bux t. brawler - Sein Filmtagebuch war der Colt

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Moderator: jogiwan

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buxtebrawler
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Griechische Feigen

„Ist das gut für die Potenz?“

Sigi Rothemund alias Siggi Götz war Stammregisseur der deutschen „Lisa-Film“-Produktion und steuerte zu Beginn seiner Karriere u.a. bayrische Softsex-Klamotten bei. Glücklicherweise ließ er sich darauf jedoch nicht abonnieren und suchte beispielsweise für den 1976 veröffentlichten „Griechische Feigen“ auch Drehorte abseits süddeutscher Alpenfolklore auf. Diese Erotik/Softsex/Coming-of-Age-Dramödie führt bundesdeutsche Sexploitation in eines der beliebtesten deutschen Urlaubsländer: Griechenland.

„Wenn ich diese Schlampe finde, dann schlag’ ich sie zusammen, dass sie ihre Titten rückwärts trägt!“

Patricia (Betty Vergès, „Graf Dracula in Oberbayern“) weilt in Griechenland und sieht es gar nicht ein, zurück nach Deutschland zu kommen, um zu studieren. Das Rückflugticket, das ihr ihre Eltern beschafft haben, gibt sie kurzerhand weg und beschließt, zunächst im Urlaubsparadies zu verweilen. Die freizügige, selbstbewusste junge Frau befindet sich auf der Suche nach erotischen Abenteuern. Diese findet sie, gerät jedoch auch in gefährliche Situationen und lernt schließlich den Segler Tom (Claus Richt, „Das Wirtshaus der sündigen Töchter“) kennen, in den sie sich verliebt. Hat sie ihre Odyssee zu ihrer großen Liebe geführt?

„Wieso denken alle Leute nur ans Bumsen, wenn sie mich sehen?“

Die nach anfänglichen Nacktszenen im Kreise ihrer Eltern und derer Gäste (!) zunächst noch eine geschmacklich fragwürdige Coca-Cola-Jacke tragende Patricia foppt einen verlogenen Ehemann, entkommt einem Vergewaltigungsversuch wehrhaft, empört eine Britin (und deren Mann) und ist schließlich mit dem Auto der Vergewaltiger (Karl Heinz Maslo, „Popcorn und Himbeereis“ und Eric Wedekind, „Sonne, Sylt und kesse Krabben“) unterwegs, während diese gezwungen sind, sie per pedes zu suchen. Sie beobachtet ein Paar beim Sex im Zelt, der griechische Ficker liefert eine Gesangseinlage und als sie Tom kennenlernt, tischt sie ihm erst mal Lügengeschichten auf, bevor sie’s mit ihm treibt – Tom ist nämlich endlich mal ein netter Zeitgenosse.

„Ich fühl’ mich nackt am wohlsten!“

Die Sexszene fällt als zwischenzeitlicher Höhepunkt recht lang aus, leider agiert die Kamera sehr unruhig. Bilder vom Nacktbaden, Knutschen am Strand und weiterem Sex wurden indes durchaus erotisch eingefangen. Gerhard Heinz’ lockerer Gute-Laune-Soundtrack und schöne touristische Aufnahmen des Drehorts besorgen bisweilen tatsächlich so etwas wie sinnliche Urlaubsstimmung, bis die vulgären Dialoge sich erneut Bahn brechen und kuriose Szenen wie Patricias Stehpinkeln vom Boot für Stirnrunzeln und Amüsement gleichermaßen sorgen. Auf einer Feier wird stilecht Sirtaki getanzt, bevor sie ihre Vergewaltiger wiedertrifft und Tom zunehmend eifersüchtig wird, Patricia dadurch zu nerven beginnt. Ihm gegenüber behaupten die Sittenstrolche gar, Patricia sei eine Prostituierte, woraufhin Tom sie rausschmeißt. Dies triebt sie in die Arme eines Einheimischen, dem sie sich für ein Schäferstündchen hingibt. Beim anschließenden Wiedersehen streiten Patricia und Tom erneut und trennen sich voneinander.

„Ich zeig’ gern meine Brüste!“

Sie trifft auf einen blonden deutschen Fotografen in Leopardenweste und beteiligt sich an Nacktfotoaufnahmen zusammen mit Fotomodell Amanda (Olivia Pascal, „Die Säge des Todes“). Die Nacktbadeaufnahmen beider zählen zu den schönsten des Films und sind dessen erotisch-ästhetischer Höhepunkt. Sie machen ein bisschen miteinander herum, um den Fotografen aufzugeilen, was grundsätzlich gelingt, doch fotografiert er sie dabei ohne ihr Einverständnis. Eigentlich vermisst sie ihren Tom, wie ihr Reisetagebuch, das sie immer wieder resümierend und nachdenklich auf Tonband spricht, belegt. Bevor sie Tom zu Hause aufsucht, verarscht sie noch den deutschen Urlauber Martin Müller (Walter Kraus, „Cola, Candy, Chocolate“) und trifft sogar den Zeltficker wieder. Tom jedoch liegt mit einer anderen im Bett, als sie ihn zu Hause antrifft. Doch nachdem sie zu Toms Mitbewohner (Henner Quest, „Mache alles mit“) in die Badewanne gestiegen ist, finden die beiden jung Verliebten doch noch zueinander, Tom beendet sogar die Beziehung zu seiner langjährigen Freundin für Patricia.

„Wer ist die Dicke da drüben?!“

„Griechische Feigen“ stellt mit Betty Vergès als Patricia eine attraktive, freizügige Schauspielerin in den Mittelpunkt, die es eigenartigerweise lediglich auf vier Spielfilme brachte. Ihre Rolle als rotzfreches, mutiges Mädchen voller Selbstvertrauen weiß zu gefallen und der Film scheint bisweilen gar vor den negativen Erfahrungen warnen zu wollen, die einem solchen Wildfang widerfahren können. Es fällt „Griechische Feigen“ jedoch schwer, stets den richtigen Ton zu treffen und wenngleich Patricia auch immer mal wieder ihre leiseren bis traurigen Momente hat, schien man die ungezwungene Stimmung mehr oder weniger aufrecht erhalten zu wollen, was zu einem seltsamen Wechselbad der Gefühle und einem Tiefgang grundsätzlich anbietenden, jedoch vornehmlich um Oberflächlichkeit bemüht bleibenden Filmerlebnis führt, das außerdem immer wieder mit seiner ungestelzten, ordinären Sprache überrascht bis irritiert. Im Schnelldurchlauf in Form eines sexuellen Selbsterfahrungstrips schien man auch jugendliche Suche nach ehrlicher Liebe abhandeln zu wollen, was „Griechische Feigen“ zumindest formal um einen gewissen Herzschmerzfaktor erweitert, aber natürlich kaum glaubwürdig erscheint. Letztlich ist natürlich alles darauf ausgerichtet, ein heterosexuelles männliches Publikum bei der Stange zu halten, was einigen Kapriolen und der unausgewogenen Stimmung zum Trotz angenehm wenig frauenfeindlich gelingt und männlichen Chauvinismus ebenso wie Eifersucht und weitere ungute Eigenschaften aufs Korn nimmt, wie ich es von einem ’76er Rothemund nicht erwartet habe. Olivia Pascals Nebenrolle in Kombination mit einer stilvollen Kameraarbeit veredelt dieses aus dem unübersichtlichen Wust deutscher Sexklamotten, Erotikkomödien und Sexploitation herausstechende Exponat.
Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
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Die Vidioten

„Mich interessiert nur eins: Videospiele!“

US-Low-Budget-Regisseur Greydon Clark begann seine Karriere in den 1970ern mit Blaxploitation-Beiträgen wie „Tom“ und „Black Shampoo“, bevor er diverse Genres exploitativ beackerte. Sein 1980er-Science-Fiction-Film „Alien Shock“ ist möglicherweise sein bekanntester. Nach der Slasher-Parodie „Wacko... da wackelt die Bude“ folgte 1983 die Komödie „Die Vidioten“ alias „Joysticks“ (so der Originaltitel), die der Arcade-Videospiel-Kultur ein, nun ja… filmisches Denkmal setzte. Oder so.

„Das ist nicht nur ein Spiel!“

River Citys Jugend rennt dem Videospielhallenbetreiber Jefferson (Scott McGinnis, „Star Trek III - Auf der Suche nach Mr. Spock“) förmlich die Türen ein. Der nerdige Berufsanfänger Eugene (Leif Green, „Grease 2“) und der etwas abgeranzte Game-Crack Dorfus (Jim Greenleaf, „Night Shift - Das Leichenhaus flippt völlig aus“) helfen vor Ort, den Betrieb aufrecht zu erhalten. Der spießige alte Sack Joseph Rutter (Joe Don Baker, „Ein Mann nimmt Rache“), genannt Onkel Joe, jedoch sieht das schändliche Treiben gar nicht gern und sucht nach einer Möglichkeit, die Pforten schließen zu lassen. Im Anführer der Videospiel-Punks „Die Vidioten“ (Jon Gries, „The Party Is Over... Die Fortsetzung von American Graffiti“) findet er einen Verbündeten, denn dieser ist seit seinem Rausschmiss aus der Zockerhalle gar nicht mehr gut auf Dorfus & Co. zu sprechen…

„Die Vidioten“ ist ein typisches Produkt des ‘80er-US-Zeitgeists, eine knallbunte Komödie voll infantilen, pubertären, derben (Fäkal-)Humors, heillos überzeichneter Charaktere, dargestellt durch chargierende Schauspieler, und vielen nackten Brüsten. Von besonderem Interesse ist es für mich auch immer, wie Punks in älteren Filmen repräsentiert werden: Mit seiner spielautomatensüchtigen, völlig überdrehten Punk-Clique, den „Vidioten“, nimmt diese Variante zweifelsohne einen der vordersten Plätze auf der Kuriositätenskala ein. Jim Greenleaf erinnert in seiner Rolle als Dorfus fatal an John DiSanti aus „King Frat“, nicht zuletzt, weil er ein ähnlich radikaler Flatulenzer ist (im Übrigen auch ein erstaunlicher guter Schauspieler für eine Produktion wie diese). Interessanterweise schien die Jugend ferner bereits damals Sneakersocken zu tragen, die ich bisher als Trend des aktuellen Jahrzehnts verbucht hatte.

