bux t. brawler - Sein Filmtagebuch war der Colt

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Moderator: jogiwan

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Vampire Nation

„Ich hasse diese verfluchten Vampire!“

„Mulberry Street - Die Nachbarschaft verändert sich“ lautete der deutsche Titel des Spielfilm-Debüts des US-Regisseurs Jim Mickle, das auf einen Kurzfilm folgte. Vier Jahre später, im Jahre 2010, wurde mit seinem im deutschen Sprachraum sinnloserweise englisch betitelten „Vampire Nation“ (im Original: „Stake Land“) ein Endzeit-Vampirhorror-Drama veröffentlicht, das aus dem Wust der Genre-Veröffentlichungen herausstach. Wie schon in „Mulberry Street“ trat Nick Damici dabei als Co-Drehbuchautor neben Mickle und Schauspieler in Personalunion in Erscheinung.

„Manchmal ist Hoffnung alles, was bleibt...“

Das Leben des jungen Martin (Connor Paolo, „Engel im Schnee“), der seine Familie durch die Vampire verloren hat, wurde seinerzeit von einem sich schlicht „Mister“ nennenden Vampirjäger (Nick Damici) gerettet. Seither befinden sie sich gemeinsam auf dem Streifzug durch das seit den Vampirangriffen nahezu menschenleere Land, kämpfen gegen die Blutsauger und entnehmen ihnen ihre Reißzähne, die nach dem Zusammenbruch der Wirtschaft als neue Währung gelten und in den vereinzelten Siedlungen Überlebender eingetauscht werden können. Seine Kenntnisse hat der Mister seinem Schützling vermittelt und damit zu einem überlebensfähigen Menschen gemacht. Ziel der lange andauernden Reise ist ein Ort namens „New Eden“ in Kanada, der sicher sein soll und auf den sich die Hoffnungen konzentrieren. Auf ihre Fahrt durch unwirtliche Landschaft und zerfallene Geisterstädte treffen sie auf eine ältere Nonne (Kelly McGillis, „Top Gun“), die sie zeitweilig aufnehmen – sowie kurz darauf auf eine Sekte um den die Situation für sich ausnutzenden Fanatiker Jebedia (Michael Cerveris, „Mitternachtszirkus - Willkommen in der Welt der Vampire“), der Mister Folter und zwischen den Vampiren aussetzt. Für Jebedia und seine Jünger sind die Vampire Gottes Werk, was die religiös Verbrämten mindestens genauso gefährlich macht. Nachdem Mister sich retten konnte und den Spieß umdrehte, indem er Jebedia den Kreaturen zum Fraß vorwarf, vergrößert sich die Reisegruppe um die schwangere Barsängerin Belle (Danielle Harris, „Halloween IV“) und den Ex-Marine Willie (Sean Nelson, „Die Entführung der U-Bahn Pelham 1 2 3“), weiterhin getrieben von der Hoffnung auf einen neuen Morgen...

„In aussichtslosen Zeiten wimmelt es nur so von falschen Göttern. Die Menschen vertrauen dem lautesten Prediger und hoffen, dass er recht behält.“

Beginnend mit dem jungen Martin, der bei Mister im Auto sitzt und aus dem Off über seine Situation sinniert, führt er auch weiterhin immer mal wieder als Erzähler durch den Film, der zunächst einmal damit beeindruckt, wie brutal und blutig ihn Mickle anlegte. Man bekommt tolle Masken und Make-up-Effekte ebenso wie die vielleicht dreckigsten Vampire der Filmgeschichte zu Gesicht, die mehr wie Zombies agieren. In einer Rückblende wird Martins Vorgeschichte vom Tod seiner Familie und seiner Bekanntschaft mit Mister aufgerollt, um beide anschließend auf ihrem Weg vom Süden Richtung Norden der postvampirapokalyptischen USA zu begleiten, die zeitweise richtiggehend melancholisch-schöne herbstliche Landschaftsaufnahmen bieten und ansonsten in blasse tristgraue Farben getaucht wurden.

Nachdem die Sekte ein Massaker in einer befreiten Stadt angerichtet hat, kommt es zu einer an „Kinder des Zorns“ erinnernden Menschenhatz im Maisfeld und die kleine Gruppe wird dezimiert. Damit nicht genug, taucht Jebedia als Vampir wieder auf und leitet schließlich den absehbaren Showdown zwischen ihm und Mister + Martin ein, der dann weniger groß als erwartet ausfällt, dafür aber die Brutalitätsschraube noch einmal anzieht. Dabei ist „Vampire Nation“ keineswegs als Splatterorgie o.ä. misszuverstehen, im Gegenteil: Mickle nimmt sich viel Zeit für die Stimmung des Films, für die westernhafte Endzeit-Atmosphäre, für seinen starken, dominanten dramatischen Anteil. Doch versteht es Mickle eben auch, knallharte Action zu inszenieren, was er gleichberechtigt unter Beweis und somit – dem Unterhaltungsfaktor nicht abträglich – zur Schau stellt. Zudem arbeitet Mickle hin und wieder mit Zeitlupen sowie ein wenig ins Pompöse tendierender Orchestermusik, die sich mit melancholischen Streicherklängen abwechselt. Ein ausgedehnterer Epilog, der mit der jungen Peggy (Bonnie Dennison, „Black Irish“) einen weiteren Charakter einführt, rundet den Film angenehm ab.

Einen weitestgehend gelungenen Stil-Cocktail hat Mickle mit seinem zweiten abendfüllenden Spielfilm gemixt, wobei die Verquickung von Road Movie, Vampirfilm und Endzeit-Dystopie mehr ein Horror-Action-Drama geworden ist denn ein vielleicht von manch Zuschauer erwarteter Grusler. Wer also glaubte, dem ausgelutschten Vampirfilm sei abseits von „Twilight“-Kitsch nicht neues mehr hinzuzufügen, sieht sich dank „Vampire Nation“ Lügen gestraft. Mickles Film erfindet seine einzelnen Versatzstücke sicherlich nicht neu, setzt sie aber zu einem ansprechenden Ganzen zusammen, das sich gut und gerne als Allegorie auf einen möglichen US-Post-Kapitalismus lesen lässt. Es mangelt ihm noch etwas an einer differenzierteren, memorableren Charakterzeichnung und einer emotionalen Ebene über die staubige, mehr an Italo-Western denn an zahlreiche „Mad Max“-Epigonen gemahnende Endzeit-Atmosphäre hinaus, alles andere befindet sich in dieser Low-Budget-Independent-Produktion jedoch auf höherem Niveau, als von mir beim Einlegen des Films erwartet.
Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
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Byzantium

„Nur die, die bereit sind zu sterben, werden ewiges Leben finden!“

Nach „Interview mit einem Vampir“ aus dem Jahre 1994 widmete sich der irische Filmemacher Neil Jordan 2012 erneut der Vampir-Thematik: „Byzantium“ lautet der Titel des sensiblen Horror-Dramas um zwei Vampirdamen, das in irisch-britisch-US-amerikanischer Koproduktion realisiert wurde.

