bux t. brawler - Sein Filmtagebuch war der Colt

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Re: bux t. brawler - Sein Filmtagebuch war der Colt

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Vincent will Meer

„Ich hab' 'n Clown im Kopf, der mir ständig zwischen die Synapsen scheißt!“

Zwischen „Putzfrau Undercover“ und seinem ersten Beitrag zur TV-Krimireihe „Kommissarin Lucas“ drehte der deutsche Regisseur Ralf Huettner („Der Fluch“, „Voll normaaal“) die Roadmovie-Tragikomödie „Vincent will Meer“, die es 2010 in die Kinos schaffte. Das Drehbuch stammt von Hauptdarsteller Florian David Fitz.

Der 27-jährige Vincent ist der Sohn eines hochrangigen Politikers (Heino Ferch, „Spiel um dein Leben“) – und am Tourette-Syndrom erkrankt. Nach dem Tod seiner Mutter liefert ihn sein Vater in eine psychiatrische Klinik ein, wo er nicht lange bleibt: Zusammen mit der magersüchtigen Marie (Karoline Herfurth, „Crazy“) und dem unter einem Ordnungs- und Reinlichkeitsfimmel leidenden Zwangsneurotiker Alex (Johannes Allmayer, „Stages“) flieht er im Auto der Klinikleiterin Dr. Rose (Katharina Müller-Elmau, „Sex oder Liebe?“) aus der Anstalt. Sie wollen an die italienische Küste, wo Vincent die Asche seiner Mutter, deren letzter Wunsch es war, noch einmal das Meer zu sehen, verstreuen möchte. Vincents Vater ist ihnen zusammen mit Dr. Rose auf den Fersen, und dass sich Vincent in Marie verliebt und beide etwas miteinander anfangen, führt zu Konflikten innerhalb des flüchtigen Trios – während Dr. Rose und Vincents Vater zunehmend Verständnis füreinander entwickeln…

„Vincent will Meer“ bezieht seinen Humor weit weniger aus Vincents Tourette als erwartet oder vielmehr befürchtet. Stattdessen ist die Komik des Films mit voranschreitender Laufzeit zunehmend subtil bzw. der Unterschiedlichkeit der drei „Klapskallis“ geschuldet, und hat man sich erst einmal an die Ticks und Macken des Trios gewöhnt, droht die Tragik wieder Überhand zu nehmen, der man jedoch mit Kampfeswille, Durchhaltevermögen und Lebenswut die Stirn bietet. Dass Alex eigentlich ein Entführungsopfer ist, das drohte, die Pläne Vincents und Maries zu verraten und nur deshalb selbst zum unfreiwillig Ausbüchsenden wurde, trägt viel zur Situationskomik bei. Als Zuschauerin oder Zuschauer fiebert man schnell mit den drei Kranken mit, fürchtet – etwas Lebenserfahrung vorausgesetzt – jedoch bald, ähnlich wie Alex, dass die Romanze zwischen Vincent und Marie kein gutes Ende nimmt (wenngleich man natürlich das Gegenteil hofft). Fitz und Huettner verweigern sich jedoch dankenswerterweise jeglicher allzu naiver Entwicklungen, die aus „Vincent will Meer“ einen reinen Wohlfühlfilm machen würden. Sie lassen ihre Figuren Erfahrungen machen, positive wie schmerzhafte, geben die Parole aus, gefälligst auch Menschen mit derartigen Einschränkungen und Herausforderungen ernstzunehmen und ihnen den Respekt entgegenzubringen, der jedem Individuum zustehen sollte, und greifen vor allem eines auf: Emanzipation. Die Emanzipation von seinen Eltern und ihren Erwartungen, die Emanzipation von einer einem mit Unverständnis oder Ablehnung begegnenden Gesellschaft sowie die Emanzipation von seiner Krankheit – was sich als der schwierigste Teil entpuppt.

Huettners sympathischer Roadmovie fängt die monolithischen Alpen, die es zu überwinden gilt, und weitere Landschaftspanoramen atemberaubend ein, während ein zeitgenössischer Pop-Rock-Soundtrack die musikalische Untermalung liefert. Das Ende wurde eher offengehalten, ein klassisches Happy End wäre unpassend gewesen. So vermittelt „Vincent will Meer“ nicht zuletzt das Gefühl, zwar nicht jedem Menschen helfen, aber trotzdem zumindest eine gute Zeit mit ihm verbringen zu können. Das ist sehr gelungenes, kitschfreies und klischeearmes, rebellisches Gefühlskino aus deutschen Landen. Und Allmayer sieht aus wie ein junger Markus Majowski...
Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
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Hospital der sexy Schwestern

„Her mit der Pille, Kinder gibt’s zu viele!“

Nachdem sich der umtriebige Italo-Genre-Filmer Joe D’Amato mit Filmen wie „Foltergarten der Sinnlichkeit“, „Nackte Eva“ oder „Black Emanuelle – 2. Teil“ einen Namen im Erotikbereich machen konnte, bediente er mit seinem laut IMDb am 11.02.1977 veröffentlichten „Hospital der sexy Schwestern“ alias „Mit der Pille umso toller“ die Commedia sexy all’italiana, also die wenig anspruchsvollen italienischen Erotik-/Softsex-Komödie.

„Legen Sie sich hin, ich schau mal rein!“

Gynäkologe Dr. Franco Giovanardi (Renzo Montagnani, „Zum Teufel mit der Jungfernschaft“) soll Guido Lo Bianco (Massimo Serrato, „Sartana kommt“) in dessen Frauenarztpraxis vertreten, während dieser sich aufgrund unlauterer Geschäfte im Ausland dem Zugriff der Justiz entzieht. Prompt sieht sich der arglose Giovanardi mit seit Verfügbarkeit der Antibabypille wolllüstigen Mädchen und Damen konfrontiert, die es kaum erwarten können, sich mittels seiner Fleischsonde untersuchen zu lassen…

„Das gehört doch alles zu meinem Beruf!“

Ein Frauenarzt, der es ausschließlich mit mehr oder weniger attraktiven, vor allem aber kerngesunden und sexhungrigen Angehörigen des weiblichen Geschlechts zu tun bekommt, sich ihrer kaum erwehren kann und schließlich den lieben langen Tag in den Praxis dem Beischlaf frönt – das ist so abgeschmackt, stumpfsinnig und gleichzeitig naheliegend, dass es nur eine Frage der Zeit war, bis sich Filmemacher finden würden, die diese pubertäre, den gynäkologischen Beruf ignorant verkennende Phantasie aufgreifen und kommerziell im Rahmen der im Erscheinungsjahr dieses Films seit ungefähr einem Jahrzehnt bestehenden neuen filmischen Freizügigkeit auszuschlachten versuchen. D’Amato, der sich im Verlaufe seiner Karriere nur für wenig zu schade war, verfasste zusammen mit Tito Carpi das übersichtliche Drehbuch und verpasste seiner Hauptrolle den Namen einer Romanfigur Gabriele D’Annunzios, mit der sie jedoch lediglich den Beruf gemein hat.

