Seite 118 von 250

Re: bux t. brawler - Sein Filmtagebuch war der Colt

Verfasst: Do 10. Jul 2014, 14:10
von buxtebrawler
Bild
The Prowler
Man feiert das Ende des Zweiten Weltkrieges. Der Abschlußball einer Highschool wird allerdings zum blutigen Spektakel, als ein betrogener Soldat, der gerade aus Japan heimgekehrt ist, Rache an seiner untreuen Geliebten nimmt. Viele Jahre später feiert man wiederum den „Graduation Day“. Der Mörder von damals, den man nie gefaßt hat, macht sich erneut an sein blutiges Werk. Denn wenn er nicht glücklich wurde, soll es auch kein anderer sein...
Love kills

US-Regisseur Joseph Zito, später berüchtigt für seine miese Actiongülle, begann seine Regiekarriere mit Thrillern, von denen das Zweitwerk „Der Psycho-Ripper“ aus dem Jahre 1979 bereits das eine oder andere Versatzstück des Slasher-Subgenres aufwies. 1981 drehte er schließlich mit „The Prowler“ seinen ersten reinrassigen Slasher, bevor man ihm 1984 mit „Freitag der 13. – Das letzte Kapitel“ die dritte Fortsetzung der langlebigsten Genrereihe anvertraute.

„Das Grab ist weit offen!“

Der Zweite Weltkrieg ist beendet, die US-Soldaten kehren zurück in ihre Heimat. Unter ihnen auch der Ex-Freund Rosemarys, die ihm in einem Brief mitteilte, dass sie sich von ihm getrennt hätte. Auf dem Schulabschlusstanz 1945 werden Rosemary (Joy Glaccum, „Kinder des Todes“) und ihr neuer Liebhaber mit einer Mistforke tödlich durchbohrt, der Mörder hinterlässt eine Rose am Tatort. Die Bewohner der Kleinstadt sind schockiert, Rosemarys Vater (Lawrence Tierney, „Der Psycho-Ripper“) untersagt in seiner Funktion als Bürgermeister des Orts 35 Jahre lang jegliche Schulabschlussfeierlichkeiten. 1980 aber ist es soweit und ein neuer Abschlussball findet statt. Doch in der Umgebung wird eine Bank ausgeraubt, ausgerechnet als der Sheriff zum Schiffen ausrückt und sich durch seinen jungen Deputy (Christopher Goutman, „Goodbye, New York“) vertreten lässt. Dies beunruhigt bereits manch Bewohner, doch ahnen sie noch nicht, dass erneut ein Mörder sein Unwesen treibt: In Soldatenkluft und durch ein Tarnnetz unkenntlich gemacht, hat er es auf die feierwütigen Jugendlichen abgesehen…

„Das ist unser Date, Rose!“

Der Prolog dieses Tragikromantik-Slashers beginnt mit Fernsehnachrichten in Schwarzweiß, die die „Queen Mary“ zeigen, auf der G.I.s aus dem Krieg zurückkehren. Im Anschluss wird aus Rosemarys Trennungsbrief zitiert, bevor es zum Abschlussball 1945 geht und schließlich der Doppelmord mittels einer Tatwaffe begangen wird, die Zitos Film den deutschen Titel „Forke des Todes“ einbrachte. Ein denkbar starker Einstieg, der nicht lang fackelt. In die filmische Gegenwart steigt „The Prowler“ mit den Vorbereitungen zum ersten Abschlussball seit 1945 ein. Nachdem der Sheriff abgereist ist, zeigt Zito geschickt parallel zueinander geschnitten, wie die Mädels sich für den Ball in Schale werfen, während der unbekannte Mörder sich in seine Soldatenkluft begibt. „The Prowler“, der mit dem Abschlussball ein beliebtes Thema dieses Subgenres aufgreift, avanciert zum archetypischen Vertreter seines Fachs, der weder das Whodunit? und die Point-of-View-Perspektiven, noch die „Psycho“-Reminiszenz in Form einer Duschszene und die False Scares auslässt – wenn er auch dem kauzigen Mahner (John Seitz, „Die Akte Jane“) erst recht spät, nämlich nach einer knappen Stunde, seinen Auftritt gönnt. Die einzelnen Morde indes stechen aus dem Allerlei durch ihre Brutalität und die realistischen Spezialeffekte aus der Hand niemand Geringeres als Tom Savini heraus: Da wird nicht einfach ein Messer in den Kopf gejagt, nein, die Klinge wird auch wieder herausgezogen, da wird die Mistforke mit unter die Dusche genommen etc. Wahrlich nicht von schlechten Eltern und nichts für Zartbesaitete.

So richtig gesehen hat man den wieder fleißig Rosen verteilenden Übeltäter bisher nicht, doch nach einer knappen halben Stunde taucht er unheilvoll auf einer Treppe auf. Wie man den maskierten nun in voller Pracht einfach dastehen lässt, zeigt, wie Zito und sein Team es beherrschen, ihre Antagonisten durch Kostüme und Bildkomposition unheilvoll in Szene zu setzen – bzw. wie sie wie die meisten Slasher-Regisseure von John Carpenters „Halloween“ gelernt haben. Eine gekonnte, spannende Kameraführung hält die Geschehnisse stets interessant, Suspense-Szenen stehen in keinerlei Widerspruch zur grafischen Explizitheit und eine punktgenau eingesetzte, dramatische musikalische Untermalung mit ihren berühmten Streichern tönt mal subtil oder flirrend, mal aufstachelnd und unheilverkündend aus den Lautsprechern. Einer der vielleicht nicht dramaturgischen, so aber doch visuellen Höhepunkte dürfte die Mordszene im Pool mit ihrer grandiosen, einzigartigen morbiden Ästhetik sein.

Ihr untergeordnet sind die üblichen Teenie-Problemchen wie Eifersüchteleien und Trunkenheit auf dem Abschlussball. Mehr Raum wird Deputy Marks Behauptungsversuchen unter fast Gleichaltrigen und seinem Kampf gegen die Überforderung durch die Mordserie zugestanden, schauspielerisch befindet sich dabei alles auf solidem Genrefilm-Niveau. Wenn schließlich eine frische Leiche in einem alten Grab liegt, versinnbildlicht dies wunderbar die psychopathologischen Hintergründe der Handlung, die in eine finale blutige Schießerei inkl. eines krassen Kopfschusses mündet. Die Enttarnung des Täters ist keine wirkliche Überraschung und als Schwäche des Films empfinde ich die nur halbherzigen Versuche, den Verdacht auf Unschuldige zu lenken. Hätte man dies konsequenter verfolgt, hätte man mehr daraus machen und dramaturgisch noch eine paar Kohlen nachlegen können. Da auch das Motiv klar ist, verzichtet man dankenswerterweise komplett auf eine „Nachbereitung“ mit Erklärungen von Offensichtlichem. Stattdessen setzt der Abspann mit melancholischer Melodie ein, während der Zuschauer die entsetzlichen Bilder noch vor Augen hat. Insgesamt verfehlt „The Prowler“ seine Wirkung also nicht, sondern erzielt den gewünschten Effekt, seine „Psycho“-, „Halloween“, „Prom Night“- und „Blutiger Valentinstag“-inspirierte brutale Mordserie mit einer tragikromantischen und letztlich düsteren, pessimistischen, zwischenmenschliche Gefühle infrage stellenden und ihre Verletzungs-, Traumatisierungs- und Fatalismusgefahr aufzeigenden Note zu versehen, wie sie viele Jahre später beispielsweise von Jamie Blanks für „Valentine“ wieder aufgegriffen wurde. Welche Rolle die Extremerfahrung eines Kriegseinsatzes dabei spielt, kann einerseits lediglich erahnt werden, ist andererseits durch die Militärkluft des Täters allgegenwärtig.

