bux t. brawler - Sein Filmtagebuch war der Colt

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buxtebrawler
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Eden und danach

Der Franzose Alain Robbe-Grillet war Schriftsteller und Mitbegründer der experimentellen Literaturform Nouveau roman, die sich konventionellen Erzählformen verweigerte. Später verfasste er ähnlich konzipierte Drehbücher, beispielsweise zu Alain Resnais‘ „Letztes Jahr in Marienbad“, und begann schließlich eine eigene Karriere als Filmemacher. 1963 debütierte er mit „Die Unsterbliche“, sein vierter Film wurde der in französisch-tschechoslowakischer Koproduktion entstandene erotische Mystery-Film „Eden und danach“ aus dem Jahre 1970 – der trotz Robbe-Grillets Abneigung gegen Grüntöne auf der Leinwand sein erster Farbfilm werden sollte.

Im Café Eden treffen sich regelmäßig nichtsnutzige Mittelklassestudenten, die mit spontanen Rollenspielen und Phantastereien ihrer dekadenten Langeweile zu entfliehen versuchen. Als der fremde Duchemin (Pierre Zimmer, „Wie drück' ich mich beim Militär?“) eintrifft, bringt er Abwechslung in die Szenerie, indem er die jungen Leute mit Zaubertricks und Geschichten fasziniert – insbesondere die attraktive Violette (Catherine Jourdan, „Nackt unter Leder“). So schluckt diese auch ohne große Bedenken ein unbekanntes Pulverchen, das er ihr mitgebracht hatte. Für den Abend sind beide miteinander verabredet, doch findet sie lediglich ihre Kommilitonen vor, die anscheinend wieder ihre Spielchen treiben. Sie erschrickt jedoch, als sie die Leiche Duchemins im Kanal findet. Der Besuch eines Kinofilms über Nordafrika versetzt Violette und ihre Freunde plötzlich selbst ins ferne Tunesien, wo alle hinter einem Gemälde in Violettes Besitz her zu sein scheinen und sie Duchemin unter anderem Namen wiedertrifft…

Robbe-Grillet sah sich auch mit „Eden und danach“ dem Nouveau roman verpflichtet und pfeift auf narrative Konventionen, präsentiert stattdessen eine lose wirkende, kulissenhaft-artifizielle Bildabfolge, lässt Grenzen zwischen Realität und Traumwelt verwischen, übt sich in Surrealismus und betont, dass jeder Zuschauer sich gefälligst seine eigenen Gedanken machen solle. Dies hat einen vollkommen unspannenden, weil keinerlei Wert auf Dramaturgie legenden Film zur Folge, der sich im Prinzip recht schnöde als verfilmter Drogentrip Violettes nach Konsum des Pulvers interpretieren lässt. Unter dem Einfluss der Droge visualisieren sich ihre Ängste vor ihr und wird sie paranoid, durchlebt sie aber auch ihre intimen sexuellen Phantasien, Wünsche und Gelüste. In häufig statischen, hell ausgeleuchteten Bildern voll kraftvoller Farben, die allein schon aufgrund ihrer speziellen Ästhetik einen gewissen Reiz des Films ausmachen, zeigt Robbe-Grillet fragmentarisch Kapitalverbrechen ebenso wie Lust und Sexualität, wobei er auf den Fetischbereich des Sadomasochistischen zurückgreift und die Freiheit der noch jungen sexuellen Revolution auf der Leinwand sich insofern zunutze macht, dass er halbnackte bis gänzlich unbekleidete Modelle in bizarre Arrangements wie lebendige Kunstwerk drapiert. Doch auch außerhalb dieser Motive verleiht insbesondere Catherine Jourdan „Eden und danach“ Sinnlichkeit und Erotik sowie Charme in ihrer verletzlichen Ausstrahlung, mit ihren großen Augen und ihrer knappen Kleidung.

„Eden und danach“ ist gut zum Entspannen und Berieselnlassen geeignet, dürfte bei Müdigkeit jedoch stark schlaffördernd wirken. Ein Film für Genießer des Ungewöhnlichen, die sich an purer Bildästhetik erfreuen können, ohne eine Handlung dazu zu benötigen. So geheimnisvoll sich der Film auch gibt und so sehr er den einen oder anderen dazu verleiten mag, verschwurbelte, seitenlange Abhandlungen über ihn zu verfassen, mich erinnert er an eine erotisch-mysteriöse „Alice im Wunderland“-Interpretation, die sich allerdings jeglicher Vergleiche und Bewertungen entzieht – und genau das dürfte Robbe-Grillet intendiert haben.
Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
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Das Mädchen Julius

„Eine Ehe ist wie die andere!“

Der Italiener Tonino Valerii machte sich in den 1960ern einen Namen mit qualitativ guten bis hochwertigen Italo-Western wie „Lanky Fellow“, „Blutiges Blei“ und „Der Tod ritt dienstags“. Nach dieser Quasi-Trilogie und noch vor seinem bekanntesten Film, dem Terence-Hill-Western „Mein Name ist Nobody“, den er zusammen mit Sergio Leone inszenierte, wechselte er radikal das Genre und verfilmte im Jahre 1970 mit dem Erotik-Melodram „Das Mädchen Julius“ einen 1965 von der italienischen Frauenrechtlerin Milena Milani 1965 veröffentlichten (mir unbekannten) Roman.

Julius (Silvia Dionisio, „Gewalt – Die fünfte Macht im Staat“), die den Namen von ihrem kurz nach ihrer Geburt gestorbenen Vater bekommen hat, da sich ihre reiche Mutter (Esmeralda Ruspoli, „Die mit der Liebe spielen“) eigentlich einen Jungen gewünscht hatte, wächst mit eben jener und der Gouvernante Lia (Opernsängerin Anna Moffo) einerseits luxuriös, andererseits aber emotional vereinsamt und vom wirklichen Leben weitestgehend isoliert in Venedig auf. Gerade 14, wird sie von der lesbischen und männerfeindlichen Lia verführt, die ihr zudem einbläut, vor Männern unbedingt auf der Hut sein zu müssen. Nach einem Umzug ans Meer kann sie sich vom Einfluss Lias lösen und beobachtet erstmals Sex zwischen Mann und Frau, was ihre Neugier weckt. Sie sammelt ihre ersten heterosexuellen Erfahrungen, fühlt dabei jedoch nie etwas. Verlobt ist sie mit ihrem Schulfreund Lorenzo (Maurizio Degli Esposti, „Simona“), der sie aufrichtig liebt, doch macht sie vor der Hochzeit einen Rückzieher. Schließlich lernt sie den Künstler Franco (Gianni Macchia, „Blutiger Freitag“) kennen…

„Schließlich gibt’s ja auch Jungs, die Maria heißen!“

Zu den Eröffnungstiteln darf man einer Bootsfahrt durch Venedig beiwohnen, passend dazu erklingt die schwelgerische Musik Riz Ortolanis. Kurz darauf lernt der Zuschauer das Mädchen Julius kennen, das die meiste Zeit ungeachtet der oberflächlichen Idylle zumeist recht freudlos dreinblickt. Sie versucht, einem Telefonat aus dem Weg zu gehen, möchte offenbar Kontakt zu ihrem Verlobten vermeiden. Nach einem fast unbemerkten Zeitsprung in die Vergangenheit wird deutlich, dass ihre Mutter nur wenig Zeit für sie hat und viele Erziehungsaufgaben an Gouvernante Lia abtritt, die dies sexuell auszunutzen versucht und schließlich auch Erfolg hat. Parallel dazu macht der Freund ihrer Mutter Schluss, was Lias männerfeindliche Thesen zu bestätigen scheint. Julius wird von Lorenzo umworben und verlobt sich mit ihm. Während man Lia beim Ausziehen beobachten kann, bleibt ihr sexueller Akt mit Julius für den Zuschauer unsichtbar, was jedoch nichts an der eigenartigen Atmosphäre zwischen beklemmender Tristesse und erotischer Aufgeladenheit ändert, die diese Rückblende, als die sich diese Szenen im Anschluss recht eindeutig herausstellen, bestimmt.

Der Film wird noch häufiger zwischen verschiedenen Zeitebenen springen und nicht immer ist dies sofort für den Zuschauer offensichtlich. Julius hat inzwischen mit dem Künstler Franco angebändelt, doch schnell findet man sich mit ihr in einer weiteren Rückblende am Meer wieder. Dort beobachtet sie Haushälterin Serafina beim Liebesspiel mit ihrem Freund heimlich am Strand und masturbiert dabei (was der Film selbstverständlich ebenfalls nur andeutet). Daraufhin bekommt sie überhaupt erstmals ihre Periode, bändelt mit Serafinas Freund an, der sie nachts aufsucht, und versucht sich im Beischlaf mit ihm. Sie scheint ihren ersten Sex mit ihm zu haben, hat jedoch dabei Lias mahnende Worte im Ohr. Wunderbar zeigen diese Szenen die verwirrende Mischung aus Neugier, sexuellem Erwachen einer- und Angst und Skrupeln andererseits, der sich viele junge Mädchen beim Sammeln erster sexueller Erfahrungen ausgesetzt sehen. Für die verunsicherte Julius bedeutet dies in der Konsequenz jedoch keinesfalls irgendeine Form von Befriedigung, im Gegenteil: Sie glaubt, einen körperlichen Fehler zu haben, da sie nichts spürte.

„Suchen Sie nach Liebe – dann kommt alles andere von selbst!“

Erneuter Ortswechsel: Man befindet sich im Winterurlaub in Cortina. Lorenzo ist dabei, doch Julius macht ihn eifersüchtig, bis er entnervt von Dannen zieht. Sie versucht, Sex mit einem anderen Mann zu haben, doch das will wieder nicht so recht klappen. Sie versucht es gar mit einem älteren Herrn, erfolglos. Schließlich geht sie wieder mit Lorenzo und trifft sogar Lia wieder, über die sie den Maler Franco kennenlernt, mit dem sie erstmals glücklich wird. Folgerichtig beendet sie ihre Beziehung zu Lorenzo; mittlerweile kommentiert Julius ihr Leben dann und wann aus dem Off. Doch noch immer hält sie sich für frigide. In ihrer Verzweiflung sucht sie einen Arzt auf, der sie untersucht… Mehr möchte ich an dieser Stelle nicht verraten, außer, dass der Arztbesuch zwar durchaus eine Überraschung mit sich bringt, allerdings keine waghalsige Wendung oder dergleichen, was man angesichts des Rätselratens um Julius‘ Probleme evtl. zwischenzeitlich erwartet haben könnte.

