Re: Friedhof ohne Kreuze - das Jess Rollin-Tribute-Filmtagebuch
Verfasst: So 12. Feb 2017, 19:06
We are the Flesh

Mariano ist ein durchgeknallter Einsiedler in einer postapokalyptischen Welt, der in einem heruntergekommenen Gebäude haust, aus Abfällen Schnaps herstellt und sich daran berauscht. Eines Tages erscheinen Luciano und Fauna auf der Bildfläche, die auf der Suche nach Nahrung und einer sicheren Unterkunft sind und auch bleiben, obwohl Mariano alles andere als vertrauenswürdig erscheint. Er nötigt die Beiden sich seinen bizarren Wertevorstellungen und Bedingungen zu unterwerfen und zu dritt verwandelt sich ein Raum des Gebäudes in etwas, dass an einen weiblichen Unterlaib erinnert. Doch das ist erst der Anfang aus einem Alptraum aus Sex, Tod und Wiedergeburt, in dem menschliche Moralvorstellungen und sonstige Konventionen längst keine Rolle spielen…
Hui, es gibt sie ja doch noch… die Filme die sich nichts scheißen und dem Zuschauer völlig auf Konfrontationskurs begegnen. Der mexikanische Streifen „We are the Flesh“ ist zwar inhaltlich nicht ganz perfekt und wirkt als Debüt eines ambitionieren Regisseurs leicht überfrachtet, aber ansonsten macht der Streifen keine Gefangenen und erinnert an herbe und mutige Siebziger-Arthouse-Schocker, die den Zuschauer mit unangenehmen Fragen und Bildern konfrontieren und sich mit ihrem sperrigen und entrückten Inhalt mit den gesellschaftlichen Gegebenheiten ihrer Zeit auseinandersetzen. Obwohl Emiliano Rocha Winter im Film etwaige Erklärungen verweigert und dem aufgeschlossenen Zuschauer – zugegeben - sehr plakativ mit Sex und Gewalt konfrontiert ist hier nicht einfach nur ein möglichst abstraktes Szenario gewählt wurde, sondern der junge Regisseur sehr wohl weiß, was er da eigentlich tut. Dass er dabei mit expliziten Sex und Themen wie Inzest und Mord natürlich besondere Aufmerksamkeit erregt, sei ihm auch vergönnt, wenn dabei so ein interessantes Stück geschmacksspalterisches Kino herauskommt, dass beim Zuschauer auch extreme Reaktionen hervorrufen soll. Ablehnende Kommentare gehören da genauso dazu, wie das Rattern im Oberstübchen, wie die ganze Sache denn nun wirklich gemeint sein könnte, auch wenn ich an dieser Stelle mich wegen etwaiger Spoiler nicht in Mutmaßungen* ergehen möchte. Zwar reicht es noch nicht ganz für die Kiste von Pasolini, Jodorowsky und andere kontroverse Regisseure vergangener Jahrzehnte, aber Minter ist definitiv auf dem richtigen Weg und es ist schön zu sehen, dass derartig unkonventionelle Filme auch heutzutage noch gedreht werden.
*
The Neon Demon

Ich hab ja zu Herrn Refn und seinen bisherigen nicht das beste Verhältnis und die Sichtung von „The Neon Demon“ auch etwas vor mir hergeschoben. Nun endlich gesehen sieht der Streifen optisch mit Werbeclip-Hochglanz-Ästhetik zwar zweifellos sehr schön aus und erinnert an bessere Genre-Tage - allerdings fand ich die Geschichte, die man als moderne Vampir-Variation oder ausufernde Hommage an die zelebrierte Oberflächlichkeit der Menschheit sehen kann, nicht sonderlich aufregend. Ich hätte den Streifen ja auch eher enden lassen und die letzten 10 Minuten hätten meines Erachtens auch nicht sein müssen, da der aufmerksame Zuschauer ja auch so ahnen dürfte, auf was die Sache hinausläuft. Außerdem wirkte der Film trotz seiner schönen Bilder wie schon „Only God forgives“ auf mich sehr seelenlos, was sich vor allem in der Club-Szene zu Beginn äußert. Diese wirkt in ihrer Sterilität vollkommen künstlich und die Toilette sieht doch tatsächlich so aus wie ein übrig gebliebenes Set-Piece von „Suspiria“, in der wichtigsten Darstellerinnen hübsch ausgeleuchtet und bedeutungsschwanger angeordnet werden. Ebenfalls auffällig wie oft der Name des Regisseurs und sein "NWR"-Logo im Vor- und Abspann zu lesen ist und der Versuch, sich selbst als Marke zu positionieren. Das wiederum passt ja sehr gut zur Thematik des Films, der scheinbar perfekt in die Zeit von Facebook und Instagram passt, in der so viele Menschen versuchen ein Bild von sich selbst zu kreieren, das nicht zwangsläufig mit der Realität übereinstimmen muss, nur um sich dann an ein bisschen Anerkennung, Neid und Aufmerksamkeit - oder eben wie im Falle von "Neon Demon" - kurzfristig an den betörend schönen Bildern berauschen zu können.