Verweisen muss ich abschließend darauf, dass dies ausdrücklich nicht für die deutschen Veröffentlichungen gilt, die eine der lausigsten deutschen Synchronisationen enthält, die die Filmwelt je zu hören bekommen hat. Diese ist ein exemplarisches Beispiel dafür, wie eine dilettantische Billigstsynchro einen ganzen Film verderben, ihn und seine Schauspieler der Lächerlichkeit preisgeben und den vom Filmteam intendierten Effekt ins Gegenteil verkehren kann. Wer „The Prowler“ mit einer vernünftigen deutschen Synchronisation genießen möchte, sollte versuchen, die australische DVD-Veröffentlichung von Universal / Studio Canal unter dem Titel „Rosemary’s Killer“ zu bekommen, die eine professionelle, von Tele5 erstellte Synchronfassung enthält, welche für eine nie erfolgte TV-Ausstrahlung erstellt wurde.

Re: bux t. brawler - Sein Filmtagebuch war der Colt

Verfasst: Mi 16. Jul 2014, 11:12
von buxtebrawler
Bild
Das Schweigen
Zwei Frauen und ein kleiner Junge reisen mit dem Zug durch ein fremdes Land, in dem drückende Hitze herrscht und das sich auf einen Krieg vorzubereiten scheint. Da es Ester gesundheitlich schlecht geht, unterbrechen sie, ihre Schwester Anna und deren Sohn Johan die Reise in der nächsten Stadt und beziehen eine kleine Suite in einem weitläufigen, doch fast leeren Hotel. Während Johan die langen Hotelflure erkundet und Bekanntschaft mit einer Zwergen-Varietégruppe macht, belauern die beiden Frauen einander vorwurfsvoll: Anna macht sich zurecht, um auf der Straße und in Cafés Männerbekanntschaften zu suchen, Ester dagegen bleibt frustriert im Bett bei Zigaretten und Alkohol. Die Spannungen zwischen ihnen eskalieren, als Anna einen Fremden ins Hotel bringt, um mit ihm zu schlafen – Esters Zustand verschlechtert sich rapide, nur noch der kleine Johan scheint ihr Halt zu geben...
Der dritte der zur „Kammerspiel-Trilogie“ zusammengefassten Filme des schwedischen Filmemachers Ingmar Bergman („Die Zeit mit Monika“) ist der ehemalige Skandalfilm „Das Schweigen“ aus dem Jahre 1963, der eigentlich ein depressives Drama ist.

In einem heißen Sommer reisen die Schwestern Anna (Gunnel Lindblom, „Licht im Winter“) und Ester (Ingrid Thulin, „Malastrana“) zusammen mit Annas Sohn Johan (Jörgen Lindström, „Nachtspiele“) durch ein fremdes Land, das sich für kriegerische Auseinandersetzungen zu präparieren scheint. Aufgrund des schlechten Gesundheitszustands der lungenkranken Ester unterbricht das Trio seine Reise und steigt in einem Hotel ab. Während Johan die langen Gänge erkundet und auf eine Gruppe kleinwüchsiger Kleinkünstler trifft, raucht, trinkt und masturbiert die frustrierte Ester, bis sie einen Hotelangestellten kennenlernt, mit dem sie anbandelt. Anna wandelt rastlos durch Kneipen und Clubs auf der Suche nach unverbindlichem Sex, den sie schließlich mit einem Kellner in einer Kirche hat. Als es Ester wieder besser geht, arbeitet sie an Übersetzungen. Ihr Zustand verschlechtert sich jedoch, als Anna ihre Bekanntschaft mit ins Hotel bringt…

Zum Titel passend dialogarm und in depressiven Schwarzweißbildern erzählt Bergman eine Geschichte, die keinen richtigen Anfang und kein entsprechendes Ende zu haben scheint. Der Ort, an dem die Reisenden ihren Halt machen, wird nicht näher definiert, die Sprache der Einheimischen ist unverständlich. Vermutlich soll es sich um einen Staat des Warschauer Pakts handeln. Die seinerzeit, immer noch ein paar Jährchen vor Ausbruch der sexuellen Revolution, skandalösen Sexszenen sind rein visuell nicht der Rede wert und weit von pornographischer oder auch nur selbstzweckhafter Darstellung entfernt. Ein paar nackte Brüste und angedeuteter Beischlaf, das war’s im Grunde genommen. Doch der Kontext, in dem hier unehelicher Sex stattfindet, wog vermutlich noch wesentlich schwerer. Bar jeder erotisierenden Darstellung ist er vollkommen ungeeignet, auf das Publikum stimulierend zu wirken, was Bergman auch nie intendiert haben wird – wer sich Derartiges von „Das Schweigen“ verspricht, sei gewarnt. Um es kurz zu machen: Was mir als mit seinem Œuvre kaum vertrauten Zuschauer Bergman mit seinem Film sagen will, erschloss sich mir nicht, ich fand keinen Zugang, empfand die düstere Schwermut des Films, der rein atmosphärisch sicherlich sämtliche Register zieht, als unangenehm. Das Verhalten der Charaktere schien mir nicht nachvollziehbar, die einzelnen Szenen gar zusammenhanglos, beinahe surreal.

Anschließende Recherchen förderten jedoch einen hochinteressanten Artikel Andreas Thomas‘ auf filmzentrale.com zutage, der den Film detailliert analysiert und interpretiert. Es scheint sich um einen symbol- und metapherreichen Spielfilm zu handeln, der voll Freud’scher Sexualpsychologie steckt, sich mit dem gestörten Verhältnis zur eigenen Person, insbesondere des eigenen Sexualtriebs, auseinandersetzt und möglicherweise in Anna und Ester das Es und das Ich des Strukturmodells der Psyche darstellt, das nach dem Wegfall eines autoritären, aber trügerische Sicherheit versprechenden Über-Ichs (der Vater der Schwestern ist gestorben) auf sich allein gestellt ist und die negativen Folgen frommer christlicher Erziehung aufzeigt.

Das klingt durchaus schlüssig und spannend, jedenfalls spannender, als sich mir der Film während meiner unbedarften Erstsichtung darstellte. Nun weiß ich aber auch, weshalb mir der Zugang fehlt, denn glücklicherweise ist meine Sozialisation nicht vergleichbar mit der des Pastorensohns Bergmans und seiner Charaktere in „Das Schweigen“. Oder anders: Gott sei Dank bin ich Atheist!

Re: bux t. brawler - Sein Filmtagebuch war der Colt

Verfasst: Mi 23. Jul 2014, 17:23
von buxtebrawler
Bild
Lanky Fellow – Der einsame Rächer

„Geld kann man niemals zu viel haben!“

Mitte der 1960er assistierte der Italiener Tonino Valerii („Der Tod ritt dienstags“) Sergio Leone bei den ersten beiden Teilen der Dollar-Trilogie; 1966 war es dann soweit, Valerii organisierte sich ebenfalls einen US-amerikanischen Hauptdarsteller und debütierte mit dem Italo-Western „Lanky Fellow – Der einsame Rächer“ seinerseits als Regisseur.