Eleanor (Saoirse Ronan, „Wer ist Hanna?“) und Clara (Gemma Arterton, „Spurlos - Die Entführung der Alice Creed“) sind Vampire, charakterlich jedoch sehr gegensätzlich: Während Eleanor die Abgeschiedenheit und Ruhe bevorzugt, stürzt sich Clara gern ins Nachtleben. Seit ihrer Vampirwerdung vor mehr als 200 Jahren befinden sie sich auf einer ständigen Reise oder vielmehr Flucht und pflegen dabei ein Mutter-Tochter-Verhältnis, während sie über die Runden zu kommen versuchen – und regelmäßig frisches Blut benötigen. Eleanor zeigt sich zunehmend erschöpft und würde nur zu gern irgendwo unbehelligt sesshaft werden. Als Clara den Hotelbesitzer Noel (Daniel Mays, „Die Schatzinsel“) kennenlernt, bietet sich zumindest die Gelegenheit, ein großes Gebäude an der englischen Küste zu beziehen, aus dem Clara kurzerhand ein Bordell macht. Dass die beiden dauerhaft in Frieden ihr Dasein fristen können, verhindert leider eine mysteriöse Vampir-Bruderschaft, die ihnen unablässig auf der Spur ist...

Jordan beginnt seine Schauermär mit einer brutalen Schockszene, einer Enthauptung durch Clara. Fortan jedoch gibt sich „Byzantium“ poetisch – bisweilen etwas bemüht – und legt viel Wert auf durchkomponierte, eindrucksvolle Bilder, die dem Film ein künstlerisches Erscheinungsbild verschaffen und entscheidend für die häufig verträumte Stimmung, die unwirkliche, doch anziehende Atmosphäre des Films sorgen. Eleanors Stimme erklingt häufig aus dem Off, wenn sie aus ihrem Tagebuch liest und der Handlung so ihren Rahmen gibt. Diverse Rückblenden in ihre Vergangenheit erweitern diesen und erzählen schließlich von der Vampirwerdung: Ein Eremit in einer Felsinselhöhle infizierte einst Soldaten. Sogar zu Rückblenden innerhalb von Rückblenden lässt Jordan sich hinreißen und verleiht der Handlung auf diese Weise tatsächlich Tiefe.

Eleanor ist also über 200 Jahre alt, befindet sich jedoch im Körper einer Jugendlichen. Sie hat das Vampir-Dasein eigentlich satt, sucht sich aus moralischen Gründen bevorzugt todgeweihte Menschen für ihren Blutkonsum und sehnt sich nach einer festen Beziehung mit ihrem Freund, dem sie sich sogar offenbart. Ohne den Film für sich zu vereinnahmen, spielt diese Romanze eine größere Rolle, da sie kitschfrei verdeutlicht, wie sich Eleanor von Clara unterscheidet als Eleanor als Projektionsfläche ihrer Sehnsucht dient. Auch eine angenehm dezente Erotiknote findet sich in Jordans Bildern wieder, ohne sich jedoch auf das Weiblicher-Vampir-Terrain der „Hammer Productions“, eines Jean Rollins oder Jess Francos zu begeben. Erwartungsgemäß steuert die Handlung auf eine Konfrontation mit der Vampir-Bruderschaft zu, das Jordan aufregend zu inszenieren verstand.

Leider sind Eleanors Dialoge oftmals ziemlich gestelzt (möglicherweise der deutschen Synchronisation geschuldet?) und entglitt Jordan ein wenig das Timing, „Byzantium“ wirkt letztlich doch etwas in die Länge gezogen. Dafür bietet er aber neben anmutigen Schauspielerinnen eine fantasievolle, traurige Geschichte, die vor allem von Emanzipation handelt, sowohl der Vampirinnen von der patriarchalischen Bruderschaft und ihren strengen Regeln als auch der Tochter von ihrer Mutter. Und wer im direkten Vergleich der Lebensentwürfe Claras und Eleanors einen Hang Eleanors zu einem neuen, positiv konnotierten Konservatismus, in dem Werte wie feste, liebevolle, monogame Bindungen, Sesshaftigkeit und Verlässlichkeit wieder mehr gelten als in manch Generation seit ’68, liegt möglicherweise auch nicht so verkehrt. Ein „schöner“, leidenschaftlicher Film, der einen interessanten Aspekt des Vampir-Mythos fokussiert und den man am besten spät am Abend eingekuschelt mit einem lieben Menschen im Bett guckt.
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Operation Naked

Journalist Mario Sixtus ist ein „digital Native“, der sich schwerpunktmäßig mit dem Themenkomplex Internet, insbesondere der Netzpolitik, auseinandersetzt. Als freier Autor veröffentlichte er u.a. in der „Zeit“ sowie den Fachperiodika „c’t“ und „Technology Review“. Für den Handelsblatt-Verlag produzierte er dreieinhalb Jahre lang den preisgekrönten Video-Podcast „Elektrischer Report“, der später auch im ZDFinfokanal ausgestrahlt wurde. Außerdem stand er regelmäßig für das 3SAT-Computermagazin „neues“ vor der Kamera. Für seine 2016 für den Spartensender zdf.kultur produzierte, 50-minütige Mockumentary „Operation Naked“ über soziale und politische Auswirkungen von Datenbrillen mit Gesichtserkennungsfunktion verfügte er demnach über fundiertes Hintergrundwissen.

Michelle Spark (Sarah-Rebecca Gerstner, „Schrotten!“) hat eine Datenbrille erfunden, die sie im ZDF-Fernsehen präsentiert. Mit ihr auf der Nase lässt sich Gesehenes automatisch mit Informationen im Internet abgleichen. Zu Kleidung werden Marke und Preis angezeigt, zu Menschen Namen und weitere Daten – u.a. zu einem Lehrer (Gábor Biedermann, „Schreie der Vergessenen“), der von der Live-Demonstration nichts ahnen kann und vor einem Millionenpublikum dabei gezeigt wird, wie er einen Schwulen-Club betritt, woraufhin er seine Anstellung verliert. Aus diesen und ähnlichen Gründen befindet sich eine anonyme Gruppe, die sich nur hinter silbernen Masken in Bekennervideos zeigt, auf einem Feldzug gegen die Datenbrillen. Doch Spark wird nicht müde, die technischen Errungenschaften ihrer Erfindung zu propagieren…

Der durch Internet-„Big Data“-Sammelei gläserne Bürger und die Konsequenzen sind das Thema dieser Mockumentary, die weitestgehend gleichberechtigt beide Seiten – Gegner wie Befürworter – wortgewaltig argumentieren lässt und die durchaus berechtigte Frage stellt, ob der Anstellungsverlust des Homosexuellen eine Folge der Datenbrille oder doch eher reaktionärer, sexistischer Moralvorstellungen innerhalb der Gesellschaft und ihrer Entscheidungsträger ist, die die Datenbrille öffentlich zu machen und zu diskutieren half. Anhand dieses einen konkreten Beispiels hilft „Operation Naked“, auch einfachsten Gemütern zu veranschaulichen, auf welche Weise sich im Internet hinterlassene Daten nutzen lassen und lässt der Film das Missbrauchspotential erahnen.

