bux t. brawler - Sein Filmtagebuch war der Colt

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Pastewka

Staffel 10

Mit der zehnten Staffel – nach langer Zeit im Privatfernsehen die dritte für den Video-on-Demand-Anbieter amazonPrime – endet die erfolgreiche deutsche SitCom „Pastewka“ im Jahre 2020 auf ihrem Zenit. Zu den im wahrsten Sinne des Wortes lachenden Augen, mit denen man sich diese zehn Episoden umfassende Abschiedsvorstellung ansieht, gesellen sich also auch weinende. Die hier geschilderten Eindrücke sind als Ergänzung zu meiner Auseinandersetzung mit den vorausgegangenen Staffeln zu verstehen.

Anne und Bastian sind nach einem Jahr zurück aus Afrika, wo Anne für die Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen tätig war, um Abstand von ihren Beziehungen – insbesondere der zu Bastian, von dem sie sich zu dessen Leidwesen getrennt hatte – zu gewinnen. Doch Bastian war ihr Hals über Kopf nachgereist. Und siehe da: Der Aufenthalt auf dem Kontinent und die Konfrontation mit wesentlich existentielleren Dingen und Herausforderungen als das Fernsehgeschäft hat ihn geerdet und ihm sichtlich gutgetan. Er ist nicht nur mit sich, sondern auch mit Anne im Reinen; man ist sich einig, nunmehr lediglich gute Freunde zu sein. Zurück zu Hause überschlagen sich jedoch bald wieder die Ereignisse, von denen das herausragendste Annes Kinderwunsch ist. Bastian bietet sich als Samenspender an…

Ja, die aktuelle diverse Gesellschaft findet in dieser Staffel verstärkt Entsprechung: Ungebundene Frauen mit Kinderwunsch sowie eine bisexuelle Svenja Bruck, die sich von Hagen getrennt hat und nun mit einer Frau zusammenlebt, während Hagen weiterhin seiner Vaterrolle nachkommt (bzw. nachkommen soll). Beides birgt natürlich viel Konflikt- und komisches Potential, das die Drehbücher genüsslich und bewusst bis an die Fremdschamgrenze gehend auskosten. Auch Bastians ältere Nichte Kim ist von partnerschaftlichen Veränderungen betroffen, konkret: Sie hat sich mit ihrem neuen Freund, einem jungen Mann aus der Oberschicht, verlobt und wird ihn ehelichen. Wiedersehen gibt es auch mit Annes Eltern und Jo, wo es zu Zwischenfällen mit Kutteln sowie einer Geschenkkarte mit Sprachaufnahme kommt, mit Anke Engelke, die Bastian zu albernen Gastauftritten in ihre „Sendung mit dem Elefanten“ zerrt sowie mit Michael Kessler, der Bastians Nachfolge in der kitschigen ZDF-Krankenhausserie als Chefarzt Dr. Roman Engel angetreten hat.

Richtig, der Gag mit der Arztserie war noch lange nicht durch – hier wird nunmehr nicht nur ein derartiges Format persifliert, sondern auch die Selbstverliebtheit ihrer Hauptdarsteller. Die Episode, in der man einen Drehtag am Set dabei ist, zählt zu den Höhepunkten dieser Staffel. Und so ganz nebenbei wird dort sogar indirekt Werbung für fleischlose Burger gemacht, ohne sich darüber lustig zu machen. Vater Volker indes steht nicht mehr so sehr über den Dingen wie sonst, hat auch sein Päckchen zu tragen. Er fungiert als Stichwortgeber für einen von mehreren Running Gags: der Frage nach Bastians Geschenk für ihn, das sich angeblich auf dem Postweg aus Afrika befindet. Ein weiterer dreht sich um Bastians Versuche, seinen vor der Abreise nach Afrika im Parkhaus abgestellten Saab wiederzubekommen, ohne mehrere tausend Euro Gebühren zahlen zu müssen. Der beste aber: Annes und Bastians verzweifelte Versuche, Zeit und Muße zu finden, um ein bestimmtes Vorhaben in die Tat umzusetzen.

Etwas subtilerer Humor kommt zum Tragen, wenn Hagen und Bastian sich zum Staffelbeginn vorübergehend ihr altes Kinderzimmer teilen müssen und schnell in alte Geschwisterkinderverhaltensweisen zurückfallen. Das Zimmer wurde mit viel Liebe zum Detail im Stile der 1980er-Jahre eingerichtet, inkl. Panini-Fußballsammelaufklebern auf dem Bettgestell. Direkt konfrontativ geht es zeitweilig erwartungsgemäß wieder zwischen Bastian und „der Bruck“ zu. Zwar hat sich Bastian tatsächlich zum Positiven verändert, der Lebenswandel seiner Schwägerin ist ihm aber noch immer zu hoch und zu viel. Im Gegenzug darf Bettina Lamprecht ihm gegenüber einige ihrer groteskesten Grimassen schneiden.

Veränderungen auch bei Regine: Durch Bastians Abwesenheit musste sie umsatteln – und durch sein Buchprojekt über seine Afrika-Erfahrungen eröffnen sich ihr sogar noch einmal ganz neue berufliche Möglichkeiten. Diese wiederum kulminieren in einer herrlichen Parodie auf ein bestimmtes Literatur-Genre sowie dessen mutmaßliche Produktions- und PR-Mechanismen. Eher blass und konturenlos bleibt Kims Verlobter. Dies liegt in seinen seltenen Auftritten begründet, wenngleich eine Dialogszene mit Bastian im Restaurant wirkt, als habe man ursprünglich durchaus Ideen für eine besondere Beziehung zwischen den beiden gehabt. Tatsächlich hätte sich aus dieser Konstellation noch einiges herausholen lassen, immerhin führen Kims Heiratspläne zu einer Hochzeitsfarce im Stil klassischer Heiratskomödien. Die Beziehung, um die es eigentlich geht, ist indes die zwischen Anne und Bastian. Diese betonen zwar stets, nur noch gute Freunde zu sein, scheinen aber auch nicht so recht ohne einander zu können oder zu wollen. In Form dieser Umsetzung eine schöne, romantische Vorstellung, aus der die Autoren auch den einen oder anderen klugen Kommentar zu menschlichen Partnerschaften herausgeholt haben.

Für das innerhalb der Serien-Topoi versöhnliche, halboffene Ende griff man auf eine heillos übertriebene Überkonstruktion zurück, die jedoch als zusätzlicher Gag verstanden gewollt werden dürfte. Am Ende werden alle losen Fäden befriedigend zusammengeführt; der Weg ist dorthin ist gespickt mit vielen echten Lachern, die aus der bewährten Mischung aus Situationskomik, Dialogwitz, selbstironischer Branchenpersiflage und etwas Slapstick resultieren – und gespickt sind mit Bildern einer süßen kleinen Mafalda, auf die Bastian nun auch mal allein aufpassen darf und das gar nicht schlecht macht.

Nach 99 Folgen ist nun also Schluss mit „Pastewka“. Zur Familie wird der fernsehverrückte Fettnäpfchentreter aber weiterhin gehören – ob nun mit Freundin, eigenem Nachwuchs oder nichts von alldem. Du Dödel!
Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
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Parasite

„Wow, ist das alles metaphorisch!“

Bong Joon-hos „Parasite“, zu dem der südkoreanische Regisseur („Snowpiercer“) auch (zusammen mit Han Jin-won) das Drehbuch verfasste und als Produzent in Erscheinung trat, hat eine Auszeichnung nach der anderen abgeräumt und Rekorde aufgestellt: Der 2019 veröffentlichte Spielfilm hat nicht nur als erster koreanischer Film die Goldene Palme in Cannes, sondern auch mehrere Oscars gewonnen, darunter als erster ausländischer Beitrag überhaupt jenen für den besten Film.

