bux t. brawler - Sein Filmtagebuch war der Colt

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Re: bux t. brawler - Sein Filmtagebuch war der Colt

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Cinema Perverso - Die wunderbare und kaputte Welt des Bahnhofskinos

Das Bahnhofskino, in den 1950ern zur Unterhaltung wartender Reisender etabliert, korrigierte seinen Fokus von Nachrichten in Form von Wochenschauen bald auf B-Movies und Genre-Filme, die seit jeher Möglichkeiten boten, mit meist überschaubarem Budget etwas auszuprobieren oder Grenzen auszuloten – nicht selten mit krudem, oftmals indes schwer unterhaltsamem Resultat. Der deutsche Regisseur Oliver Schwehm („German Grusel - Die Edgar Wallace-Serie“) widmet sich in seinem rund einstündigen Dokumentarfilm „Cinema Perverso“ aus dem Jahre 2015 diesem in den 1980ern untergegangenen und in Vergessenheit zu geraten drohenden bundesdeutschen Phänomen auf kurzweilige Weise.

Nach einem herrlich reißerischen Intro im alten Stil wechseln sich die Original-Statements zahlreicher, nicht nur aus der Filmbranche stammender Interviewpartner wie Jörg Buttgereit, Wolfgang Niedecken, Uwe Boll, René Weller oder Christian Anders mit vielen Film- und Trailer-Ausschnitten ab, die einen sofort sogartig in die Faszination für das Bahnhofskino und seine Filme ziehen. „Cinema Perverso“ erzählt, wie manch Film in den Bahnhofskinos wiederentdeckt oder auch durch Umschnitte und Verknüpfungen mit fremdem Material erweitert wurde. Sog. Mondo-Filme und Eastern sind ebenso Thema wie der großartige Reißer „Blutiger Freitag“ mit Raimund Harmstorf und schließlich die grassierende Sexwelle mit Russ Meyers US-Oberweiten-Fetisch-Flicks oder den insbesondere hierzulande beliebten Eigenproduktionen, den (Pseudo-)Report-Filmen. Der esoterisch vollkommen verhuschte Christian Anders äußerst sich zu seiner „Todesgöttin des Liebescamps“ (inkl. kultigen Ausschnitten) und der eitle Ex-Boxer René Weller weiß vom Nürnberger Kulturgut Nr. 2 (nach den Lebkuchen), „Macho Man“, zu berichten, in dem er die Hauptrolle spielte.

Zunehmend hielt grafische Härte Einzug in die Bahnhofskinos, hier anhand der „Ilsa“-Trilogie und der Entwicklung des Splatterfilms nachvollzogen, bevor der Siegeszug der Heimvideos dem Bahnhofskino den Garaus machte. Der streitbare Filmemacher Uwe Boll erläutert dann noch einmal treffend, welch attraktive Chancen das Bahnhofskino jungen Filmemachern bot. Damit bietet „Cinema Perverso“ einen angenehm niedrigschwelligen Zugang in diese für jüngere Zuschauer vollkommen fremde Welt, spült Erinnerungen älteren Publikums an die Oberfläche und setzt dieser ehemaligen deutschen Kino-Institution ein ebenso informatives und historisch gut recherchiertes wie humorvolles, oftmals augenzwinkerndes Denkmal.
Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
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Tatort: Auf einen Schlag

Schädel- statt Herzensbrecher

Am 06.03.2016 war es soweit: Mit Alwara Höfels („Keinohrhasen“) und Karin Hanczewski („Lotte“) als Oberkommissarinnen Henni Sieland und Karin Gorniak ging das erste rein weibliche Ermittlerduo der „Tatort“-TV-Krimireihe in Dresden auf Streife. Der 2015 produzierte „Tatort“ wurde von Regisseur Richard Huber inszeniert, der bereits einige Erfahrungen innerhalb der Reihe hatte sammeln können und beim komödiantischen Weimarer Beitrag „Der irre Iwan“ überzeugend abgeliefert hatte. Das Drehbuch stammt von „Stromberg“-Erfinder Ralf Husmann.

In Dresden laufen die Vorbereitungen zur Schlager-Revue „Hier spielt die Musik“, in deren Rahmen u.a. das Altstar-Duo „Toni & Tina“, bestehend aus Toni Derlinger (Anton Weber, „Wendy – Der Film“) und dessen Frau Tina (Alexandra Finder, „Das Mädcheninternat“), sowie die moderneren „Herzensbrecher“ auftreten sollen. Doch plötzlich wird Toni erschlagen hinter der Bühne aufgefunden. Kommissariatsleiter Peter Michael Schnabel (Martin Brambach, „Fleisch ist mein Gemüse“), selbst langjähriger Fan des Duos, setzt Gorniak und Sieland auf den Fall an, Polizeianwärterin Maria Magdalena Mohr (Jella Haase, „Kriegerin“) assistiert. Zu den Verdächtigen zählen bald Manager Rollo Marquardt (Hilmar Eichhorn, „Bornholmer Straße“), dessen einzige Einnahmequelle zuletzt „Toni & Tina“ waren, die er einst erfolgreich zusammengebracht hatte, und sein schärfster Konkurrent, Produzent Maik Pschorrek (Andreas Guenther, „Polizeiruf 110“), der mit den „Herzensbrechern“ und dem Schlagersternchen Laura (Sina Ebell, „Das fehlende Grau“) zunehmende Erfolge verzeichnet und offenbar auch „Toni & Tina“ in sein Boot holen wollte. Letzterer hat aufgrund unlauterer Ticketgeschäfte bereits Dreck am Stecken…

Ein ein neues Team initiierender „Tatort“ wie dieser steht natürlich vor der Herausforderung, nicht nur einen Fall möglichst ansprechend und spannend zu präsentieren, sondern auch die Zuschauerinnen und Zuschauer mit den neuen Charakteren vertraut zu machen. So wirkt dieser Beitrag zunächst etwas überfrachtet, aber auch sehr ambitioniert und komödiantisch, denn mit viel Humor, in erster Linie amüsanten Dialogen, lockert er die Einführung auf. So erfährt man, dass Gorniak alleinerziehend mit ihrem Lehrerinnenschreck von Sohn Aaron (Alessandro Emanuel Schuster) ist und Probleme damit hat, unappetitliche Details ihrer Arbeit wie Tatortfotos vor ihm verschlossen zu halten. Sieland wiederum befindet sich in einer problematischen Liebesbeziehung zu ihrem Freund Ole Herzog (Franz Hartwig, „Männerherzen... und die ganz ganz große Liebe“): Sie wünschen sich Nachwuchs, doch mit der Schwangerschaft will es bei ihr nicht funktionieren, während er finanziell kaum etwas zum Haushalt beiträgt und den Ernst des Lebens offenbar noch nicht ganz begriffen hat.