Nach einer unfassbaren Gerichtsverhandlung, die zu sehen eigentlich fast schon die Sichtung dieses Kleinods lohnt, dreht sich die Handlung auf der Beklopptenspirale immer weiter hoch: Ein Videospiel-Duell zwischen „King Vidiot“ stellvertretend für den sinisteren Onkel Joe, welcher dem Punk ein eigenes Videospiel versprochen hat, und dem nie spielenden Enkel des Besitzers, Betreiber Jefferson, wird anberaumt – und es geht um nicht weniger als die Existenz der Spielhalle (und damit offenbar der gesamten Jugend River Citys)! Eine Rückblende offenbart, warum Jeff nicht m ehr spielt: Er lag nackt mit seiner Freundin Sandy (Erin Halligan, „Die Jagd nach dem Leben“) im Bett, als ihr Vater sie dabei erwischte, seine Tochter verprügelte und mit ihr wegzog – seither ist der Ärmste traumatisiert. Eugene nimmt sich seiner an und trainiert ihn fürs schicksalhafte Duell und der Bürgermeister hat derweil großen Gefallen an „Space Invaders“ gefunden…

Neben viel nackter Haut, die der Film integriert, als wäre es das Selbstverständlichste auf der Welt, dass sich hübsche junge Damen bevorzugt halbnackt bis nackt in Videospielhallen aufhalten, bekommt der Zuschauer auch viele schöne Bilder alter – damals zeitgenössischer – Arcade-Automaten zu sehen, die „Die Vidioten“ heutzutage einen großartigen Retro-Gamer-Anstrich verleihen. Im Hintergrund dudelt unablässig der Pop-Rock-Soundtrack und unterlegt diesen durchgeknallten Wahnsinn musikalisch, der mit einer solch dreisten Unbeschwertheit seinen Stiefel durchzieht, wie es sich heutzutage niemand mehr trauen würde – und falls doch, nur wie ein Abklatsch dieses und ähnlicher ‘80er-Knallbonbons des schlechten Geschmacks und der freiwilligen Debilität wirken könnte.

Was haben wir Spätgeborenen damals nur für geile Spielhallenpartys verpasst?!
Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
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Das Gehirn

„Ich habe keine Probleme mit Drogen, Sex und Alkohol!“

Ich auch nicht, höchstens ohne – ebenso ohne meine regelmäßige Dosis ‘80er-Horrorfilmchen und so griff ich eines Tages zu einem Film des US-Regisseurs Ed Hunt, von dem mir bis dato lediglich der Slasher „Totale Angst über der Stadt“ bekannt war. „Das Gehirn“, die US-amerikanisch-kanadische Koproduktion aus dem Jahre 1988, markierte dann auch das vorläufige Ende der Regiekarriere Hunts bis zu seinem Comeback-Versuch mit „Halloween Hell“ 2014.

„Dr. Blake ist ein Alien!“

Der verhaltensauffällige Schulrabauke James Majelewski („Die Doppelgänger“) wird von seinem Schulrektor ausgerechnet in die Obhut des Irrenarztes Dr. Blakes (der Mad-Scientist-erprobte David Gale, „Re-Animator“) gegeben, der im Lokalfernsehen die regelmäßige Psycho-Show „Unabhängiges Denken“ sendet und das Vertrauen der Kleinstadtbewohner genießt. Er soll Jugendliche wie Jim zur Räson bringen. Doch was niemand ahnt: Dr. Blake arbeitet mit einem überdimensionalen außerirdischen Gehirn zusammen, das er im Souterrain seiner Forschungsanstalt in einem Glaskasten hält und verkabelt hat. Dieser extraterrestrische Organismus entsendet, verstärkt durch die TV-Ausstrahlungen, manipulierende Hypnowellen, die die Jugendlichen zu durchgeknallten Mördern werden lassen – und dem Gehirn damit zu Wachstum und Macht verhelfen. James durchschaut das mörderische Spiel und setzt alles daran, das grausame Treiben zu stoppen…

„Ihre These ist eine absolut unwissenschaftliche Annahme!“

Im herrlich kruden Prolog werden eine Jugendliche und ihre Mutter von einem tentakeligen Riesenhirn angegriffen. Der Backfisch setzt sich gegen das Monstrum zur Wehr und ersticht dabei seine Mutter, denn der Angriff entpuppt sich als Halluzination mit tödlichen Folgen. James wiederum hat den höchsten IQ an seiner Schule, ist jedoch nicht ganz ausgelastet und spielt gern Streiche. Als er sich infolgedessen in Blakes Klapse wiederfindet, begegnet ihm nicht nur ein Genrestandard in Person eines irren Warners, sondern auch die sexy Arzthelferin Vivian (Christine Kossak, „Die Zeit der bunten Vögel“), die sich in James‘ Visionen (und damit dem Zuschauer) oben ohne zeigt. Als sie sich etwas später kritisch gegenüber Blakes Versuchen zeigt, wird sie leider vom Gehirn aufgefressen. Dieses hat sogar ein Gesicht, das stark an Iron-Maiden-Maskottchen Eddie erinnert. Im Auto wird der ausgebüchste James von Gehirn-Visionen angegriffen, wodurch er einen schweren Autounfall baut. Im Imbiss, in dem seine Freundin Janet (Cynthia Preston, „Prom Night 3 - Das letzte Kapitel“) arbeitet, kämpft er gegen das Gehirn an und demoliert dabei den Laden. Blakes Helfer (George Buza, „Sie kämpfen für die Freiheit“) fängt ihn dort wieder an und als Kumpel Willi (Bret Pearson) und Janet James zur Hilfe eilen, wird Willi zu Futter fürs Gehirn. Im Anschluss entwickelt sich eine Verfolgungsjagd mit der Polizei, an dessen Ende Blakes Assistent den nichts Böses ahnenden Polizisten erschlägt und kolportiert, James sei der Täter. Blake ruft über seine TV-Sendung zur Jagd auf James auf, der Rektor wird von seiner Frau mit einer Elektrosäge zerlegt und als sich James und Janet in der Schule verstecken, haben sie endlich ihren Sex miteinander – so hatte das ganze Elend also doch irgendwie etwas Gutes –, wenngleich Janet anschließend Zweifel an James Unschuld kommen (und während ich dies tippe, fällt mir die Doppeldeutigkeit auf – tiefgründiger Humor à la Ed Hunt!). Es kommt zu einer weiteren Verfolgungsjagd mit den Gesetzeshütern, das Gehirn knurrt ständig in seinem Glaskasten und kommuniziert schriftlich über einen Computer mit Blake, die nackte Vivian hat ein kurzes Comeback als Vision und im Finale gibt’s dann noch mal etwas Geschmodder. Blake leidet offenbar unter schwachem Bindegewebe, das Gehirn ist plötzlich riesengroß und James erinnert sich an seinen Sodium-Streich…

„Sehen Sie sich Ihr eigenes neurotisches Verhalten an!“

Man tat gut an der Wahl des Antagonisten, denn so kann dieses Vehikel niemand ernsthaft als hirnlosen Film bezeichnen. Das Gehirn ist aus Latex o.ä. handmodelliert, die Spezialeffekte entstammen ebenfalls der guten alten manuellen Schule und machen im Zusammenhang mit diesem Science-Fiction-Creature Feature Laune, wenn sie bisweilen auch arg durchschaubar ausgefallen sind. Trotz seiner Gewaltspitzen ist dieser in Kanada gedrehte Film nicht sonderlich blutig, was er auch nicht gebraucht hätte. Eine Hintergrundgeschichte liefert man indes leider nicht und so bleibt fraglich, woher genau das Gehirn kommt, was es sich davon verspricht, auf der Erde in einer US-Kleinstadt die Bevölkerung zu dezimieren, um im blöden Glaskasten Riesenwuchs zu betreiben – und was genau Dr. Blake davon hat. In erster Linie wird dadurch natürlich im Subtext Kritik an manipulativen Sekten und ähnlichen Organisationen betrieben, an geheuchelter Heile-Welt-Idylle und an fragwürdigen Umerziehungsmethoden für juvenile Delinquenten. In Kombination mit Mad-Scientist-Motiven sowie Verbeugungen vor bzw. Entlehnungen aus medienkritischen Klassikern wie Cronenbergs „Videodrome“ ist ein unterhaltsamer B-Movie entstanden, bei dem ich mir nicht ganz sicher bin, wie ernst er genommen werden möchte. Dramaturgische Durchhänger und die dünne, dafür umso beklopptere Handlung werden jedoch durch seinen unnachahmlichen ‘80er-Trash-Appeal und seine gerade auch grafische Plakativität weitestgehend abgefedert, die um Seriosität bemühten Schauspieler liefern in Ordnung gehende bis gute Leistungen ab und unterm Strich ist alles enthalten, was ein solcher Film braucht – wenn die einzelnen Versatzstücke von anderen Regisseuren und/oder Drehbuchautoren auch hochwertiger und stimmiger zusammengesetzt wurden.

