bux t. brawler - Sein Filmtagebuch war der Colt

Euer Filmtagebuch, Kommentare zu Filmen, Reviews

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buxtebrawler
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eXistenZ - Du bist das Spiel

„eXistenZ. In dieser Schreibweise. Ein Wort. Kleines E, aber ein großes X. Und ein großes Z.“

Nach dem Erotik-Drama „Crash“ wurde der Science-Fiction-Thriller „eXistenZ“ aus dem Jahre 1999 der letzte Film des kanadischen Regisseurs David Cronenberg des vergangenen Jahrtausends. Nach langer Zeit stammte erstmals auch wieder das Drehbuch aus seiner eigenen Feder und so trägt die kanadisch-britische Low-Budget-Koproduktion dann auch unverkennbar Cronenbergs Handschrift, handelt es sich doch um eine Art inoffiziellen „Videodrome“-Nachfolger, der sich mit der virtuellen Realität von Computer- und Videospielen auseinandersetzt.

„Tod dem Realismus!“

In naher Zukunft ist das Virtual-Reality-Game „eXistenZ“ der neueste Schrei auf dem Videospielemarkt: Mittels eines „Bioports“ wird die halborganische Spielkonsole direkt mit dem Rückenmark und dem zentralen Nervensystem der Spieler verbunden, die daraufhin komplett in eine virtuelle Realität eintauchen. Entwickelt wurde das Spiel von der attraktiven Allegra Geller (Jennifer Jason Leigh, „Die Augen eines Fremden“), auf die während einer Präsentation des Spiels durch radikale Virtual-Reality-Gegner des „Realistischen Untergrunds“ ein Attentat verübt wird. Dabei wird der Prototyp des Spiels beschädigt, woraufhin sie mit dem Sicherheitsmann Ted (Jude Law, „Die Weisheit der Krokodile“) in das Spiel eintaucht, um die Fehler zu beseitigen…

„Worin besteht eigentlich das Ziel dieses Spiels, das wir hier spielen?“ – „Sie müssen es spielen, um herauszufinden, warum man es spielt! Das ist die Zukunft.“

Cronenbergs „Videospieldrome“ vermengt wie sein Vorgänger auf mitunter hübsch unappetitliche grafische Weise Elektronik mit Biologie und nimmt den Zuschauer mit auf seine passive Reise in die interaktive Welt eines Videospiels, dessen Regeln es zunächst einmal herauszufinden gilt, um diese befolgen und so vorankommen zu können. Das hat mitunter tatsächlich etwas vom Trial-and-Error-Prinzip beim Erkunden neuer Spiele in der Realität, mit dem Unterschied, dass man sich letztgenannter schon früh nicht mehr sicher sein kann, da Cronenberg Spielfiktion und Realität bewusst miteinander zerfließen lässt. Wann werden Spieltode gestorben, wann wirkliche? Die Handlung hält zahlreiche Finten bereit und schlägt einige Haken, sodass man in diesem Verwirrspiel bald den Durchblick verliert.

„Sind wir immer noch in dem Spiel?“

Seine Grundaussage, dass man sich angesichts immer realistischer werdender Spiele der tatsächlichen Realität zu entledigen droht, reichert „eXistenZ“ mit Machtkämpfen, Interessenkonflikten und manch krudem Einfall wie dem der Ausbeutung sonderbarer Geschöpfe zwecks Gewinnung von Komponenten für die Spielkonsolen an. Außerdem wird die Frage aufgeworfen, wie weit Menschen für einen fragwürdigen Spielgenuss zu gehen bereit sind. „eXistenZ“ ist fortschrittskritisch, dankenswerterweise jedoch nicht technologiefeindlich. Sein bescheidenes Budget sieht man ihm in seinem nach Videothekenfutter aussehenden Look leider an und die Charaktere bleiben oberflächlich und distanziert-fremd, was die Handlung nach dem x-ten Haken zu egalisieren droht. Dafür hält das Finale nach einigen Action-Einlagen aber eine gelungene Pointe parat, die „eXistenz“ wie Cronenbergs Beitrag zum Mindfuck-Stil erscheinen lässt und auch die Frage klärt, weshalb Allegra nach allem, nur nicht nach einer Spieleentwicklerin aussieht…

„Es ist ein Fall von völlig verrückter Osmose, mit dem wir’s hier zu tun haben. Ich versteh’s auch nicht ganz.“

Vor allem aber wirkt „eXistenZ“ im Vergleich mit anderen futuristischen Filmen ähnlicher Thematik inhaltlich auch heute noch kaum überholt.
Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
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Sons Of Norway

„Wir sind Affen und es gibt nichts, dessen wir uns schämen müssten!“

Nach „Jonny Vang“ und „Anderland“ ist „Sons Of Norway“ aus dem Jahre 2011 der dritte Spielfilm des norwegischen Regisseurs Jens Lien. Die Coming-of-Age-Dramödie wurde Ende der 1970er inmitten der Zeit, in der die britische Punkrock-Explosion bis nach Norwegen reichte, angesiedelt und setzt sich auf komische bis nachdenkliche Weise mit dem Verhältnis eines Anarcho-Hippie-Vaters zu seinem den Punk für sich entdeckenden Sohn auseinander. Der Film entstand in norwegisch-schwedisch-dänisch-französischer Koproduktion. Er basiert auf dem autobiografischen Roman „Teori og praksis“ des Drehbuchautors Nikolaj Frobenius.