Die vierköpfige Familie Kim – Vater Kim Ki-taek (Song Kang-ho, „Lady Vengeance“), Mutter Chung-sook (Jang Hye-jin, „Secret Sunshine“), Sohn Ki-woo (Choi Woo-shik, „Train to Busan“) und Tochter Ki-jung (Park So-dam, „The Priests“) – lebt verarmt unter menschenunwürdigen Bedingungen in einer Kellerwohnung in den Seouler Slums und versucht, sich mit miesen Nebenjobs wie dem Falten von Pizzakartons im wahrsten Sinne des Wortes über Wasser zu halten. Ein alter Schuldfreund Ki-woos jedoch vermittelt ihm eine neue, anspruchsvollere Tätigkeit: Er solle ihn als Englisch-Nachhilfelehrer für die Tochter der wohlhabenden Architektenfamilie Park vertreten. Es fehlten lediglich einige kompetenzsuggerierende Dokumente. Diese fälscht Ki-jung kurzerhand für ihren Bruder, der daraufhin die Stelle antritt und die attraktive Schülerin Da-hye (Jeong Ji-so, „The Tiger: An Old Hunter’s Tale“) erfolgreich unterrichtet. Während seines Aufenthalts in der luxuriösen Familienvilla lernt er auch Da-hyes kleinen Bruder Da-song (Jung Hyun-joon) kennen, einen Grundschüler, der gern malt, von seinen Eltern (Cho Yeo-jeong, „Working Girl“ und Lee Sun-kyun, „Ghosts of War“) aber für etwas verhaltensauffällig gehalten wird. Unter falschem Namen schleust er so auch seine Schwester ein, die sich als Kunsttherapeutin ausgibt. Mit List und Tücke bringen die beiden auch ihre Eltern als Fahrer und Haushälterin bei den Parks unter, ohne dass diese wüssten, dass es sich um ein abgekartetes Spiel einer Familie handelt. Jedoch mussten dafür der bisherige Chauffeur Geun-sae (Park Myung-hoon, „Alive“) und die jahrelang treue Dienste geleistet habende Haushälterin Moon-gwang (Lee Jung-eun, „Okja“) geschasst werden…

„Parasite“ verknüpft eine schwarze Komödie inklusive starken gesellschaftssatirischen Zügen mit Motiven aus Home-Invasion-Thrillern und Familiendramen. Reizvolles Schauspiel und eine punktgenaue Kameraführung mit viel Sinn für Dynamik und Details vereinnahmen das Publikum schnell für seinen Kontrast zwischen einer intelligenten, listigen, aber unter prekären Verhältnissen darbenden Familie aus der Unterschicht und ihrem freundlichen, aber oberflächlichen und furchtbar naiven Gegenpol aus der Oberschicht. Vereinzelt, doch pointiert weckt die Handlung falsche Erwartungshaltungen und hält so die Spannung aufrecht: wird es Ki-woo zum Verhängnis werden, dass sich seine Schülerin in ihn verliebt hat? Immerhin hegt sein Freund, der ihm die Stelle vermittelt hat, selbst Interesse an ihr. Oder wird der Vater sich verraten, wenn er aus seiner hyperkultivierten Rolle fällt und einmal zu oft oder zu laut flucht? Wird gar der identische, nach ihrem Kellerloch müffelnde Geruch die in die schillernde heile Welt der Parks eingedrungene Familie verraten? Oder werden die Parks schlicht verfrüht von einem Camping-Ausflug zurückkommen, während die Kims in deren Wohnzimmer feiern und sich über die Alkoholvorräte hermachen?

Während man noch darüber rätselt, aber eigentlich mit den Kims, aus deren Perspektive die Handlung erzählt wird, bangt, nimmt der Film eine überraschende Wendung, die „Parasite“ ein Mehr an komödiantischer Absurdität, aber auch an Thriller-Elementen verleiht und lediglich den Ausgangspunkt für zunehmend gewalttätige, dramatische und böse Entwicklungen darstellt. Mehrfach ändert der Film seinen Tonfall, was zu einem immer hysterischeren Ritt durch die exemplarisch nachgezeichnete südkoreanische Klassengesellschaft avanciert. Das ist sicherlich Geschmackssache und vielleicht auch zu viel des Guten, lässt es den Film doch gewissermaßen inkohärent wirken. Andererseits entspricht es sowohl der von vornherein karikierenden Überzeichnung sowie dem Wechselbad der Gefühle, das nahezu alle Figuren durchleben. Der Epilog indes ist dann aber doch zu dick aufgetragen und an den Haaren herbeigezogen.

Unabhängig davon ist Bong Joon-ho eine schwer unterhaltsame Klassenkampfparabel gelungen, die bei aller Überzeichnung die Ambivalenz ihrer Figuren und derer Verhaltensweisen herausstellt. Besonders bitter wirken die subtileren Momente, in denen die oberflächlich betrachtet so freundlichen Herr und Frau Park ehrenrüchige Kommentare über die Kims fallenlassen oder sie immer mehr wie Leibeigene behandeln, bis auch ohne weitere Zuspitzungen die Scharade wohl bald ein Ende gehabt hätte, weil die Kims vermutlich entnervt das Handtuch geworfen hätten.

Vor allem aber ist „Parasite“ ein Sinnbild für die Unfähigkeit der Angehörigen der Unterschicht, sich untereinander zu solidarisieren und zu organisieren statt die Ellbogenmentalität des Systems zu übernehmen und sich gegenseitig zu zerfleischen – weshalb sie dazu verdammt sind, letztlich immer den Kürzeren zu ziehen. Oder sind es „Besitz“ und „Status“ – seien sie auch noch so trügerisch, weil in diesem Falle lediglich an Besitz und Status anderer partizipiert wird –, die derart schnell korrumpieren?
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Tatort: Leonessa

„Brangelina für Arme!“

Lena Odenthals (Ulrike Folkerts) 71. Ludwigshafener „Tatort“ entstand nach einem Drehbuch Wolfgang Stauchs , das unter der Regie Connie Walthers („Frau Böhm sagt Nein“) verfilmt wurde. Walthers nach „Offene Rechnung“ (1999) zweiter Beitrag zur TV-Krimireihe wurde bereits im November 2018 gedreht und auf dem Festival des Deutschen Films im August 2019 uraufgeführt. Die Erstausstrahlung im Fernsehen ließ bis zum 08.03.2020 auf sich warten.

„Ich kann machen, was ich will!“

Oggersheim: Hans Schilling, Betreiber einer Westernbar, wurde hinter seinem Tresen mit einem Kopfschuss regelrecht hingerichtet. Gefunden hat ihn der Jugendliche Samir Tahan (Mohamed Issa, „Wir waren Könige“), dessen älterer Bruder bereits eine Haftstrafe zu verbüßen hatte. Die Ludwigshafener Hauptkommissarinnen Lena Odenthal und Johanna Stern (Lisa Bitter) bringen in Erfahrung, dass Schilling nicht überall beliebt war, weil er sich mitunter wie ein Hilfssheriff aufgeführt habe. Die Aufmerksamkeit der Ermittlerinnen erregt auch das zu Samirs Clique zählende Pärchen Vanessa Michel (Lena Urzendowsky, „Gladbeck“) und Leon Grimminger (Michelangelo Fortuzzi, „Preis der Freiheit“), das von vielen nur „Leonessa“ genannt wird und zusammen mit Samir regelmäßig vor der Kneipe abhängt. Leons Mutter Katja (Karoline Eichhorn, „Der Felsen“) ist alkoholabhängig und Vanessas Eltern scheinen den Zugang zu ihrer Tochter verloren haben, die sich genau wie Leon mit Prostitution ihren Lebenswandel finanziert…

Ein im Pfälzischen spielendes Jugendsozialdrama also? Das klingt zunächst einmal spannend. Gestalterisch gibt man sich Mühe, den ehemaligen Wohnort des Bimbeskanzlers wie einen sozialen Brennpunkt erscheinen zu lassen. Ein paar Schwarzweiß-Szenen bzw. vielmehr -Bilder unterstreichen den Anspruch an eine Atmosphäre der Trostlosigkeit und die drei Jungmimen spielen stark. Mit ihrem blondierten Bubischopf und armreifgroßen Ohrringen wird insbesondere Urzendowsky als Vanessa zum Blickfang. Issa gibt den sensiblen Migrantensohn Samir und Fortuzzi den nihilistisch anmutenden Gammlertypen Leon. Untereinander ist man sich nicht ganz grün. Vom angeblich fest miteinander verschweißten Paar ist nicht viel zu sehen; Vanessa scheint eher zu Samir hingezogen, der sie jedoch stets zurückweist. Doch hier beginnt eines der großen Probleme dieses „Tatorts“: All seiner Präsenz zum Trotz bleibt einem das Trio seltsam fremd. Weder erfährt man, was Vanessa an Samir findet, noch ob es wirklich nur die (als solche kaum erkennbaren) teuren Klamotten sind, die sie in die Prostitution treiben. Am allerwenigsten erfährt man über Leon.