Noch nicht bei jedem angekommen ist in Dresden aber vor allem die Gleichberechtigung der Frau, und so tut sich insbesondere der Vorgesetzte Schnabel, zum Niederknien gespielt von Martin Brambach, mit breitem sächsischen Dialekt und unzureichenden Englischkenntnissen als Ewiggestriger mit nicht ganz intaktem Nervenkostüm hervor, der verbal jedoch meist den Kürzeren zieht und schlussfolgert, in Cinnamon Latte könnte sich Zimt befinden. Humorvoll wird der emanzipatorische Ansatz des neuen Ermittlerduos veranschaulicht. Herr Schnabel muss sodann passenderweise auch als der einzige Schlagerfan herhalten, der an die besungene heile Welt glaubt und sich aufgrund des Mordfalls getäuscht sehen muss. Dann sind da noch der Nerd der IT-Abteilung, der jedes weibliche Wesen erfolglos angräbt und nicht zuletzt die naiv und unerfahren erscheinende und mit viel Hingabe von Jella Haase gespielte Polizeianwärterin Mohr, die von den meisten nicht ernstgenommen wird, jedoch stets den richtigen Riecher beweist – was auch zu Meinungsverschiedenheit zwischen den sich generell gern einmal kabbelnden Ermittlerinnen führt. Lokalkolorit bekommt man durch Drehorte wie den Zwinger und einen Elbdampfer geboten.

Leerlauf gibt es bei alldem keinen und der eigentliche Fall kommt auch nicht zu kurz – der Spagat ist grundsätzlich erst einmal gelungen. Schwierig wird es jedoch, wenn das Drehbuch klare Rechtsübertretungen, unlautere Ermittlungsmethoden der Polizei, ironischerweise dann allem Feminismus zum Trotz mit den Waffen der Frauen durchgesetzt, verharmlosend als Kavaliersdelikt, bei dem der Zweck die Mittel heiligt, darstellt. Ebenso behagt mir die Mischung aus dem starken Humoranteil und dem sich spannend entwickelnden, ultrahart endenden Fall nicht immer; die Kontraste werden gegen Ende zu stark und zu lachen gibt es von einer Sekunde auf die andere nichts mehr, wenn eine liebgewonnene Figur auf entsetzliche Weise ihren Einsatz mit dem Leben bezahlt. Umso gelungener ist aber der die Schlagerbranche zunächst karikierende und schließlich als höchst verlogenes Schmierentheater voller Lebenslügen entlarvende Subtext, wenngleich jenes Metier natürlich auch eine überaus dankbare Reflektionsfläche dafür bietet.

Alles in allem ein gelungener Einstand mit dem Herzen am rechten Fleck in der deutschen Stadt mit dem höchsten Vollidiotenanteil.
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Tatort: Waldlust

Regisseur Axel Ranischs Ludwigshafener Improvisations- und Mundart-„Tatort“ „Babbeldasch“ war 2017 bei Kritik und Publikum gleichermaßen durchgefallen. 2018 wurde dann Kommissar Kopper im gleichnamigen „Tatort“ ordentlich verabschiedet. Mit der nun auf sich allein gestellten Lena Odenthal (Ulrike Folkerts) folgte im März Ranischs nächster Impro-Beitrag zur Reihe, der offenbar bereits abgedreht war, als das „Babbeldasch“-Experiment baden gegangen war.

Nachdem Mario Kopper als Kripobulle Geschichte ist, unternehmen Odenthal und ihr Team, bestehend aus Fallanalytikerin Johanna Stern (Lisa Bitter), Gerichtsmediziner Peter Becker (Peter Espeloer) und Assistentin Edith Keller (Annalena Schmidt) zusammen mit Coach Simon Fröhlich (Peter Trabner) einen teambildenden Ausflug zum etwas abgewrackten Schwarzwaldhotel Lorenzhof. Eskortiert werden sie vor Ort von den örtlichen, miteinander verheirateten Polizisten Jörn (Juergen Maurer, „Der erste Tag“) und Elli Brunner (Christina Große, „Mandy will ans Meer“), wo der Hotelbetreiber und ehemalige Knacki Bert „Humpe“ Lorenz (Heiko Pinkowski, „Die letzte Sau“) einen befremdlichen Empfang bereitet, als er auf Jörn Brunner losgeht. Der Grund ist eine alte Fehde, die nie beigelegt wurde. Wesentlich aufgeschlossener ist da Humpes Nichte, Wirtin Dorothee (Eva Bay, „Liebe mich!“), die jedoch zu selbstverletzendem Verhalten neigt. Als das Team im servierten Essen Überreste menschlicher Gebeine entdeckt, wähnt sich Odenthal zunächst in einer Inszenierung – die sich häufenden Todesfälle sprechen jedoch dagegen…

Improvisation bedeutet in „Waldlust“, dass die Dialoge nicht vorgegeben sind und spontan entstehen. Gedreht wurde mit einem größtenteils professionellen Ensemble, Ausflüge in Laienspiel und unverständlichen Dialekt gibt es hier nicht mehr. Seine Großmutter Ruth Bickelhaupt brachte Ranisch einmal mehr in einer Nebenrolle unter, was für manch bizarren Moment sorgt. Nicht von jeglicher Bizarrerie freisprechen kann sich auch die erzählte Geschichte, die alte Konflikte im Familien- und Freundeskreis wieder hochkocht und mit vielen Verlusten durch Todesfälle die Frage klärt, ob Humpe unschuldig im Knast saß oder nicht. Die Handlung hat etwas von überkonstruierten Krimis der alten Schule oder auch reißerischen Groschenromanen, was ich nicht unbedingt negativ verstanden wissen will.

Improvisierte, spontane Dialoge vor dem Hintergrund einer auch dem Ensemble unbekannten Auflösung sorgen im Idealfall für gesteigerte Authentizität und Spannung. Um es auf den Punkt zu bringen: Nicht so hier, und das ist der Grund, weshalb „Waldlust“ ziemlich in die Hose ging. Dieser „Tatort“ wirkt derart billig, als wohne man einer missglückten oder auf niedrigem Niveau angesiedelten Theateraufführung bei, sodass sich niemals das Gefühl eines wie auch immer gearteten Realismus einstellt. Sich auf die Erzählung einzulassen und Empathie für die Figuren zu entwickeln, erschwert auch der ständige Wechsel des Tonfalls von augenzwinkernd ironisch über komisch, gruselig bis hin zu dramatisch-tragisch – man denke sich jeweils ein „bemüht“ vor diese Adjektive. Dadurch gerät „Waldlust“ zu einer langweiligen Farce, deren Auflösung – und toller Charakterdarsteller Heiko Pinkowski – ebensowenig für die 90 Minuten missglückten Experiments entschädigen wie die musikalische Untermalung durch die rheinland-pfälzische Staatsphilharmonie.

