bux t. brawler - Sein Filmtagebuch war der Colt

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Tatort: Das Haus am Ende der Straße

Drehbuchautor Michael Proehl hatte mit seinem Skript zu „Tatort: Im Schmerz geboren“ für einen der größten Kritikerlieblinge der öffentlich-rechtlichen TV-Krimireihe gesorgt. Zusammen mit Erol Yesilkaya entwickelte er auch das Drehbuch zu Hauptkommissar Frank Steiers (Joachim Król) Abgesang: Der Frankfurter beendet in diesem „Tatort“ von Regisseur Sebastian Marka („Hit Mom - Mörderische Weihnachten“), der bereits Ende 2013 gedreht, aber erst im Winter 2015 ausgestrahlt wurde, seine Karriere als Ermittler.

Als Kommissar Steier während eines Routineeinsatzes unvermittelt auf den mehrfach vorbestraften Nico Sauer (Maik Rogge, „Um jeden Preis“) trifft, gibt dieser zwei Schüsse ab, die durch die dünnen Wände des Wohngebäudes ein kleines Mädchen nebenan töten. Vor Gericht wird Sauer freigesprochen, nicht zuletzt, weil Steier Restalkohol von der vorausgegangenen Nacht im Blut hatte. Steier hat die Schnauze nun gestrichen voll, quittiert den Dienst und will Sauer ohne rechtliche Legitimation ans Leder. Als er Wind davon bekommt, dass Sauer zusammen mit seinem Bruder Robin (Vincent Krüger, „Gute Zeiten, schlechte Zeiten“) und dessen heroinabhängiger Freundin Lisa (Janina Schauer, „Der letzte Tanz“) einen Einbruch ins Haus Matthias Langenbrocks (Steffen Münster, „Karniggels“) plant, sucht er jenen Ort auf, an dem Langenbrock erschlagen wird, beobachtet von Nachbar Rolf Poller (Armin Rohde, „Zwei Weihnachtsmänner“) – selbst ein ehemaligen Kommissar. Und dieser verfolgt einen eigenen Plan: Er sperrt Steier zusammen mit dem kriminellen Trio in seinen Keller und ergeht sich in perfiden Psycho-Spielchen…

Treffen zwei ehemalige Kommissare aufeinander… Da breitet der eine dem anderen bereitwillig seine Lebensgeschichte vor dem anderen aus, welcher ihm wiederum Falschaussagen zusichert. Doch daran hat der mit seinem Leben weitestgehend abgeschlossen habende, wütende Poller wenig Interesse, vielmehr geht es ihm darum, dass sich alle vier Gefangenen ihrer wahren Charaktere gegenseitig bewusst werden. Vornehmlich will er dadurch dem noch nicht vollends versauten Robin die Augen öffnen, denn er hat die Hoffnung, dass dieser dadurch wieder zurück auf den Pfad der Tugend findet. Die Erkenntnisse, die vor allem Steier und Robin erlangen, sind bitter und desillusionierend. Nein, ein Nico Sauer lässt sich nicht mehr resozialisieren und ohne mit der Wimper zu zucken, würde er weitere Todesopfer in Kauf nehmen, wenn es zu seinem Vorteil gereicht. Und die heroinsüchtige Lisa, für die Robin sich am Einbruch beteiligte, dankt es ihm kaum, würde sich für den nächsten Schuss prostituieren und Bayers Hustenmittel jederzeit Robin vorziehen.

So gesetzlos und perfide Poller auch vorgeht: Dieser „Tatort“ ist dahingehend konzipiert, dass das Publikum ihm über weite Strecken zustimmt, wenn er seine Lektionen mit Gewalt durchsetzt. Zugleich kommt dies jedoch einer Bankrotterklärung des deutschen Strafrechts gleich, denn Pollers Fatalismus bedeutet letztlich: Bestimmte Straftäter sind nicht resozialisierbar, die Polizei ist machtlos und Drogenabhängigen ist weder zu trauen noch zu helfen. So wahr das häufig sein mag, so fatal wäre es, diese Erkenntnis im Strafrecht zu verankern und dieselben Konsequenzen zu ziehen wie Poller. Letztlich demonstriert „Das Haus am Ende der Straße“ den häufig schizophren anmutenden Konflikt, in dem sich Kommissare wie Steier befinden, folgt man der Logik und dem Blick auf die Abgründe der Gesellschaft dieses „Tatorts“ – der jedoch auch nachdenklich stimmen und dabei behilflich sein kann, eigene Bekannt- und Seilschaften kritisch zu hinterfragen.

Eingebettet wurde diese Handlung in einen düsteren, gut geschauspielerten und fotografierten Thriller, der auf die mehr oder weniger typische Polizeiarbeit komplett verzichtet und sich auch auf keine Ermittlung begibt, sondern die Täter in den Mittelpunkt rückt, von denen Steier beinahe selbst einer geworden wäre. Die Anspielung des Titels auf den Rape’n’Revenge-Klassiker „The Last House on the Left“ führt natürlich in die Irre, wenngleich Rache auch hier zunächst zum treibenden Motiv wird, bis sich Steier aufgrund Pollers Spiel wieder der Vernunft besinnt. Dass über seinem letzten Fall das Damoklesschwert des möglichen Heldentods schwebt, macht diesen „Tatort“ gewiss nicht weniger spannend. 7,5 von 10 Promille Restalkohol dafür.
Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
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Tatort: Gott ist auch nur ein Mensch

Der bereits 32. Fall des komödiantischen Münsteraner „Tatort“-Teams aus Hauptkommissar Thiel (Axel Prahl) und Rechtsmediziner Dr. Boerne (Jan Josef Liefers) findet vor dem Hintergrund der alle zehn Jahre stattfindenden realen Kunstveranstaltung „Skulptur.Projekte“ statt und begibt sich somit ins Milieu Kunstschaffender. Das Drehbuch stammt aus der Feder Christoph Silbers und Thorsten Wettckes; die Regie übernahm erneut Lars Jessen („Dorfpunks“), der damit bereits zum dritten Mal einen „Münsteraner“ inszenierte. Erstausgestrahlt wurde der „Gott ist auch nur ein Mensch“ betitelte Fall im November 2017.

Die Skulptur-Ausstellung wurde noch nicht offiziell eröffnet, da müssen Thiel & Co. auch schon in einem Mordfall ermitteln: Ein Päderast und ehemaliger Stadtrat, der aufgrund eines Justizirrtums freigesprochen wurde, wird mausetot im Inneren einer überlebensgroßen Clown-Skulptur aufgefunden – den Schuldbeweis auf einer SD-Karte gespeichert, die der Leiche implantiert wurde. Nichts liegt näher als zunächst die Eltern der missbrauchten Kinder zu befragen. Kurz darauf wird die Kunstveranstaltung jedoch von einer weiteren Leiche überschattet: einem mit einem Gandhi-Zitat drapierten Neonazi. Nun gerät die exaltiere Kunstszene ins Visier der Ermittler, u.a. Aktionskünstler Zoltan „G.O.D.“ Rajinovic (Aleksandar Jovanovic, „Auf kurze Distanz“) – ist er ein ebenso wahnsinniger wie kunstaffiner Serienmörder auf dem Selbstjustiztrip?

