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Re: bux t. brawler - Sein Filmtagebuch war der Colt

Verfasst: Do 21. Mär 2019, 12:04
von buxtebrawler
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Der gröFaZ – Der größte Film aller Zeiten

Werner Theodor und Ingar Alan Milnes, die Macher weitestgehend unbekannter No-Budget-Amateuerfilme wie „Das Wüste lebt“, die es noch nicht einmal in die einschlägigen Filmdatenbanken geschafft haben, hievten anlässlich der Berlinale 2018 „Der GröFaZ – Der größte Film aller Zeiten“ in handverlesene Programm- und Kommunalkinos. Das ist doch mal ‘ne Ansage. Vor allem aber ist das eine herzerfrischend schräge, satirische Naziploitation-Komödie und Reise in die Zeit vor Hitlers Machtergreifung.

Im Zuge von Umbaumaßnahmen wurde 2009 in einem Babelsberger UFA-Studio ein zugemauerter Kellerraum entdeckt, der massenweise historisches Material in Form von 28 16-mm-Filmrollen, Schriftstücken und Fotografien zutage förderte. Und dieses hat es in sich, dokumentiert es doch ein bis dahin völlig unbekanntes Geheimprojekt des Produzenten Heribert Gröninger, der mit der Suche nach einem deutschen Charlie Chaplin der UFA-Filmproduktion zu Erfolg, Ruhm und Ansehen verhelfen wollte. Dabei stieß er auf den Österreicher Adolf Hitler…

Theodor und Milnes nahmen authentische Aufnahmen aus der Weimarer Republik und machten einen Found-Footage-Spielfilm aus ihnen, indem sie ihre Schauspieler(innen) in die Bilder integrierten, was allein schon deshalb herrlich grotesk anmutet, weil es sich keinesfalls um verblüffend echte Manipulation handelt – diese bleibt stets klar ersichtlich. Die Handlung stellt die negative Entwicklung jener Epoche auf den Kopf, macht sich nicht zu knapp über Nazis lustig, entlarvt dabei aber zugleich ihren populistischen, theatralischen, pathetischen Kern, der nicht von ungefähr an Spielfilminszenierungen erinnert – persifliert dabei aber auch gleichzeitig die bis heute andauernde mediale Auswertung der Nazi-Zeit.

Man nimmt sich durchaus die Freiheit für an Helge Schneider u.ä. erinnernde, improvisiert wirkende Szenen, die sich plötzlich von der eigentlichen Handlung loslösen. Herausragend ist die kurzzeitige Transformation des Films in eine Art TV-Kochstudio durch den Protagonisten. Und der ehemalige Kanzlerkandidat, Schundautor/-verleger und Punk/HC-Sänger Karl Nagel darf sich einen Traum erfüllen und einmal einen Nazi-Folterknecht spielen, was er wenig überraschend mit Bravour löst. Volker „Zack“ Michalowski („Grand Budapest Hotel“) ist der einzige ausgebildete Schauspieler und damit ein Schwergewicht im ansonsten ausschließlich aus Laien, meist aus der unabhängigen Hamburger Musikszene, rekrutierten Ensemble – das seine Sache sehr gut macht.

Viel mehr kann und will ich über dieses gelungene amateurfilmische Experiment gar nicht verraten. Ich habe ihn mir seinerzeit in einem Hamburger Lichtspielhaus angesehen und mich königlich amüsiert, ansonsten aber nur wenige Informationen verfügbar. Obwohl das Kino bestens besucht war, hat die Presse offenbar wenig bis keine Notiz von diesem Film genommen. Außerdem will ich ihn nicht „zerreden“, lebt er doch zu einem beträchtlichen Anteil auch von seiner Spontanität und seinem Überraschungseffekt. An etwas abseitigem Humor, historischen Aufnahmen, Filmgeschichte und wirklich originellen Amateurwerken Interessierte sollten sich den „gröFaZ“ im Falle der Verfügbarwerdung einmal möglichst unvoreingenommen ansehen.

P.S.: Ergäbe zusammen mit "Schtonk!" ein schönes Double Feature.

Re: bux t. brawler - Sein Filmtagebuch war der Colt

Verfasst: Do 21. Mär 2019, 17:40
von buxtebrawler
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Festival der Demokratie

Die von der schwachsinnigen Karikatur eines Hamburger Innensenators, Andy Grote, euphemistisch als „Festival der Demokratie“ bezeichnete perverse Prestigeveranstaltung und Machtdemonstration – die Rede ist natürlich vom G20-Gipfel im Sommer 2017 in Hamburg – passte zum damaligen Bürgermeister Olaf Scholz, einem unbelehrbaren, unzurechnungsfähigen, größenwahnsinnigen (mittlerweile in der Farce, die sich GroKo nennt, zum Finanzminister beförderten) Irren, wie die Faust aufs Auge: Um die Veranstaltung ausgerechnet auch noch unweit von alternativen Kulturvierteln im engen Hamburg durchzusetzen, wurde die Hansestadt bereits Wochen im Voraus zum Polizeistadtstaat umfunktioniert und ging allen Hamburgerinnen und Hamburgern tierisch auf die Nerven – nicht nur, weil die Innenstadt-Infrastruktur durch dieses Brimborium weitestgehend lahmgelegt wurde. Und statt auf Deeskalation und Besonnenheit zu setzen, markierte die Polizei unter ihrem faschistoiden Einsatzleiter Hartmut Dudde den starken Repressionsapparat und setzte die Stadt tagelang ihrem Terror aus, indem sie sich über geltendes Recht und richterliche Beschlüsse hinwegsetzte. Die Situation eskalierte vollends, als die Polizei eine angemeldete und genehmigte Demonstration angriff und brutal ohne Rücksicht auf Menschenleben zerknüppelte. Als sie daraufhin kurze Zeit später im Schanzenviertel die Quittung bekam, hatte sie plötzlich die Hosen voll und erfand Räuberpistolen wie die von angeblichen Fallen, in die man sie locken und mit Molotow-Cocktails bewerfen habe wollen – wofür man bis heute jegliche Beweise schuldig bleibt. Nichtsdestotrotz bedeutete diese Nacht einen Wendepunkt, denn in Zusammenarbeit mit der bürgerlichen Presse und Hamburger Spießbürgern stilisierte man sich zum Opfer und nutzte die Gelegenheit, um alternative Kulturprojekte und politischen Widerstand infrage zu stellen sowie härtere Repressionen in Gesetzesform zu gießen und dadurch zu legalisieren. Aus ganz Europa angereiste Krawalltouristen, die sich sinnloserweise an Privateigentum vergriffen, spielten ihnen dabei in die Hände, sollten sie doch dafür herhalten, autonome Agitation zu dämonisieren. Dass es Merkel, Scholz und ihre Schergen waren, die sie nach Hamburg gelockt hatten, geriet ebenso ins Hintertreffen der Berichterstattung wie die massive Polizeigewalt, die Totschlagversuche durch Polizeibeamte und die Aushebelung der Demokratie für ein überflüssiges Treffen mächtiger Politbonzen, die mit Schimpf und Schande aus der Stadt gejagt gehört hätten.