Als problematisch für die Handlung erweist sich auch, dass eine junge Erwachsene eine 15-Jährige spielt, die zum Aufhänger für Odenthals moralische Entrüstung wird: Urzendowskys schauspielerische Leistungen können nicht darüber hinwegtäuschen, dass sie nun einmal keine 15-Jährige mehr ist. Odenthal indes lässt sich zu nur schwer nachvollziehbaren Konflikten mit Stern hinreißen. Vermutlich soll sie von diesem Fall – weniger wegen des Toten, vielmehr wegen der jugendlichen Prostituierten – emotional aufgewühlt wirken, in dieser Inszenierung erscheint sie jedoch in erster Linie unprofessionell. Im etwas theatralisch angehauchten und melodramatischen Finale, das in den dramatischen Effekt verstärken sollender Zeitlupe abläuft, bricht sie letztendlich sogar in Tränen aus.

Odenthals starke Verbundenheit zu den Jugendlichen steht im Kontrast zum Publikum dieses „Tatorts“, dem sie schlicht zu wenig nahegebracht werden. Die intendierte Wirkung verpufft, an die Empathie wird zu wenig appelliert. So gesellt sich zur Oggersheimer Tristesse vor allem Langeweile auf Zuschauerinnen- und Zuschauerseite, denn während die Ermittlerinnen auf der Stelle treten oder Odenthal den Eltern ins Gewissen redet, tut das juvenile Trio, was es eben so zu tun pflegt – ohne sonderlich aufsehenerregende oder gar spektakuläre Ausreißer. Beinahe ist man geneigt, Unverständnis über das Aufhebens, das um sie gemacht wird, aufzubringen, was jedoch keinem Zynismus, sondern der misslungenen Dramaturgie geschuldet ist. Aber dann ist da ja noch die Verbindung zum Mordfall, die am Ende offenbart wird, am enttäuschenden Gesamteindruck jedoch auch nichts mehr ändert.

Auf der Tonspur sind übrigens (zwischen nicht untertiteltem breitem Pfälzer Dialekt diverser Nebenfiguren) The Unthanks zu hören, eine britische Folk-Band.
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Papaya - Die Liebesgöttin der Cannibalen

„Warum denn immer gleich ins Bett?“

Den umtriebigen Italo-Genre- und späteren Porno-Filmemacher Joe D’Amato („Black Emanuelle – 2. Teil“) verschlug es Ende der 1970er in die Karibik, von wo er mit dem Material für gleich eine ganze Reihe neuer Filme zurückkehrte. Eine der ersten daraus resultierenden Veröffentlichungen ist „Papaya - Die Liebesgöttin der Cannibalen“ aus dem Jahre 1978, der weder etwas mit Kannibalen noch mit einer Liebesgöttin zu tun hat. Dies hatte D’Amato jedoch auch nie behauptet, der Originaltitel „Papaya dei Caraibi“ enthält keinerlei derart irreführenden Hinweise. Sein Sexploitation-Strandcocktail indes enthält durchaus Zutaten aus dem Öko-Horror-, Erotik- und Softporno-Bereich und ist – natürlich – Geschmackssache.

„Er wollte Karriere machen, war hinter den Frauen her, rauchte ganz normale Zigaretten...“

Atomkraftwerksingenieur Vincent (Maurice Poli, „Wild Dogs“) reist im Auftrag der Nuklearindustrie mit seiner Frau Sara (Sirpa Lane, „La bête“) auf eine karibische Insel, auf der ein Atomkraftwerk errichtet werden soll – sehr zum Unmut der indigenen Bevölkerung, die strikt dagegen ist, dass ihr herrliches Eiland verstrahlt und verseucht wird und sich bisher erfolgreich gegen alle derartigen Versuche zur Wehr setzen konnte. Ihr Geheimnis: Sie setzen ihren Racheengel, die attraktive Papaya (Melissa Chimenti, „Vier Fäuste schlagen wieder zu“) auf die Eindringlinge an, die ihnen den Kopf verdreht und in tödliche Fallen lockt…

„Sie ist das schönste Mädchen, das ich jemals gesehen habe!“

Der Prolog dürfte den deutschen Verleih auf die Idee gebracht haben, auf der Kannibalenfilmwelle mitzureiten zu versuchen: Papaya entmannt jemanden beim Liebesspiel mittels eines herzhaften Bisses. Daraufhin lernt man zunächst einmal Sara und Vincent kennen. Er holt sie vom Hahnenkampf ab und duscht anschließend mit ihr nackt, bevor sie eine Leiche findet und sich dabei so sehr erschreckt, dass sie glatt die Flasche J&B fallenlässt. Der Film läuft noch nicht einmal eine Viertelstunde und vereint bereits so viele Italo-Genrefilm-Charakteristika!

Vincent verhält sich der einheimischen Tradition und Kultur gegenüber chauvinistisch, wofür ihn Papaya, die sie als Anhalterin mitgenommen haben, kritisiert. Sara kann das gut nachvollziehen, sie scheint nicht derart unsensibel und abgestumpft zu sein. Gemeinsam sucht man in einer menschenleeren Siedlung das „Fest des runden Steins“, was D’Amato in eine unheimliche Stimmung kleidet. Schließlich wird man Zeugen eines Rituals inklusive der Schlachtung von Schweinen, D’Amato hält mir der Kamera voll drauf, es wird getrommelt und getanzt. Doch es kommt noch schlimmer: Ein blonder Jüngling wird als Menschenopfer dargebracht und ermordet. Seine Innereien werden ihm herausgerissen und hineingebissen. Die Eingeborenen tanzen dazu nackt. Da waren sie also wieder, die titelgebenden „Cannibalen“, die jedoch gar keine sind – zudem sollte dies die letzte Szene dieser Art sein. Saras und Vincents Mimik angesichts dieser verstörenden Bilder hält D’Amato mittels wiederholten Gesichts- und Augenzooms fest. Beide werden ausgezogen und betatscht und erwachen schließlich irgendwo anders im Bett.

Dies bedeutet: Bühne früh für den Sex! Zu dritt, also zusammen mit Papaya, nimmt man ein Bad in der Wanne, Dreiergefummel findet zu schwelgerischer Musik statt. Während Papaya Vincent oral verwöhnt, schickt sie Sara raus, die daraufhin im Schlafzimmer masturbiert und von zwei Schwarzen entführt wird. Papaya hat derweil mit jemand anderem Sex, den sie erst einmal auspeitscht, Sara schaut aus ihrem Zimmer, in das sie gesperrt wurde, beeindruckt zu. Sexszenen Papayas mit Vincent werden in der Folge eher die Regel denn die Ausnahme, bis er irgendwann offscreen dran glauben muss. Sara hingegen muss sich mit den Dorfkindern herumplagen, bevor die Saboteursgruppe um Papaya versucht, sie auf ihre Seite zu ziehen. Sara treibt es mit deren Anführer erst einmal am Strand und ist schließlich vollkommen von deren Anliegen überzeugt – wie sie einer überraschend eifersüchtigen Papaya versichert. Nach dieser Versöhnung vergnügen sich Sara und Papaya sowohl im Bett als auch am Strand miteinander, zwei unterschiedliche Szenen, die ineinander geschnitten wurden und zu den schönsten und ästhetischsten des Films zählen.