Das Hauptaugenmerk dieses Münsteraner „Tatorts“ liegt mitnichten auf Slapstick und/oder Klamauk, sondern auf kunstvollen Morden bzw. vielmehr kunstvoll aufbereiteten Mordergebnissen, der zwielichtigen, undurchsichtigen Gestalt des sich G.O.D. nennenden Künstlers und der Persiflage einer sich häufig selbst etwas wichtig nehmenden, schrulligen oder der Realität entrückten Künstlerinnen- und Künstlerszene, in die – welch Wunder – der narzisstische, elitäre Boerne so gut hineinpasst, dass er von G.O.D. zu seinem „Meisterschüler“ auserkoren wird. Mit seiner Prämisse orientiert sich dieser Fall damit an Psycho-Thriller-Sujets, wenn auch ohne dieses wirklich auszukosten oder komödiantisch hochzunehmen. Das ist schade, denn mit einem seine Rolle ideal ausfüllenden Aleksandar Jovanovic, der etwas vom großen Lee Van Cleef hat, waren die Voraussetzungen eigentlich gut. Stattdessen verliert sich das Drehbuch in uninteressanten Exkursionen und Nebenschauplätzen wie der unglaubwürdigen Geschichte um Kuratorin Klara Wenger (Victoria Mayer, „Die Wolke“), die Thiel angeblich bereits aus fernen Kindheitstagen kennt, in denen er zwischen anderen Hippiekindern in Mädchenklamotten gesteckt wurde – welch hanebüchener Blödsinn, allein schon angesichts des offensichtlichen Altersunterschieds der beiden.

Doch einmal mehr konnten die Drehbuchautoren nicht an sich halten und schlugen weitere Kapriolen: G.O.D. wird ein Hirntumor angedichtet und letztlich eine aktive Verwicklung in den Fall mit seiner überkonstruierten Auflösung. Sämtliche Nebenfiguren inkl. Thiels bekifftem Vater (Claus D. Clausnitzer) lässt man mind. einmal auflaufen, was hier und da für netten Dialogwitz und den einen oder anderen Gag sorgt, das Potential der Handlung jedoch weiter unterläuft: Wenn man schon aus den Psycho-Thrill-Aspekten nichts weiter herausholt, hätte man sich genüsslich der Kunstszene und ihren Eitelkeiten, ihrer Diskrepanz zwischen Anspruch und Wirklichkeit oder ihrer Prätentiösität widmen können. Die Persiflage bleibt jedoch oberflächlich. Und aufgrund der Selbstjustizthematik eine kritische Auseinandersetzung mit dem Versagen des Rechtssystems in bestimmten Fällen zu erwarten, hätte vermutlich ohnehin nicht in die komödiantische Ausrichtung des Münsteraner Konzepts gepasst.

Was bleibt, ist ein kurzweiliger, vergnüglicher „Tatort“ mit ganz realem Kunstbezug, der die Münsteraner Skulptur-Veranstaltung ins Bewusstsein rückt und damit bei aller Verballhornung der Kunstszene gleichzeitig Werbung für sie betreibt – zumal Künstler Christian Jankowski als Jan Christowski eine Nebenrolle einnimmt, für eine wirklich gelungene Post-Pointe jedoch auch als er selbst in Erscheinung tritt. Unter Lars Jessens Regie gelingen Kameramann Rodja Kükenthal zudem einige echte Hingucker – angesichts derer es aber umso betrüblicher ist, dass man sich gerade im Mittelteil derart verzettelt. Publikumsrenner und bewährtes Rezept hin oder her: Der Münsteraner „Tatort“ scheint sich mit Abweichungen von seiner ihm eigenen Norm besonders schwerzutun.
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Tatort: Ruhe sanft

Der elfte Fall des komödiantischen Münsteraner „Tatort“-Duos aus Hauptkommissar Frank Thiel (Axel Prahl) und Rechtsmediziner Dr. Karl-Friedrich Boerne (Jan Josef Liefers) war der vierte Beitrag des Regisseurs Manfred Stelzer („Irren ist sexy“) zur TV-Krimireihe und entstand nach einem Drehbuch Stefan Cantz‘ und Jan Hinters. Erstausgestrahlt wurde er am 18.03.2007.

Ein Unbekannter verschafft sich Zutritt zur Pathologie und drapiert Lilien auf den Leichen. Wie sich herausstellt, macht er dies in schöner Regelmäßigkeit, fotografiert sein Werk und stellt die Fotos in einem Internet-Blog online. Kommissar Thiel interessiert dies jedoch weniger, er will seinen Urlaub antreten und muss dringend zum Flughafen. Das Taxi seines Vaters jedoch erweist sich auf offener Strecke als fahruntüchtig, weshalb er sich im von Dr. Boerne gestoppten Leichenwagen chauffieren lässt – um dennoch seinen Flug zu verpassen. Kurz darauf segnet ein Bestatter das Zeitliche, sodass an Urlaub kaum noch zu denken ist. An Thiels Nerven zerrt jedoch zusätzlich der Umstand, dass er seine Wohnung für die Zeit seines Urlaubs an Boerne untervermietet hat, der nun auf Einhaltung der Absprache besteht – seine eigene Wohnung hat er dem aktuellen Objekt seiner Begierde (Marion Mitterhammer, „Callboys - Jede Lust hat ihren Preis“) zugesagt, einer österreichischen Kollegin, die aufgrund des Rechtsmediziner-Kongresses in der Studentenstadt weilt. Doch auch Boerne hat wenig Zeit für seinen großen Auftritt auf eben jenem, wo er zudem mit einem Preis ausgezeichnet werden soll, denn der undurchsichtige Mordfall verlangt auch seinen Einsatz. Die Spur führt zunächst zum Bruder des Toten, der Streit mit ihm hatte und, wie sich herausstellen wird, ein amouröses Verhältnis zu seiner Schwägerin pflegte. Oder haben doch die Anhänger der Gothic-Szene damit zu tun, zu denen die Ermittlungen die Leichendekorationen betreffend führen? Selbst Teil dieser Szene ist die Jugendliche Lucie (Alice Dwyer, „Baby“), Halbwaise und Tochter des sich in Afrika sozial engagierenden Dr. Wulfes (Hansa Czypionka, „Tatort: Kinderlieb“)…

Klar, Dr. Boerne ist eine überkonstruierte Figur unterschiedlicher Einflüsse und ihre Rolle als hautnah Ermittlungen unterstützender Rechtsmediziner in Deutschland in der Realität wohl kaum anzutreffen. Mich erinnert sie an eine Mischung aus Quincy, Monk, Dr. House und anderen sozial auffälligen Vorbildern aus internationalen Serien. Dennoch sorgen der Dialogwitz zwischen ihm und dem mürrischen, unterkühlten FC-St.-Pauli-Fan Thiel in Screwball-Manier für den einen oder anderen Lacher. Die Slapstick-Einlagen hingegen sind Standard bis überflüssig und Boernes Arroganz derart überspitzt, dass sie ständig Gefahr läuft, nicht mehr zu amüsieren, sondern regelrecht zu nerven – wenngleich Liefers offenbar voll in seiner Rolle aufgeht und sie mit viel Leidenschaft interpretiert.