Die mexikanische Bande um Anführer Sanchez (Fernando Sancho, „Eine Pistole für Ringo“) überfällt einen Geldtransport der US-Armee und lässt niemanden am Leben. Das ruft jedoch den von allen nur Lanky Fellow (Craig Hill, „Blutiger Schatten“) genannten Kopfgeldjäger auf den Plan, der der Bande inkl. Sanchez den Garaus macht und anschließend den satten Finderlohn in Omaha, dem Bestimmungsort des Gelds, kassiert. Daraufhin engagiert Minenbesitzer Collins (Piero Lulli, „Escondido“) den Fremden, um dessen Goldtransport nach Omaha zu beschützen, auf den es auch der brutale Bandenchef Gus Kennebeck (George Martin, „Ringo kommt zurück“) abgesehen hat. Kennebeck hat bereits Lankys Bruder auf dem Gewissen, so dass es auch noch eine persönliche Rechnung zu begleichen gilt…

„Du bist wohl vom Schakal gebissen, was?“

Zu Nico Fidencos großartiger gesungener Titelmelodie zeigt Valerii epische Panoramen eines einsamen Reiters, doch die Einsamkeit währt nicht lange – in die Handlung steigt man direkt mit dem Überfall der Mexikaner auf den Geldtransport ein. Der erste Abschnitt ist bestimmt von Lankys Jagd auf die Bandenmitglieder und dass er gewiss nicht lange fackelt, verdeutlicht neben seinem Schussgeschick seine enorme Reaktionsgeschwindigkeit. Dass ihm ein Menschenleben nicht viel wert ist, beweist er wiederum, als er Flüchtenden kurzerhand in den Rücken schießt. Nein, mit Lanky Fellow ist höchstens gut blaue Bohnen essen. Valerii inszeniert ihn als zynischen Einzelgänger und Anti-Helden, der zwar oft ein Lächeln auf den Lippen und auf der Seite des Gesetzes steht, jedoch in erster Linie seinen persönlichen Vorteile in Form von möglichst viel Geld im Sinn hat. Wer das als Seitenhieb auf den US-amerikanischen Kapitalismus verstanden wissen möchte, darf dies sicherlich tun, wenn auch Valerii sich keinesfalls mit intellektuellem Tiefgang aufhält, sondern lieber die Pistolen sprechen lässt. Die Schießereien fallen ausgedehnt, aber recht unblutig aus, dafür geizt man aber nicht mit durchaus beunruhigenden Folterszenen, die z.B. Kennebecks rechte Hand, einen „Machete“ genannten Mexikaner, über sich ergehen lassen muss und einmal mehr die Grenzen zwischen Gut und Böse im Subtext verschwimmen lassen. Damit dürfte auch klar sein, woher Robert Rodriguez die Inspiration für seine jüngsten Hochglanz-Exploiter nahm.

„Ich geh‘ niemals dahin, wo auch meine Kugel hinfliegen kann!“

Das finale Duell geht zwar ins Auge, jedoch nicht für Lanky, an dessen wahren Beweggründen der Epilog sodann auch keinerlei Zweifel lässt und einen schönen Schlusspunkt unter einen genretypisch mit Running Gags um einen alten Kauz aufgelockerten Spaghetti-Western setzt, der verglichen mit einer wahren Studie menschlicher Abgründe wie „Der Tod ritt dienstags“ oder der politischen Anklage eines „Blutiges Blei“ zwar eher an der Oberfläche kratzt, jedoch dramaturgisch wie technisch zu überzeugen weiß: Schauspielerisch gibt sich niemand die Blöße, die Kamera hält manch ungewöhnliche Perspektive parat und die Musik habe ich ja bereits eingangs gelobt. Ein überzeugendes Debüt!

Re: bux t. brawler - Sein Filmtagebuch war der Colt

Verfasst: Mo 28. Jul 2014, 17:39
von buxtebrawler
Bild
Mögen sie in Frieden ruhen
Scheinbar kommt es zu einer friedlichen Co-Existenz zwischen der mexikanischen Bevölkerung und den US-Siedlern, aber der ehemalige Offizier Ferguson (Mark Damon) täuschte die Einigung nur vor, um die Mexikaner skrupellos zu ermorden. Nur ein etwa 10jähriger Junge überlebt trotz eines Streifschusses am Kopf. Er wird zufällig von einem Wanderprediger entdeckt, der mit einer Haushälterin und deren Tochter Princy (Barbara Frey) vorbei kommt, ihn mitnimmt und aufzieht. Zehn Jahre später hat der inzwischen zu einem jungen Mann (Lou Castel) herangewachsene Ziehsohn immer noch keine Erinnerungen an seine Vergangenheit, spielt aber geschickt mit einem Messer, zum Unwillen seines Adoptivvaters. Als seine Pflegeschwester bei einem Zwischenhalt in einer Stadt den Verlockungen erliegt und einfach verschwindet, beschließt er, sie zu suchen. Als er bei einem Überfall zufällig an eine Waffe gerät, erschießt er die Banditen zu seiner eigenen Überraschung. Dank dieser plötzlich entdeckten Begabung, gelingt es ihm auch unversehrt an den Ort zu gelangen, wo Princy inzwischen als Prostituierte arbeitet, wozu sie mit Drogen gefügig gemacht wird. Naiv will er sie dort herausholen, aber er gerät an einen überlegenen Gegner, ohne zu ahnen, dass er wieder an den Ort seiner Vergangenheit zurückgekehrt ist…
„Der Junge schießt wie der Teufel und sagt lateinische Sprüche dazu!“

Mit „Mögen sie in Frieden ruhen“ schuf Regisseur Carlo Lizzani („Der Bucklige von Rom“) 1968 in italienisch-deutscher Koproduktion einen brisanten, polit-kritischen Italo-Western, der sich mit dem Vormachtstreben US-amerikanischer Siedler im mexikanischen Grenzgebiet auseinandersetzt und sich dafür diverser Genre-Charakteristika bedient.

„Du armer Irrer!“

Ein fingierter Friedensvertrag zwischen dem weißen Mogul Ferguson (Mark Damon, „Die Verfluchten“) und den Mexikanern wiegt die Bevölkerung San Antonios kurzzeitig in Sicherheit, bis Ferguson ein wahres Massaker an den Mexikanern verübt. Einziger Überlebender: Ein kleiner Junge, Sohn des mexikanischen Anführers Roberto. Der Streifschuss, den er am Kopf abbekam, lässt ihn seine Erinnerung an die Vorfälle verlieren und orientierungslos umherirren. Ein Pfarrer und dessen Haushälterin auf der Durchreise nehmen sich seiner an und ziehen ihn nach den strengen Gesetzen der Bibel groß. Als Princy (Barbara Frey, „Was macht Papa denn in Italien?“), Tochter der Haushälterin, eines Tages durchbrennt, macht sich der mittlerweile erwachsene Zögling (Lou Castel, „Töte Amigo“) auf, nach ihr zu suchen. Durch einen Zufall gerät er nach einem Überfall an einen Colt und stellt fest, dass er anscheinend über die gottgegebene Gabe großer und zielgenauer Schießkunst verfügt. So macht er einem nach dem anderen Ganoven den Garaus, nicht ohne ihnen stets ein paar Worte aus seiner stets mit sich geführten Bibel mit auf den Weg ins Jenseits zu geben – was ihm bald den Spitznamen „Requiescant“ einbringt. Wie von einer überirdischen Macht geführt, landet er schließlich in San Antonio, wo die mexikanische Bevölkerung noch immer unter der Knute Fergusons mehr schlecht als recht lebt. Auch Princy hat es dorthin verschlagen – in ein von Fergusons Untergebenem Dean Light (Feruccio Viotti, „Der Tod ritt dienstags“) betriebenes Bordell. Ferguson und seine Männer haben natürlich etwas dagegen, dass Requiescant Princy einfach so mitnimmt. Doch als ein ehemaliger Verbündeter seines Vaters ihn an den Ort des Massakers führt, kommen schlagartig seine Erinnerungen zurück und er wird sich seiner eigentlichen Berufung bewusst…