Die mediale Hysterie war noch nicht verhallt, als über Insider-Kreise hinaus bekanntwurde, dass Fanzine-Schreiber und Indie-Plattenlabel-Betreiber Lars Kollros zusammen mit Alexandra Zaitseva die Anti-G20-Proteste in ihren unterschiedlichsten Ausdrucksformen mit Kameras begleitet hatte und das Material zu einem per Crowdfunding finanzierten, mit diversen Stimmen angereicherten Dokumentarfilm zusammenschneiden würde. Unter dem sarkastischen Titel „Festival der Demokratie“ feierte er am 06.03.2018 im Hamburger Programmkino Abaton Premiere und ging anschließend auf eine Reise quer durch Deutschland, i.d.R. unter Anwesenheit Kollros‘, der sich im Anschluss der Diskussion mit dem Publikum stellte.

Der Film zeichnet chronologisch die Gipfelvorbereitungen seitens der Staatsmacht und die verschiedenen Aktionen des Widerstands nach und verdeutlicht, wie die Stimmung seitens der Polizei immer mehr hochgekocht und dadurch aggressiver wurde. Der beschämende Höhepunkt ist dann im Zuge der „Welcome To Hell“-Demo am Hamburger Fischmarkt erreicht, als die Polizei komplett freidrehte. Sämtliche Gesichter von Demonstrat(inn)en sind dabei unkenntlich gemacht worden, was eine Heidenarbeit gewesen sein muss. Sie wird leider nötig, weil sich Polizei und bürgerliche Medien nicht entblöden, Demonstrant(inn)en öffentlich zu denunzieren und zu Hetzjagden gegen sie aufzurufen, um ihnen in politischen Prozessen durch korrumpierte Richter überzogene Strafen für Nichtigkeiten aufzudrücken. Beurteilt, eingeordnet und kritisch reflektiert werden all diese Ereignisse durch eine Handvoll ausgewählter Interview-Partner(innen) von der außerparlamentarischen Oppositionsgruppe Interventionistische Linke, der Partei Die Linke, der Bundesarbeitsgemeinschaft kritischer Polizistinnen und Polizisten, dem Republikanischen Anwältinnen- und Anwälteverein sowie einem der Fritz-Kola-Unternehmer. Dadurch eröffnen sich durchaus unterschiedliche Perspektiven auf das Geschehene, die jedoch mehr oder weniger alle zum selben Schluss kommen: dass während des Gipfels die staatliche Gewaltenteilung in Hamburg nicht mehr existierte. Eine Stimme aus dem Off kommentiert zurückhalt die dokumentarischen Aufnahmen, jemand wie Andy Grote wird in Auszügen einer Podiumsdiskussion gezeigt.

Die rund 77 Minuten dürften einem sensiblen Publikum mitunter den Atem stocken lassen, stoßen jedoch auch an ihre Grenzen: Sie vermögen nicht, das Ausmaß der Polizeigewalt adäquat zu dokumentieren, die Ohnmacht der Protestierenden und Demonstrierenden begreifbar zu machen, das Gefühl wiederzugeben, der Willkür brutaler Schläger(innen) ausgesetzt zu sein, die sich im Anschluss auch noch den Rückhalt der Bevölkerung zu erschleichen versuchen. Dies liegt sicherlich zu einem geringen Teil am Selbstschutz der Filmenden, auf den sie natürlich achtzugeben hatten, vor allem aber daran, dass vermutlich keine Bilder der Welt die Eindrücke widerspiegeln können, die man gewann, war man selbst vor Ort in der ach so weltoffenen Hansestadt Hamburg. Dafür muss man den uniformierten staatlichen Schlägerinnen und Schlägern wahrscheinlich selbst Auge in Auge gegenübergestanden, ihr Tränengas und Pfefferspray eingeatmet oder ihre Knüppel und Tritte auf der Haut gespürt haben.

„Festival der Demokratie“ erreicht ein anderes, gesellschaftlich wichtiges Ziel: Er hilft, die Deutungshoheit über die Ereignisse in Hamburg 2017 zurückzugewinnen. Wenn die tendenziöse Medienberichterstattung und die erlogenen Polizeiberichte längst aus dem Fokus geraten sind, werden es Filme wie dieser sein, die authentische Informationen und eine kritische Aufarbeitung bieten – und eindrucksvoll festhalten, wie die Demokratie im Sommer 2017 in Hamburg außer Kraft gesetzt wurde.

Re: bux t. brawler - Sein Filmtagebuch war der Colt

Verfasst: Di 26. Mär 2019, 16:33
von buxtebrawler
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Basil, der große Mäusedetektiv

Der 26. abendfüllende Zeichentrickfilm der Walt-Disney-Studios basiert auf Eve Titus‘ Kinderbuchreihe „Basil der Mäusedetektiv“: 1986 kam „Basil, der große Mäusedetektiv“ in die Kinos und bereitete die klassische „Sherlock Holmes“-Detektivreihe kind- und familiengerecht humorvoll auf. Mit Ron Clements, Burny Mattinson, David Michener und John Musker führte ein ganzes Quartett Regie.