„Ist sie nicht ein Geschenk an die Männer?“

Als Ursache der entfesselten weiblichen Sexgier macht man also die durch die Pille ermöglichte Schwangerschaftsverhütung aus; im Exposé sehen wir eine Gruppe aufgebrachter Frauen, die mit markigen Parolen lauthals für jene Verhütungsform demonstrieren. Nach Einführung der Figuren und der Zustimmung des anfänglich so skeptischen (und verheirateten!) Giovanardi finden wir uns alsbald im Praxisalltag wieder, der zunehmend von nackten Tatsachen und Mädchen/Frauen bestimmt ist, für die es offenbar selbstverständlich ist, bei libidinösen Gefühlsregungen den schnauzbärtigen, etwas rundlichen Arzt mittleren Alters aufzusuchen, um sich von ihm befriedigen zu lassen. Die Absurdität dieser Handlung hielt man offenbar für noch nicht humoristisch genug und erweiterte sie daher um eher müden Slapstick und zumindest hin und wieder funktionierende Situationskomik. Das Ergebnis ist eine alberne, klamaukige Nackedei-Revue, in der sich zahlreiche ansehnliche Darstellerinnen aus der zweiten Reihe ein Stelldichein geben. Aufgrund der Schlagfolge wäre es gelogen, D’Amatos Film nicht einen gewissen Unterhaltungswert zu attestieren – zumindest für ein Publikum, das sich an hochgradig naiven Vertretern freizügiger Komödien der 1970er und ihren zeigefreudigen Protagonistinnen erfreuen kann.

Dem Versuch, „Ill ginecologo della mutua“ als überzeichnete Satire auf die spießbürgerliche Furcht vor durch die Pille plötzlich sexuell freidrehenden Frauen schönzureden, widerstehe ich, denn das wäre wohl viel zu hochgegriffen. Eine solch naive Vorstellung der Folgen weiblicher Schwangerschaftsverhütung scheint mir dieser Film vielmehr in peinlich sexistischer Weise realsatirisch aufzugreifen und mit fragwürdigen Altherrenphantasien sowie einer vermeintlichen Opferrolle bemitleidenswerter Herren, die gewissermaßen zum multiplen Ehebruch gezwungen werden, zu verquicken. Das ist zweifelsohne zielgruppengerecht, jedoch derart einge- und beschränkt, dass es die Möglichkeiten des Erotik-Genres wohlfeil zugunsten einer hanebüchenen Einseitigkeit und Flachheit aufgibt – was schade ist, da D’Amato zuvor bereits bewiesen hat, dass er ganz anders kann. Kurzum: Für einen D’Amato ist „Hospital der sexy Schwestern“ enttäuschend konventionell.
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Tatort: Unter Brüdern

„Das entwickelt sich zum Sex-Tourismus!“

Das deutsche Wendejahr 1990: Die SED-Herrschaft ist beendet, die Grenzen offen, positive (letztlich leider reichlich naive) Aufbruchstimmung greift um sich, neue Freiheiten werden genossen und genutzt. Dazu zählt auch dieses Novum deutscher Fernsehgeschichte, ein Crossover aus den Duisburger „Tatorten“ um die Kommissare Schimanski (Götz George) und Thanner (Eberhard Feik) und dem DDR-Pendant, der Krimireihe „Polizeiruf 110“ um das Kommissarenduo Fuchs (Peter Borgelt) und Grawe (Andreas Schmidt-Schaller) . Die Erstausstrahlung dieser deutsch-deutschen Koproduktion erfolgte am 28.10.1990 und sollte das Zusammenwachsen beider Staaten anhand einer Kooperation der Kommissare symbolisieren. Das Drehbuch ist ein Gemeinschaftsprodukt des Ostdeutschen Helmut Krätzig und des Westdeutschen Veith von Fürstenberg; die Regie führte Krätzig, der zuvor bereits für zahlreiche „Polizeiruf 110“-Episoden verantwortlich zeichnete.

Eine unbekleidete Männerleiche im Duisburger Binnenhafen entpuppt sich als Stasi-Offizier, woraufhin die Kripo Duisburg DDR-Amtshilfe erbittet. Grawe und Fuchs sind gerade einer Stasi-Verwicklung in illegalen Kunsthandel auf der Spur und vermuten einen Zusammenhang. Sie reisen nach Duisburg, wo sie von der Kripo herzlich empfangen werden und man gemeinsam tiefer ins Kunsthandelsmillieu einzusteigen versucht. Die Ermittlungen führen sie nach Ost-Berlin, man lernt undurchsichtige und windige Gestalten kennen und begibt sich umso stärker in Gefahr, je mehr man Licht ins Dunkel bringt…

Nach einem kombinierten „Tatort“- und „Polizeiruf 110“-Vorspann lernen die Zuschauerinnen und Zuschauer ein Auffanglager für DDR-Emigranten von innen kennen – und trinkfreudige Beamte: Als Kommissar Fuchs in Duisburg aus der Bahn steigt, ist er volltrunken. Doch damit nicht genug: Als erste Amtshandlung besucht man zu viert zunächst einmal exakt den „Saunaclub“, den Schimmi kurz zuvor ausgehoben hat, und lässt es sich gutgehen. Später muss Schimmi seinen geliebten Mantel gegen einen Anzug eintauschen und sich als reicher Schnösel verkleiden, wodurch er selbst wie ein Zuhälter aussieht. Herr Dörfler (Ulrich Thein, „Fünf Patronenhülsen“) von der LPG füllt Thanner ab und besorgt beiden Duisburgern Prostituierte. Sodom & Gomorrha bei der Polizei! Diese Spezialausgabe beider Krimireihen gibt sich recht komödiantisch, die Dialoge sind köstlich, der eigentliche Fall hingegen etwas undurchsichtig. Vor allem aber handelt es sich um einen Abgesang auf die Stasi, von der so gut wie jeder in der DDR seinerzeit die Schnauze gestrichen voll hatte und deren Machtmissbrauch abseits von Bespitzelungen u.ä. illustriert wird. Diverse DDR-Klischees werden aufgegriffen und thematisiert, manche dabei widerlegt, andere bestätigt.