Weit weniger lustig soll indes der eigentliche Fall sein. Für diesen greift man ganz tief in die Klischeeschublade, indem man eine Clique „Grufties“ sich auf dem Friedhof versammeln und Gedichte rezitieren lässt. Mind. einer von ihnen hat dann auch schwerer einen an der Waffel, er ist der – ansonsten harmlose – Lilien-Fotograf und -Blogger, der bereits in der Klapse saß. Und extrem doof scheint er auch zu sein, denn obwohl die Polizei nichts gegen jemanden in der Hand hat, als sie die traute Literaturrunde auf dem Friedhof stört, ergreift er plötzlich die Flucht. Ein Schelm, wer dabei denkt, dies diene lediglich einer dann doch wieder komödiantischen Verfolgungsjagd über den Friedhof, bei der Boerne als Pointe in ein ausgehobenes Grab stürzt…

Auch abgesehen von der Darstellung der Gothic-Szene taugt die Handlung leider nicht viel: Das Drehbuch schlägt eine Kapriole nach der anderen, als versuche es, sich ständig selbst in unglaubwürdigen Entwicklungen zu übertrumpfen: Da werden ein falscher Obduktionsbericht ausgestellt, Dr. Boerne von der Staatsanwältin (Mechthild Großmann) umgeboxt (ohne dass dies irgendein Nachspiel hätte, von komplett ausbleibender Selbstkritik der kettenrauchenden Dame ganz zu schweigen), eine Leiche entführt, ein leerer Sarg verbrannt und Boerne unter Waffengewalt zum erneuten Besuch auf dem Friedhof gezwungen. Das Motiv des Täters bleibt unterdessen vollkommen auf der Strecke, spielte fürs Drehbuch offenbar keinerlei Rolle. Diese Abfolge hanebüchenen, an den Haaren herbeigezogenen Unsinns ist der Todesstoß für diesen „Tatort“, der einmal mehr neben dem idiotischen Drehbuch daran scheitert, eine ernste Handlung in einen komödiantischen Rahmen voller Running Gags pressen zu wollen.

Immerhin „darf“ sich die oft zu kurz kommende Nadeshda Krusenstern (Friederike Kempter) diesmal stärker in die Ermittlungen einbringen, wird jedoch auf fragwürdige Weise zum verliebten SMS-süchtigen Teenager degradiert. Positiv aus dem Ensemble heraus sticht Alice Dwyer, der der übertriebene Gothic-Look nicht nur recht gut steht, sondern die ihre Rolle zwischen aufmüpfigem Backfisch und todtrauriger Halbwaise mittels schauspielerischen Talents sensibel und sympathisch ausfüllt.
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Was nicht passt, wird passend gemacht [TV-Serie]

Nach dem Erfolg von Peter Thorwarths Ruhrpott-Kinokomödie „Was nicht passt, wird passend gemacht“ aus dem Jahre 2002 wurde ein Jahr später ein Ableger in Serienform fürs Fernsehen gedreht, der es auf 20 ca. 25-minütige Episoden in zwei Staffeln brachte. Regie führten Christian Zübert, Matthias Lehmann, Lutz Winde, Sophie Allet-Coche und Dominic Müller.

Polier Jochen (Johannes Rotter, „Die Musterknaben – 1000 und eine Nacht“) und seine Kollegen, Vollproll Kalle (Ralf Richter, „Verlierer“) und Magaziner/Deutschtürke in zweiter Generation „Kümmel“ (Ercan Durmaz, „Kanak Attack“), sind Angestellte auf den Baustellen ihrer Chefin Gerda Wiesenkamp (Mareike Carrière, „Die Schule am See“), allerdings weniger für herausragende Arbeitsleistungen als vielmehr dafür bekannt, es mit der Arbeitsmoral nicht so genau zu nehmen – bis Frau Wiesenkamp wieder einmal ein Machtwort sprechen muss, damit überhaupt etwas passiert und die Firma nicht komplett den Bach heruntergeht. Zu dieser Gurkentruppe, die ständig eine 0,5-l-Bierflasche an den Hälsen hat, gesellt sich dann auch noch der renitente „Oppa“ (Heinz W. Krückeberg, „Das Konto“), eigentlich längst Rentner, doch permanent auf der Baustelle zugegen und nie um einen altklugen Kommentar verlegen. Architekturstudent und Praktikant Oliver (Daniel Krauss, „Storno“), genannt „Susi“, muss derweil ständig um seine Anerkennung kämpfen, wird jedoch nur selten für voll genommen…

Die Charaktere und Rollen sind relativ eng an den Kinofilm angelehnt, unterscheiden sich jedoch auch in vielerlei Hinsicht: Polier Jochen war im Film noch bei der Konkurrenz beschäftigt, Kümmel wurde von Hilmi Sözer gespielt und „Oppa“, Praktikant Oliver sowie Chefin Gerda sind ebenso neu eingeführte Figuren wie Jochens attraktive Tochter Martina (Janin Reinhardt, „Lotta in Love“), für die der verwitwete Jochen alles tun würde und die manch Mann den Kopf verdreht. Zudem wurde die Handlung von Unna nach Bottrop verlegt.

Jede Folge der ersten Staffel eröffnet und schließt mit euphemistischen, aus dem Off ertönenden Zitaten aus „Susis“ Praktikumsbericht, die den wahren Wahnsinn, der sich hinter ihnen verbirgt, höchstens erahnen lassen. Arbeiten sieht man die Truppe so gut wie nie, vornehmlich geht um (meist Kalles) Liebschaften, um private Probleme und Problemchen sowie ums Biertrinken. Jochen hat dabei nicht nur gegenüber der von der ehemaligen Viva-Moderatorin Janin Reinhardt (damals noch Engelhardt) gespielten Tochter ein ausgeprägtes Autoritätsproblem, während der aufbrausende Kalle nur Sex, seinen Lexus und Bier im Kopf hat. „Oppa“ neigt dazu, den „Baustellenfrieden“ zu stören und wirft gern mit rassistischen Sprüchen u.ä. um sich, deren Adressat vorwiegend der perfekt deutschsprechende „Kümmel“ ist. Gerdas Auftritte sind meist kurz, aber bestimmt und wirksam. In der Regel entsteigt sie ihrem Auto, stöckelt ein paar Meter, zupft sich ihren engen Rock zurecht und beendet ihre Ansage mit dem Verweis auf einen Folgetermin bei irgendeiner Beauty- oder Wellness-Einrichtung. An der sexuellen Spannung, die beständig zwischen ihr und Kalle in der Luft liegt, ändern solche Auftritte indes nichts, evtl. gar im Gegenteil.

Star sowie Dreh- und Angelpunkt der Serie ist Kino-Veteran Ralf Richter, der sich in unnachahmlicher Weise in hoher Frequenz dem karikierenden Overacting hingibt und herumbrüllt, was die Stimmbänder hergeben. Der häufig bemitleidenswerte Polier Jochen mit seiner hohen Fistelstimme und den Wortfindungsstörungen ist ebenso lustig wie „Oppas“ noch von der Nazi-Diktatur geprägter Rassismus, den er jedoch kaum ernst zu meinen scheint und den ihm auch niemand wirklich übelnimmt, schlicht, weil ihn keiner erstnimmt. Während Gerda bisweilen an Peggy Bundy erinnert, ist die Reinhardt als Martina besonders in der ersten Staffel wahrlich zuckersüß, stößt jedoch auch an ihre schauspielerischen Grenzen und ist in Staffel 2 eher unterrepräsentiert. Gastauftritte von Oliver Korittke („Bang Boom Bang – Ein todsicheres Ding“), Martin Semmelrogge („Das Boot“) oder Oliver Pocher („Vollidiot“), letzterer in der finalen Folge der ersten Staffel inkl. „Spiel mir das Lied vom Tod“-Hommagenszene und entsprechender Musik, erweitern das Ensemble. Für die zweite Staffel wurde Praktikant Oliver gegen Friedjof (Benjamin Quaiser, „Das Geheimnis der Kormoraninsel“) ausgetauscht, noch mal um ein Vielfaches braver als sein Vorgänger, ein wohlerzogener und verspießter Knabe aus gutem Hause, auf der Baustelle jedoch entweder als „Studiker“ oder „Studiot“ bezeichnet oder mit falsch ausgesprochenem Vornamen gerufen. Leider wurde seine Rolle heillos überzeichnet, sodass sie nur noch albern wirkt. Sein Bemühen um korrekte Aussprache, eigentlich Teil seiner Rolle, erweckt zudem unfreiwillig den Eindruck, Quaiser würde seine Texte mehr schlecht als recht ablesen.

