bux t. brawler - Sein Filmtagebuch war der Colt

Euer Filmtagebuch, Kommentare zu Filmen, Reviews

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Danke für nichts

Die gerade im Kino laufende Mischung aus urbaner Tragikomödie und schwarzhumorigem Coming-of-Age-Drama „Danke für nichts“ ist die Abschlussarbeit der Nachwuchsregisseurin und -autorin Stella Marie Markert und zugleich, nach einem Kurzfilm, ihr Kinodebüt.

Katharina (Lea Drinda, „In die Sonne schauen“), Ricky (Safinaz Sattar, „Sløborn“), Victoria (Sonja Weißer, „Unschuldig – Der Fall Julia B.“) und Malou (Zoe Stein, „Manticore“) leben zusammen in einer betreuten Wohngruppe in Berlin-Prenzlauer Berg. Allen gemein ist, dass sie einst von ihren Eltern abgegeben oder verstoßen wurden. Katharina ist bereits seit Kindheitstagen von einer suizidalen Todessehnsucht besessen, hat am Erwachsenwerden keinerlei Interesse, dafür diverse Selbstmordversuche hinter sich und es sich zum Ziel gesetzt, noch vor ihrem 18. Geburtstag das Zeitliche zu segnen – und dieser steht kurz bevor. Ricky ist eine lesbische Ausländerin, deren Eltern nach einem erfolglosen Versuch, sich in Deutschland mit einem Fischgeschäft eine Existenz aufzubauen, in ihre Heimat zurückgegangen waren – ohne sie. Die Schule interessiert sie nicht, dafür Katharina umso mehr. Die Behörden sehen keine Zukunft für sie in Deutschland und planen ihre Abschiebung. Malou hat mit fünf Jahren zu sprechen aufgehört, ist aber eigentlich hochintelligent und führt eine Art Doppelleben als erfolgreiche Autorin. Victoria, genannt Vicky, leidet unter einer bipolaren Störung, aufgrund derer sie mal himmelhochjauchzend, mal zu Tode betrübt ist. Zugleich ist sie das Töchterchen vermögender Eltern, die sich nicht sonderlich für sie interessieren und nicht nur nicht wissen, dass sie kaum eine Gelegenheit auslässt, Männer kennenzulernen und exzessive Partys zu feiern, sondern ebenso wenig, dass sie die von ihnen zur Verfügung gestellte Altbau-Eigentumswohnung zu eben dieser WG für verhaltensauffällige junge Frauen umfunktioniert hat. Ein Auge auf die Mädels hat Sozialarbeiter Michael (Jan Bülow, „Lindenberg! Mach dein Ding“), der von allen nur Ballack genannt wird, so wenig wie möglich Arbeit mit seinen Schutzbefohlenen haben möchte und sich in enge weiße Klamotten gezwängt, eine ausladende getönte Sonnenbrille tragend und ein Sportcabriolet fahrend als Schmalspur-Dandy geriert. Gemeinsam schafft man es, sich das von Frau Rottenborn (Kathrin Angerer, „Der rote Kakadu“) personifizierte Jugendamt weitestgehend vom Hals zu halten und sich mit der spießigen Psychotherapeutin „Frau Dr. Doktor“ (Sophie Rois, „Der Hauptmann von Köpenick“) gerade so gut zu stellen, dass keine ernsthaften Konsequenzen zu befürchten sind – was zur echten Herausforderung gerät, wenn Katharina wieder einmal einen Suizidversuch begangen hat, den es geheimzuhalten gilt…

Als es gerade wieder einmal so weit war, steigt der Prolog in die Handlung ein, ohne dass das Filmpublikum bereits wüsste, was überhaupt passiert ist. Dies und vieles andere erzählt die Narration beinahe beiläufig und irritiert mit der einen oder anderen Reaktion Katharinas Umfelds, was sich, je näher man den Figuren kommt, aber nach und nach erklärt. Zu deren Umfeld gehören auch die miteinander befreundeten jungen Männer (Pablo Striebeck, „Dark“ und Ludger Bökelmann, „Die Discounter“), die – auch das ist mal schön zu sehen – zwar gern trinkend durch die Straßen ziehen, aber ein ehrliches Interesse an Katharina und Malou haben. Und dann ist da noch Gina (Chenoa North-Harder), die ein eher körperliches Techtelmechtel mit Ricky hat und in diese verknallt ist, während Ricky sich nach wie vor mehr zu Katharina hingezogen fühlt. Ein allwissender Off-Erzähler vermittelt in eingeschobenen Kapiteln die Vorgeschichte jeder der vier WG-Bewohnerinnen, wofür Jüngstdarstellerinnen diese im Kindesalter mimen. Diese Interludien zählen zu den humoristischen Höhepunkten des Films, der aber auch eine seine gegenwärtige Geschichte keineswegs mit Leichenbittermine vorantreibt, sondern ernste Themen mit sehr geschmackvollem Humor verhandelt, ohne die Protagonistinnen der Lächerlichkeit preiszugeben.