„Halt die Schnauze, du dumme Sau!“

„Mögen sie in Frieden ruhen“ befasst sich nicht nur kritisch, sondern geradezu anklagend mit Sklaverei, Ausbeutung und Rassismus, womit sich die mexikanische Bevölkerung seitens der weißen US-Amerikaner konfrontiert sah. Seinen Helden wider Willen lässt er mit entwaffnender Naivität durch die geplagten Lande ziehen, etabliert damit eine genreuntypische Hauptrolle und arbeitet viel mit religiösen Bezügen. Nicht nur, dass der Mann beständig aus seiner Bibel zitiert, sie hält auch eine Kugel auf und rettet ihm dadurch das Leben. Lizzani stilisiert ihn zu einer Art auserwähltem Racheengel, der seinem Instinkt und reinen Geiste folgend zum Sühner Fergusons avanciert. Im Bereich der Mystik anzusiedeln ist ferner das Erscheinungsbild Fergusons, der wie ein dem Gothic-Horror entsprungener Vampir mit Leichenblässe und langem Umhang in Szene gesetzt wird. Die vampiristische Metapher dient der Veranschaulichung des über Leichen gehenden, die Menschen „aussaugenden“ Charakters Fergusons, der mit Burt (Franco Citti, „Quintero - Das As der Unterwelt“) einen noch skurrileren Gefolgsmann hinter sich hat, der stets eine Mädchenpuppe mit sich führt. All dies geht zu Ungunsten des Realismus, der dennoch vor dem Hintergrund US-amerikanischer imperialistischer Aggressionen während der Entstehungszeit des Films allgegenwärtig scheint und die Bezugnahme unschwer zu erkennen ist. Auch die tiefsitzende Frauenverachtung der weißen Oberschicht wird thematisiert, wenn Princy viel über sich ergehen lassen muss und schließlich ein desillusionierendes Ende nimmt.

„Die Rächer sind bereit!“

Rotgefärbt sind die Erinnerungen an das Massaker, die sich vor Requiescants geistigem Auge abspulen, als er das Schlachtfeld voller Skelette betrifft (in diesem Zusammenhang ein Kompliment an die Bühnenbildner für dieses schaurige Ambiente). Schließlich muss auch er Folter über sich ergehen lassen, die ihn jedoch nicht brechen kann. Einer der dramaturgischen Höhepunkte wird das in einem Saloon stattfindende Duell, bei dem sich beide Kontrahenten bereits im wahrsten Sinne des Wortes mit dem Kopf in der Schlinge befinden. Timing, Spannung, Kameraarbeit und akustische Untermalung sind schlicht perfekt und stehen den großangelegten Duellen der Leone-Western in nichts nach. Mit dem von Pier Paolo Pasolini, der für gewöhnlich hinter statt vor der Kamera zu finden war, gespielten Priesters und Guerillakämpfer Don Juan wird ein weiterer interessanter und symbolträchtiger Charakter eingeführt, der nachdenkliche Worte zum Töten findet, jedoch an der Seite Requiescants steht. Das actionreiche Finale mit seinen Schießereien und Granatenexplosionen mündet in einem letzten großen Auftritt Fergusons, der seine ganze Attitüde noch einmal schön zusammenfasst. Die deutsche Kinofassung allerdings wurde um ihre US- bzw. allgemein politkritische Aussage zensiert, zahlreiche Dialoge fielen der Schere zum Opfer. Wer sich ein eigenes Bild dieses Prachtexemplar eines ungewöhnlichen, weil die bekannte Rachethematik auf eine ganz andere Ebene hebenden Italo-Westerns machen möchte, sollte unbedingt zu einer Komplettfassung greifen. Auch Western-Muffel könnten durchaus Gefallen am mit religiösen Motiven und okkulter Symbolik arbeitenden Film finden, der auch schauspielerisch aufgrund seines namhaften Darsteller-Ensembles zu überzeugen weiß. Riz Ortolanis Musik rundet den technisch wie ästhetisch aus der Masse der Genreproduktionen herausstechenden Gesamteindruck stimmig ab.

Re: bux t. brawler - Sein Filmtagebuch war der Colt

Verfasst: Di 29. Jul 2014, 16:37
von buxtebrawler
Bild
Blutiges Blei
Texas, USA: Auf den aktuellen Präsidenten der Vereinigen Staaten wurde ein tödlicher Anschlag verübt. Schnell fällt der Verdacht auf den schwarzen Bürger Jack. Doch sein Freund Bill Willer (Giuliano Gemma) glaubt an einen Komplott. Auch der Berater des Präsidenten McDonald glaubt, dass mehr hinter dem Anschlag steckt. Langsam kommen sie einer großen Verschwörung auf die Schliche...
„Der Krieg ist nicht vorbei!“

Tonino Valeriis nach „Lanky Fellow“ zweiter Italo-Western entstand im Jahre 1969 und vermengt die realen Hintergründe des Attentats auf den 20. US-Präsidenten James A. Garfield mit den zeitgenössischen Ereignissen der Ermordung John F. Kennedys.

Dallas nach dem Bürgerkrieg: Verschwörer planen ein Attentat auf James A. Garfield (Van Johnson, „Das Concorde Inferno“), den amtierenden Präsidenten der USA, der zu einem Besuch nach Dallas kommen möchte. Einen „Verräter“ (Antonio Casas, „The Good, the Bad and the Ugly“) in den eigenen Reihen liquidieren sie kurzerhand und präparieren eine Brücke mit Sprengstoff, die der Präsident passieren muss. Doch Bill (Giuliano Gemma, „Der Tod ritt dienstags“), der wegen Hochverrats steckbrieflich gesuchte Sohn des Ermordeten, kann den Anschlag in letzter Minute vereiteln. Dies bedeutet jedoch nicht, dass die Verschwörer zur Verantwortung gezogen werden können, im Gegenteil: Sie hecken einen neuen Plan zur Ermordung des Staatsoberhaupts aus…

„Ich würde keine Fragen stellen, die einen das Leben kosten können!“

„Blutiges Blei“ erzählt die Ereignisse um den Tod James A. Garfields neu und orientiert sich dabei weniger an der historisch verbrieften Geschichtsschreibung des 19. Jahrhunderts, sondern am wesentlich jüngeren tödlichen Anschlag auf John F. Kennedy. Damit agiert auch dieser relativ komplexe Polit-Western in starkem Maße als Metapher auf aktuelle politische Ereignisse und ganz und gar nicht als Romantisierung des Wilden Westens. Während der Präsident noch idealisiert, aber auch als naiv und sich der tödlichen Gefahr nicht bewusst dargestellt wird, thematisiert man – einmal mehr insbesondere in den der deutschen Zensur zum Opfer gefallenen Szenen – den Rassismus der Südstaaten, den mörderischen und korrupten Klüngel verschiedener Interessengruppen und den schädlichen Einfluss vermögender Besitzer von Medien (hier anhand des Beispiels eines Zeitungsverlegers) durch tendenziöse Berichterstattung.

Seinen ersten Auftritt hat der westernerfahrene Hauptdarsteller Giuliano Gemma effektvoll bei Blitz, Donner und strömendem Regen. Der Zuschauer erfährt, dass er für die Nordstaaten kämpfte, während sein Vater auf Seiten der Südstaaten stand. Diese Konstellation verdeutlicht die innere Zerrissenheit der Nation, die sich in ihrer radikalsten Form im geplanten Attentat widerspiegelt. Nach ca. 45 Minuten konnte dieses dann auch erfolgreich durchgeführt und ausgerechnet dem armen, zuvor noch spektakulär aus seiner Gefängniszelle ausgebrochenen Afroamerikaner Jack Donovan (Ray Saunders, „Brutale Stadt“) in die Schuhe geschoben werden. Als Kopf der Verschwörung erweist sich der großbürgerliche Pinkerton (Fernando Rey, „Lasst uns töten, Companeros“), der zusammen mit dem texanischen Gouverneur (Julio Peña, „Mercenario - Der Gefürchtete“) den Vizepräsidenten (José Suárez, „Django, der Rächer“) zur Marionette seiner Interessen machen will. Dieser ist mittlerweile geläutert, doch wird er durch belastende Dokumente erpresst. Er offenbart sich dem Regierungsbeamten McDonald (Warren Vanders, „Heiße Schüsse, kalte Füße“), der ebenfalls ein undurchsichtiges Spiel spielt und von Pinkerton ebenso bestochen und erpresst wird. Seine verzichtbar gewordenen Gehilfen um Sheriff Jefferson (Benito Stefanelli, „Der Gehetzte der Sierra Madre“) werden zu Bauernopfern in Pinkertons Partie und mittendrin, zwischen Kneipenschlägereien mit Hilfssheriffs und prügelnden Politikern, ist immer noch unser Bill Willer.