Auf der deutschen Videohülle war zu lesen, dass dieser Film als Warnung verstanden werden solle. Vor fiesen Sekten? Wahnsinnigen Psycho-Docs? Der B-Film-Industrie? Alles falsch. Aufschluss gibt der Abspann:

„The washroom scene is a dramatic representation. Combining sodium and water may cause serious injury. Do not attempt it!!!“
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Das Bildnis der Doriana Gray

„Nachdem das Schicksal mich zur Untätigkeit bestimmt hat, ist Warten meine einzige Tätigkeit. Ein wechselndes Spiel zwischen tödlicher Langeweile und rauschhafter Gier, die ich mir selbst nicht erklären kann.“

Eine der zahlreichen Kollaborationen des spanischen Viel- und Low-Budget-Genrefilmers Jess Franco mit dem Schweizer Erotik-Produzenten Erwin C. Dietrich ist „Das Bildnis der Doriana Gray“ alias „Die Marquise von Sade“ aus dem Jahre 1976, ein pornographischer Sexfilm sehr frei nach Motiven Oscar Wildes („Das Bildnis des Dorian Gray“).

„Es ist das Schicksal der Schönheit, zerstört zu werden!“

Die mysteriöse lesbische Millionärin Doriana Gray (Lina Romay) lebt zurückgezogen nur mit ihrem Diener Ziros (Raymond Hardy, „Mädchen für intime Stunden“) auf einem alten Schloss. Ihre Zwillingsschwester (Lina Romay), von der sie bei der Geburt gewaltsam getrennt wurde, fristet ihr Dasein in Dr. Orloffs psychiatrischer Anstalt. Obwohl sich beide nicht kennen, sind sie doch miteinander verbunden: Während Doriana trotz sexueller Umtriebigkeit partout keine Lust empfinden kann und ihren Sexualpartner(innen) in vampiristischer Weise den Lebenssaft aussaugt, ist ihre Schwester permanent am Masturbieren - und empfindet die Orgasmen ihrer Schwester, wenn diese sich über neue Opfer hermacht. Als eine Reporterin (Monica Swinn, „Heiße Berührungen“) den Kontakt zu Doriana aufnimmt, erzählt Doriana ihr ihre Geschichte…

Doriana spricht aus dem Off zum Zuschauer, allein schon, weil ihr in ihrer Einsamkeit Kommunikationspartner fehlen. Ihr Zwilling singt und masturbiert derweil vor dem Spiegel in ihrem Zimmer, masturbiert vor der den Raum betretenden Krankenschwester (Peggy Markoff, „Down Town“) und lässt sich von Franco explizit auf den gigantischen Busch zoomen. Die Journalistin auf den Spuren Dorianas kommuniziert ebenfalls aus dem Off verbal mit dem Rezipienten und als sie schließlich aufeinandertreffen, haben sie im jeweiligen Gegenüber eine Gesprächspartnerin, um die Handlung weiterzuerzählen. Dies geschieht zunächst in Rückblenden, die die sexuellen Erlebnisse der in einem durchsichtigen rosa Kleid mehr ent- denn verhüllten Doriana illustrieren. So berichtet Doriana der neugierigen und faszinierten Reporterin von ihrem Treffen mit einer Pornodarstellerin in einem Hotel, was in leider nicht sonderlich ästhetisch gefilmtes, explizites Gefingere und Gelecke mündet. Am nächsten Tag sei die Aktrice tot aufgefunden worden…

Seit der Trennung von ihrer Zwillingsschwester seien ihr Sexualempfinden sowie der Verstand ihrer Schwester gestört. Franco zoomt lange auf das Gesicht der Journalistin, die sich schließlich an Doriana heranmacht, während diese Klavier spielt. Von Ziros erbittet sich Doriana Hilfe in Form einer Kraftspende, woraufhin sie Oralverkehr mit ihm zu haben scheint. Ihre entblößte Schwester singt derweil wieder. Als Ziros und seine Freundin (Martine Stedil, „Frauengefängnis“) knutschen und Sex miteinander haben, integriert Franco immer wieder Gegenschnitte zur singenden Schwester vor einem Regenbogen im Firmament. Doriana räkelt sich im Schlaf, Franco findet weiter Gefallen an seinen Gegenschnitten und als es zwischen Ziros und seiner Freundin zur Penetration kommt, erwacht Doriana und schreit auf. Der Sexualakt bleibt dem Zuschauer leider nicht vorenthalten, in Großaufnahme von hinten gefilmt ist er im wahrsten Sinne des Wortes für den Allerwertesten. Ebenso unansehnlich ist das Schamhaargelecke, als Doriana Ziros Freundin weckt und verführt. Doriana tut der Dame dabei offenbar weh, sodass sie sich wehrt, doch Ziros fixiert sie. Dies gipfelt in einem schlecht gespielten Entsetzensschrei der Schwester, die daraufhin ekstatisch masturbiert. Und noch immer mag Franco seine Gegenschnitte.

Dorianas Schwester schreit nach Hilfe und erzählt dem herbeieilenden Arzt, jemand habe eine andere totgebissen. Franco wackelt mit der Kamera um Säulen herum, zwischen denen Doriana und die Pressedame sich unterhalten. Doriana befriedigt Ziros oral, ihre Schwester wirft sich wieder masturbierend im Bett umher. Ziros überlebt seinen Orgasmus nicht, Dorianas Schwester sehnt sich ihren Zwilling herbei und die Journalistin liegt nackt im Bett, woraufhin es wieder haarig wird: Cunnilingus in 69er-Stellung usw., bis auch die Vertreterin der schreibenden Zunft das Zeitliche segnet. Auf diesen Schreck hin zoomt Franco extrem auf die Vagina der Schwester, die erneut vor der Krankenschwester masturbiert, welche sich ihrer erbarmt, sich auszieht und mithilft, woraus sich ein Sexualakt zwischen beiden entwickelt.

(Achtung, Spoiler!) Endlich besucht Doriana ihre Schwester, es kommt zur „Aussprache“: Doriana leckt ihre Schwester, bis diese stirbt, geht baden, masturbiert - und empfindet endlich etwas… Franco arbeitet für diesen starken Tobak viel mit Bildunschärfen, unscharf in mehrerer Hinsicht bleibt jedoch generell sein Film: Ohne zu wissen, was wohl Oscar Wilde zu Francos kruder „Adaption“ gesagt hätte, sticht natürlich ins Auge, dass „Das Bildnis der Doriana Gray“ ähnlich wie zuvor „Entfesselte Begierde“ als eine Art One-(and some other)-Girl(s)-Show für seine damalige Muse und spätere Ehefrau Lina Romay konzipiert wurde. Dafür eine Doppelrolle in einem derart halbgaren Porno- und Horror-Sex-Film einzunehmen, erscheint mir jedoch arg verschwenderisch. Der nicht uninteressante Dualismus-Ansatz muss einer eruptiv wirkenden Umsetzung weichen, in der sowohl mit Romay als auch Franco die Gäule mehr als einmal durchzugehen scheinen und statt Wert auf Ästhetik und einer gewissen Ausgewogenheit lieber brachial gezoomt, masturbiert und chargiert wird. So richtig erotisch ist all das jedenfalls nicht. Wenn mein Kritikerkollege Christian Genzel abwertend, nichtsdestotrotz amüsant behauptet, Romay verfüge lediglich über zwei Gesichtsausdrücke, nämlich bekleidet und nackt, muss ich das zwar zurückweisen, jedoch unumwunden zugeben, dass sie hier ihr schauspielerisches Potential ganz sicher kaum ausgeschöpft hat und nicht immer eine gute Figur macht. Kein Wunder, wenn man ständig die Finger in der Möse hat und die entsprechenden Szenen wie First Takes wirken. Dies verhindert dann auch leider ziemlich erfolgreich, dass sich so etwas wie eine Atmosphäre etabliert, in deren Kontext der Film auch nur ansatzweise ernstzunehmen wäre. Zudem mutet das alles doch arg billig an, als sei man nach dem Motto verfahren: Romay sells, (viel) mehr brauchen wir nicht. Zu unscharfen Bildern gesellen sich also unscharfe (im Sinne von ungeile) Sexszenen innerhalb einer unscharf im Sinne von unklar bleibenden Handlung insofern, als sie wie fragmentarisches Beiwerk zu einer Nacktnummernrevue erscheint, die mehr zeigt, als man eigentlich sehen möchte.
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Der Fluch

„Wer bist du? Du bist... du bist so kalt! Was ist das für ein Kind?!“

Der deutsche Regisseur Ralf Huettner ist mit Komödien wie „Texas – Doc Snyder hält die Welt in Atem“ (mit Helge Schneider) und „Voll normaaal“ (mit Tom Gerhardt) in den 1990ern populär geworden, hat jedoch bereits in den 1980ern seine Karriere begonnen. Nach „Das Mädchen mit den Feuerzeugen“ war „Der Fluch“ aus dem Jahre 1988 sein zweiter abendfüllender Spielfilm, ein weitestgehend in Vergessenheit geratener (weil auch nie fürs Heimkino ausgewerteter) Heimat-Mystery-Thriller, dessen Drehbuch Huettner zusammen mit Andy T. Hoetzel verfasst hatte.

Die achtjährige Melanie (Romina Nowack) ist augenscheinlich ein ganz normales Mädchen, das von seinen Eltern (Barbara May, „Ein Kaktus ist kein Lutschbonbon“ und Dominic Raacke, „Die Rache der Kannibalen“) zu einer Wanderung durch die Alpen mitgenommen wird. Doch nachdem sie abends mit ihrem Fahrrad durch eine geisterähnliche schemenhafte Gestalt hindurch gefahren ist und eine alte Frau (Ortrud Beginnen, „Einer von uns beiden“) in Entsetzen versetzt hat, scheint sie sich im Laufe des Ausflugs zu verändern: Heimlich lässt sie die Wanderkarte der Eltern verschwinden, sodass sie sich verirren und sich gezwungen sehen, in einer kleinen Kapelle, zu der Melanie sie auf mysteriöse Weise führt, die Nacht zu verbringen. Dort finden sie die Leiche eines Mädchens, das Melanie wie aus dem Gesicht geschnitten scheint. Den Eltern ist diese Kapelle wohlbekannt, einst verbrachten sie dort eine Liebesnacht... Ganz allein scheinen sie auch nicht zu sein, drei Kinder scheinen sich ebenfalls in den Bergen aufzuhalten und aus der Ferner ertönt rätselhafter Gesang. Am nächsten Tag wird die Leiche mithilfe der Bergwacht geborgen und während die Familie in einem Hotel untergekommen ist, beginnt Melanies Vater, auf eigene Faust den Ereignissen auf den Grund zu gehen – und wird mit einer Sage von vier Mädchen konfrontiert, die mit dem Teufel im Bunde gestanden hätten und nie aus den Bergen zurückgekehrt seien, in die man sie verschleppt habe. Melanie scheint in Verbindung mit dieser Sage zu stehen und reißt aus...

