintergrund. Nackedeis stiehlt man die Kleidung, alle rennen herum, auf Godards Spuren (haha…) vergreift sich der Regisseur (bzw. die Postproduktion) an Jumpcuts. Diese Scheiße kann man sich echt nicht angucken.

Es folgen ein schlecht zusammengeschnittener Catfight und ein Typ mit Hahnenmaske, der eine Frau wie ein Grillhähnchen am Spieß dreht und andere auf ihre Hintern peitscht. Was soll das? Dann haben plötzlich alle solche Masken auf, eine Art Nacktmaskenball mit Rollenspiel. Kiss und Jacqueline planen ein krummes Ding mit Medikamenten. Erhält der Film nach nun über einer halben Stunde doch noch eine Handlung?

Nein, aber dafür überrascht er mit tatsächlich erotischen Bildern einer sich auf einem Gummisessel räkelnden Blondine. Mit dem Film hat dies indes nichts zu tun. Ein Typ mit seinem nervigen Blechblasinstrument kommt ins Bild. Er soll sich verpissen und seine Scheißmusik mitnehmen! Plötzlich befindet man sich auf einer lahmen Hippieparty. Der Pfaffe (Rellys, „Die Familienschande“) kommt schimpfen und schnorren, die Blondine macht auf dem Gummisessel nun mit irgendwem rum, die Musik ist mittlerweile ein worst of Jazz. Doch die Party kommt zumindest ein wenig in Gang: Ein bisschen allgemeines Gefummel, nackte Oberkörper und Hintern, hier und da ist ein Mü Schamhaar zu sehen. Es wird sogar so etwas wie künstlerisch: Eine Schwarze befummelt eine auffallend Blasse, was einen netten Kontrast ergibt. Ansonsten sieht das aber alles eher unbeholfen aus und auf einer der Darstellerinnen krabbelt eine Fliege.

Der Pfaffe schimpft über Marihuana und empfiehlt Beten als Alternative. Der Titelsong („I Believe“) wird nun von den Hippies gesungen – schlimm. Die Kamera wackelt sich immer wieder einen ab, als habe der Kameramann Parkinson. Cheffe gibt’s auch noch, der ist mittlerweile endlich mit Renée zur Kathedrale gefahren. Er ist scharf auf Renée, muss aber erst mal Kartenlegen und Handlesen über sich ergehen lassen. Dann pennt sie einfach weg. Kiss wiederum ist jetzt scharf auf Jacqueline, die nun die Medikamente stiehlt. Dies geht schief, Kiss haut mit dem Fluchtwagen ab und sie wird von einem Bullen erwischt. Renée erwischt Kiss, wie er sich gegen deren Willen auf Jacqueline stürzt und reagiert erbost – auf Jacqueline! Täter-Opfer-Umkehr beherrscht sie ausgezeichnet. Zur Strafe versohlt sie ihrer Schwester den Hintern.

Im Anschluss versucht man sich an Slapstick-Einlagen, die in Zusammenhang mit Erotik eigentlich immer völlig unangebracht sind, sich in diesen Film aufgrund des übrigen Schwachsinns aber perfekt einfügen. Eine Freundin Jimmys präsentiert ihre Oberweite innerhalb einer Duschszene. Jacqueline wird zwecks Medikamentenschmuggels zum Bahnhof gebracht, Renée denunziert sie aber bei der Polente. In der Bahn trifft Jacqueline den Pfaffen. Am Zielort erwarten die Bullen Jacqueline und durchsuchen ihre Tasche, haben aber ihre mit der der zugestiegenen Nonne verwechselt, die hat nämlich zufällig das gleiche Modell. Kiss alias Jimmy klaut der Nonne die Tasche, eine ca. dreisekündige „Verfolgungsjagd“ auf Fahrrädern gilt es ungläubig zu bestaunen. Erst wird an der Küste mit den Taschen herumgerannt, anschließend auf einem Rummelplatz und ein paar Titten gibt's noch zu sehen. Eine Wahrsagerin schaut in eine Kristallkugel und ahnt Renée Ankunft. Dort erwischen sie die Bullen, finden aber nix bei ihr, dafür aber beim Chef. Vertauschte Taschen, gelle?

Das war’s zum Glück weitestgehend. Im Epilog zehrt zum wiederholten Male das schwülstige „I Believe“ an den Nerven. Die Zuschauerschaft lässt man abschließend noch wissen, dass Jacqueline nunmehr auf Kiss alias Jimmy scharf ist und mit ihm zusammen eine Wiese bis in einen Swimmingpool hinunterkullert.

Weshalb der deutsche Verleih aus dem Originaltitel „Kisss.....“ nun ausgerechnet „L.S.D.“ machte, lässt sich nur damit erklären, dass er der – nachvollziehbaren – Ansicht gewesen sein muss, der Film sei unter Drogeneinfluss entstanden. Inhaltlich kommt der bewusstseinserweiternde Stoff jedenfalls nicht vor oder aber ich habe irgendeinen pappefressenden Hippie übersehen. Renée ist sexy und Jacqueline ist süß, in Erotikszenen sind beide aber so gut wie gar nicht zu sehen. Die „Story“ um den Medikamentendiebstahl bzw. -schmuggel ist aufgesetzter Humbug und der Rest Müll an der Grenze zur Unguckbarkeit, der wohl nur die Allernotgeilsten mit seinen nackten Tatsachen bei der Stange hält. Es gibt natürlich auch gelungene Momente, ich habe sie beide genannt. „L.S.D.“ lässt den Schluss zu, dass man seinerzeit auch in Frankreich mit dem größten Müll durchkam, wenn nur ein paar Nackedeis zu sehen waren. „Der Idiotenzwinger“ ist dagegen anspruchsvolles Kunstkino.

Bewertung: 1,5 von 10 um den Hals des Musizierenden gewickelte Blechblasinstrumente.