Nachdem der Fall gelöst wurde, saufen einmal mehr alle miteinander – als feiere man nicht nur die Lösung und die gelungene Zusammenarbeit, sondern noch immer den Sieg über SED und Stasi. Diese Stimmung vermittelt diese schwer unterhaltsame und TV-historisch hochinteressante Kollaboration und erinnert mich damit an eine spannende Zeit, die letzte, bevor die ‘80er ad acta gelegt wurden, die Hoffnungen, die die Menschen mit der Wiedervereinigung verbanden, vielerorts wie Seifenblasen zerplatzten und sich Kapitalismus, Rechtsextremismus und Gewalt endgültig bahnbrachen. Klaus Lages drittes „Tatort“-Titellied „Hand in Hand“ beschwört eine Solidarität, der sich schließlich leider als allererstes entledigt wurde. „Unter Brüdern“ ist ein aufschlussreiches Zeitdokument mit Symbol- und Strahlkraft – und auch unabhängig davon ein trotz seines etwas zu verschachtelten Falls ein außergewöhnlicher, prima gelungener TV-Krimi mit sympathischem Humor und nur allzu menschlichen Ermittlern. 7,5 von10 gestohlenen Gemälden dafür!
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Tatort: Treibjagd

„Internet ist nur für Spacken!“

Der elfte Fall des Kriminalhauptkommissars Thorsten Falke (Wotan Wilke Möhring) und der fünfte der Oberkommissarin Julia Grosz (Franziska Weisz) wurde im Frühjahr 2018 in Hamburg gedreht und im November desselben Jahres erstausgestrahlt. Die Drehbuchautoren sind Benjamin Hessler und Florian Öller, die Regie übernahm Serienregisseurin Samira Radsi, die kurz zuvor mit dem „Tatort: Schlangengrube“ innerhalb der Reihe debütiert hatte.

Hamburg-Neugraben, zu Teilen ländliches, bürgerliches Randgebiet im Süden, zu Teilen Migrantenhochburg, wird von einer Einbruchsserie heimgesucht. Widerstand bildet sich, die Bevölkerung will das Gesetz in eigene Hände nehmen. Julia Grosz und Thorsten Falke sollen vor Ort Präsenz zeigen und die Situation beruhigen, können jedoch nicht verhindern, dass eines Nachts ein Einbrecher (Tilman Pörzgen, „Abschussfahrt“) von Hausbesitzer Kranzbühler (Jörg Pose, „Einer trage des anderen Last…“) erschossen wird. Dass man gegen den Notwehr beteuernden Schützen zu ermitteln beginnt, bringt die Bürgerwehr erst recht auf Zinne…

Schnell stellt sich heraus, dass der Tote, der vorher beim Vögeln mit seiner Freundin (Michelle Barthel, „Der zehnte Sommer“) im Auto gezeigt wurde, mitnichten in Notwehr erschossen wurde. Kranzbühler hatte sich von den markigen Worten der Bürgerwehr beeinflussen lassen und wollte ein Zeichen setzen. Sichtlich irritiert und erst im Nachhinein die Tragweite seiner Tat erkennend, lässt er sich von seinem Bruder (Andreas Lust, „Schwarzfahrer“) helfen, der ihn deckt. Jedoch: Es gab einen zweiten Einbrecher, die Freundin des Erschossenen. Auch auf diese wurde gefeuert. Verletzt versteckt sie sich im Wald, auf der Flucht sowohl vor der Bürgerwehr, die in ihr eine unliebsame Zeugin sehen, als auch vor der Polizei.

Falkes und Grosz‘ Fall orientiert sich stark an realen Fällen, in denen in Hamburg bzw. im Hamburger Umland Hausbesitzer junge Einbrecher erschossen, z.B. einen fliehenden in den Rücken. Wahr ist auch, dass gewisse Gegenden stark von Diebesbanden frequentiert werden und sich die Anwohner mehr Schutz wünschen. Wohin es führen kann, wenn sich diese alleingelassen fühlen, illustriert dieser „Tatort“, in der die Bürger zur Selbstjustiz greifen und dabei im wahrsten Sinne des Wortes übers Ziel hinausschießen. Parallel zu ihren handfesten Aktivitäten betreibt man ein soziales Netzwerk im World Wide Web, in dem man sich gegenseitig aufputscht und die Polizei verhöhnt – was Konsequenzen in der nichtvirtuellen Welt nach sich zieht, beispielsweise wenn Falkes Sohn auf der Straße bedroht wird. Jenes Bürgerforum wird mit seinen Beiträgen und Likes auf die Kamerabilder gelegt, wie man es auch aus anderen zeitgenössischen TV-Produktionen kennt. Damit sprechen die Autoren diesem und ähnlichen Phänomenen Relevanz zu, statt sie als Internetgequatsche abzutun und damit zu verharmlosen – was Falke anzunehmen schwerfällt, wie sein obiges Zitat beweist.

Dennoch werden die „Wutbürger“ nicht pauschal verteufelt, in vielerlei Hinsicht bringt man Verständnis für sie auf. Dieses für die Diebestouren der jungen Bulgaren zu entwickeln, dürfte den Zuschauerinnen und Zuschauern wesentlich schwerer fallen, dafür schlägt man sich jedoch auf ihre Seite, wenn es um Leib und Leben geht. Wie sich Maya verletzt durchs Unterholz schlägt, transportiert diese besondere juvenile Mischung aus Schwermut und Kampfeswille. Die Kamera fängt dabei bemerkenswerte Bilder einer eher untypischen Gegend der Hansestadt ein. Mit dem Verzicht aufs Whodunit? und starker Fokussierung auf die Bürgerwehr inszenierte man „Treibjagd“ eher in Thriller- denn gewohnter TV-Krimi-Manier und landet schließlich im tragischen Drama, wenn am Ende ein weiteres Opfer hinzukommt und gleich mehrere Leben verpfuscht sind. Ein Fatalismus, der in seiner Konsequenz überrascht und nicht unbedingt nötig gewesen wäre. Woran es diesem über weite Strecken gut gelungenem „Tatort“ mangelt, sind nachhaltige Lösungsangebote an die einbruchsgeplagten Stadtbewohner. Dafür überzeugt er mit seiner differenzierten Darstellung beider bzw. inkl. Polizei aller drei Parteien – was mehr ist, als man von vielen sich Stereotypen bedienender Produktionen erwarten darf.
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Tatort: Wir kriegen euch alle

Batic/Leitmayr (Miroslav Nemec/Udo Wachtveitl) und kein Ende: Der 80. Fall des Münchener Ermittlerduos entstand unter der Regie Sven Bohses – nach „Borowski und das Land zwischen den Meeren“ sein zweiter Beitrag zur Krimireihe – nach einem Drehbuch Michael Proehls und Michael Comtesses und wurde am ersten Advent 2018 erstausgestrahlt. Achtung: Diese Kritik enthält Spoiler.

