Auch ich kam letzte Woche in den Genuss, den ersten italienischen Nachkriegshorrorfilm bzw. den ersten "richtigen" italienischen Horrorfilm überhaupt in einer wunderschönen 35mm-Kopie auf großer Leinwand zu besehen - ein wirklich feiner Zufall, denn sowieso hatte ich auf meinem derzeit engen Zeitplan eine dringliche Neusichtung mit Ausrufezeichen vermerkt.
Müsste ich den Film in drei Bildern zusammenfassen, wären das wohl folgende:
1) Die bestechende Art und Weise, wie in I VAMPIRI Reminiszenzen an die klassische Schauerromantik und Elemente eines wesentlich modernen Zugriffs auf das Horrorgenre zusammenfinden, repräsentiert am besten wohl jener Totenkopf, der eine Grabstätte in den Katakomben der Du-Grand-Villa ziert, und der sich, das Finale einläutend, als Alarmanlage entpuppt: Plötzlich blinken die toten Augen der steinernen Fratze, um die Hausherrin und ihr Gefolge vor der anrückenden Gendarmerie zu warnen. Nicht nur in dieser kurzen Szene treffen sich zeitgenössische Technologie und traditionelle Gothic-Ikonographie zu einer reizvollen Liaison, vielmehr durchzieht sie den gesamten Film: Wenn die Antagonistin eben keine althergebrachte Vampirin der Marke Dracula ist, die ihren Opfern den Lebenssaft aus den Kehlen saugt, sondern ihre Verjüngung vielmehr mithilfe medizinisch überwachter Bluttransfusionen erfährt; wenn ein gotisches Gemäuer ein klinisches Labor für Forschungen auf der Suche nach dem Ewigen Leben birgt und ein anderes Labor im Herzen von Paris allein durch Mario Bavas gottbegnadete Beleuchtung inszeniert wird, als seien wir mindestens im Cabinet des Dr. Caligari; oder wenn immer wieder eingestreute Zeitungsheadlines den Film leitmotivisch strukturieren und ihn ähnlich an gegenwärtige Medienformate binden, wie es Stoker über ein halbes Jahrhundert zuvor mit den Tagebuchaufzeichnungen, Briefen und primitiven Tonbandaufnahmen seiner Helden und Heldinnen getan hat.

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2) Gianna Maria Canale, die als Gisèle Du Grand eine Treppe im Innern ihres Prachtbaus hinabsteigt, und dabei links im Bild von einer Drachenstatue mit exorbitanten Brüsten flankiert wird - ein Bild, das all die monströsen Frauenfiguren vorwegnimmt, die in der Folge das italienische Gothic-Kino bevölkern werden: Der Drache steht für Gisèles wahres, dämonisches Selbst, das sie unter einer betörenden Fassade zu verbergen weiß; ihre Maske ist die einer Heiligen, während darunter die Grimasse einer Hexe die Zähne bleckt. Bezeichnenderweise werden sich diese beiden Charaktereigenschaften in vielen nachfolgenden Filmen aufsplitten, sprich, auf zwei einander diametral entgegengesetzte Protagonistinnen aufteilen. Besonders luzide wird das in Bavas MASCHERA DEL DEMONIO, wo Hexe Asa und Heilige Katia von ein und derselben Schauspielerin, Barbara Steele, verkörpert werden.

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3) Mein liebstes Bild zückt der Film aber schon in seinen allerersten Minuten: Da steht der Eiffelturm in einem Wasteland komplett ohne Bebauung unweit eines Flusses, in dem gerade eine Frauenleiche geborgen wird. Der Effekt ist so simpel wie genial: Um den Eindruck zu erwecken, man habe tatsächlich in Paris gedreht, schneidet Bava berühmte Gebäude der französischen Hauptstadt aus Illustrierten, klebt sie auf Glasplatten und montiert diese wiederum vor der Kameralinse, sodass die Fake-Bauten die in Rom entstandenen Aufnahmen illusorisch ergänzen. Mit dem "wahren" Paris hat das, was uns der Film an Impressionen liefert, natürlich nichts zu tun, würfelt er doch Sehenswürdigkeiten wie Sacre Coeur oder Notre Dame gewissermaßen nach dem Zufallsprinzip über irgendwelche nichtssagenden Straßenecken Roms. Weshalb aber den Eiffelturm in eine Einöde versetzen? Fast schon sehe ich Bava den Schalk im Nacken sitzen. Der Effekt jedenfalls ist so amüsant wie verstörend: Als ob Paris zerstört worden wäre, nichts übrig als eine post-apokalyptische Landschaft, und allein der blöde Turm bohrt noch stur seine Spitze dem Himmel in den Bauch.

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