Im London des Jahres 1897 hält der ebenso geniale wie verrückte Verbrecher Professor Rattenzahn die Stadt in Atem. Für seinen neuesten Coup lässt er durch die ihm untergebene Fledermaus Greifer den Spielzeugmacher Hampelmann entführen. Hampelmanns Tochter Olivia erhofft sich daraufhin Hilfe von Basil, dem großen Mäusedetektiv, den sie zusammen mit dem Arzt und Kriegsveteran Dr. Wasdenn aufsucht. Basil ist zunächst nicht am Fall interessiert, bis er erfährt, dass sein Erzfeind Rattenzahn dahintersteckt. Dieser plant in seinem konspirativen Hauptquartier am Hafen den Sturz der Mäusekönigin Großbritanniens, um anstelle ihrer den Thron einzunehmen. Hampelmann soll zu diesem Zwecke eine Roboterkopie der Königin entwickeln, doch Basil und Jagdhund Toby sind dem Unhold auf der Spur…

Mithilfe der von Disney gewohnt hochwertigen Zeichnungen und aufwändigen Animationen ist eine ehrerbietende Karikatur Sherlock Holmes‘ mit viel Liebe zum Detail entstanden. Der Name des Helden basiert sowohl auf einem Decknamen Holmes‘, „Captain Basil“, als auch auf dem Holmes-Darsteller der 1940er Basil Rathbone und der Mäuserich darf sicherlich auch als Peter-Cushing-Hommage verstanden werden. Der dickliche, ungeschickte Dr. Wasdenn ist unschwer als vermauslichter Dr. Watson zu erkennen und Professor Rattenzahn ist natürlich das Äquivalent Professor James Moriartys, Holmes‘ ärgstem Gegenspieler. Mäusepolizei Bernard und Bianca, Mrs. Brisby, Feivel dem Mauswanderer und Basil ist eines gemein: Sie alle sind Mäuse und damit indirekte Abwandlungen Disneys berühmtester Figur Micky Maus. Dies hindert Basil jedoch nicht daran, Pfeife zu rauchen, Hut zu tragen und über den blitzgescheiten Geist seines menschlichen Vorbilds zu verfügen. Den Nachnamen seines Schützlings Olivia kann er sich allerdings nicht merken; dass er ihn permanent falsch ausspricht, avanciert zum Running Gag. Basil lebt übrigens in der Baker Street 221b und ist somit eine Art „Untermieter“ des echten Sherlock Holmes, wie in einer Szene dann auch deutlich wird.

Das ist alles sehr süß, dazu very british, indeed, und auch nicht allzu häufig durch (hörenswerte!) Gesangseinlagen unterbrochen – meist dominiert orchestrale Untermalung den Soundtrack. Expressionistische Schattenbilder fanden dabei ebenso in den Film wie abgefahrene Kettenreaktionen und als besonders aufregendes Bonbon ein Kampf im Uhrwerk des Uhrturms am Palace of Westminster, sodass man Big Ben von innen zu sehen bekommt. Diese Szene wurde computeranimiert, seinerzeit die Ausnahme und Disneys erst zweiter Einsatz dieser Technologie in einem Zeichentrickfilm (nach „Taran und der Zauberkessel“). Dr. Wasdenn hatte sich aus dem Off vorgestellt und verabschiedet sich auch so vom Publikum, dessen jüngerer Anteil 1986 dank „Basil“ möglicherweise erstmals mit der Holmes’schen Detektivwelt konfrontiert wurde, und zwar – typisches Disney-Kunststück – ohne, dass es in irgendeiner Weise altbacken gewirkt hätte. Stattdessen war „Basil, der große Mäusedetektiv“ 1986 ein angenehm kurzweiliger, unterhaltsamer Familienspaß, damals auch hierzulande allgegenwärtig und noch heute gut funktionierend – sofern man denn etwas für gezeichnete Mäuse und alten britischen Charme übrighat. Lediglich der ach so geniale Plan um die Roboterkönigin scheint mir nicht bis zu Ende gedacht und ist auch für die Jüngsten vielleicht schon etwas zu absurd.

Besondere Beachtung verdient die Synchronisation: Rattenzahn wird im Original von niemand Geringerem als Vincent Price gesprochen (und gesungen: „The World's Greatest Criminal Mind“), im Deutschen von Benjamin Blümchens Stimme Edgar Ott. Harry Wüstenhagen sprach hierzulande den Titelhelden – und zuvor bereits vier anderen Holmes-Darsteller. Dr. Wasdenns deutsche Stimme Friedrich Schoenfelder wiederum synchronisierte mehrfach Holmes-Darsteller Peter Cushing. Welch vortreffliche Wahl!

Re: bux t. brawler - Sein Filmtagebuch war der Colt

Verfasst: Mi 27. Mär 2019, 16:06
von buxtebrawler
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Godzilla & Co. - Die Geschichte der Film-Monster

Ein Sprecher aus dem Off führt durch diesen US-amerikanisch-japanisch koproduzierten abendfüllenden Dokumentarfilm aus dem Jahre 1998, der sich sowohl mit den Kaijū genannten japanischen Monsterfilmen um Godzilla, Mothra & Co. als auch mit anderen Riesentier- oder Riesenmensch-Vorfällen im phantastischen Film auseinandersetzt.

Ausgehend vom popkulturellen Kuriosum des Godzilla-Songs nimmt man den Zuschauer mit auf eine wilde Reise zum Zweiten Weltkrieg und zurück zu den Dinosauriern, über mittelalterliche Drachen bis hin zu Fantasy-Literatur und ihren Verfilmungen, inkl. eines Ausflugs zu einem Dino-Cartoon aus dem Jahre 1909. Dabei werden permanent Filmausschnitte gerade auch rarer und obskure Werke präsentiert, anfänglich leider oftmals ohne Nennung von Titel, Regisseur und Erscheinungsjahr. Dies bessert sich jedoch im weiteren Verlauf, im Zuge dessen u.a. speziell auf die Stummfilm-Ära und ihre Spezialeffekte eingegangen wird. Es wird schließlich so gut wie alles, beginnend von den ersten Dinosaurier-Tonfilmen und „King Kong“ über „The Giant Behemoth“, die „Sindbad“- und Jules-Verne-Verfilmungen, die Kaijūs bis hin zu Spielbergs „Jurassic Park“, aufgedröselt. Als Bambi auf Godzilla trifft, täuscht der Film sein Ende an, um dann doch noch mal mit Emmerichs „Godzilla“-Neuverfilmung um die Ecke zu biegen.

Grundsätzlich ist das ein schöner Rundumschlag, ein cinephiler, wenn auch nicht sonderlich kritischer Erkundungstrip in die faszinierende Welt der monsterhaften Kreaturen. Regisseur Robert Weaver vermittelt innerhalb des abgesteckten Rahmens ein Gespür für die Anfänge des Subgenres, dessen Evolution und Facettenreichtum, und schafft so einen dennoch keinen Anspruch auf Vollständigkeit erhebenden, sehr unterhaltsam zu verfolgenden Überblick. Kaijū-Fans kommen jedoch nur bedingt auf ihre Kosten, denn diese dienen zwar als Aufhänger, es wird aber mitnichten auf jede einzelne japanische Monsterfilmproduktion eingegangen. Dies hätte den Rahmen gesprengt und bedarf somit eines eigenen Dokumentarfilms.