Jeder, der aus seiner cineastischen Thematisierung oder Verarbeitung der Alpen etwas anders als trutschigen Trachten-Trash macht, hat bei mir schon mal einen Stein im Brett. Huettner nutzt diese als Hintergrund und Panorama einer mysteriösen Schauermär, die das übermächtige, uralte Gebirge als verwunschenen Ort dunkler Geheimnisse in beeindruckenden Bildern in Szene setzt und seine ruhige, entschleunigte Erzählweise bar jeglicher Effekthascherei aufwendet, damit die von familiärer Entfremdung und Melancholie bestimmte Atmosphäre langsam, aber beständig die Wirbelsäule des Zuschauers hinaufkriecht und schließlich Gänsehaut verursacht. Ausgeleuchtet in den kühlen Blautönen eines Gebirgsbachs bedient sich „Der Fluch“ einer düsteren Poesie, deren Inhalt irreale kindliche Fantasie ist, die sich in beängstigender Weise manifestiert, ohne rational oder physikalisch greifbar zu werden und die der Welt der Erwachsenen verschlossen bleibt, wenngleich sie ihre Konsequenzen ohnmächtig tragen müssen: den schleichenden Verlust des eigenen Kinds, das stärkeren Banden ausgesetzt scheint als den eigenen familiären – wahrlich eine Horrorvorstellung nicht nur für Eltern, die sich immer wieder (scheinbar?) unbedarften Kinderfragen nach Übernatürlichem und Tod ausgesetzt sehen. Gleichzeitig fungiert „Der Fluch“ als eine metapherreiche Allegorie auf die abenteuerlustige, furchtlose, neugierige Sehnsucht und Spontaneität von Kindern, die, einmal beispielsweise durch einen Ortswechsel aus der Alltagstristesse heraus angeregt, ausbricht und neue, eigene Wege aufzeigt, die entscheidende Impulse im Prozess der Emanzipation von den Eltern setzen.

Sicher, ab und zu hilft Kommissar Zufall etwas sehr viel, wenn der spätere „Tatort“-Kommissar Raacke versucht, das Geheimnis zu ergründen, und für meinen persönlichen Geschmack bleibt nicht nur etwas zu viel nebulös, sondern wird auch Potential der Geschichte verschenkt, wenn die Hintergrundgeschichte mehr oder weniger lediglich erahnbar bleibt. Andererseits hatte man mit Romina Nowack für die Hauptrolle eine erstaunlich talentierte, ausdrucksstarke Kinderdarstellerin entdeckt, der die unheimliche Aura, mit der Huettner sie für diesen Film versah, wunderbar zu Gesicht steht, die jedoch unverständlicherweise leider – von einem Auftritt in einer TV-Serie einmal absehen – offenbar nie wieder vor einer Filmkamera stehen sollte. In Nebenrollen sind ferner ein junger Tobias Moretti („Kommissar Rex“) und Barbara Valentin („Die Insel der blutigen Plantage“) zu entdecken.

Nur ein Jahr später verfilmte der deutsche Regisseur Georg Tressler mit „Sukkubus – Den Teufel im Leib“ die schweizerische Alpensaga um das Sennentuntschi, das 2010 unter der Regie Michael Steiners ein Comeback feierte. „Der Fluch“ dürfte in dieser Troika des „etwas anderen Alpenheimatfilms“ der unbekannteste sein, hätte es gleichwohl aufgrund seiner Qualitativ und der generellen Seltenheit dieser Sorte Film verdient, (wieder-)entdeckt zu werden.
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A House in the Hills

„Sie sind keine gute Schauspielerin!“

In Genrefilmkreisen genießt US-Regisseur Ken Wiederhorn eine gewisse Popularität aufgrund seines Beitrags zur „Return of the Living Dead“-Reihe im Jahre 1988. Nach einigen Folgen für die Serien „Freddy's Nightmares“ und „Die Verschwörer“ drehte er daraufhin nur noch einen einzigen Spielfilm, den ohne phantastische oder komödiantische Elemente auskommenden Thriller „A House in the Hills“ der 1993 in US-luxemburgischer Koproduktion entstand.

„Wundert mich, dass sich ’n Typ wie du für so’n Scheiß interessiert!“

Die junge und attraktive Kellnerin Alex Weaver (Helen Slater, „Supergirl“) träumt von einer Schauspielkarriere und absolviert ein Casting nach dem anderen. Als sich die Gelegenheit eröffnet, evtl. eine Rolle in einer Seifenoper zu bekommen, nimmt sie dankend das Angebot ihrer Bekannten Susie (Toni Barry, „Proteus – Das Experiment“) an, diese am Wochenende als Housesitterin in einem luxuriösen Anwesen in den Hollywood Hills zu vertreten. Die Zeit möchte sie nutzen, um sich in Ruhe auf das Vorsprechen vorzubereiten. Das Haus gehört dem vermögenden Ehepaar Rankin (Elyssa Davalos, „Die Rückkehr der Semmelknödelbande“ und James Laurenson, „The Wall“), das das Wochenende auf einer Yacht verbringen möchte. Der Grund: Seit einem Mordfall herrscht Mrs. Rankin zu viel Trubel in der Wohngegend. Als sich die unbedarfte Alex allein im Gebäude befindet, verschafft sich der ehemalige Sträfling Mickey (Michael Madsen, „Reservoir Dogs“) unter einem Vorwand Zutritt, weil er sich an den Rankins rächen möchte. Er nimmt Alex als Geisel und wartet. Mit der Zeit beginnen die beiden jedoch, sich füreinander zu interessieren, immer wieder jäh gestört vom neuen Nachbarn Willie (Jeffrey Tambor, „Samstag, der 14.“) – der ebenfalls ein anderer ist, als er zu sein vorgibt…

Wiederhorn weiß, wie er sein Publikum abholt und eröffnet seinen Film direkt mit einer kurzen Sexszene im Stehen, während der eine Frau im Pool ermordet wird. Sex & Crime werden also unmittelbar im Prolog suggeriert, bevor dem Zuschauer die einen schönen alten Käfer fahrende Alex vorgestellt wird, die nach einem Casting zum Recast eingeladen wird und, nachdem sie Susies Angebot angenommen hat, sich allein in der luxuriösen Wohnung oben ohne zeigt und sich durch den Kleiderschrank der Besitzerin wühlt. Als Fehler scheint sich zunächst zu erweisen, dass sie sich dem vermeintlichen Kammerjäger Mickey als Hausherrin vorstellt – er glaubt ihr nämlich zunächst kein Wort, als sie angesichts der von ihm ausgehenden Gefahr ihre Lüge richtigstellen will. Ein Foto bringt schließlich Klarheit, was ihn indes nicht daran hindert, sie zu fesseln. In dieser Konstellation wird viel geplaudert, für Alex scheint es Schlimmeres zu geben.

Dieses sich lediglich aus zwei Personen zusammensetzende Kammerspiel wird ergänzt, als der neue Nachbar Willie sich vorstellt und das Haus betritt. Alex versucht Mickey auszutricken, ein Katz-und-Mausspiel entbrennt – an dessen Ende steht, dass sie miteinander knutschen. Dank der gefesselten Alex haben diese Bilder einen starken Fetisch-Touch, wenngleich sie später erneut abzuhauen versucht, nachdem Mickey sie losgemacht hat. Als Willie wieder auftaucht, glaubt dieser nach einem Erklärungsversuch, Mrs. Rankin würde ihren Mann mit einem Kammerjäger betrügen. Plötzlich zeigt dieser selbst seine wahnsinnige Seite und will Alex misshandeln, woraufhin diese mit Mickey ein Team gegen Willie bildet. Als die Situation nach der Rückkehr der Rankins vollends eskaliert, muss gar sie ihren ehemaligen Peiniger Mickey beschützen.

Was hätte man aus dieser abenteuerlichen Dreiecksgeschichte nicht Aufregendes machen können, denn die Ansätze sind alle da: Das sog. Stockholm-Syndrom, eine zwischen Freiheitsdrang, Karrieregeilheit und Devotismus hin und her gerissene junge, attraktive Frau, Sado-Maso-Fetisch, Fesselspielchen, ein Racheplan und ein frei herumlaufender wahnsinniger Mörder inmitten einer Gegend der Reichen und Schönen. Trotz namhafter Schauspieler gerät „A House in the Hills“ unter Wiederhorn jedoch zu einem atmosphärisch drögen, unglaubwürdig und unrealistisch konstruierten hilflosen, halbherzigen Versuch eines Erotik-Thrillers, der letztlich viel zu zahm und unentschlossen ist und mit seiner ’90er-TV-Optik ebenfalls enttäuscht. Dass auch an der Ehe der Rankins die Vorfälle nicht folgenlos vorübergehen, mag als Pointe einer falschen Idylle, in der sich durchweg psychologisch auffällige Figuren bewegen, in gewisser Weise befriedigend sein. In seiner Gesamtheit bleibt Wiederhorns letzte Regiearbeit aber leider weit unter ihren Möglichkeiten zurück – was irgendwie symptomatisch für sein Œuvre ist.
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Die tödlichen Bienen

„Hier werden Sie keine Gelegenheit zum Reiten haben!“

Freddie Francis, wohlbekannter britischer Genre-Regisseur, war 1967 richtig fleißig: Neben dem „Amicus“-Episodengrusler „Der Foltergarten des Dr. Diabolo“ und der Science-Fiction-Gurke „Sie kamen von jenseits des Weltraums“ drehte er, ebenfalls für die „Amicus“-Produktion, den mutmaßlich ersten Bienenhorrorfilm: „Die tödlichen Bienen“, dem der (mir unbekannte) Roman „A Taste for Honey“ des Schriftstellers H.F. Heard zugrunde liegt. Um einen reinrassigen Beitrag zum Tierhorror-Subgenre handelt es sich jedoch nicht, vielmehr um eine Mischung mit Elementen des klassischen Kriminalfilms.