Die Ereignisse überschlagen sich schließlich, die vielen Finten, Verrate und Schießereien überlebt kaum jemand. Mit seinen spannenden Duellen, Pathos und einer Revolverkugel-OP bedient sich „Blutiges Blei“ weiterer Genre-Charakteristika, wird bisweilen aber etwas dialoglastig und leicht an Charakteren überfrachtet – zumindest für einen Italo-Western. Nichtsdestotrotz ragt auch dieser Valerii-Western unübersehbar aus dem Genre-Durchschnitt heraus und bietet einen gelungenen Polit-Thriller im staubigen Western-Gewand, der begleitet von toller melancholischer Musik dahin zielt, wo es wehtut: in das kriegerische Herz Amerikas. Dafür übergebe ich 7,5 von 10 belastenden Dokumenten ungelesen an McDonald.

Re: bux t. brawler - Sein Filmtagebuch war der Colt

Verfasst: Mi 30. Jul 2014, 21:48
von buxtebrawler
Bild
491

„Du bist hier völlig freiwillig!“

Mit „491“ des schwedischen Regisseurs Vilgot Sjöman („Ich bin neugierig – gelb/blau“) nach Drehbuch Lars Görlings, der auch die autobiographische Romanvorlage lieferte, wurde nach „Sie tanzte nur einen Sommer“, „Die Zeit mit Monika“ und „Das Schweigen“ ein weiterer schwedischer Spielfilm zum „Skandalfilm“ hochstilisiert – obwohl auch dieses Jugenddrama aus heutiger Sicht vergleichsweise harmlos wirkt.

Mit einer Gruppe straffälliger Jugendlicher wird ein Experiment durchgeführt: Untergebracht in der „Pension Sachlichkeit“ sollen sie sich einem Resozialisierungsprogramm unter Beaufsichtigung zweier Sozialarbeiter unterziehen. Doch das Experiment gerät außer Kontrolle...

In der christlichen Mythologie heißt es, dass einem Menschen 490 Sünden vergeben würden, die eine weitere aber unverzeihbar wäre. Bewusst in kontrastreichen Schwarzweißbildern gedreht, eröffnet Sjöman seinen Film mit dem Gespräch mit einem Probanden, den man erst am Schluss der Einstellung zu sehen bekommt. Es geht um das Resozialisierungsprojekt, über das Sozialarbeiter Krister (Lars Lind, „Skandalschule“) zu Standbildern aus dem Off zu erzählen beginnt. Sehr nüchtern und langsam nimmt dann der eigentliche, teilweise mit Laien besetzte und in Guerilla-Manier halbdokumentarisch gedrehte Film seinen Lauf: Desillusionierend und pessimistisch wird auf eine positiv konnotierte Identifikationsfigur verzichtet, sämtliche Rollen ambivalent gestaltet, ihnen allen Dreck an den Stecken geheftet und sich niemand mit Ruhm bekleckern gelassen. Während sich die erwachsenen am Projekt Beteiligten wahlweise als ihre Autorität in Form von sexuellen Übergriffen auf die Jugendlichen missbrauchend oder gar nicht erst über welche verfügend entpuppen, üben sich die gelangweilten Jung-Soziopathen in Destruktivität sowie dem Ausleben ihrer niedersten Instinkte und kennen keinerlei Respekt vor irgendetwas. Dies gipfelt nach Diebstahl, Besäufnis und Sex mit der jungen Prostituierten Steva (Lena Nyman, „Ich bin neugierig – gelb/blau“) darin, letztere durch einen Hund vergewaltigen zu lassen.

Das mag wahnsinnig dreckig, schockierend und provokant klingen, doch passiert lange Zeit überhaupt nichts Skandalöses, zumindest nicht visuell. Die episodische, fragmentarische Handlung lässt kaum Spannung aufkommen und verliert sich in vielen offenbar in Echtzeit gedrehten Details. Dadurch wirkt „491“ recht langatmig und zäh, zumal es schwerfällt, das Verhalten der unzureichend charakterisierten Rollen nachzuvollziehen. Der Film selbst nimmt keine eindeutige Position ein, schwingt also auch keine moralistischen Zeigefinger, was mit zur skandalträchtigen Wirkung beigetragen haben dürfte, bietet aber auch keine Lösungsmöglichkeiten oder Alternativen an. Hier ist einfach jeder verkommen oder unfähig. Von der als Quasi-Pointe präsentierten Sodomie-Szene bekommt man selbstredend auch nicht das Geringste zu sehen, stattdessen wird auch gegen Ende wieder mit künstlerischen Standbildfolgen gearbeitet.

Letztlich ist „491“ ein sicherlich nicht uninteressantes Zeitdokument, das einen kritischen, gleichwohl negativen Blick auf (pseudo-)pädagogische Konzepte richtete und das eine oder andere filmische Tabu brach, indem es Sexualverbrechen mehr oder weniger offen ansprach, ferner ein filmhistorisches Beispiel für die Zensurhysterie einflussreicher moralistischer Kreise, aufgrund derer auch die deutsche Kinofassung reichlich Federn lassen musste. Im Jahre 2014 hat der Zahn der Zeit den Film aber seiner Wirkung beraubt, der gerade auch aufgrund seiner eher sperrigen Inszenierung überholt wirkt, relativ kalt lässt und über kein sonderliches Unterhaltungspotential verfügt – wobei letzteres sicherlich auch nie Intention Sjömans war.

Re: bux t. brawler - Sein Filmtagebuch war der Colt

Verfasst: Fr 8. Aug 2014, 11:49
von buxtebrawler
Bild
Necronomicon – Geträumte Sünden
Lorna arbeitet als Stripperin in einem Nachtclub, wo sie extravagante sadomasochistische Darbietungen zum Besten gibt. Zunehmend wird sie von Halluzinationen geplagt bis sie nicht mehr zwischen Schein und Sein unterscheiden kann...
„Necronomicon – Geträumte Sünden“, auch als „Succubus“ bekannt, zählt zu den Frühwerken des umtriebigen spanischen Vielfilmers Jess Franco („Paroxismus“). Der auf das Jahr 1967 datierende Film ist eine sehr spezielle Mischung aus Erotik und Horror im artifiziellen Kunstfilmgewand, wird lose zur sog. Aquila-Trilogie gezählt und wurde vom Deutschen Adrian Hoven („Hexen bis aufs Blut gequält“) unter seinem Pseudonym Percy G. Parker produziert. Er gilt als der erste Film Francos, der komplett außerhalb dessen spanischer Heimat gedreht wurde.