Re: bux t. brawler - Sein Filmtagebuch war der Colt

Verfasst: Do 28. Mär 2019, 14:21
von buxtebrawler
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Babyspeck und Fleischklößchen

„Ich will ‘n bisschen Remmidemmi diesen Sommer!“

Nach seinen Debüt-Langfilmen „Foxy Lady“ und „Cannibal Girls” war Ivan Reitman in erster Linie als Produzent in Erscheinung getreten, u.a. von „Animal House“, der Mutter aller College-Komödien. Von dort nahm er den zuvor für seine Arbeiten für ernsthafte Filme bekannten Komponisten Leonard Bernstein mit und führte die Regie bei „Babyspeck und Fleischklößchen“ – der Mutter aller Feriencamp-Filme und zudem Bill Murrays Einstand in einer Hauptrolle. Fünf Jahre später sollten Murray und Reitman mit „Ghostbusters“ eine der erfolgreichsten Komödien des Jahrzehnts erschaffen.

Die Jugendlichen strömen ins etwas heruntergekommene Camp North Star, dessen Betreuer Tripper (Billy Murray) mit lockeren Sprüchen und etwas Sarkasmus für gute Stimmung sorgen will. Er nimmt sich des schüchternen Außenseiters Rudy (Chris Makepeace, „Labyrinth der Monster“) an und wirft ein Auge auf seine Kollegin Roxanne (Kate Lynch, „Def-Con 4 - Das letzte Kommando“). Gemeinsam bereitet man sich auf die Camp-Olympiade vor, in dessen Rahmen man es den Erzfeinden vom Nobelcamp Mohawk zeigen will…

Schlechte Eltern schieben ihre Brut gern den Sommer über in Feriencamps ab, um ihre Ruhe zu haben. Diese (Un-)Sitte scheint besonders in den USA weitverbreitet zu sein. Reitmans Anliegen war es weder, das Campleben zu romantisieren, noch es zu kritisieren. Stattdessen machte er aus seinem dritten abendfüllenden Spielfilm eine Art recht harmloser, episodischer Nummernrevue, gespickt mit diversen Streichen, etwas Coming of Age und unverfänglichen Liebeleien. Tripper ist hier keine Geschlechtskrankheit, sondern Murray in einer frühen Paraderolle als um keinen Spruch verlegener Betreuer, meist etwas mürrisch, aber mit dem Herzen am rechten Fleck. Als roter Faden ziehen sich leidlich die Themen Rudy, Roxanne und Olympiade durchs kaum eine Dramaturgie entwickelnde Filmchen.

Das tut niemandem weh, sondern unterhält passabel, sofern man sich seicht von häufig überzeichnet alberner Camp-Folklore berieseln lassen möchte – vielleicht, um in eigenen Ferienlager-Erinnerungen zu schwelgen, vielleicht, um die sommerliche Atmosphäre zu genießen. Ansonsten ist diese Komödie natürlich von filmhistorischem Interesse, sei es aufgrund ihrer Personalien, sei es wegen ihres Pionierstatus. „Babyspeck und Fleischklößchen“ ist gewiss nicht unsympathisch, ich persönlich präferiere jedoch das Camp Crystal Lake oder das Sleepaway Camp.

5,5 von 10 Seitan-Fleischklößchen dafür, ohne Babyspeck.

Re: bux t. brawler - Sein Filmtagebuch war der Colt

Verfasst: Fr 29. Mär 2019, 10:39
von buxtebrawler
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Julia’s Eyes

Regisseur Guillem Morales („Uncertain Guest - Du bist nicht allein.“) zweiter abendfüllender Spielfilm wurde von Guillermo del Toro produziert und reiht sich in die Welle iberischer Thriller, Mystery- und Horrorfilme ein, die seit Ende der 1990er das Genre-Fan-Herz erfreuen: „Julia’s Eyes“ erschien 2010 und entpuppte sich als Psycho-Thriller, der nach längerem einmal wieder die Prämisse der eines Sinnes beraubten Protagonistin aufgreift.

Die an einer degenerativen Krankheit leidende Sara (Belén Rueda, „Das Waisenhaus“) ist erblindet und plant offenbar, sich das Leben zu nehmen. Nachdem sie ihren Kopf in die Schlinge gesteckt hat, ist es jedoch ein Unbekannter, der den Hocker unter ihren Beinen wegstößt und damit ihr Schicksal besiegelt. Ihre Zwillingsschwester Julia (ebenfalls Belén Rueda) spürt, dass etwas vorgefallen ist und glaubt nicht an einen Selbstmord, schließlich habe sich Sara gerade erst einer Augenoperation unterzogen. Der Stress, den dieser Vorfall bei ihr auslöst, führt bei der unter derselben Krankheit leidenden Julia jedoch zu einer rapiden Verschlechterung ihres Zustands, sodass auch sie zu erblinden droht. Zum Missfallen ihres Ehemanns Isaac (Lluís Homar, „Die Jagd beginnt“) stellt sie auf eigene Faust Ermittlungen an und stößt dabei auf eine Art „Phantom“, das sich stets unerkannt im Dunstkreis ihrer Schwester aufgehalten zu haben scheint. Der Fall wird vermeintlich geklärt, als Isaac tot aufgefunden wird und sie erfährt, dass er anscheinend eine Affäre mit Sara hatte. Als Julia ebenfalls ihr Augenlicht verliert und die Operation über sich ergehen lässt, geschehen jedoch weiterhin rätselhafte Dinge. Was ist wirklich passiert und wer ist der mysteriöse Unbekannte?

Der Prolog zeigt Saras Tod: Blind tastet sie sich im Dunkeln durch ihr Haus und fühlt sich verfolgt. Verzweifelt bittet sie eine unsichtbare Person, sich zu erkennen zu geben. Im Keller angekommen kommt es zum Todesfall, bei dem das Publikum erfährt, dass sie tatsächlich nicht allein ist. Nachdem der Unbekannte sie in ihren Todeskampf gestoßen hat, fotografiert er seine Tat. Welch ein Auftakt dieses mit Mystery- und Horror-Motiven arbeitenden Psycho-Thrillers, der nun die titelgebende Julia auf den Plan ruft! Diese sieht sich einem ohnehin schon „unsichtbaren“ Gegner ausgesetzt und verliert darüber hinaus auch noch sukzessive ihr Augenlicht. Und die Abgründe, in die sie schaut, sind düster. Ihr Mann hat ein Geheimnis, im Blindenzentrum erfährt sie, ihre Schwester habe einen Freund gehabt – ist er der „Unsichtbare“? –, dann erhängt sich auch noch ihr Mann und sie erblindet, während der Mörder fleißig Spuren verwischt und Mitwisser umbringt.