Das ist ein erfrischend anderer Ansatz als im üblichen Sozialdrama, das dieser Film eben weniger sein will als vielmehr eine punkige Geschichte über Außenseiterinnen, die gesellschaftlichem Anpassungsdruck auf ihre eigene Weise zu trotzen versuchen und bei aller Unterschiedlichkeit den Wert von Freundschaft und gegenseitiger Akzeptanz erkennen. Zudem weiß Regisseurin und Autorin Markert, wann die Handlung sich in Sachen Humor zurücknehmen muss und realisiert einige wahrhaftig berührende Szenen. Sie und ihr Team arbeiten mit Stilmitteln wie Jumpcut-Schnittfolgen, Kurzrückblenden, Verfremdungen und dem Durchbrechen der vierten Wand, ohne es damit zu übertreiben. „Danke für nichts“ ist großartig geschnitten, zu keiner Sekunde langatmig und detailreich ausgestattet, was sich vor allem in der unterschiedlichen Gestaltung der Zimmer der vier Mädchen widerspiegelt, die jeweils Rückschlüsse auf ihren Charakter erlauben.

Die Schauspielerinnen und Schauspieler, insbesondere die die vier Mädchen spielenden Nachwuchstalente, sind hervorragend ausgewählt; die Chemie scheint zu stimmen und emotionale Ausbrüche werden genauso beherrscht wie leisere, zurückhaltende Momente. Auffällig ist in diesem Zusammenhang, wie Zoe Stein es versteht, ihrer verbal stummen Figur Ausdruck und Tiefe zu verleihen. Der aus „Die Discounter“ bekannte Ludger Bökelmann erinnert in seinem Spiel an dessen dortige Rolle als Peter, zeigt hier aber mehr Nuancen seines Könnens, was seine Rolle als Bela auch erfordert.

Markerts Schwester Rosa Lee Luna zeichnet für den Score verantwortlich, den sie feinfühlig daran anpasste, welche der Figuren gerade im Mittelpunkt steht. Ergänzt wird er durch Pop- und Rocksongs mit einem Rio-Reiser-Evergreen als emotionalem Höhepunkt. Der Epilog im Anschluss zeigt ein laut Regisseurin bewusst überzeichnetes Happy End, das mir dann doch etwas zu dick aufgetragen ist, die Aussage des Films aber unterstreicht und vermutlich noch einmal veranschaulichen sollte, dass es hier aller Realitätsbezüge zum Trotz eben nicht um Sozialrealismus geht, man stattdessen mitunter gar die Gesellschaftssatire streift. Besetzung und Crew des unter hohem Zeitdruck realisierten Films empfehlen sich für weitere Produktionen, auf die ich schon gespannt bin. Junges deutsches Kino wie dieses lässt hoffen!
Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
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X 3000 – Fantome gegen Gangster

„Godzilla“-Regisseur Ishirô Honda zeichnet für zahlreiche weitere Kaijus verantwortlich, so auch für den im Jahre 1964 veröffentlichten „X 3000 – Fantome gegen Gangster“. Zumindest dessen deutsche Synchronfassung ist eine echte Rarität, denn diese lief 1966 im Kino, hat aber nie eine Heimkinoveröffentlichung oder TV-Ausstrahlung erfahren. Von 35 mm ist sie aber alle Jubeljahre mal auf Filmfestivals zu sehen, sodass auch ich in den Genuss kam.

Eine unbekannte außerirdische Macht lässt zunächst Raumschiffe und später auf der Erde sowohl Diamanten als auch Kohlenvorräte verschwinden. Wie sich herausstellen wird, handelt es sich um eine extraterrestrische Riesenqualle, die es auf Kohlenstoff abgesehen hat und diesen inhaliert wie ein gigantischer Staubsauger. Die Polizei verdächtigt zunächst die üblichen Ganovenbanden des Diamantendiebstahls. Zusammen mit dem US-amerikanischen „Diamanten-G-Man“ Wolf Hanter (Robert Dunham, „Mothra bedroht die Welt“) und dem wissenschaftlichen Diamantenforscher Dr. Munakata (Nobuo Nakamura, „Barfuß durch die Hölle“) kommt Inspektor Kommei (Yôsuke Natsuki, „Frankensteins Monster im Kampf gegen Ghidorah“) mit der Zeit dahinter, dass die unheimliche Lebensform, die sie Dogora taufen, dahintersteckt… Doch wie lässt sie sich besiegen?

„X 3000 – Fantome gegen Gangster“ ist ein konfuses Kuriosum, eine eigenartige Mischung aus Gangster-/Agentenkomödie und Science-Fiction-Horror. Nach einer recht starken, spacig-unheimlichen Eröffnungssequenz verwässern Honda und sein Team die eigentlich interessante Geschichte leider mit Gangster-Klamauk und zudem viel unfreiwilliger Komik. Hanter ist eine ambivalente Figur, von der man sich nie sicher sein kann, was sie wirklich im Schilde führt und für wen sie tatsächlich arbeitet; dennoch unterwirft sich die japanische Exekutive dem blonden Yankee regelrecht. Im Prinzip sind drei Parteien hinter Diamanten her: Das Monstrum Dogora, eine Ganvovenbande und Wolf Hanter. Es sind jedoch gefälschte Edelsteine im Umlauf, was sich darin äußert, dass Dogora an ihnen kein Interesse hat. Der existenziellen Bedrohung aus dem All zum Trotz liefert man sich auf der Erde Verfolgungsjagden, Schießereien und will sich ständig gegenseitig den Garaus machen, was mit ein paar müden Kampfsporteinlagen (Hanter kann Karate, das dem Judo seiner Gegner aber anscheinend unterlegen ist…) und Pseudospannungsszenen einhergeht. Den Vogel schießt dabei die unnötig komplizierte und lachhaft inszenierte Rettung vor einem Sprengstoffattentat ab, an deren Ende offenbar extrem dünne japanische Fensterscheiben dran glauben müssen.