Kurz vor Schluss taucht der Kommissar wieder auf, der zuvor bereits einen Auftritt beim initialen Leichenfund hatte, nun jedoch geht es um Vincent. Im Schlepptau hat er Vincents Nachfolger, eine neue Atomtype namens Archibald. Archie will auf eigene Faust ermitteln und braust mit Sara zum „Fest des runden Steins“, wobei sie eine gewisse Papaya als Anhalterin mitnehmen… Hier schließt sich also nicht nur der Kreis, hier schließt auch der Film, der vor dem Hintergrund einer recht niedrigen Erwartungshaltung positiv überrascht. Klar, mehr Horror und Mystik wären wünschenswert gewesen, dafür vielleicht etwas weniger Softsex und Erklärbären für Doofis; natürlich, die teils wirklich heftige Wackelhandkamera nervt, und, sicher, dass der Ritualmord vom Beginn mit keiner Silbe thematisiert wird, ist bestimmt nicht das einzig Unplausible der Handlung. Aber: Ansonsten gibt es gar nicht so viel zu meckern.

Voraussetzung für den Filmgenuss jedoch ist es, dass man mit entschleunigten, „geil langweiligen“ Filmen klarkommt, dass man sich bereitwillig von ihnen in einen tranceähnlichen Zustand versetzen lässt. Dann erhält „Papaya“ die Möglichkeit, einen in einen sinnlichen Rausch aus Exotik, Erotik und Unbehagen zu versetzen, zu dem Stelvio Ciprianis omnipräsente Dschungeltrommeln den hypnotisierenden Rhythmus und malerische Strände sowie menschenleere Dörfer das Ambiente liefern. Ein Film über die Arroganz des Kapitals, vielmehr aber über die Kraft der Verführung – sei es durch nordische respektive exotische Schönheiten (die Finnin Lane und die dunkelhäutige, herbere Chimenti bilden einen reizvollen Kontrast) oder durch paradiesische Inseln mit ihren dunklen Mythen.
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Hollywood 1982 - Ein magischer Kinosommer

Epochenbildung

„Der größte Filmsommer aller Zeiten!“

Die Dokumentarfilmer Jacinto Carvalho und Johan Chiaramonte (u.a. bekannt für die gemeinsame Doku „Zombies“) drehten für den deutsch-französischen öffentlich-rechtlichen Kultursender Arte den knapp einstündigen Film „Hollywood 1982 - Ein magischer Kinosommer“, der 2019 erstausgestrahlt wurde. Der Film schärft den Blick dafür, welche heute als unbedingte Klassiker geltenden US-Spielfilme allesamt 1982 in die Kinos kamen. Als da wären: „Conan, der Barbar“, „Rocky III“, „Mad Max II“, „Star Trek II“, „Tron“, „Blade Runner“, „Poltergeist“, „Das Ding aus einer anderen Welt“ und „E.T.“. Und dabei unterschlagen wurde gar noch ein Meilenstein wie „Rambo“.

„Der fulminante Auftakt des Kinos der ‘80er-Jahre.“

Carvalho und Chiaramonte leiten daraus eine stilepochenbildende Wirkung ab, die die 1980er-Populärkultur – nicht nur in Bezug aufs Kino – nachhaltig prägte und definierte. Auf Grundlage von Gesprächen mit Insidern und diversen damals Beteiligten wie dem „Blade Runner“-Co-Autor David Webb Peoples, „Das Ding“-Regisseur John Carpenter und „Star Trek II“-Regisseur Nicholas Meyer und angereichert um so etwas wie eine kleine gespielte Rahmenhandlung im Retro-Schick wird das 1982er-Kino-Phänomen in seiner Entstehung nachgezeichnet, von den 1970ern abgegrenzt und in seiner Resonanz reflektiert. Im Zuge dessen wird die Unterhaltungsfilmkultur auch gesellschaftspolitisch eingeordnet. Alle neun „Filmstationen“ werden dafür nacheinander abgeklappert und um Ausschnitte, auch aus alten Talkshows beispielsweise mit Sylvester Stallone und Mr. T, die zusammen mit Schwarzenegger den Bodybuilder als neues Heldenvorbild etablierten, ergänzt.

Ja, 1982 schien das Jahr zu sein, in dem die ‘80er bzw. das, was man in der Retrospektive popkulturell mit ihnen verbindet, erst so richtig losgingen. Die „Masters of the Universe“ fehlen ebenso wenig wie die Betonung der Bedeutung von Spezialeffekten und frühen Computeranimationen, die zahlreiche der damaligen Filme prägten – insbesondere die Science-Fiction-Werke „Tron“, „Das Ding aus einer anderen Welt“ und „Blade Runner“, die seinerzeit offenbar allesamt vor Steven Spielbergs „E.T.“, mit dem er endgültig zum Familienfilm-Superstar avancierte, verblassten und erst später zu ihrem berechtigten Ruhm gelangten. Anhand von „Mad Max II“ und „Star Trek II“ wird zudem deutlich, dass es sich um eine Zeit handelte, in der manch Fortsetzung tatsächlich noch besser war ihr Vorgänger.

Die aufgestellten Thesen klingen plausibel und nachvollziehbar, wenngleich es sich natürlich um sehr unterschiedliche, durchaus polarisierende Filme handelt. Zeit für Kritik an einem fragwürdigen Fantasy-Opus wie „Conan, der Barbar“ oder dem sich Rassismus-Vorwürfen ausgesetzt sehenden „Rocky III“ bleibt keine. Auch das vermittelte Männlichkeitsbild dürfte sicherlich einmal hinterfragt werden. Inwieweit die hier betriebene Epochenbildung einer tiefergehenden, kritischen Betrachtung standhielte, bedürfe einer gesonderten Analyse. Sind diese neun Filme nicht eigentlich zu unterschiedlich, um einen bestimmten Stil geprägt haben zu können? Was genau sind ihre Gemeinsamkeiten, die stärker wirken sollen als ihre Unterschiede? In jedem Falle aber ist „Hollywood 1982“ eine herrlich nostalgische und interessante Hintergrundinformationen vermittelnde Zeitreise nicht nur für Cineastinnen und Cineasten, die perfekt in den 2019 seinen vorläufigen Höhepunkt erreicht habenden ‘80er-Retro-Hype passt.
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9 Tage wach

„Wenn ich's nehme, dann fühl‘ ich mich wie Jesus und der Terminator gleichzeitig…“

Eric Stehfest („Gute Zeichen, schlechte Zeiten“) ist ein junger deutscher Schauspieler, der jahrelang abhängig von der Droge Crystal Meth war. Damit setzte er sich im 2017 veröffentlichten autobiographischen Roman „9 Tage wach“ auseinander, das wiederum Grundlage für die für den privaten Fernsehsender Pro7 von der Produktionsfirma Gaumont Deutschland realisierte gleichnamige Verfilmung war, die am 15.03.2020 erstausgestrahlt wurde. Ein ungewöhnlicher Schritt für Pro7, der normalerweise kaum eigene TV-Film-Stoffe produziert respektive produzieren lässt, mit diesem jedoch in direkte Konkurrenz zum neuen „Tatort“ und den üblichen Blockbustern der anderen Privatsender ging.

Eric (Jannik Schümann, „Grenzenlos“) lebt bei seiner liebevollen Mutter Liane (Heike Makatsch, „Die Tür“) und seinem abweisenden Stiefvater Tilo (Benno Fürmann, „Schicksalsspiel“) in Dresden, sein leiblicher Vater unterhält keinen Kontakt zu ihm. Seit seinem vierzehnten Lebensjahr konsumiert Eric Crystal Meth. Sein Lebenstraum ist es, Schauspieler zu werden. Tatsächlich gelingt es ihm, von der Berliner Akademie der Darstellenden Künste aufgenommen zu werden. Er bricht seine Junkie-Karriere ab und geht zusammen mit seiner Freundin Anja (Peri Baumeister, „Mackie Messer - Brechts Dreigroschenfilm“) nach Berlin. Die Schauspielschule nimmt er unter Leitung seines Lehrers Karl Hoffmann (Martin Brambach, Dresdner „Tatort“) ernst und bleibt sauber. Als es in seiner Beziehung zur mittlerweile schwangeren Anja zu kriseln beginnt, wächst ihm das alles jedoch über den Kopf und er wird rückfällig…

Ist diese Verfilmung nun ein Versuch, sensationslüstern aus einer persönlichen Drogenkrise quotenstark Kapital zu starten? Oder wird dem Publikum in Form eines sensiblen Dramas eine wichtige Botschaft in Bezug auf Crystal Meth, Drogenkonsum generell und möglicherweise gar das Leben allgemein mitgegeben? Einiges spricht für Letzteres: „9 Tage wach“ ist unter dem US-amerikanischen Regisseur Damian John Harper („Los Ángeles“) keine allzu leichtverdauliche Kost geworden. Zu zahlreichen bewusst indiskreten Nahaufnahmen des Konsums und seiner Folgen, die vom leichtfüßigen Auftakt an immer abschreckender wirken, installierte man eine zwischenmenschliche Ebene, die nicht dialoglastig alles auserzählt, sondern die zunehmende Kommunikationsunfähigkeit zwischen Eric und seinem Umfeld skizziert.