Letztlich erinnert mich dieser „Tatort“ an Amateurfilme, bei denen alle Beteiligten großen Spaß haben – nur eben das Publikum am Ende nicht...
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Das Grab der lebenden Puppen

„Dies ist mein Haus und ich werd‘ es nicht zulassen, dass mich jemand vertreibt!“

1973, also im gleichen Jahr wie Don Sharps kruder „Der Frosch“, wurde der Film mit dem reißerischen Titel „Das Grab der lebenden Puppen“ desselben Regisseurs von der Independent-Produktionsschmiede „Cinerama“ veröffentlicht, eine eigenwillige Mischung aus Haunted-House-Horror und Psycho-Thriller. Diese Besprechung enthält Spoiler.

„Ich bin stärker als du es bist!“

In der psychiatrischen Klinik erfährt Edward Foster (Robert Hardy) vom Patienten Andrew Marr, dass in dessen alten Haus, das er bis zur Ankunft seiner Kinder für ihn verwalten soll, ein großes Vermögen versteckt sei und bekommt auch ein paar Tipps mit auf den Weg, wie er dieses ausfindig machen könne. Doch da werden auch Marrs behandelnder Arzt Mandeville (Christopher Lee, „Das Dunkel der Nacht“) und dessen Frau Sarah (Joan Collins, „Nachts kommt die Angst“) sowie der Anwalt der Marr-Familie, Prescott (Herbert Lom, „Asylum“), hellhörig, die Foster ihre Hilfe suggerieren, jedoch lediglich selbst hinter dem Mammon her sind. Kurzerhand greift man die unheimliche Historie des Gebäudes auf – Andrew Marrs Kinder und dessen Frau wurden angeblich ermordet, aber die Leichen nie gefunden – und inszeniert eine regelrechte Geisterbahnfahrt, um Foster in den Wahnsinn zu treiben. Dies scheint zu gelingen – doch trifft Fosters angeknackste Psyche womöglich auf ganz realen Spuk?

„Das Grab der lebenden Puppen“ bedient sich zahlreicher klassischer Elemente Gothic-Grusel-angehauchter Haunted-House-Horror-Motive und etabliert eine große atmosphärische Glocke, unter der Gegenstände ein Eigenleben zu entwickeln scheinen, furchterregende Geräusche am Nervenkostüm zerren, das Licht macht, was es will usw. So weit, so gehabt. Seine Spannung bezieht dieser im Original „Dark Places“ getaufte Film aus der Frage, ob es dann nicht doch zusätzlich zur Inszenierung der geldgierigen falschen Freunde wirklich spukt, darüber hinaus sinistere Kräfte Foster loswerden wollen und was nun eigentlich wirklich mit Marrs Familie geschehen ist. Eine unvermittelt einsetzende Rückblende zu Andrew Marrs Familienzeiten läutet viele weitere ihrer Art ein, die nach und nach aufdröseln, was wirklich passiert ist und von denen nicht immer ganz klar ist, ob es sich um Visionen Fosters handelt. Dieser verfällt nämlich während seines Aufenthalts immer wieder in die Rolle Marrs, der ein Techtelmechtel (oder auch etwas mehr) mit seiner Haushältern Alta (Jane Birkin, „Der lange Blonde mit den roten Haaren“) hatte und seine Frau verlassen wollte.

Während bei Foster die Nerven blank liegen und er sich auch noch mit der skrupellosen Sarah herumplagen muss, die ihm nur zum Schein Avancen macht, klopft er weiter fleißig die Wände des Anwesens ab. Die sehr bedächtige Erzählweise wirkt nun bisweilen einschläfernd und man merkt dem Film an, wie das Drehbuch notdürftig auf Länge gebracht werden musste. Wenn das dunkle Geheimnis sich als blutiges Familiendrama entpuppt, bei dem gruselige Kinder eine entscheidende Rolle spielten, es endgültig von Foster Besitz ergreift und es wieder Tote gibt, bekommt Regisseur Sharp allerdings die Kurve und mit Mandevilles Erkenntnis, dass Foster nicht Angestellter, sondern Patient der Klinik war, bekommt der Zuschauer einen gelungenen Aha-Effekt eiskalt serviert. Zudem wird die tiefschwarze Geschichte mit einer bösen Pointe prima abgerundet.

Für eine Independent-Produktion ist „Das Grab der lebenden Puppen“ überraschend hochkarätig besetzt und auch Hauptdarsteller Robert Hardy, der mit Sharp auch für „Der Frosch“ zusammenarbeitete, zeigt in seiner herausfordernden Doppelrolle eine tolle schauspielerische Leistung. All seine Vorzüge machen diesen Film zu einer zu Unrecht in Vergessenheit geratenen ungeschliffenen schwarzen Perle des britischen Genrekinos.
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Tatort: Im Schmerz geboren

Wiesbaden, jenes verschlafene kleine Nest im Hessischen, das außer einer bekannten Spielbank nichts Besonderes an sich hat. Ach ja, und den „Tatort“, für den es seit 2010 eine Spielwiese für unterschiedliche aus der Reihe fallenden bis experimentelle Beiträge zur altgedienten ARD-Krimiserie darstellt. Doch was da am 12.10.2014 ab 20:15 Uhr über den Bildschirm in Millionen Haushalte flimmerte, damit war nicht unbedingt zu rechnen und lief zurecht kurz zuvor bereits auf diversen Filmfestivals, wurde mit Preisen ausgezeichnet und von der Kritik gelobt: „Im Schmerz geboren“ von Regisseur Florian Schwarz („Das Schneckenhaus“) und Drehbuchautor Michael Proehl ziehen einen wahnwitzigen Thriller nach Muster Shakespear’scher Dramen, Motiven Dürrenmatts („Der Besuch der alten Dame“) und Vorbild altgriechischer Tragödien auf, zitieren sich durch die Film- und Kunstgeschichte und lassen rekordverdächtige rund 50 Opfer über die Klinge des Schnitters springen.