„Hier gibt‘s keine kreischenden Teenager!“

Sängerin Vicki Robbins (Suzanna Leigh, „Bestien lauern vor Caracas“) hat einen Zusammenbruch erlitten, weshalb ihr Arzt ihr eindrücklich eine Auszeit verordnet. Ihr Manager ist zwar dagegen, doch das hält die junge Frau nicht davon ab, die Pension auf dem Anwesen Ralph Hargroves (Guy Doleman, „Bei Anruf Mord“) und seiner Frau Mary (Catherine Finn, „Der Teufel tanzt um Mitternacht“) aufzusuchen, das sich auf einer idyllischen Insel befindet. Da sie außerhalb der Feriensaison anreist, herrschen perfekte Bedingungen für nachhaltige Erholung. Ralph betätigt sich zudem als Imker, sein Nachbar Mr. Manfred (Frank Finlay, „Teufelskreis Y“) tut es ihm gleich. Zwischen beiden schwelt jedoch schon seit langem ein Konflikt. Vicki beobachtet seltsame Verletzungen an einem Pferd und kurz darauf wird der Hund der Hargroves von Bienen tödlich gestochen. Es dauert nicht mehr lang, bis das erste Menschenopfer zu beklagen ist. Mr. Manfred hegt den Verdacht, dass Hargrove Killerbienen züchte und bittet Vicki um Mithilfe – sie soll dazu beitragen, den Ereignissen auf den Grund zu gehen, gerät dadurch jedoch selbst in Gefahr…

Der Prolog zeigt, wie einem Ministerium schriftlich mit Todesbienen gedroht, diese Drohung jedoch nicht ernstgenommen wird. Einem TV-Auftritt der „Birds“, was eine Anspielung auf Hitchcocks gleichnamigen genredefinierenden Tierhorrorfilm sein dürfte, folgt Vickis Playback-Auftritt, während dessen sie ihren Zusammenbruch erleidet. Die Insel schließlich scheint zunächst das perfekte Kontrastprogramm zu bieten, betont idyllisch führt Francis sie ein. Erste Misstöne werden laut, wenn Vicki vor Mr. Manfred gewarnt wird. Bald schon geht es Knall auf Fall und nach Familienhund Tess‘ Tod setzt Mrs. Hargrove Mr. Manfreds Bienenstöcke in Brand. Leider kann niemand die Insel verlassen, das nächste Boot fährt erst nächste Woche. Aus der anfänglichen erholsamen Idylle wird bedrohliche Isolation.

Als Mrs. Hargrove totgestochen wird, lässt Francis sein Spezialeffektteam von der Leine, bis Mr. Manfred die Insekten mittels eines hochfrequenten Tons in Schach halten kann. Unlängst befindet man sich inmitten eines klassischen Whodunit?-Spiels: Im Verhör gibt Mr. Hargrove zu Protokoll, seine Bienen seien es nicht gewesen. Da er sich mit seiner Frau im Streit befand, hätte er aber ein Motiv gehabt. Vicki entwendet Unterlagen sowie einen Fotofilm ihres Gastgebers, den Mr. Manfred entwickelt – und eine Adrenalintheorie aufstellt. Nachdem es auch Vicki mit den Viechern zu tun bekommen hat, wird sie von Alpträumen geplagt und sucht schließlich das Weite. Als Mr. Hargrove sie verfolgt, baut sie jedoch einen Unfall und findet sich unversehens in ihrer Pension wieder.

Trotz eines weiteren Todesopfers wirkt das alles doch reichlich angestaubt und unspektakulär. Dass da jemand permanent versucht, die Schuld auf Mr. Hargrove zu lenken, fällt natürlich ebenfalls früh auf. Nachdem der Täter sich endgültig zu erkennen gegeben hat, erklärt er sich in aller Ausführlichkeit, damit auch der beschränkteste Zuschauer kapiert, wie der Hase läuft. Dass die ärmste Vicki noch einmal in akute Lebensgefahr gerät, ist ebenso Usus wie die „reinigende“ Feuersbrunst am Ende, die ein verbreitetes Motiv gerade auch bei britischen Produktionen jener Zeit war. Zweifelsohne empfahl sich Suzanna Leigh mit ihrer Darbietung für weitere Produktionen und auch die übrigen Rollen wurden seriös und zielführend besetzt. An der orchestralen Musikuntermalung, die die jeweilige Stimmung reflektiert, gibt es ebenfalls wenig zu kritisieren. Und, ja, den „Hach…“-Effekt angesichts der Bilder der naturbelassenen Insel und der vermittelten Aussicht auf einen dreiwöchigen Urlaub ebendort habe ich wider besseres Wissen tatsächlich verspürt. Verkehrt ist das alles nicht. Doch seien wir ehrlich: Hitchcocks „Die Vögel“ hat vier Jahre zuvor Maßstäbe gesetzt, an die dieser Film abgesehen von den Schauspielern in keiner Weise heranreicht, nicht einmal in Sachen Spezialeffekte, die eher belustigend wirken. Derart stark auf den kriminologischen Aspekt zu setzen denn mehr aus seiner Insektenterror-Prämisse zu machen, ist eine vertane Chance. Doch sollte es stimmen, was ich irgendwo vernommen habe, nämlich dass der Film noch in der Produktion von ursprünglich über zweistündiger Laufzeit auf nicht einmal eineinhalbstündige heruntergekürzt wurde, würde dies einerseits die mangelhafte Dramaturgie erklären, andererseits aber auch eine Bewertung der eigentlich erbrachten Leistung unmöglich machen. Doch wie dem auch sei, die dritte „Dracula“-Fortsetzung „Draculas Rückkehr“, die Francis ein Jahr später umsetzte, stand ihm weitaus besser zu Gesicht.
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Jürgen – Heute wird gelebt

„In Polen sind noch Herzen frei…“

Nach seinem gefeierten Roman „Der goldene Handschuh“ um Hamburgers berüchtigtsten Serienmörder Fritz Honka kehrte Autor und Komödiant Mathias Halfpape alias Heinz Strunk für seinen jüngsten Roman „Jürgen“ zurück zu den ganz alltäglichen Verlierern ohne Morde auf dem Kerbholz. Schon vor seiner Veröffentlichung drehte die ARD an einer Verfilmung fürs Fernsehen, die am 20.09.2017 unter dem Titel „Jürgen – Heute wird gelebt“ zur besten Sendezeit erstausgestrahlt wurde. Die Regie führte Lars Jessen, der mit „Dorfpunks“ und „Fraktus“ bereits andere Projekte des Hamburger Klüngels um Strunk & Co. verfilmte. Die Hauptrolle übernahm Strunk selbst.

„Ich will ins Guinness-Buch der Rekorde!“

Die Bewohner des Hamburger Stadtteils Harburg Jürgen Dose (Heinz Strunk, „Fleisch ist mein Gemüse“) und Bernd Würmer (Charly Hübner, „Bornholmer Straße“) sind Männer mittleren Alters, Kumpels – und solo. Jürgen arbeitet als Pförtner und lebt mit seiner pflegebedürftigen Mutter zusammen. Bernd ist an den Rollstuhl gefesselt und sucht ebenso wie Jürgen Singlebörsen-Abende auf, nimmt an Speed Datings teil etc. – doch beide finden einfach keine Frau. Neue Hoffnung schürt das Unternehmen „EuropLove“, das Kontakte zu angeblich heiratswilligen Frauen in Polen vermittelt. Zusammen mit drei anderen Losern sowie dem wie Woody Allen aussehenden Dennis (Hendrik von Bültzingslöwen , „Familie verpflichtet“), den sie auf dem Weg in Dortmund abholen, treten sie im Kleinbus die Reise nach Stettin an. Dort werden sie tatsächlich von polnischen Damen erwartet, doch die Freundschaft der Harburger droht zu zerbrechen…

„Hallo, ich bin Bernd. Ich hab‘ seit zehn Jahren ‘nen hypoxischen Hirnschaden.“

Jürgen ist ein Klugscheißer vor dem Herrn, Bernd möglicherweise eine Art Hypochonder und Proll Knüppel (David Bredin, „Millionen“) stellt als Running Gag ständig vollends bekloppte Fragen. Jürgen hat hin und wieder Tagträume von zu absurder Dancefloor-Musik tanzenden, gutaussehenden Mädels, schafft es nicht, bei der resoluten Pflegekraft seiner Mutter zu landen und wird von ihr gar genötigt, seinen amourösen Trip vorzeitig abzubrechen, weil es seiner Mutter schlecht gehe. Strunk und Hübner schauspielern um die Wette in einer deutschen Tragikomödie, wie ich sie mag: Unprätentiös mit dem Blick für jene ausgestattet, die so oft übersehen werden, obwohl sie Legion sind, für die wirklich „Kleinen“ unter den „Kleinen Leuten“, die in einem unbefriedigenden Leben vor sich hin dümpeln, denen das Leben nicht mehr viel zu bieten hat und die sich trotzdem an ihre kleinen Strohhalme klammern, um wenigstens ein Stück vom als Normalität verkauften Kuchen abzubekommen, statt aufzubegehren oder sich alternative Nischen zu suchen.