Die Kommissare sehen sich mit einem grausamen Verbrechen konfrontiert: Die Eltern der kleinen Lena (Romy Seitz) wurden in ihrer Villa ermordet und verstümmelt. Dem Vater wurden die Genitalien abgetrennt und mit Blut die Drohung „Wir kriegen euch alle“ an die Wand geschrieben. Lena wiederum war betäubt und in den Garten gesetzt worden. Diese hatte, wie auch die Bilder der Überwachungskamera belegen, einem Mann im Weihnachtsmannkostüm nachts die Tür geöffnet, nachdem sie jemand über ihre sprechende Smart-Puppe Senta darum gebeten hatte. Lenas Vater stand im Verdacht, seine Tochter zu missbrauchen, ihre Mutter, tatenlos zuzusehen. Die Ermittlungen führen deshalb zunächst zu einer Selbsthilfegruppe für männliche Missbrauchsopfer, in die sich Batic unter Vorspiegelung falscher Tatsachen einschleust. Zum engsten Kreis Verdächtiger zählt schnell das erwachsene Missbrauchsopfer Hasko (Leonard Carow, „Kaltfront“), dem die Kripo nun auf die Pelle rückt. Jedoch bestehen berechtigte Zweifel, dass er der alleinige Täter ist…

Früher gruselte man sich vor sprechenden, allzu menschlichen Puppen, heute holen sich Kinder respektive deren Eltern solche Exemplare in Form moderner Superwanzen, die die Gespräche der Kinder mit ihnen „in der Cloud“ speichern und die zudem derart hackbar sind, dass Dritte die Kommunikation steuern können, freiwillig ins Haus. U.a. vor dem allzu laxen Umgang mit derartigen Gadgets möchte dieser „Tatort“ warnen, wobei der Verkauf solcher Puppen in Deutschland mittlerweile untersagt ist. Das wissen auch die Täter dieser Episode und lassen sich die Geräte aus Österreich importieren. Mit seinem Weihnachtsmann-Motiv passt dieser Fall gut zum ersten Advent, sollte man meinen. Er spielt jedoch in der warmen Jahreszeit, dennoch scheint sich keines der Kinder über den Besuch des Weihnachtsmanns zu wundern. Das „Tatort“-Publikum umso mehr, das zumindest die in bester Horrormanier inszenierten Sequenzen um Sprechpuppe und nächtlichen Mörderbesuch genießen und wohligen Schauer empfinden darf.

Parallel lernen die Zuschauerinnen und Zuschauer eine weitere vermögende Familie kennen, deren jüngster Spross (Lilly Walleshauser) mutmaßlich vom Familienoberhaupt (Stephan Schad, „Die Lüge“) missbraucht wird. Der über seinen bzw. mit seinem Sohn Louis im jungen Erwachsenenalter (Jannik Schümann, „Homevideo“) höchst abfällig redende Karrierist wird als echter Kotzbrocken charakterisiert, dem man alles zutraut. Den Lebenswandel seines Filius empfindet er als Familienschande und als dieser bekanntgibt, das ostasiatische Au-Pair-Mädchen Maggie (Yun Huang) ehelichen zu wollen, ist endgültig der Ofen aus. Abseits dieses Erzählstrangs verhält sich der verdächtige Hasko reichlich (und unrealistisch) dumm, wenn er erahnt, dass er in einer U-Bahn-Station observiert und verfolgt wird, jedoch eine abonnierte Zeitschrift samt Adressaufkleber im öffentlichen Mülleimer entsorgt. Die Bayernbullen wiederum überschreiten ihre Kompetenzen, dringen ohne Genehmigung in fremde Wohnungen ein, schlagen um sich und sperren einen Klaustrophobiker in eine Zelle, bis dieser sich in Panik den Kopf aufschlägt – jeweils ohne, dass das Drehbuch die Polizeigewalt problematisieren würde. Da mutet es beinahe wie eine sicherheitswahrende Maßnahme an, wenn Batic in einen Keller gesperrt und damit eine Zeit lang außer Gefecht gesetzt wird.

Anstatt zu Selbstjustiz motivierendem Versagen von Prävention, Kinder-/Jugendschutz und Justiz zu thematisieren oder auch es schlicht bei dieser Konstellation zu belassen, die Täter zu überführen und gleichzeitig das nächste Kind vor weiterem Missbrauch zu bewahren, schlägt das Drehbuch Kapriolen und entspinnt eine hanebüchene Wendung, in der Louis‘ Charakter sich um 180° dreht und er die Mörder per falschem Missbrauchsvorwurf instrumentalisiert, um seinen Vater und dessen Gespielin loszuwerden. Die gezeigte Selbstjustiz wird demnach insofern verurteilt, als man darstellt, wie sie infolge eines Rufmords aus egoistischen Motiven fehlgeleitet wird. Damit umschifft man die eigenen eingangs aufgeworfenen Fragen nach Rache und Genugtuung: Kann eine böse Tat durch eine weitere böse Tat gesühnt werden? Einigen gelungenen, stark symbolschwangeren Szenen wie der des Regenschirms am Ende zum Trotz ist dieser „Tatort“ eine ziemlich dünne Suppe geworden, deren Zutaten nur leidlich zueinander passen wollen und der sich ums eigentliche Thema drückt. Was (hoffentlich) bleibt, ist ein gesteigertes Bewusstsein für die Gefahren sog. Smart-Gadgets.
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Simpel

Im Winter 2017 kam Regisseur Markus Gollers („Alles ist Liebe“) sechster Spielfilm in die deutschen Kinos: Der tragikomische Roadmovie „Simpel“ basiert auf einem Jugendbuch der französischen Autorin Marie-Aude Murail und wurde ins norddeutsche platte Land sowie nach Hamburg verlegt.

Irgendwo in der norddeutschen Einöde kümmert sich Ben (Frederick Lau, „Nicht mein Tag“) liebevoll um seine schwerkranke Mutter und seinen 22-jährigen behinderten Bruder Barnabas (David Kross, „Knallhart“), der geistig auf dem Stand eines Kleinkinds zurückgeblieben ist und von allen nur Simpel genannt wird. Als die Mutter stirbt, beschließen die Behörden, dass Simpel von Ben getrennt werden und in ein Heim eingewiesen werden soll, weil Ben sich nicht genügend um ihn kümmern könne. Lediglich der Vater der beiden Brüder (Devid Striesow, „Freischwimmer“) könnte erwirken, dass Ben sich auch weiterhin um Simpel kümmern darf. Dieser hat sich jedoch bereits vor 15 Jahren von seiner Familie abgewandt und ein neues Leben begonnen. Mit Ben und Barnabas möchte er nichts zu tun haben. Als die Dorfpolente Simpel abholen und ins Heim bringen soll, ermächtigt sich Ben kurzerhand des Peterwagens und düst mit Simpel gen Hamburg, wo der Erzeuger ausfindig gemacht und überzeugt werden soll…