Vom Kinofilm geblieben sind in jedem Fall die ausgeprägte Pott-Folklore, der breite antigrammatische Slang, die Überbetonung des Proletarischen, womit zuvorderst typische Ruhrpottprolls aufs Korn genommen werden, aber auch alle anderen ihr Fett wegbekommen. Klischee reiht sich an Klischee, wird jedoch derart umgemünzt, dass Kalle & Co. als Sympathieträger fungieren – und funktionieren. Die Sprache ist dabei rau, hart und herzlich und keinerlei Rücksicht auf irgendwelche Befindlichkeiten oder political correctness nehmend. Der Humor gerät manchmal dann doch reichlich flach, bleibt aber stets karikierend – außer es geht um die Damenwelt: Die ironische Brechung des harschen Sexismus vermochte ich bisweilen nicht mehr zu erkennen, wenngleich sich dieser in erster Linie auf bestimmte Frauentypen bezieht und Figuren wie Martina oder die in Staffel 2 hinzustoßende, von der (wie übrigens bedauerlicherweise auch Mareike Carrière) unvergessenen, viel zu früh gestorbenen Hildegard Krekel („Ein Herz und eine Seele“) gespielten Matta ganz andere, stärkere Frauenbilder verkörpern. Matta tritt die Nachfolge als Büdchenbesitzerin an und wird zum Objekt von Jochens Begierde, der verglichen mit Kalle jedoch die Ausgeburt an Schüchternheit ist.

Davon einmal abgesehen flacht die 2006 ausgestrahlte zweite Staffel leider ziemlich ab, auch Pro- und Epilog in Form von Praktikumsberichtsauszügen wurden gestrichen. Eine Folge wie „Rache vom Ex“ ist wiederum noch einmal ein echter Höhepunkt. Unterm Strich erreicht die Serie nicht das Niveau des Kinofilms, bot jedoch vergnügliche SitCom-Unterhaltung aus Pottproll-Kodderschnauzen ohne Rücksicht auf Verluste, wie sie in heutigen, wesentlich sensibler gewordenen Zeiten auf ein geeichtes Publikum erfrischend ungehobelt, frech und unbekümmert wirkt.
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The Vanishing - Spurlos verschwunden

„Sie finden mich im Lexikon unter ‚Soziopath‘.“

Besonders populär war der niederländisch-französische ehemalige Dokumentarfilmer und Regisseur George Sluizer lange Zeit nicht. Dies änderte sich jedoch mit seinem vierten Spielfilm, „Spurlos verschwunden“ alias „The Vanishing“, einem perfiden Psycho-Thriller aus dem Jahre 1988, der auf dem 1984 veröffentlichten Roman „Het Gouden Ei“ des Niederländers Tim Krabbé basiert.

„Ein Held ist nur ein Mensch, der zu einem Exzess fähig ist...“

Die jungen Verlobten Saskia (Johanna ter Steege, „Zauber der Venus“) und Rex (Gene Bervoets, „Crazy Love“) befinden sich auf einer Urlaubsreise durch Südfrankreich, als Saskia plötzlich an einer Raststätte spurlos verschwindet. Es gibt keine Forderungen eines etwaigen Entführers, jedoch auch keine Anzeichen für einen Unfall oder gar Saskias Ableben. Die Polizei ist machtlos. Doch Rex gibt nicht auf und sucht fortwährend intensiv nach seiner Verlobten. Alles andere ordnet er der Suche unter, auch seine Beziehung. Er ist besessen davon, zu erfahren, was mit Saskia passiert ist. Nach drei Jahren meldet sich auf einen TV-Auftritt Rex‘ hin unvermittelt ihr Entführer: Raymond Lemome (Bernard-Pierre Donnadieu, „Unter Wölfen“), ein unauffälliger Familienvater…

Minimalistische Synthesizer-Musik erklingt und ein Paar bleibt mit seinem Auto in einem Tunnel liegen. Es handelt sich um Saskia und Rex in einer allein schon aufgrund des Filmtitels höchst beunruhigenden Szene, in der der Zuschauer jedoch aufs Glatteis geführt wird: Obwohl sich die Verliebten kurz trennen, verschwindet Saskia hier noch nicht. Daraufhin wird eine Figur mit einem vermeintlich gebrochenen Arm eingeführt, von der zunächst unklar ist, welche Rolle sie spielt. Sie stellt sich als der Entführer Lemome heraus, der in einem parallelen, sich aus Rückblenden zusammensetzenden Handlungsstrang bei der akribischen Vorbereitung seiner Untat gezeigt wird. So verfolgt man als Zuschauer sowohl Rex‘ verzweifelte Suche als auch Lemomes Plan, bis beide sich nach einem Zeitsprung von drei Jahren persönlich begegnen.

Der Zuschauer wird nun mit einem nach wie vor äußerst kühl und überlegt, intelligent agierenden Mann konfrontiert, der erfolgreich ein Doppelleben führt. Die Fragen nach Saskias Verbleib und Lemomes Motiv stellen sich weiterhin, werden erst nach und nach im Rahmen der Handlung geklärt, die sich zu einer Art Psychogramm eines Soziopathen entwickelt hat. Lemome ist die Antithese zu Rex. Während Rex gefühlsbetont und leidenschaftlich durchs Leben geht, ist Lemome ein gefühlskalter, jeden Schritt genauestens berechnender Mathematiker, stoisch, in sich ruhend, nichts dem Zufall überlassend und geduldig abwartend. Von seinen Taten verspricht er sich einerseits emotionale Höhepunkte, die ihm seine bürgerliche Existenz und seine Begeisterungsunfähigkeit abseits perfekter Kapitalverbrechen verwehrt, und andererseits eine Art „Beweisführung“ nach Vorbild naturwissenschaftlicher Forschung. Er erschreckt und fasziniert zugleich.

Währenddessen wird das ohnehin behäbige Erzähltempo jedoch immer stärker gedrosselt, viele Szenen werden zu langwierig in allen Details ausgekostet. Dies geht zu Ungunsten der Spannung, wenngleich „Spurlos verschwunden“ auf ein wahrhaft superfieses Ende zusteuert, in dem Lemome mittels seines größten Guts, dem Geheimnis um Saskias Verbleib, sich Rex‘ größte Schwäche, seine unbändige Neugierde, zunutze macht. Lemome pokert hoch und seine Karten sind nicht einmal gezinkt. Trotz dramaturgischer Durststrecken hält Sluizer sein Publikum so bei der Stange, denn dieses wird mit der Zeit nicht minder neugierig als Rex. Belohnt wird es mit einer in sich runden, emotional mitnehmenden Handlung, soliden bis guten schauspielerischen Leistungen und einer wahrlich süßen Saskia (ter Steege in ihrem Spielfilmdebüt), um die es in der Tat mehr als schade ist. „Spurlos verschwunden“ ist ein Film über Sehnsucht und Liebe, über Einsamkeit und Besessenheit. Und er erzählt davon, wie das Böse in Gestalt kalter Rationalisten einem erst die Liebe und schließlich auch alles andere nimmt. Das macht ihn nach Verblassen seiner Schockwirkung nicht nur melancholisch, sondern tieftraurig.
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Kolobos