„Zu welchem schrecklichen Gott betest du eigentlich?!“

Die Unwägbarkeiten, mit denen dieser Menschenschlag bzw. diese soziale Schicht sich herumplagen muss, werden exemplarisch am Beispiel der beiden Freunde durchexerziert, die im verglichen mit dem Image und Selbstbild der Hansestadt reichlich glanzlosen Harburg südlich der Elbe leben und die auch so etwas wie eine Zweckgemeinschaft bilden: Gegenseitig klagt man sich leid, greift sich aber auch unter die Arme. Ein fragiles Konstrukt, das zu zerbrechen droht, als Jürgen Bernds Domenika näherkommt, weil dieser sich verspätet. Man weiß eben, was man aneinander hat, so lange keiner dem anderen dazwischenfunkt – vor allem aber, so lange nicht einer plötzlich erfolgreicher ist als der andere.

„Würdest du dich für 200 Euro eine Stunde lang von mir anrülpsen lassen?“

Und das ist lustig, weil die Realität oftmals so skurril ist. Darüber hinaus, weil die Partnersuche generell eigentlich so absurd ist, niemals wie in Hollywood-Romanzen. Mitunter ist sie gar entwürdigend, zum Fremdschämen. Doch so weit geht dieser Film glücklicherweise nicht, denn er ist auf der Seite der beiden Freunde. Stattdessen befriedigt er die Neugier des Zuschauers danach, wie eine derartige Form der Partnervermittlung eigentlich abläuft und was das für Typen sind, die an so etwas teilnehmen. Und wer so etwas organisiert und durchführt, was zu einer sich schließlich mit der Haupthandlung verknüpfenden Nebenhandlung führt.

„Das ganze Land ist totaler Schrott!“

Lustig ist „Jürgen – Heute wird gelebt“ aber vor allem aufgrund Strunks lakonischen Humors, seiner schnoddrigen, norddeutsch geprägten Sprache und neben den karikierenden Charakteren zu großem Anteil wegen seines Sprachwitzes. Jessens/Strunks Film ist großes, urkomisches Dialogkino! Jürgen und Bernd lassen keinen noch so abgeschmackten Wortwitz oder dummen Spruch aus, dass es die reinste Freude ist. Hinter ihrer Sprücheklopferei verbergen sie letztlich natürlich ihre Traurigkeit, was dem Film seine, nein, Strunks typische Melancholie verleiht, diese Niedersachsen/Harburg-Melancholie, die sich durch sein Œuvre zieht.

„Qualität kommt von Qual!“

Durch diesen Film wiederum ziehen sich Gastauftritte von Sympathieträgern wie Peter Heinrich Brix und Rocko Schamoni über jemanden wie Klaas Heufer-Umlauf bis hin zu Olli Schulz. Gebraucht hätte dies der Film, den Strunk und Hübner auch allein geschultert hätten, nicht. Als Jürgen mit der gefeuerten Assistentin des „EuropLove“-Chefs die Rückreise antritt und beide sich näherkommen, scheint sich ein Happy End anzubahnen, das sich dann doch wieder zerschlägt. Der eigentliche glückliche Ausgang folgt erst im Anschluss und hat nichts mit Frauen zu tun, sondern mit zwei Freunden, die gemeinsam ein großes Abenteuer erlebt haben. Bevor ich ins Schwafeln gerate, beende ich meine Notizen zu diesem schwer sympathischen Filmchen, denn: „Timing ist alles – und keine Stadt in China!“. In diesem Sinne: „Paris, Athen, auf Wiedersehen!“
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Pastewka

„Soooo!“

Den deutschen Komödianten Bastian Pastewka hatte ich, wie vermutlich viele andere, seinerzeit in der „Wochenshow“ kennengelernt, jenem von „Rudis Tagesshow“ inspirierten Comedy-Format im Privatsender Sat.1, das in den 1990ern startete und auch für beispielsweise eine Anke Engelke zum Karrieresprungbrett wurde. Nach meinem Empfinden reichlich unlustig begonnen, steigerte sich die Reihe bald und der junge Bastian Pastewka wurde nach und nach zu meinem Lieblingsdarsteller der „Wochenshow“. Pastewka gelang sodann auch eine beachtliche Karriere als Komödiant, Schauspieler, Synchronsprecher etc., bis er schließlich die Rolle seines Lebens bekam: Für die ursprünglich RTL angebotene, letztlich jedoch von Sat.1 ausgestrahlte Sitcom „Pastewka“ spielt er niemand Geringeren als sich selbst. Inspiriert von der Improvisations-Comedy-Serie „Lass es, Larry!“ entwickelte er zusammen mit Chris Geletneky, Sascha Albrecht, Moritz Netenjakob, Oliver Welke, Stephan Pächer und Rene Förder die Idee, woraus eine Drehbuchvorlage von Geletneky und Albrecht entstand. Die Produktion übernahm das Comedy-lastige Medienunternehmen „Brainpool“, das mit „Pastewka“ neben „Stromberg“ sein absolutes Highlight im Programm hat. In schlanken 23-minütigen Episoden startete die erste Staffel im Jahre 2005, als Regisseure gaben sich in den bisher sieben Staffeln Joseph Orr, Peter Welz, Jan Markus Linhof, Tobi Baumann und Erik Haffner die Klinke in die Hand.

Das Konzept ist so genial wie einfach, erfordert aber auch einen gewissen Mut und vor allem wenig Hang zur Eitelkeit: Bastian Pastewka schlüpft in die Rolle seiner vermeintlichen Selbst, tut also so, er würde er sich selbst spielen, innerhalb seines Alltags, seines Privatlebens, auf Jobsuche, bei Engagements, mit Kollegen etc. Dabei sind die Geschichten natürlich ebenso fiktional wie seine Charakterzeichnung, wenngleich beides ein Stück weit an die Realität angelehnt sein und sich insbesondere sein Persönlichkeitsprofil innerhalb der Serie in einigen Eckpunkten an reale Charakterzüge, Eigenarten und Macken anlehnen dürfte. So glaube ich gern, dass Pastewka als Kind „zu viel“ vorm Fernseher saß und auch später manch Fernseh- oder Videoabend wilden Partys oder sonstigen sozialen Zusammenkünften vorgezogen und so einen ungeheuren Fundus an Wissen hinsichtlich seiner späteren Branche, nämlich des Fernsehens, aufgebaut hat. Er ist Louis-de-Funes-Fan (worauf das eine oder andere Filmplakat an den Wänden seiner Wohnung hindeutet), hat sämtliche Edgar-Wallace-Filme, „Raumschiff Orion“-Episoden und „Akte X“-Folgen nicht nur gesehen, sondern akribisch sortiert auf VHS mitgeschnitten, hat einen „24“-Klingelton und hört beim Autofahren gern die Titelmelodien klassischer TV-Sendungen und -Serien (mutmaßlich die von mir ebenfalls begeistert goutierte „Generation Fernseh-Kult“-Kompilationen). Er kauft gleich zwei Fernsehzeitungen pro Woche, um in einer alles anzustreichen, was er sich mit einem seiner zahlreichen Festplattenrekorder aufzeichnen wird, denn das alles sei ja auch so’n bisschen sein Beruf, wie er bei Kritik an seinem oftmals für TV-Sucht gehaltenen Verhalten nicht müde wird zu betonen. Dadurch ist er in der Lage, mit von einem Großteil der Bevölkerung unverständlicherweise als unnützes Wissen diskreditiertem Fachwissen zu glänzen, das er auch gern preisgibt. Gesunde Ernährung, handwerkliche Fähigkeiten, Sport sowie alles andere, das mit größeren Anstrengungen oder Verlust an Bequemlichkeit verbunden ist, zählt hingegen weder zu seinen Stärken noch Interessen. Zudem überschätzt er in schöner Regelmäßigkeit seinen Popularitätsgrad.

Bastian ist mit seiner langjährigen Freundin Annemarie „Anne“ Leifert (Sonsee Neu) liiert, mit der er zu Beginn der zweiten Staffel innerhalb Kölns zusammenzieht. Sie brach einst ihr Medizinstudium ab, als sie Bastian kennenlernte, nimmt es in Staffel 7 jedoch wieder auf. Vor einer Heirat mit ihr drückt sich Bastian permanent und vermeidet stets das Thema Nachwuchs, wenngleich er sie durchaus sehr liebt und nicht missen möchte. Dabei braucht Anne generell starke Nerven, denn die intelligente, attraktive und sympathische junge Frau, die sich als Krankenschwester verdingt, leidet nur allzu häufig unter den Charakterzügen des Serien-Bastians, die weit über seine o. g. Marotten hinausgehen: Ist er in den ersten drei Folgen noch ein zwar wenig empathischer, jedoch weitestgehend gut nachvollziehbar agierender Typ, entpuppt er sich ab den darauf folgenden Episoden als schlecht hinter dem Rücken anderer redender, egoistischer und wehleidiger Opportunist, um keine Ausrede und „Notlüge“ verlegen, wenn es ihm zum persönlichen Vorteil gereicht. Wenngleich er zwischenzeitlich auch immer mal wieder komplett unschuldig ist, so zieht sich doch durch den Großteil der Serie, dass er sich derart in Lügengebilde und Widersprüche verstrickt und dabei die Rechnung ohne den Wirt macht, dass er quasi jedes Fettnäpfchen mit Anlauf mitnimmt, die das Leben für ihn bereithält. Das Sprichwort „Man sieht sich immer zweimal“ gilt hier wortwörtlich; denn so konstruiert es gerade in der ersten Staffel häufig erscheint, dass er seinen „Opfern“ jeweils noch einmal begegnet, so witzig ist es doch auch – insbesondere vor dem Hintergrund des (vermeidbaren) Chaos, das er dadurch meist anrichtet, und das eben nicht selten zum Leidwesen seiner eigentlich so verständnisvollen Anne. Mit dem Karma hat’s Bastian nicht so – dafür das Karma umso mehr mit ihm. Dadurch kann einem Bastian nicht selten fast leidtun, mitunter fiebert man regelrecht mit ihm mit – evtl., weil man sich an eigene, nicht ganz unähnliche Situationen erinnert fühlt, in die man sich eigenverantwortlich hineinmanövriert hat.