Der in gedeckten Farben und Grautönen gehaltene Film ist beinahe wie ein Giallo durchstilisiert, die Kameraarbeit herausragend und die Hauptdarstellerin in ihrer Mischung aus Kämpferin und verängstigter Kranker eine Wucht. Als besonderes Gimmick visualisiert man ihre Sehschwäche in Point-of-View-Einstellungen; nach der OP zeigt man die Menschen in Julias Umkreis gar nur noch ab dem Hals abwärts, ihre Gesichter bleiben unerkannt. Damit tappt man als Zuschauer(in) fast genauso im Dunkeln wie Julia. In ihrem neuen Haus muss sie nach der OP eine Augenbinde tragen, ihr Pfleger Iván (Dani Codina) kümmert sich aufopferungsvoll um sie – weshalb sie fast mit ihm anbändelt. Der Horroranteil erhöht sich mit visualisierten Alpträumen Julias, einer verdammt gruseligen Szene, in der sich jemand nachts in ihrem Schlafzimmer befindet, sie berührt und sie daraufhin in Panik gerät, sowie einer verdammt unangenehmen Szene mit einer Nadel. Home-Invasion-Motive mischen sich in die ohnehin schon bedrückende Stimmung. Die Tristesse des Ambientes mit dem für Spanien ungewöhnlich verregneten Wetter trägt ihren Teil zur entsprechenden Atmosphäre bei.

Was dann schließlich wie ein hochspannendes Finale erscheint, ist letztlich leider lediglich der Auftakt zu einer viel zu langgewordenen Endsequenz, auf die eine sehr pathetische Pointe im Epilog folgt. Hier weist der Film, der über weite Strecken nicht weniger als ein nahezu perfekter Whodunit?-Psycho-Thriller ist, dann doch Defizite auf. Das ist schade, denn ansonsten reiht sich „Julia’s Eyes“ in die Riege spannender Thriller-Kost um blinde Protagonist(inn)en für ein alles andere als blindes Publikum nahtlos ein. Morales legt viel Wert auf die visuelle Ästhetik seines Films, etabliert ein gekonntes Verwirrspiel und hält sich mit spekulativen Schauwerten weitestgehend zurück (ein paar Oben-ohne-Szenen in der Umkleide des Blindenzentrums ließ er sich dennoch nicht nehmen), sodass eine ablenkungsfreie Konzentration auf die abgründige Handlung geradezu erzwungen wird.

Re: bux t. brawler - Sein Filmtagebuch war der Colt

Verfasst: Do 4. Apr 2019, 08:55
von buxtebrawler
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French Connection

„Ihr habt genug Scheiße gebaut mit euren Verhaftungen! Das hört jetzt auf!“

Noch vor seinem Okkulthorror-Meisterwerk „Der Exorzist“ revolutionierte US-Regisseur William Friedkin den Polizeifilm: Der auf einem Roman Robin Moores sowie wahren Begebenheiten beruhende Action-Krimi/-Thriller „French Connection“ alias „Brennpunkt Brooklyn“ schlug 1971 ein wie eine Bombe, verhalf Friedkin und Hauptdarsteller Gene Hackman zum Durchbruch und vermengte modernes Actionkino mit ungemütlichem Realismus. Ernst Tidymans Drehbuch wurde von niemand Geringerem als Howard Hawks überarbeitet und schließlich von Friedkin dramaturgisch punktgenau, jedoch mit Raum für Improvisation verfilmt.

Die New Yorker Drogenfahnder „Popeye“ Doyle (Gene Hackman, „Bullen - Wie lange wollt ihr leben?“) und Russo (Roy Scheider, „Atemlos vor Angst“) schieben Tag für Tag ihren ebenso langweiligen wie aussichtslosen Dienst. Ab und zu gehen ihnen kleine Fische ins Netz, gegen den Moloch New York mit all seinen zerrütteten Existenzen und der entsprechenden Kriminalität können sie jedoch nichts nachhaltig ausrichten. Als sie eines Tages jedoch Wind davon bekommen, dass der Franzose Charnier (Fernando Rey, „Navajo Joe“) eine große Menge Rauschgift nach New York einzuschmuggeln plant, wittern sie die Chance auf einen empfindlichen Gegenschlag und hängen sich an die Gangster. Das verläuft indes alles andere als zwischenfallsfrei, sodass ihnen letztlich der Fall vom FBI weggenommen wird. Doch Doyle hat Blut geleckt und bleibt auf eigene Faust dran, um die Kriminellen im Moment der Übergabe zu überführen und den Deal zu vereiteln...

Auf einen langsamen, wortkargen Auftakt in Kombination mit aufsehenerregend authentischen Aufnahmen New Yorks, seines Elends und Drecks, folgen Skizzierungen der Cops und ihres Berufsalltags. Doyle und Russo sind nicht viel mehr als Witzfiguren und Versager mit Hang zu Rassismus und Diskriminierung, die weitestgehend desillusioniert ihren Dienst verrichten. Dass sie nicht wirklich in der Lage sind, am Status Quo der Drogenkriminalität und -abhängigkeit etwas zu ändern, scheint ihnen bewusst zu sein und für einen tiefsitzenden Frust zu sorgen, weshalb man sein Mütchen immer mal wieder an Schwächeren kühlt, die als Ventil herhalten müssen. Die Polizei taugt hier mitnichten als Identifikationsfigur bzw. -institution, zumindest nicht ohne Weiteres.