„Eine Bierflasche an den Kopf zu bekommen, ist wohl nur ein geringer Preis, den man für die gesunde, rebellische Haltung der Kinder bezahlt!“

Magnus (Sven Nordin, „Elling“) ist ein alternder Hippie, der sich als Architekt verdingt und Vater zweier Söhne ist, Nikolaj (Åsmund Høeg) und Peter. Zusammen mit seiner Frau (Sonja Richter, „Unter die Haut - Gefährliche Begierde“) und den Kindern lebt er in einem beschaulichen Vorort Oslos und gibt nicht viel auf Konventionen. Kurz nachdem der pubertierende Nikolaj den Punk für sich entdeckte – ausgelöst durch das Sex-Pistols-Stück „God Save The Queen“ – stirbt seine Mutter überraschend infolge eines Autounfalls. Magnus verfällt daraufhin in schwere Depressionen und Nikolaj ist es, der sich um ihn kümmern muss, während Magnus‘ Schwester den kleinen Peter zu sich nimmt. Während Nikolaj sich auch optisch der Punkszene zuneigt, mit seinem Kumpel Tor (Tony Veitsle Skarpsno) Leute erschreckt und randaliert sowie mit dem älteren Anton (Trond Nilssen, „King of Devil's Island“) eine Punk-Band gründet, kann er seinen langsam aus seiner Lethargie erwachenden Vater dadurch kaum provozieren, im Gegenteil: Magnus steht seinem Sohn stets bei, nimmt ihn vor Autoritäten in Schutz und wird selbst zum Punk-Fan. Seinen Job hat er gekündigt und seinen Blümchenbus veräußert, in den Sommerferien bastelt er zusammen mit Nikolaj an einem Moped mit Sozius. Mit diesem reisen sie in ein Nudisten-Camp, worauf Nikolaj so gar keine Lust hat. Dort erwischt er zu allem Überfluss seinen Vater auch noch beim Sex und auf der Rückfahrt mit seinem noch immer nackten Vater gerät er in eine Polizeikontrolle. Das ist Nikolaj alles hochnotpeinlich. Während der Bandprobe zieht er sich Speed rein und sein Vater läuft Gefahr, verrückt und paranoid zu werden. Als im Vorfeld des ersten Gigs der Drummer ausfällt, spring ausgerechnet sein Vater jedoch ein, woraufhin er aus der Band aussteigt. Nachdem die Polizei die Ermittlungen hinsichtlich des Unfalltods seiner Mutter eingestellt hat, durchleidet er einen ekligen Horrortrip, in dem er mit seinem Vater seine Mutter aufisst. Nikolaj dreht durch, landet im Krankenhaus und fantasiert eine surreale Verhaftung zusammen. Im Traum erscheint ihm Sex-Pistols-Sänger Johnny Rotten, der ihm ein paar Lebensweisheiten mitgibt, woraufhin Nikolaj wieder erwacht.

Punk rebelliert(e) nicht nur gegen das konservative Establishment, sondern auch gegen die Hippie- Generation und ihr eindimensionales, verleugnendes bis verlogenes Weltbild sowie ihre „Love and Peace“-Fantastereien. So wartet man im Verlaufe der Handlung eigentlich permanent darauf, dass es endlich zum offenen Konflikt zwischen Vater und Sohn kommt, der bezeichnenderweise jedoch ausbleibt. Zwischendurch findet zumindest eine interessante Diskussion am Esstisch statt, die es gut auf den Punkt bringt, doch zum Bruch zwischen Magnus und Nikolaj kommt es nie. Wann immer Magnus seinem Sohn peinlich wird, sieht man Nikolaj dies lediglich in dessen Mimik an.

„Sons Of Norway“ ist kein klassisches spannungsgeladenes Coming-of-Age-Drama mit Pointe. Ausgehend von einem Flaschenwurf Nikolajs auf seinen eine Rede am Nationalfeiertag haltenden Rektor (Karl Bomann-Larsen, „Eine Handvoll Zeit“) blendet der Film zurück zur Weihnachtsfeier 1978, für die Magnus einen ausgeprägten Bananenfimmel für sich entdeckt hat und aus dem Fest der Liebe das der gekrümmten Südfrucht macht. Diese und weitere Szenen und Sequenzen sind komödiantisch bzw. karikierend überzeichnet und tatsächlich mit einem angenehm schrägen Humor versehen, der jedoch in den Hintergrund gerät, nachdem Nikolajs Mutter das Zeitliche gesegnet hat. Nach Nikolajs sehr gut, weil nachvollziehbar bis authentisch dargestellten Punk-Initiation schließt sich irgendwann der Kreis zum Prolog und die Handlung wird in der filmischen Gegenwart weitergesponnen, was den Erzählfluss nicht stört.

Zunehmend rückt die Trauerarbeit in den Fokus des Films, ohne jedoch auf die Tränendrüse zu drücken. Die Charaktere bleiben stets reichlich entrückt und damit gewissermaßen distanziert, ohne den Bezug zum Zuschauer zu gefährden. Dieser gelungene Spagat ist dem Film hoch anzurechnen. Ohne das Thema totquatschen zu müssen, wird man Zeuge, wie sich Magnus seiner klassischen autoritären Vaterrolle verweigert und offenbar auch kaum in der Lage ist, zusammen mit seinem Sohn den äußerst schmerzhaften Verlust zu verarbeiten. Durch seine Faszination für die Punk-Bewegung und schließlich seine Identifikation mit ihr verliert Nikolaj eine Reflektionsfläche für seine Rebellion, die sein Vater immer wieder zu übertrumpfen scheint – was beinahe zu einer weiteren Katastrophe führt. Dabei geht „Sons Of Norway“ ohne erhobenen Zeigefinger vor und appelliert an die Empathie des Publikums, das selbst entscheiden muss, wie viel Kumpelsein einer Vater-Sohn-Beziehung insbesondere in einer solch schwierigen Phase angemessen wäre.

Koproduzent Johnny Rottens Gastauftritt passt da gut hinein, denn er versucht gar nicht erst, Sven Nordins übermenschlicher schauspielerischer Leistung die Schau zu stehlen. Ob dieser Film einen jungen Menschen zum Punk machen kann, weiß ich nicht, vermutlich aber schon, denn die grundsätzliche Sympathie für die Subkultur ist allgegenwärtig, ohne diese zu verklären. „Sons Of Norway“ ist der etwas andere Independent-Punk-Film und für die FSK-12-Freigabe sind verdammt viele Geschlechtsorgane zu sehen. Kameraarbeit, Schnitt und die nie geschwätzigen Dialoge sind voll auf der Höhe. Meine präpubertäre Nichte befand zwar „So ein Bullshit!“, ich jedoch war fasziniert von der unorthodoxen, zu keiner Sekunde langatmigen oder dramaturgisch fragwürdigen, unprätentiösen Verarbeitung seines Themenkomplexes und den unverbrauchten Schauspielern. Ein sympathischer Film, der sich seines Humors bewusst ist, ohne auf sarkastische oder gar zynische Weise seine schrägen Charaktere der Lächerlichkeit preiszugeben – und zudem ein Einblick in ein unkonventionelles Norwegen, das auf diese Weise bisher den Wenigstens nahegebracht worden sein dürfte.
Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
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Franklyn - Die Wahrheit trägt viele Masken