Dabei bedient sich Sixtus eines originellen, experimentellen Stils, den er das „Stumbling-Prinzip“ nennt: „Operation Naked“ besteht fast ausschließlich aus fingierten Ausschnitten realer ZDF-Sendungen, angefangen beim „Morgenmagazin“ über die „heute“-Nachrichten bis hin zu Lanz und Böhmermann (wo das Prinzip dann auch erläutert wird), lässt seine Geschichte also zu einem nicht unbeträchtlichen Teil von tatsächlichen ZDF-Mitarbeitern erzählen, wobei er gern mitten in Dia- und Monologen zur nächsten Sendung springt. Mit „Knock off“ dürfte sich lediglich eine einzige fiktive Sendung eingeschlichen zu haben, während die „Silberköpfe“-Rebellen an Anonymous angelehnt sind. Daraus ergibt sich ein mitunter regelrecht beißender Realismus, der nicht nur das Thema erschöpfend behandelt, ohne dabei den Zuschauer zu bevormunden, sondern auch die Mechanismen des Fernsehens und seiner verschiedenen Formate auf intelligente, gut beobachtete Weise aufzeigt.

Natürlich ist „Operation Naked“ Zukunftsmusik, Science-Fiction – jedoch eine alles andere als abwegige, mögliche. Gesichtserkennung ist eine sich längst im Einsatz befindende Technologie, soziale Netzwerk wie „Facebook“ erkennen selbständig auch auf Gruppenfotos ihre Mitglieder und verknüpfen sie so mit ihren Daten. Und portables Internet in Alltagsgegenständen ist längst ein alter Hut, ob nun im Mobilfon oder der Armbanduhr, auch Datenbrillen befinden sich tatsächlich auf dem Markt.

Letztlich greift Sixtus die Argumentation der Datensammel- aus -auswertungsbefürworter auf und demonstriert, wie sie zwei Themen, nämlich das Recht auf Privatsphäre und den Kampf gegen überholte gesellschaftliche Moralvorstellungen, gegeneinander auszuspielen versuchen und davon ablenken, dass in einem wirklich freien Sozialgefüge beides gegeben sein muss. Sein Film ist dabei weder technokratisch noch nerdig, auch nicht verbissen ernst oder überzeichnet krawallig, sondern ein nahezu perfektes abstrahiertes, lehrreiches TV-Spezial, dabei mit seiner auch an Kriminalfilme angelehnten Handlung schwer unterhaltsam. Einziger Wermutstropfen: Dieses Thema geht fast alle etwas an und darf daher nicht in einem Spartenkanal versteckt werden. ZDF prime time wäre angemessen gewesen, doch dank Creative-Common-Lizenz lässt sich der Film dauerhaft gratis im Netz ansehen.
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O Brother, Where Art Thou? - Eine Mississippi-Odyssee

„Ein Narr ist, wer nach Logik in den Kammern des menschlichen Herzens sucht!“

Nach ihrer Kult-Komödie „The Big Lebowski“ hieß der nächste Streich der Coen-Brüder Joel und Ethan „O Brother, Where Art Thou? - Eine Mississippi-Odyssee“, eine sich an Homers klassischer Odyssee orientierende, in den US-Südstaaten der 1930er Jahre angesiedelte Abenteuerkomödie.

Kettensträfling Ulysses Everett McGill (George Clooney, „Return to Horror High“) hat in nur vier Tagen einen wichtigen Termin, dessen Wahrnehmung durch seine weitere Inhaftierung empfindlich gefährdet wird. Mit dem ausgedachten Verweis auf einen vermeintlichen Goldschatz überredet er seine geistig etwas schlichteren Mithäftlinge Delmar (Tim Blake Nelson, „Fido - Gute Tote sind schwer zu finden.“) und Pete (John Turturro, „Leben und Sterben in L.A.“), mit ihm gemeinsam die Flucht anzutreten. Es folgt eine Odyssee quer durch Mississippi, die das Trio in eine Reihe verrückter Abenteuer verstrickt: Zusammen mit einem schwarzen Gitarristen nimmt man eine Hitsingle auf, tritt gegen einen „Zyklopen“ (John Goodman, „The Big Lebowski“) an, muss sich vor „Sirenen“ an einem Fluss retten, hilft bei einem Bankraub aus und schlägt sich mit Zwergen sowie dem Ku-Klux-Klan herum…

Glänzte man im Vorgängerfilm noch mit dem trockenen Humor des Dudes, der aufbrausenden Cholerik eines John Goodman und viel Situationskomik in einer detailreich ausgeschmückten Handlung, hetzt „O Brother, Where Art Thou?“ seine Protagonisten von einer Situation zur nächsten, dabei grob die Stationen Odysseus‘ persiflierend, und setzt auf ein permanentes Overacting George Clooneys, der damit zwar seine komödiantischen Qualitäten unter Beweis stellt, jedoch weit davon entfernt ist, ein ähnliches Profil wie beispielsweise Jeff Bridges zu entwickeln. Dieser Film ist eine hochgradig alberne Aneinanderreihung von Einzelszenen, die bemüht mit einem roten Faden verbunden werden und sich neben ihrer Starbesetzung allzu sehr auf die durchaus aufwändig auf ‘30er getrimmte Ausstattung und das Herumreiten auf Südstaaten-Klischees verlassen. So zieht sich ein penetranter Country-Soundtrack mit zahlreichen Gesangseinlagen durch den Film, bis die Ohren bluten und bleibt nach der Odyssee vor allem ein Eindruck zurück: Auch die Orientierung an antiker Literatur schützt nicht vor Holzhammer-Humor, der (in diesem Falle) so gar nicht meiner ist, wenn sich auch manch belesen schätzender Rezipient wissend-überlegen ins Fäustchen lachen und sich darüber freuen mag, dass er wieder eine Anspielung mehr erkannt hat, als es ungebildetere Zuschauer evtl. vermögen – wohlweislich übersehend, dass dies den Film leider kein Stück besser macht.

Zugutehalten lässt sich indes die antirassistische Aussage des Films ebenso wie die schauspielerische Leistung Nelsons und Turturros als backpfeifengesichtige Dämlacks, während Clooney seinen Pomaden-Running-Gag überzustrapazieren angehalten ist. „O Brother, Where Art Thou?“ ist ein überkandidelter und -ambitionierter Comic mit realen Schauspielern, der sich an ein Hochglanz-Mainstream-Publikum richtet, aber leider keine Komödie, die meinen Geschmack trifft – dafür fehlen Feinsinn, Tiefgang oder schlicht der gewisse Pfiff, evtl. auch einfach Radikalität oder echte Überraschungen.
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Die letzte Kriegerin

Der neuseeländische Regisseur Lee Tamahori wurde vor allem mit seinem Beitrag „Stirb an einem anderen Tag“ zur James-Bond-Reihe aus dem Jahre 2002 populär, debütierte jedoch bereits (nach drei Beiträgen zur „Bradburys Gruselkabinett“-TV-Serie) 1994 mit dem Kinofilm „Die letzte Kriegerin“ – einem neuseeländischen Drama im Umfeld der Māori auf Grundlage des Romans „Warriors“ aus der Feder Alan Duffs.