Wesentlich besser ist der Sci-Fi-Anteil gelungen: Die Zerstörungsspezialeffekte sehen prima aus und Dogoras Erscheinung, die zunächst als Wolke sichtbar wird und für die man später schlicht eine echte Tentakelqualle übers Bild legte, ist so einfach wie effektiv. Irgendwann kommt man darauf, dass Insektengift gegen den Eindringling hilft, enthält der Zuschauerschaft aber ein echtes Monsterspektakel als Finale vor. Stattdessen muss man mit den dämlichen Menschen vorliebnehmen, die sich am Strand gegenseitig abzuknallen versuchen, dem berühmten Monty-Python-Fuß nicht unähnlich aber von einem Felsbrocken dahingerafft werden (zumindest eine der Parteien).

Der Film wirkt, als habe man zwei halbfertige Drehbücher kurzerhand mehr schlecht als recht zusammengeführt, unterhält dabei aber durchaus – mal gewollt und gekonnt, mal, indem man aufgrund wirrer Handlung, hanebüchener Dialoge und dämlichen Verhaltens seiner Figuren eher über ihn statt mit ihm lacht. Und er macht bewusst: Ein Diamant ist auch nur ein Stück Kohle, das sich angestrengt hat.
Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
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Schimanski: Tödliche Liebe

„Schalke hat gewonnen!“

Alles neu bei „Tödliche Liebe“, der achten Episode des „Tatort“-Spin-offs „Schimanski“: Autorin Christa Kosmala verfasste erstmals ein Drehbuch für die Reihe und mit der Regie wurde Andreas Kleinert („Denk ich an Deutschland – Niemandsland“) betraut, der damit seinen ersten von zwei „Schimanskis“ inszenierte. Dieser wurde am 12. November 2000 erstausgestrahlt und verabschiedet sich vom losen Konzept, eine Krimihandlung mit deftigen Actionsequenzen aufzupeppen.

„Es gibt keinerlei Spuren, die auf einen Mord hinweisen.“

Marion, die jüngere Schwester des LKA-Beamten Thomas Hunger (Julian Weigend), wird tot aus dem Rhein gefischt, entsprechend angefasst und aufgewühlt ist Hunger. Die Spur führt zu einer Drückerkolonne, die vorzugsweise mit vom rechten Weg abgekommenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern agiert und diese mehr wie Sklaven denn wie Angestellte behandelt. Sowohl der ehemalige Duisburger Kripo-Kommissar Schimanski (Götz George) als auch Hunger schleusen sich unter falschem Namen inkognito in das Unternehmen, was zum einen oder anderen Konflikt zwischen ihnen führt – zumal Schimanski sich als die Branchengröße Baldorf ausgibt, die eigentlich gerade eine Strafe im Knast absitzt. Elke (Katrin Sass, „Das vergessene Leben“), die Leiterin der Kolonne, hat Haare auf den Zähnen, behauptet, Marion habe Selbstmord begangen, und hüllt sich ansonsten in Schweigen…

„Wer draußen nicht klarkommt, kriegt hier noch 'ne Chance!“

Wie so oft beginnt eigentlich alles ganz harmlos: Schimanski und Marie-Claire (Denise Virieux) wollen mit Hänschen (Chiem van Houweninge) und dessen Frau bei ihm zu Hause feiern, doch die Party ist bereits vorbei. Hänschen kommt ihnen entgegen und berichtet vom Mord an Hungers Schwester, während seine Frau zetert, dass ihm die Arbeit wichtiger als alles andere sei. Gemeinsam sucht man Hunger auf, der noch am Wasser bei der Leiche steht und völlig aufgelöst mit seiner Waffe herumfuchtelt. Schimanski leistet ersten Beistand, sucht daraufhin Baldorf (Bernd Tauber, „Lindenstraße“) im Knast auf – und kehrt als ebendieser zurück.

„Das ist hier wie bei der Mafia!“

Schimanski beherrscht seine Rolle als schmieriger Drücker-Mafioso sehr gut und Götz George dabei zuzusehen, wie er einen jemand anderen spielenden Schimanski spielt, ist eine Freude. Schimmi will Hunger am liebsten loswerden, weil er fürchtet, dass dieser die Ermittlungen gefährdet, doch der jähzornige LKA-Kollege erweist sich als hartnäckig – und wurde zudem offiziell als verdeckter Ermittler auf diesen Fall angesetzt. Nach dem Umstand, dass es ausgerechnet die Schwester eines LKA-Bullen erwischt, ist dies die zweite große Unwahrscheinlichkeit, die das Filmpublikum schlucken muss: Bei derartiger persönlicher Betroffenheit würde wohl kein echter Ermittler mit dem Fall betraut.

„Das ist meine Familie, ich hab' sonst niemanden.“

Mit ihrer düster-kalten Neo-noir-Optik weiß diese Episode hingegen zu gefallen. Sie zeichnet das Drücker-Milieu als einen Mikrokosmos, der aus der Bahn Geworfenen Zuflucht bietet, um sie zu drillen, zu misshandeln und auszupressen. Es existiert ein autoritäres Machtgefälle, auch Sex wird als Machtinstrument eingesetzt (Elke versucht sogar Schimmi ins Bett zu kriegen). Innerhalb der Gruppe gibt es Liebe- und Eifersüchteleien, Solidarität einer- und Missgunst andererseits. Einer der Drücker konfrontiert Schimanski damit, seine wahre Identität zu kennen, was ihm nicht gut bekommen wird. Ansonsten wird der Actionanteil zugunsten einer unwirtlichen Atmosphäre und Einblicken in die Arbeitsweise von Drückerkolonnen deutlich zurückgenommen. Brutalität findet meist lediglich offscreen statt.