Das Spielfilm-Debüt „Franklyn“ (im deutschsprachigen Raum um den Zusatz „Die Wahrheit trägt viele Masken“ erweitert) des britischen Regisseurs Gerald McMorrow entstand 2008 im britisch-französischer Koproduktion und ist eine eigenwillige Mixtur aus Drama-, Fantasy- und Thriller-Anleihen:

Im dystopisch-futuristischen Meanwhile City scheint der Großteil der Bevölkerung einer sektenartigen Religion erlegen zu sein. Ihren religiösen Führer „Das Individuum“ sucht Jonathan Preest (Ryan Phillippe, „Ich weiß, was du letzten Sommer getan hast“) unablässig – er will ihn dafür richten, die elfjährige Sarah getötet zu haben. Im London der Gegenwart wiederum sucht der just von seiner Frau verlassene Milo (Sam Riley, „Control“) nach seiner Kindheitsfreundin Sally, Peter Esser (Bernard Hill, „Titanic“) seinen Sohn und Irak-Kriegsveteranen David und die psychisch labile, suizidgefährdete Emilia (Eva Green, „Die Träumer“) ihr Seelenheil in abgefahrenen Videoprojekten. Das Schicksal führt sie zusammen…

Den maskierten Jonathan Preest und die aufwändig inszenierte, imposante Fantasy-Stadt Meanwhile City lernt man zuerst kennen und lauscht Preests Off-Kommentaren, die seine undurchsichtige Geschichte nach und nach erzählen. Nach dessen Verhaftung und einem Zeitsprung von vier Jahren werden alle vier Handlungsstränge parallel behandelt, „Franklyn“ erscheint puzzleartig und die Zusammenhänge bleiben unklar. Diese sind letztlich anderer Natur als evtl. vom Zuschauer herbeigerätselt. Im Prinzip geht es in allen Fällen um persönliche Dramen und Tragödien im neo-noiresken Großstadtambiente und diese zu spoilern, wäre gemein. Ganz umhin komme ich jedoch nicht, daher bitte auf eigene Gefahr weiterlesen:

Die Pointe macht aus „Franklyn“ eine Art ambitionierten Beitrag zum Mindfuck-Genre bzw. bedient sich dessen Stilmittel, denn es wird sich herausstellen, dass die Hälfte (je nach psychologischer oder philosophischer Sichtweise auch alle) der Protagonisten nach traumatischen Ereignissen in ihrer eigenen Realität lebt – und diese ist es, die der Film dem Zuschauer präsentiert und erst zum Ende mit ihr bricht. Das ist für den einen Zuschauer mehr, für den anderen weniger überraschend. Erweitert um einen satirischen Blick auf Religionen und untermalt von verträumter Klaviermusik sowie mäandernden sphärischen Klängen, ist „Franklyn“ optisch top, erzählerisch jedoch Flop, denn McMorrow scheint seine Geschichte absichtlich verworren abzuwickeln und geht dabei derart langatmig zu Werke, dass einen die Handlung nie wirklich für sich einzunehmen in der Lage ist – so atmosphärisch traurig und mysteriös sie sich auch präsentiert.

Das ist überaus schade, denn das Potential des Films ist offensichtlich und man möchte ihn eigentlich mögen. Dies verhindert jedoch zusätzlich das kitschige Happy End, wenngleich es lediglich angedeutet wird. Am Ende bleibt immerhin die Erkenntnis, wie subjektiv Realität und Wahrheit in einer Gesellschaft sind, in der es von traumatisierten Individuen und Narzissmen nur so wimmelt.
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Der Zimmerspringbrunnen

Nassforsch in die Zukunft

Bereits das Debüt des Berliner Regisseurs Peter Timm, der Spielfilm „Meier“ aus dem Jahre 1985, setzte sich thematisch mit der DDR auseinander. Dies setzte sich 1991 mit „Go Trabi Go“ fort. 2001 schließlich griff er das Thema erneut auf, diesmal im Rahmen der Dramödie „Der Zimmersprungbrunnen“, die von einem (vermeintlichen) Wendeverlierer und dem Phänomen der „Ostalgie“ handelt. Sie basiert auf dem gleichnamigen Roman Jens Sparschuhs.

„Ein Zimmerspringbrunnen ist das leise plätschernde ,Nein!‘ zur rasenden Industriegesellschaft!“

Hinrich Lobek (Götz Schubert, „Der Hauptmann von Köpenick“) ist arbeitslos und geht seiner Frau Julia (Simone Solga) in der gemeinsamen Berliner Wohnung zunehmend auf die Nerven. Während sie als Architektin am Potsdamer Platz arbeitet, bekommt Hinrich beruflich einfach kein Bein an die Erde. Nach einem Termin beim Arbeitsamt vermittelt man ihm eine Anstellung als Handelsvertreter des Unternehmens „Panta Rhein“, das Zimmerspringbrunnen herstellt und vertreibt. Zu Beginn begleitet ihn der nach einer Beförderung strebende Kollege Uwe Strüwer (Gustav Peter Wöhler, „Alles außer Mord“) durch die Plattenbauten, doch Erfolg will sich kaum einstellen: Das Modell „Jona“ verkauft sich einfach nicht. Auf dessen Grundlage jedoch entwickelt Lobek das neue Modell „Atlantis“, aus dem sich der Berliner Fernsehturm auf einem DDR-Umriss erhebt. Die Verkaufszahlen steigen daraufhin massiv an; problematisch ist jedoch, dass seine Firma von diesem neuen Modell gar nichts weiß. Lobek wiederum hat ganz andere Probleme, denn seine Frau lebt mittlerweile von ihm getrennt, will nichts mehr von ihm wissen und hat in ihrem geleckten Arbeitskollegen Thomas Hamann (Bastian Pastewka, „Der Wixxer“) einen neuen Verehrer…

Ein Zimmerspringbrunnen ist zweifelsohne eines der sinnlosesten Utensilien überhaupt und verfügt über einen bedenklichen Kitschfaktor. Noch überflüssiger allerdings sind Vertreter, die auf der Matte stehen, um einem einen solchen anzudrehen. Auf dementsprechend viel Desinteresse bis offene Ablehnung stößt Hinrich Lobek zunächst in seinem neuen Job, der die Diskrepanz zwischen Anspruch des wiedervereinigten kapitalistischen Deutschlands – Freiheit, Aufbruchsstimmung und sinnvolle, gut in harter D-Mark bezahlte Tätigkeiten – und der Realität in wirtschaftlichen Zwängen, Existenznot, Arbeitslosigkeit, Tristesse und miesen, sinnfreien Jobs geradezu versinnbildlicht. Unter Lobeks Orientierungslosigkeit leidet zudem massiv seine Ehe, bis er sich schließlich allein mit seinem Hund in seiner Wohnung wiederfindet.