Nein, „Das Mädchen Julius“ bleibt stilvoll und ästhetisch und sich damit treu, driftet nie in sleazige Gefilde ab und untergräbt nie seinen eigenen Anspruch. Als Fleischbeschau ist das Drama kaum geeignet, Julius beispielsweise bekommt man erst gegen Ende wirklich nackt zu sehen. Vielmehr geht es um die schwerwiegenden Folgen resultierend aus der Vermittlung eines falschen Feindbilds zu Zeiten zu Zeiten pubertätsbedingter starker Beeinflussbarkeit und die unterbewussten Wunden, die sexueller Missbrauch hinterlässt. In der bitterbösen Schlusspointe entlädt sich dann alles in einem unvorhergesehen Gewaltausbruch, der spätestens dazu geeignet ist, dem zuvor nach allen Regeln der Kunst eingelullten Zuschauer einen kräftigen Schock zu versetzen. Dass sich dieser in einer Art lethargischen Zustands befunden haben könnte, hängt wiederum damit zusammen, dass „Das Mädchen Julius“ über weite Strecken durch seine Ansiedlung bei den „Reichen und Schönen“ distanziert und ein wenig abgehoben wirkt und es seine Zeit dauert, bis man sich in die Lage versetzt sieht, Empathie für Julius zu empfinden, die wiederum die meiste Zeit ebenfalls sehr verschlossen bleibt und kaum Einblicke in ihr Seelenleben gestattet – was indes auch Ausdruck ihres fehlenden Bezugs zu ihr selbst ist.

Die edlen von Kameramann Stelvio Massi eingefangenen Bilder und die Kompositionen Ortolanis verleihen dem Film ebensoviel Anmut und Grazie wie das Schauspieler-Ensemble um die bildhübsche, 19-jährige Silvia Dionisio, der die Make-up-Abteilung unterschiedliche Altersstufen vom just pubertierenden Kind bis zur jungen Erwachsenen aufschminken musste. Gerade in den Momenten, in denen sie kindlich wirken sollte, erscheint sie vielleicht körperlich etwas zu reif, ansonsten passt sie mit ihrer Ausstrahlung von Unerfahrenheit, Verunsicherung und Hilfsbedürftigkeit prima in die Rolle. Wenn man so will, ist „Das Mädchen Julius“ ein Sittengemälde einer unter der um Status und Etikette bemühten Oberfläche einer ihre gesellschaftlichen Rollen spielenden, doch letztlich seelenlosen High Society, die noch nicht einmal in der Lage ist, ihren eigenen Nachwuchs zu aufgeschlossenen, zu Liebe und freier Entfaltung fähigen Lebewesen zu erziehen und in ihrer Borniertheit nicht einmal mitbekommt, wie es wirklich um ihn bestellt ist. Ein absolut sehenswerter Ausbruch Valeriis aus dem Genrefilm, etwas kompliziert erzählt und etwas sperrig im emotionalen Zugang zwar, aber mit einer zwar anklagenden, doch ohne jede Schwarzweißmalerei auskommenden Handlung und mit einer prächtigen, künstlerischen Umsetzung den zu Entschleunigung und Genuss fähigen Kenner des europäischen Films belohnend.
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My Dear Killer
Als ein Versicherungsangestellter mit einem Schaufelbagger enthauptet wird, nimmt sich Inspektor Peretti des Falls an. Zunächst tappt er im Dunkeln, doch als weitere Morde geschehen, deutet alles daraufhin, dass diese im Zusammenhang mit der Entführung eines kleinen Mädchens stehen. Als Täter kommen mehrere Verdächtige in Frage, doch das entführte Mädchen hatte einen eindeutigen Hinweis in ihrem Gefängnis hinterlassen...
Nachdem der italienische Regisseur Tonino Valerii („Mein Name ist Nobody“) 1970 für das Erotik-Melodram „Das Mädchen Julius“ erstmals das Italo-Western-Genre verlassen hatte, betrat er mit seinem nächsten Film „My Dear Killer“ alias „Time to Kill, Darling!“ ein Jahr später das Territorium des Giallos.

Ein Privatdetektiv wird von einer Baggerschaufel enthauptet, was Inspektor Peretti (George Hilton, „Der Killer von Wien“) auf den Plan ruft. Dieser muss jedoch feststellen, dass der Fahrer des Baggers bei seinem Eintreffen ebenfalls tot ist. Selbstmord durch Erhängen? Mitnichten, wie Peretti feststellt, es sollte lediglich danach aussehen. Die Mordserie führt zum Moroni-Fall, den der Inspektor neu aufrollt: Stefania Moroni (Lara Wendel, „Tenebrae“) wurde vor einigen Jahren gekidnappt, bei der Lösegeldübergabe auch ihr Vater entführt. Beide wurden schließlich tot aufgefunden. Der Mörder belässt es nicht bei den bisherigen Opfern und hat es auf jeden abgesehen, der Peretti Hinweise zu seiner Identität geben könnte…

„Sein Gestank lässt mir sogar die Blumen verwelken!“

Bereits der Prolog erschreckt mit der Köpfung durch die Baggerschaufel, Maestro Morricone schuf eine unheimliche Titelmelodie mit Kindergesang – so beginnt „My Dear Killer“ düster und vielversprechend. Den ernsten Tonfall unterbricht ein kauziger Zeuge, der „Umsonst-Mann“ Luigi, mit einer komödiantischen Einlage. Bereits früh wird deutlich, dass es sich um einen Giallo nach dem klassischen Whodunit?-Prinzip handelt, der jedoch viel mehr von einem Kriminalfilm als von einem Psycho-Thriller oder Horror-Giallo hat: Die Ermittlungsarbeit übernimmt hier tatsächlich ein Polizeiinspektor und nicht etwa ein gehetztes Opfer oder ein selbst verdächtig gewordener Ausländer. Und eben diesen Peretti versucht Valerii als äußerst gewissenhaften, von seiner Arbeit getriebenen Mann zu charakterisieren, z.B. indem er ihm durch seine Frau am Abendbrottisch den Vorwurf machen lässt, dass er zu wenig Zeit für sie habe. Wenn sie dabei von einer schwarzbehandschuhten Gestalt beobachtet werden, befindet man sich indes wieder ganz im Genre-Sujet.

Dieses wird auch nicht verlassen, wenn der Mörder aus Point-of-View-Perspektive gezeigt bzw. eben nicht gezeigt wird, es zu weiteren Toten kommt, die Gelegenheit für weibliche Nacktheit nicht ungenutzt bleibt und eine Kinderzeichnung einer entscheidenden Bedeutung beikommt. Diese zeigt nämlich ein ganz bestimmtes Haus, wie Peretti im Gespräch mit Stefanias attraktiver Lehrerin (Patty Shepard, „Die Nacht der Vampire“) in Erfahrung bringt. Und nachdem diese zunächst lediglich für einen False Scare herhalten musste, fällt sie schließlich der wohl verstörendsten Szene des Films zum Opfer: In ihre Wohnung (aus deren Fenster sie schwarze Handschuhe hängen hat!?) bittet sie den Mörder in einer unheimlich spannenden Sequenz dummerweise freundlich herein, um anschließend brutal mit einer tragbaren Kreissäge (die ich zunächst für eine Schleifmaschine hielt…) brutal dahingemordet zu werden. Dieser Gewaltexzess bedeutet den Höhepunkt des Films in Sachen expliziter Gewaltdarstellung, ansonsten gibt sich „My Dear Killer“ diesbzgl. eher zurückhaltend und konzentriert sich auf die Ermittlungen und seine Vielzahl an Charakteren.

So erfährt der Zuschauer beispielsweise, dass Stefanias Mutter vor Trauer den Verstand verloren hat, bevor Valerii eine Rückblende zur Entführung montiert. Zurück in der Gegenwart deutet die Handlung in Person eines mit Stefania befreundet gewesenen Malers das Thema des pädophilen Kindesmissbrauchs nur allzu deutlich an, wenn ein nacktes Kind durch seine Wohnung huscht und er äußert, es handele sich lediglich um ein Modell. Damit hat „My Dear Killer“ zweifelsohne seinen Hauptverdächtigen. Dass dieser auch noch seine Deko-Ministatuen verschwinden lässt, die jedoch wieder aus dem Wasser gefischt werden, wirkt zudem alles andere als entlastend. Leider hat die dialoglastige Krimihandlung mittlerweile arg an Thrill, Dramatik und Spannung eingebüßt und wenn Peretti dann schlussendlich nach Agatha-Christie-Manier sämtliche noch lebenden Verdächtigen um sich versammelt und den Mörder überführt, ist es ausgerechnet der am wenigsten Verdächtige, so dass man sich als Skeptiker eher zweitklassiger Gialli durchaus etwas veräppelt vorkommen kann – vor allem, wenn die Tätersuche psychologisch weitestgehend uninteressant bleibt.

Letztendlich ist der prima besetzte, gut ausgestattete und mit einem wie nicht anders zu erwarten hörenswerten Morricone-Soundtrack versehene Film sicherlich keine Zeitverschwendung, hat einige sehr erinnerungswürdige Momente zu bieten und ist handwerklich alles andere als schlecht gemacht. Leider hapert es an der Handlung und für ein dankbares Style-over-Substance-Erlebnis sticht er dann doch nicht genug heraus, wirkt bisweilen eher etwas britisch-altbacken als delirierend-italienisch. Ich würde „My Dear Killer“ im leicht gehobenen Durchschnitt ansiedeln und muss konstatieren, an Valeriis Western sowie eingangs erwähntem Melodram mehr Freude gehabt zu haben.