Alexander Held („Die Spiegel-Affäre“) führt als on- und offscreen direkt mit dem Publikum kommunizierender Erzähler durch eine Handlung um den hochkultivierten ehemaligen Polizeischüler und Freund des LKA-Ermittlers Felix Murot (Ulrich Tukur), Richard Harloff (Ulrich Matthes, „Bornholmer Straße“), der eine gänzlich andere Laufbahn einschlug, nach Bolivien ging und dort zum Kopf eines Drogenkartells avancierte. Aus einer Dreiecksbeziehung zwischen Harloff, Murot und einer Frau resultierte nicht nur ein Kind, sondern auch gefährlicher Wahnsinn gepaart mit Harloffs Genie, was in einen großangelegten, ausgeklügelten und bis ins letzte Detail durchgeplanten Rachefeldzug mündet, in dem kein Platz mehr für den Respekt gegenüber dem Leben ist – diesen hat Harloff bereits vor vielen Jahren in Bolivien verloren. Während sich beide Männer nun wieder begegnen, kann der gerade von einem Hirntumor genesene Murot lange Zeit nur als untätiger Statist Harloffs Inszenierung und Umsetzung seines Plans zusehen…

Zu viel über die Handlung dieses faszinierenden und hochgradig spannenden „Tatorts“ zu verraten, wäre Frevel. Sich über die inszenatorischen Qualitäten auszuschweigen, ebenfalls: Harloffs erster Auftritt ist direkt eine Hommage an die einleitende Sequenz des Italo-Western-Meisterwerks „Spiel mir das Lied vom Tod“ – in Form des Überwachungskameramitschnitts entsprechend kommentiert von Ermittlerin Schneider (Shenja Lacher), noch ohne den Filmtitel zu nennen. Überhaupt kein Hehl wird dem gegenüber aus den Parallelen zum französischen Klassiker „Jules und Jim“ gemacht, dessen in Rückblenden illustrierte ménage à trois jener in diesem „Tatort“ ähnelt, was auch seine Figuren feststellen. Die eingefärbten Freeze Frames sind alten Eastern entlehnt und dass Harloff unter dem Stendhal-Syndrom leidet, erinnert an den ehemaligen Giallo-Großmeister Dario Argento.

Doch das Schönste: All diese Anspielungen und Verweise muss das Publikum überhaupt nicht erkennen oder zuordnen können, um den Film genießen zu können. Anders als unter Tarantino beispielsweise verkommt „Im Schmerz geboren“ nicht zum selbstzweckhaften Zitatekino inklusive selbstverliebter Coolness, im Gegenteil: Die wendungsreiche Geschichte ist stark genug, um auch ohne all das bestehen zu können und zu funktionieren. Figuren und Handlung werden in kein enges Hommagen-, Zitate- oder Meta-Konzept gepresst, sondern dominieren den Film, das Drumherum ist stets schlüssiges Beiwerk. Bei den Figuren handelt es sich um echte Charaktere, allen voran beim überragenden Harloff sen. Mit seinen den weißen Anzug kontrastierenden beinahe schwarzen Augen, seinem elitären Habitus und Duktus irgendwo zwischen Bernd Stromberg und Superschurke wird er zum ebenso genialen wie psychisch kranken und letztlich tieftraurigen Strippenzieher und zum Dreh- und Angelpunkt dieses „Tatorts“. Alexander Held stemmt eine Doppelrolle als Erzähler und in kriminelle Geschäfte verwickelter Betreiber einer Kfz-Werkstatt, dem seine Söhne und schließlich sein eigenes Leben, seine Männer und seine Werkstatt genommen werden. Zu guter Letzt wird BKA-Kollegin Magda Wächter (Barbara Philipp) gar noch eine ganz besondere Rolle zuteil, der der Hüterin eines Geheimnisses, das sie Murot preiszugeben nicht bereit ist.

Um das nach bereits einigen fast schon verstörend kaltblütig, aber eben auch perfekt durchinszenierten Gewaltspitzen eskalierende finale Massaker noch abendprogrammtauglich zu halten, bedient man sich eines Kunstgriffs, indem man die Resultate der Brutalität zu Gemälden verfälscht, was sich jedoch gut in das ästhetische Konzept des Films einfügt. Zu diesem zählen auch die eigens vom Sinfonieorchester des Hessischen Rundfunks eingespielte klassische Musikuntermalung sowie die mitunter originelle Kameraführung, die ihre Figuren zu umkreisen scheint, als suche sie nach Fixpunkten, ihrer habhaft zu werden.

„Im Schmerz geboren“ ist ein Paradebeispiel für einen gelungenen „experimentellen Tatort“, ist großes Kino im öffentlich-rechtlichen Fernsehen und ein perfektes Beispiel dafür, wie sehr es sich lohnen kann, ambitionierten Regisseurinnen und Regisseuren, Drehbuchautorinnen und Drehbuchautoren hin und wieder diese TV-Institution als Spielwiese zu überlassen – da empfindet man beinahe so etwas wie stolz, dies auch durch die eigenen Gebührenzahlungen mitermöglicht zu haben. Famos!
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Tatort: Meta

Regisseur Sebastian Markas („Hit Mom – Mörderische Weihnachten“) mittlerweile sechster „Tatort“ ist wieder so einer, der mit Begriffen wie „experimentell“ umschrieben wird – und ein weiterer, bei dem das „Experiment“ gelungen ist! Das Berliner Ermittlerduo Nina Rubin (Meret Becker) und Robert Karow (Mark Waschke) sieht sich in diesem 2017 u.a. auf der Berlinale gedrehten und 2018 ausgestrahlten Fall mit einem Spielfilm konfrontiert, der sämtliche Ereignisse vorwegzunehmen scheint – also einem Film im Film bzw. gar einem Film im Film im Film. Daher auch der aussagekräftige Titel „Meta“, denn das Spiel mit den Meta-Ebenen wird hier ebenso exzessiv wie vergnüglich und spannend betrieben – und mit „Taxi Driver“ auch gleich noch einem verdienten Klassiker die Ehre erwiesen.

Kommissar Karow erhält ein Päckchen mit dem abgeschnittenen Finger einer, wie sich bald herausstellen soll, in einem Lagerhaus konservierten Leiche einer minderjährigen Prostituierten. Die Suche nach dem Mörder führt zu Regisseur Michael Schwarz‘ (Isaak Dentler, „Weißt was geil wär...?!“) Produktionsfirma „Meta-Film“, deren Filmprojekt seine Premiere auf der Berlinale feiert. Es handelt sich um einen düsteren Kriminalfilm, dessen Handlung erstaunlich den aktuellen Geschehnissen und dem Vorgehen der Ermittler gleicht. Damit fällt der naheliegende Verdacht zunächst auf Schwarz, doch die eigentliche Spur führt zu Drehbuchautor Peter Koteas (Simon Schwarz, „Eifelpraxis“) – der jedoch seit seinem Suizid vor einigen Monaten nicht mehr unter Lebenden weilt. Handelt es sich bei seinem Drehbuch um ein geschickt lanciertes Geständnis? Oder ist an dessen Handlung um die Organisation Gehlen, Deutschlands mit alten Nazis besetzte, antikommunistische erste Nachkriegs-Schnüffelbehörde, tatsächlich etwas dran? Rubin hält die Parallelen für Zufälle und den Fall für so gut wie abgeschlossen, doch Karow taucht immer tiefer in den Film ein und glaubt schließlich an eine Verschwörung, die zu einem Kinderprostitutionsring führt – entwickelt jedoch auch eine besorgniserregende Manie…