Dies sowie seine Rückeroberungsversuche machen den dramatischen bis tragischen Teil des Films aus, der ansonsten verstärkt von der Reflektion der Absurdität des Alltags lebt, der wahnsinnig genug ist, um ihn gar nicht übermäßig karikiert abbilden zu müssen, um den gewünschten humoristischen Effekt zu erreichen – ein trockener Humor also, wie ihn allen voran Loriot meisterhaft beherrschte. Das urkomische Rollenspiel im Rahmen der Vertreterschulung beispielsweise hätte gut und gerne aus dessen Feder stammen können. Dieser Humor wiederum ist eingebettet in ein Nachwende-Deutschland, das auch in seiner Hauptstadt noch streng zwischen Ost und West unterscheidet und in dem ausgerechnet ein „ostalgischer“ Artikel zum kapitalen Kassenschlager nach marktwirtschaftlichen Prinzipien wird, weil er die mit der Gegenwart Hadernden oder sich entwurzelt Fühlenden an ihre Heimat erinnert, damit augenzwinkernd-kritisch jedoch auch deren Anspruchslosigkeit illustriert.

Der Soundtrack lässt Citys melancholisches „Am Fenster“ ebenso ertönen wie den ansonsten vornehmlich sich selbst spielenden (den Film jedoch nicht tragenden) Bastian Pastewka Karat schmettern, während die Handlung mehr und mehr dazu übergeht, eine von Ost-West-Befindlichkeiten unabhängige, traurige Geschichte einer gescheiterten, doch einst so großen und tiefen zwischenmenschlichen Liebe zu erzählen, die glücklicherweise dann doch auf ein Happy End zusteuert, das aus „Der Zimmerspringbrunnen“ einen letztlich optimistischen Film macht, der an die eigene, individuelle Schöpfungskraft appelliert, dazu aufruft, im Privaten wie im Allgemeinen nicht zu schnell aufzugeben und den oft so bizarren Arbeitsmarkt bloß nicht zu wichtig zu nehmen. Ein im positiven Sinne urdeutscher Film des gern vergessenen oder geleugneten niveauvollen Humors, dessen Regisseur auf seiner Dramaturgie-Klaviatur gerade auch die leiseren Zwischentöne trifft und unprätentiös mit viel Menschlichkeit, Sinn für Tragik und Sympathie für fast alle seine Charaktere besser unterhält als so’n oller Springbrunnen. 7,5 von 10 freien Vertreterstellen besetzt er damit!
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Er ist wieder da

„Sehe ich aus wie Adolf Hitler?!“

2012 erschien der Debütroman des deutschen Journalisten und Schriftstellers Timur Vermes „Er ist wieder da“, eine Satire, von einem urplötzlich im Berlin des Jahres 2011 wiederauferstandenen Adolf Hitler handelnd. 2015 folgte die auf dem Roman basierende Verfilmung gleichen Titels, Regie führte David Wnendt („Feuchtgebiete“). Obschon Schauspieler wie Christoph Maria Herbst und Michael Kessler mitwirken, die beide bereits Erfahrungen als Hitler-Parodisten haben und Herbst mit Vermes‘ Roman sogar auf Lesetour war, wurden beide lediglich für Nebenrollen besetzt. Den GröFaZ mimt Oliver Masucci („Die vierte Gewalt“). Die Handlung des Films ist abgewandelt und spielt drei Jahre später:

2014 erscheint Adolf Hitler wie aus dem Nichts mitten in Berlin, weiß nicht, was die letzten fast 70 Jahre passiert ist, sieht sich mit einer verhältnismäßig freien Gesellschaft inkl. Ausländeranteil etc. konfrontiert und saugt schnellstmöglich alle Informationen in sich auf, um das aktuelle Deutschland und die politische Weltlage zu verstehen. Gleichzeitig wird er durch die TV-Landschaft gereicht, denn niemand hält ihn für den wahren Hitler, sondern für eine Art Satiriker, einen Komödianten im Method-Acting-Modus oder schlicht einen Freak und Spinner. Doch „dem Führer“ ist es überaus ernst und so buhlt er erneut um Rückhalt im Volk zur Durchsetzung seiner Ziele…

„Ich bin froh, dass Goebbels das nicht mehr mitbekommt!“

Nachdem sich Hitler aus ungeklärter Ursache wieder erhoben hat, spricht er aus dem Off zu Luftaufnahmen Deutschlands, mit denen der Film ein Bild Deutschlands zu zeichnen beginnt, wie man es auch 2014 noch gern hatte, als man den nahenden Flüchtlingsstrom als Resultat der Instabilisierung des Nahen Ostens sowie das Brodeln im nationalistischen Untergrund noch geflissentlich ignorierte, weil noch kein „Pegida“-Pöbel durch die ostdeutschen Straßen marschierte. Stattdessen gab man sich gern weltoffen, tolerant und fortschrittlich und feierte den Sieg bei Fußball-WM. Zunächst bezieht der Film seinen Witz vornehmlich aus Hitlers subjektiver Sicht auf die ihm noch fremde Neuzeit, häufig zusätzlich veranschaulicht durch eine Point-of-View-Kameraführung. Generell erweckt die Kameraführung oft einen dokumentarischen Anschein, was sich in einer Doku-Soap mit Hitler in der Hauptrolle niederschlägt, ab der einem das Lachen im Halse steckenbleibt: O-Töne deutscher Bürger verdeutlichen, welches Potential besteht, rechtsextremen Demagogen auf den Leim zu gehen.