5,5 von 10 Schleifmaschinen
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buxtebrawler
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Ringo kommt zurück
Kurz nach dem Ende des US-Bürgerkrieges beginnt eine mexikanische Bande unter der Führung der beiden Gangster Paco Fuentes (George Martin) und Esteban (Fernando Sancho) ein wehrloses texanisches Grenzdorf zu terrorisieren. Als der totgelaubte Ex-Soldat Ringo (Giuliano Gemma) in seinen Heimatort zurückkehrt und erfährt, dass seine Frau Helen nun mit Fuentes zusammenlebt und diesen heiraten soll, schwört Ringo Rache, um seine Frau zurück zu gewinnen und das Dorf von der Fremdherrschaft der Tyrannen zu befreien…
„Niemand will gerne sterben. Doch wenn man Angst hat, stirbt man hundert Tode. Aber wenn man keine Angst hat, dann stirbt man bloß einen!“

Der erste Western des italienischen Filmemachers Duccio Tessari („Der Mann ohne Gedächtnis“), „Eine Pistole für Ringo“, ließ 1965 die Kinokassen klingeln. Noch im gleichen Jahr schob er daher mit „Ringo kommt zurück“ einen Nachfolger nach, der zwar über dasselbe Darsteller-Ensemble verfügt, ansonsten aber eigentlich nichts mehr mit dem locker-lässigen Vorgänger zu tun, stattdessen vielmehr eine Adaption der griechischen „Rückkehr des Odysseus“ ins Italo-Western-Format darstellt – weshalb davon ausgegangen werden darf, dass die Beibehaltung des Rollennamens „Ringo“ lediglich kommerziellen Zwecken dienste. Als Tessaris Co-Autor fungierte diesmal Fernando Di Leo, der Film entstand in italienisch-spanischer Koproduktion.

Montgomery Brown alias Ringo (Giuliano Gemma, „Der Tod ritt dienstags“) kehrt reichlich desillusioniert aus dem US-amerikanischen Bürgerkrieg zurück und muss zu seinem Entsetzen erfahren, dass eine mexikanische Banditenbande um die Fuentes-Brüder Esteban (Fernando Sancho, „Arizona Colt“) und Paco (George Martin, „Lanky Fellow“) nicht nur seinen Heimatort besetzt haben und die Bevölkerung ausbeuten, sondern seine Frau Helen (Lorella De Luca, „Blutspur im Park“) zudem kurz vor der Eheschließung mit Paco steht. Der örtliche Sheriff (Antonio Casas, „The Good, the Bad and the Ugly“) muss tatenlos zusehen und ist dem Alkohol verfallen. Brown möchte sich seine Frau zurückholen und damit er nicht sofort als „Gringo“ erkannt und über den Haufen geschossen wird, färbt er mittels indianischer Kräuter sein blondes Haar dunkel, lässt sich einen Bart stehen und verkleidet sich als mexikanischer Tagelöhner. Im Ort angekommen, wird er sogleich von den Fuentes‘ gedemütigt und misshandelt, aber wenigstens am Leben gelassen…

„Ich kann nicht schießen, hab‘ ich noch nie versucht!“

Viel hat „Ringo kommt zurück“ tatsächlich nicht mehr mit „Eine Pistole für Ringo“ zu tun: Zwar trifft man auf allerlei bekannte Gesichte, doch sind neben dem Tonfall des Films, der hier wesentlich ernster, düsterer, melancholischer und pathetischer ausgefallen ist, auch die Rollencharakterisierungen andere. Der Name Montgomery Brown als Ringos bürgerlicher Name fällt hier zudem erstmals, sein Spitzname gerät deutlich in den Hintergrund. Vor allem ist er kein abgeklärter Draufgänger mehr, der nie um einen Spruch verlegen ist. Nein, dieser Ringo hier kämpft verbissen um seine Familie, hat Schreckliches erlebt und kennt Leid und Tod. Dazu passend eröffnet Maestro Ennio Morricones Soundtrack den Film mit einem von Maurizio Graf gesungenen Titellied, das diese Stimmung wiedergibt. Texttafeln berichten vom jüngsten Ende des Bürgerkriegs, bevor die nahe der mexikanischen Grenze spielende Handlung beginnt.

Der zunächst strohblonde Montgomery Brown ist deutlich vom Krieg gezeichnet und hat einen Tick davongetragen, eine nervöse Zuckung im Gesicht. Auf Mexikaner getrimmt, nimmt er im Heimatort eine Tätigkeit beim kauzigen Blumenhändler Myosotis (Manuel Muñiz, „Der lange Tag der Rache“) an, der sich als klassische komödiantische, dem Protagonisten wohlgesinnte Nebenrolle im Italo-Western entpuppt und die Handlung auflockert, es damit aber auch nicht übertreibt. Während Esteban ganz der Klischee-Mexikaner ist, ist sein Bruder Paco die weitaus smartere Variante im schicken Anzug. Die von Nieves Navarro („Nackt unter Kannibalen“) verkörperte rassige Saloon-Tänzerin Rosita, zudem ein leichtes Mädchen, hat zwar kein Problem damit, sich den Fuentes‘ unterzuordnen, hegt aber auch Interesse an Brown. Die Ambivalenz ihres Charakters zeigt sich, als sie eine wüste Kneipenschlägerei heraufbeschwört, nachdem er sie hat abblitzen lassen, den arg malträtierten Brown anschließend aber wieder aufpäppelt. Die stärksten Wechselwirkungen erzeugen indes natürlich die Begegnungen zwischen Brown und seiner Frau – insbesondere vor dem Hintergrund seines zwischenzeitlich fingierten Todes – und seiner kleinen Tochter (Mónica Sugranes), die er erstmals zu Gesicht bekommt.

Bedeutsame Szenen wie diese inszeniert Tessari behutsam und aufwändig, arbeitet genussvoll mit Symbolik, Ausleuchtungen und Kameraperspektiven sowie Morricones Orchester, um die gewünschte Stimmung bzw. vielzitierte Atmosphäre zu erzeugen oder zur unterstreichen. Und wenn der Soundtrack verstummt, hört man das Pfeifen des Wüstenwinds… Kontrastiert werden derartige Momente beispielsweise von einer vergnügten Tanz- und Gesangseinlage Rositas, die zudem zu einer interessanten Option für Brown wird, welcher sich jedoch für seine Familie entscheidet und damit endgültig unterstreicht, dass seine Rolle vom Italo-Western-typischen Einzelgänger weit entfernt ist. Nach rund einer Stunde stellt sich Brown offen den Fuentes‘ entgegen und läutet damit ein Finale ein, in dem er unter Beweis stellen kann, dass er zwar nicht mehr das „Engelgesicht“ aus seinem ersten filmischen Auftritt, aber noch immer ein verdammt versierter Revolverheld ist. Geradezu gruselig ist die symbolträchtige Aufstellung der Särge in der Kirche während der Hochzeit Pacos, der schließlich das erwartete großangelegte Duell mit vielen Toten folgt, nachdem Brown wie der Erlöser persönlich in der Kirchentür erscheint, umtost vom Sandsturm. Die finale Schießorgie wurde gut choreographiert, bietet jedoch keine überraschende Wendung oder Magic Moment mehr. Befremdlich mutet an, dass Brown sein kleines Kind mit einem Colt hantieren lässt…

„Ringo kommt zurück“ wirkt auf mich wie eine durchaus gelungene Mischung aus Italo- und US-Western-Motiven, dem die Charakterisierung Browns als ausschließlich an seiner Familie, zunächst aber keinesfalls am Schicksal der übrigen unter der Knute der Fuentes‘ stehenden Bürger interessiertem halben Anti-Helden misslingt, sofern sie überhaupt intendiert war. So entfällt größtenteils das Wechselbad der Gefühle zwischen Zynismus und niederen Beweggründen des raubeinigen Protagonisten einer- und dessen Verletzlichkeit und Leidensfähigkeit sowie guten Herzen unter der harten Schale andererseits, das den speziellen Reiz manch anderer Genreproduktion ausmacht. Man sollte sich jedoch darüber bewusst sein, dass Sergio Leone das eigentliche Genre erst ein Jahr zuvor losgetreten hatte, auch „Ringo kommt zurück“ ergo noch ein früher Beitrag ist. Zudem dürfte es Tessari ferngelegen haben, als Plagiator in Erscheinung zu treten, wenngleich er hier und da „Für eine Handvoll Dollar“ zu zitieren scheint. Die bis auf erwähnte Ausnahmen recht eindeutige Charakterisierung der Rollen geht einher mit einer konventionellen Erzählweise und tendenziell überraschungsärmeren Handlung, allein schon aufgrund ihres Fundaments in der klassischen griechischen Sage. Die dramaturgisch kaum Längen aufweisende Umsetzung Tessaris, die ambitionierte Kamera, der tolle Schnitt, die edle musikalische Untermalung und nicht zuletzt bestens aufgelegte Schauspieler machen „Ringo kommt zurück“ nichtsdestotrotz zu einem nur schwer verzichtbaren Genuss für Italo-Western-Freunde, die jedoch keinesfalls eine wirkliche Fortsetzung von „Eine Pistole für Ringo“ erwarten sollten.
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Der Mann ohne Gedächtnis
Er weiß weder wer er ist, noch wo er herkommt: Vor acht Monaten erlitt ein junger Mann (Luc Merenda) bei einem Autounfall Gedächtnisschwund. Ohne zu wissen weshalb wird er von Unbekannten verfolgt und bedroht. Nachdem er sich schließlich als Ted identifiziert hat, reist er nach Italien wo er auf seine Ehefrau Sara (Senta Berger) trifft, die ihn für tot hielt. Die beiden verlieben sich erneut ineinander doch die Häscher des ominösen Clans sind Ted auch in Italien auf der Spur. Langsam beginnt er zu ahnen, das deren Verbindungsmann in Sara's engstem Umfeld zu suchen ist...
„Wer war ich wirklich? Ehrlich.“ – „Du warst ein ziemliches Schwein!“ – „Darüber sind sich bisher alle einig.“

Für „Das Grauen kam aus dem Nebel“ und „Blutspur im Park“ hatte der italienische Regisseur Duccio Tessari bereits im Giallo-Genre gearbeitet, in das er 1974 mit „Der Mann ohne Gedächtnis“ zurückkehrte, als er ein Drehbuch des umtriebigen Ernesto Gastaldi verfilmte. Der Film bewegt sich irgendwo zwischen klassischer, Hitchcock’scher Thriller-Kost und edlem Giallo.