Die Organisation Gehlen gab es tatsächlich, ihre Geschichte ist unrühmlich und sie ist Vorläuferin des nicht minder unrühmlichen BND. Dieses nie abgeschlossene düstere Kapitel der BRD aufzugreifen, mit verdeckt in höheren Kreisen stattfindender Kinderprostitution in Verbindung zu bringen und zugleich „Taxi Driver“ nicht nur zu zitieren, sondern in Form einer großen Hommage parallel noch einmal in Karows Kopf stattfinden zu lassen, ist schon ein ausgeklügeltes Konzept. Mit den Grenzen zwischen Realität und Fiktion jedoch derart zu spielen, dass sich die Figuren nicht mehr sicher sein können, ob sie nicht selbst Teil eines geskripteten Films sind und vor diesem Hintergrund Polizeiarbeit stattfinden zu lassen, und zwar auf eine Weise, dass es auch noch funktioniert und fürs Publikum nachvollziehbar bleibt, ist beinahe genial.

Die Einblicke in Rubins familiäre Probleme um ihren Sohn und ihr Zurückholen in die Handlung in der einen oder anderen wichtigen Szene verhindern, dass „Meta“ nicht zur Einmann-Show Karows gerät, in der er auf Rubin wie ein getriebener Paranoiker wirkt und sich immer und immer wieder den Film anschaut, und zwar überlebensgroß, als Einzelperson im Kinosaal. Allein schon durch diesen Größenunterschied wirkt der Film (im Film) übermächtig und Karow klein. Damit ist „Meta“ auch Ausdruck der Faszination und der Kraft des Kinos, ein Schulterschluss zwischen Fernseh- und Kinofilm. Die Wechselwirkungen zwischen Kino und Realität werden eindrucksvoll illustriert, wenn sich die Dialoge auf der Kino-Leinwand plötzlich 1:1 mit denen in der filmischen Realität gleichen. Markas „Tatort“ ist außergewöhnlich künstlerisch, spannend, mysteriös und düster, desillusorisch, beinahe misanthropisch, ist hart und doch so voller Lebendigkeit, Leidenschaft, Gefühl. Das intelligente Drehbuch ist sicherlich nicht so originell, wie es von manch unbedarfterem Zuschauer empfunden wurde, aber es fügt die Versatzstücke des Meta- und Mindfuck-Kinos sehr aufmerksam und pointiert zu etwas Neuem zusammen, für dessen Beginn- und Schlussgag, der wirklich nicht mehr als ein nettes Augenzwinkern, jedenfalls nicht entscheidend ist, der „Tatort“ sogar mit seinen strengen Traditionen bricht, indem er Eingriffe in An- und Abspann gestattet.

Diese Rezension entstand im März 2018 auf der Meta-Ebene zwischen World Wide Web, TV und Kino, ihr Autor ist „Taxi Driver“-Fan und sie deckt eine Verschwörung auf: Die von Filmleidenschaft, Talent, einem begnadeten Team und öffentlich-rechtlich gewährter künstlerischer Freiheit, die diesen hervorragenden „Tatort“ ermöglichte.
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Willkommen bei den Honeckers

„Hass und Liebe!“

Anlässlich des Tags der deutschen Einheit 2017 hatte die öffentlich-rechtliche ARD die Komödie „Willkommen bei den Honeckers“ nach einem Drehbuch Matthias Pachts produziert. Die Regie führte Philipp Leinemann („Die Informantin“) für diesen Spielfilm, der reale Ereignisse aus der Nachwendezeit zum Vorbild hat: Jene um den „Bild“-Schmierfinken Mark Pittelkau, der Anfang der 1990er unbedingt Journalist bzw. das, was er dafür hält, werden wollte und dafür jegliche Moralvorstellungen über Bord warf: Er erschlich sich das Vertrauen des ehemaligen DDR-Oberhaupts Erich Honecker, um diesen in seinem chilenischen Exil zu besuchen und aus dem Material einen Exklusivbericht zu fertigen, mit dem er sich in Springers Hetzpostille einzecken sollte.

„Was’n jetzt so verkehrt an Kellnern?“

Für diese Komödie wurde aus Mark Pittelkau Johann Rummel (Maximilian Meyer-Bretschneider, „Mängelexemplar“), die Zeitung wird namentlich nicht erwähnt. Rummel eröffnet den Film zunächst aus dem Off, Musik der damaligen Zeit ertönt. Rummel verdingt sich als Kellner und schmuggelt sich mit einem Kollegen zum blonden Volksmusik-Barden Heino (Heinz Georg Kramm, „Blau blüht der Enzian“). Anschließend erreicht ihn die Nachricht: Honecker (Martin Brambach, Dresdner „Tatort“) wird ausgeliefert. Er will unbedingt „Journalist“ werden und schleimt sich per Briefpost bei Honecker ein, dem gegenüber er sich als Bewunderer und Jungkommunist ausgibt. Nach sechs Monaten erhält er als Antwort eine Autogrammkarte. Zudem wird er vom Verlag des Käseblatts verarscht, ein anderer hat seine Artikelidee umgesetzt. Während Freundin Jenny (Cornelia Gröschel, „Königin der Nacht“) noch wegen des Briefs grollt – ihr Bruder wurde beim illegalen Grenzübertritt getötet –, kommt Honecker in Moabit in Untersuchungshaft. Auch Rummels Kumpel hat moralische Skrupel, dennoch geben sich beide einem Vertrauten des ehemaligen Staatsratschefs als „Bund der Jungkommunisten“ aus und suchen den ehemaligen DDR-TV-Propagandisten Karl-Eduard von Schnitzler (Bernd Stegemann, „Kolle - Ein Leben für Liebe und Sex“) auf, bei dem sie sich mit dem Singen von Arbeiterliedern einschleimen. Weiterer Briefverkehr mit „Honni“ findet statt, bis sein Kumpel schließlich nicht mehr mitmachen will, Rummel jedoch regelrecht besessen von seiner fixen Idee ist.

„Hier schleichen jede Menge Journalisten rum. Die sind wie Aasgeier!“

Kurz nachdem Honecker bereitgewesen wäre, Rummel zu empfangen, wird er aus der U-Haft entlassen und reist nach Chile zu seiner Frau Margot (Johanna Gastdorf, „Das Wunder von Bern“) aus. Dort zeigt er Journalisten die gefälschten Fotos Rummels, dessen Eltern entsetzt reagieren. Weitere Briefwechsel werden fleißig aus dem Off zitiert; mittlerweile hat sich Rummel Honeckers Vertrauen vollständig erschlichen und auch andere getäuscht: So sucht Konrad Kiebick (Uwe Preuss, „SMS für dich“) von der „Kommunistischen Zukunftspartei Deutschlands“ den Kontakt zu den vermeintlichen Jungkommunisten. Schließlich geht der Plan auf: Rummel reist fürs Boulevardblatt nach Chile und bekommt ein Volontariat zugesichert. Vor Ort empfängt ihn Margot mit wachem, kritischem, skeptischem Blick und gezielten scharfen Nachfragen. Erich hingegen wirkt wie ein Tattergreis.