„Was wollen wir uns ansehen?“ – „Der Schlachthoffaktor! Hast du nie davon gehört?“ – „Nein!“ – „Muss ‘ne Kultsache sein…“

Die US-Direct-to-Video-Horror-Produktion „Kolobos“ aus dem Jahre 1999 ist das Regiedebüt Daniel Liatowitschs und David Todd Ocvirks. Der Low-Budget-Film mischt klassische Slasher-Motive mit Elementen aus dem Bereich der Mystery- und Psycho-Thriller und greift die damals neue und populäre „Big Brother“-Reality-TV-Thematik auf:

Die junge Kyra (Amy Weber, „Dangerous Seductress“) wird orientierungslos und blutig ins Krankenhaus gebracht, wo die Ärztin Frau Dr. Waldman (Kim Simms Thomas, „Tödliche Stille“) gemeinsam mit ihr die dazu geführt habenden Vorfälle zu rekonstruieren versucht. Demnach haben Kyra, die im Schlaf immer wieder „Kolobos“ vor sich hinmurmelte, und eine Handvoll weiterer junger Menschen an einem Videoexperiment teilgenommen, für das sie sich in einem ausladenden abgelegenen Gebäude haben einsperren und rund um die Uhr beobachten lassen. Die sensible, sich ritzende Borderlinerin Kyra hat bereits kurz nach ihrem Einzug unheimliche Visionen von bandagierten und blutverschmierten Gestalten – und es dauert nicht lange, bis ein Teilnehmer nach dem anderen auf grausamste Weise ermordet wird…

„Das hier ist echt ‘n Irrenhaus!“

Ein düsterer Kinderchor als Titelmelodie stimmt auf einen Film ein, der diese Stimmung sicherlich gern gehalten hätte, sich jedoch selbst ein Bein stellen wird. Der Prolog besteht aus einem blutig ausgehenden Autounfall aus dem Point of View des Opfers, das sich aus derselben beunruhigenden Perspektive auf dem OP-Tisch wiederfindet. Die Ärztin spricht zu ihm, das man noch immer nicht richtig sieht. Sie vermutet, es habe sich seine Verstümmelungen selbst zugefügt. Im weiteren Verlauf entwickelt sich eine ausgedehnte Rückblende, die fortan die eigentliche Handlung darstellt. Nacheinander werden die Teilnehmer des Videoexperiments vorgestellt, eine heil- und maßlos albern überzeichnete Ansammlung aus Dummschwätzer Tom (Donny Terranova, „Triangle Square“), der verhinderten Schauspielerin Erica (Nichole Pelerine, „Der Hollywood-Killer“), der arroganten Tina (Promise LaMarco, „The Thin Pink Line“) und dem Klugscheißer Gary (John Fairlie, „Lying in Wait“). Und mittendrin eben die schüchterne, psychisch labile Kyra, die bereits auf eine Karriere in der Klapsmühle zurückblicken kann, auf Medikamente angewiesen ist und morbide Zeichnungen anfertigt.

„Kolobos – ab heute existierst du!“

Kyra sieht unheimliche Gestalten am Fenster und auf dem Bildschirm ihres Fernsehers, und während sich die anderen debilen Dialogen hingeben, wird Tina arg schmoddrig von einem Fallenmechanismus umgebracht. Die Leitungen sind natürlich tot und das Haus hermetisch abgeriegelt, doch es sind ja überall Kameras, installiert, weshalb die Verbliebenen glauben, die Aufnahmeleitung könne dahinterstecken. Nach einer recht gelungenen Parodie auf Amateur-Splatterfilme, in der Erica sämtliche „Schlachthausfaktor“-Filme nachstellt, begleitet vom verschwurbelten Kritikersprech eines Leidensgenossen, der ihre schauspielerische Darbietung in den höchsten Tönen ironisch lobt, findet sich Tinas Kopf im Kühlschrank wieder, jemand wird mit Frischhaltefolie erstickt und Gary in der Badewanne mittels Säure zerätzt und anschließend erschlagen. Erica und Tom verdächtigen nun Kyra, doch alsbald wird Ericas Haupt an einem Hirschgeweih brutal aufgespießt. Als schließlich alle nach dem Zehn-kleine-Negerlein-Prinzip dahingerafft wurden, gerät die Handlung vollends wirr, wenn sie einem wahlweise real werdende Zeichnungen Kyras weismachen oder aber in bemühter Rätselhaftigkeit in Betracht zu ziehen suggeriert, dass alles lediglich in Kyras Fantasie stattgefunden habe.

„Kolobos“ krankt, wie so viele mehr oder weniger ambitionierte Fan-Werke, in erster Linie an falsch gesetzten Prioritäten. Einen Teil der Zeit, den man offenbar in die möglichst harschen Morde und entsprechende Spezialeffekte investiert hat, hätte man besser für die Charakterisierungen der Figuren, ihre Dialoge und die Ausarbeitung der Handlung aufgewendet. So handelt es sich letztlich um nicht viel mehr als spekulatives, halbgares bis dämliches Videothekenfutter für die Splatterfraktion, die für ihre paar Sekunden Schmodder eine rund 80-minütige Geisterbahnfahrt ertragen muss, die auf psychologischer Ebene nahezu vollkommen versagt und bisweilen fast zu einer Tortur für den Zuschauer wird, der weder zu irgendeiner Form von Empathie angehalten wird noch ein ansprechendes atmosphärisches Grusel-/Horror-Erlebnis präsentiert bekommt, das es ihm erlauben würde, die Kulissenhaftigkeit zu vergessen und emotional mit ins Geschehen einzutauchen. Durchschnitt bis Schrott wie dieser wurde seinerzeit, in Zeiten des VHS-zu-DVD-Umbruchs, anscheinend auf Masse produziert und fand sein Publikum, wirkt heute jedoch überholt bis ärgerlich und gerät zu Recht immer mehr in Vergessenheit. Da helfen auch kein Scream-Queen-Semi-Star wie Linnea Quigley („The Return of the Living Dead“) in einer Nebenrolle oder ein zeitweise geschmackvoll ausgewählter Soundtrack (Tracy Bonhams „Bulldog“). 3,5 von 10 abgesetzten „Big Brother“-Plagiaten ist mir diese Schose wert, bevor ich wegzappe.
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buxtebrawler
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Liebe ohne Stundenplan

„Ich möchte mit dir bumsen!“

Die vierte und letzte Zusammenarbeit des italienischen Regisseurs Silvio Amadio („Sonne, Strand und heiße Schenkel“) mit der blonden Erotikdarstellerin Gloria Guida („Oben ohne, unten Jeans“) stammt aus dem Jahre 1976. Es handelt sich um die Erotikkomödie „Liebe ohne Stundenplan“, die zudem mit der nicht minder zeigefreudigen Spanierin Nieves Navarro alias Susan Scott („Die Farben der Nacht“) aufwartet.

