
Emanuelle in America
„Das kommt davon, wenn man vor lauter Philosophie nicht mehr zum Bumsen kommt!“
Nachdem Italo-Genre-Regisseur Joe D’Amato die Figur der Black Emanuelle (Laura Gemser) von Bitto Albertini nach dessen etwas ungelenkem Debüt übernommen und mit seiner Fortsetzung „Black Emanuelle – 2. Teil“ fulminant in Serie geschickt hatte, folgte bereits 1977 der dritte Teil der Reihe: „Emanuelle in America“ alias „Black Emanuelle – Stunden wilder Lust“ entsendet die grazile Schönheit und Fotoreporterin ins Land der unbegrenzten Möglichkeiten – und damit auch unbegrenzten Dekadenz –, wo sie der
High Society in die Suppe spuckt und der freien Liebe frönt:
D’Amato eröffnet mit einer Collage aus Nacktfotosessions mit Emanuelle als Fotografin sowie urbanen Außenaufnahmen, die sie durch die Stadt New York spazierend zeigen. Erstmals gefährlich wird’s, als ein verwirrter Anti-Sex-Aktivist sie in ihrem Auto überfällt und umbringen will. Emanuelle kann sich jedoch retten, indem sie ihn verführt bzw. mit ihren Avancen in die Flucht schlägt. Die erste Sexszene wird noch abgeblendet, bevor sich Emanuelle zwecks Recherchen als Haremsdame beim patriarchalischen Millionär Eric van Darren (Lars Bloch, „Der Graf von Monte Christo“) einschleicht. Dort wird sich nackt im Pool geräkelt und werden schöne Unterwasseraufnahmen präsentiert, bevor es zur berüchtigten Szene kommt, in der eine nackte Dame einem Hengst am Penis herumfummelt. Auf wesentlich mehr Gegenliebe dürfte die Lesbenszene im Anschluss stoßen. Den Haremsbesitzer knöpft Emanuelle sich schließlich vor, geigt ihm selbstbewusst ihre Meinung und geht zwar mit ihm ins Bett, nimmt ihn anschließend aber beim Glücksspiel aus.
„Es macht mir Spaß, alle möglichen Arten von Sex auszuprobieren!“
Den Grafen Alfredo Elvize di Mont Elba (Gabriele Tinti, im Vorgänger Emanuelles Freund), den Emanuelle auf ihrer Flucht aus dem Harem kennenlernte, begleitet sie zu einer Privatparty am Canal Grande, wo sie es mit ihm und seiner Frau treibt. Emanuelles Freund Bill (Riccardo Salvino, „Petroleummiezen“) kommt auf ‘nen Fick, heimlich am Rande einer philharmonischen Konzertprobe, vorbei und eine dekadente Party entwickelt sich zur Orgie: Ein alter Mann darf eine aus einer Papptorte kommende, mit Sahne eingeschmierte nackte Frau im wahrsten Sinne des Wortes vernaschen. Das war dann auch der Startschuss dafür, dass sich alle die Kleider vom Leib reißen und übereinander herfallen. An dieser Stelle kommen erstmals auch
Hardcore-Inserts zum Zuge, in diesem Falle eine
Fellatio-Szene. Letztendlich kommt auch diese Sequenz nicht ohne Kritik an den Gastgebern aus, denn deren Ehe ist, wie Emanuelle aufdeckt, zerrüttet und unglücklich. Zurück in ihrem Studio schießt Emanuelle noch ein paar Aktfotos und gibt sich einer Runde Telefonsex mit ihrem Freund hin, um anschließend aus Neugier einen Sexclub auf einer Urlaubsinsel aufzusuchen. In diesem erwerben vermögende Lebedamen farbige Männer zur Befriedigung ihrer Lust – nicht nur auf Sex, sondern auch auf Exotik.
Erneut werden hier
Hardcore-Inserts von
Fellatio und nun auch Penetrationen munter mit den eigentlichen Filmbildern vermengt. Eine Frau schmückt den Penis eines Mannes mit Blüten, in einem Séparée findet ein gemischtrassiger Dreier statt (im
Hardcore-Anteil sogar inkl.
Cumshot), ein Mann mit Schnäuzer und Zorromaske schlägt eine masturbierende Rothaarige (Renate Kasché, „Venus im Pelz“) – und Emanuelle hält alles heimlich fotografisch fest. D’Amato verknüpft hier auf spekulative Weise Pornographie mit Bizarrerie, geht aber auch noch den einen, entscheidenden Schritt weiter, um aus dem aufgrund des Klassen- und somit finanziellen Unterschieds zwischen den Sexualpartnern und dem daraus resultierenden Abhängigkeitsverhältnis moralisch zwar anrüchigen, letztlich aber ohne unmittelbarem Zwang ablaufenden Treiben eine Frage von Leben und Tod zu machen: Die investigative Fotoreporterin wird Zeugin, wie bei einem weiteren Paar auf dem Zimmer
Snuff-Videos laufen, offenbar zur perversen sexuellen Stimulation.