Der bedauernswerte Peter Smith (Luc Merenda, „Die Killermafia“) hat durch einen einige Monate zurückliegenden Unfall sein Gedächtnis verloren und lebt seither allein. Eines Tages konfrontiert ihn sein Therapeut mit einem vermeintlichen Freund namens Philip (Manfred Freyberger, „Der Nachtportier“), der jedoch behauptet, Peters eigentlicher Name wäre Edward und dass dieser ihn um Geld aus einem Drogengeschäft betrogen habe. Bevor Edward weitere Informationen erfragen kann, wird Philip jedoch von einem Unbekannten umgebracht. Kurze Zeit später erhält Peter ein Telegramm, angeblich von seiner Ehefrau Sara (Senta Berger, „Als die Frauen noch Schwänze hatten“), zusammen mit einem Flugticket zur italienischen Küstenidylle Portofino, wo sie seit Edwards Verschwinden mit ihrem Hund Whiskey lebt. Sara jedoch weiß nichts von diesem Telegramm und ist Edward gegenüber skeptisch. Dieser habe sich in der Vergangenheit nicht gerade mit Ruhm bekleckert. Außerdem bereitet ihr vornehmlich Sorge, dass regelmäßig jemand in ihr Haus eindringt und alle Sachen durchwühlt, ohne etwas zu stehlen. In Portofino lernt Edward außerdem den frechen Nachbarsjungen Luca (Duilio Cruciani, „Zwiebel-Jack räumt auf“) und den Arzt Daniel (Umberto Orsini, „Emanuela, 2. Teil - Garten der Liebe“) kennen, die mit Sara eng befreundet sind, aber auch den verschnupften Ganoven George (Bruno Corazzari, „Tote Zeugen singen nicht“), der Edward eine Woche Zeit gibt, „die Ware“ herauszurücken oder eine Million Dollar zu zahlen. Quälend langsam setzt sich aus winzigen Erinnerungsfetzen nach und nach das Puzzle zusammen, das zu Edwards vergangener Identität führt…

Tessari beginnt seinen Film mit zwei zunächst separierten Handlungssträngen: Zum einen dem um „Ted“ (so Edwards Spitzname), der sein Gedächtnis verloren hat, zum anderen jenem um Sara, die mit dem kleinen Rotzlöffel Luca in Portofino unterwegs ist, deren scheinbar unbeschwertes Glück jedoch durch die Wohnungseinbrüche getrübt wird. Vom Zusammenhang zwischen Sara und Ted erfährt der Zuschauer erst, als die Handlung beide zusammenführt. Überhaupt bleibt der Zuschauer stets auf demselben Kenntnisstand wie die Protagonisten, wodurch „Der Mann ohne Gedächtnis“ nicht nur durchgehend spannend bleibt, sondern auch ein hohes Maß an Empathie entwickeln lässt. Doch damit nicht genug: Ein weiterer Kniff ist es, weitestgehend offen zu lassen, ob Ted seinen Gedächtnisverlust nicht vielleicht doch nur vorspielt. Je mehr Informationen der Zuschauer bzgl. seiner offenbar kriminellen Vergangenheit bekommt, desto mehr drängt sich auch dieser Verdacht auf.

Interessant gestaltet wurde auch die Wiederannäherung zwischen Sara und Ted, die zunächst von Misstrauen geprägt ist, sich jedoch auf natürliche Weise entwickelt. Hierbei werden zwei beinahe philosophische Fragen aufgeworfen: Ist es möglich, dass ein unter Amnesie leidender Mensch, der vor seinem Gedächtnisverlust moralisch verwerflich agierte und charakterlich alles andere als integer war, durch die Löschung seiner Sozialisation sich in eine gegenteilige Richtung entwickelt? Und ist, davon unabhängig, davon auszugehen, dass er sich trotzdem in dieselbe Person noch einmal verliebt? Diese Themen finden jedoch trotz sorgfältiger Charakterisierung beider nur am Rande statt; vornehmlich ist „Der Mann ohne Gedächtnis“ daran interessiert, die genretypisch unbehagliche Atmosphäre innerhalb eines sommerlichen Sonnenparadieses zu erzeugen. Dies geschieht neben der fortwährenden Angst vor der eigenen Vergangenheit durch die visuelle Überbetonung bestimmter Details ebenso wie durch die Verletzung der Privatsphäre durch Menschen, die unbekümmert in Saras Haus ein- und ausspazieren. Und natürlich spielt die eine oder andere Szene auch nachts, so dass die unheimliche Stimmung von der Dunkelheit profitiert. Weitaus weniger giallioesk ist die komplette Abwesenheit eines mit Stich- und Schneidewerkzeugen bewaffneten, schwarzbehandschuhten Serienmörders, der ein Opfer nach dem anderen fordert – was den Film jedoch umso eigenständiger macht.

Droht das Liebesglück Saras und Teds einmal zur allzu kitschigen Idylle zu mutieren, konterkariert es die Handlung mit auf den Boden der Tatsachen zurückholenden Ereignissen wie dem Drapieren des ermordeten Hunds auf Saras Bett. Ted und George liefern sich ein spannendes Duell und treffen immer wieder aufeinander, was schlussendlich in einer handfesten Auseinandersetzung mündet. Schließlich bedient sich Tessari dann doch noch bei Elementen des Horrorfilms und inszeniert ein kräftiges Gewitter, lässt Ted von gelegentlichen Erinnerungsfetzen durchfahren, arbeitet hin und wieder mit dramatischen Zeitlupen und zaubert letztlich die wiederum wunderbar überraschende Wendung nach bester Giallo-Manier aus dem Hut. Im Finale entlädt sich konsequent alle (An)Spannung und der in Sachen Brutalität eher zurückhaltende Film geht doch noch in die Vollen, dass es ein wahres Sägen ist. Aus dem einwandfrei agierenden internationalen Schauspieler-Ensemble sticht zweifelsohne insbesondere Senta Berger hervor, der es gelingt, den Film mit Sinnlichkeit und einem leichten Erotikfaktor zu versehen, auch ohne den Blick auf ihre Geschlechtsorgane freizugeben. Eine erwähnenswerte weibliche Nebenrolle bekleidet außerdem die genreerfahrene Anita Strindberg („Der Schwanz des Skorpions“). Die gelungene musikalische Untermalung Gianni Ferrias sowie die unter Tessari einmal mehr herausstechende Kameraarbeit und der punktgenaue, bisweilen originelle Schnitt runden diesen Ausnahme-Genrefilm ab, der trotz seines Titels im Gedächtnis bleibt – gerade weil er nur wenig auf Formelhaftigkeit und Exploitation gibt.
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Deep End
Nachdem er die Schule beendet hat, nimmt der junge Mike eine Anstellung in einem Londoner Schwimmbad an. Dort verliebt er sich in seine hübsche Kollegin Susan, doch diese ist mit ihrem Liebesleben bereits voll ausgelastet und weist ihn konsequent ab. Das hindert Mike aber nicht im Geringsten daran, ihr im Privatleben hinterher zuschnüffeln, und Susan ins Kino und in Nachtclubs zu folgen. All seine Annäherungsversuche bleiben jedoch bis zuletzt unerwidert und münden schließlich in einer Tragödie.
„Das hat man davon, wenn man sich mit Kindern abgibt!“

Im Jahre 1970 drehte der polnische Regisseur Jerzy Skolimowski („Der Start“) mit „Deep End“ ein außergewöhnliches Coming-of-age-Drama mit Erotik-Anleihen, das in den auslaufenden Swinging Sixties in London angesiedelt wurde.

Der 15-jährige Mike (John Moulder-Brown, „Das Versteck“) hat die Schule hinter sich und tritt einen Job in einem Schwimmbad an. Neben zudringlichen reiferen Damen trifft er dort auf die attraktive Kollegin Susan (Jane Asher, „Satanas - Das Schloß der blutigen Bestie“), die für die Betreuung der weiblichen Gäste zuständig ist. Mike verliebt sich in Susan, doch diese ist nicht nur mit dem unsympathischen Chris (Christopher Sandford, „Der Brief an den Kreml“) liiert, sondern unterhält nebenbei auch noch eine Affäre mit Mikes ehemaligem Lehrer (Karl Michael Vogler, „Die Reise nach Tilsit“). Mike versucht, ihre Aufmerksamkeit zu erregen und sie für sich zu gewinnen, indem er ihr nachstellt. Susan spielt zunächst mit ihm, nichtsahnend, wie sehr sie seine Obsession damit nährt…

Der interessanterweise zu großen Teilen in einem alten, auf englisch getrimmten Schwimmbad und einem Park in München gedrehte Film eröffnet mit einem Titellied von Cat Stevens und führt den Zuschauer in die Berufswelt der Schwimmbadangestellten ein, stellt seine Charaktere vor und macht nicht davor Halt, die Schwimmbadkunden bzw. insbesondere die Kundinnen als mitunter schräge und gerne mal an der Inanspruchnahme besonderer Dienstleistungen des jungen Mike interessierte Menschen darzustellen, womit von vornherein eine sexuell aufgeladene Stimmung erzeugt wird – die im krassen Gegensatz zur um Zucht und Ordnung bemühten Hausordnung des Schwimmbads steht, in dem die rigorose Geschlechtertrennung immer wieder betont mit. Als wolle „Deep End“ die neu gewonnene sexuelle Freizügigkeit skizzieren, lässt er Susan mit ihrem Freund im Kino einen Sex-Film besuchen und nimmt dies zum Anlass für ein folgenreiches Spiel Susans mit Mike: Dieser sitzt hinter dem Paar und betatscht sie zum Spaß. Während ihr empörter Freund den Geschäftsführer holt, küsst sie ihn.