Die moderne, hyperdynamische Kamera ist mittendrin statt nur dabei, wenn die Drogenkristalle auf Toiletten zerstoßen und geschnupft werden, wenn in der Elektrodisco ekstatisch die Tanzfläche vereinnahmt wird und Euphorie sich bahnbricht – aber auch, wenn Eric seine Aggressionen und Wut, seinen Frust und seine Ängste immer weniger unter Kontrolle hat und zunehmenden Realitätsverlust erleidet respektive herbeiführt, bis er schließlich auf so viel verbrannte Erde zurückblickt und sich in Therapie begibt, wo er kotzend wie ein Häufchen Elend entzieht. Die Party ist definitiv zu Ende.

Jannik Schümann liefert eine unheimlich intensive und beängstigend exzessive schauspielerische Leistung zugleich, die sich stark vom üblichen TV-Niveau abgrenzt. Makatsch und Fürmann als Mutter und Stiefvater sind gewöhnungsbedürftig, stehen aber zugleich für einen Generationswechsel: Die gefühlt ewig Jugendlichen werden abgelöst, u.a. von Peri Baumeister, die sich großflächige Tätowierungen aufmalen ließ, in ihrer Rolle in Nachtclubs an der Stange tanzt und mit ihrer Freizügigkeit den Film auch um eine erotische Komponente erweitert. Einer der interessantesten Inhalte des Films jedoch ist Erics anfängliche Unfähigkeit, ohne Drogeneinfluss in der Schauspielschule echte Emotionen zuzulassen und dadurch erst fähig zu werden, diese als Schauspieler zu reproduzieren: Hinter seiner Fassade lauert eine ganze Gefühlswelt, die er in Schach zu halten versucht, weil er mit ihrem normalen Umgang überfordert wäre. Dies liefert gewisse Einblicke in Ursache und Wirkung von Drogenabhängigkeit und dürfte Erkenntnisse vermitteln, die für plakative Fernsehfilme vielleicht nicht selbstverständlich sind und sich auf einer anderen Ebene bewegen als die im Prinzip immer gleichen Bilder körperlichen Verfalls.

Die Handlung, die ungefähr zehn Jahre im Leben Stehfests verdichtet wiedergibt, lässt ansonsten vieles unbeantwortet: Was genau hat zu Erics Gefühlschaos geführt, dass er bereits im zarten Jugendalter regelmäßig zu harten Drogen greift bzw. was genau ist an Eric anders als bei anderen, die mit ähnlichen Problemen klarkommen (müssen), ohne sich auf diese Weise zu betäuben? Und weshalb ist es ausgerechnet Eric Stehfest gelungen, als durchschnittlich einer von zehn Crystal-Meth-Abhängigen clean zu werden? Der viel in künstliches blaues und graues Licht – und eine Menge Dreck – getauchte Film ist um eine auf eine jüngere Zielgruppe ausgerichtete Ästhetik bemüht, wofür er sich jedoch unverhohlen bei diversen großen (nicht nur Drogen-)Film-Klassikern bedient und damit letztlich in audiovisueller Hinsicht weniger originell wirkt als mutmaßlich auf manch Zuschauerin oder Zuschauer, die mit diesen Stilen weitestgehend unvertraut sind und aus Neugier einmal den allsonntäglichen „Tatort“ zugunsten Stehfests Drogentrip sausen ließen. Den zeitgemäß urbanen Neo-Noir-Look indes beherrscht die Regie zweifelsohne.

Inwieweit Stehfests (mir unbekannte) Print-Veröffentlichung authentisch biographisch ist und wie sehr dieser Film möglicherweise von der Vorlage zugunsten eines etwaig höheren Unterhaltungswerts abweicht, kann ich nicht beurteilen. Auch habe ich keine eigenen Crystal-Meth-Erfahrungen zum Abgleich anzubieten. Die positiven Aspekte dieses Films scheinen mir unabhängig davon jedenfalls zu überwiegen, wenngleich ich mir nicht sicher bin, wie hoch der Anteil der Zielgruppe ist, die diesen Film im linearen Free-TV tatsächlich für sich entdeckt – und wie stark die aufklärerische oder abschreckende Wirkung auf gefährdete junge Menschen angesichts der Partyszenen, des maskulinen Alphamännchengebarens gerade auch während der Aggressionsausbrüche und nicht zuletzt Stehfests aktueller erfolgreicher medialer Karriere letztlich wirklich ist. Hoffen wir das Beste.
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Tatort: Zweierlei Blut

„Ich hasse Fußball!“

Schimanski (Götz George) und Thanner (Eberhard Feik) zum Achten: Auch für die „Tatort“-Episode „Zweierlei Blut“, bereits im Frühjahr 1983 gedreht und am 22.07.1984 erstausgestrahlt, führte Schimanski-Miterfinder Hajo Gies Regie, das Drehbuch stammte diesmal von Felix Huby und Fred Breinersdorfer.

„Diese Punker, diese Rocker, die gehören doch alle ins Lager!“ (Toleranz im Ruhrpott, Teil 1)

Schimanski besucht das Wedaustadion, um einer Fußballpartie des MSV Duisburg beizuwohnen. Nach Abpfiff und Rangeleien unter den Fans bleibt jedoch einer zurück: Der Italiener Antonio wird mit einer Stichverletzung tot aufgefunden. Dieser war mit der Wäschereibesitzerin Frau Schobert (Brigitte Janner, „Kanakerbraut“) liiert und hatte sich als Platzwart im Stadion etwas dazuverdient. Ihre Söhne Kurt (Reiner Groß) und insbesondere der Thanner gegenüber sehr respektlos auftretende Fiete (Zacharias Preen, „Rosa Roth“) scheinen Antonios Tod nicht sonderlich zu bedauern und bezeichnen ihn als Schmarotzer. Untersuchungen ergeben, dass das Opfer nicht an seiner Stichverletzung starb, sondern durch einen Genickbruch, der mutmaßliche Täter aber ebenfalls eine Stichverletzung davongetragen hat. Kurt weist eine solche Verletzung auf, die ihn dringend tatverdächtig macht. Schimanski und Thanner ermitteln daraufhin in der Fanszene, der auch die Schobert-Söhne angehören. Schimanski schleust sich inkognito in die Clique ein und scheint nach und nach ihr Vertrauen zu gewinnen, doch Anführer Ernst (Dietmar Bär, „Treffer“) bleibt skeptisch. Als Thanner hinzustößt, droht Schimanskis Tarnung aufzufliegen, weshalb er sich gezwungen sieht, Thanner unsanft des Lokals zu verweisen. Dadurch kann jedoch Kurt Schobert entkommen. Thanner und Hänschen (Chiem van Houweninge) verhören schließlich Stadionleiter Ludwig (Gerhard Olschewski, „Eisenhans“), der ebenfalls am Tatort gesehen wurde…

„Rocker, Proleten, Punker, Ausländer, Arbeitslose, all das Gesocks – sollte man gar nicht reinlassen, so was!“ (Toleranz im Ruhrpott, Teil 2)

Thanner, noch immer von seiner ehemaligen Freundin getrenntlebend, hat es sich bei Schimanski häuslich eingerichtet und kümmert sich lieber um seine Schildkröte Eckardt, statt sich auf Wohnungssuche zu begeben – sehr zu Schimmis Leidwesen. Dessen Laune bessert sich jedoch, als er Bella Klein (Despina Pajanou, „Doppelter Einsatz“) vom Erkennungsdienst kennenlernt, die zur begehrten Adressatin von Flirtversuchen sowohl Schimmis als auch Thanners wird. Pajanou überzeugt in ihrer verführerischen Nebenrolle, die die Kontaktanbahnungsversuche der Herren mit Humor nimmt und feststellen muss, dass außer eine großen Klappe nicht viel mehr dahinter ist. Bei Schimanski zu Hause spielt Thanner ansonsten wieder das Hausmütterchen, beide vermitteln zeitweise einmal mehr den Eindruck eines alten Ehepaars – köstlich.