Eine überraschende Wendung und Auflösung gegen Ende wirkt dann doch recht überkonstruiert und geht erneut zu Ungunsten eines etwaigen Realismus, führt die Geschichte, in der es zwischen Marie-Claire und Schimanski schon wieder zu kriseln beginnt, aber zu einem akzeptablen Ende. Katrin Sass spielt die abgebrühte Chefin überzeugend; Inga Busch („Aprilkinder“) als deren Stiefelleckerin gibt sich sexier, als sie ist (was indes zur Rolle passt). „Tödliche Liebe“ ist alles in allem ein wesentlich besserer „Schimanski“ als es die vorausgegangenen Episoden waren und weiß nicht zuletzt mit seiner musikalischen Untermalung zu gefallen. Zudem bietet dieser Fall historisch interessante Einblicke ins Drückermilieu, das erst wie so manche Auflagenhöhe vom Siegeszug des World Wide Web hinweggefegt worden sein dürfte. Aus heutiger Sicht mutet es beinahe schräg an, welch kriminelle Energien einst im Zusammenhang mit Zeitschriften-Abonnements standen…
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Garfield und seine Freunde [TV-Serie]

In der zweiten Hälfte der 1980er begann man in den USA, parallel zu den Garfield-Zeichentrickkurzfilmen eine nicht minder komödiantische Zeichentrickserie um den fetten und faulen Kater zu produzieren, die es zwischen 1988 und 1994 auf 121 Episoden in sieben Staffeln brachte. Geschrieben wurde sie nicht mehr vom Garfield-Comiczeichner Jim Davis, sondern von Mark Evanier und Sharman DiVono. Als Regisseure traten unter anderem Jeff Hall, Tom Ray, Dave Brain, Vincent Davis und Ron Myrick in Erscheinung.

Jede Folge besteht aus zwei in sich abgeschlossenen Garfield-Geschichten sowie einer „Orsons Farm“-Episode, einer weniger populären von Davis gezeichneten Comicreihe. Abgerundet wird jede Folge mit einer variierenden Anzahl ultrakurzer, pointierter, Quickies genannter Cartoons. Meine folgenden Absätze beziehen sich lediglich auf die ersten beiden Staffeln, da diese die bisher leider einzigen hierzulande fürs Heimkino veröffentlichten sind.

Wie in den Comics lebt der orangegetigerte Garfield zusammen mit Hündchen Odie bei seinem Herrchen Jon Arbuckle, einem stets optimistischen Single, der von Garfield belächelt wird, wenig Erfolg bei Frauen hat und häufig – ebenso wie Odie – unter Garfields Streichen und dem Chaos, das er verursacht, zu leiden hat.

Davon losgelöst ist „Orsons Farm“, deren Parallele neben dem Humor die zutiefst menschlichen Eigenschaften der Tiere sind. Menschen bekommt man hier keine zu sehen, dafür Schwein Orson, der vermutlich normalste Bewohner der Farm, Hahn Roy mit großer Klappe und einem ausgeprägten Sinn für Streiche und schwarzen Humor, Ente Wade, die in ständiger Angst lebt und stets einen Rettungsring um die Hüfte trägt, das Schaf-Geschwisterpaar Bo und Lanolin, das gegensätzliche Charaktere aufweist, und die Hühnerküken Booker und Sheldon, von denen letzteres nie ganz aus seinem Ei geschlüpft ist: aus der weißen Kalkhülle ragen lediglich seine Füße heraus.

Der großartige Titelsong mit deutschem Text erreicht fast schon „Tom & Jerry“-Niveau, für deren Serie bekanntlich Udo Jürgens‘ „Vielen Dank für die Blumen“ verwendet wurde, und erweist sich als ebenso hartnäckiger Ohrwurm. Garfields Geschichten treffen den Ton der Comics recht gut, wenn sie sich innerhalb Jons vier Wände abspielen, sind des Öfteren – wie in den Kurzfilmen – aber auch Anlass für verrückte Ausflüge, witzige Verkleidungen und nicht unbedingt katzenspezifische Cartoon-Abenteuer. Ein etwas älteres Publikum dürfte seine Freude an popkulturellen, zuweilen gar die Satire streifenden Anspielungen oder der vereinzelt auftretenden Meta-Ebene haben. Mit viel Verve werden zudem surreale Traumszenen und Artverwandtes umgesetzt. Da die Serie als familientauglicher Zeichentrick konzipiert ist, geht es, verglichen mit anderen, ab den 1990ern immer verrückter werdenden Cartoon-Serien, zwar nur selten übermäßig vogelwild zu, als sympathische, kurzweilige Unterhaltung beim Nachmittags-Snack taugen die Geschichten aber allemal.

„Orsons Farm“ richtet sich hingegen stärker an ein jüngeres Publikum und vermittelt in seinen die Gesetze der Natur außer Kraft setzenden Geschichten auf vornehmlich Slapstick-humorige Weise die eine oder andere Moral, in etwa wie eine moderne Form der Fabel. Ich erinnere mich, dass ich „Orsons Farm“ als Kind Garfield als ebenbürtig empfand, erkenne als Erwachsener aber deutlich die Unterschiede. Als ganz eigener Mikrokosmos übt „Orsons Farm“ indes nach wie vor eine gewisse Faszination aus und die zum Teil herrlich skurrilen Figuren – allen voran Angstente Wade und das ungeschlüpfte Küken Sheldon – sind einfach zum Schießen.