Den Verführungsversuchen einer Kathy (Anita Lochner, „Und der Regen verwischt jede Spur“) widersteht Mike auf Arbeit und versucht schließlich, Susan in einen Nachtclub zu folgen. Skolimowski nimmt dies zum Anlass, die Kamera um die eigene Achse rotieren zu lassen und damit einen Effekt des Schwindelgefühls und der Verwirrung zu erzeugen. Da man den armen Mike nicht hineinlässt, wartet er vor dem Nachtclub auf sie und verspeist einen Hotdog nach dem anderen. Schließlich schleppt er einen Nackedei-Pappaufsteller mit sich herum, von dem er meint, dass er eine starke Ähnlichkeit mit Susan aufweise. Mit diesem muss er sich zwischenzeitlich gar bei einer Prostituierten (Louise Martini, „Mit Leib und Seele“) verstecken, die es auf seinen ersten Lohn abgesehen hat. All diese Szenen wirken wie aus einer turbulenten Komödie – auch dann noch, als er Susan, immer noch den Aufsteller mit sich führend, in der U-Bahn eine Szene macht. Jugendliches Ungestüm, Leidenschaft und leichte Verschrobenheit sprechen aus diesen Bildern und wie egal Mike die Menschen um ihn herum sind, da er sich nur für Susan interessiert, hat irgendwie naiv-sympathischen Charme. Dass er mit dem Aufsteller auch noch Baden geht, ist der skurrile Abschluss dieser Szenefolge.

Das Lachen bleibt jedoch verstärkt im Halse stecken, wenn er ihr auf bereits enorm ungesund wirkende Weise nachzustellen beginnt. Seine Obsession für Susan scheint außer Kontrolle geraten zu sein, eine andere Option als die, dass sie sein Begehren erwidert, scheint für ihn nicht mehr möglich. Doch es scheint sich für ihn zu lohnen! Als im Schnee ihr wertvoller Diamant verschwindet und er ihr beim Wiederfinden hilft, überwirft sie sich quasi nebenbei auch noch mit einem ihrer Liebhaber. Die Jugendlichen ziehen sich aus und kommen sich nahe. Doch mitnichten ist „Deep End“ ein Werbefilm für Stalking, denn das dicke bzw. tiefe Ende kommt erst noch, das den Film von einer juvenilen romantischen Komödie endgültig zur Tragödie macht.

Eine entfesselte Kamera fängt faszinierende Bilder ein, die München wie England aussehen lassen, die außerhalb des Parks spielenden Außenaufnahmen wurden indes tatsächlich in London, genauer: im Rotlichtviertel Soho gedreht. Cat Stevens und die Krautrocker „Can“ liefern den Soundtrack zu Mikes erster großer Liebe und dem daraus resultierendem fatalen Verlangen sowie Susans Verkennung des Ernsts der Lage, was schließlich in einem überraschenden Ende mitsamt Gänsehautgarantie mündet. Angesiedelt zu Zeiten des gesellschaftlichen Ungleichgewichts zwischen konservativer Elterngeneration und die neu gewonnene sexuelle Freiheit auslotender Jugend gerät diese Romanze aus den Fugen und hat, als der Film konsequent auf sein Ende hin zu steuern beschließt, nichts mit all den Hoffnung spendenden Liebes- oder die erste Liebe verklärenden Kitschfilmen gemein. Nein, aus Gefühlschaos, Sehnsucht und Begierde sowie einer Einsamkeit Mikes, die der Film nie direkt anspricht, aber spürbar werden lässt, entwickelt sich eine Eskalation, wie sie für die meisten unglücklich verliebten Jünglinge glücklicherweise die krasse Ausnahme bleibt. Die Sensibilität des Films führt zu einer Form von Melancholie und bizarrer Schönheit, gerade auch, weil die Schauspieler, allen voran natürlich die zeigefreudigen Jungmimen, mit viel Charme und Können dazu beitragen. In den Nebenrollen finden sich diverse deutsche Schauspieler; allen in allem also ein positives Beispiel für polnisch-britisch-deutsche Freundschaft – auch wenn „Deep End“ zwischenzeitlich dramaturgisch bisweilen etwas auf der Stelle zu treten scheint. Deshalb leichte Abzüge in der B-Note von mir, so dass ich auf 7,5 von 10 Badekappen komme, aber um eine durchaus nahegehende filmische Erfahrung reicher bin.
Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
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Angst – Das Camp des Schreckens
Eine Gruppe von jungen Rangern und Waldarbeitern macht sich mit einigen helfenden Mädchen auf den Weg in die Wälder, um den Flußlauf freizuhalten. Doch dann verschwindet eines Nachts einer der jungen Männer. Die Suchaktion endet im Grauen, als von einem im Wald hausenden Unbekannten zwei Teilnehmer ermordet werden. Die Restgruppe sieht sich nun zunehmend Angriffen ausgesetzt, da sich der Mörder perfekt tarnen kann. Schließlich entscheiden sie sich, zurückzuschlagen...
„Hey, du Sackgesicht!“

Bevor sich US-Regisseur Andrew Davis („Alarmstufe: Rot“) in den Mainstream abseilte, drehte er mit seinem zweiten abendfüllenden Spielfilm „Angst – Das Camp des Schreckens“ alias „Todesfalle am Mill Creek“ im Jahre 1983 einen Beitrag zum Backwood-Slasher-Subgenre.

Ranger Mike (Mark Metcalf, „Blast – Wo die Büffel röhren“) reist zusammen mit seiner jugendlichen Truppe ins Waldgebiet Mill Creek, um einen Flusslauf von Unrat zu bereinigen. Außerdem soll sich dieser Ausflug positiv auf den angekratzten Teamgeist auswirken und Spaß machen, weshalb er seine Freundin Melanie (Cindy Harrell, „Nothing in Common - Sie haben nichts gemein“) und drei ihrer Freundinnen mitnimmt. Doch der soziopathisch anmutende Eggar (Joe Pantoliano, „Matrix“), der für die angeschlagene Moral durch seinen aggressiven Umgang mit den Kollegen in großem Maße mitverantwortlich ist, beschwört erneut Konflikte herauf und schiebt schließlich erzürnt mit dem Bus ab. Als nachts drei der Nachwuchs-Ranger eine örtliche Haschplantage aufsuchen, lassen sie Cerone (Adrian Zmed, „T.J. Hooker“) als Wache zurück. Am nächsten Morgen sind alle verschwunden. Mike begibt sich auf die Suche nach seinen Schützlingen, nutzt die Gelegenheit jedoch auch für ein Schäferstündchen mit Melanie – das Mike nicht überlebt, als beide von einer seltsamen Gestalt angegriffen werden. Melanie wird entführt, die Verbleibenden begeben sich ihrerseits auf die Suche – und finden eine alte Waldhütte mit Gegenständen und Lebensmitteln der Truppe. Welches Spiel treibt der durchgeknallte Eggar? Ist er endgültig zum Psychopathen mutiert oder treibt jemand anderer sein Unwesen?

„Unser Ausflug ist ein totaler Reinfall! Wir benehmen uns wie kleine Kinder und einer versucht den anderen hochzunehmen!“

„Angst – Das Camp des Schreckens“ ist einer dieser von „Deliverance“ inspirierten Low-Budget-Survival-Backwood-Slasher, die sich in den 1980ern gewisser Beliebtheit erfreuten. Zwischen „Freitag der 13. III“ und „Sleepaway Camp“ veröffentlicht, bleibt er lange Zeit sehr formelhaft: Der Prolog lässt ein Pärchen einen Motorradunfall im Wald erleiden. Sie läuft los, um Hilfe zu holen, doch als sie zurückkommt, baumelt er regungslos vom Baum, woraufhin sie in eine Falle läuft. Schnitt, Vorspann, Einführung der eigenartigen Ranger-Truppe. Eggar ist der unberechenbare Fiesling, wie Pantoliano schnell chargierend klarmacht, und ein „Quotenneger“ ist auch dabei. Tatsächlich benehmen sich die ach so toughen Typen wie kleine Kinder und beleidigen sich permanent gegenseitig. Die obligatorische Lagerfeuergeschichte, hier um eine wahnsinnig gewordene Frau, die inmitten der weitestgehend unberührten Natur durchs Busch- und Baumwerk krauchen sollen, endet im nicht minder obligatorischen False Scare, bevor das Whodunit? an Fahrt gewinnt, als – natürlich – die Kiffer und Bumser ein garstiges Schicksal ereilt. So sehr man auch versucht, den Eindruck zu erwecken bzw. zumindest die Truppenmitglieder davon ausgehen lässt, dass Eggar hinter allem steckt, so sehr darf der Zuschauer an dieser These zweifeln und hat mit der Gruselgeschichte am Feuer – so sie denn stimmt – einen weiteren Anhaltspunkt geliefert bekommen. Oder steckt ganz etwas anderes dahinter?

„Wir kriegen das Ganze nicht mehr in den Griff!“

Während einige reizvoll ausgeleuchtete Nachtaufnahmen wie höhnisch über Gefahr und Leichenfunden thronen, wird der Zuschauer Zeuge, wie die Überlebenden mit einer Mischung aus Angst und Kampfeslust auf die Umstände reagieren und schließlich umständlich per Boot zum (defekten) Bus zurückfahren, wobei sie mit einer Leiche beworfen werden. Das klingt nun alles wesentlich spektakulärer, als es ist, denn die Eindimensionalität der nie sonderlich sympathisch wirkenden Ranger und Rangerinnen zerrt mit der Zeit doch mehr an den Nerven, als dass sie Interesse für die Rollen wecken würde. Während andere Genrevertreter das mit beklemmender Atmosphäre, kreativen Morden oder Action auszugleichen verstehen, gibt sich „Angst – Das Camp des Schreckens“ eher blutarm und über weite Strecken leider etwas langweilig, wenn sich die immer gleichen Kamera-Schwenks in die Baumwipfel längst abgenutzt haben, der finale Überlebenskampf aber noch nicht in die Gänge gekommen ist. Dann allerdings wird die Inspiration aus „Deliverance“ mit der groben Kelle serviert, wenn der Mörder den Bus angreift und der Guerilla-artige Kampf mit Anspielungen auf den Vietnam-Krieg gespickt wird. Wie die finale Pointe aufgefasst wird – ob als überraschende Wendung oder vorhergesehene Auflösung – dürfte davon abhängen, auf welche Fährte man sich hat locken lassen bzw. welche Handlungselemente man wie stark gewichtet aufgenommen hat. Ich persönlich hatte sie so nicht erwartet, weshalb sie ihre Wirkung voll entfachen konnte. Allerdings bleibt sie einfach im Raum stehen, ohne dass noch vorm Abspann näher auf sie eingegangen würde.