Zum festen Hauptfigurenkreis zählen darüber hinaus sein Bruder Hagen (Matthias Matschke), alleinerziehender Vater von Bastians pubertierender und notorisch schlechtgelaunter Nichte Kimberley-Jolante (Cristina do Rego), kurz „Kim“ genannt, die von ihrem Onkel so gar nichts hält. Hagen ist nicht in der Medienbranche oder im Showgeschäft tätig, weit weniger vermögend als sein Bruder und zunächst ungebunden, bis er in Staffel 3 ausgerechnet mit Svenja Bruck (Bettina Lamprecht) zusammenkommt – linksalternative Studentin und Bastians Nachbarin, die schwer von ihm genervt ist. Einerseits weil er sich selten an die Hausordnung hält und sein Altpapier im Treppenhaus stapelt, andererseits aber auch, weil sie über keinen seiner Witze lachen kann und ihn vermutlich irgendwie bereits aus Prinzip ablehnt, weil er ein unkritischer Medienkasper ohne jedes revolutionäre Potential ist. Die Feindschaft zwischen beiden erreicht immer neue Höhepunkt, nimmt im Laufe der Serie obsessive Züge und Ausmaße einer Hassliebe an und ist damit ständiger Motor für neue Verwicklungen – und großangelegte Gags.

Bastians und Hagens Vater Volker (Dietrich Hollinderbäumer) ist einerseits ein notorischer Nörgler und altkluger Besserwisser, der ebenfalls so gar keinen Bezug zu Bastians Brötchenerwerb hat und ihn weit häufiger „Dödel“ denn Bastian nennt, scheint andererseits aber auch so etwas wie der Bodenständigste, Vernunftbegabteste der Pastewkas zu sein. Als Bastians Agentin fungiert Regine Holl, die von Staffel zu Staffel immer stärker dem Alkohol zuzusprechen scheint, während Bastians Karrierechancen analog dazu schwinden.

Als Christoph Maria Herbst begann, den unsympathischen Versicherungsvorgesetzten Bernd Stromberg in der Sitcom „Stromberg“ zu spielen, wurde er teilweise auf der Straße von Passanten angefeindet, die nicht zwischen ihm und seiner Rolle unterscheiden konnten. Diese Serie wiederum nimmt starken Bezug auf Pastewkas tatsächlichen beruflichen Werdegang. So hat auch der Serien-Pastewka in der „Wochenshow“ mitgespielt, mit Kalkofe die „Wixxer“-Filme gedreht und hasst er es, auf seine Rolle als „Sex-TV“-Moderator Brisko Schneider reduziert zu werden. Da erfordert es schon ein großes Maß an Furchtlosigkeit, sich selbst als einen häufig unsympathischen Zeitgenossen darzustellen sowie als jemanden, den man im norddeutschen Raum auch gern und schlicht als „Spacken“ bezeichnen würde. Ohne Rücksicht auf eigene Verluste zieht Pastewka sich durch den Kakao, stellt seine wenig ausdefinierte Anatomie nur mit einer Unterhose oder einem Handtuch bekleidet zur Schau und bezieht sämtliche Klischees und Vorurteile ohne mit der Wimper zu zucken auf sich.
    Doch damit nicht genug: Als besonderer Clou wartet die Serie mit zahlreichen, häufig wiederkehrenden Gastauftritten von Kolleginnen und Kollegen wie Anke Engelke, Christoph Maria Herbst, Michael Kessler (mit dem ihm auch eher eine intime Feind- denn eine Freundschaft verbindet), Hugo Egon Balder, Ingolf Lück, Annette Frier, Oliver Kalkofe, Martin Schneider, Axel Stein und vielen mehr auf, die es ihm gleichtun und damit nicht nur viel Fähigkeit und Mut zur Selbstironie beweisen, sondern der Serie einen starken medien- und branchenkarikierenden/-parodierenden Anstrich verleihen (und damit sind nicht nur die famosen „Sketchup“-Parodien gemeint). Im Prinzip nimmt sich mit „Pastewka“ eine ganze Branche kräftig auf die Schippe. Manch Prominenten sieht man dadurch einmal mit völlig anderen Augen. Wiedersehen mit Sympathieträgern wie Helmut Krauss (Herr Paschulke aus „Löwenzahn“) oder mittlerweile Verstorbenen wie Roger Willemsen sind dabei auch losgelöst vom Kontext besonders schön, während es eine mehr als fragwürdige Unterschichten-Trash-TV-Ikone wie Vera Int-Veen hingegen nun wirklich nicht gebraucht hätte. Der überwiegende Teil der Gastauftritte fügt sich jedoch bestens ins Serienkonzept ein und bereichert die jeweilige Handlung – auch ein „Bernd, das Brot“ beispielsweise in einer besonders bizarren Episode.

Die Drehbücher sind i.d.R. stark und unterliegen einer fortwährenden Weiterentwicklung, sodass wann immer man glaubt, die Serie durchschaut zu haben und die diversen Pointen der gagreichen Episoden voraussehen zu können, man doch immer wieder überrascht wird. Wie Puzzleteile setzen sich auch kleinste Details am Ende zu einem großen Ganzen zusammen, meist zum Nachteil des lernresistenten Bastians. Zahlreiche Running Gags sorgen zudem für Wiedererkennungseffekte und werden wohldosiert eingesetzt. Verzettelt hat man sich in den mitunter gar nicht mal so unkomplexen oder trivialen, meist dennoch innerhalb einer Episode abgeschlossenen Episoden erzählerisch nie und lässt auch den Figuren Raum zur Entwicklung und Entfaltung, ohne ihre gestalterischen Grundsätze aufzugeben. Dass man dabei bisher jeweils fast durchgehend auf ein gleich bleibendes Ensemble zurückgreifen konnte, ist ein besonders glücklicher Umstand, der für die Produktion spricht.

Die ersten fünf Staffeln spielen in einem Kölner Mehrfamilienhaus. In Staffel 2 hat man die Kleidung „der Bruck“ stärker an ihr Image angepasst, was ab ihrer Liaison mit Hagen wieder Stück für Stück zurückgefahren wird. In Staffel 2 arbeitet man vermehrt mit offenen Enden und installiert die erste Doppelfolge. Die zweite Staffel endet mit einer gelungenen, jedoch etwas arg unwahrscheinlichen Entwicklung um Ingolf Lücks große Sommerparty. In Sachen Vehemenz legte man für Staffel 3 offenbar ein paar Scheite drauf, Bastian erscheint noch unsensibler und verletzender. Eine ähnliche Entwicklung hin zum weniger Subtilen nahm auch „Stromberg“ ab Staffel 3, krawalliger oder oberflächlicher wird „Pastewka“ dadurch jedoch nicht wirklich. Auch darüber hinaus schien man ab Staffel 3 das Konzept ein Stück weit überarbeitet zu haben: Was ich zunächst für einen Anschlussfehler zwischen zwei Folgen hielt – Kesslers Nasen-OP ist plötzlich kein Thema mehr und zu sehen ist von ihr auch nichts –, ist offenbar einem geänderten, geringeren Kontinuitätsanspruch geschuldet, nach dem aktuelle Ereignisse in späteren Folgen generell keine Rolle mehr spielen. Daran scheint man jedoch im weiteren Serienverlauf die Drehbücher wiederum angepasst zu haben, sodass keine eigentlich episodenübergreifenden Entwicklungen mehr anberaumt wurden und rückte später auch wieder ganz davon ab – spätestens mit Bastians Heiratsantrag am Ende von Staffel 5, der letztlich auch zum superfiesen Cliffhanger zwischen Staffel 6 und 7 führte.
    Zuvor gab es in Staffel 4 jedoch bereits herausragende, besonders erinnerungswürdige Höhepunkte wie den Rückblick auf die Grimme-Preisverleihung mit Anke Engelke sowie die Posse um den „Journalistentarif“. Etwas schade ist es dann aber doch, dass die seinerzeit eingeführte Kiosk-Clique, die als Bastians Rückzugspunkt fungierte, so bald wieder aufgegeben wurde. Die mit besonders ausgeprägter Meta-Ebene arbeitende Folge „Die Sitcom“ aus Staffel 5 verdient ebenfalls besondere Aufmerksamkeit, wenngleich die in dieser Folge gedrehte fiktive Episode auch für Laien erkennbar unrealistisch schnell fertiggestellt und ausgestrahlt wurde. Der von Bastian verursachte Eklat bei einer Comedy-Preisverleihung ist ein weiteres Highlight, zum Brüllen komisch und mit Fremdschampotential zum Im-Erdboden-Versinken.
    Als Anne und Bastian das Mehrfamilienhaus und damit Frau Bruck, Hagen und Kim zu Beginn der sechsten Staffel für eine luxuriöse Wohnung im Kölner Nobelviertel Marienburg verlassen, ist eine Zäsur zu befürchten. Doch bedeutet dieser Schritt glücklicherweise mitnichten eine räumliche Trennung von den liebgewonnenen Figuren, denn die ganze Mischpoke zieht unmittelbar hinterher. Die Weihnachtsspezialausgabe zwischen Staffel 6 und 7 bietet einmal mehr größtes Vergnügen, wirkt jedoch mit seinem am Ende eingesetzten, die finalen Pointen aus dem Off erläuternden Erzähler unfertig bzw. zu umfangreich für die zur Verfügung gestanden habende Spielzeit. Regelrecht makaber wird’s in Staffel 7, als Hugo Egon Balder seinen Selbstmord inszeniert. Der Nachruf auf ihn ist nicht nur ein Höhepunkt der Episode, sondern vielleicht sogar der ganzen Staffel. Eine unfassbare Folge, die einmal mehr ein hohes Maß an Kaltschnäuzigkeit und Furchtlosigkeit seitens der Schauspieler, in diesem Falle Balders, bedarf. Die Staffel und damit auch die bisher im Gratis-TV ausgestrahlte Serie schließt mit der „metatigsten“ aller Episoden, in der die Protagonisten dieser Serie mit dem Konzept derselben konfrontiert werden.