„Ich kenn‘ da ‘n paar gute Kneipen!“ – „Man riecht’s…“ (Flirts im Ruhrpott)

Dietmar Bär in Motörhead-Lederjacke glänzt in einer seiner ersten Fernsehrollen überhaupt als Anführer einer Halbstarken-Clique, die sich auf den MSV eingeschworen hat und gern einen pichelt. Unterschiedlicher als die Clique auf Schimanski und Thanner in der Kneipe kann man wohl kaum reagieren, und diese wunderbar zugleich raubeinige und herzliche Szene ist erst der Auftakt zu Schimanskis verdeckten Ermittlungen, in deren Zuge er den Jungs Unmengen Alkohol ausgeben – und selbst trinken – muss. Doch Ernst ist misstrauisch, sogar schlauer als Schimmi und enttarnt ihn schließlich, nachdem die Clique ihn abgefüllt hat. Vorgesetzter Königsberg (Ulrich Matschoss) liest Schimanski daraufhin nackt und blutend auf dem Anstoßpunkt im Stadion auf. Welch Eskalation, welche Schmach – und welch ein Bild eines „Tatort“-Kommissars!

„Haben Sie schon mal mit Türken gearbeitet?“ – „Nee, mir reichen die Holländer!“ (Völkerverständigung im Ruhrpott)

Das Stadion wird letztlich auch der Ort eines großen Showdowns zwischen drei Parteien sein, was jedoch mit Fußball nichts mehr zu tun hat. Dadurch, dass die Handlung eine Wendung hin zu Themen wie Schwarzarbeit und Erpressung nimmt, bricht dieser „Tatort“ eine Lanze für damals noch wesentlich stärker als heute als asozial verschriene proletarische Fußballfans, die in diesem Ermittlungsfall als Sündenbock und aufgrund ihres schlechten gesellschaftlichen Leumunds einfaches Opfer herhalten sollten – ein sympathisches soziales Anliegen, das der Subtext dieses schwer unterhaltsamen „Tatorts“ vermittelt, gerade auch, weil er die Sub- und Trinkkultur weder in den Himmel lobt noch in Grund und Boden verdammt. Statt eines hippiepädagogischen Sozialarbeiters schickt man hier Schimmi, der kräftig mitsäuft. Jawoll!

„‘n gewissen Humor kann man den Jungs ja nicht absprechen…“ (Sarkasmus im Ruhrpott)

Beachtlich und erstaunlich ist es, wie lässig und unmimosig die Beamten hier sind – kein Vergleich zur heutigen Realität, in dem man Fiete nach seinem Milchtütenwurf vermutlich gleich das SEK auf den Hals gehetzt hätte. Nicht unerwähnt bleiben sollte jedoch das Plädoyer für Videoüberwachung, das diesem Fall ebenfalls innewohnt und angesichts immer weiter ausgebauter Überwachungstechnik nicht auf ungeteilte Zustimmung stoßen dürfte. Zweifelsohne schön ist das Wiedersehen mit Schimanskis ostasiatischer Patentochter, überraschend hingegen der Umstand, dass Duisburger Straßenbahnen damals offenbar über Speisewagen verfügten. Was wurde da serviert? Currywurst? Der Soundtrack stammt übrigens von Spliff, die hier etwas schräg, aber geradezu proggig klingen. Ludwig-Darsteller Olschewski sollte man ein paar Jahre später in einer neuen Rolle als Schimanskis Vorgesetzten Ossmann erneut begegnen – und dass Dietmar Bär im Showdown Schimmis Mantel trägt, war eindeutig ein Omen: schließlich begann er später selbst höchst erfolgreich als Kölner „Tatort“-Kommissar Freddy Schenk zu ermitteln...
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Woodoo Baby - Insel der Leidenschaft

„Sein Geist muss uns erhalten bleiben!“

„Woodoo Baby - Insel der Leidenschaft“, erschienen 1980, ist ein weiterer Sexploitater, den der damals vielbeschäftigte italienische Filmemacher Joe D’Amato („Sado – Stoß das Tor zur Hölle auf“) in der Karibik, genauer: der Dominikanischen Republik drehte und für den er etwas expliziter zu Werke ging als noch zuvor für „Papaya – Die Liebesgöttin der Cannibalen“.

„Es ist nun mal so Brauch!“

Der weiße Anthropologe Paul (Richard Harrison, „Provinz ohne Gesetz“) reist mit seiner Ehefrau Helen (Nieves Navarro alias Susan Scott, „Nackt unter Kannibalen“) auf eine karibische Insel, um die Bräuche und Rituale der indigenen Bevölkerung zu erforschen. Helen findet das jedoch sterbenslangweilig. Da sie zudem auch keine rechte Befriedigung mehr verspürt, wenn sie Sex mit Paul hat, reißt sie sich die hübsche junge Einheimische Haini (Lucia Ramirez, „Porno Holocaust“) auf, die sie in die Welt der gleichgeschlechtlichen körperlichen Liebe einführt. Haini hat gerade ihren Vater zu Grabe getragen und verfällt der weltgewandten Helen schnell. Helen nimmt ihren Schützling mit in die gemeinsame Wohnung in der Großstadt. Das geht jedoch nur so lange gut, bis Paul seine Forschungen unterbricht und hinter die Affäre der beiden kommt. Der Konflikt führt aber dazu, dass Helen und Paul sich aussprechen und einen Neuanfang ihrer Beziehung wagen. Haini ist von nun an überflüssig und wird zurück auf die Insel zu Ihresgleichen geschickt. Doch Haini sinnt mittels eines Voodoo-Rituals auf Rache…

„Ich brauche eben Sex!“

Im Prolog inszeniert D’Amato eine Totenzeremonie am Strand, bei der der Leichnam zeremoniell ausgeweidet wird und seine Innereien verspeist werden. Wie sich herausstellen wird, handelte es sich um Hainis Vater – und beim blonden Weißen, der sich das mitansehen durfte, um einen gewissen Henry, der die mit einem Flugzeug in der Stadt landenden Helen abholt und sie sogleich angräbt. Noch bevor Helen zu ihrem Mann auf die Insel übersetzt, spendiert D’Amato eine Duschszene, in der er die Kamera auf Helens Intimbereich halten lässt. Man erfährt, dass Paul unbedingt einen Sohn von Helen will, und anhand einer Sexszene, in der Helen betont steif wie ein Brett daliegt, wie sehr die Leidenschaft für Paul in Helen erloschen ist. Da macht sie es sich anschließend lieber selbst. Als sie am nächsten Tag auf einem Baumstamm am Ufer sitzt, lernt sie die exotische Schönheit Haini kennen und geht mit ihr in Zeitlupe im Meer planschen, unterlegt von einigen Funk-Rhythmen Stelvio Ciprianis, der ansonsten Buschtrommeln mit Synthesizer-Musik zu einem eigenartigen, aber bisweilen durchaus reizvollen Klang-Strandcocktail vermischt. Anthropologe Paul mit seinem dicken Schnäuzer sitzt derweil an der Schreibmaschine und ahnt von nichts.