Familie Heke gehört dem Stamm der Māori, der neuseeländischen Ureinwohner, an und lebt am Stadtrand Wellingtons – und am Rande der Gesellschaft. Mutter Beth (Rena Owen, „Star Wars: Episode III - Die Rache der Sith“) lebt mit ihrem Mann Jake (Temuera Morrison, „Stirb niemals allein“) und einem Sohn, der jedoch bald wegen seiner Diebstähle in eine Jugendanstalt eingewiesen wird, sowie der kleinen Tochter Grace (Mamaengaroa Kerr-Bell) zusammen. Der älteste Sohn ist längst außer Haus, seit er sich einer Straßengang angeschlossen hat. Der arbeitslose Jake feiert regelmäßig mit seinen Freunden in der örtlichen Trinkhalle, wo er sich auch gern Schlägereien liefert. Nicht selten nimmt er anschließend seine Saufkumpanen mit nach Hause und setzt dort die Partys fort. Sturzbetrunken lässt er seinen Frust dann häufig an seiner Frau aus und prügelt sie grün und blau. In der Regel vertragen sie sich am nächsten Tag wieder, vor allem, weil Beth darauf bedacht ist, die Familie zusammenzuhalten – u.a. Grace zuliebe, die gerade dabei ist, ihr schriftstellerisches Talent zu entdecken. Als auch sie ein Opfer der nächtlichen Eskapaden Jakes und seiner Freunde wird, kommt es jedoch zur Tragödie...

Tamahori entstammt selbst den Māori und wird wissen, wovon die (mir unbekannte) literarische Vorlage handelt, was man seinem Film zu jeder Sekunde anmerkt: Der mit vielen ihre Sache ganz ausgezeichnet machenden Laiendarstellern gedrehte Film wirkt erschreckend distanzlos, authentisch und voll ehrlicher Wut und Verzweiflung. „Die letzte Kriegerin“ ist eine Art Bestandaufnahme der Folgen der Kolonialisierung Neuseelands und der Verdrängung der Ureinwohner einer- sowie eine bedrückende Sozialstudie menschlichen Elends andererseits. Der Film vermittelt zudem einen beunruhigenden Eindruck davon, wie es in einem patriarchalen Kulturkreis zugehen kann, in dem es wenig geächtet ist, Frauen zu misshandeln. Jake hat es sich in seiner Opferrolle eingerichtet und offenbar die Hoffnung verloren, etwas an den bestehenden Verhältnissen ändern zu können – so er sie jemals besessen hat. Er tritt nach unten, vergreift sich an körperlich Unterlegenen und geht wieder zum Alltag über, der für ihn vor allem das Feiern und Saufen in der Gruppe bedeutet, in der er etwas gilt. Dabei werden jedoch auch immer wieder die mutmaßlichen Gründe deutlich, aus denen Beth ihn einst ehelichte: Hat der Alkohol noch nicht die Kontrolle über sein Handeln übernommen, ist er ein warmherziger, lebenslustiger Mann, zudem kräftig und gutaussehend, der stolz auf seine Frau ist und mit Vorliebe laute Lieder singt, also keinesfalls ein depressiver, frustrierter Mensch, der permanent unausstehlich wäre. Diese Ambivalenz, die aggressive Trinker zunächst häufig als überaus charmante Mitmenschen erscheinen lässt, wird unter Tamahori nur allzu deutlich.

So gar nichts wissen will Jake allerdings von Beth‘ Familienbanden zu traditioneller lebenden Māori; vielleicht, weil er ahnt, dass diese insgeheim noch immer eine Option für seine Frau darstellen, ohne ihn auszukommen. Und so ist „Die letzte Kriegerin“ dann auch ein Film über bzw. pro Rückbesinnung auf die eigenen Wurzeln und die Hoffnung, die auch nach schwersten Tragödien und Verbrechen noch immer irgendwo am Horizont leuchtet und die es sich zu ergreifen lohnt, auch wenn oder gerade weil sie damit einhergeht, ein neues Leben zu beginnen. Der Weg dorthin, den die Handlung zeigt, ist allerdings brutal und schwer erträglich, wobei am auffälligsten neben der letztlich das Schicksal der Familie besiegelnden Untat sicherlich die wahrlich krass choreographierten, schnellen, ultrabrutalen Schlägereien sind, die den Atem stocken lassen. Durch seine Reduktion auf rund 100 Filmminuten geht manch Entwicklung etwas schnell vonstatten und hätte sich bei mehr Zeit bestimmt emotionaler und tiefgründiger ausschmücken lassen. Doch auch in seiner letztendlichen Form ist „Die letzte Kriegerin“ ein intensives Familien- und Milieu-Drama, das sich anzusehen zweifelsohne lohnt.
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EM-History - ...mehr als nur Fußball

Aus dem Jahr 2004 stammt die Dokumentation „EM-History - ...mehr als nur Fußball“ der Autoren Jirka Schink und Jens Schiffer, die sich satte 215 Minuten lang streng chronologisch mit der Geschichte der Fußball-Europameisterschaft der Herren von 1960 bis 2000 auseinandersetzt. Ein Sprecher führt durch den Film, für den kräftig die Archive durchforstet und zahlreiche alte Bilder und Interviews ausgegraben wurden. Turnier um Turnier wird abgeklappert und auf diese Weise lässt man viele sportgeschichtliche Ereignisse Revue passieren. So musste sich Helmut Schön beispielsweise nach der vergeigten Qualifikation gegen Albanien rechtfertigen – Bilder, die längst nicht mehr zum allgemein abrufbaren Erinnerungsgut zählen. Die jeweilige Bedeutung der Turniere wird herausgearbeitet – auch wenn es für das DFB-Team mal nicht so toll lief – und parallel die Bundesliga-Entwicklung betrachtet. Die Turniere werden zeitlich und in Bezug auf das jeweils vorherrschende gesellschaftliche Interesse eingeordnet und so bekommen gerade jüngere Zuschauer einen Eindruck davon, dass EM-Spiele längst nicht immer derartige Straßenfeger wie heutzutage und die Turniere nicht so aufgebläht wie zuletzt 2016 waren.

Ferner zeigt der Film, was in den jeweiligen Zeitabschnitten über den Fußball hinaus politisch und populärkulturell von Bedeutung war, was ihn besonders interessant macht, wenn auch natürlich viel mehr als grobe Anrisse in diesem Rahmen nicht möglich sind. Auf Spielerpersönlichkeiten wie Netzer, Hoeneß, Schumacher, Völler und Häßler wird näher eingegangen, derer es jedoch natürlich noch viel mehr gab, weshalb sie lediglich exemplarischen Charakter besitzen. Weshalb besondere Aufreger wie beispielsweise Ronald Koemans Arschabwischgeste nach dem Spiel gegen West-Deutschland während der EM 1988 unter den Teppich gekehrt werden, erschließt sich mir hingegen nicht – möglicherweise im Zuge der deutsch-niederländischen Freundschaft? Darüber hinaus trifft der Sprecher jedoch meist den richtigen Ton und die Gewichtung mit Fokus auf der DFB-Elf ist durchaus angenehm.