„Man kann’s mit diesem Method Acting auch wirklich übertreiben!“

Zuvor allerdings bewies der Film seinen satirischen Gehalt durch eine ebenso geniale wie komprimierte Sicht auf die aktuelle deutsche Politlandschaft im Schnelldurchlauf ebenso wie beim Zitieren anderer Hitlerdarsteller, unter denen sich witzigerweise auch Jörg Haider befindet. Hitler findet ausgerechnet die Grünen gut, obwohl er den Grund ihrer Gründung ablehnt. Statt das zu vertiefen, widmet sich „Er ist wieder da“ jedoch beißender TV-Kritik, zunächst in ähnlich komprimiertem Schnelldurchlauf, dann, indem Hitler zum Medien-Hype avanciert, durch verschiedenste TV-Sendungen tingelt und schließlich bei Plasberg kritisch reflektiert wird, wo er darüber stolpert, einen Hund erschossen zu haben. Zwischendurch arbeitete Hitler auch wieder als Maler – als Portraitmaler in Bayreuth. Hitler führt Neonazis wie die NPD als unfähigen Haufen vor, sammelt sich eine neue SS zusammen und verfasst letztlich einen neuen Bestseller, der verfilmt wird.

„Glauben Sie, ich bin von vorgestern?!“

Da es sich dabei um das Buch handelt, das hiermit eigentlich verfilmt wurde, entwickelt sich ab diesem Punkt eine ausgeprägte Meta-Ebene, die darin kulminiert, dass sich bisher Geschehenes als Film im Film entpuppt. Dies treibt das Spiel mit der vermeintlichen Authentizität pseudodokumentarischer Sequenzen, die Seite an Seite mit tatsächlich authentischem Material stehen, auf die Spitze, stellt man doch nun auch die filmische Realität infrage. Infrage stelle ich, ob dieser Schritt wirklich nötig gewesen wäre. Nachdem Hitler von einer dementen Großmutter hinausgeworfen wurde, die sich an nicht mehr viel, an ihn dann aber doch noch erinnern konnte und er sogar selbst von Neonazis zusammengeschlagen wurde, wird sein unvermitteltes Auftauchen thematisiert und während eines mit Morricone-Italo-Western-Musik unterlegten Showdowns betont er, dass das Volk ihn gewählt hatte und er damit ein Teil von allen sei. Wer behauptet, dabei handele es sich um Holzhammer-Pädagogik, liegt sicherlich nicht ganz verkehrt, zumal das letzte Filmdrittel den satirischen Rahmen verlassen hat und auch nicht mehr lustig ist.

„Das ist lustig, das ist Satire!“

Dennoch überwiegt für mich neben dem positiven Gesamteindruck des Films der Eindruck, bei seinen scharfen Kritikern handele es sich vornehmlich um Stimmen, die sich grob wie folgt kategorisieren lassen: Einerseits die der Literaturkritiker, denen es stets schwerfällt, eine Buchverfilmung unabhängig von ihrer Vorlage zu beurteilen und am liebsten eine 1:1-Umsetzung sähen, die in den seltensten Fällen funktionieren kann, und jede freie Interpretation als Sakrileg empfinden, ohne die Unterschiede der Medien Buch und Film zu akzeptieren. Andererseits sind da die getroffenen Hunde, die bellen, da sich der Film in erster Linie als Medienkritik präsentiert. Dabei sind es gerade große Teile der Medienlandschaft, die den öffentlichen Diskurs mitbestimmen und -prägen, inhaltlich wie formal, die Stimmungen erzeugen, Lösungen vorschlagen und den Rahmen vorgeben, in dem gesellschaftliche Diskussionen stattfinden. Nicht selten reicht die Spannbreite dabei nicht viel weiter als von Sensationshascherei bis zum oberflächlichen Doktorieren an Symptomen. Das Beste, was ihnen dabei passieren konnte, ist das undifferenzierte „Lügenpresse!“-Gebrüll der Neuen Rechten, das zum Anlass genommen wird, jegliche Medienkritikberechtigung in Abrede zu stellen und in die Nähe jener Kakophoniker zu rücken. Hält ein Film wie dieser der deutschen TV-Landschaft einen Spiegel vor, ähneln die Verrisse in ihren Aussagen denjenigen, derer sich bereits Timur Vermes auf sein Buch hin ausgesetzt sah. Statt das weit weniger überspitzt als uns lieb sein könnte dargestellte Gefahrenpotenzial anzuerkennen, wird die eigene Verantwortung von sich gewiesen und dem Stoff gar Flachheit und Absurdität angedichtet. Wer sich jedoch auch nur halbwegs auf Augenhöhe mit dem gesellschaftlichen Rechtsruck der letzten Jahre auseinandergesetzt hat, wird eine derart elitäre Kritik nur ablehnen und hoffen können, dass möglichst viele Nicht-Feuilleton-Leser Filme wie diesen sehen und verstehen. Wie hoch letztlich sein Slapstick-Gehalt ist und dass überflüssige Leerzeichen in Texteinblendungen wohl nicht nur Linguistiker nerven, gerät da zur Nebensache. Stilistisch bedeutender sind da Zitate wie eine aus „Der Untergang“ nachgespielte Szene, die von Hitlers Quartier in die Chefetage eines Unternehmens verlegt wurde. Das ist Satire mit Witz und Hintersinn.