Zwar kommt „Garfield und seine Freunde“ nicht an die Qualität der Comics heran (in den deutschen Garfield-Heften der 1980er und ‘90er wurde auch „Orsons Farm“ veröffentlicht) bzw. unterscheidet sie sich zuweilen recht deutlich von ihnen, ist aber eine für meinen Geschmack adäquate und durchaus liebe- und respektvolle Zeichentrick-Adaption.
Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
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Re: bux t. brawler - Sein Filmtagebuch war der Colt

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So schrieb ich damals:
buxtebrawler hat geschrieben: Mi 11. Apr 2012, 00:31 Bild
Draculas Tochter und Professor Satanas

Um einen Fischmenschen zu züchten, verstümmelt der irre Wissenschaftler Professor Satanas am Strand von Acapulco in seinem Schiff „Reptilicus“ unbedarfte Wrestler, die er mit einem Goldfisch zu kreuzen gedenkt. Doch Batwoman (in der deutschen Synchronisation „Draculas Tochter“!?) hat etwas dagegen und versucht, ihm das grausame Handwerk zu legen.

„Draculas Tochter und Professor Satanas“ ist ein ultrararer, aber reinrassiger mexikanischer Trashfilm von Regisseur René Cardona („Rock 'N Roll Wrestling Women vs. the Aztec Mummy“, nicht zu verwechseln mit René Cardona Jr.) aus dem Jahre 1968, der auf der US-amerikanischen Batman-Erfolgswelle mitzuschwimmen versuchte. Die Italienerin Maura Monti („Alien Invaders“) spielt die Hauptrolle, die ein mehr oder weniger geheimes Doppelleben führt. Mit Fledermausmaske und in knappem Bikini (!) geht sie auf Verbrecher- bzw. „Mad Scientist“-Jagd. Cardonas Film präsentiert sich als vergnügte, sich selbst kaum ernstnehmende, dilettantische Agenten-/Science-Fiction-Mixtur mit Sex-Appeal. Der ganze Zirkus um Professor Satanas, der doch tatsächlich eine Ken-Puppe zu seinem Goldfisch ins Aquarium wirft und selbiges in einen Whirlpool verwandelt, um seine Kreatur zu erschaffen, ist lediglich Aufhänger dafür, sexy Señora Monti halbnackt durch die Kulissen zu jagen und die Blicke des Publikums auf sich zu ziehen, die sämtliche Darsteller um sie herum vergessen lassen. Die Westler-Thematik ist dabei natürlich typisch mexikanisch, ist der Volkssport um seine maskierten Ringer doch Stolz und Nationalheiligtum des Landes.

Tatsächlich gelingt es Herrn Satanas irgendwann, seine Kreatur zu erzeugen, die sich als nichts anderes als ein Kerl in einem schlecht sitzenden Gummianzug entpuppt und wahrlich nicht geeignet ist, Angst und Schrecken zu verbreiten. Doch mit Geschick, Durchsetzungsvermögen und ein paar bond’schen Agententricks gelingt es Batwoman, Satanas Weltherrschaftspläne (?!) zu durchkreuzen, selbst sein Untergebener Igor (wie soll der auch sonst heißen?) kann ihm nicht mehr helfen. Der Weg dahin ist gezeichnet von einer recht unterhaltsamen, hanebüchenen Trash-Parade inkl. einigen Kloppereien und mitunter wirklich schönen und beeindruckenden Unterwasseraufnahmen. Der Film ist hübsch bunt und verbreitet gute Laune – Trashologen-Herz, was willst du mehr? Ok, vielleicht die eine oder andere krude Szene, die über eine schlechte Kostümschau hinausgeht und sich an so etwas wie Spezialeffekten versucht. Das höchste der Gefühle ist diesbzgl. eine Säureattacke auf den Professor, nach mehr muss man hier vergebens suchen (nach Meer hingegen nicht), im Prinzip könnte der Film problemlos ab 6 Jahren freigegeben werden. Den Kurzen würde sich der Sinn dieses Kuriosums aber vermutlich nicht ganz erschließen und der – da beißt die süße Maus keine Angelschnur ab – besteht nun mal einzig darin, Freundes des fledermausartigen Comichelden eine größtenteils unverhüllte, weibliche Variante zu kredenzen. Mit einem direkten Plagiat der alten komödiantischen Batman-Serie hat man es übrigens nicht zu tun, damit verglichen ist – ich wage es kaum zu schreiben – Cardonas Film weniger albern. Na ja, zumindest vordergründig.

Der beschwingte Soundtrack unterstreicht die locker-flockige Urlaubsstimmung und wer bei diesem kurzweiligen, nicht unsympathischen Trashvergnügen keine gute Zeit hat, sollte sich die Ken-Puppe aus dem Hintern ziehen oder leidet unter der seltenen Phobie vor knackigen Mädels in Fledermausmasken. Wer das Glück hat, die Möglichkeit zu bekommen, einer der seltenen Wiederaufführungen der deutschen Kinofassung beizuwohnen, sollte es mir gleichtun und sie wahrnehmen.