Hatte man die Dokumentation anfänglich noch mit Funk-Stücken unterlegt, nerven irgendwann die verstärkt eingesetzte Elektro-Musik und der modernistische, künstliche Look. Ab 1992 schleichen sich auch einige Patzer ein: Ausschnitte und Formulierungen wiederholen sich und einen großen Fauxpas leistet man sich, als man Deutschland als zweimaligen Weltmeister bezeichnet, den grandios erlangten WM-Titel 1990 offenbar ignorierend. So etwas müsste eigentlich in der finalen Bearbeitung auffallen. Nichtsdestotrotz handelt es sich um eine schöne und sehr informative Zeitreise, an der nicht nur, aber natürlich insbesondere Fußball-Fans ihre Freude haben sollten.
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Die Geschichte der O

„Ich hab' es ertragen, ich hab' es ausgehalten - für dich!“

Nachdem der französische Modefotograf Just Jaeckin 1974 mit seiner „Emanuelle“-Verfilmung öffentlichkeitswirksam als Regisseur debütiert hatte, machte er sich nur ein Jahr später an die nächste filmische Umsetzung erotischer Literatur: Er knöpfte sich in französisch-deutsch-kanadischer Koproduktion Anne Desclos‘ „Geschichte der O“ vor und landete einen Skandalfilm, der sich um weiblichen Masochismus dreht – oder dies zumindest vorgibt.

„O fragte sich, warum sie trotz aller Qual so viel Süße empfand...“

Die attraktive junge O (Corinne Cléry, „Wenn Du krepierst - lebe ich“) ist eine submissive Masochistin, die sich von Ihrem Freund René (Udo Kier, „Hexen bis aufs Blut gequält“) ins Schloss „Roissy“ geleiten lässt, um sich in völliger Unterwerfung ausbilden zu lassen. Zusammen mit Gleichgesinnten lehrt er sie, sämtlichen männlichen Schlossbewohnern jederzeit in jeder Hinsicht zur Verfügung zu stehen und es über sich ergehen zu lassen, ausgepeitscht zu werden. O gibt sich alldem freiwillig hin und kehrt später in ihren Beruf der Modefotografin zurück. Daraufhin stellt René sie seinem väterlichen Bekannten Sir Stephen (Anthony Steel, „Winnetou - 2. Teil“) vor, dem sich O von nun an zu fügen hat.

Eine Erzählerin führt aus dem Off mit mutmaßlichen Zitaten aus der (mir unbekannten) literarischen Vorlage durch die marginale Handlung des Films, der sich mit Fug und Recht als Softporno bezeichnen lassen muss. Dies liegt darin begründet, dass es Jaeckin und Drehbuchautor Sébastien Japrisot bei aller Weichzeichner- und Hochglanzästhetik im prunkvollen Schlossambiente nicht zu verhehlen gelingt, dass es ihnen in erster Linie um Zurschaustellung weiblicher Nacktheit und fragwürdig ästhetisierte Vergewaltigungs- und Misshandlungsszenen geht. Eine psychologische Ebene wird leider ebenso ausgespart wie Details zu persönlichen Hintergründen der jungen Fotografin, die ihr Verhalten möglicherweise verständlicher gemacht hätten. So wenig ich mir anmaßen möchte, die ja offensichtlich von einer Frau stammenden literarische Vorlage als frauenfeindlich zu verurteilen, so wenig kann ich mich selbst in diese Phantasien aus weiblicher Unterwürfigkeit bzw. männlicher Ausnutzung derselben hineinversetzen.

Jaeckin und sein Team scheint das auch wenig zu interessieren, denn die filmische Aufarbeitung des Stoffs scheint doch in erster Linie Männerphantasien unhinterfragt zu bedienen, womit der Film, wollte er als ernstzunehmender, hintergründiger Beitrag zur Thematik ernstgenommen werden, problematisch wird: Welche Zielgruppe wird bedient, welche Rückschlüsse auf die Freiwilligkeit von Frauen werden suggeriert, welche Bedeutung wird Sexualität und Partnerschaft zugeschrieben – und inwieweit kann „Die Geschichte der O“ als exemplarisches Beispiel für devote Sexualität missverstanden werden, inwiefern legte es man es evtl. gar darauf an?

In seiner Inszenierung aus getragener Orchestermusik zu aufgesetzt elegantem Pomp-Ambiente wirkt „Die Geschichte der O“ derart unwirklich und kitschig, dass er als das Phantasieprodukt Softporno für die entsprechende Klientel sicherlich „funktioniert“. Während die Handlung nach Os „Initiation“ über ihre „Überlassung“ an Sir Stephen und ihrem anfänglichen Zögern noch eine Lesbenszene unterbringt, in der O eine Jacqueline (Li Sellgren, „Madame Claude und ihre Gazellen“) verführt und schließlich darin mündet, dass sie Intimpiercings bekommen soll und ihr ein Brandzeichen verpasst wird, schwankt man als Zuschauer zwischen einer nicht abzusprechenden Faszination für Jaeckins erotikfotografisches Verständnis, der Enttäuschung darüber, was er letztlich daraus macht und viel gepflegter Langeweile, denn dramaturgisch ist „Die Geschichte der O“ eine glatte Sechs.

Jaeckins Film bewegt sich damit stets zwischen den Polen visuell beeindruckend und kitschig, männlich-heterosexuell erotisch und abtörnend sowie inhaltlich mutig und zweifelhaft (um es einmal vorsichtig auszudrücken) und bleibt derart oberflächlich und optisch porentief rein, dass seine eigentliche Thematik in einem Pastellschleier aus Prätention, Naivität, Phantasie und bemühter Mystifizierung versinkt.
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Schtonk!

„Kotzeschtonk!“

Die Veröffentlichung gefälschter Tagebücher Adolf Hitlers durch das Hamburger Magazin „Stern“ im Jahre 1983 gilt als einer der größten bundesdeutschen Medienskandale der Nachkriegszeit und war Regisseur Helmut Dietl („Der Durchdreher“) 1992 Anlass für seinen nach einigen Serienbeiträgen zweiten Spielfilm, die Mediensatire in Komödienform „Schtonk!“.

„Ich will Ihren Nazi-Scheiß nicht mehr hören! Das will niemand wissen!“

„HHpress“-Journalist Hermann Willié (Götz George, „Der Totmacher“) hat sich finanziell mit dem Kauf der Yacht des ehemaligen Reichsmarschalls Hermann Göring übernommen und auch seine Beziehung mit der Görings Nichte Freya Freifrau von Hepp (Christiane Hörbiger, „Mrs. Harris - Ein Kleid von Dior“), die er daraufhin eingeht und monetär wie journalistisch auszuschlachten versucht, bringt nicht den gewünschten Erfolg. Er wittert jedoch seine große Chance, als sie ihn zu einem alljährlichen Treffen von Altnazis mitnimmt, wo er von einem angeblichen Tagebuch Adolf Hitlers erfährt. Daraufhin nimmt er Kontakt mit dem NS-Devotionalien-Händler Prof. Dr .Knobel (Uwe Ochsenknecht, „Männer“) Kontakt auf, der ihm rund 60 weitere Hitler-Tagebücher in Aussicht stellt. Ohne die Chefredaktion einzuweihen, gelingt es ihm, die geforderte Summe von neun Millionen DM vom Verlag für den Kauf zur Verfügung gestellt zu bekommen. Was Willié nicht ahnt bzw. nicht wahrhaben will: Knobel ist weder Professor noch Doktor, sondern passionierter Fälscher, der nun mit der Arbeit an den Tagebüchern beginnt… Bald erliegt auch die HHpress-Redaktion der Faszination für die vermeintlichen persönlichen Führer-Aufzeichnungen und verkündet mit stolzgeschwellter Redakteursbrust, dass die deutsche Geschichte zu großen Teil neu geschrieben werden müsse – bis das BKA dem Schwindel auf die Schliche kommt.