Die ohne Lacher vom Band auskommende Sitcom macht verdammt schnell süchtig und die Charaktere – allen voran der sich hier auch als großartiger Schauspieler beweisende Bastian Pastewka – wachsen wahnsinnig schnell ans Herz. Die Figurenkonstellation ist vielversprechend und die Drehbücher holen ein Maximum aus ihr heraus. Wer sich mit dem Bonusmaterial der Heimkino-Editionen befasst, wird vielleicht zum Schluss kommen, dass jemand wie Pastewka Autoren und Regisseure benötigt, die seine übersprudelnde, manchmal fast hyperaktiv anmutende Energie, komödiantische Ader und Spielfreude in geordnete, durchkonzeptionierte Bahnen lenken. Dies wiederum unterstreicht die Bedeutung des Teamworks, das in diesem Falle ganz besonders gut zu funktionieren scheint. Die Chemie am Set und aller Beteiligten untereinander muss stimmen, anderenfalls wäre eine derart langlebige Serie mit einem derart stabilen Ensemble wohl kaum möglich.
    Pastewka hat sich mit seiner gleichnamigen Serie bereits zu Lebzeiten und in relativ jungen Jahren ein Denkmal und sich an die Spitze deutscher Humoristen gesetzt. Ein Teil meines Überschwangs mag daher rühren, dass ich mich in so einigem in ihm wiedererkenne und mich gut identifizieren kann (TV-SuchtInteresse, unnützes Wissen usw.), doch auch davon unabhängig ragt „Pastewka“, zusammen mit „Stromberg“ und „Der Tatortreiniger“ im zugegebenermaßen übersichtlichen Feld deutscher Sitcom-Serien qualitativ weit heraus. „Pastewka“ erinnert mich zudem an selige Zeiten, in denen Sat.1 zumindest teilweise noch gut guckbar war. Sat.1 hat alle 67 Folgen der sieben Staffeln sowie das Weihnachts-Spezial zwischen 2005 und 2014 erstausgestrahlt, ist seitdem jedoch weiter abgeflacht, sodass entweder Interesse oder Mittel fehlten, sich die mittlerweile erfreulicherweise abgedrehte achte Staffel zu sichern. Diese ist nun lediglich per amazonPrime streambar und ich hoffe, dass man möglichst bald in den Genuss einer Heimkino-Veröffentlichung kommt.
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Unmoralische Geschichten

Zwischen „Blanche“ und seinem vielleicht berüchtigtsten Film „La Bête“ feierte noch 1973 der Episodenfilm „Unmoralische Geschichten“, der mutmaßlich populärste Film des polnischen Erotikfilmers Walerian Borowczyk, seine Premiere auf dem London Film Festival. Es handelt sich um eine französische Produktion, die in vier Episoden vier verschiedene Epochen umfasst. Eigentlich sollte auch „La Bête“ Bestandteil dieser Anthologie sein, entfiel jedoch und wurde auf Spielfilmlänge ausgedehnt.

„So wunderbar die Liebe ist, gefällt sie noch mehr durch die Arten, wie sie sich zu erkennen gibt.“

„La Mareé“ basiert auf der gleichnamigen Kurzgeschichte André Pieyre de Mandiargues‘ und wurde in der Gegenwart, also 1974, angesiedelt. Cousin (Fabrice Luchini, „Claires Knie“) und Cousine (Lise Danvers, „Die abgetrennte Hand“) befinden sich an einem abgelegenen Küstenstück, wo der Cousin seine jüngere, naive Cousine zum Fellatio überredet. Während die Kamera mit sehr ästhetischen Mundzooms und schönen Aufnahmen des tosenden Meers arbeitet, wünscht man sich, er hätte den Mund genauso voll wie seine Cousine, damit er sein neunmalkluges Gequatsche einstellt. So aber sinniert er weiter über die Flut, die zur Metapher für Ejakulation wird. Ohne Ton ein sinnlicher Kurzfilm, mit Ton wird er zur etwas fragwürdigen Groteske.

„Der Mensch wird gut, wenn er mit denen spricht, die gut sind.“

In der 1890 spielenden Episode „Thérèse Philosophe“ zermasturbiert eine junge Frau (Charlotte Alexandra, „Frühreife Verführerinnen“) eine zweckentfremdete Gurke. Sie wurde ins Zimmer gesperrt und fand dort ein Buch erotischen Inhalts, den illustrierten Roman „Thérèse Philosophe“, den sie parallel zu ihrem Gebetsbuch goutiert. Wieder an der frischen Luft, wird sie von einem Tippelbruder vergewaltigt. Dies scheint sie jedoch nicht weiter zu tangieren, zumindest lässt Borowczyk offen, wie sie die Situation tatsächlich wahrnimmt. Im Prinzip thematisiert diese Episode sowohl die Kraft erotischer Literatur bzw. Kunst generell als auch die Unwirksamkeit religiöser Moraldoktrin in Bezug auf Sexualität, denn das Mädchen kam schnurstracks aus der Kirche und fand schnell Gefallen an der Verquickung von religiöser und erotischer Lektüre bei gleichzeitiger körperlicher Aktivität. Heruntergebrochen aufs Visuelle handelt es sich um eine leidenschaftlich und anregend gespielte Gemüsemasturbation mit seltsam anmutender Pointe – nicht mehr, aber auch nicht weniger.

„Keine Angst, die Gräfin Bathory sucht für ihr Schloss nach ehrlichen und bescheidenen jungen Mädchen, und sie bezahlt sie, nährt und beherbergt sie besser als der König selbst...“

„Erzsébet Báthory“ spielt im Jahre 1610 und widmet sich, wie der Name bereits verrät, der „Blutgräfin“ Bathory (Paloma Picasso). Diese besucht ein Dorf, um sich dort jungfräuliche Mädchen auszuwählen, die sie mit auf ihr Schloss nimmt. Dort findet eine große Nackedei-Party statt, bevor die Mädchen umgebracht werden, damit Bathory in ihrem Blut baden kann. Stets an ihrer Seite ist ihre androgyne Assistentin Istvan (Pascale Christophe, „Unmoralische Engel“), die sie später verraten wird. Diese Episode steht in ihrer opulenten Ausstattung und ihrem wahren Menschenauflauf im Kontrast zu den beiden vorausgegangenen. Eine derartige Ansammlung nackten jungen Fleisches bekommt man selten zu Gesicht und die Ausstrahlung Picassos in ihrer Rolle ist enorm. Der Horrorgehalt der Geschichte ist zwar die Pointe, grafisch ausgekostet wird jedoch der Erotikfaktor der noch lebendigen Jungfrauen. Die Dialogarmut trotz der Vielzahl an Menschen tut der Episode gut und trägt zur mystischen Aura Bathorys bei, vermittelt aber auch ein Gefühl, eine Atmosphäre von Autorität, Dominanz und Strenge, in der jedes unnötige Wort eines zu viel wäre.

„Nun zu dir, du verhurte Kirche...“

Den skandalösen Höhepunkt hob sich Borowczyk jedoch bis zum Schluss auf: Für „Lucrezia Borgia“ geht er in der Zeit bis ins Jahr 1498 zurück. Die gleichnamige Fürstin (Florence Bellamy, „Zwei scheinheilige Brüder“) stattet zusammen mit ihrem Ehemann Giovanni Sforza ihrem Vater, Papst Alexander VI. (Mario Ruspoli, „Ring frei für die Liebe“) und ihrem Bruder, Erzbischof Cesare (Fabrizio Ruspoli), einen Besuch ab. Während sich der Papst sexuell an seiner Tochter vergeht und Sforza daran nichts findet, wettert Bußprediger Savonarola (Philippe Desboeuf, „Das Urteil“) von der Kanzel gegen die Verkommenheit des Klerus und des Adels. Borowczyk schnitt beide Szenen ausschnittweise abwechselnd gegeneinander und stellt Inzest in höchsten kirchlichen Kreisen als selbstverständliche Normalität und dar, gegen die es sich auch schlecht anpredigen lässt. Das ist natürlich starker, höchst provokanter Tobak, ein verdienter Schlag ins Gesicht des Vatikans. Dass sich der eigentliche Erotikfaktor da unterordnen muss, liegt in der Natur der Sache.

Texttafeln führen in jede Episode ein, die alle vier echte Hingucker sind, historisch allem Anschein nach so realistisch wie möglich ausgestattet, vom Interieur über die Kostüme bis hin zur Musik (barocke Klänge, sakrale Chorgesänge etc.). Borowczyk bewegt sich mit seinem „Unmoralischen Geschichten“ irgendwo zwischen kunstvollem Anspruch und garstiger Exploitation, zwischen ausgeprägtem Sinn für Ästhetik, für das Schöne und Wut auf Moralismus, Zensur und Autorität sowie Lust an der Provokation. Die Sorgfalt, mit der er dabei zu Werke geht, ist selten in diesem Metier und führt dazu, dass seine „Unmoralischen Geschichten“ eine sehr individuelle Anziehungskraft entwickeln und sowohl als kurzweilige, abwechslungsreiche Episoden als auch als Anthologie über Sexualität von der naiven Unschuld über ihre Unterdrückung, ihren Missbrauch bis hin zum Tod funktionieren – während zeitgleich in Deutschland „Schulmädchen-“, „Schlüsselloch-“ und „Frühreifen-Report“ in die Kinos lockten…
Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
Ein-Mann-Geschmacks-Armee gegen die eingefahrene Italo-Front (4/10 u. 9+)
Diese Filme sind züchisch krank!
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