„Weißt du, was London bedeutet für ein junges Mädchen?! Drogen, Sex Perversionen!“

Studentin Claudia (Gloria Guida) möchte die Sommerferien in London verbringen, aber ihr Vater (Jacques Dufilho, „Nosferatu - Phantom der Nacht“) hält die britische Metropole für einen Sündenpfuhl und verbietet die Reise. Was er jedoch nicht ahnt: Seine behütete Tochter ist in den Nachbarn verknallt, einen Herrn Doktor (Pino Colizzi, „Die Kröte“), der zudem an Claudias Uni doziert. Sie versucht mit allen Mitteln, ihn herumzukriegen – ohne Erfolg. Als sie eines Tages herausfindet, dass ihre Stiefmutter Luisa (Nieves Navarro) eine Affäre mit ihm hat, ändern sich die Verhältnisse: Nun hat sie etwas gegen ihn in der Hand und beginnt, ihn zu erpressen…

„Wie schön, Pornofotos! Jeden Tag erfindest du etwas Neues, du Lustmolch!“

Die Titelmelodie ist vergnügt, Claudias Papa, der alte Faschist Colonnello Raselli, ist’s weniger: Wenn er nicht gerade vom Krieg erzählt, wird er von Alpträumen geplagt, in denen man seine Tochter zu vergewaltigen versucht und er als römischer Feldherr mit seinem Säbel einschreiten muss. Da dieser Traum visualisiert wird, hat der Zuschauer auch etwas davon, zeigt sich die Guida hier doch erstmals unbekleidet innerhalb dieses Films. Folgerichtig verbietet er seiner Tochter ihre geplante Reise nach London, doch diese schwört Rache. Abends strippt sie quasi vorm Fenster des Herrn Doktor, sie fingiert einen leichten Straßenverkehrsunfall, damit er sie untersucht und macht ihr Interesse an ihm eigentlich unmissverständlich deutlich, doch er wehrt sie ab. Aber Claudia gibt nicht auf, spielt bauchkrank, um ihn wieder zu einer Untersuchung zu locken und zeigt ihm dabei ihre attraktive Oberweite. Beim Essen befummelt sie ihn unterm Tisch und sie legt eine weitere Striptease-Nummer vor seinem Fenster ein, doch er reagiert irrwitzig, indem er ihre Posen imitiert. Claudia weiß nun, dass sie schwerere Geschütze auffahren muss und dringt mit einer Freundin in seine Wohnung ein, um Kompromittierendes zu finden. Und tatsächlich: Sie findet heraus, dass ihre Stiefmutter, mit der es ebenfalls ständige Konflikte gibt, etwas mit ihm hat. Als sie sich erneut Zutritt zur Wohnung verschafft, beobachtet sie beide beim Cowboy-und-Indianer-Rollenspiel, in dessen Rahmen der Zuschauer Nieves Navarro nackt zu Gesicht bekommt. Vom anschließenden Geschlechtsakt schießt sie reichlich Fotos, mit denen sie das heimliche Paar anonym konfrontiert.

„Kannst du sonst keinen Mann bekommen?“

So trivial der Humor auch ist, der Dialog zwischen Herrn Doktor und Luisa, bei dem es lange dauert, bis ihr die Situation bewusst wird, ist köstlich. Ebenso bizarr wie witzig ist es auch, wenn der Vater den TV-Nachrichtensprecher (Luigi Bonos, „Im Staub der Sonne“) vom Sofa aus bepöbelt und dieser tatsächlich auf ihn reagiert. Gloria belästigt ihren Nachbarn telefonisch, indem sie als Erpresserin auftritt und gibt sich schließlich zu erkennen. Wie verlangt sucht Herr Doktor die Familie als Indianer verkleidet auf und nutzt die Gelegenheit, Claudia zu drohen. Nun soll er in Unterhosen an der Uni dozieren. Nicht minder bizarr: Ein echter Patient wird zu Anschauungszwecken in den Hörsaal gekarrt. Endlich lässt sich Claudias Objekt der Begierde darauf ein, mit ihr Sex zu haben, inszeniert als Rollenspiel. Jedoch: Sie lässt ihn abblitzen! Damit hat er nicht gerechnet und als Konsequenz muss er nun ständig an sie denken: Sie hat ihn ganz verrückt gemacht, er erleidet regelrechte Wahnvorstellungen. Aus dem Film ist nun so etwas wie ein Lehrstück dahingehend geworden, wie man einen widerspenstigen Mann gefügig macht. Der nun liebestolle Doktor will Claudia tatsächlich heiraten, doch diese hat daran zwar kein wirkliches Interesse, will jedoch immer noch ihre Stiefmutter loswerden. So landet man also doch noch vorm Altar. Kurz vor Ultimo gesteht Claudia dort alles, ihr Vater geht daraufhin auf den Doktor los, verletzt sich dabei jedoch, bekommt seinen Arm eingegipst und muss ihn fortan permanent wie zum „römischen Gruß“ hochhalten...

Natürlich erinnert „Liebe ohne Stundenplan“ mit seiner Thematik an die unsägliche deutsche „Schulmädchen-Report“-Reihe: Eine Schülerin bzw. Studentin versucht, eine deutlich ältere, erwachsene Person, zu deren Schutzbefohlenen sie zählt, zu verführen. Das Amoralische der sich daraus ergebenden Beziehung wird jedoch abgefedert, weil ja die böse Stiefmutter Claudias Vater mit ihm betrügt. Generell hat dieser Film weniger von schmieriger, fragwürdiger Altherrenfantasie-Erotik als vielmehr von einer frechen, spöttisch karikierenden Sicht auf italienische Familienentwürfe, in denen nach außen hin Zucht und Anstand gewahrt werden, hinter deren Kulissen jedoch ewiggestrige Kriegsverlierer sich von ihren Frauen an der Nase herumführen lassen, ohne in ihrer Naivität das Geringste zu ahnen. So bringt es Amadios überdrehter, eigentlich viel zu oft nach Schenkelklopfer in Kombination mit Nacktnummernrevue müffelnder Film dann doch auf einige tatsächlich humorvolle Szenen, veralbert mit größtem Vergnügen in zahlreichen persiflierenden Zwischenschnitten Claudias Fascho-Opa, der so gern über den Krieg schwadroniert oder ihn sogar spielt, und zeigt, was das Publikum Mitte der 1970er viel eher mit Italien in Verbindung bringen sollte: Selbstbewusste, freie, hübsche Frauen, die er in Nieves Navarro und einmal mehr allen voran Gloria Guida fand, welche die sehenswerten erotischen freizügigen Akzente setzen. 5,5 von 10 Punkten ist mir das inkl. Fan-Bonus wert, normale Menschen ziehen 0,5 oder gar einen Punkt ab und gehen zum Lachen (bzw. Filmegucken) in den Keller.
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1000 Arten Regen zu beschreiben

Das Langfilmdebüt der deutschen Regisseurin Isa Prahl, 2017 gedreht und im Frühjahr 2018 in den Kinos angelaufen, ist ein sensibles Drama, das sich mit einem in Japan Hikikomori genannten Phänomen auseinandersetzt: Jugendliche schließen sich in ihrem Zimmer ein und schotten sich vollkommen von der Außenwelt ab. Als Gründe werden Überforderung, die Angst, zu versagen, Leistungsdruck u.ä. angegeben.