Im Endeffekt ist „Angst – Das Camp des Schreckens“ dann auch gar nicht einmal so schlecht ausgefallen, ist aber auch recht weit davon entfernt, ein in sich runder, durchweg gelungener Vertreter seines Fachs zu sein – insbesondere angesichts starker Konkurrenz. Die Charaktere weisen einen hohen Nervfaktor auf und zu allem Überfluss, was aber auch eine Besonderheit des Films ist, bleibt eine ganze Reihe von ihnen am Leben. Aus dem unwirtlichen, furchteinflößenden Wald-Ambiente hätte weitaus mehr herausgeholt werden können, für emotionale Zwischentöne abseits von gegenseitiger Wut aufeinander bleibt kaum Zeit und die nur wenig eingesetzte, durchschnittliche Musik spielt nur die zweite Geige hinter einer oft etwas arg dominanten, unauthentischen Naturgeräuschkulisse. Genre-Fans werden bestimmt auf ihre Kosten kommen, andere dürften sich bereits früh davon verabschieden, das Treiben der Waldmeister konzentriert zu verfolgen. Auf mehr als 5,5 von 10 Portionen Pfadfinderfutter komme ich leider nicht.
Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
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Messias des Bösen
Eine junge Frau reist in eine verschlafene Kleinstadt an der Küste, um dort nach ihrem verschollenen Vater zu suchen. Niemand dort scheint ihn zu kennen und nur bei drei Fremden findet sie Hilfe. Fast die gesamte Bevölkerung der Stadt scheint aus fleischfressenden Zombies zu bestehen...
„Sie waren zum Strand gekommen, wie sie es jede Nacht taten, um auf das Meer hinaus zu starren...“

Im Jahre 1970 betraute man das Ehepaar Willard Huyck („Howard – Ein tierischer Held“) und Gloria Katz damit, für ein verschwindend geringes Budget einen Horrorfilm zu verwirklichen. Huyck und Katz sagten zu, verfassten ein Drehbuch und führten Regie beim Film, der „Messias des Bösen“ heißen, aber erst 1973 veröffentlicht werden sollte. Das lag daran, dass das Geld für diesen Mystery-Zombie-Horrorstreifen ausgegangen war, die Produzenten selbst noch einmal Hand anlegten usw. Der anfänglich verrissene Film erlangte im Laufe der Jahre eine immer bessere Reputation und wird seitdem immer wieder von Genre-Freunden neu entdeckt.

Die junge Halbwaise Arletty (Marianna Hill, „Der Pate – Teil 2“) begibt sich nach Point Dune, einem kleinen Ort am Pazifik, um nach ihrem Vater, einem Maler, zu suchen, dessen an sie gerichtete Briefe immer seltsamer wurden, bis sie schließlich gar keine mehr erreichten. Zuletzt hatte er sie gar gebeten, keinesfalls nach Point Dune zu kommen, doch das hält Arletty nicht ab. Nachts trifft sie in Point Dune ein und begegnet sich überaus seltsam verhaltenden Einwohnern, jedoch nicht ihrem Vater. In dessen Haus erblickt sie seine riesigen Wandgemälde sowie sein Tagebuch, in das sie sich einliest. Ist ihr alter Herr wahnsinnig geworden? Der örtliche Schluckspecht Charlie (Elisha Cook jr., „Rosemaries Baby“) kannte ihren Vater, rät ihr jedoch lediglich, ihn zu töten und die Leiche zu verbrennen. Nachdem Charlie tot am Strand gefunden wird, quartiert das Hotel den snobistischen Kunstsammler Thom (Michael Greer, „Ein Stall voll süßer Bubis“) und seine Begleiterinnen aus, woraufhin sie das Trio im Haus ihres Vaters aufnimmt – als wenige Menschen stehen die drei nicht nachts am Strand, erwartungsvoll eines „Blutmonds“ harrend, der nach 100 Jahren die „Rückkehr des Schwarzen Reiters“ ankündigen soll... Was ist nur los mit den Menschen in Point Dune?

Trotz seiner unvorteilhaften Produktionsgeschichte ist „Messias des Bösen“ ein überaus stimmiger, besonderer Horrorfilm geworden, der nur wenig mit typischen Zombie-Filmen (die es zum Drehzeitpunkt noch gar nicht gab) gemein hat. Die Einordnung meines Kollegen Christian Ade (http://www.filmtipps.at) als Bindeglied zwischen „Carnival of Souls“ und „Tot & begraben“ passt prima, denn Arletty findet sich zwischen lebenden Toten in einem Küstenörtchen mit spezieller Historie und ganz eigenen Gesetzen wieder, das zur Geister- bzw. Zombiestadt mutiert ist und etwas Postapokalyptisches an sich hat. Die Untoten jedoch wanken hier nicht mit ausgestreckten Armen durch die Gegend und haben es permanent auf den Genuss von Menschenfleisch abgesehen; nein, die Bedrohung ist subtiler. Nach einem Mord im Prolog erklingen im Vorspann die dissonanten Frühelektroklänge Phillan Bishops, die in ihrer schrägen Leblosigkeit gut zur Entfaltung der düsteren Atmosphäre des Films beitragen. Und um eben diese geht es im walzend langsam erzählten „Messias des Bösen“ vornehmlich. So gerät Arletty prompt in eine bedrohliche Szenerie an einer Tankstelle, wo sie auf das Paradoxon eines schwarzen Albinos trifft. Dieser nimmt sie freundlicherweise mit und verspeist dabei eine Ratte, als wäre es ganz selbstverständlich. Andere Menschen scheinen paralysiert und ausdruckslos. Das Haus ihres Vaters ist an Bizarrerie schwer zu überbieten, die Ausleuchtungen orientieren sich an der Farbästhetik eines Mario Bavas und beständig hört man das Meer rauschen und die Wellen schlagen.

Ihre Eindrücke, Erfahrungen und Gefühlswelt schildert Arletty immer wieder aus dem Off; liest sie die Briefe morbiden Inhalts ihres Vaters, rezitiert wiederum dessen Stimme die schwermütigen Zeilen. Im Laufe der Zeit ihres Aufenthalts werden ihre Begegnungen mit den Einheimischen immer bedrohlichen, beispielsweise als sie die Untoten bei der Speisung an der Fleischtheke des Supermarkts überrascht (ein paar Jahre bevor Romero seinen Zombies ein ganzes Einkaufszentrum spendierte). Wunderbar alptraumhaft gerät auch der Kinobesuch einer der Freundinnen Thoms, die sich zunächst allein den Western „Gone with the West“ anschaut, sich im Laufe des Films jedoch immer mehr Untote hinter sie setzen und die Situation schließlich eskaliert. Gegen Ende bekommt der Zuschauer noch eine Rückblende zu Ereignissen von vor 100 Jahren geboten, doch da der eigentliche Schluss nicht wie geplant umgesetzt werden konnte, bleibt alles höchst rätselhaft, wird kein Geheimnis in Gänze gelüftet. Das wiederum steht „Messias des Bösen“ auch gar nicht schlecht, der zwar ab und zu auf die Kunstbluttube drückt, jedoch anstelle von Splatter und Gore unwohlige Atmosphäre satt, Surrealismus und, wie sich im Verlaufe der Handlung herausstellt, keine Post-, sondern eine Prä-Apokalypse zu bieten hat, die sich ein bisschen nach Lovecraft anfühlt. Hier verstand man es, aus einem minimalen Budget das Bestmögliche herauszuholen, konnte man auf professionelle Schauspieler zurückgreifen und lieferte man einen alptraumhaften, mystischen Film, so schroff und ungeschliffen wie ein Felsen an der kalifornischen Küste. Ich verneige mich vor diesem Geheimtipp und gewähre ihm 7,5 von 10 Nächten am Strand, wartend auf den „Blutmond“...
Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
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Oswalt Kolle: Dein Kind, das unbekannte Wesen

Journalist und Aufklärer der verklemmten Bundesrepublik Oswalt Kolle brachte uns seit 1967 diverse Sexualaufklärungsfilme, darunter „Deine Frau, das unbekannte Wesen“ und „Dein Mann, das unbekannte Wesen“. Für letzteren arbeitete er erstmals mit Regisseur Werner M. Lenz zusammen, dessen Regie-Debüt der Film aus dem Jahre 1970 markiert. Im selben Jahr durfte Lenz, der es während seiner Regie-Karriere bezeichnenderweise insgesamt zu nichts anderem als fünf Sex-Report-Filmchen brachte, dann noch einmal für den dritten Teil der „Unbekannte Wesen“-Trilogie ran: „Dein Kind, das unbekannte Wesen“.