Unterhaltungsfaktor: 7/10
Um cineastische Objektivität bemüht: 2/10
Ergibt zusammengezählt und durch 2 geteilt 4,5 Punkte, die mathematisch korrekt auf 5/10 aufgerundet werden.
Und wie ich also kürzlich so im Kino saß und mir diesen Film ansah, dämmerte es mir, dass mir einiges doch ziemlich bekannt vorkam. Gut, dass ich alles aufschreibe, denn ein Blick ins Filmtagebuch verriet, dass ich nicht nur einen Trailer oder Ausschnitte, sondern tatsächlich den gesamten Film schon mal an gleichem Ort und gleicher Stelle gesehen hatte :D

Aufgefallen war mir diesmal, wie unpassend der oben erwähnte "beschwingte Soundtrack" doch an einigen Stellen anmutet, aber auch, wie sich die eine oder andere Länge in den Film geschlichen hat. Dennoch natürlich ein herrlich kurioses Kinovergnügen!
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Aprilkinder

„Wofür hab‘ ich so toll geduscht?! Wofür?!“

Nach seinem Dokumentarfilm „Mein Vater, der Gastarbeiter“ und dem ebenfalls dokumentarischen Kurzfilm „100 und ein Mark“ drehte der türkischstämmige Regisseur Yüksel Yavuz mit dem im Jahre 1998 veröffentlichten „Aprilkinder“ seinen ersten Spielfilm, der zugleich seine Uni-Abschlussarbeit war: ein dem Kanon des migrantischen Films zuzuordnendes Drama, das jedoch weitestgehend unbekannt blieb.

Als Aprilkinder bezeichnet man junge Türkinnen und Türken sowie Kurdinnen und Kurden, die von emigrierten Türken bzw. Kurden während des meist jährlichen Heimaturlaubs gezeugt wurden und ebenfalls nach Deutschland auswanderten. Ein solches Aprilkind ist Cem (Erdal Yildiz, „Tatort: Odins Rache“), der in einer Hamburger Wurstfabrik arbeitet und sich in die deutsche Prostituierte Kim (Inga Busch, „Schimanski: Tödliche Liebe“) verliebt. Geht es nach seinen Eltern, heiratet er jedoch eine Cousine aus seiner Heimat. Cems Bruder Mehmet (Bülent Sharif, „Die Schatzinsel“) wiederum ist ein kleinkrimineller Hehler und Drogendealer, der an schnellem Geld und protzigen Statussymbolen interessiert ist…

Verglichen mit einem dito in Hamburg spielenden Film wie beispielsweise „Yasemin“ ist die Grundkonstellation hier eine andere: Zunächst einmal geht es um keine türkische, sondern eine kurdische Familie. Cems und Mehmets Onkel arbeitet im Rotlichtmilieu, ist also nicht derjenige, der auf Traditionswahrung pocht. Der Vater (Cemal Yavuz) hingegen ist krank und keine wirkliche Autorität mehr, dennoch begehren die Kinder innerfamiliär kaum auf. Zu diesen zählt auch Cems und Mehmets Schwester Dilan (Senem Tepe). Die Mutter (Serif Sezer, „Yol – Der Weg“) kriegt überhaupt nicht mit, was tatsächlich vor sich geht, versucht die Familie aber zu Hause zusammenzuhalten. Sie spricht und versteht kein Deutsch, alles muss ihr übersetzt werden. Es handelt sich um eine dysfunktionale Familie.

Somit scheint es wenig verwunderlich, dass die Kinder aus der Art schlagen. Auf der Handlungsebene streiten Cem und Mehmet aufgrund ihrer divergierenden Lebenseinstellungen miteinander, lehnt Cem es erwartungsgemäß ab, seine Cousine, die er kaum kennt, zu heiraten, und macht er sich Hoffnung auf Kim, die seine Gefühle zu erwidern scheint. Den Zuschauern zeigt sich Inga Busch auch oben ohne, puritanergeeignet ist dieser Film nicht. Dilan hat heimlich einen Freund, Mehmets Kumpel Arif (Kaan Emre, „Drei gegen Troja“) – was dieser kritisch beäugt. Cem wiederum ist mit einem heroinabhängigen Dealer befreundet, der ihn ausnutzt. Es geht rau und unwirtlich zu, Momente unverfälschten Glücks sind selten. Damit dürfte „Aprilkinder“ auf vermutlich kaum überzeichnete Weise die Lebensrealität manch Migrantenfamilie in der zweiten Hälfte der 1990er widerspiegeln.

Entsprechend dokumentarisch mutet Yavuz‘ Inszenierung an. Das geht zu Ungunsten der Ästhetik, aber zugunsten der Authentizität. Die vielen kurdisch und türkisch gesprochenen Passagen sind untertitelt. Achtung, Spoiler: Am Schluss wird Cem, also entgegen des Klischees ein Mann, tatsächlich mit der Cousine zwangsverheiratet, um orthodoxen kurdischen Traditionen zu entsprechen. Damit endet der Film bewusst unbefriedigend, er verweigert sich somit einer klassischen Dramaturgie. „Aprilkinder“ ist Migrationskino, das Elemente aus Familiendrama, Gangsterfilm, Coming-of-Age, Liebes- und Milieudrama miteinander vereint und seine Figuren nicht mehr vorrangig als Opfer, sondern in Teilen auch als Täter zeichnet. Und er erklärt nicht, er zeigt. Zumindest die Figur Cem jedoch ist eine melodramatische: Niemand sonst kennt seinen Konflikt, sein Schicksal scheint vorgezeichnet, eigentlich ist er aber ein herzensguter Mensch. Was ihm nicht gedankt wird.
Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
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Mache alles mit

„Ich ficke meine Frau!“

Der Wiener Kurt Nachmann trat vorrangig als Drehbuchautor, u.a. der „Wirtin von der Lahn“-Filme, in Erscheinung, brachte es aber auch auf zehn Inszenierungen. Als Regisseur bediente er das Fummelfach ab dem Jahre 1970, als er „Josefine Mutzenbacher“ drehte, gefolgt von dessen zweitem Teil, dem Genre-Höhepunkt „Die nackte Gräfin“ und eben „Mache alles mit“, der stark von „Schulmädchen-Report“ inspiriert zu sein scheint.