Lorna Green (Janine Reynaud, „Der Schwanz des Skorpions“) tritt in sadomasochistischen Bühnendarbietungen auf, in deren Rahmen sogar ein Mord inszeniert wird. Parallel ist sie in psychiatrischer Behandlung, leidet unter Wahnvorstellungen und Realitätsverlust. Ihr Freund und Manager William Mulligan (Jack Taylor, „Die Jungfrau und die Peitsche“) lockt sie von Lissabon nach Berlin. Dieser setzt sie unter Drogen und animiert sie zu realen Morden. Als er sie schließlich umbringen lassen will, macht der Auftragskiller ihm einen Strich durch die Rechnung: Er verehrt Lorna als „die Gräfin“ und macht gemeinsame Sache mit ihr…

Viele werden Jess Franco lediglich als kruden Trash-Filmer kennen, doch ein Film wieder dieser ist ein schönes Beispiel für die künstlerische Ambition, die er insbesondere in den 1960ern an den Tag legte. „Necronomicon – Geträumte Sünden“ lässt Realität und Traum, Phantasie und Wahnsinn, Lust und Tod ineinander verschwimmen. Seine Bilder wirken wie Gemälde, gemalt statt gefilmt. Die Kamera übt sich in sehr individuellen Perspektiven und kreativer konzipierter, origineller Bildkomposition zur Manipulation des Zuschauers. Die mit für das Entstehungsjahr provokanten SM-erotischen Szenen angereicherte Geschichte ist schwer zu durchschauen, wirkt durch und durch künstlich und unnahbar, macht es dem Zuschauer nicht leicht, verwirrt ihn gar vorsätzlich. Auf klassische Erzählmuster legte Franco hier keinerlei Wert und verlässt sich auf die Durchästhetisierung der einzelnen Sequenzen. Die arg gestelzten Dialoge bemühen sich um Poesie und strotzen wie der ganze Film nur so vor Verweisen auf Kunst und Kultur. Unterlegt wird der Film von bisweilen hochgelobtem, für mein empfindliches Gehör jedoch tendenziell nervendem Jazz-Gedudel. Für die Kostüme zeichnet übrigens der junge Karl Lagerfeld verantwortlich.

Janine Reynaud füllt ihre Rolle mit Leben, während vieles um sie herum außerhalb der Erotik- und Mordszenen stocksteif wirkt. Als Lornas Psychiater tritt Adrian Hoven höchstpersönlich vor die Kamera, Franco-Stammmime Howard Vernon ist ebenfalls mit von der Partie. Apropos, die Darstellung einer wilden LSD-Party mit entsprechendem Rausch ist nicht von schlechten Eltern und eine eindeutige Reminiszenz an die Hippie-Zeit. Die nur angedeutete Geschichte um Lornas zweifelhafte Identität irgendwo zwischen ihrer Selbst, einer Inkarnation der Gräfin Faustine und einem Succubus spielt damit, den Zuschauer im Unklaren zu lassen, was auf welcher Bewusstseinsebene geschieht, was tatsächliche Realität ist und was nicht, was evtl. nur aus Lornas Perspektive aussieht, wie man es als Zuschauer zu sehen bekommt. Leider gelingt es nicht, daraus ein verwertbares, spannendes Psychogramm zu skizzieren, auch entwickelt sich keine Empathie für auch nur irgendeine Figur. So bleibt es letztlich bei einem Nischenfilm für interpretier- und rätselfreudige Freunde des extrem Unkonventionellen, der sich klassischer orientiertem Publikum sicherlich nicht erschließt und im Extremfall bzw. unter Anbetracht der im Jahre 2014 nicht mehr gegebenen erotisch-provokanten Wirkung gar langweilen könnte. Nichtsdestotrotz gelang Franco ein nicht uninteressanter unmittelbarer Vorläufer der sexuellen Revolution auf der Leinwand.

Re: bux t. brawler - Sein Filmtagebuch war der Colt

Verfasst: Mo 11. Aug 2014, 17:30
von buxtebrawler
Bild
Bloodparty
Es ist Thanksgiving und während überall der Festtagstruthahn zubereitet wird, flieht aus dem Hobart-Sanatorium der muskelbepackte Psychopath Jay Jones (Jake Steinfeld), der seinerzeit seine Eltern umgebracht hat. Rücksichtslos und brutal besorgt er sich ein Gefährt und flieht aus der Stadt, um in einer eher abgelegenen Gegend schließlich auf das Haus der Bradleys zu treffen, die ebenfalls gerade mit Freunden auf einen ausgelassenen Erntedank zusteuern. Schon bald meuchelt Jay auch hier die Bewohner und Besucher nieder, kann aber selbst kaum gestoppt werden, weil er sich zusätzlich noch PCP gespritzt hat, das seine Schmerzwahrnehmung praktisch aufgehoben hat…
„Frauen taugen nichts!“

Die anscheinend einzige Regiearbeit Nettie Peñas ist der recht uninspirierte US-Slasher „Bloodparty“ aus dem Jahre 1981: An Thanksgiving flieht der bodybuildende Psychopath Jay Jones (Jake Steinfeld, „Heiße Geschäfte“) aus dem Hobart-Sanatorium, pfeift sich reichlich starke Drogen rein, die ihn quasi gar nichts mehr merken lassen, begeht einen Raubmord, um an einen fahrbaren Untersatz zu kommen und macht sich auf zum abgelegen Wohnsitz der Bradleys, die mit Freunden das Erntedankfest begehen wollen. Einer nach dem anderen muss dran glauben…

Peña fackelt nicht lang und lässt seinen Prolog direkt mit dem ersten Mord beginnen. Er verzichtet auf jeglichen Whodunit? und präsentiert mit dem an Lou Ferrigno als Hulk erinnernden Jay Jones sogleich den Täter, der sich durch den gesamten Film metzeln wird. Aus dem Radio erfolgt dann auch unmittelbar die Erklärung, die an den subgenredefinierenden „Halloween“ erinnert: Der Irre hat als Kind seine Eltern umgebracht und ist nun aus der Psychiatrie entflohen. Beliebtes Charakteristikum von Slasher-Filmen ist es zudem, sie an einem Feiertag spielen zu lassen. Hier zog man das Erntedankfest heran, ohne jedoch wirklich etwas daraus zu machen – im Prinzip hätte er auch an jedem anderen Tag spielen können.

Schön gemacht ist hingegen, wie die Eröffnungstitel über die Amokfahrt des Killers geblendet werden, die mit einer blutverschmierten Windschutzscheibe endet. Die Erntedankfestgesellschaft bei den Bradleys entpuppt sich als seltsame Menschenansammlung, die gern mal miteinander in die Federn hüpft (und damit für ein wenig Sleaze sorgt), jedoch ständig von einem auf den bemerkenswerten Namen „Mistake“ (Peter De Paula) hörenden Satansbraten gestört wird, der wie ein Pantomime geschminkt permanent mit Verstärker und E-Klampfe herumläuft. Unter den Gästen befindet sich auch eine Klischee-Spanierin, die singt und Gitarre spielt. Das irre Lachen des Killers, der angesichts dieser Mischpoke fast normal wirkt, kann ich gut nachvollziehen.

Als grandiose Idee entpuppt sich jedoch der Sprung des Mörders aus dem Gebüsch auf eine Motorhaube, unter der er sein nächstes Opfer begräbt. Bei der Landung sollte man jedoch nicht allzu genau hinsehen, um nicht festzustellen, dass der bemitleidenswerte Mann gar nicht mehr anwesend ist… Idee spitze, Ausführung mangelhaft. Gut eingefangen wurde hingegen der Mord im Auto, zumindest der unheimliche, unstete Blicke des unter Drogeneinfluss stehenden Psychopathen. Beim folgenden Mord an zwei Frauen wird das Bild zumindest der deutschen VHS leider arg dunkel, dafür ist das (Achtung, Spoiler!) Ableben „Mistakes“, der einen ansehnlichen Elektrotod stirbt, eine kleine Überraschung, denn der Nervensäge hätte ich glatt die Rolle des Final Boys zugetraut. Das Finale schließlich hat durchaus auch seine Momente, zumindest hat man den Killer hübsch blutig geschminkt. Zwischen all diesen Morden herrscht jedoch vorrangig gähnende Langeweile, da es schlichtweg nicht gelang, den Hauch einer Geschichte auch nur ansatzweise interessant zu erzählen oder sonstwie aufzubauschen, so dass „Bloodparty“ exemplarisch für einen unterdurchschnittlichen, technisch alles andere als herausragenden, fragwürdig geschauspielerten und mies konstruierten Slasher ohne Sinn und Verstand ist, dem es in seiner Selbstzweckhaftigkeit nicht einmal gelingt, Dramaturgie oder Spannung aufzubauen. Kurios, aber verzichtbar.