Mit Schwarzweiß-Bildern des Zweiten Weltkriegs und Hitlers Tod eröffnet Dietl seine Satire und setzt Knobel als Erzähler ein, der in seine Kindheit zurückblickt, in der er den US-Besatzern bereits vermeintliche Nazi-Reliquien gewinnbringend veräußerte. Auch die „Wirtschaftswunderjahre“ werden in kritischem Tonfall Revue passiert, bis Knobel mit seiner Biggi (Dagmar Manzel, „Coming Out“) ins Schwäbische zieht, womit der Prolog endet und die Bilder farbig werden. Nun wird der Zuschauer mit Willié bekanntgemacht, der Görings Yacht ersteht und diese erfolglos dessen Nichte weiterzuverkaufen versucht, wofür er sogar mit ihr ins Bett steigt. Götz George mimt den schmierigen, rückgratlosen Journalisten karikierend und komödiantisch überzeichnet, beweist damit komisches Talent ebenso wie Mut zur (inneren) Hässlichkeit. Knobel fälscht derweil ein Aktgemälde Eva Brauns, für das ihm Landarbeiterin Martha (Veronica Ferres, „Babylon - Im Bett mit dem Teufel“) Modell steht, nachdem seine Frau Biggi sich weigerte. Auch diese Fälschung kann er an die alten Nazis verschachern, der eitle Professor Strasser (Karl Schönböck, „Otto – Der Film“) will sogar dabei gewesen sein, als Hitler das Bild gemalt habe.

Spätestens jetzt hat der Zuschauer einen Überblick über die Hauptcharaktere, die für unterschiedliche Befindlichkeiten und Lebensentwürfe stehen, vom sensationslüsternen, sich zu Höherem berufen fühlenden Schreiberling über unbehelligte, um Bedeutung, Anerkennung, Vergangenheitskonservierung und Revisionismus ringende Nazis bis hin zum aus all diesen Eitelkeiten Kapital schlagenden, verschlagenen und bauernschlauen Hochstapler, der sich ohne jede Berührungsängste in diesen Kreisen bewegt.

Für seinen Film hat Dietl die Namen der Beteiligten geändert, orientiert sich ansonsten aber näher an der Realität, als es ohne Vorkenntnisse zunächst den Anschein haben mag: Bei Knobel handelt es sich natürlich um den nach seiner Haftentlassung populär gewordenen, überaus talentierten Fälscher Konrad Kujau, während Hermann Willié „Stern“-Reporter Gerd Heidemann nachempfunden ist, der tatsächlich fünf Jahre lang mit Göring-Tochter Edda liiert war. Was damals geschehen war, war wirklich unglaublich und nur die Spitze des Eisbergs in Hinsicht auf reißerische Nazi-Storys im Speziellen und fragwürdige bis krass falsche Berichterstattung der Massenblätter im Allgemeinen. Kujau muss man bis heute dafür dankbar sein, Heidemann, den „Stern“ und Konsorten derart an der Nase herumgeführt und damit letztlich öffentlich vorgeführt zu haben. Doch Dietl behandelt nicht nur das Thema der Medienethik anhand dieses Falls, sondern zieht auch auf durchaus hintergründige Weise den bundesdeutschen Umgang mit Altnazis nach ausgebliebener Entnazifizierung kräftig durch den Kakao, was Rückschlüsse auf das ambivalente, zwischen Ablehnung und vor allem aber Faszination pendelnde Verhältnis weiter Teile Deutschlands zur NS-Vergangenheit tatsächlich bis in die bunten 1980er Jahre hinein erlaubt – woran sich bis heute auch nichts grundlegend geändert zu haben scheint. Etwas schade ist lediglich, dass das Drehbuch keinen Platz dafür fand, die diesem Phänomen zugrundeliegenden Ursachen stärker anzureißen – wenngleich diese auch nicht das eigentliche Thema des Films darstellen.

Im Zuge der satirischen Überspitzung lässt Dietl Knobel hitlereske Züge annehmen, je tiefer dieser versucht, in die Gedankenwelt des GröFaZ einzutauchen, während Willié dem Wahnsinn immer näher scheint und in seiner Selbstüberschätzung endgültig zu einer Karikatur seiner selbst gerät. Es ist schön zu sehen, wie sich deutsche Schauspielgrößen in diese Rollen mit viel Verve einfanden und so ein überaus charakteristisches Stück deutscher Mediengeschichte in zynisch-humorvoller Weise aufarbeiteten. Mit „Schtonk!“ ist Dietl eine größtenteils stimmige Groteske gelungen, die derart abwegig anmutet, dass sie tatsächlich nur auf wahren Begebenheiten beruhen kann, die sich innerhalb einer jeglicher Vernunftbegabung entbehrender Klientel abgespielt hat, über das man sich natürlich tief empören, vor allem aber vollkommen zurecht lustig machen kann, nein, muss – und dies dank „Schtonk!“ immer wieder aufs Neue kann. Dafür verschachere ich nur allzu gern 7,5 von 10 geheimen Filmtagebüchern meistbietend.
Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
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Re: bux t. brawler - Sein Filmtagebuch war der Colt

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Diary of the Dead

„Unser Problem sind nicht mehr die Leute, die die Landesgrenzen überqueren. Es sind die Leute, die die Grenze zwischen Leben und Tod überqueren!“

Zwei Jahre nach seinem fulminanten Comeback mit „Land of the Dead“, der aus seiner stil- und genreprägenden Zombie-Trilogie eine Tetralogie machte, drehte George A. Romero den für rund zwei Millionen Dollar unabhängig produzierten „Diary of the Dead“. Der 2007 veröffentlichte Film bricht mit der Kontinuität der Reihe und stellt einen Neubeginn dar. Zudem handelt es sich um Romeros Beitrag zur seinerzeit (bzw. noch immer) grassierenden Found-Footage-Welle, einer der Gründe, weshalb er viel Kritik von einstigen Fans einstecken musste. Dabei ist „Diary of the Dead“ längst nicht so schlecht, wie er vielerorts beurteilt wurde, sodass ich manch Verriss auf eine falsche Erwartungshaltung zurückführe.