Der
Sexploitation-Streifen wird nun um Krimi- und Thriller-Elemente erweitert, denn Emanuelle wird entdeckt, verfolgt und geschnappt. Sie soll ihre Negative an die Clubbetreiberin Diana Smith (Maria Piera Regoli, „Hemmungslos der Lust verfallen“) aushändigen, die ihr unverhohlen droht. Dank ihrer weltweit gesammelten sexuellen Erfahrungen erkennt Emanuelle jedoch, dass es sich bei ihrem Gegenüber um eine Lesbierin handelt und verführt sie auf unorthodoxe Weise bzw. nutzt die Gelegenheit zur Flucht. Obgleich der Sexanteil hoch bleibt, indem sie beispielsweise auch den Taxiführer verführt, gewinnt „Emanuelle in America“ nun doch deutlich an Brisanz. Emanuelle wird von ihrem Verleger auf eine verschwundene Prostituierte angesetzt, ein Tippgeber führt sie auf eine Spur nach Washington. In der US-Hauptstadt gerät sie an den hyperpatriotischen, verbrecherische US-Angriffskriege rechtfertigenden Senator Walter (Roger Browne, „Argoman“), mit dem sie zu Recherchezwecken ins Bett geht – wo er ihr zwecks Anregung die
Snuff-Aufnahmen vorführt, welche offenbar aus den US-Kriegen stammen. Emanuelle gibt vor, die Videos geil zu finden und masochistisch veranlagt zu sein. Doch der Kriminelle hatte ihr LSD ins Getränk gemischt, woraufhin sie in ihrem Rausch träumt, dass er mit ihr zu Soldaten reist, die über weitere
Snuff-Filme verfügen. Die entwickelten Fotos indes ergeben: Sie hat gar nicht geträumt! D’Amatos Verwirrspiel mag etwas durchschaubar sein, funktioniert hier aber durchaus.
Und nicht nur, dass der Film unmissverständliche Kritik an US-amerikanischen Aggressoren äußert, er zeigt auch noch die demokratiefeindlichen Verquickungen von Politik, Kapital und Medien auf: Weil die Zeitung, für die Emanuelle arbeitet, Walter gehört, will sie die Fotos nicht drucken. Doch die emanzipierte Emanuelle ist nicht auf den Job angewiesen, kehrt dem Schmierblatt den Rücken und schimpft auf die Lügenpresse. Zusammen mit Bill verreist sie, nach all den Strapazen und Enttäuschungen, auf eine Karibikinsel, wo sie just von einem nativen Stamm entführt werden und Bill sie aus Spaß mit dem Häuptling (Alfred Thomas, „Das Dschungelmädchen“) verheiratet. Die Hochzeit wird ausgiebig gefeiert, bis sich am nächsten Morgen herausstellt, dass es sich um keine echten Eingeborenen, sondern um ein Filmset mit Schauspielern handelte. Mit dieser Schlusspointe referenziert D’Amato noch einmal aufs eigene Medium und gibt möglicherweise bereits einen Hinweis darauf, wie die vermeintlichen
Snuff-Szenen zu verstehen sind: Aufgrund ihres Realismus (der durch die künstliche Alterung des Filmmaterials zusätzlich authentisiert wurde) wurden sie bisweilen als real erachtet, wozu, darf man entsprechenden Quellen glauben, auch die Promotion des Films ihren Teil beitrug. Szenen eines
Making-ofs entkräfteten diese Vorwürfe jedoch.
Mit „Emanuelle in America“ hat D’Amato einen hochgradig exploitativen Bastard aus Sex und Gewalt geschaffen, wie es über einen längeren Zeitraum eines seiner Erfolgsrezepte bleiben sollte. Sexualität wird mit voranschreitender Spielzeit immer stärker von Gewalt konterkariert, die Verquickung beider Elemente erzeugt Unwohlsein und wirft Fragen nach der Verkommenheit der finanzstarken und einflussreichen Oberschicht auf. Recht lang jedoch hält sich der Film mit episodischen Kuriositäten auf, die dramaturgisch unzureichend aneinandergereiht werden und es in spekulativer Hinsicht mit ihren
Hardcore-Szenen übertreiben. In den meisten Fällen ist der körperliche sexuelle Akt losgelöst von emotionaler Zuneigung, auch Emanuelle setzt ihre Sexualität als Mittel zum Zweck bzw. als Waffe ein. Innerhalb der offenen Beziehung, die sie zu Bill pflegt, ist dies kein Problem, denn offenbar sind beide damit einverstanden, Sexualität als weitaus mehr denn lediglich Ausdruck von Liebe zu begreifen. Damit gelingt D’Amato das Kunststück, die nach der
sexuellen Revolution von Teilen der Gesellschaft propagierte sexuelle Freiheit aufzugreifen, eine selbstbewusste Frau in ihren Mittelpunkt zu stellen, die damit mutmaßlich wesentlich mehr Sex hat als ihr die Situation weder ausnutzende noch mit ihr hadernde Lebensgefährte, diese auch noch als beruflich erfolgreich – wenn nicht gar erfolgreicher als Bill – darzustellen und damit somit
beinahe einem feministischen Idealbild zu entsprechen, das er im Rahmen eines sich vornehmlich an ein heterosexuell männliches Publikum richtenden
Sexploitation-Films anbietet.
Beinahe, weil Emanuelles Erlebnisse und der Einsatz ihrer Sexualität den trügerischen Schluss zulassen könnten, Frauen könnten quasi immer und es sei ihnen ein Leichtes, persönliche Abneigungen gegen Sexualpartner auszublenden. Für den Handlungsverlauf ist dies entscheidend, für die Etablierung eines feministischen Frauenbilds und -verständnisses eher kontraproduktiv. Die Selbstverständlichkeit, mit der die grazile Laura Gemser in ihrer Rolle aufgeht, ist hingegen einmal mehr beachtlich, die formalen Qualitäten des Films reichen da leider nicht heran. Neben den erwähnten dramaturgischen Schwächen fallen eine oft unruhige Kameraführung und ein ebensolcher Schnitt ins Auge, zudem wirken die Dialoge bisweilen sehr gestelzt (was aber der deutschen Synchronisation geschuldet sein mag). Nico Fidencos funkige, poppige bis schwelgerische musikalische Untermalung mit ihren Blechbläsereinsätzen kann sich hingegen hören lassen. 5,5 von 10 unsympathischen Sexualpartnern ist mir der Film damit wert, womit er letztlich jedoch deutlich gegen seinen Vorgänger abfällt.