Re: bux t. brawler - Sein Filmtagebuch war der Colt

Verfasst: Mi 13. Aug 2014, 00:02
von buxtebrawler
Bild
Herr der Fliegen
Nach einem Flugzeugabsturz retten sich die überlebenden Halbwüchsigen eines Chors auf eine einsame Insel. Dort finden sie Wasser, Schweine, Obst und andere Nahrung vor. Notgedrungen, um das Fehlen eines Erwachsenen zu ersetzen, wählen sie zwei Anführer für jeweils zwei Gruppen. Ralph wird der Anführer der Gruppe, die für Unterkunft und für das Signalfeuer sorgt. Jack dagegen führt die Jäger an, die für das Essen der Gruppe sorgen soll. Bald schon gibt es erste Rivalitäten zwischen Ralph und den Jägern, die seine Bemühungen um vernünftiges Verhalten, als Mißbilligung ihres Jagdspasses verstehen. Tatsächlich verfallen die Jäger mehr und mehr und werden langsam zu kleinen Wilden, die sich letztendlich ihre eigene heidnische Jagdreligion ausdenken. Die Konflikte spitzen sich in der Folgezeit dramatisch zu, bis es zu einem gewalttätigen Ausbruch und zu einer Menschenjagd auf Ralph kommt...
„Wie eine Horde Kinder!“

Der Brite Peter Brook („Stunden voller Zärtlichkeit“) zeichnet als Regisseur verantwortlich für die erste, im Jahre 1963 noch in Schwarzweiß gedrehte Verfilmung der Robinsonade William Goldings, die sich in Romanform mit der kriegerischen Entwicklung der Zivilisation anhand einer Gruppe Kinder auseinandersetzt.

Eine Gruppe sechs- bis zwölfjähriger Kinder, ausschließlich Jungen, überlebt einen Flugzeugabsturz und schafft es, sich auf eine einsame Insel zu retten. Ein Teil der Kinder stammt aus dem Chor einer Eliteschule, die anderen haben keinen elitären Hintergrund. Während bei den Chorknaben Jack (Tom Chapin) den Ton anzugeben pflegt, wählen die anderen angesichts der besonderen Situation den besonnenen Ralph (James Aubrey) zu ihrem Anführer, der von einem nur „Schweinchen“ genannten übergewichtigen Jungen (Hugh Edwards) und vom von Alpträumen geplagten Simon (Tom Gaman) unterstützt wird. Während Ralph sich in erster Linie um das Lager- bzw. Signalfeuer und darum, dass es nie ausgeht, kümmert, Unterkünfte herrichtet und sich um ein vernunftbetontes, faires Miteinander bemüht, entwickeln Jack & Co. Spaß an der Jagd nach tierischer Nahrung und treten den anderen gegenüber aggressiv auf. Jack schikaniert mit Vorliebe „Schweinchen“ und rekrutiert immer mehr Anhänger für seine Gruppe. Die Leiche eines sich mit seinem Fallschirm in einem Baum verfangenen habenden Soldaten halten die Kinder verängstigt für eine Bestie, weil der Wind den Fallschirm aufbläht. Die Jagd auf die vermeintliche Bestie lässt die Situation schließlich vollends eskalieren...

Die Eröffnungstitel werden zu Standbildern von Schülern, Flugzeugen bis hin zum Wrack eingeblendet und umreißen grob die Vorgeschichte. Die laut Literaturvorlage erfolgte Evakuierung aufgrund eines Atomkriegs lässt sich daraus allenfalls erahnen. Die bewegten Bilder steigen direkt mit den gestrandeten Kindern ein, ihre sozialen Unterschiede werden nur marginal thematisiert. Brook zeigt Ralphs Wahl zum Anführer und das Vertrautmachen mit Fauna und Flora der Insel. Der erste schwerer wiegende Konflikt tritt auf, als das Feuer aus geht. Im weiteren Verlauf wird „Schweinchen“ geschlagen und dabei seine Brille zerstört. Die größer werdende Gruppe um Jack verwildert zusehends und entwickelt Riten wie ein Eingeborenenstamm, begibt sich schließlich auf die Suche nach der Bestie. Man opfert ihr einen Schweinekopf, um sie gnädig zu stimmen, und erinnert damit an frühzeitliche religiöse Riten. Jack kündigt die Zusammenarbeit mit Ralph schließlich komplett auf und geht zum offenen Konflikt mit dessen Gruppe über, wirbt immer mehr derer Mitglieder ab. Nachdem sie sich mit einem primitiven Tanz ums Feuer unter lautem Geschrei selbst in Rage gebracht haben, ist in der Konsequenz das erste Todesopfer zu beklagen und wird deutlich, dass ein Menschenleben unter Jacks Führung nicht mehr viel zählt.

Gesellschaftliche Verhaltensmuster Erwachsener zu abstrahieren, indem man sie von Kindern nachspielen lässt, ist ein adäquates Stilmittel, um Zusammenhänge zu verdeutlichen und Entwicklungen verständlich nachzuzeichnen. Zudem wird ein kontroverser Überraschungseffekt erzeugt, indem den Kindern ihre nachgesagte „Unschuld“ genommen wird, sie stattdessen außerhalb des Einflusses Erwachsener ungeschönt und wie selbstverständlich niedere menschliche Instinkte auszuleben beginnen. In „Herr der Fliegen“ sind dies Gewalttätigkeit und das „Recht des Stärkeren“, was hier gleichbedeutend mit körperlicher Überlegenheit ist. Der Krieg, den die Kinder schließlich in typischer Gruppendynamik entfachen, steht im Kontrast zum paradiesisch anmutenden Eiland und zieht dieses stark in Mitleidenschaft. Derjenige mit der größten Klappe kann eine immer größer werdende Anhängerschaft hinter sich vereinen, die aus Angst und Orientierungslosigkeit wider jeder Vernunft unter Aufgabe der Eigenverantwortung einer (vermeintlich) starken, dabei vielmehr barbarischen Führungspersönlichkeit folgt. Einfache und schnelle Lösungen werden gegenüber komplexeren Aufgaben bevorzugt, Andersdenkende werden schließlich gnadenlos gejagt. Somit kann „Herr der Fliegen“ sowohl als metapher- und symbolreiche Erklärung zur Entstehung von organisierter Gewalt, den Rückfall in archaische Verhaltensmuster sowie als Gegenüberstellung totalitärer und demokratischer Formen des Zusammenlebens betrachtet werden. Zudem werden die Gefahren populistischer Strömungen aufgezeigt. Insgesamt geht es also um Herausforderungen, der sich jede moderne Gesellschaft immer wieder aufs Neue stellen muss.