Nein, glücklicherweise wurde „Simpel“ um den kleinkindlichen 22-Jährigen mit leichter Spastik, eingeschränktem Wortschatz und Ausspracheproblemen kein ausschließlich auf Rührseligkeit bedachtes Melodram. Stattdessen wird mit viel sympathischem Witz ein Roadmovie der etwas anderen Art geschildert, der Vorschläge für den respekt- und liebevollen Umgang der Gesellschaft mit geistig Behinderten unterbreitet. Ihre „Verreise“ führt die Brüder nach Hamburg und lässt sie eine Menge unterschiedlicher Menschen kennenlernen, beginnend beim Lastwagenfahrer (toller Charakterdarsteller: Maxim Kovalevski, „Das Mädchen und der Tod“) über Punks am S-Bahnhof Reeperbahn und die Medizinstudenten Aria (Emilia Schüle, „Besser als nix“) und Enzo (Axel Stein, „Feuer, Eis & Dosenbier“) bis hin zur Prostituierten Chantal (Annette Frier, „Dani Lowinski“). Dass sie dabei fast ausschließlich an freundliche und hilfsbereite Mitmenschen geraten, ist jedoch reichlich naiv und einer der Schwachpunkte des Films. Zudem würde eine Medizinstudentin wohl kaum die dumme Frage stellen, ob sich Simpels Zustand noch bessern würde.

Dem gegenüber stehen authentische, schöne Bilder der Hansestadt (die Werbung für den unsäglichen Jahrmarkt „Hamburger Dom“ hätte man sich jedoch sparen können), eine über weite Strecken spannende, sehr unterhaltsame Handlung (die bisweilen übers Ziel hinausschießt, es z.B. mit der Action-Einlage im Sexclub übertreibt) sowie Autoritätskritik in Bezug auf Ämter und Polizei inkl. eines Seitenhiebs auf die örtliche Politik aufgrund eines in negativer Hinsicht populären Namensvetters Barnabas‘: Als die Hamburgerinnen und Hamburger sich dereinst nicht entblödeten, den hochnotpeinlichen Z-Promi Ronald Barnabas Schill mit einem politischen Amt zu betrauen, hatten sie „einen noch viel größeren Idioten gleichen Namens im Senat“. Dem ist nichts hinzuzufügen.

Simpel verhält sich in den meisten Situationen wie ein Kind, wirkt dadurch sympathisch und umgänglich. Genauso wenig wie Kinder sind geistig Behinderte jedoch ausschließlich lieb und lustig; ein Aspekt, der in „Simpel“ etwas zu kurz kommt. Zwar spitzt sich die Lage extrem zu, als Simpel Arias Wohnung in Brand setzt – dass diese dies mit nur wenig mehr als einem Schulterzucken zur Kenntnis nimmt, ist der o.g. Naivität des Drehbuchs zuzuordnen. Ungefähr das letzte Drittel wird für die Konfrontation mit dem Vater der beiden aufgewendet, wo zentrale Aspekte der Aussagen des Films kulminieren. Es geht um Inklusion und ihre Herausforderungen, um den Spagat zwischen Selbstverwirklichung und Selbstaufgabe und um eine vermeintlich heile Welt, in die jemand wie Simpel nicht hineinpasst. Die Emotionalisierung des Publikums funktioniert unter Goller formidabel, ab und zu wird etwas stärker auf die Tränendrüse gedrückt und sogar „Marco“, ein supertrauriger Jugendliteraturklassiker, den ich in Form seiner großartigen Anime-Serienadaption kennengelernt hatte, erwähnt.

Im Vorfeld hatte ich befürchtet, dass Kross einen geistig Zurückgebliebenen nicht richtig mimen könnte oder seine Darstellung peinlich werden würde – unnötig. Kross löst diese Herausforderung mit Bravour, nach kurzer Eingewöhnungszeit ist man als Zuschauer „drin“ und akzeptiert seine Rolle. Sämtliche Schauspieler harmonieren gut miteinander, die Chemie zwischen beiden Hauptdarstellern scheint perfekt. Die Schnittanschlüsse wirken in Dialogszenen mitunter etwas holprig, ansonsten gibt es auch technisch wenig auszusetzen. Der Film appelliert ans Publikum, mit den Simpels dieser Welt so umzugehen, wie es die guten Menschen in diesem Film tun, und ist damit aller Naivität zum Trotz ein inspirierendes Stück Nicht-nur-Wohlfühlkino und sympathischer norddeutscher Roadmovie mit viel Lokalkolorit.
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Tatort: Borowski und das Land zwischen den Meeren

Nordsee ist Mordsee

„Da haben sich zwei gefunden: Die Wollust und die Gier!“

Sein 31. Fall führt den Kieler Hauptkommissar Klaus Borowski (Axel Milberg) auf die fiktive nordfriesische Insel Suunholt – erstmals allein, nachdem sich seine Kollegin Sarah Brandt hat versetzen lassen und noch vor Einführung der neuen Kommissarin Mila Sahin. Es handelt sich um den ersten Beitrag des Regisseurs Sven Bohse („Weihnachten für Einsteiger“) zur Krimireihe, der das Drehbuch zusammen mit Peter Bender und Ben Braeunlich verfasste. Bereits am 7. Oktober 2017 wurde dieser „Tatort“ auf dem Hamburger Filmfest gezeigt, die TV-Erstausstrahlung folgte am 25. Februar 2018.

Dass Inselbewohnerin Famke Oejen (Christiane Paul, „Hindenburg“) ihren Freund Oliver Teuber (Beat Marti, „Callgirl Undercover“) tot in der Badewanne aufgefunden hat, ruft Borowski auf den Plan, der vom Festland nach Suunholt übersetzt. Dort sieht er sich mit einem ungewöhnlichen Beziehungskonstrukt konfrontiert: Wie aus dem Nichts war Teuber auf der Insel aufgetaucht und auf Famke getroffen, woraufhin man sich Hals über Kopf ineinander verliebte, sich jedoch schwor, einander nichts über sich und seine Vergangenheit zu erzählen. Das passte Teuber sehr gut, schließlich handelte es sich bei ihm um einen abgetauchten ehemaligen Mitarbeiter der Bauaufsichtsbehörde, der in einen Bestechungsskandal verwickelt war. Auf der Insel muss Borowski mit den Dorfpolizisten Maren Schütz (Anna Schimrigk, „Endstation Glück“) und Gunnar Peters (Jörn Hentschel, „Willkommen bei den Honeckers“) zusammenarbeiten, die zunächst wenig professionell agieren und derartige Vorfälle auf ihrer beschaulichen Insel sichtlich nicht gewohnt sind. Es stellt sich heraus, dass die sexuell überdurchschnittlich aktive Famke vor Ort nicht den besten Ruf genießt und u.a. Bäcker Torbrink (Yorck Dippe, „Auf der Straße“) zum Ehebruch verhalf. Schweinebauer Iversen (Marc Zwinz, „Die Schimmelreiter“) macht ebenfalls einen nicht ganz unverdächtigen Eindruck und die gottesfürchtige alte Schachtel Margot Hilse (Heike Hanold-Lynch, „Volltreffer“) sowie ihr Neffe Daniel (Leonard Carow, „Kaltfront“) scheinen Teubers Tod für so etwas wie eine logische Konsequenz zu halten. Der Zorn Gottes über das unzüchtige Treiben bringe sich zudem im aufziehenden Unwetter zum Ausdruck…