„Scheiß Establishment!“

Dagmar Hintze (Marion Forster, „Erotik im Beruf – Was jeder Personalchef gern verschweigt“) ist gerade einmal 17 Jahre alt, hat es aber bereits faustdick hinter den Ohren: Sie studiert sexuelle Kontaktanzeigen und erlebt dadurch so manches Abenteuer, an das die ältere Generation nicht einmal zu denken wagen (oder es zumindest nicht aussprechen) würde. Als sie bei einem Dreier mit einem Ehepaar von der Polizei aufgegriffen zu werden droht, bekommt sie es jedoch mit der Angst zu tun und flieht, landet über Umwege letztlich aber doch bei ihrer frommen Tante Magda (Ellen Umlauf, „Der Mann mit dem goldenen Pinsel“) auf dem Lande, der sie ihre Erlebnisse anvertraut…

„Du verdammte Hure – das hat sie von dir, diese Geilheit!“

Der in München spielende Film beginnt mit dem Besuch der Kripo bei den Gabors (Elisabeth Volkmann, „Zieh dich aus, Puppe“ und Doug Parish, „Paragraph 218 – Wir haben abgetrieben, Herr Staatsanwalt“), die per Zeitungsannonce jemanden für einen Dreier gesucht haben – man verdächtigt sie der Verführung Minderjähriger. Frau Gabor schleust daher unbemerkt die 17-jährige Dagmar raus, die notdürftig bekleidet über die Straße fliehen und sich dumme Sprüche anhören muss. Sie eilt zur Kommune Trash, wo ihre Freundin Rosy (Roswitha Randl, „Eros-Center Hamburg“) ihr nackt die Tür öffnet und sie anschließend zu überreden versucht, nicht mehr auf diese „scheiß Anzeigen“ zu antworten, sondern der Kommune beizutreten. Zudem macht sie ihr Angst, indem sie Vergleiche zwischen Erziehungsheimen und KZs zieht. Dagmars daraus resultierende Horrorvisionen werden kurz visualisiert.

„Eine unmoralische Sauerei!“

Die Kripo sucht Dagmars Mutter (Astrid Boner, „Wie sag ich's meinem Kinde?“) auf, die aus allen Wolken fällt. Hektische Schnitte fokussieren Sexzeitungen und ähnliche Journaillen, die in Dagmars Zimmer herumliegen. Dagmars Vater (Harry Kalenberg, „Paragraph 218 – Wir haben abgetrieben, Herr Staatsanwalt“) kommt nach Haus und schreit Zeter und Mordio, während nebenbei Sport im Fernsehen läuft, für den sich die Kamera ebenfalls interessiert. Dagmars Mutter nennt ihren Mann „Vati“… Dieser beschimpft seine Frau und misshandelt sie, begattet sie aber dann, als habe es sich davor um ein Vorspiel gehandelt. Daraufhin landet Dagmar bei Tante Magda in Laubingen, die wissen will, was bei den Gabors losgewesen sei. Dagmar druckst herum, doch leicht psychedelisch und mit Jumpcuts aufbereitete Rückblenden zeigen ihre wahren Erinnerungen (ohne Sexszenen). Eine weitere kurze Rückblende zeigt sie beim Lesen in der Zeitung, die die schicksalhafte Kontaktanzeige enthielt.

„Halten Sie das für eine Lösung unserer Probleme?!“

Ein Bauernlümmel (Rinaldo Talamonti, „Graf Porno und seine Mädchen“) beobachtet sie beim Umziehen, zum Unmut ihrer Tante, die bald mehr wissen will. Eine ausgedehntere Rückblende illustriert nun, wie alles anfing: Dagmar befand sich mit ihrer Mädelsclique auf einer Bootsfahrt, wo sie sich auszogen und dabei von zwei sich ebenfalls auf dem Boot befindenden Männern beobachtet wurden – eine in ihrer ästhetischen Gestaltung recht gelungene Szene. Damit ist’s jedoch rasch dahin, denn einer der Männer versucht, eines der Mädchen zu vergewaltigen. Die Kamera wechselt zwischen Totalen und Nahaufnahmen auf Schambereichshöhe. Es kommt zum Tumult, an dem sich alle beteiligen; miteinander ringende nackte Körper, und die Kamera mittendrin. Es gelingt, einen der Männer zu überwältigen, Dagmar aber hat sich versteckt. Nach einer seltsamen Schnittabfolge darf der Lüstling nun doch ran (ächz…), während sein Kumpel über Dagmar herzufallen scheint, was aber nicht mehr gezeigt wird.