„Frei sind nur die Primitiven!“

Bereits in der nächsten Szene ist Haini nackt und führt einen ekstatischen Sitztanz (!) vor Helen auf, bis sie erschöpft liegenbleibt. Man muss kein Prophet sein, um zu erahnen: Eine Lesbenszene liegt in der Luft. Doch zunächst lädt Haini Helen zu einem Stammesritual ein, Helen revanchiert sich mit einer Einladung in die Großstadt. Damit Haini von zu Hause ausziehen und sich Helen anschließen darf, muss sie sich von ihrer Mutter schlagen und verstoßen lassen – so will es der Brauch. Nachdem auch die Formalie abgehakt wurde, geht’s gemeinsam Sehenswürdigkeiten abklappern. Haini lässt sich im Motorboot chauffieren und zieht sich aus, den Befummelungen des Fahrers entgeht sie durch einen beherzten Sprung ins Wasser. Es folgt eine Lesbenszene mit Annj Goren („Papaya - Die Liebesgöttin der Cannibalen“), die gleichzeitig Hainis und ihre eigene Muschi reibt und damit Helen eifersüchtig macht. Haini weiß daraufhin zu erklären, dass in ihrem Stamm alle Mädchen zunächst mit einer Frau Sex hätten…

Doch D’Amato spannt sein Publikum weiter auf die Folter: Helen lässt sich zunächst von Henry im pornös offenen rosa Hemd besteigen, den sie erfolgreich verführt. Daran schließt sich unmittelbar eine Masturbationsszene Hainis an. Nachdem Helen mit Henry fertig ist, schnappt sie sich den nächstbesten dunkelhaarigen Weißen aus einer Kneipe und treibt’s mit ihm. Kurioserweise lässt dieser dabei seine Jeans oben… Haini ist nun deutlich verstimmt, greift zum Messer und geht damit auf den Stecher los. Helen jedoch geht in letzter Sekunde dazwischen, vertreibt den Kerl und küsst Haini, woraufhin sie sich vor einer malerischen Strandkulisse endlich voll einander hingeben. Haini wohnt von nun an bei Helen, wo Paul sie schließlich eines Tages miteinander in flagranti erwischt. Der anschließende Konflikt mündet in einer fragwürdigen Szene, in der Paul beide Frauen beim Sex miteinander beobachtet und schließlich Haini vor Helens Augen vergewaltigt, bis Helen selbst mitmacht und ein Dreier daraus wird, der allen zu gefallen scheint. Beim anschließenden Masturbieren denkt Haini an einen Mann, visualisiert in Form eines nun expliziten Fellatio am Strand (mit Mark Shannon, anscheinend eine Szene aus dem „Porno Holocaust“-Dreh), was vermutlich ihre nun entdeckte Lust auf Männer symbolisieren soll. Doch zu allem Überfluss erfährt Helen auch noch, dass sie endlich schwanger ist, womit Haini nun endgültig raus ist und so schnell wie möglich verschwinden soll. Diese Sequenz bildet die Zäsur des Films. Sämtliche Charakterentwicklungen finden unfassbar lieblos und in überstürzter Geschwindigkeit statt, sodass nur allzu deutlich wird, wie wenig Interesse D’Amato an ihnen hatte.

Stattdessen filmt D’Amato eine Softsex-Szene Pauls und Helens, während Haini ein Voodoo-Ritual durchführt – natürlich nackt. Zusammen führt man Haini auf die Insel zurück, wo mit im Kreis joggenden, u.a. weißen Komparsen mehr schlecht als recht die rituelle Ermordung Pauls unblutig inszeniert wird, die Kamera hält also nicht drauf. Helen beißt nichts Böses ahnend in Pauls entnommenes Herz und erschrickt in Standbildern, als sie ihren toten Mann entdeckt – finito.

Bis auf die Fellatio-Fantasie und die eine oder andere Fingerei handelt es sich also auch bei „Woodoo Baby“ noch um einen Softsex-Streifen des späteren Porno-Regisseurs, der jedoch bereits stärker als – um dieses Beispiel noch einmal heranzuziehen – „Papaya“ auf die Sexszenen ausgerichtet ist und alles andere zu vernachlässigen droht. Damit ist „Woodoo Baby“ nicht Fisch, nicht Fleisch und bildet so etwas wie ein mutmaßlich schnell heruntergekurbeltes Übergangsprodukt zwischen D’Amatos (S)Exploitation-Filmen und seinen Hardcore-Streifen. Auch dramaturgisch ist der Film bisweilen ein hartes Brot, ein auf Zuschauergewohnheiten oder -erwartungen zugeschnittenes Timing scheint beim Schnitt nicht die Priorität gewesen sein. Die Schludrigkeiten bilden einen unschönen Kontrast zu einer Handlung, die als so etwas wie die Rache der Naturvölker an der sie ausbeutenden „Zivilisation“ verstanden werden kann und aus der doch um einiges mehr hätte gemacht werden können. Der Kannibalismus des Stamms, dem Haini angehört, ist indes ein plakatives Zugeständnis an den Horrorelemente von D’Amato erwartenden Markt und war in seiner im Endeffekt rassistischen Konnotation damals sicherlich nicht bewusst – ein typisches Klischee eben. Andererseits wurde es so etwas wie D’Amatos Markenzeichen, auch seine Erotikfilme mit mindestens einer im völligen Kontrast stehenden, verstörenden Szene zu versehen, und tatsächlich ist der Sex in „Woodoo Baby“ nicht immer eine sinnliche Erfahrung, sondern beispielsweise auch Konsumgut und Machtinstrument. Dumm nur, dass die interessanten zivilisationskritischen und auch psychologischen Ansätze im Schamhaargewusel und Gestöhne untergehen und der eigentlichen Geschichte schon fast nicht mehr als Alibicharakter zubilligen, wofür sie dann wiederum aber noch zu prominent und präsent ist.

Neben den Fernweh weckenden karibischen Kulissen ist aber insbesondere D’Amatos Entdeckung Lucia Ramirez ein echter Hingucker, die ein unberührt-jugendliches Äußeres mit exotischer Ausstrahlung und freizügiger Natürlichkeit vereint (eine echte Schauspielerin hingegen ist sie – im Gegensatz zu Navarro – nicht). Es sollte nicht ihr einziger Film mit D’Amato bleiben. Dazu später an anderer Stelle mehr, „Woodoo Baby“ reiht sich mit 4,5 von 10 rituellen Sitztänzen im knapp unterdurchschnittlichen Bereich ein.
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Tatort: Rechnung ohne Wirt

„Ist das hier Kleinchicago, oder was?!“

Auch Regisseur und Drehbuchautor Peter Adam bürgt für gute „Tatort“-Beiträge um das Duisburger Duo Schimanski (Götz George) und Thanner (Eberhard Feik), wie er bereits mit den Episoden „Das Mädchen auf der Treppe“ und „Miriam“ unter Beweis gestellt hatte. Sein insgesamt vierter „Tatort“ (der dritte mit ebendiesen Ermittlern) wurde im Spätsommer/Frühherbst 1983 gedreht, aber erst am 9. Dezember 1984 erstausgestrahlt. „Rechnung ohne Wirt“ ist ein waschechter Ruhrpott-Krimi ohne nennenswerte Sozialdrama-Anteile geworden:

„Zahl oder stirb – das ist die Wahrheit!“

Der Boxer Bubi Kantmeier wurde auf der Straße angeschossen. Offenbar sollten die Schüsse ihn nicht töten, doch erlitt er eine Herzattacke und starb. Im Notizbuch des Verstorbenen findet sich der Name Guido Tessari (Guido Gagliardi, „Lindenstraße“), ein italienischer Restaurantbesitzer und Freund Schimanskis. Als Schimanski Tessari zu seiner Verbindung zu Kantmeier befragt, druckst dieser zunächst herum. Als Schimanski jedoch vor Ort Zeuge eines Anschlags aufs Restaurant wird, berichtet ihm Guido, dass er sich mit Schutzgelderpressern herumplage, sich aber zu zahlen weigere. Diese schrecken auch vor körperlichen Übergriffen auf Guido nicht zurück und wollen ihn sogar zu Hause überfallen. Doch Schimanski vereitelt diesen Plan und überwältigt die beiden Schläger (Luigi Tortora und Biagio Piccolo) zusammen mit Guido. Nun hat Guido einen Trumpf im Ärmel. Damit er sich bei Leone, dem Kopf der Bande, einen Vorteil verschaffen kann, versteckt Schimanski die Gangster bei einem Bekannten, gegen den er wegen dessen illegalem Glücksspiel etwas in der Hand hat. Die Angelegenheit scheint zu Guidos Vorteil geklärt, die Festgesetzten werden laufengelassen. Doch der gerade von einem Kennenlern-Umtrunk mit dem neuen Kriminaloberrat Wolf (Wilfried Blasberg, „Der Fan“) zurückkehrende Thanner weiß nichts davon und verhaftet die Mafiosi auf der Straße. Nun fürchtet man den Zorn Leones… Doch war Guido immer ehrlich zu Schimanski?