„Er ist wieder da“ ist bestimmt kein perfekter Film, aber der, den Deutschland verdient hat.
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Lautlos im Weltraum

„Was ist denn das noch für ein Leben?!“

Douglas Trumbull galt ab Ende der 1960er als einer der Spezialeffektkünstler des Science-Fiction-Genres, war er es doch, der Kubricks „2001 – Odyssee im Weltraum“ veredelte. Mit „Lautlos im Weltraum“ bekam er 1972 die Gelegenheit, erstmals selbst die Regie zu übernehmen. Auch dieser Film ist weit entfernt von actionlastigen Sci-Fi-Klopfern und steht vielmehr in Tradition dystopischer, fast schon beängstigend ruhiger Genre-Klassiker wie „Andromeda – Tödlicher Staub aus dem All“, kombiniert mit einem ausgeprägten zivilisations- und technologiekritischen ökologischen Bewusstsein, womit der Film die damalige gesellschaftliche Stimmung nicht nur in den USA aufgriff:

„Du darfst diesen Wald nicht vernichten!“

In der Zukunft ist die Erde derart verseucht, dass weder Fauna noch Flora auf ihr überlebensfähig sind. Aus diesem Grund werden die letzten Wälder in riesigen Gewächshäusern durch das All transportiert, wo sich die Besatzungen der dazugehörenden Raumschiffe um ihr Wohlergehen kümmern, bis sie irgendwann evtl. wieder auf die Erde verfrachtet werden können. Auf der „Valley Forge“ hat Freeman Lowell (Bruce Dern, „Wiegenlied für eine Leiche“) den grünen Daumen, während sich seine drei Kollegen schon längst nicht mehr für die Natur begeistern können – außer, sie können zu Lowells Leidweisen Kartrennen in den Gemüsebeeten veranstalten. Sie ernähren sich freiwillig von synthetischer Nahrung und halten Lowell für einen Spinner. Als eines Tages aus heiterem Himmel die Nachricht der Einsatzleitung eintrifft, aus kommerziellen Erwägungen habe man beschlossen, die All-Biotope aufzugeben, verbunden mit dem Befehl zur Sprengung derselben und Rückkehr der Astronauten zur Erde, bringen Lowells Kollegen frohgemut die Sprengladungen an und können ihre Rückkehr kaum erwarten. Lowell jedoch verzweifelt beinahe und ist nicht gewillt, seine grüne Arche kampflos aufzugeben: Einen seiner Kollegen schlägt er tot, die anderen beiden sprengt er kurzerhand vom Mutterschiff ab. Also bleibt Lowell mit seinem Wald sowie den zwei verbliebenen lernfähigen Robotern Huey und Dewey allein im All zurück…

„Gott sei mit Ihnen. Sie sind ein vorbildlicher Amerikaner!“

Sehr hübsch eingefangene Naturaufnahmen lässt Trumbull seinen Film für sich eröffnen. Ruhige Klaviermusik spielt dazu, begleitet von einem Holzblasinstrument. Ein tapsig umherlaufender Roboter bricht in die Szenerie und wirkt ein wenig albern. Willkommen an Bord der „Valley Forge“, übrigens auch der Name des ehemaligen kriegserprobten US-Flugzeugträgers, in dem der Films gedreht wurde. Dort hält Lowell während eines Streitgesprächs mit der übrigen Besatzung ein Plädoyer für echte, natürliche Nahrungsmittel, das auf taube Ohren stößt. Dass die gegensätzliche Haltung beider „Parteien“ schon bald zu nur im ersten Moment etwas harsch erscheinenden Akten von Zivilcourage seitens Lowells führt, ist kein Geheimnis und wird von Trumbull auch gar nicht erst zum Höhepunkt des Films stilisiert, ist vielmehr Konsequenz und schließlich eine Art neuer Prämisse.

Der Zuschauer ist von nun an allein mit Lowell und seinen Robotern. Die Dialoge werden auf ein absolutes Mindestmaß zurückgefahren und darüber hinaus gibt es Momente, in denen der Film einfach innehält. Ja, „Lautlos im Weltraum“ ist ein Film der leisen Töne und des bedächtigen Erzähltempos – und deshalb so gut, weil er dennoch voller Inhalt steckt und nie langweilt. Da werden Roboter programmiert, Lowell zu operieren, Bäume zu pflanzen und Karten mit ihm zu spielen – und kann sich Lowell später an seinen neu gewonnenen Freunden, jenen Maschinen eben, zu revanchieren versuchen, indem er einen der nach Donald Ducks Neffen im US-Original benannten Trabanten repariert. In den Saturn-Ringen droht Lowell gar draufzugehen. Wirklich schlimm wird es jedoch für ihn, als seine Einsatzleitung, der gegenüber er von technischen Problemen sprach und sich seit ihrer Reaktion, nichts mehr für ihn tun zu können, in Ruhe wähnte, ihn überraschend ortet und sein Wald aufgrund der hohen Entfernung zunehmend unter Sonnenlichtmangel leidet.

Natürlich ist es bezeichnend, dass ein noch über Naturverständnis verfügender Mann mit zwei Robotern mehr anzufangen weiß als mit seinen ehemaligen menschlichen Kollegen, wenngleich ihn mit der Zeit dennoch Gewissensbisse einholen. Diese Entfremdung von Seinesgleichen ist eines der Themen dieses Films, der ein Herz für Außenseiter beweist und anhand dieser Dystopie veranschaulicht, wie einsam sich jemand fühlt, der ausschließlich auf Ignoranz seiner Mitmenschen stößt und sich schließlich gezwungen sieht, zu drastischen Mitteln zu greifen, um seinem Gewissen zu folgen und sein Lebenswerk zu verteidigen – um nicht auch noch das Letzte genommen zu bekommen, was ihm etwas bedeutet. Dass in einer solchen Welt letztlich kein Platz mehr so jemanden ist, ist die bittere Konsequenz, die Trumbull bis zum Erklingen der wie auch das Titellied von Joan Baez gesungenen und von Diane Lampert geschriebenen Komposition „Rejoice in the Sun“ durchexerziert.