„Warum lassen die mich nicht in Frieden sterben?“

Der Anblick Gastdorfs und Brambachs als Ehepaar Honecker wirkt zunächst bizarr, wenngleich Gastdorf mit grauer Perücke eine gute, glaubwürdige Margot gibt. Brambach, einer der für die Besetzung älterer Sachsen dankbarsten TV-Schauspieler, wurde ebenfalls auf alt getrimmt und erinnert zunächst an Olli Dittrich, findet sich jedoch durchaus respektabel in seine Rolle irgendwo zwischen Realismus und Parodie ein. Wenngleich es sich nominell um eine Komödie handelt, geht es hier nicht um Karikatur und Overacting, nicht darum, ihre Figuren lächerlich zu machen. Erich Honecker ist vielmehr mitleiderregend, wird dann jedoch als eiskalt dargestellt, sobald es um die Mauertoten geht. Eine heimlich mitgeschnittene Tonbandaufnahme entpuppt sich als total verrauscht, als Rummel eine Deutsche im Restaurant kennenlernt, betrinkt er sich mit ihr und verpennt, und seine Zeitung besteht partout auf einem gemeinsamen Foto mit Genosse Erich, vor dem sich dieser konsequent sträubt. Letztendlich bekommt er den schwerkranken alten Mann doch noch überredet und so zu seinen Aufnahmen. In letzter Sekunde überführt Margot ihn, er entkommt ihr jedoch.

Leinemann erzählt die Geschichte aus Rummels Perspektive. Ob er es dabei darauf anlegte, in erster Linie für diesen Empathie zu erzeugen, mit ihm mitzufiebern, weiß ich nicht. Sollte dies der Fall gewesen sein, hat es bei mir nicht funktioniert. Doch ich bezweifle das. Erich Honecker wird gerade anfänglich ständig als Schwein und Verbrecher beschimpft, von Leuten, die Grund haben, sauer auf ihn zu sein. Auf mich wirkte der anfänglich mit einigem Archivmaterial wie „Tagesschau“-Ausschnitten arbeitende Film gerade mit seinem Ende nachdenklich, er stimmte mich für eine Komödie ungewohnt melancholisch. Rummel fand kein Monstrum vor, sondern einen alten, kranken Mann. Das Monstrum war (und ist) Rummel selbst. Zu lachen gibt es – vom gelungenen Sternfrucht-Gag einmal abgesehen – nicht viel.

Pittelkau war damals nicht etwa in die Privatsphäre der Honeckers eingedrungen, um investigativ Informationen von gerechtfertigtem, besonderem öffentlichem Interesse zu beschaffen, an die es anders kein Herankommen gab, sondern einzig und allein, um seine eigene verabscheuungswürdige Karriere voranzutreiben, indem er einem Revolverblatt hilft, die Auflage zu steigern und den Profit zu erhöhen. Demgegenüber erscheint Honecker wie ein wehrloses Opfer, dem übel mitgespielt wird, weil man sein Vertrauen auf übelste Weise missbraucht. Der eitle Fatzke Pittelkau rühmte sich öffentlich immer wieder mit seiner Honecker-Homestory und auch damit, dass seine Verstöße gegen den Pressekodex hiermit verfilmt wurden, er den Drehbuchautor mit Informationen versorgen durfte. Ob der hier vermittelte Eindruck der Honeckers ihm in seiner persönlichen Verblendung bewusst ist, weiß ich nicht; ob es eine gute Idee ist, ein ehemaliges, relativ mächtiges deutsches Staatsoberhaupt in einer solchen zutiefst menschlichen Opferrolle zu zeigen, weiß ich ebenfalls nicht und ich halte es nach wie vor für möglich, dass meine Lesart des Films nicht die intendierte ist. Ich würde den Filmemachern aber zutrauen, diese bewusst diffus gehalten und den Film zu einem ambivalenten Erlebnis gemacht zu haben. Wer gänzlich naiv und unbedarft an ihn herantritt, wird ihn möglicherweise dann doch als Verfilmung eines listigen Streichs und verdiente Abrechnung mit einem betonköpfigen Stalinisten empfinden.

Pittelkau ist der Inbegriff eines ehr- und rückgratlosen Schleimers, eines gewissenlosen Karrieristen, eine verachtenswerte, ekelerregende Type. Dies formuliert „Willkommen bei den Honeckers“ nie aus. Diese Erkenntnis bleibt dem Publikum überlassen.
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Tatort: Auge um Auge

„Die Leute stehen an der falschen Stelle, die auf dem Marktplatz, die vor den Flüchtlingsheimen. Aber hier, hier vor der Versicherung, hier steht keiner. Vor den Banken, vor den Konzernen, hier, wo die Wut hingehört. Hier steht kein Mensch – keiner! Die Leute draußen wüten gegen die armen Schweine – aber keiner wütet gegen die reichen Schweine!“

Der vierte Dresdner Fall des ersten rein weiblichen „Tatort“-Ermittlerduos Sieland/Gorniak ist eine Gemeinschaftsproduktion des „Stromberg“-Teams Franziska Meletzky (Regie, ihr bereits vierter Beitrag zur Reihe) und Ralf Husmann (Drehbuch) – und trotzdem ist der 2017 ausgestrahlte „Auge um Auge“ keine Komödie.