Im wahrsten Sinne des Wortes Fahrt nimmt die Handlung auf, als sich Doyle wie ein Besessener ohne Rücksicht auf Kollateralschäden an den Franzosen und dessen Handlanger hängt, dabei notfalls auch über Leichen geht. In Erstaunen versetzen schließlich die Verfolgungsjagden zu Fuß und per Kfz, das Duell zwischen entführter Hochbahn und Automobil ist legendär, Unfälle und Schießereien fordern Opfer. Das ist nicht nur zum Niederknien rasant inszeniert, sondern auch höchst spannend, „French Connection“ bis zu seinem offenen Ende komplett ohne längen - stattdessen ein Paradebeispiel für Timing in Action-Thrillern. Kein Dialog ist zu viel, zudem verzichten Friedkin und die Autoren auf jegliche überflüssige Information. Übrig bleibt ein Destillat des dreckigen New-York-Polizeifilms. Dieses ist zugleich eine Art Sittenporträt der Ostküsten-Metropole zu Beginn der siebziger Jahre und vermengt Zeit- und Lokalkolorit derart, dass er auch stets historisch interessant bleiben wird. Ferner stellt „French Connection“ den gesellschaftlichen Status der Fahnder dem ausschweifenden Leben der Gangster gegenüber, woraus die Motivation der Cops entsteht: Ihr Antrieb ist die Wut - nicht etwa der Glaube, etwas Sinnvolles für die Gesellschaft zu leisten

Damit widersteht „French Connection“ auch jeglicher Glorifizierung des Polizeidiensts, bleibt stattdessen eine beinahe fatalistische Momentaufnahme, die urbane Strukturen als von Kriminalität und Zerfall durchsetzten Moloch und Polizisten als machtlose Papiertiger, die der Soziopathie anheim- und Wahn und Manie verfallen, zeichnet. Friedkin und sein Team gewannen mit diesem Fall einen enormen Einfluss auf die weitere Entwicklung des Genres und schufen einen zeitlosen Klassiker, der inhaltlich mehr Fragen aufwirft als er beantwortet (oder zu beantworten vorgibt) - und sich damit wohltuend von vielen anderen Genre-Produktionen absetzt.

Re: bux t. brawler - Sein Filmtagebuch war der Colt

Verfasst: Mo 8. Apr 2019, 15:54
von buxtebrawler
Tatort: Waffenschwestern

„Die Welt ist schlechter als Sie denken!“

In ihrem 13. Fall ist die Frankfurter Kommissarin Charlotte Sänger (Andrea Sawatzki) auf sich allein gestellt: Ihr Partner Fritz Dellwo befindet sich auf einem Austausch in München. Und prompt gerät sie an ihre persönlichen Grenzen. Der spätere „Tatort“-Ausnahmeregisseur Florian Schwarz („Tatort: Im Schmerz geboren“) debütierte 2008 mit dieser Verfilmung eines Drehbuchs Michael Proehls innerhalb der TV-Krimireihe und schien bereits damals wenig Interesse an konventionellen Stoffen zu hegen.

Sänger wird unvermittelt Zeugin, wie eine offenbar psychisch derangierte junge Frau (Kim Schnitzer, „Lucy“) im Drogenrausch scheinbar wahllos auf offener Straße um sich schießt. Sie bedroht auch Sänger, die zu schießen zögert und sich damit selbst in Gefahr begibt. Aus dem Hintergrund feuert daher Streifenpolizist Martin Petzhold (Uwe Bohm, „Der Mann nebenan“) und gibt den tödlichen Schuss ab. Es stellt sich jedoch heraus, dass die Frau gar keine scharfe Waffe hatte, sondern mit Platzpatronen schoss. Nichtsdestotrotz zweifeln Sängers Vorgesetzte an ihrer Diensttauglichkeit, suspendieren sie und verdonnern sie zu Sitzungen beim Polizeipsychologen (Johann von Bülow, „Die Halbstarken“). Sänger ermittelt auf eigene Faust und gerät an eine Gruppe Frauen, die nicht nur fleißig am Schießstand trainiert, sondern sich auch regelmäßig konspirativ trifft, um historische Duelle in schusssicheren Westen und mit scharfer Munition nachzustellen. Deren Oberhaupt Jule Fischer (Nina Kronjäger, „Stellungswechsel“) schleust die inkognito agierende Sänger ein, welche Verbindungen zu einer Serie von Bankrauben feststellt, bei denen maskierte Täter schwerbewaffnet die Kassen leerräumen – und die jüngst ein Todesopfer forderten, als ein Wachmann (Fritz Roth, „Jeder stirbt für sich allein“) im Affekt erschossen wurde…

Bisher gelang es Kommissarin Sänger stets, ihre Waffe nicht abfeuern zu müssen. Dies wird sich im Rahmen dieses Falls ändern, der nicht nur eine Gruppe von Flintenweibern grob skizziert, sondern auch Sängers psychische Blockaden aufarbeitet. Proehl und/oder Schwarz orientierten sich dabei offenbar grob am US-Thriller „Gefährliche Brandung“, wo es an Keanu Reeves war, sich in eine Gruppe Krimineller einzuschleusen, mit denen er sich gefährlich anfreundete. Ähnlich ergeht es hier Sänger, die sich mit Lebensentwürfen konfrontiert sieht, die sich von ihrem gänzlich unterscheiden: Während sie unter dem Trauma ihrer ermordeten Eltern zu leiden scheint und im Leben wie im Beruf sehr zurückhaltend auftritt, scheinen die Waffennärrinnen vor Selbstbewusstsein und Mut nur so zu strotzen. Ihre Waffen abzufeuern ist für sie täglich Brot, die Lebensgefahr, in die sie sich ständig freiwillig begeben, bedeutet Nervenkitzel, gefeiert wird exzessiv. Und das imponiert Sänger durchaus, sie nimmt Jule und Co. als starke Frauen wahr, trinkt mit ihnen zusammen und gönnt sich sogar einen One-Night-Stand – Anlass für Schwarz, seinen „Tatort“ mit ein wenig Humor anzureichern.

Weit weniger witzig ist die Todessehnsucht, die ebenfalls Thema dieses „Tatorts“ ist und zu dessen Spielball Sänger gemacht wird. So wohnt der Überwindung ihrer Schussangst letztlich auch etwas sehr Ambivalentes, Tragisches inne. Dass Waffengewalt indes ganz bestimmt nicht alles ist, stellt die Handlung heraus, wenn sich Sänger und Polizeipsychologe Dr. Heisenberg vertragen und demonstrieren, wie gut Polizei und Psychologie zusammenarbeiten können. Ein krasses Finale mit vielen Toten kann aber auch dadurch nicht verhindert werden. „Waffenschwestern“ ist spannend, psychologisch interessant, durchaus fordernd, aber auch konstruiert und überzeichnet, hier und da in die Klischeefalle tappend. Seine Pro- und Antagonisten wissen dennoch zu überzeugen, pendeln zwischen Stärke und Schwäche und sind im Falle des titelgebenden Damenverbunds feministisch und kriminell zugleich. Da schaut man doch gern zu und freut sich über das Thriller-Verständnis der Kombination Proehl/Schwarz, die Sängers 13. Fall zu einem Glücksfall fürs Publikum machte.