Eine Schwimmerin entsteigt dem Meer und flüstert etwas aus dem Off. Sie entpuppt sich als Famke Oejen, die mystifiziert wird und bis zum Schluss undurchsichtig bleibt. Ihre Person verknüpft das Drehbuch lose mit der Sage von Rungholt, eine Insel, über die einst tatsächlich der Gotteszorn hereingebrochen sei, sowie Zitaten aus Theodor Storms „Eine Halligfahrt“. Faszinierende Bilder des platten Insellands werden von der Entzauberung einer vermeintlichen Dorfidylle, in der Andersartigkeit und sexuelle Aktivität als Störfaktoren gelten, ebenso kontrastiert wie von aufziehenden, leider recht künstlich aussehenden Naturgewalten und visualisierten Alpträumen Borowskis. So entsteht eine mystisch-melancholische, bedrückende Atmosphäre, eines der größten Pfunde dieses „Tatorts“ und steter Hinweis auf im Verborgenen liegende düstere Geheimnisse.

Während narrativ neben den Ermittlungsergebnissen des betont in sich ruhenden Kommissars mit in Rückblenden visualisierten Erinnerungen gearbeitet wird, bringt Christiane Paul in ihrer Rolle als attraktive Frau mittleren Alters eine kleine erotische Komponente ein und schafft es sogar, Borowski für eine gemeinsame Nacht um den Finger zu wickeln. Dennoch behält Borowski letztlich professionelle Distanz, ist jedoch auf die Mitarbeit der um die Gutmachung anfänglicher Pannen bemühten örtlichen Kolleginnen und Kollegen angewiesen, wobei besonders Jungpolizistin Schütz, von Schimrigk großartig gespielt, sich als unverzichtbar, gar lebensrettend erweist. Nachdem der Schweinebauer seinem eigenen Vieh zum Fraß vorgeworfen wurde, verdichtet sich eine Spur, die in eine Verquickung von weltlichem schnödem Mammon und zu dessen Zwecken ausgebeuteter Sexualität führt, die Teubers Tod aber noch immer nicht erklärt – was bis zum Ende Fragen offenlässt, die letztlich auf befremdliche Weise aufgeklärt werden.

Dieser Aspekt sollte dann jedoch im Publikumsinteresse längst hinter das dysfunktionale Dorfkonstrukt und die Traurigkeit und Zerbrechlichkeit hinter der selbstbewussten Fassade der mysteriösen Famke zurückgefallen sein, die in Kombination mit der oben beschriebenen sehr speziellen Atmosphäre Borowski fast zum Statisten degradiert und uns einen „Tatort“ beschert, bei dem man sich am liebsten tief in eine wärmende Decke kuschelt.
Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
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Tatort: Der treue Roy

Ein Ort namens Lederhose

Mit „Der treue Roy“, dem dritten Einsatz des komödiantischen Weimarer „Tatort“-Ermittlungsduos Kira Dorn (Nora Tschirner) und Lessing (Christian Ulmen), brach man erstmals mit dem ursprünglichen Konzept der Ausstrahlung an Feiertagen: Der erneut von Murmel Clausen und Andreas Pflüger geschriebene und diesmal vom bereits „Tatort“-erfahrenen Regisseur Gregor Schnitzler („Was tun, wenn’s brennt?“) inszenierte Fall wurde am 24.04.2016 erstausgestrahlt.

Stahlarbeiter Roy Weischlitz (Florian Lukas, „Der Hauptmann von Köpenick“) scheint Suizid begangen zu haben, indem er in die Hochofenschlacke seines Arbeitgebers sprang – seine Kollegen finden nur noch ein verkohltes Skelett und einen Abschiedsbrief. Die Kripo glaubt jedoch nicht an Selbstmord, sondern vermutet ein Kapitalverbrechen und nimmt ihre Ermittlungen auf. Roys Schwester Siegrid (Fritzi Haberlandt, „Transpapa“) zufolge bemalte Roy in seiner Freizeit Zinnsoldaten und galt eigentlich als unsterblich, seit er eine Hochhaussprengung überlebte – im Inneren des Gebäudes. Sein in Spiegelschrift verfasstes Tagebuch führt zu einem Lottogewinn, da er es stets auf den Rückseiten der Lottoscheine zu verfassen pflegte – und damit zu einem Kreis Verdächtiger auch über den „Flamingo“ genannten Karsten Schmöller (Thomas Wodianka, „Stiller Sturm“) hinaus, Roys Ex-Kollege und Siegrieds Ex-Verlobter, der bei einem von Roy verschuldeten Arbeitsunfall ein Bein verlor. Flamingo wiederum ist befreundet mit Zuhälter bzw. Kommunikationsberatungsspezialist Frank Voigt (Sebastian Hülk, „Wer ist Hanna?“), in dessen vermeintlich tschechische Prostituierte Irina (Nadine Boske, „Tore tanzt“) Roy sich verguckt hatte…

„Kack mir doch in‘ Schuh!“

Skurrile, schrullige Charaktere, ausgetüftelte Pläne und vertrackte Fälle – das sind die Zutaten auch dieses Weimarer „Tatorts“, der besonders schwarzhumorig ausgefallen ist und dessen Zahl Toter sich zum Ende hin potenziert. Rückblenden in Schwarzweiß helfen, das große Puzzle nach und nach zusammenzufügen, während die sarkastische Dorn und Klugscheißer Lessing über die wendungsreiche Entwicklung genauso staunen wie das Fernsehpublikum. Dabei begeben sie sich in manch ungewohnte Situation – so lässt sich Dorn in Siegrids Kosmetikstudio beinahe bis zur Unkenntlichkeit aufdonnern – und geraten sogar in Lebensgefahr. Letzteres wird problematisch, denn dass ein Täter Kira Dorn einen Revolver an die Schläfe hält und abdrückt, entfacht zwar seine volle Wirkung, will aber so gar nicht zum heiteren Tonfall dieser „Tatort“-Episode passen. Auch der Humor fiel diesmal weniger feinsinnig aus und driftet bisweilen ins Klamaukige und Absurde ab. Zudem hapert es mit der Logik hier und da; so halte ich es für fraglich, ob Dorn am Ende tatsächlich so entspannt am Krankenbett eines Typen stehen würde, der sie kurz zuvor beinahe umgebracht hätte.