Dieses ernüchternde, aber auch warnende Menschenbild und damit einen konstruktiven Beitrag zum möglichen Verhindern derartiger Entwicklungen transportiert der Film in zum mir unbekannten Roman vermutlich etwas abgeschwächter Form. Dass die Kinder am Ende in eine offensichtlich ebenfalls eskalierende Erwachsenenwelt „gerettet“ werden, muss man sich selbst zusammenreimen. Der Kontrast zur idyllischen Insel wird in den Schwarzweißbildern auch nicht zwingend deutlich, das unfreiwillige Exil der Kinder erscheint vielmehr ebenfalls tendenziell unwirtlich und bedrohlich. Auch dramaturgisch merkt man dem Film an, dass sein Regisseur bei seiner dritten Arbeit kein erfahrener Abenteuer- oder Thriller-Filmer war. Unterm Strich dürfte der Film wesentlich weniger stark kontrovers aufgefasst worden sein als der Roman, der Überlieferungen zufolge in den 1970ern aus diversen Schulen Nordamerikas entfernt bzw. der Zugang zu selbigem erschwert wurde. Nichtsdestotrotz werden Stoff und Aussage durchaus ansprechend von ambitionierten Jungmimen nahegebracht und vermag der Inhalt auch heute noch nachdenklich zu stimmen – und sei es nur in Bezug auf Erinnerungen an die eigene Kindheit mit ihren im noch kleineren Rahmen stattgefunden habenden Gruppendynamiken, Ungerechtigkeiten und moralisch fragwürdigen Verhaltensweisen. Ebenfalls nicht unterschätzt werden sollte natürlich das neugierig machende Faszinosum, das mit der Geschichte um eigene Herrschaftsstrukturen entwickelnde gestrandete Kinder auf einer exotischen Insel einhergeht. Ein böses Kinderabenteuer.

Re: bux t. brawler - Sein Filmtagebuch war der Colt

Verfasst: Mo 18. Aug 2014, 18:00
von buxtebrawler
Bild
Herr der Fliegen
Nach einem Flugzeugabsturz strandet eine Gruppe junger Militärkadetten auf einer einsamen und unbewohnten Insel im Pazifik. Anfangs versuchen sie noch eine zivilisierte Gemeinschaft aufzubauen, doch mit der Zeit wird die Hoffnung der Jungen auf eine schnelle Rettung immer geringer. Schon bald spalten sich in zwei Gruppen auf, zwischen denen es nach einiger Zeit zu tödlichen Auseinandersetzungen kommt.
„Wir haben alles wie die Erwachsenen gemacht! Wieso hat es nicht funktioniert?“

Mit seinem nach „Aufstand in Kenia“ zweiten abendfüllenden Spielfilm seiner Karriere wagte sich Regisseur Harry Hook im Jahre 1990 in US-Produktion an die Neuverfilmung der Robinsonade William Goldings, die erstmals 1963 von Peter Brooks auf die Leinwand portiert wurde.

Ein junge Militärkadetten transportierendes Militärflugzeug stürzt in den Ozean. Die Kinder retten sich auf eine einsame Insel und versuchen, ein soziales Miteinander zu organisieren, während sie auf Rettung warten. Doch schon nach kurzer Zeit spalten Machtansprüche und unterschiedliche Vorstellungen vom Zusammenleben und -arbeiten die Überlebenden in zwei Gruppen: Ralph (Balthazar Getty, „Lost Highway“) bemüht sich um die Aufrechterhaltung zivilisatorischer Werte, während Jack (Chris Furrh, „Abenteuer in Malaysia“) in seiner Aggressivität und seinem Führungsanspruch vornehmlich die Jagd bevorzugt, immer stärker in archaische Verhaltensweisen verfällt und dabei immer mehr Anhänger um sich versammeln kann. Zum offenen Krieg zwischen beiden Gruppen kommt es schließlich, als versäumt wurde, das Signalfeuer am Lodern zu halten und dadurch ein vorbeifliegender Hubschrauber nicht auf die unfreiwilligen Inselbewohner aufmerksam wird. Die Mär eines auf der Insel weilenden Monsters besorgt eine zusätzliche Zuspitzung der Situation und es kommt zu ersten Todesopfern…

Hooks Interpretation des Materials arbeitet im Prolog mit Zeitlupenaufnahmen des Überlebenskampfes im Meer. Dass die Kinder sich von vornherein im militärischen Tonfall anreden, ist der inhaltlichen Änderung geschuldet, aus aufeinandertreffenden Elite- und normalen Schülern schlicht Militärkadetten zu machen und somit auf jeglichen klassenkämpferischen Aspekt zu verzichten. Im Gegensatz zur noch in Schwarzweiß gedrehten Erstverfilmung kostet Hook die Möglichkeiten des Farbfilms genüsslich aus, setzt auf kräftige grüne Farben und präsentierte hochgradig faszinierende, wunderschöne Bilder absoluter Freiheit in einem paradiesischen Ambiente, aus dem sich die Menschenkinder in der Folge selbst vertreiben werden. Gedreht wurde auf Hawaii, auf Jamaika sowie in einem botanischen Garten in Los Angeles.

Die exotische Jugendcamp-Atmosphäre weicht bald einer bedrohlichen Kulisse aus Sozialdarwinismus und Totalitarismus, bis schließlich auch die letzten Skrupel in der ehemals unberührten Natur schwinden und Jacks Bande den Tod Andersdenkender nicht nur billigend in Kauf nimmt, sondern absichtlich herbeiführt, auch vor Folter nicht zurückschreckt und in erschreckenden Bildern einen anderen Jungen auspeitscht. Der ersten Tötung vorausgegangen war ein „Feuertanz“, ein Ritual wie von Eingeborenen, um sich durch Tanz ums Feuer aufzuputschen. Dieses stand im Zusammenhang mit dem Aberglauben an ein auf der Insel sein Unwesen treibendes Monster, bei dem es sich um einen verletzten erwachsenen Überlebenden handelte. Hierfür hat man durchaus interessant variiert: Der Verletzte wird nicht von vornherein als Ungetüm betrachtet. Anfänglich wirkt es, als würde er absichtlich ignoriert werden, was Raum für Spekulationen bietet. Später wird sich doch um ihn gekümmert, doch ist er eines Tages verschwunden. Er hat sich in eine Höhle geschleppt und wird erst dann zum vermeintlichen Monstrum stilisiert, als ein Kind in einer stark umgesetzten Szene mit dessen unheimlichen Schatten konfrontiert wird. Als später die Leiche des Mannes in der Höhle entdeckt wird, geschieht das Unglück.

Die noch immer, wenn auch durch die Konzentration auf „militärisch vorbelastete“ Kinder in etwas abgeschwächter Form stattfindende Auseinandersetzung mit antidemokratischen gesellschaftlichen Entwicklungen, ihrem Eskalationspotential und den in primitiven Verhaltensmustern, irrationalen Ängsten und niederen Instinkten zu suchenden Ursachen, heruntergebrochen auf und veranschaulicht durch eine Gruppe vermeintlich harmloser Kinder, findet ihren symbolträchtigen Höhepunkt in der Verwandlung der Insel in ein flammendes Inferno, das zur Kulisse einer unerbittlichen Hetzjagd wird. Diese endet erst vor den Füßen eines Erwachsenen, der im Gegensatz zur Erstverfilmung auch ein paar Worte sagen darf.

Die in der Gegenwart angesiedelte Neuverfilmung gilt als weniger werkgetreu als Brooks 1963er-Variante, ist dennoch durchaus erfolgreich darum bemüht, seine Aussage verständlich zu machen und lädt vor allem aufgrund der genussvollen Verwendung audiovisueller Reize zum Verweilen auf dem Eiland der Rotzlöffel ein. Neben der erwähnten optischen Pracht ist es auch die musikalische Untermalung mit ihren sphärischen, folkigen Flötenklängen, Marschtrommeln, sakralen Chören etc., die Hooks „Herr der Fliegen“ zu einem weniger kopflastigen als vielmehr auf der emotionalen Ebene funktionierenden, kontrastreichen Exkurs zwischen Himmel der Natur und Hölle menschlicher Zerstörungssucht macht.