Ein Abteilungsleiter (Alexander Schubert, „heute-show“) des „Alva“-Versicherungsunternehmens wird von einem Nachbargebäude aus am hellichten Tag in seinem gläsernen Büro erschossen. Gebhardt, so der Name des Toten, galt als harter Hund, der intern gute Zahlen vorweisen konnte, weil er zahlreiche Auszahlungen an Versicherungsnehmer verweigerte. Außerdem befand er sich im Postengerangel mit Rainer Ellgast (Arnd Klawitter, „Tödliche Gefühle“). Auf diesen fällt der erste Verdacht Karin Gorniaks (Karin Hanczewski) und Henni Sielands (Alwara Höfels), während Kommissariatsleiter Peter Michael Schnabel (Martin Brambach) den Mann aufgrund offenbar ähnlicher Ansichten zu gesellschaftlichen Themen zunächst sympathisch findet und nicht an dessen Schuld glauben will – auch wenn alles gegen ihn spricht, beispielsweise ein sich in Luft auflösendes Alibi. Nicht auszuschließen ist jedoch, dass ein ehemaliger Versicherungsnehmer, dem nach einem Schadenfall die Zahlung verweigert wurde, aus Wut und Frust zur Waffe gegriffen hat. Harald Böhlert (Peter Schneider, „Bornholmer Straße“) zum Beispiel ist seit einem Unfall an den Rollstuhl gefesselt und führt zusammen mit seiner Frau Ines (Marie Leuenberger, „Der Kreis“) und Aktivistin Martina Scheuring (Henny Reents, „Spur der Hoffnung“) Protestaktionen gegen die „Alva“ durch. Ellgast ist heimlich mit der „Alva“-Sekretärin Claudia Bischoff (Isabell Polak, „Vaterfreuden“) liiert und deren Kollegin Cordula Wernicke (Ramona Kunze-Libnow, „Happy Burnout“) findet kurz nach dem Mord eine Patrone in ihrer Post. Hat es der Täter auf weitere Opfer abgesehen?

Systemimmanent ist die Tatsache, dass Versicherungen zur Berufsunfähigkeit u.ä. nicht Aufgabe des Staats sind, sondern private Versicherungsunternehmen mit diesen Aufgaben betraut werden. Diese versprechen ihren Kundinnen und Kunden viel, wenn sie um sie buhlen, tun sich aber gern einmal damit schwer, auch ihren Teil der Leistungsvereinbarung zu erfüllen, wenn es zum Versicherungsfall kommt. Als marktwirtschaftlich ausgerichtete Unternehmen geht es ihnen in erster Linie um Profitmaximierung, nicht um das Wohl der Menschen. So errichten sie Prunkbauten und stopfen sich im Vorstand die Taschen voll, während manch Versicherungsnehmer, der ihnen sein Vertrauen schenkte und lange Zeit Beiträge zahlte, vor die Hunde geht. In diese Wunde legt dieser „Tatort“ seinen Finger und thematisiert in scharfzüngigen, mitunter auch launigen Dialogen das gestörte Verhältnis des konservativen, Veränderungen und Neuerungen gegenüber wenig aufgeschlossenen, gar latent xenophoben Kommissariatsleiters Schnabel zu seinen Kommissarinnen, insbesondere der sich für Flüchtlinge engagierenden Henni Sieland, gerade auch vor dem Hintergrund der lokalen „Pegida“-Idiotenaufmärsche und der Wahlerfolge der rechtsextremen AfD.

Damit beweist dieser „Tatort“ soziales Gewissen, politisches Bewusstsein und eine scharfe Beobachtungsgabe, wenngleich er mitunter etwas sehr plakativ vorgeht. Die Dynamik zwischen Schnabel und seinen „Mädels“ jedoch ist schön mitanzusehen – Brambach als Schnabel ist nach wie vor großes Ossi-Kino – und bringt viel Pepp in diesen eher konventionellen Fall, der leider recht platt den Verdacht auf Ellgast lenkt, bis auch auf diesen ein Anschlag verübt wird. Das nach einigen Beleuchtungen Sielands dysfunktionaler Beziehung zu ihrem Ole (Franz Hartwig, „Männerherzen... und die ganz ganz große Liebe“) eingeläutete düstere Finale ist dann noch einmal Anlass für wortgewaltige Gesellschaftskritik, bis der Fall gelöst ist und man sich nur noch die Frage stellen muss, wie es gelungen sein soll, mit einer Pistole auf diese Distanz durch eine Glasscheibe hindurch derart genau das Opfer zu treffen.

Wie bereits eingangs erwähnt, sollte man trotz des „Stromberg“-Teams und des Versicherungsmilieus keine Komödie oder Parallelen zur „Capitol“ erwarten. Von dieser falschen Erwartungshaltung befreit, ist „Auge um Auge“ ein von einigen Schwächen geplagter „Tatort“, der jedoch relevante gesellschaftliche Themen aufgreift, aalglatte Versicherungsangestellte nur leicht karikiert und mit seinem interessanten Team einiges wieder wettmacht. Irgendwo zwischen 6 und 7 von zehn Couscous-Portionen würde ich ihn einordnen und entscheide mich für diplomatische 6,5.
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Tatort: Das Mädchen auf der Treppe

Schimanskis (Götz George) und Thanners (Eberhard Feik) vierter Fall „Das Mädchen auf der Treppe“ datiert auf das Jahr 1982. Es wurde der zweite „Tatort“ des Regisseurs Peter Adam, das Drehbuch stammt von Martin Gies.

Die 17-jährige Katja (Anja Jaenicke, „Die Schaukel“) passt Schimanski nach Feierabend im Treppenhaus ab. Sie ist in Sorge, weil ihre Mutter nicht nach Hause gekommen ist und bittet den Kommissar um Hilfe. Schimanski versucht, das Mädchen zu beruhigen, doch bald stellt sich heraus, dass ihre Mutter tatsächlich ermordet wurde. Die Ermittlungen ergeben, dass sie in Drogengeschäfte verwickelt war und ihr Arbeitsplatz, das Restaurant „Hawaii“, als Drogenumschlagsplatz fungierte. Da Katja ihren Vater nie kennengelernt hat, ist sie nun auf sich allein gestellt. Durch Schimanski und Thanner bekommt sie Unterstützung, an Schimmi wirft sie sich gar offensiv heran. Mit vereinten Kräften begibt man sich auf die Mördersuche…

Dieser sensibel erzählte Fall lebt vor allem von der frechen Katja, die mit ihrem Hut und ihren geschminkten Lippen optisch aus der Reihe fällt und fast wie eine Stil-Ikone wirkt. Nachdem sie innerhalb dieses Falls ihren 18. Geburtstag gefeiert hat, knüpft sie amouröse Bande mit Schimanski, deren Ausgang offen bleibt. Doch so sehr dieser einmal mehr sein Lokalkolorit betonender Fall auch suggeriert, dass die Polizei für Jugendliche da sei, so wenig können Schimanski und Thanner letztlich ausrichten: Im Prinzip ist es Katja, die den Mörder enttarnt. Als liebenswerte Figur wächst sie einem schnell ans Herz und so wirkt es durchaus nach, dass ungewiss bleibt, wie es für Katja weitergeht.

