
Vampire Nation
„Ich hasse diese verfluchten Vampire!“
„Mulberry Street - Die Nachbarschaft verändert sich“ lautete der deutsche Titel des Spielfilm-Debüts des US-Regisseurs Jim Mickle, das auf einen Kurzfilm folgte. Vier Jahre später, im Jahre 2010, wurde mit seinem im deutschen Sprachraum sinnloserweise englisch betitelten „Vampire Nation“ (im Original: „Stake Land“) ein Endzeit-Vampirhorror-Drama veröffentlicht, das aus dem Wust der Genre-Veröffentlichungen herausstach. Wie schon in „Mulberry Street“ trat Nick Damici dabei als Co-Drehbuchautor neben Mickle und Schauspieler in Personalunion in Erscheinung.
„Manchmal ist Hoffnung alles, was bleibt...“
Das Leben des jungen Martin (Connor Paolo, „Engel im Schnee“), der seine Familie durch die Vampire verloren hat, wurde seinerzeit von einem sich schlicht „Mister“ nennenden Vampirjäger (Nick Damici) gerettet. Seither befinden sie sich gemeinsam auf dem Streifzug durch das seit den Vampirangriffen nahezu menschenleere Land, kämpfen gegen die Blutsauger und entnehmen ihnen ihre Reißzähne, die nach dem Zusammenbruch der Wirtschaft als neue Währung gelten und in den vereinzelten Siedlungen Überlebender eingetauscht werden können. Seine Kenntnisse hat der Mister seinem Schützling vermittelt und damit zu einem überlebensfähigen Menschen gemacht. Ziel der lange andauernden Reise ist ein Ort namens „New Eden“ in Kanada, der sicher sein soll und auf den sich die Hoffnungen konzentrieren. Auf ihre Fahrt durch unwirtliche Landschaft und zerfallene Geisterstädte treffen sie auf eine ältere Nonne (Kelly McGillis, „Top Gun“), die sie zeitweilig aufnehmen – sowie kurz darauf auf eine Sekte um den die Situation für sich ausnutzenden Fanatiker Jebedia (Michael Cerveris, „Mitternachtszirkus - Willkommen in der Welt der Vampire“), der Mister Folter und zwischen den Vampiren aussetzt. Für Jebedia und seine Jünger sind die Vampire Gottes Werk, was die religiös Verbrämten mindestens genauso gefährlich macht. Nachdem Mister sich retten konnte und den Spieß umdrehte, indem er Jebedia den Kreaturen zum Fraß vorwarf, vergrößert sich die Reisegruppe um die schwangere Barsängerin Belle (Danielle Harris, „Halloween IV“) und den Ex-Marine Willie (Sean Nelson, „Die Entführung der U-Bahn Pelham 1 2 3“), weiterhin getrieben von der Hoffnung auf einen neuen Morgen...
„In aussichtslosen Zeiten wimmelt es nur so von falschen Göttern. Die Menschen vertrauen dem lautesten Prediger und hoffen, dass er recht behält.“
Beginnend mit dem jungen Martin, der bei Mister im Auto sitzt und aus dem Off über seine Situation sinniert, führt er auch weiterhin immer mal wieder als Erzähler durch den Film, der zunächst einmal damit beeindruckt, wie brutal und blutig ihn Mickle anlegte. Man bekommt tolle Masken und Make-up-Effekte ebenso wie die vielleicht dreckigsten Vampire der Filmgeschichte zu Gesicht, die mehr wie Zombies agieren. In einer Rückblende wird Martins Vorgeschichte vom Tod seiner Familie und seiner Bekanntschaft mit Mister aufgerollt, um beide anschließend auf ihrem Weg vom Süden Richtung Norden der postvampirapokalyptischen USA zu begleiten, die zeitweise richtiggehend melancholisch-schöne herbstliche Landschaftsaufnahmen bieten und ansonsten in blasse tristgraue Farben getaucht wurden.
Nachdem die Sekte ein Massaker in einer befreiten Stadt angerichtet hat, kommt es zu einer an „Kinder des Zorns“ erinnernden Menschenhatz im Maisfeld und die kleine Gruppe wird dezimiert. Damit nicht genug, taucht Jebedia als Vampir wieder auf und leitet schließlich den absehbaren Showdown zwischen ihm und Mister + Martin ein, der dann weniger groß als erwartet ausfällt, dafür aber die Brutalitätsschraube noch einmal anzieht. Dabei ist „Vampire Nation“ keineswegs als Splatterorgie o.ä. misszuverstehen, im Gegenteil: Mickle nimmt sich viel Zeit für die Stimmung des Films, für die westernhafte Endzeit-Atmosphäre, für seinen starken, dominanten dramatischen Anteil. Doch versteht es Mickle eben auch, knallharte Action zu inszenieren, was er gleichberechtigt unter Beweis und somit – dem Unterhaltungsfaktor nicht abträglich – zur Schau stellt. Zudem arbeitet Mickle hin und wieder mit Zeitlupen sowie ein wenig ins Pompöse tendierender Orchestermusik, die sich mit melancholischen Streicherklängen abwechselt. Ein ausgedehnterer Epilog, der mit der jungen Peggy (Bonnie Dennison, „Black Irish“) einen weiteren Charakter einführt, rundet den Film angenehm ab.
Einen weitestgehend gelungenen Stil-Cocktail hat Mickle mit seinem zweiten abendfüllenden Spielfilm gemixt, wobei die Verquickung von Road Movie, Vampirfilm und Endzeit-Dystopie mehr ein Horror-Action-Drama geworden ist denn ein vielleicht von manch Zuschauer erwarteter Grusler. Wer also glaubte, dem ausgelutschten Vampirfilm sei abseits von „Twilight“-Kitsch nicht neues mehr hinzuzufügen, sieht sich dank „Vampire Nation“ Lügen gestraft. Mickles Film erfindet seine einzelnen Versatzstücke sicherlich nicht neu, setzt sie aber zu einem ansprechenden Ganzen zusammen, das sich gut und gerne als Allegorie auf einen möglichen US-Post-Kapitalismus lesen lässt. Es mangelt ihm noch etwas an einer differenzierteren, memorableren Charakterzeichnung und einer emotionalen Ebene über die staubige, mehr an Italo-Western denn an zahlreiche „Mad Max“-Epigonen gemahnende Endzeit-Atmosphäre hinaus, alles andere befindet sich in dieser Low-Budget-Independent-Produktion jedoch auf höherem Niveau, als von mir beim Einlegen des Films erwartet.