Mike hat sich in seinem Zimmer eingeschlossen, bereits vor Wochen – und er öffnet die Zimmertür auch nicht, als seine Familie an seinem 18. Geburtstag vor ihr steht, ihm durch sie hindurch ein Ständchen singt und ihre Liebe bekundet. Dabei macht die Familie zunächst einen intakten Eindruck: Mike hat liebevolle Eltern, Susanne (Bibiana Beglau, „Gegen den Strom“) und Thomas (Bjarne Mädel, „Der Tatortreiniger“), die mitten im Leben stehen, und eine jüngere Schwester, die pubertierende Miriam (Emma Bading, „Wir sind die Rosinskis“). Die Gründe für sein Verhalten kennen sie nicht und wissen auch nicht, wie sie mit der Situation am besten umgehen sollen. Auf eine Phase der Geduld und des Verständnisses folgen Fragen, die nie beantwortet werden und schließlich Verzweiflung, die in Wut übergeht, bevor sich so etwas wie Akzeptanz einstellt. Die Familie droht derweil an Mikes Verhalten – bzw. Nichtverhalten – zu zerbrechen…

Das einzige, was die Familie noch von Mike mitbekommt, sind sinnbefreit anmutende kurze Wetterstandmeldungen hinsichtlich des Regenaufkommens in diversen Regionen der Welt, die er auf kleinen Notizzetteln unter der Tür hindurchschiebt – sowie die gelegentliche Betätigung der Toilettenspülung, dafür verlässt er hin und wieder doch noch sein Zimmer; natürlich lediglich in Momenten, in denen er sich unbeobachtet wähnt. Später wird er jedoch sogar seinen Urin in Flaschen vor die Tür stellen, zum benutzten Geschirr, das seine Mutter treusorgend mehrmals täglich gegen frische Mahlzeiten austauscht.

Weshalb seine Eltern ihn während seiner Toilettengänge nicht wenigstens einmal abpassen, bleibt im Dunkeln, denn das ist auch gar nicht Thema des Films. Weder geht es um Mikes Intention oder die Ursache für seine Totalverweigerung – auch diese Punkte finden keinerlei Entsprechung im Drehbuch –, noch bekommt der Zuschauer über die Informationen von Mikes Familie hinausgehende Einblicke in Mikes Seelenleben: Er bleibt genauso vor der Tür wie Vater Thomas, der als Vertreter für Spezialprodukte für Pflegebedürftige und Behinderte tätig ist und es sich zur Aufgabe macht, einem seiner Kunden einen Sprachcomputer zu besorgen, den die Krankenkasse nicht zahlen will. Die naheliegendste Interpretationsmöglichkeit ist da natürlich, dass er diese fixe Idee in erster Linie deshalb fasst, weil er bei seinem Sohn auf Granit beißt und dringend ein Erfolgserlebnis benötigt. Das ist schade, denn einen solchen Einsatz würde man sich auch außerhalb privater Probleme wünschen. Im Suff avanciert Thomas gar zu einer Art modernem Robin Hood.

Ebenso vor der Tür bleibt Mutter Susanne, die schließlich Kontakt zu einem Kindheitsfreund Mikes (Louis Hofmann, „Das weiße Kaninchen“) sucht und ihn als Ersatzsohn annimmt, was zum Missverständnis führt: Er glaubt, die attraktive Frau mittleren Alters hege sexuelles Interesse an ihm. Schwester Miriam wird darüber mit ihrer Pubertät ziemlich alleingelassen und ihr Freundeskreis ist ihr auch keine wirkliche Hilfe, sodass sie unschöne Erfahrungen machen muss, die sicherlich zu verhindern gewesen wären, hätte sie einen festen und vertrauensvollen Rückhalt in der Familie und einen großen Bruder, der auf sie Acht gibt und mit dem sie sich ausquatschen kann, gehabt.

In Japan sollen über eine Million Menschen von Hikikomori betroffen sein, somit handelt es sich um ein beachtliches Phänomen – das anscheinend nach und nach auch in hiesige Hemisphären Einzug hält. „1000 Arten Regen zu beschrieben“ muss jedoch nicht darauf beschränkt werden, im Gegenteil: Hikikomori kann gegen zahlreiche andere familieninterne Zäsuren ausgetauscht werden, die das soziale Konstrukt gefährlich ins Wanken bringen. Hier behilft sich Mikes Familie damit, zu behaupten, er befände sich im Ausland, sei für ein Jahr nach Ohio in den USA gereist. Prahl beobachtet ihre Figuren genau dabei, wie sie mit dieser Lüge zu leben versuchen und immer weiter in den Strudel der Verzweiflung geraten. Die Distanz, die zu Mike besteht, verkehrt sich in Bezug auf seine Familie ins Gegenteil – der Film ist so dicht wie möglich bei ihnen und folgt ihnen bisweilen gar bis auf Toilette. Dabei wird nicht jede symbolhaft angelegte Szene komplett für den Zuschauer dechiffriert, insbesondere Szenen um Tochter Miriam erscheinen mir häufig aus intim weiblicher Perspektive, die naturgemäß nicht für alle Zuschauer immer nachvollziehbar ist. Und wenngleich eine Art Befreiungsschlag im Epilog angedeutet wird, bleibt der Film eine Katharsis bewusst schuldig. Letztlich sensibilisiert dieses kompetent und überaus natürlich geschauspielerte Drama mit einem bärenstarken Bjarne Mädel, der sich damit einmal mehr höchst erfolgreich von seinen komödiantischen Rollen emanzipiert, für die Fragilität von Familien und für die möglichen Folgen, wenn ein entscheidender Pfeiler dieses Konstrukt nachgibt. Dass man letztlich dennoch gern mehr über Hikikomori im Allgemeinen und Mike im Speziellen erfahren hätte, liegt auf der Hand und wurde seitens des dramaturgisch durchaus pfiffig umgesetzten Drehbuchs billigend in Kauf genommen, um sich voll und ganz auf Mikes Umfeld konzentrieren zu können. Durch die Verweigerung diesen ungeschriebenen Regeln des Kinofilms gegenüber entfällt auch eine Bewertung nach Unterhaltungsfilmmaßstäben.
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Tatort: Level X

In seinem dritten Fall ermittelt das Dresdner Duo Sieland/Gorniak nach Drehbuchvorlage Richard Kropfs unter der Regie Gregor Schnitzlers („Was tun, wenn’s brennt?“) im Milieu von YouTube-Kiddies, die selbstgedrehte Streiche, sog. Pranks, erzeugen und onlinestellen. Schnitzler hatte zuvor bereits bei drei „Tatorten“ die Regie übernommen, u.a. für den komödiantischen Weimarer Beitrag „Der treue Roy“. Die „Level X“-Erstausstrahlung erfolgte am 11.06.2017.

Robin Kahle alias Simson (Merlin Rose, „Als wir träumten“) ist bei der entsprechenden Zielgruppe beliebt für seine live ins Internet gestreamten Streiche. Als der 17-Jährige jedoch eine Rockerbande mit einer Drohne filmt – u.a. beim Stuhlgang –, wird er von den aufgebrachten Bikern durch die Stadt gehetzt – und vor laufender Kamera erschossen. Der Täter ist jedoch nicht im Bild. Kommissariatsleiter Schnabel (Martin Brambach) betraut die Hauptkommissarinnen Karin Gorniak (Karin Hanczewski) und Henni Sieland (Alwara Höfels) mit dem Fall, dessen Spuren sowohl zum Chef der Agentur führen, für die Simson gearbeitet hat, den arroganten Schaumschläger Magnus Cord (Daniel Wagner), als auch zu Simsons ehemaligem Verbündeten Scoopy (Wilson Gonzalez Ochsenknecht, „Die wilden Kerle“) sowie zu Dr. Frantzen (Ulrich Friedrich Brandhoff, „Aus dem Nichts“), der illegal mit Medikamenten handelt. In Emilia Kohn (Caroline Hartig, „Tod eines Mädchens“) hingegen hatte Simson eine Verehrerin. Welche Rolle spielt sie in diesem Mordfall?