Re: bux t. brawler - Sein Filmtagebuch war der Colt

Verfasst: Do 11. Apr 2019, 08:44
von buxtebrawler
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Er - Stärker als Feuer und Eisen

Zombies unter Affenmenschen

„Ich will allen meinen Willen aufzwingen!“

„Am Anfang war das Feuer“ in doppelter Hinsicht, denn zusammen mit „Conan – Der Barbar“ dürfte er Pate gestanden haben für Italo-Regisseur Umberto Lenzis („Die Kröte“) Urzeitmenschen-Vehikel „Er – Stärker als Feuer und Eisen“, der 1983 französisch koproduziert in die Kinos kam.

„Die Ungeduld ist die Tochter der Begeisterung!“

Der greise Anführer eines Höhlenmenschenstamms ist unschlüssig, ob sein impulsiver Sohn Vood (George Eastman, „Man-Eater“) oder der besonnene Ela (Sam Pasco, div. Schwulenpornos) seine Nachfolge antreten soll. Er tendiert zu Ela, was seinem Todesurteil gleichkommt: Während eines Angriffs durch einen anderen Stamm nutzt Vood die Gunst der Stunde und erschlägt seinen Vater, kurz darauf muss auch der Stammesälteste dran glauben. Daraufhin wird Vood aus seinem Stamm verstoßen und Ela übernimmt die Führung. Doch der zunächst ziellos durchs Neandertal streifende Vood entdeckt nach einem Vulkanausbruch ein länglich geformtes Stück Metall, das er zu einem Schwert umfunktioniert. Nun hält er sich für unbesiegbar, ist er mit dieser neuartigen Waffe allen anderen doch haushoch überlegen. Nach einem erfolgreichen Kampf gegen einen Löwen trifft er auf die attraktive Kriegerin Lith (Pamela Prati, „Sukkubus – Den Teufel im Leib“), die ihm den Floh ins Ohr setzt, nun nicht nur seinen Stamm zurückerobern, sondern das gesamte Tal unterjochen zu können. Also verbannt er zunächst Ela, bildet dann seinen Stamm an der neuen Waffe aus und überzieht das Tal mit seiner Tyrannei. Doch auch Ela lernt eine Dame kennen: Isa (Elvire Audray, „Amazonia – Kopfjagd im Regenwald“) macht ihn mit ihrem pazifistischen Stamm um ihren Vater Mogo (William Berger, „Keoma“) bekannt. Es kommt, wie es kommen muss: Auch Mogos Stamm wird von Vood und seinen Kriegern angegriffen…

Geschichtsunterricht auf Italienisch: Der Eastman-Schorsch entdeckt das Eisen und setzt es kriegerisch ein. Im Laubwald am Fuße des Vulkans begegnet man Plastikmammuts und echten Löwen, die so lange lebendig sind, bis Vood sie killt und sich aus ihren Köpfen eine alberne Fellmütze bastelt, die er dann den gesamten Film über zur Erheiterung des Publikums trägt. Wohl tatsächlich dran glauben musste ein Wildschwein, Lenzi konnte erneut nicht vom Tiersnuff lassen. Vood & Co., die es mit ihren Perücken und Lederschurzen eigentlich noch ganz gut erwischt hat, treffen im Wald hin und wieder auf noch primitivere Affenmenschen, die vermutlich Neandertaler sein sollen und von bedauernswerten Darstellern in Ganzkörper-Overalls inklusive Minipimmeln gespielt werden. Pornodarsteller Pasco wiederum ist ein echter Anabolika-Bomber, der seinen vollständig ausdefinierten Muskelleib durch die Botanik wuchtet, dabei keine Miene verzieht – außer in Konversation mit Isa, die ihm manch dümmliches Grinsen abringt. Da ergeht es ihm ähnlich wie den Zuschauerinnen und Zuschauern, die sich ob diverser grenzdebiler Dialoge ebenfalls das Grinsen nicht verkneifen dürften. Pamela Prati bietet in ihrer Rolle als garstige Lith Fan-Support, wenn die Brüste aus dem knappen Fellbikini lupfen, Kenner dürfen sich ferner über Elvire Audray freuen, die zwei Jahre später als Amazone im Regenwald auf Kopfjagd gehen durfte. Dass beide Mädels jeweils wie aus dem Nichts auftauchen, muss man ebenso hinnehmen wie das zahlreiche Archivmaterial von Fauna und Vulkanausbrüchen, mit dem Lenzi seinen Film streckt, wenn er nicht gerade in die Baumwipfel filmt.

Seien die Matte Paintings auch noch so hübsch anzusehen, ein Gefühl weiter Räume vermitteln sie kaum. „Er – Stärker als Feuer und Eisen“ wirkt wie in einer engen Kieskuhle gedreht, die von verschiedenen Stämmen regelrecht überbevölkert scheint. Wird das Blickfeld der Kamera eingeengt, um auf den Kriegspfad weit weg von zu Haus ausgezogene Krieger zu zeigen, wird dieses Motiv schon in der nächsten Einstellung ad absurdum geführt, wenn ihre Siedlung erkennbar lediglich rund 50 Meter entfernt liegt. Dazu passt dann auch der Stegkampf, der genau solange halbwegs aufregend wirkt, bis einer der Kämpfenden in Wasser stürzt, das sich prompt als lediglich knöchelhohe Pfütze entpuppt. Soweit zu den Schauwerten, die mit ein paar etwas deftigeren Spezialeffekten angereichert wurden – ach ja, und natürlich mit unvermittelt in einer Höhle auftauchenden Zombies bzw., Lenzi-typisch (man denke an „Großangriff der Zombies“), Infizierten, die die Handlung keinen Millimeter voranbringen und wie ein Fremdkörper wirken. Inhaltlich verhandelt „Er - …“ nichts Geringeres als den Pazifismus, hier naiv repräsentiert von Mogo, der um keinen Kalenderspruch verlegen ist und moralinsauer den Gutmenschen mimt, der sich natürlich alsbald von feindlichen Kriegern überrumpeln und das Leben aushauchen lässt. Pazifismus ist demnach lebensmüder Quatsch, wenn die anderen nicht mitmachen. Dennoch muss Ela die hübsche Isa erst noch überreden, sich aktiv gegen Vood & Co. zur Wehr zu setzen. Weshalb er Pfeil und Bogen dabei zu einer veralteten Waffe erklärt, um sie unmittelbar darauf selbst herzustellen und mittels ihrer letztlich Voods Schwertern überlegen zu sein, ist schleierhaft. Entweder hat hier die deutsche Synchronisation Kapriolen geschlagen, der Schnitt versagt oder Lenzi schlicht geschludert. Die Figuren bleiben weitestgehend eindimensional; woher genau Lith stammt und was ihr Antrieb ist, bleibt ebenso im Dunkeln wie der Grund für Voods Machtgeilheit und Mordlust.