„Sie haben gesehen, dass in unserer Familie das Tabu der Nacktheit nicht existiert!“

Wie gewohnt führt Kolle persönlich in den Film ein, den der Zuschauer mit seinem Sohn Nino im Vorschulalter splitternackt am FKK-Strand zeigt. Kolle zeigt Nino ein Foto einer blutigen Geburt und klärt ihn auf, indem er ihm etwas von „Samenkörnchen“ erzählt. Die Kamera hält drauf, wie Nino an seinem Penis spielt und Kolle kommentiert aus dem Off. Inwieweit sich Nino später darüber gefreut haben mag, auf diese Weise vor laufender Kamera vorgeführt und „aufgeklärt“ worden zu sein, weiß ich nicht… Der erste geschauspielerte Einspieler handelt vom Prozess der Sauberkeitsgewöhnung bei Kleinkindern: Ein Kind soll inmitten seiner Spielsachen aufs Töpfchen, doch Kolle insistiert: Der Topf gehöre auf die Toilette! Sauberkeitserziehung müsse aber auch gar nicht unbedingt sein, siehe England (das erklärt natürlich einiges über unsere angelsächsischen Mitmenschen (kleiner Scherz!)). Kolle diskutiert mit Prof. Dr. Gerd Biermann, Leiter des ersten deutschen Instituts für Psychohygiene in Brühl, und skizziert den Staabs-Test: Der kleine, kranke Peter baut spielerisch einen Unfall nach, ein Junge wird eifersüchtig auf seinen Vater und die kleine Schwester, ein Mann ohrfeigt ein Kleinkind und haut ihm auf den Po. Der Grund: Ein Konflikt am Essenstisch (auf dem beide Elternteile im Übrigen schöne Bierknollen stehen haben). Mit Erwachsenen wird dieser Vorgang überspitzt in einem Restaurant nachgespielt, ebenso dass ein Vater das Spielzeug seines Kinds wegschließt: In der komödiantisch-übertriebenen Verdeutlichung der Wirkung auf das Kind wird dem erwachsenen Vater nach Falschparken der fahrbare Untersatz weggenommen. Diese Szenen lockern den sich bis dahin bierernst gebenden Film auf lustige Weise auf und Kolle spricht sich unzweideutig gegen Prügelstrafen aus:

„Wissenschaftler haben nachgewiesen, dass auch Schläge auf das Gesäß zu Hirnschädigungen führen können!“

So weit, so gut und heutzutage weitestgehend selbstverständlich, und dass Kolle ebenfalls dafür plädiert, Kindern ihre harmlosen Doktorspielchen zu lassen, statt hysterisch auf sie zu reagieren, ist natürlich auch in keiner Weise zu verurteilen. Mit der filmischen Darstellung kindlich-naiver Erkundung des „fremden“ Geschlechts kratzt Kolle allerdings hart an der Grenze zur Pädophilie, wenn er sich nackt bemalende und tanzende Kinder sowie ihr Arzt-Patient-Rollenspiel zeigt. Ich möchte Kolle und Lenz nichts unterstellen, fürchte aber, dass damit durchaus eine nicht unbedingt als Zielgruppe auserkorene Klientel bedient wurde…

Zurück am Sylter FKK-Strand spricht sich Kolle für nichtautoritäre Erziehung aus und diskutiert gestellt wirkend Nacktheit am Strand und generell in der Familie, und zwar mit seiner Familie; seine Frau, seine jugendlichen Tochter und sein jugendlicher Sohn befinden sich nun ebenfalls unverhüllt vor der Kamera. Damit nicht genug, mit seiner rauchenden Tochter diskutiert er offen über Sex mit Männern und mit seinem Sohn über Onanie. Spätestens hier setzt der Fremdschamfaktor ein, denn über diese Themen offenherzig zu reden, sollte natürlich kein Problem, es mit seinen eigenen Eltern zu tun, bedeutet jedoch aus gutem Grund das Überwinden einer natürlichen Hemmschwelle. Kolle, der sich ostentativ als körperlich wie geistig freier Sexualliberaler präsentiert, serviert seine Familie auf dem Tablett, als wolle er sagen: „Seht, all ihr Verklemmten, wie ungezwungen und fortschrittlich wir doch sind!“ All dies verhindert jedoch nicht, dass sich seine Frau vom Sohn den Vorwurf gefallen lassen muss, eine „Scheinliberale“ zu sein.

Eines der Kernstücke des Films bildet die längere Spielfilmepisode um eine Reisegruppe Jugendlicher, die unter der Knute ihres eigentlich gar nicht so unsympathischen erwachsenen Gruppenleiters steht, der sich an seine Vorschriften halten und jegliche Gemischtgeschlechtlichkeit sowie Nacktheit streng untersagen muss. So wird die Gruppe nach Geschlechtern getrennt, darf nicht an den Nacktstrand und schon gar nicht dürfen sich Jungen und Mädchen in sexueller Hinsicht zu nahe kommen. Dies geschieht natürlich trotzdem und als der Aufpasser Norbert und Sabine in den Dünen erwischt, heißt es für beide: Abfahrt nach Hause. Der Film verlässt hierfür seinen dokumentarischen Stil und setzt auf Kitsch (Lagerfeuer, Wanderklampfen, Gesang („Greensleeves“)), Romantik, musikalische Untermalung und Softsex, in dessen Verlauf sogar Norberts erigiertes Glied zu sehen ist, das von Sabines Hand gestreichelt wird. Auch wenn sich Kolle im Anschluss richtigerweise für die Abschaffung von Gesetzen ausspricht, die vorehelichen Sex verurteilen, steht dies nur im marginalen Zusammenhang mit dem zuvor Gezeigten, das mehr Teenie-Softporno als Aufklärung war.

Den Vogel schießt Kolle aber mit der letzten Episode ab: Renate ist schwanger, erwartet evtl. gar Zwillinge. Ihr Michael leidet unter Geldsorgen und Zukunftsängsten. Letzteres wird jedoch kaum weiter thematisiert, stattdessen geht man dazu über, das hölzern agierende Paar „Mensch, ärger dich nicht!“ spielen zu lassen, nachdem ihre erste Wehe eingesetzt hat und sich so die Zeit auf die nächsten zu vertreiben. Jegliches hölzerne Schauspiel endet indes abrupt, als Kolle ohne Vorwarnung dazu übergeht, die blutige Geburt in allen Einzelheiten, inkl. Aufschneiden und Vernähen des Damms, kommentarlos zu zeigen und damit indirekt und ungewollt Werbung für Empfängnisverhütung zu betreiben. Anscheinend hatte er es nie verkraftet, dass ihm damit noch vor seinem ersten Film der staatlich geförderte Aufklärungsfilm „Helga - Vom Werden des menschlichen Lebens“ 1967 zuvorgekommen war und musste unbedingt ebenfalls solche Szenen irgendwie unterbringen – und sei es thematisch unpassend am Ende eines Films mit dem Titel „Dein Kind, das unbekannte Wesen“. Nachdem Kolle zum Schluss noch ein paar krude Behauptungen zum Thema Stillen aufgestellt hat, schließt sein sechster Aufklärungsfilm, der zwar wieder ein gute Handvoll wahrer und seinerzeit vermutlich aufsehenerregender Aussagen enthält und hoffentlich seinen Teil dazu beigetragen hat, dass weniger Kinder geschlagen und zur Prüderie erzogen sowie in ihrer sexuellen Entwicklung gestört, sondern stattdessen vernünftig aufgeklärt werden, ansonsten aber immer wieder jegliches Niveau unterbietet, zur Nabelschau der Familie Kolle gerät, bisweilen unter Schamlosigkeit, Fremdscham und unfreiwilliger Komik sowie Unsachlichkeit, aber auch viel mehr oder weniger wertvollem Zeitkolorit pendelt und kalkuliert auf reißerische Schockwirkung statt auf pädagogische Aufklärung setzt.
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Freitag der 13. – Das letzte Kapitel
Jason ist tot. Zumindest liegt er in einem Tuch verpackt in der Leichenhalle. Doch Jason wäre nicht Jason, wenn nicht doch noch ein Funken Energie in ihm stecken würde. Nachdem er das dortige Personal ermordet, macht er sich auf die Heimreise zum Crystal Lake. Die Jugendlichen, die sich Camp Crsytal Lake als Urlaubsort auserwählt haben, ahnen noch nichts von der nahenden Gefahr...
„Jason ist da draußen!“

US-Regisseur Joseph Zitos zweiter Spielfilm war „Der Psycho-Ripper“, der 1979 bereits ein wenig in Richtung Slasher-Subgenre tendierte. 1981 wurde dann der gelungene „The Prowler“ sein erster vollwertiger Schlitzerfilm und vermutlich Grund dafür, dass man ihn 1984 mit der dritten Fortsetzung der „Freitag der 13.“-Reihe betraute. Diese sollte seinerzeit den Eindruck vermitteln, der letzte Teil der Reihe zu sein.

Jason wird für tot gehalten und in die nächstgelegene Leichenhalle gebracht. Doch dort erhebt er sich, hinterlässt eine blutige Spur und kehrt zurück zum Crystal Lake, wo sich schon wieder Jugendliche ins Camp eingenistet haben…

(Da ich unter Genre-Freunden diesen Film als bekannt voraussetze und vielmehr an einer inhaltlichen Aufarbeitung denn an einer auf Spoiler verzichtenden Beurteilung interessiert bin, gibt diese Kritik viel vom Inhalt wieder und beschreibt auch relativ detailliert das Ende. Wer diesen Film tatsächlich noch nicht gesehen hat, sollte daher nicht weiterlesen.) Wie bereits der zweite Teil spielt auch „Freitag der 13. – Das letzte Kapitel“ gar nicht an einem Freitag, dem 13., sondern, da er direkt an den dritten Teil anknüpft, am Samstag, dem 14. Juli 1984 sowie dem darauffolgenden Sonntag und Montag. Zunächst aber eröffnet der Film mit einer mit zahlreichen Ausschnitten der Morde vorausgegangener Teile gespickten Lagerfeuergeschichte über Jason, um mit der Filmreihe nicht Vertraute in Kenntnis zu setzen. Nach dem Vorspann werden die Toten eingesammelt und Jason in die Leichenhalle gebracht, wo geballtes Zeitkolorit den Zuschauer in Form von TV-Aerobic erwartet, bevor in einer Nachrichtensendung vom Crystal-Lake-Massaker berichtet wird. Dieses findet unmittelbar in der Leichenhalle seine Fortsetzung, denn Jason erwacht und tötet brutal das Personal.