„Führerschein und Jagdlizenz auf Lebenszeit: Das ist Russisch Roulette – mit allen Kugeln!“

Nachdem „Der treue Roy“ mit ein paar dramaturgischen Anlaufschwierigkeiten in Fahrt gekommen ist, bietet er aufgrund seiner Unvorhersehbarkeit spannende Unterhaltung, immer wieder mal aufgelockert durch ein paar echte Lacher, und macht mit seinem eingespielten Team, vor allem der hervorragenden Chemie zwischen Tschirner und Ulmen, und seinen vielen Charakterfressen im Ensemble viel Freude. Als Zuschauer darf man sich indes wundern, wie wenig man Unsterblichkeit zu schätzen wissen, wie naiv man auf geldgierige, windige Weibsbilder hereinfallen, wie sehr ein Lottogewinn alles zum Negativen wenden kann – und wie schlecht man auch heute noch im Osten Englisch spricht. Verglichen mit anderen Weimarer „Tatorten“ kommen die Weimarer hier nicht sonderlich nicht gut weg, man degradiert sie zu etwas dümmlichen Witzfiguren. Das dürfte im komödiantischen Rahmen noch akzeptabel sein, jedoch auch dazu beigetragen haben, dass sich bei Kenntnis aller bis dato ausgestrahlten Weimarer Fälle dieser aller Qualitäten zum Trotz als der schwächste anfühlt – und im Osten der Republik dürfte man mit ihm einen schwereren Stand gehabt haben.
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Hit Mom – Mörderische Weihnachten

„Sie beseitigen Dreck vom Menschen und wir beseitigen menschlichen Dreck.“

Der eigentlich auf besondere „Tatort“-Epsioden („Es lebe der Tod“, „Der scheidende Schupo“, „Meta“) abonnierte Regisseur Sebastian Marka zeichnet für die TV-Vorweihnachtskomödie „Hit Mom – Mörderische Weihnachten“ verantwortlich, die passenderweise am A.C.A.B.-Tag 13.12.2017 erstausgestrahlt wurde. „Polizeiruf 110“-Kommissarin Anneke Kim Sanau blüht in ihrer Rolle als finanziell klamme Putzfrau und Familienmutter, die unfreiwillig von einem korrupten Bullen (Jürgen Tarrach, „Ein Mann, ein Fjord!“) als Serienmörderin angeheuert (und erpresst) wird, auf. Markas Film setzt sich zu etwa gleichen Anteilen aus Situationskomik, Slapstick und schwarzem Humor zusammen und äußert direkt zu Beginn massive Konsumkritik, platziert antisexistische und antidekadente Aussagen und bringt zudem treffende Sozialkritik in Bezug auf den Billiglohnsektor ein.

Marka zitiert anfänglich „Das Fenster zum Hof“ und erzählt davon ausgehend eine freizügige, wenig weihnachtlich anmutende Geschichte, in der eine taffe Frau eigentlich alles richtig machen will, jedoch von einer Verkettung unglücklicher Umstände in die nächste gerät und dadurch letztlich für keinen ihrer „Morde“ wirklich verantwortlich ist. „Hit Mom“ überschreitet also gewissermaßen nie die Grenze zum Amoralischen. Dennoch erfordert eine öffentlich-rechtliche Produktion wie diese einen gewissen Mut eingedenk des konservativen Anteils ihres Publikums. Marka spielt mit gesellschaftlichen Rollenbildern und persifliert bzw. zerlegt diese, zeigt weibliche wie männlich sekundäre und primäre Geschlechtsorgane und kratzt zumindest die Frage, ob nicht der eine oder andere tatsächlich den Tod verdient hätte, an. Sein freches Komikgebräu mundet manch Klischee zum Trotz recht gut. Jedoch verlässt er sich etwas zu sehr auf den Humor und sein Ensemble, lässt es dadurch längere Zeit an Spannung und Thrill, die jeder Serienmördergeschichte – und sei sie noch so komödiantisch - immanent sein sollten, mangeln und läuft Gefahr, zu episodenhaft zu werden, um das Interesse seines Publikums über die volle Distanz aufrechtzuerhalten.
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Halloween (2018)

„Es war nicht schlau, für so etwas zu beten.“

Die „Halloween“-Kult-Slasher-Reihe, einst von John Carpenter subgenredefinierend erschaffen, wurde 1995 mit dem sechsten (eigentlich fünften, „Halloween III“ hatte nichts mit der Reihe zu tun) Teil zufriedenstellend abgeschlossen (zumindest im Producer’s Cut, hierzulande leider weitestgehend unbekannt). Die Klammerbemerkungen deuten es an: Mit den „Halloween“-Fortsetzungen ist’s nicht ganz so einfach. 1998 brachte man dann „Halloween H20“ in die Kinos, der sämtliche Fortsetzungen nach Teil 2 ignorierte und an eben jenen anknüpfte. Mit „Halloween: Resurrection“ erfuhr „H20“ im Jahre 2002 eine mit viel Wohlwollen gerade noch durchschnittliche Fortsetzung, in der man den groben Fehler beging, Laurie Strode sterben zu lassen. Rob Zombie wiederum setzte 2007 ein Remake des ersten „Halloween“-Streifens um und verhob sich dabei, den offenbar mit einer dunklen Macht im Bunde stehenden Serienmörder zu entmystifizieren und ins White-Trash-Milieu zu verlagern. 2009 fügte er seiner Neuinterpretation eine eigene, durchaus originelle Fortsetzung hinzu. Zum 40-jährigen Jubiläum des Carpenter-Originals produzierte man nun eine neue Fortsetzung, die sämtliche Remakes und bisherigen Fortsetzungen ignoriert und im Herbst 2018 pünktlich zu den Halloween-Feierlichkeiten unter dem ein weiteres Remake suggerierenden, schlichten Titel „Halloween“ in die Lichtspielhäuser fand. Die Kontinuität der Reihe ist also vollends zerstört, durch ihre vielen Teile durchzusteigen erfordert fast schon einen Magister in Stalk’n’Slash.