Lenzis krude Mixtur aus Urzeitfilm und Barbarenklopper verzichtet auf phantastische Elemente, ist aber dennoch unterhaltsamer als manch mit Mystik und Fantasy versehener „Conan“-Rip-Off. In seiner technischen Unbeholfenheit und billigen Inszenierung strotz Lenzis Film nämlich nur so vor unfreiwilliger Komik. Einem Eastman mit irrem Blick und in wahnsinniger Raserei stellte man einen Möchtegern-Schwarzenegger mit genau zwei Gesichtsausdrücken gegenüber, der abseits dieses Films der Schwulenszene als Fetischobjekt galt. Sämtliche Darstellerinnen und Darsteller sind permanent halbnackt (von den Affenmenschen einmal abgesehen), ihr Geplapper, machtversessen und kriegerisch auf der einen, philosophisch und pazifistisch auf der anderen Seite, wirkt wie eine Parodie. Die De-Angelis-Brüder schwanken auf ihrem Soundtrack zwischen atmosphärischen, dezenten Klängen und laut in den Vordergrund justiertem, repetitivem Grunzen und beweisen damit einmal mehr, dass sie wirklich für fast alles zu haben waren. Ich habe mich königlich über diesen Volltrash amüsiert!

Re: bux t. brawler - Sein Filmtagebuch war der Colt

Verfasst: Do 11. Apr 2019, 16:52
von buxtebrawler
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Alles steht Kopf

Die 2006 von Disney aufgekauften Pixar-Studios meldeten sich 2015 mit einem wahrhaftig originellen Animationsfilm zurück: „Die Monster AG“- und „Oben“-Regisseur Pete Docter verfilmte zusammen mit Ronnie Del Carmen ein Drehbuch, das er zusammen mit Meg LeFauve und Josh Cooley verfasst hatte und das Publikum tief in die Gefühlswelt eines elfjährigen Mädchens führt – „Alles steht Kopf“.

Riley Anderson war ein glückliches, aufgewecktes Kind – bis zu ihrem Umzug von einer Kleinstadt in Minnesota nach San Francisco. Sie tut sich schwer damit, sich mit dem ungewohnten Leben in der Großstadt zu arrangieren, sich in der Schule einzufinden und sich im Eishockey-Team zu beweisen. Ihre Gefühle, bestehend aus Freude, Angst, Ekel, Wut und Kummer, geraten durcheinander und sind mit der neuen Situation überfordert. Als ausgerechnet Freude und Kummer versehentlich aus der Kommandozentrale in Rileys Hirn geschleudert werden, verfällt Riley zunehmend in Apathie. Doch Freude und Kummer versuchen, sich ihren abenteuerlichen Weg zurück in die Zentrale zu schlagen und bekommen unerwartete Hilfe von Rileys imaginärem Freund Bing Bong…

Es ist eine Kunst für sich, hochkomplexe Vorgänge derart abstrakt abzubilden, dass jeder sie versteht. Dies ist die Prämisse dieses Animationsfilms, der auf höchst amüsante Weise die Anpassungsprobleme der elfjährigen Riley an ihre neue Umgebung aufarbeitet. Dabei entfallen die Hauptemotionen auf verschiedenfarbige Figuren in Rileys Hirn, die neben den jeweiligen Gefühlen auch Klischeetypen, wie man ihnen im Alltag begegnet, repräsentieren und damit karikieren. Das ist hochgradig komisch und macht einen Großteil des Charmes dieses Films aus. Doch auch darüber hinaus waren der Fantasie der Autoren offenbar kaum Grenzen gesetzt: Metapherreich und allegorisch geht es in Rileys Hirn zu, nachdem die lebenslustige, agile Freude und der Trauerkloß Kummer die Kommandozentrale zu verlassen gezwungen waren. Dort sieht es stellenweise aus wie im Bällebad, denn Erinnerungen werden in Kugelform vergegenständlicht, die Traumproduktion erinnert an ein Filmstudio, der Zug der Gedanken tuckert auf Gleisen und auf dem Friedhof der Erinnerungen geht es gar düster zu. Irgendwo zwischen all diesen Stationen trifft man auch auf Bing Bong, Rileys herrlich absurden Fantasiefreund aus frühen Kindheitstagen, der zwar tatkräftig zur Seite steht, mit dem es zwischenzeitlich dann aber doch auch etwas zu rührselig wird.

Analog zu den Vorgängen in Rileys Hirn werden auch immer wieder ihre Probleme in der realen Außenwelt illustriert, inklusive der Auswirkungen des Emotionenkampfs. Der ganze Schlamassel mündet schließlich in einer unklugen und gefährlichen Entscheidung Rileys, die ihre letzten verbliebenen „Persönlichkeitsinseln“, also ihre individuellen Stützpfeiler, zum Einsturz zu bringen droht. In ihrem Inneren geht’s im aufregenden Finale drunter und drüber, „Alles steht Kopf“ wird zur Actionkomödie. Am Ende steht jedoch die wichtige, kluge Erkenntnis, dass alle Emotionen einander bedingen und benötigen, dass Traurigkeit genauso wichtig ist wie Freude, dass alle emotionalen Facetten letztlich die Persönlichkeit eines Menschen ausmachen.

Der zusammen mit dem wissenschaftlichen Experten Dacher Keltner entwickelte, angenehm brokkolifeindliche Film ist ein Volltreffer, der auch in Bezug auf sein Unterhaltungspotential für Erwachsene keinerlei Abstriche machen muss. Die Handlung ist nicht nur niedlich anzuschauen, sondern auch spannend und mitreißend gestaltet worden, wobei es im Actionanteil vielleicht sogar ein wenig zu hoch hergeht. Der Einfallsreichtum begeistert ebenso wie ein Gimmick à la „Rileys erstes Date?“ als Film im Film. Und ich bin mir absolut sicher, dass die meisten Eltern hier so ganz nebenbei tatsächlich noch etwas Lehrreiches mitnehmen. Pixar at its best, großes Animationskino! 8,5 von 10 Postkarten von der „Quatschmach“-Erinnerungsinsel dafür.