„Warum gehst du nicht rauf in dein Zimmer und bringst ‘n paar mehr um?“

Schnitt, zurück am Crystal Lake: Erstmals wird die Familie Jarvis, bestehend aus alleinerziehender Mutter (Joan Freemann, „Panik im Jahre Null“), Teenie-Tochter Trish (Kimberly Beck, „Independence Day“) und dem 12-jährigen Bengel Tommy (Corey Feldman, „The Lost Boys“), eingeführt. Tommy ist begeistert von Gruselmasken und spielt mit Alien-Maske auf dem Kopf ein Videospiel. Parallel dazu bahnt sich die Gruppe Jugendlicher ihren Weg ins Camp, vorbei am Grab von Jasons Mutter. Jason ist ebenfalls unterwegs und tötet eine Anhalterin. Wahlweise wohlige Vorfreude oder schlimme Befürchtungen brechen sich beim Zuschauer bahn, der natürlich längst weiß, dass die Wege aller drei Parteien sich schon bald kreuzen werden. Davon indes noch nichts ahnend, bespannt Tommy Jugendliche beim Rummachen und wirkt dabei bereits ein wenig neben der Spur. Die männlichen Jugendtouristen erfahren die übliche Charakterisierung mit der groben Kelle und werden unterteilt in vorlauter Weiberheld (Ted, gespielt von Lawrence Monoson, „Die Maske“) und schüchternes Mauerblümchen (Jimmy, gespielt von Crispin Glover, „Das Messer am Ufer“) sowie irgendetwas dazwischen. Diese begegnen zwei weiblichen Zwillingen und gehen erst einmal im See baden, natürlich nackt. Unabhängig von den nackten Tatsachen ist sie da wieder, diese unbeschwerte Sommercamp-Stimmung, die schließlich so jäh zunichte gemacht werden wird.

Ein weiterer Charakter wird in Form des Bärenjägers Rob (Erich Anderson, „Das heiße Revier“) eingeführt, der als Verwandter eines Jason-Opfers aus einem vorausgegangenen Film auf Rache sinnt und nach den Szenen in der Leichenhalle für den zweiten False Scare des Films sorgt, als er Trish und Tommy erschreckt. Im von den Touris angemieteten Haus steigt derweil eine Party und wie wir hoffentlich alle wissen, wird im Phantastischen Film gern einmal getanzt, so auch hier – doch niemand tanzt wie Jimmy, der zu einer Hardrock-Nummer eine unglaubliche Sohle aufs Wohnzimmerparkett legt und damit auch „Freitag der 13. – Das letzte Kapitel“ zu einer komödiantischen Note verhilft. Zu einer guten Party gehört auch Dosenstechen, doch da das nicht alles sein kann, fühlt sich Paul (Clyde Hayes, „Maniacs – Die Horrorbande“) berufen, als Stecher seiner Freundin aufzutreten, die schon einmal vorgegangen ist und sich in freudiger Erwartung nackt aufs Boot gelegt hat. Szenen wie diese untermauern, dass dieser vierte Teil den bis dahin stärksten Erotik- bzw. Sleazefaktor der Reihe aufweist. Natürlich schaut sich Jason das nicht lange mit an – schon gar nicht so lange wie die Jugendlichen den Schmalspur-Erotik-Stummfilm in Schwarzweiß, den sie gefunden haben und unter Gekicher auf die Leinwand projizieren. Und als fühlte sich Zito dadurch an die guten alten expressionistischen Schattenspiele erinnert, erzeugt er zwischenzeitlich selbst welche.

Nun ist „Freitag der 13. – Das letzte Kapitel“ der erste Film der Reihe, in dem Jason seine charakteristische Hockeymaske von Anfang an auf der Rübe trägt – was den Film ebenfalls zu etwas Besonderem innerhalb seines Sujets macht. Dennoch hat man ihn seit seiner Rückkehr nach Crystal Lake nicht mehr richtig zu Gesicht bekommen und als der zeltende Rob abermals als vermeintlicher Mörder in Erscheinung tritt, gerät er langsam aber sicher selbst in den Kreis der Verdächtigen. Geschickt wird also die Frage aufgeworfen, ob trotz Jasons Rückkehr nicht ganz jemand anderer im Camp sein Unwesen treibt. Oder handelt es sich gar ganz gialloesk um gleich zwei Mörder? Allzu lange hält man sich jedoch nicht mit derartigen Rätselratereien auf, denn Jimmy bekommt erst einen Korkenzieher durch die Hand gejagt und wird im Anschluss brutal ermordet. Kurz darauf zieht der nun deutlich sichtbare Jason eine Dame durchs Fenster und zeichnet damit für einen präzise sitzenden Schockeffekt verantwortlich. No false scare this time…

Fallengelassen wird die Ärmste in dramatischer Zeitlupe, dafür begnügt sich Zito zunächst mit einfachem Regenwetter statt des sonst üblichen donner- und blitzlastigen Gewitters. Auch wird das „Kikiki... Mamama...“-Sample diesmal wesentlich dezenter eingesetzt als noch in Steve Miners drittem Teil. Dafür bemüht man sich um symbolträchtige und originelle Mordästhetik, wenn der von der Oldschool-Erotik gar nicht genug bekommende Ted sozusagen einen Tod auf der Leinwand stirbt. Der Klassiker als Reminiszenz an den Urvater des Genres darf natürlich nicht fehlen und so findet ein weiteres Opfer unter der Dusche den Tod. Dass Sara (Barbara Howard, „Der Dicke und die Schöne“) die Nasszelle rechtzeitig verlassen hat, lässt sie nur wenige Minuten länger leben, denn eine durch die Tür geschleuderte Axt beendet ihre irdische Existenz. Manfredinis aufgepeitschtes Streichorchester gibt längst alles und nur noch Trish, Tommy und Rob sind übrig. Ok, Rob eigentlich eher auch nicht mehr und dann wird er auch noch durch ein (geschlossenes) Fenster geschleudert. Trish findet derweil genretypisch nach und nach die ganzen Leichen und donnert schließlich dem grunzenden Jason den Röhrenfernseher auf die maskierte Rübe. Endlich bricht das obligatorische Gewitter aus; Final Girl Trish macht im Slip einen spektakulären Abgang durch (abermals) ein Fenster. Selbst wenn man den Ausgang des Films längst kennt, hat diese actionreiche Hatz doch kaum an Faszination eingebüßt. Zito & Co. beweisen ein absolut sicheres Händchen und inszenieren eine Choreographie der Todesangst voller Stunts.

Doch damit ist das Finale noch längst nicht vorbei, denn man hat sich eine ganz besondere Pointe einfallen lassen: Der kleine Tommy, der ohnehin schon psychisch etwas angeknackst wirkte (Dem Jungen fehlt eben die Vaterfigur!) macht sich dank seiner Maskenkunst als kleiner Jason zurecht und beginnt, zum hünenhaften Unhold zu sprechen. Und in dem Moment, in dem Jason kurz verwundert innehält, schlägt ihm Trish die Maske vom Kopf. Für alle sichtbar wird nun ein vollkommen entstellter Jason (nach den Ereignissen der vorausgegangenen Filme auch kein Wunder), dem Tommy die Machete in den Kopf haut. Ein verstörender Spezialeffekt lässt ihn durch die Machete gleiten, dass es beim Zuschauen regelrecht wehtut. Doch damit nicht genug, der kleine Tommy drischt auch noch wie von Sinnen auf den regungslosen Jason ein…

Das war es also, das vermeintlich letzte Kapitel – zumindest das letzte, in dem Jason noch sterblich, also noch kein Zombie geworden war (wie auch immer er anfänglich von den Toten auferstanden sein mag). In der Tat wäre dieser vierte Teil ein guter Abschluss der Reihe gewesen, denn bis auf die subjektiven Point-of-View-Perspektiven des Mörders bietet er alles, was man von einem F13-Backwood-Slasher erwartet. Besonders sensibel wird dabei zwar nicht vorgegangen und leisere Zwischentöne haben keinen Platz, wenn der Subtext weiter in den Hintergrund gedrängt wird, doch dafür wird ansonsten Qualität abgeliefert: Angefangen bei den (bisweilen vermutlich Rating-bedingt sogar noch ein wenig zurückhaltend wirkenden) Spezialeffekten Tom Savinis über die stets passende Integration zu typischen Charakteristika der Reihe avancierten Elementen bis hin zu in Ordnung gehenden Schauspielern (inkl. gleich zwei späterer Stars in Person von Feldman und Glover), deren Rollen sich grob unterteilen lassen in Machetenfutter und echte Charaktere, wobei letztere vermehrt anzutreffen sind. Trish ist ein sympathisches Final Girl und im Zusammenspiel mit Tommy ein Plädoyer für den geschwisterlichen Zusammenhalt, denn nur gemeinsam schaffen sie es, Jason zu besiegen. Von Robs Racheplänen hingegen ist nicht sonderlich viel zu spüren, da wäre mehr drin gewesen. Die übrigen Teenies sind zwar wandelnde Klischees, jedoch selten derart überzeichnet auf unsympathisch getrimmt, dass man ihr baldiges Ableben regelrecht herbeisehnt. Im Gegenteil: Sie fügen sich mindestens passabel ein in die mühelos erzeugte, angenehme sommerliche Stimmung des Films, die zumindest in den Crystal-Lake-Szenen eine Zeitlang das Geschehen dominiert. Zudem wirken sie insofern ernstzunehmender, als sie nicht nur pubertär über Sex etc. kichernd quatschen, sondern ihn auch in gegenseitigem Einvernehmen durchzuführen planen (bis Jason dazwischenhaut) oder ihn tatsächlich vollziehen. Die Skizzierung der Weiblichkeit geriet hier irgendwo auf Machetes Schneide zwischen männlichen Camp-Phantasien und emanzipierten jungen Frauen, die wissen, was sie wollen und den Jungs zeigen, wo es langgeht. Zu guter Letzt trug man dazu bei, das ehemalige Muttersöhnchen Jason Voorhees als wahre, vom Hass getriebene Tötungsmaschine weiter zu etablieren, indem man sie hier als kaum noch menschliche Züge aufweisende (die vereinzelten Grunzlaute erinnern bisweilen daran, dass ein Mensch hinter der Maske steckt und wirken daher erschreckend) Kreatur mit der Kraft des Wahnsinns und unfassbaren Nehmerqualitäten konsequent weiterzeichnete. Im Endeffekt hat „Freitag der 13. – Das letzte Kapitel“ damit ggü. dem dritten Teil die Nase vorn, wenngleich ich in ihrer Bedeutung für die Reihe beide Filme auf Augenhöhe sehe.
Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
Ein-Mann-Geschmacks-Armee gegen die eingefahrene Italo-Front (4/10 u. 9+)
Diese Filme sind züchisch krank!
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