Atmosphärisch ragt auch dieser „Tatort“ heraus, die Synthie-Prog-Musik von Tangerine Dream schoss in die Charts und die ‘80er-Jahre-Stimmung passt ideal zur jungen Frau zwischen Selbstbewusstsein und Verunsicherung – eine Dekade, in der man eine solche Geschichte noch innerhalb eines TV-Krimi-Formats auf diese etwas naive Weise erzählen konnte, ohne dadurch negativ aufzufallen. Melancholie und Aufbruchsstimmung reichen sich in „Das Mädchen auf der Treppe“ die Hand.
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Bornholmer Straße

„Hier schießt keiner!“

Der zum 25. Jubiläum der Maueröffnung öffentlich-rechtlich produzierte Fernsehfilm „Bornholmer Straße“ aus dem Jahre 2014 erzählt die Geschichte des Falls der Berliner Mauer, genauer: der Öffnung des Grenzübergangs Bornholmer Straße am 9. November 1989 aus Sicht der DDR-Grenzbeamten in Form einer Dramödie. Die Regie führte Christian Schwochow; das Drehbuch stammt von seinen Eltern Heide und Rainer Schwochow, die seinerzeit zu Zeitzeugen der Geschehnisse wurden und sich an der Dokumentation „Der Mann, der die Mauer öffnete. Warum Oberstleutnant Harald Jäger den Befehl verweigerte und damit Weltgeschichte schrieb“ von Autor Gerhard Haase-Hindenberg orientierten.

„Was ist bloß mit unserem Land passiert?!“

Nach bzw. während der Massenproteste und Ausreisewellen ihrer Bevölkerung über Ungarn und die Tschechoslowakei hatte die DDR-Regierung im Oktober 1989 eine kontrollierte Grenzöffnung geplant, die im Dezember 1989 wirksam werden sollte. Aufgrund der Zuspitzung der Lage sollte die Möglichkeit der legalen Ausreise schließlich vorgezogen werden, die ab dem 10. November, 4:00 Uhr morgens gelten sollte. In der Pressekonferenz zur Tagung des SED-Zentralkomitees war Günter Schabowski unvorbereitet und schlecht informiert, sodass er auf Fragen von Journalisten die Grenzöffnung bekanntgab und fälschlicherweise verlautbaren ließ, diese trete sofort in Kraft. Als sich daraufhin zahlreiche DDR-Bürger vor den Grenzpunkten versammelten, fielen die Grenzschützer aus allen Wolken, denn sie hatten keinerlei offiziellen Informationen und Anweisungen erhalten. Sie wussten nicht, wie sie reagieren und mit der Situation umgehen sollten, waren plötzlich auf sich allein gestellt. Als einer der ersten Grenzposten öffnete derjenige an der Bornholmer Straße unter Leitung Harald Jägers die Grenzen und trug damit zum friedlichen Verlauf des historischen Ereignisses bei. In diesem Film wurde er zu Oberstleutnant Harald Schäfer, gespielt von Charly Hübner („Hardcover“).

„Macht das Tor auf, wir kommen wieder!“

Alltag bei den Grenztruppen der Bornholmer Straße: Ein kleiner Hund wird wegen Grenzverletzung „festgenommen“, was eine willkommene Abwechslung darstellt. Ansonsten ist nicht viel los. Doch dann: Schabowsksi unverantwortliches, unwürdiges Gestammel, live übertragen in Funk und Fernsehen. Oberstleutnant Schäfer kann’s nicht fassen. Als die ersten Ausreisewilligen und Neugierigen den Grenzpunkt aufsuchen, lautet die Parole zunächst, die Menschen wegzuschicken. Bei den Grenzern kommt es zu Verwirrung und Diskussionen untereinander. Man glaubt, die Verantwortung an die Volkspolizei abgeben zu können, doch die lehnt ab. Schäfer und seine Truppe erwarten telefonische Anweisungen von „Genosse Oberst“ (Ulrich Matthes, „Herr Ober!“), doch dieser hat auch keine parat. Schäfer versucht, die Leute loszuwerden und die Grenzer versichern sich gegenseitig ihrer sozialistischen Überzeugungen, die jedoch langsam bröckeln. Einer, Burkhard (Max Hopp, „Der Turm“), verliert die Nerven und will schießen, doch Schäfer weiß dies zu verhindern. Der Botschafter aus Mosambik will durch, die Presse ist vor Ort, es wird immer chaotischer und unkontrollierbarer, kommt zu Handgreiflichkeiten. Burkhard ist mittlerweile verzweifelt und heult. Dann endlich – ein Befehl von „oben“! Provokateure sollen klammheimlich ausgebürgert werden, indem man sie nach ihrer Stippvisite in den Westen nicht wieder zurücklässt. Den Grenzern stellt sich jedoch immer stärker die Sinnfrage, denn dieser Befehl trennt auch Ehepaare. Schäfer setzt sich schließlich darüber hinweg und befiehlt die Öffnung des Schlagbaums.

Das Mischgenre der Dramödie erlaubt es den Schwochows & Co., trotz bekannter Faktenlage relativ frei mit dem Stoff umzugehen. So wird er beispielsweise um ein Beziehungsdrama um einen Grenzer und dessen Freundin erweitert und die Grenzposten werden durch diverse Überzeichnungen karikiert. Gleichzeitig werden sie Dank der Perspektive auch als emotionale, empathiefähige Menschen gezeigt und es wird deutlich, was in ihnen vorgegangen sein muss. Die schauspielerischen Leistungen des hochklassig besetzten Films sind herausragend und treffen meist den richtigen Ton. Schwochow und allen Beteiligten gelingt das Kunststück, die Handlung trotz bekannten Ausgangs spannend zu erzählen, ein ergreifendes Finale zu entwickeln, ohne auf die Kitschtube zu drücken und so ein unfassbar wichtiges, entscheidendes Stück nicht nur deutscher, sondern europäischer, ja, Weltgeschichte äußerst angenehm aufzubereiten und dabei die immer machtloser gewordene DDR-Exekutive zwar bisweilen zu veralbern, aber auch ihre menschliche Seite und ihre Konflikte erfahrbar, nachvollziehbar zu machen. Die Lage hätte damals ohne weiteres eskalieren, Blutvergießen und Tote die Folge sein können. Dass es friedlich blieb, ist einer der größten Verdienste des DDR-Apparats, vom ehemaligen Generalsekretär und Staatsratsvorsitzenden Egon Krenz, der seinerzeit endlich die Nachfolge des starrköpfigen Honeckers antrat und im Vorfeld jeglichen Schusswaffengebrauch gegen Demonstranten untersagte, bis hin zum besonnen bleibenden Grenzposten wie Schäfers reales Vorbild Jäger.

Unerträglich allerdings ist es, wie ausgerechnet Wendehals und Opportunist Schabowski sich im Nachhinein für die Grenzöffnung hofieren und feiern ließ, denn hätten die vollkommen unvorbereiteten Grenzposten, Polizisten etc. anders reagiert, hätte er dies mitzuverantworten gehabt – und in welche Situation er nicht nur sie, sondern auch das normale Volk brachte, ist bereits schlimm genug.
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