Der örtliche Pfaffe (Uli Steigberg, „Deep End“) kommt‘s Tantchen besuchen, Dagmar lernt bei ihr einen Typen kennen, beides bleibt ohne Folgen. Anlässlich einer herumliegenden Zeitung mit „Sex-Skandal in der Kaserne“-Schlagzeile wird das neue Lieblingsthema der neugierigen Tante wieder aufgegriffen: Dagmars sexuelle Eskapaden. Tatsächlich war Daggi auch in jenen Skandal verwickelt, wie die nächste Rückblende aufdröselt: Eine Orgie mit vier Gefreiten befindet sich in Form alberner Nacktfangenspiele in Vorbereitung, sittsam beobachtet von Dagmar. Bevor es losgehen kann, wird die Party jedoch von den Vorgesetzten unterbunden. Einer aber läuft Dagmar nach. Dass sie Sex mit ihm hatte, wird indes lediglich angedeutet. Umso verstörender der plötzliche Gewaltausbruch Magdas: Das frömmelnde Landei zeigt sein wahres Gesicht, beschimpft ihre Nichte als Hure und peitscht sie aus!

Dann darf sie sich auch nicht wundern, dass ihre Schutzbefohlene Reißaus nimmt, ausgerechnet zu einem als Spinner verschrienen Studenten (Henner Quest, „Die jungen Ausreißerinnen“), der sich in einer alten Mühle eingenistet hat. Offenbar ist Dagmar es gewohnt, sich gleich in aller Körperlichkeit vorzustellen und will sofort Sex mit ihm, er jedoch weist sie zurück. Sie reagiert empört und berichtet von ihren in eingangs erwähnter Kommune gesammelten Erfahrungen, was die nächste Rückblende einläutet. Diese zeigt lediglich eine Hippiekiffparty mit ekstatischem Tanz, da der Student mehr gar nicht hören will. Er fährt sie am nächsten Tag zur Tante zurück, die sich gerade dem Pfaffen anvertraut. Da erinnert sich Dagmar an die Drohungen ihrer Eltern mit einem Erziehungsheim, was ihre Horrorvision vom Beginn zurück auf den Schirm holt – diesmal deutlich länger. In dieser spielen nackte Mädels mit Klopapierrollen, bis die strenge Aufseherin dazwischengeht. Eine bizarre Bildabfolge suggeriert, dass ihre Fantasie mit ihr durchgeht, wodurch Nachmanns Werk ein bisschen was von einem Fetischfilm bekommt.

Ihrer Tante berichtet sie von einer weiteren Reaktion auf eine Annonce, die sie zu einem perversen Antiquitätenhändler führte, dem einer abging, als sie in dessen Sexheftchen und Fotos wühlte – grotesk. Schließlich kommt der Student sie wieder abholen. Man unterhält sich nett miteinander und er hätte schon Lust auf sie, will’s aber romantischer. Die sexuelle Freizügigkeit sieht er kritisch. Dann liegt sie nackt bei ihm. Er schwingt weiter wütende reden gegen Sexualisierung und Triebhaftigkeit, hadert mit seiner eigenen Libido und will, dass Dagmar sagt, dass sie ihn liebe. Er ist eindeutig nicht ganz dicht. Dagmars Vater macht sich Sorgen; seine Putzfrau im Büro beginnt ihn vollzuquatschen und berichtet von spontanem Sex im Treppenhaus, den sie einst beobachtet habe und den wir in halbwegs erotischer Visualisierung zu sehen bekommen, ferner von Sex in der Kantine einer Asiatin mit dem Wirt (Nico Vogler, „Der neue Hausfrauen-Report – 2. Teil“). Diese schien ihn unterm Tresen mit dem Mund zu verwöhnen, was man aber nicht sieht. Das ist zu viel, Dagmars Paps bekommt den nächsten Tobsuchtsanfall.

Zu Hause erwischt er seine Frau dabei, wie sie mit Magda telefoniert, nachdem sie bisher so tat, als wisse sie auch nicht, wo Dagmar sei. Es folgen kitschige Szenen, in denen Dagmar liebestrunken und glücklich mit dem Studenten durchs Unterholz läuft. Ihr Vater will sie bei der Kripo anzeigen. Zusammen mit seiner Frau fährt er nach Laubingen, wo es zum Showdown kommt, nachdem der Student Dagmar gerade seine Liebe gestanden hat. Aus dem reißerischen „Schulmädchen-Report“-Abklatsch ist ein Drama geworden.

Dagmar ist süß und sexy, keine Frage, der Film auf rein visueller Ebene dabei recht harmlos. Er enthält so gut wie keine Sexszenen, dafür umso mehr nackte Haut. „Mache alles mit“ ist eine oft interessant und aus ungewöhnlichen Perspektiven, beispielsweise durch halbtransparente Materialien hindurch, gefilmte Mischung aus Altherrenfantasien in Bezug auf die noch jungen sexuellen Freiheiten der Jugend, einer Exploitation der Ängste der Elterngeneration angesichts ebendieser und einem Generationskonflikt-Drama. Zugleich beschleicht mich das Gefühl, dass Nachmann nichts von alldem ernstnahm und stattdessen gegen dauergeile Nymphchen ebenso augenzwinkernd und karikierend austeilte wie gegen bigotte Erwachsene und prüde angehende Akademiker und sich am Schluss gar am Melodram vergreift. Ein etwas eigenartiger Film also, verglichen mit damaligem Genreausschuss aber in einer anderen Liga angesiedelt. Übrigens: Musik von Gerhard Heinz.
Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
Ein-Mann-Geschmacks-Armee gegen die eingefahrene Italo-Front (4/10 u. 9+)
Diese Filme sind züchisch krank!
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