Nichtsdestotrotz waren die Vorzeichen durchaus vielversprechend: Niemand Geringerer als John Carpenter höchstpersönlich trat als Produzent in Erscheinung (nun gut, das tat er bei der vermurksten „The Fog“-Neuverfilmung ebenfalls). Für die Rolle der Laurie Strode stellte sich einmal mehr die großartige Jamie Lee Curtis zu Verfügung und auch ihr Gegenspieler wurde von einem alten Bekannten verkörpert: Unter der Myers-Maske atmet Nick Castle, der Michael aus dem Original, schwer. Mit David Gordon Green („Bad Sitter“) fiel die Wahl auf einen unverbrauchten, unvorbelasteten Regisseur, der sich auch am Drehbuch Jeff Fradleys und Danny McBrides beteiligte. Die inhaltliche Prämisse liest sich dann wie folgt:

Zwei Journalisten suchen den Kontakt zu Michael Myers in der Nervenheilanstalt sowie zu dessen Beinahe-Opfer Laurie Strode in Haddonfield, die er in der Halloween-Nacht vor 40 Jahren umzubringen versuchte. Sie treffen auf einen stummen, apathischen, gealterten Mann imposanter Statur sowie auf eine Frau, die mittlerweile Großmutter ist, schwer traumatisiert ihr gesamtes Leben jedoch den Vorbereitungen auf eine weitere Attacke Michael Myers‘ gewidmet hat, um sich optimal verteidigen zu können und sich so teuer wie möglich zu verkaufen. Ihrer Familie ging und geht sie damit schwer auf die Nerven, zumal man ihre Ängste nicht ernstnimmt. Man hält sie für eine paranoide, verschrobene Spinnerin, die den Bezug zur Realität verloren hat, und meidet ihren Kontakt. Doch als Michael in eine neue Anstalt verlegt werden soll, gelingt ihm die Flucht. Er begibt sich ohne Umwege nach Haddonfield und hinterlässt eine blutige Spur. Dies bedeutet akute Lebensgefahr für Laurie und ihre Familie, jedoch auch Lauries Chance auf Rache…

Green taucht den Film in eine herbstliche Neo-Noir-Atmosphäre, die den erlittenen Traumata der Protagonistinnen und ihrer tiefen Traurigkeit Ausdruck verleiht, womit diese neue Fortsetzung sensibler und stärker einem etwaigen Realismus verhaftet eröffnet als manch anderes Genrefilm-Sequel. Die Szenen, die den unmaskierten Myers im hellen Anstaltsdress auf dem Innenhof zeigen, auf dem er an eine Figur auf einem Spielbrett gemahnt, sind von visueller und inszenatorischer Brillanz. Den Zuschauerinnen und Zuschauern bleibt Myers‘ Gesicht weiterhin verborgen, jeglicher Entmystifizierung enthält man sich dankenswerterweise. Über Dialoge wird die Figur des unsagbar Bösen skizziert, bis sie selbst zur Tat schreiten und mittels heftiger Brutalität ihren Ruf untermauern darf. Parallel findet ein Familiendrama statt, in dessen Rahmen Lauries Tochter (Judy Greer, „Verflucht“) und Lauries Enkelin Allyson (Andi Matichak, „Evol: The Theory of Love“) den Zuschauerinnen und Zuschauern vertraut gemacht werden. Nach reichlich „Kanonenfutter“ kippt das Drama in einen actionreichen, knallharten Überlebenskampf, in dem Laurie unter Beweis stellt, dass ihre Vorbereitungen nicht umsonst waren. Eine ganz und gar unrühmliche Rolle spielt Dr. Loomis‘ Nachfolger Dr. Sartain ( Haluk Bilginer, „Forget About Nick“), der einen gänzlich anderen Ansatz als sein vom 1995 leider verstorbenen Donald Pleasance in fünf „Halloween“-Filmen so grandios verkörperter Mentor verfolgt.

Die neue „Halloween“-Fortsetzung ist zu großen Teilen auch eine Hommage ans Original (und die eine oder andere Fortsetzung): Das beginnt beim ikonischen Vorspann mit Kürbislaterne und Original-„Halloween“-Schrift, zu dem Carpenters unverkennbare Titelmelodie spielt, zieht sich über die auch hier zur Todesfalle werdende Raststättentoilette, das Bettlaken, das Myers der ermordeten Babysitterin Vicky (Virginia Gardner, „Little Bitches“) überzieht und den Schrank, in dem sich nun Myers anstelle Lauries versteckt bis hin zur vom Balkon gestürzten Laurie, die, als Myers herabblickt, verschwunden ist – ganz so wie Myers einstmals am Ende des Originalfilms. Die Szenen mit den gewissermaßen vertauschten Rollen deuten ferner an, dass eigentlich Michael nun der Gejagte Lauries ist. Aus den „Halloween“-Filmen nicht mehr wegzudenke Charakteristika wie Suspense-Szenen, in denen Michael unbemerkt seine Opfer auskundschaftet, verstärken den Eindruck, dass hier ein klassischer, gänzlich unhipper Slasher der alten Schule gedreht wurde, auf äußerst angenehme Weise, zumal manch Sequenz auf zeitlose Weise erfolgreich an Urängste nicht nur appelliert, sondern diese zu bedienen genüsslich auskostet.

Jamie Lee Curtis ist auch als wehrhafte Großmutter eine Wucht und scheint zudem den Staffelstab an die junge Generation weiterzugeben: Andi Matichak als ihre Enkelin Allyson qualifiziert und empfiehlt sich mit ihrer Leistung als eine neue Scream Queen, die ich gern in weiteren Horrorproduktionen sehen würde. Das Flammeninferno des Finales greift zumindest eines der erinnerungswürdigsten Motive der ursprünglichen Fortsetzung auf und lässt, subgenretypisch, den Raum für eine mögliche weitere Fortsetzung, bevor im Abspann „Close To Me“, erklingt, jenes Lied, das sich Laurie im Original selbst vorsang. Ja, der neue „Halloween“ ist ein mit vielen liebevollen Details gespickter und gleichzeitig bisweilen verdammt brutaler, atmosphärischer und böser Slasher, der seinem Subgenre alle Ehre erweist und es mit etlichen halbgaren Produktionen der Neuzeit innerhalb dieses enggesteckten Bereichs spielend aufnimmt. Etwas Bauchschmerzen bereiten jedoch der offen zur Schau gestellte US-Waffenfetisch, der glücklicherweise nicht als alleiniges Allheilmittel propagiert wird, sowie die Verdammung jeglicher progressiver Therapieansätze, die hoffentlich von nicht allzu vielen Zuschauern für bare Münze in Bezug auf den Umgang mit Straftätern in der Realität genommen werden. Letztlich bietet „Halloween“ 2018 vor allem aber auch das, was so vielen Slasher-Filmen allen Unkenrufen der Kritik zum Trotz schon immer immanent war: Frauenpower, Baby!
Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
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