Dies wiederum führt dazu, dass „Lautlos im Weltraum“ allen Vorzeichen zum Trotz zu keinem hippiesken Flower-Power-Peace-and-Love-Film geriert, sondern zu einem begründet misanthropischen, desillusionierenden, traurig-melancholischen Stück Genre-Geschichte, das seine letzte vage Hoffnung ohne menschliche Instanz maschinengesteuert durch eine Kapsel im All steuern lässt – und dabei aufgrund Trumbulls eingangs beschriebener Qualitäten oftmals verdammt gut aussieht.
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Re: bux t. brawler - Sein Filmtagebuch war der Colt

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Rabbits

„Wie kann man ihrer Herr werden? Wie die Welt von dieser Pest befreien?“

1964 veröffentlichte der australische Schriftsteller Russell Braddon seinen Science-Fiction-Horror-Roman „The Year of the Angry Rabbit“, der offenbar als Satire auf Kapitalismus, Nationalismus und Krieg intendiert war. Unter dem irreführenden Originaltitel „Night of the Lepus“ (Lepus steht für Hase, während es hier um Kaninchen geht) verfilmte der wenig populäre US-Regisseur William F. Claxton, der sich zuvor u.a. mit einigen Western und Beiträgen zu TV-Serien einen Namen zu machen versuchte, den Stoff, dessen Inhaltsangabe sich ebenfalls reichlich irre liest:

Mutmaßlich aufgrund der Ausrottung der Kojoten wird Cole Hillmans (Rory Calhoun, „Der Koloss von Rhodos“) Farm Opfer einer Kaninchenplage. Die plüschigen Nager fressen nicht nur das angebaute Gemüse und das Gras von den Weiden weg, sondern buddeln auch noch Löcher, in denen sich die Pferde die Extremitäten brechen. Da Hillman kein Freund davon ist, den Viechern mit Gift zu Leibe zu rücken, vermittelt Elgin Clark (DeForest Kelley, Pille McCoy aus „Raumschiff Enterpreise“) ihm das Forscherpaar Roy (Stuart Whitman, „Feuerstoß“) und Gerry Bennett (Janet Leigh, „Psycho“), die der Plage mittels eines neuartigen Hormonserums Herr werden wollen. Ein spezielles Exemplar jedoch wird unbemerkt von den Forschern von Töchterchen Amanda (Melanie Fullerton, „To Rome With Love“) vertauscht und dadurch in die Freiheit entlassen, wo es zu einem riesigen Ungetüm mutiert und sich, seiner Gattung typisch, fleißig vermehrt. Die Riesenkaninchen haben zudem einen ungemeinen Blutdurst entwickelt und greifen Mensch und Tier an. In einem Minenstollen entdeckt man ihren Unterschlupf und sprengt diesen, doch die neue, die alte bei Weitem übertreffende Plage lässt sich dadurch nicht mehr aufhalten. So muss gar die Stadt evakuiert und die Armee herbeizitiert werden…

„Diese Kaninchen vertreiben mich noch von Haus und Hof!“

Ein Nachrichtensprecher berichtet reißerisch von Kaninchenplagen, Claxton installiert dazu entsprechende Schwarzweiß- sowie Farbarchivaufnahmen. In den Dialogen zum Ursprung der Plage, die nun Gegenstand dieses Films ist, wird die Wichtigkeit ökologischen Gleichgewichts betont, bevor es schließlich ans Eingemachte geht: Amanda entdeckt ihren riesenwüchsigen Mümmelmann im Minenstollen wieder und wird ohnmächtig, jedoch nicht getötet. Diverse Erwachsene müssen indes dran glauben; die Tötungen selbst bekommt man aufgrund des abrupten Schnitts nicht zu sehen, jedoch eine säuberlich zerteilte, blutverschmierte Leiche. Der Wissenschaftler stellt Vergleiche zum Säbelzahntiger an und weitere blutbesudelte tote Körper tauchen auf. Claxton arbeitet mit Zeitlupen, wie die Kaninchen durch die Mine hoppeln und unterlegt diese mit einer potentiell verstörenden, hallenden, unheilschwangeren Geräuschkulisse, in anderen Szenen lässt er die Tierchen durch Miniaturbauten rennen oder steckt Menschen für Nahkampfaufnahmen in Rammlerkostüme. Die Krux dabei: Das ist alles, trashig und unfreiwillig komisch, sonderbar, bizarr, absurd – nur nie gruselig. Im Gegensatz zum Autoren der Romanvorlage meint Claxton seinen Film offenbar bierernst.

„Sie sind so groß wie Wölfe!“ – „Und genauso bösartig!“

Im Prinzip wirkt der hierzulande „Rabbits“ getaufte Film wie ein direkter Nachkomme 1950er- und ‘60er Größenwuchs-Monster- und Tierhorrorfilme und wie Vorläufer der später populärer gewordenen Verquickung von Tier- und Ökohorror zugleich – Genrevertretern, die die Menschen piesackende Fauna oder auch mal Flora mit ökologischem Gewissen und entsprechender Botschaft anreicherten, mal mehr, mal weniger exploitativ. Hinzu kommt das typische Südstaaten-Ambiente ebenfalls à la „Tarantula“ oder eben auch „Mörderspinnen“ etc. Filme, in denen die Männer beinahe wirken, als würden sie noch regelmäßig durch die Prärie reiten, im Saloon Karten kloppen und den Colt im Anschlag haben. So ist die z.B. Geschlechterrollenverteilung hier noch klar definiert, ablesbar am unschwer zu erkennenden Gefälle zwischen Roy und Gerry Bennett, eigentlich beide Wissenschaftler, sie jedoch mehr die Ehefrau und Assistentin von einem als alles andere.

„Ja, ich habe ihn gefunden – was von ihm übrig war!“

Die Menschheit schlägt zurück, die Kaninchen werden nun auch blutig erschossen, doch auch die Nager können schießen: mit der Wucht ihres ganzen monströsen Körpers durchs geschlossene Fenster und direkt auf Frauenkehlen. Bei so viel Angriffslust dauert es nicht mehr lange, bis sie sogar die nahegelegene Stadt bedrohen, woraufhin man mithilfe des Militärs die Plage töten will, indem man die Bahngleise unter Strom setzt. Damit setzt der Film nun auch seine innere Logik außer Kraft, denn die eigentlich so prima durch Wald, Wiese und Fenster springenden Plüschmonster scheinen diese Fähigkeiten urplötzlich abgelegt zu haben. Das von langer Hand inszenierte, actionreiche Finale wird dann in Sachen Spezialeffekte mittels schneller Schnitte verschleiert, die jedoch auch nicht verhehlen können, dass es Claxton & Co. in dieser Hinsicht an Möglichkeiten und Geschick mangelte. Dennoch ist „Rabbits“ durchaus sorgfältiger gemacht als von mir erwartet und es ist eine besondere Freude, verdiente Schauspieler (von denen man wohl gern wüsste, wie sie in diese Produktion hineingeraten sind) dabei zu beobachten, wie sie mit todernster Miene gegen Riesenkaninchen kämpfen und über den von ihnen ausgehenden Terror schwadronieren. Kurios mutet es auch an, dass weder die kleine Amanda zur Rechenschaft gezogen oder zumindest gemaßregelt wird noch die Bennetts für die Verwendung ihres Serums kritisiert werden. Der ökologische Aspekt, der zu Beginn des Films noch stark herausgestellt wird, spielt irgendwann überhaupt keine Rolle mehr.