„Es gab nur noch uns: Blogger, Hacker, Computerfreaks.“

Eine Gruppe Filmstudenten dreht gerade in den Wäldern Pennsylvanias einen Amateur-Horrorfilm, als sich über die Medien die Nachricht von kannibalistischen Untoten verbreitet. In ihrem Wohnmobil fliehen die Freunde durch menschenleere Straßen, betreten Krankenhäuser, in denen niemandem mehr geholfen wird und treffen auf schwerbewaffnete Afro-Amerikaner ebenso wie auf die Nationalgarde – sowie kreuzgefährliche Untote, deren Bisse ihre Opfer zu ihresgleichen mutieren lassen. Jason (Joshua Close, „Der Exorzismus von Emily Rose“) versucht, so viel wie möglich davon mit seiner Handkamera und somit für die Nachwelt festzuhalten…

„Es gibt keine Erzengel mehr!“

Romero verwendet unausgestrahltes TV-Material einer Familientötung mit anschließender Zombiewerdung als Prolog, der aus dem Off von einer jungen Dame kommentiert wird, die man als Jasons Freundin Debra (Michelle Morgan, „Die Feuerschlange“) kennenlernen wird. Mit dem eigentlichen Beginn des Films befindet man sich am Set des Mumienhorror-Drehs „Der Tod des Todes von Jason“, an dem die Filmstudenten gerade arbeiten und an dem ein genresatirisches Streitgespräch über Horrorklischees entbrennt. Nachdem man die Kunde von den wandelnden Untoten vernommen hat, sucht Jason videodrehend Debra im Studentinnenwohnheim auf, bevor man gemeinsam als Gruppe vor den Zombies zu entkommen versucht. Romero versucht, gängige Found-Footage-Fehler zu umschiffen, indem er sie thematisiert: Debra regt sich immer mal wieder über die mitlaufende Kamera auf und hatte in der Einführung bereits zugegeben, den fertigen Film, den der Zuschauer gerade zu Gesicht bekommt, nicht nur geschnitten, sondern auch mit Sound etc. manipuliert zu haben. Zudem handelt es sich nicht nur um Jasons Material, sondern vielmehr um einen Dokumentarfilm aus verschiedenen Quellen wie Nachrichtensendungen, Überwachungskameras u.ä., der mit einigen weiteren Off-Kommentaren angereichert wurde. Romero tat gut daran, denn diese Art des Zusammenschnitts verschiedener Medien wird allein schon deshalb so schnell nicht langweilig, weil sie viel mehr zeigen kann – und Romero zeigt bekanntlich gern.

„Sind wir es wert, gerettet zu werden?“

Romeros Zombiefilme waren immer auch solche, die einen großen Reiz über ihre Spezialeffekte generierten. Auch in „Diary of the Dead“ serviert man voyeuristischem Publikum gelungene blutige Szenen, wenngleich man das SFX-Spektakel aus beispielsweise „Day of the Dead“ gar nicht erst zu übertrumpfen versucht. Neu hingegen ist der Humor, der sich des Weiteren nicht darin erschöpft, einen selbstironischen Blick aufs eigene Genre und dessen Klischees zu werfen. So treffen komödiantische Dialoge und Szenen wie die um einen wehrhaften Amish-Sektenanhänger auf einen kongenialen Brückenschlag zum Filmbeginn, als sämtliche anfänglich durch die Studenten für ihren eigenen Horrorfilm abgelehnten Klischees durch Zufall erfüllt werden. Bei der Reflektion kurz auf den Film veröffentlichter Rezensionen scheint dieser augenzwinkernde, auflockernde, nie zu alberne Humor kaum jemandem erwähnenswert gewesen zu sein, obschon er ein eindeutiges Indiz für Romeros Intention ist, einen neuen, von der bisherigen vierteiligen „…of the Dead“-Reihe unabhängigen Film zu schaffen, der deren Grimmigkeit nicht zu kopieren oder fortzuführen versucht.

Dennoch ist „Diary of the Dead“ inhaltlich weiterhin hart. Die Gruppe wird dezimiert, es kommt zu einem Familienbesuch der anderen Art und man wird von der Nationalgarde ausgeraubt. Rentner wollen nicht wahrhaben, was mit ihrer Familie passierte und verstecken die Zombiefizierten, was natürlich entsprechende Konsequenzen nach sich zieht. Und Kumpel Ridley (Philip Riccio, „Schwarzes Leder, heißes Blut II“), der verhinderte Mumiendarsteller aus dem Filmprojekt, nützen sein Reichtum und seine riesige Wohnung wenig, denn außer ihm sind dort alle tot. Jedoch muss er für einen Gag herhalten, als er nach seiner Infizierung durch einen Untotenbiss erstmals eine wirklich gute Mumie abgibt. Die Trockenheit, mit der Romero solch humoristische Szenen in die Handlung integriert, ist weit entfernt von der übertriebenen Albernheit manch Fun-Splatter-Vertreters o.ä. und läuft Stimmung und Tonfall des Films nicht diametral entgegen, der sich – wie bereits angedeutet – selbst gar nicht derart ernst nimmt, wie es anscheinend große Teile des Publikums taten.

Romero wäre nicht er selbst, hätte er die Gelegenheit ausgelassen, Gesellschafts- und Zivilisationskritik zu äußern. So verbreiten die offiziellen Medien die Unwahrheit, agiert die Nationalgarde alles andere als vertrauenserweckend und referieren die Schießübungen auf Zombies durch Sadisten auf das Ende von „Night of the Living Dead“, wobei sie hier ebenfalls den Schlusspunkt bilden, an den nur noch die oben zitierte Frage anknüpft. Zweifelsohne ist dies jedoch, und das ist einer meiner Hauptkritikpunkte an „Diary of the Dead“, absolut nichts Neues, sondern aus Romeros ursprünglicher Trilogie altbekannt. Innovativ war für Romero 2007, anhand dieses Films zeitgemäß die Bedeutung unabhängiger Medien und den Umgang mit Internet, Web 2.0 etc. zu verdeutlichen. Auf eine spannende Dystopie, wie er und sein Team sie für „Land of the Dead“ erdachten und damit den Faden der Trilogie weitersponnen, verzichtete man hier. In keinem Vergleich zu den Schauspielern aller vier vorausgegangenen Zombiefilme stehen auch die Darsteller, die an Charisma und Erinnerungswert derart arm sind, dass man sie in anderen Filmen evtl. nicht einmal als „die aus Diary…“ wiedererkennen würde.

„Diary of the Dead“ erweckt den Anschein einer Fingerübung Romeros, der irgendetwas zwischen einem eigenen Found-Footage-Film und einem Tribut an sich selbst erschaffen habe wollen. Das ist unterhaltsames Popcorn-Kino für Genre-Freunde, das immer noch dreckiger und härter als der Mainstream ist, dramaturgisch ohne Hänger auf den Punkt inszeniert wurde und in seiner Aussage nicht dumm, jedoch auch den Tiefgang und die Intensität der Tetralogie vermissend lassend ist, von der subgenre-evolutionären Wirkung der ursprünglichen Trilogie ganz zu schweigen. Den Tributcharakter in invertierter Form unterstreicht der Abspann, in dem Romero Kollegen wie Stephen King, Wes Craven, Guillermo de Toro oder auch Tom Savini als Nachrichtensprecherstimmten einsetzte.
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Re: bux t. brawler - Sein Filmtagebuch war der Colt

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Lose Control - Jungs außer Kontrolle

„Verzisch dich, du Kanalratte!“

Nachdem Francis Ford Coppola im Jahre 1983 mit „The Outsiders“ und „Rumble Fish“ gleich zwei Romane der Schriftstellerin Susan E. Hinton verfilmte hatte, machte sich US-Regisseur Christopher Cain („Der Junge vom schwarzen Fluss“) an ihren Roman „That Was Then... This Is Now“, im deutschsprachigen Raum ausgewertet als „Jungs außer Kontrolle“ bzw. „Lose Control“, gern auch beides in Kombination miteinander. Wie auch bei Coppolas wesentlich populäreren Verfilmungen handelt es sich um eine Coming-of-Age-Geschichte, die in einem weniger privilegierten Umfeld angesiedelt wurde:

„Küss bloß kein Mädchen, das einen Punkt auf den Lippen hat!“

Mark (Emilio Estevez, „Repo Man“) und Byron (Craig Sheffer, „Voyage of the Rock Aliens“) sind nicht nur zwei echte Tunichtgute, die Milch und Autos stehlen, sondern auch zwei Raufbolde, die sich nichts gefallen lassen und allerbeste Kumpels mit dem Herzen am rechten Fleck. Doch als Byron sich in die junge Cathy (Kim Delaney, „Das Geheimnis meiner Karriere“) verliebt, gerät Mark in Sorge, dass Byron zum Softie würde und ihre Freundschaft vernachlässige. Spätestens als Drogen ins Spiel kommen, droht die innige Freundschaft der beiden Adoleszenten tatsächlich zu zerbrechen…

„Drogen, oder? Statt sich auszukotzen, werfen sie dieses Zeug ein!“

Entdeckt habe ich den Film in einer Liste von Filmen, in denen Punks vorkämen. Der Soundtrack indes besteht vornehmlich aus New Wave, Synthie-Pop und Hip-Hop, doch tatsächlich gibt es in der Schule der beiden Hauptrollen eine negativ konnotierte Gruppe Punks, die abfällig über sie redet. Byron führt besagte Cathy zum Tanz aus, war aber einst mit einer Angela (Jill Schoelen, „Stepfather“) liiert, die nun bei den Punks ist. Ein „Punk“ im Netzhemd und mit geschminkten Augen nennt Byron „Schwuchtel“ – nein, Punks genießen keine sonderlich gute Reputation in diesem Jugenddrama. Doch darum es geht auch gar nicht: Eigentliches Thema des Films ist die schmerzhafte Trennung eines langjährigen gemeinsamen Wegs zweier bester Freunde, der mit der unterschiedlichen Entwicklung beider im Zuge ihres Erwachsenwerdens einhergeht. Im Folgenden gebe ich kommentiert die Handlung wieder:

Erst nach einer Stunde Laufzeit erfährt der Zuschauer, dass Mark und Byron zwar zusammenleben, aber keine Brüder sind: Sie sind wie Geschwister gemeinsam aufgewachsen, nachdem Marks Vater dessen Mutter ermordet hatte. Bis dahin gönnt man Marks Verlustängsten keine nachvollziehbare Entwicklung, sondern rattert sie schnell während der Autofahrt nach Byrons erstem Rendezvous herunter. Ferner etabliert man zwei Nebenhandlungsstränge, den um Cathys „M&M“ genannten schwächlichen Bruder (Frank Howard, „Das darf man nur als Erwachsene“) sowie jenen um Barkeeper Charly (Morgan Freeman, „Sieben“) erst ohne und dann schließlich doch mit Liebesglück. In der Bar des Letztgenannten hängen Byron und Mark gern herum und trinken Cola, weil sie für Bier noch zu jung sind. Diese Handlungsstränge und Charaktere gewinnen an Bedeutung, als Charly bei einem Überfall erschossen und seine Bar geschlossen wird. Während Byron seine Cathy hat, die ihm hilft, den Verlust des väterlichen Freunds zu verarbeiten, fällt Mike in ein emotionales Loch und wird scheinbar anlasslos gewalttätig. Und als Angela wieder solo ist und eine selbstmitleidige Phase durchlebt, dabei betrunken einschläft, schneidet Mark ihr kurzerhand die Haare ab.

Als „M&M“ plötzlich verschwindet, vermuten Byron und Mark, dass er drogenabhängig geworden sei. Darüber entbrennt ein folgenreicher Streit, denn er resultiert darin, dass sie sich gegenseitig ihre Freundschaft aufkündigen. Byron wird von den Sheppards, wie sich Teile der örtlichen Punks anscheinend nennen, zusammengeschlagen, womit die Handlung einmal unmissverständlich deren Gewalttätigkeit unterstreicht. Byron und Cathy finden „M&M“ schließlich in desolatem Zustand und es stellt sich heraus, dass man ihm Drogen als Bonbons untergeschoben hat, um ihn abhängig zu machen. Doch damit nicht genug: Er hatte die Drogen ausgerechnet von Mark, der sich nun als Drogendealer entpuppt, woran die Freundschaft endgültig zerbricht. Es kommt zu einer Action-Einlage in Form einer Verfolgungsjagd zwischen dem per Kfz fliehenden Mark und der Polizei, begleitet von einer kongenialen Instrumentalnummer mit entfesseltem ‘80er-Jahre-Saxophon. Letztendlich baut Mark einen Unfall und wird geschnappt. Doch ist der Gerechtigkeit damit wirklich genüge getan?

Zunächst einmal sicherlich. „Jungs außer Kontrolle“ geht es aber natürlich um etwas anderes: Das verbreitete Phänomen, dass sich die Wege ehemals bester Freunde irgendwann trennen und in diesem Falle einer der beiden auf der Strecke bleibt. Ein Blick in Marks Biographie legt den Schluss nahe, dass er nach der gewaltsamen Trennung von seinen Eltern verständliche Verlustängste entwickelt hat, die zunächst scheinbar grundlos mit ihm durchgehen, ihn jedoch nach dem weiteren gewaltsamen Tod einer geliebten erwachsenen Autoritätsperson vollkommen aus der Bahn werfen. War es der (mir unbekannten) literarischen Vorlage mutmaßlich daran gelegen, auf diese Weise Verständnis für jugendliche/adoleszente Straftäter zu wecken, fällt in Cains Verfilmung zunächst einmal das ‘80er-Jahre-Lebensgefühl ins Auge, das von der Melancholie, die weite Teile der Atmosphäre beherrscht, auf wohlige Weise ergänzt wird. „Jungs außer Kontrolle“ ist in der Tat 80s as fuck, womit er indes nicht dauerhaft über diverse Längen und holprige dramaturgische Entwicklungen hinwegtäuschen kann. Punks als Bösewichte in pädagogisch eigentlich gutgemeinten Werken sehe ich ja immer gern, wenngleich deren Auftritte in diesem Film noch naiver erscheinen als die aus meiner Sicht stärker auf elterlichen Ängsten als auf realistischen Einschätzungen oder Erfahrungen basierende Drogenhandlung. Cains Film ist letztlich in erster Linie eine Abbildung der beschriebenen Ereignisse, die wesentlich oberflächlicher bleibt als es Hintons Werke unter der Regie Coppolas taten.

Nichtsdestotrotz bietet sich mit Craigs Film eine weitere Gelegenheit, einem jungen Emilio Estevez beim Schauspiel zuzusehen, und das an der Seite einer noch am Anfang ihrer Karriere stehenden Jill Schoelen, eines nicht minder unerfahrenen Craig Sheffer sowie eines Morgan Freeman, wodurch das Ensemble auch filmhistorisch interessante Akzente setzt. In Kombination mit dem hörenswerten zeitgenössischen Soundtrack punktet „Jungs außer Kontrolle“ in der B-Note, woraus sich mein Eindruck eines überdurchschnittlichen, jedoch noch reichlich unrunden Films ergibt.
Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
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