„Es kann doch wohl nicht sein, dass Sie um diese Zeit schon wieder betrunken sind!“

Zu Beginn gibt’s ein Wiedersehen mit Schimanskis Adoptivtochter (Vy Nguyen), mit der Schimmi zum Tatort braust. Die beiden Zeugen, ein unheimlich spießiger alter Sack (Gert Burkard, „Didi – Der Doppelgänger“) und eine angepunkte junge Dame (Traute Hoess, „Berlin Alexanderplatz“), sorgen mit ihren Dialogen für Amüsement, doch bei den Ermittlungen im Gaststätten- und Schutzgeldmilieu wird es ernst. Schimmi kooperiert mit einem kleinen Gauner, um die beiden Mafioso-Handlanger rechtswidrig festzuhalten, und muss schließlich sogar versuchen, die Ermittlungen des neuen Vorgesetzten Wolf, einem echten Paragraphenreiter, zu sabotieren. Zwischen Thanner und Schimanski kracht’s bisweilen auch, Schimmi geht gar körperlich auf den triumphierenden Thanner los. Dieser wiederum lernt im Zuge der Ermittlungen in Susi Steuben (Conny Glogger, „Der Glockenkrieg“) eine nette alleinerziehende Dame kennen und verbindet das Angenehme mit dem Nützlichen. Viel italienisches Temperament bringt zudem Guido ein, insbesondere bei seinem Gefeilsche mit einem Gebrauchtwagenhändler.

Solch humorige Szenen stehen im Kontrast zu einem desillusionierenden Sittenbild der italienischen Gastronomie, zu einer ehemals so herzlichen Freundschaft, die Schimanski neu überdenken muss, und zu einem heftigen Dauerregen, in dem einige Freiluftszenen spielen. Die Verbindung des Todesopfers mit der Schutzgeldthematik entspinnt sich erst nach und nach bzw. gerät zunächst in den Hintergrund, um schließlich für die geschickt platzierte Wendung eine entscheidende Rolle zu spielen. Das ist dramaturgisch wie erzählerisch prima gelöst. Mit seinem permanenten, gestelzten Vorschriftsgequatsche wird sich Neuling Wolf auf Dauer sicherlich keine Freunde machen, im Gegensatz zu jemandem wie Königsberg ist diese Figur jedoch etwas sehr nah an einer reinen Karikatur angelehnt. Als kleine Hommage an italienische Regisseure gehen wiederum Rollennamen wie Federico Leone (von einer Nebenrolle selbst mit Fellini und Sergio in Verbindung gebracht) oder Tessari durch. Und nicht zuletzt ist es der Soundtrack einmal mehr wert, genauer hinzuhören, bringt er doch südländische folkloristische Einflüsse mit und lässt Toni Miccoli am Ende inbrünstig „Mari“ schmettern.

Ein rundum gelungener „Tatort“ also, in dem die Grenzen zwischen Tätern und Opfern, zwischen legal und illegal verschwimmen, der sich auf weder verklärende noch rassistische Weise kritisch mit der italienischen Gemeinschaft auseinandersetzt und dabei deutlich macht, wie sehr man sie doch eigentlich lieben will. Capito?
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Re: bux t. brawler - Sein Filmtagebuch war der Colt

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Leonie Löwenherz

S1E01: Die seltsame Kiste
S1E02: Leonie ist weg


„Leonie, Leonie Löwenherz – Sie ist, wie sie heißt: eine Löwin mit Herz!“

Zwischen 1986-1989 tauchte das sprechende und aufrechtgehende Löwenmädchen Leonie Löwenherz in der deutschen Version der „Sesamstraße“ auf, Anfang der 1990er bekam es seine eigene Serie: 1991 wurde die 26 rund 25-minütige Episoden umfassende erste Staffel ausgestrahlt, 1992/‘93 folgte die zweite und letzte mit 18 Episoden. Die Figur stammte von Winfried Debertin, der bereits für die erfolgreiche Puppenspielserie „Hallo Spencer“ verantwortlich zeichnete und zusammen mit Klaus Wirbitzky auch die Drehbücher verfasste. Die Regie übernahm Udo Witte („Trügerische Nähe“). Im Gegensatz zum „Hallo Spencer“-Konzept spielt Leonie Löwenherz, gesprochen von Marion von Stengel, inmitten der realen Welt mit echten Schauspielerinnen und Schauspielern, es handelt sich also um keine reine Puppenserie. Leonie sowie ihre später auftauchenden Brüder Ludwig und Lambert sind jedoch klassische Klappmaulpuppen.

„Leonie, Leonie Löwenherz – Sie ist, damit du's weißt, eine Löwin mit Herz!“

Das Titellied mit E-Gitarre und Ohrwurmgarantie reimt die Hintergrundgeschichte – Leonie und ihre Brüder befinden sich auf der Flucht, seit man ihre Fähigkeiten zu sprechen entdeckte – zusammen, bevor Leonie in einer großen Holzkiste dem nichtsahnenden Professor Laurenz C. Lehmann (Henning Schlüter, „Der Alte“) angeliefert wird, der sie sogleich gegen die beiden Ganoven Harry (Spencer-Puppenspieler und -Sprecher Joachim Hall!) und Willi (Werner Berndt, „Der Landarzt“) verteidigen muss. Beide sind als Karikaturen angelegt, insbesondere Willi ist ein sehr tumber Vertreter seiner zweifelhaften Zunft. Als der Professor die Kiste schließlich öffnet, ist er überrascht und erschrocken zugleich, befindet sich doch das plüschige Löwenmädchen mit seinen großen Kulleraugen darin, das auch gleich mit ihm zu plaudern beginnt. Doch mit sprechenden Tieren kennt er sich aus, besitzt er doch bereits einen Beo. Und so ist diese Begegnung der Beginn einer außergewöhnlichen Freundschaft…

Mit dieser Ausgangssituation erinnert „Leonie Löwenherz“ bisweilen an eine Kindervariante des „Alf“-Sujets, wozu auch die komödiantische Ausrichtung und Leonies Charakterisierung als liebenswürdig und frech zugleich passt. Die erste Episode wurde um einige Archivaufnahmen echter afrikanischer Löwinnen und Löwen ergänzt. In Episode 2 überlistet Leonie gar die Ganoven und führt sie mithilfe des Professors der Polizei zu. In weiteren Episoden wird Leonie auch Tina (Maria Ketikidou, „Sterne des Südens“) und Eddy (Hans-Joachim Millies, „Roncalli“) kennenlernen, später folgen Ernst (Ernst H. Hilbich, „Ein Park für alle“) und Karen (Stephanie Kindermann, „alphateam“) und Leonies Brüder werden ebenfalls noch ihre Auftritte bekommen.

Während der Erstausstrahlung habe ich einige Folgen gesehen, war der Serie aufgrund meines Alters aber recht schnell entwachsen. In Erinnerung geblieben waren aber die sympathische Titelfigur und die ebensolche Machart der Serie. Schade, dass die DVD-Fassungen von Pidax unvollständig sind und man den Zuschauerinnen und Zuschauern u.a. die Heimtier-Clips vorenthält, die am Ende jeder Episode von Leonie und Beo präsentierte Tipps für Haustierbesitzer(innen) enthielten.
Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
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