Ein „altes“, etabliertes Medium wie der öffentlich-rechtliche „Tatort“ möchte sich also kritisch mit einem „neuen“ Medium auseinandersetzen – klar, warum nicht. Aber muss das in einem ernstgemeinten Krimi wie diesem auf derart klischeehafte Weise geschehen? Man könnte meinen, Dresden bestehe hauptsächlich aus jungen Menschen, die permanent dieselben livestreamenden Selbstdarsteller kollektiv auf ihren Smartphones verfolgen und denen moralische Skrupel dabei ebenso fremd sind wie ihren fragwürdigen „Helden“ – oder auch deren Chefs: Magnus Cord soll ein hipper, doch wenig empathischer, arroganter Jungunternehmer sein, der in schlimmstem Geschäfts- bzw. „Marketing“-Denglisch hohle Phrasen absondert, wurde jedoch derart übertrieben überzeichnet und zudem sagenhaft schlecht von Daniel Wagner geschauspielert, dass die Fremdscham überwiegt.

Schnabel versteht natürlich nichts vom Internet und haut ein paar technologie- und fortschrittsfeindliche Floskeln heraus, wird zudem von Polizei-ITler Mommsen der privaten Nutzung des WWW an seinem Arbeitsrechner überführt – was Anlass für ein paar recht gelungene Gags und Dialoge auf Kosten des gewohnt karikierend von Brambach ausgelegten Kommissariatsleiters ist. Einige Einblicke ins Privatleben der Kommissarinnen, die – Achtung, Parallele zu Schnabel – sich beide gerade in keiner glücklichen Partnerschaft befinden, bekommt der Zuschauer ebenso geboten wie deren Jagd auf die roten Heringe. Dass man damit jedoch auf Dauer die Handlung zu keinem sinnvollen Ende bringen kann, ist anscheinend auch Autor Kropf aufgefallen, sodass letztlich doch eine gänzlich altmodische Vergewaltigung ins Spiel gebracht werden und als neuer Aufhänger herhalten muss. Ein dramatisches Finale versucht dann den Schulterschluss mit der „Generation Internet“, wenn diese bei der Suche nach einer Selbstmordgefährdeten behilflich sein kann und schließlich der Kripo ihren Respekt bekundet.

Glaubwürdiger macht das diesen Fall jedoch kaum, sodass auch am Ende der Eindruck überwiegt, der Autor sei mit der Thematik entweder überfordert gewesen oder hatte Anweisungen, jeglichen Realismus zugunsten einer möglichst reißerischen Handlung zu vernachlässigen. Das Ergebnis jedenfalls ist doch arg halbgar – netten Stilmitteln wie aufs Bild gelegten Tweets zum Trotz. Am stärksten ist dieser leider ziemlich misslungene „Tatort“ in seinen rar gesäten leisen, melancholischen Momenten, die ein Gefühl der Einsamkeit trotz ständiger Verbundenheit mit „sozialen Netzwerken“ vermitteln sowie immer dann, wenn er Raum zur Entfaltung seiner beiden Hauptdarstellerinnen findet.
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Tatort: Böser Boden

Bundespolizist Thorsten Falkes (Wotan Wilke Möhring) 18. Fall ist zugleich sein zweiter mit seiner neuen Kollegin Julia Grosz (Franziska Weisz). Das Drehbuch Marvin Krens und Georg Lipperts führt sie unter der Regie Sabine Bernardis („Romeos... anders als du denkst!“) in die niedersächsische Provinz. Erstausgestrahlt wurde dieser „Tatort“ am 26.11.2017.

Arash Naderi (Hadi Khanjanpour, „Bad Banks“) war als Fahrer für das Fracking-Unternehmen „Norfrac“ beschäftigt, bis der iranische Immigrant eines Tages ermordet direkt vor den Toren seines Arbeitsgebers aufgefunden wird. Diese Tat führt die Bundespolizisten Thorsten Falke und Julia Grosz zu den örtlichen Landwirten und Umweltschützern, die dem Unternehmen ablehnend gegenüberstehen und es teilweise aktiv bekämpfen – u.a. Bauer Lars Kielsperg (Niklas Post, „Doppelzimmer für drei“), der eine Art Anführerrolle eingenommen hat. Doch der Unterstützung der lokalen Polizistin Kerstin Starke (Lenja Schultze) können sich die Ermittler nicht sicher sein – und Befragungen der Familie des Opfers werfen weitere Fragen auf. Geradezu unheimlich verhalten sich zudem einige Bewohner der Gegend: Mit ihrer fahlen Haut und ihren Augenringen wirken sie mitunter mehr tot als lebendig, erweisen sich jedoch als bissig...

Kriminalfilm trifft auf Horrorfilm, um eine ökologische Botschaft zu transportieren: Wenn sich die Fracking-Opfer beinahe wie Zombies zu gerieren beginnen, muss ich unweigerlich an die guten alten Euro-Ökohorror-Reißer „Das Leichenhaus der lebenden Toten“ und „Pestizide – Grapes of Death“ denken, die das Autoren-Team sicherlich ebenfalls gesehen hat. Doch so weit geht man hier (natürlich) bei Weitem nicht: Zombie-Action und Splatter-Effekte bleiben außen vor. Das Etablieren einer morbiden, unheilschwangeren Atmosphäre aber gelingt dank guter Kameraarbeit und gedeckter, düsterer Farben formidabel, die Spannung bleibt in der langatmig erzählten Handlung hingegen auf der Strecke. Es mangelt an Tempo und dramaturgischer Finesse.

Falke hat privat mit seinem Sohn Torben zu kämpfen und reagiert auch innerhalb seiner Ermittlungsarbeit sehr gereizt sowie ätzend autoritär, scheint zudem etwas aus seiner Rolle zu fallen, wenn er für „die Ökos“ mehr Verachtung als Verständnis übrig hat, eindeutige Anzeichen nicht wahrhaben will und sich der Fracking-Industrie gegenüber sehr unkritisch zeigt – im Gegensatz zu Grosz. Damit erinnern die beiden gar ein wenig an Mulder und Scully aus „Akte X“ mit vertauschten Rollen. Ingesamt erhält Grosz hier mehr Raum als zuvor und macht eine gute, wenn auch betont unterkühlte Figur. Die Nebendarsteller tun ebenfalls ihr Bestes, negative Ausreißer gibt es bei der Vielzahl an Figuren keine.

Tatsächlich steht Fracking in dringendem Verdacht, schleichend schwerwiegende Gesundheitsschäden hervorzurufen, die offenbar von der Industrie vertuscht werden sollen. Insofern ist es dankenswert, dass ein Format wie der „Tatort“ diese Thematik aufgreift. Weshalb es dann jedoch auf derart plakative Weise mittels meines Wissens komplett herbeiphantasierten Semi-Zombies geschehen muss, statt sich näher an der Realität und aktuellen Erkenntnissen zu orientieren, erschließt sich mir ebenso wenig wie der tiefere Sinn oder künstlerische Gehalt des bemüht in den Fall integrierten Promo-Auftritts der Band AnnenMayKantereit. Letztlich will (oder kann) dieser „Tatort“ dann auch doch gar nicht so richtig in den Horrorbereich eintauchen und so bekommt das Publikum anstelle eines rundum gelungenen Crossovers weder Fisch noch Fleisch serviert. Ich könnte allerdings gut mal wieder „Das Leichenhaus der lebenden Toten“ gucken...
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