
Auge um Auge
„Ist das eine Hitze in diesem Scheißladen...“
Fernando Di Leo, einer der versiertesten italienischen Gangster-/Mafiafilm-Regisseure, hat mit seiner Trilogie aus „Milano Kaliber 9“, „Der Mafiaboss“ und „Der Teufel führt Regie“ in den 1970ern Großes geschaffen. Aber auch Nachzügler wie der 1975 veröffentlichte „Auge um Auge“ sind einen Blick wert.
„Ein Arbeiterkind – was macht das schon!“
Kidnapper entführen den Sohn (Francesco Impeciati, „Hotel Fear“) des vermögenden Bauunternehmers Filippini (James Mason, „Lolita“) – und den kleinen Fabrizio (Marco Liofredi, „Das nimmersatte Weib“), Filius des in einfachen Arbeiterverhältnissen lebenden Motorradmechanikers Mario Colella (Luc Merenda, „Torso“), kurzerhand mit, als dieser den Coup stört. Da Filippini sich weigert, das Lösegeld in voller Höhe zu zahlen und es nach unten zu verhandeln versucht, wird Fabrizio von den Gangstern kaltblütig erschossen. Da die Polizei unfähig ist, nimmt Colella nun das Gesetz in die eigene Hand und startet einen Rachefeldzug gegen die Gangster und ihre Hintermänner…
„Wenn Scheiße was wert wäre, würden die Armen ohne Hintern auf die Welt kommen!“
Der Prolog umreißt die Beziehung zwischen des zu allem Überfluss auch noch verschuldeten und frisch verwitweten Colella und seinem Sohn. Dann, am helllichten Tage und auf offener Straße, die Entführung, in die Fabrizio hineingezogen wird. Überlieferungen zufolge waren derartige Entführungen seinerzeit ein tatsächliches, handfestes, akutes Problem in einem unter den Verbrechen ächzenden Italien, Di Leo und das Autorenteam orientieren sich also zunächst einmal an der Realität. Commissario Magrini (Vittorio Caprioli, „Die Bumsköpfe“) feiert gerade seinen Urlaubsantritt, als ihn der Staatsanwalt anruft und von diesem Fall unterrichtet – entsprechend wenig motiviert ist der Kommissar.
„Ich bin gekommen, um zu töten.“
Mutter Filippini (Valentina Cortese, „Mordanklage gegen einen Studenten“) ist völlig aufgelöst, wie Mütter eben so sind, Vater und Unternehmer Filippini hingegen reagiert nicht nur gefasst, sondern regelrecht gefühlskalt – eben mehr seiner Besitzstandswahrung in Bezug auf den Mammon als seiner Familie verpflichtet, und Colellas Sohn schon gar nicht. Mit Colella ist man sich über Lösegeldzahlung natürlich uneins, entsprechend temperamentvolle Diskussionen sind die Folge. In Dialogform lässt man zudem den Kommissar die Mechanismen dieser Art von Verbrechen erläutern, als hätte man seinem Publikum gegenüber einen Bildungsauftrag zu erfüllen. Colellas Erinnerungen werden visualisiert, die Kinder in ihrem Gefängnis gezeigt und die Entführer einem in ihrem Quartier nähergebracht. So könnte der Film als Drama, in dem entweder Filippini, die Entführer oder gleich beide Seiten sich irgendwann ein Herz fassen und alles wieder gut wird, weitergehen, nicht jedoch unter Di Leo: Auf Filippinis Gepokere hin erschießen die Geiselnehmer Fabrizio. Wer vor dem Filmgenuss keine Inhaltsangabe gelesen hat, dürfte darob zurecht schockiert sein. Und der Film entwickelt sich nun, in seiner zweiten Hälfte, zum eindimensionalen Einer-gegen-alle-Actionreißer.
Colella beobachtet die Bande und schleust sich ein, verhandelt zum Schein, begibt sich auf einen erbarmungslosen Rachefeldzug, verprügelt zwischendurch auch eine Frau und mäht bis zum Showdown mit dem Killer seines Sohns alle um. Parallel dazu stellt sich heraus, dass auch Filippini Dreck am Stecken hatte, und rückt Di Leo immer wieder schlaglichtartig die Unfähigkeit der Polente inklusive einiger markiger Sprüche des Kommissars in den Fokus. Di Leo zieht hier sämtliche Register eines Rache-Thrillers, inszeniert ein paar schöne Verfolgungsjagden, rückt wann immer möglich den J&B-Whisky ins Bild und weiß mit guter Kameraarbeit ebenso zu gefallen wie mit einer Variation der „Milano Kaliber 9“-Titelmelodie. Zudem ist Luc Merenda im Italo-Genre-Kino eine schauspielerische Bank, auf die man sich verlassen kann.
Dafür ist „Auge um Auge“ aber unheimlich plakativ. Es fehlt eigentlich nur noch, dass Colella behindert ist und für die noch Ärmeren Geld sammelt, während sein Sohn das einzige war, was seine Großmutter noch am Leben hielt, und Filippini hobbymäßig Katzenbabys ertränkt. Oder so ähnlich. Aber eben dieser plakative sozialkritische Unterbau, der den einfachen Arbeiter dem gefühlskalten Kapitalisten gegenüberstellt, wird in der zweiten Hälfte weitestgehend dem persönlichen Rachefeldzug und den damit verbundenen Zugeständnissen ans Actionkino geopfert. Dadurch wirkt dieser recht unterhaltsame Film in mancherlei Hinsicht agitatorischer, als es ihm gut zu Gesicht stehen würde, dabei inkohärent und letztlich etwas zu simpel gestrickt.