Mariano ist ein durchgeknallter Einsiedler in einer postapokalyptischen Welt, der in einem heruntergekommenen Gebäude haust, aus Abfällen Schnaps herstellt und sich daran berauscht. Eines Tages erscheinen Luciano und Fauna auf der Bildfläche, die auf der Suche nach Nahrung und einer sicheren Unterkunft sind und auch bleiben, obwohl Mariano alles andere als vertrauenswürdig erscheint. Er nötigt die Beiden sich seinen bizarren Wertevorstellungen und Bedingungen zu unterwerfen und zu dritt verwandelt sich ein Raum des Gebäudes in etwas, dass an einen weiblichen Unterlaib erinnert. Doch das ist erst der Anfang aus einem Alptraum aus Sex, Tod und Wiedergeburt, in dem menschliche Moralvorstellungen und sonstige Konventionen längst keine Rolle spielen…
Hui, es gibt sie ja doch noch… die Filme die sich nichts scheißen und dem Zuschauer völlig auf Konfrontationskurs begegnen. Der mexikanische Streifen „We are the Flesh“ ist zwar inhaltlich nicht ganz perfekt und wirkt als Debüt eines ambitionieren Regisseurs leicht überfrachtet, aber ansonsten macht der Streifen keine Gefangenen und erinnert an herbe und mutige Siebziger-Arthouse-Schocker, die den Zuschauer mit unangenehmen Fragen und Bildern konfrontieren und sich mit ihrem sperrigen und entrückten Inhalt mit den gesellschaftlichen Gegebenheiten ihrer Zeit auseinandersetzen. Obwohl Emiliano Rocha Winter im Film etwaige Erklärungen verweigert und dem aufgeschlossenen Zuschauer – zugegeben - sehr plakativ mit Sex und Gewalt konfrontiert ist hier nicht einfach nur ein möglichst abstraktes Szenario gewählt wurde, sondern der junge Regisseur sehr wohl weiß, was er da eigentlich tut. Dass er dabei mit expliziten Sex und Themen wie Inzest und Mord natürlich besondere Aufmerksamkeit erregt, sei ihm auch vergönnt, wenn dabei so ein interessantes Stück geschmacksspalterisches Kino herauskommt, dass beim Zuschauer auch extreme Reaktionen hervorrufen soll. Ablehnende Kommentare gehören da genauso dazu, wie das Rattern im Oberstübchen, wie die ganze Sache denn nun wirklich gemeint sein könnte, auch wenn ich an dieser Stelle mich wegen etwaiger Spoiler nicht in Mutmaßungen* ergehen möchte. Zwar reicht es noch nicht ganz für die Kiste von Pasolini, Jodorowsky und andere kontroverse Regisseure vergangener Jahrzehnte, aber Minter ist definitiv auf dem richtigen Weg und es ist schön zu sehen, dass derartig unkonventionelle Filme auch heutzutage noch gedreht werden.
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Ich hab ja zu Herrn Refn und seinen bisherigen nicht das beste Verhältnis und die Sichtung von „The Neon Demon“ auch etwas vor mir hergeschoben. Nun endlich gesehen sieht der Streifen optisch mit Werbeclip-Hochglanz-Ästhetik zwar zweifellos sehr schön aus und erinnert an bessere Genre-Tage - allerdings fand ich die Geschichte, die man als moderne Vampir-Variation oder ausufernde Hommage an die zelebrierte Oberflächlichkeit der Menschheit sehen kann, nicht sonderlich aufregend. Ich hätte den Streifen ja auch eher enden lassen und die letzten 10 Minuten hätten meines Erachtens auch nicht sein müssen, da der aufmerksame Zuschauer ja auch so ahnen dürfte, auf was die Sache hinausläuft. Außerdem wirkte der Film trotz seiner schönen Bilder wie schon „Only God forgives“ auf mich sehr seelenlos, was sich vor allem in der Club-Szene zu Beginn äußert. Diese wirkt in ihrer Sterilität vollkommen künstlich und die Toilette sieht doch tatsächlich so aus wie ein übrig gebliebenes Set-Piece von „Suspiria“, in der wichtigsten Darstellerinnen hübsch ausgeleuchtet und bedeutungsschwanger angeordnet werden. Ebenfalls auffällig wie oft der Name des Regisseurs und sein "NWR"-Logo im Vor- und Abspann zu lesen ist und der Versuch, sich selbst als Marke zu positionieren. Das wiederum passt ja sehr gut zur Thematik des Films, der scheinbar perfekt in die Zeit von Facebook und Instagram passt, in der so viele Menschen versuchen ein Bild von sich selbst zu kreieren, das nicht zwangsläufig mit der Realität übereinstimmen muss, nur um sich dann an ein bisschen Anerkennung, Neid und Aufmerksamkeit - oder eben wie im Falle von "Neon Demon" - kurzfristig an den betörend schönen Bildern berauschen zu können.