Im Endeffekt ist „Rabbits“ aber vor allem eines: Ein verdammt unterhaltsamer Spaß sowohl für Trash- als auch für Monster- und Tierhorror-Freunde und ein in einem an Bizarrerie nicht armen Subgenre enorm bizarres Kleinod.
Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
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buxtebrawler
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Re: bux t. brawler - Sein Filmtagebuch war der Colt

Beitrag von buxtebrawler »

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Die Schlange im Regenbogen

Zwischen „Der tödliche Freund“ und „Shocker“ drehte „Nightmare on Elm Street“- und „Scream“-Erfinder Wes Craven im Jahre 1988 „Die Schlange im Regenbogen“, einen Mystery-Horror-Thriller, der sich der Untoten-Thematik im Jahrzehnt des enorm grafischen Horrorfilms einmal nicht von der Romero’schen Menschenfresser-Prämisse aus näherte, sondern auf die Ursprünge der Zombies zurückging: Auf Voodoo-Zauber exotischer Südsee-Kulturen. Der Film basiert lose auf den vom Anthropologen E. Wade Davis‘ 1984 veröffentlichten, umstrittenen und auf seiner Hardvard-Doktorarbeit beruhenden Aufzeichnungen „Die Toten kommen zurück“, in denen er beschreibt, wie er auf Haiti dem Zombifizierungs-Geheimnis auf den Grund zu gehen versuchte und dabei ein geheimnisvolles, für die Pharmaindustrie überaus interessantes Pulver fand.

Aus Davis wird in diesem Film Dennis Alan (Bill Pullman, „Die unglaubliche Entführung der verrückten Mrs. Stone“), der sich mit diversen Substanzen anthropologisch beschäftigt und auch schon mal von schamanischer Medizin nascht. Im Auftrag der US-amerikanischen Pharmaindustrie soll er nach Haiti reisen, und dort nach der Arznei forschen, die angeblich für die Zombifizierung von Menschen genutzt wird, indem sich mit ihr Menschen derart tief betäuben lassen, dass sie wie tot wirken – ausgehend von einem vor Jahren für tot erklärten Haitianer, der als vermeintlicher Untoter über die Insel streicht. Doch die Schergen des diktatorischen Duvalier-Regimes verwenden dieses Mittel, um ihre Gegner auszuschalten. Bald schon gerät Alan in die Fänge des Polizeichefs und Voodoo-Priesters Dargent Peytraud (Zakes Mokae, „Schrei nach Freiheit“) …

Geht man davon aus, dass Davis‘ Aufzeichnungen nichtfiktiv sind, handelt es sich bei Cravens Film um einen semifiktiven, denn die ursprünglichen Überlieferungen reichert er insbesondere in der zweiten Hälfte mit diversem Übersinnlichen an. Zunächst an Originalschauplätzen, später (angeblich aufgrund politischer Unruhen) in der Dominikanischen Republik gedreht, nähert Craven sich Haiti und seiner Kultur mit viel Respekt und nimmt starken Bezug auf das reale Duvalier-Regime, das 1986 gestürzt wurde. Dabei punktet Craven mit seinem Gespür fürs Einfangen der Andersartigkeit, der Exotik, der Mystik und des Transports der Faszination für all das. Harten Horror braucht es dafür nicht. In dieses Ambiente sticht Alan wie ein Fremdkörper und wird immer wieder von surrealen, bösen Träumen geplagt. Mokae brilliert derweil als Antagonist mit ultrafieser Fresse, der sogar Kastrationsängste auslöst.

Craven vermengt Medizin und Wissenschaft mit übersinnlicher Voodoo-Mystik und der haitianischen Revolution, was den Film lange Zeit dramaturgisch und vor allem atmosphärisch gut trägt. Die fiebrige Stimmung des Films geht unter die Haut, bis Craven dazu übergeht, sämtliche offenen Fragen zu beantworten und so die geheimnisumwitterte Atmosphäre zu zerstören, indem er gegen Ende einen Beinahe-Overkill an Spezialeffekten installiert und aus Peytraud einen Seelenfresser macht. In diesen Momenten ist „Die Schlange im Regenbogen“ dann auch „nur“ noch Genre-Standard, was ihn letztlich etwas abwertet, sich aber passabel im Genre-Rahmen bewegt. Aus Alan einen an der fremden Kultur verzweifelnden Paranoiker zu machen, dem keine seiner Fragen befriedigend beantwortet werden und somit offen bleibt, was es mit dem Voodoo-Zauber und den Zombies auf sich hat, während Alan aufgewühlt und verrückt geworden in die USA zurückkehrt, wäre die Königsdisziplin, vermutlich aber auch der kommerzielle Selbstmord des Streifens gewesen. Zumindest deutliche Kritik an Alans Auftraggebern zu formulieren, hätte aber schon gern drin sein können. Nichtsdestotrotz wirkt „Die Schlange im Regenbogen“ auf mich originell genug, um 7,5 von 10 Nägeln zu vergeben – ganz ohne faulen Zauber.
Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
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karlAbundzu
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Re: bux t. brawler - Sein Filmtagebuch war der Colt

Beitrag von karlAbundzu »

Irgendwie seh ich die Bilder nicht, nur ein ofdb Hinweis. Ist das bei allen so und ein Problem meinerseits?
jogiwan hat geschrieben: solange derartige Filme gedreht werden, ist die Welt noch nicht verloren.
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CamperVan.Helsing
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Re: bux t. brawler - Sein Filmtagebuch war der Colt

Beitrag von CamperVan.Helsing »

karlAbundzu hat geschrieben:Irgendwie seh ich die Bilder nicht, nur ein ofdb Hinweis. Ist das bei allen so und ein Problem meinerseits?
Ich seh auch nichts.
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