bux t. brawler - Sein Filmtagebuch war der Colt

Euer Filmtagebuch, Kommentare zu Filmen, Reviews

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DELIRIA ÖVER DÜSSELDÖRF
Pt. II: Sonne, Sand und schwarzes Leder


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Der Tod trägt schwarzes Leder

Nach meiner Erstsichtung notierte ich wie folgt:
buxtebrawler hat geschrieben: Di 28. Sep 2010, 13:17„Der Tod trägt schwarzes Leder“ von Massimo Dallamano, veröffentlicht 1974, ist eine außergewöhnliche Symbiose aus Giallo und Poliziesco, die mitnichten von einer in Lack und Leder gehüllten Femme fatale handelt (wie es angesichts des Titels meine erste Assoziation war), sondern die Geheimnisse um einen mordenden, lederoveralltragenden Mopedfahrer mit Hackebeilchen zum Thema hat. Dabei beginnt der Film etwas unvorteilhaft mit einer aufgeknüpften Leiche eines pubertierenden Mädchens, die ohne Schwierigkeiten als Plastikpuppe zu erkennen ist. Die sich nach und nach offenbarende Geschichte um einen Callgirlring minderjähriger Mädchen sowie der Umstand zartbusiger weiblicher Nacktheit lässt eine bedenkliche spekulative Richtung erahnen, die das Drehbuch aber überraschend zugunsten polizeilicher Ermittlungsarbeiten inkl. einer emanzipierten Staatsanwältin und politisch-kritischen Kommentaren verlässt – denn während auf der Straße junge Rebellen wüten, führt die Spur in die Oberschicht… Dadurch erhält Dallamanos Film einen gewissen inhaltlichen Anspruch, der ihn von reine Schauwerte präsentierenden Gialli oder gewaltverherrlichenden Poliziesci wohltuend abhebt. Der Killer indes ist wenig zimperlich und sorgt für manch wohldosierte Blutspritzerei, während ein genialer Soundtrack fast schon für Wohlfühlatmosphäre sorgt. Die schauspielerischen Leistungen sind ordentlich, Mario Adorf bekommen wir in einer ungewöhnlichen Nebenrolle als emotional aufgewühlten Polizisten zu sehen, lediglich die jungen Mädchen wirken etwas hölzern. Letzteres mag aber auch mit der deutschen Synchronisation zusammenhängen, die ich auch bei den abgespielten Tonbandaufnahmen von sexuellen Handlungen bis hin zu Vergewaltigungen als etwas befremdlich empfand. Mich vermutlich auf dem falschen Fuß erwischt hat das Finale des Films, das vollkommen giallountypisch ausfiel, also entgegen meiner Erwartungshaltung keinen ausgeklügelten respektive an den Haaren herbeigezogenen Plottwist anbietet. Bei näherer Betrachtung mag aber gerade darin der Clou, die Pointe liegen. Ein (Halb-)Giallo wäre natürlich kein (Halb-)Giallo, wenn sich nicht auch hier ein paar Logiklücken (und Goofs) eingeschlichen hätten. In Anbetracht der gelungenen Inszenierung, die auf allzu künstlerisches Geschwurbel verzichtet und einer Dramaturgie, die keine Langeweile aufkommen lässt und sich zeitweise sogar recht rasant gibt, fallen ein paar Kleinigkeiten aber nicht weiter ins Gewicht. Somit ist „Der Tod trägt schwarzes Leder“ sicherlich ein empfehlenswerter Italo-Thriller, der nicht nur Die-Hard-Giallo- oder Poliziesco-Freaks anspricht.
Nach meiner Zweitsichtung ergänzte ich:
buxtebrawler hat geschrieben: Mi 25. Jan 2012, 20:40 Besonders aufgefallen ist mir bei der Zweitsichtung im Kino, während der ich den Film übrigens wesentlich Poliziesco-lastiger als giallig emfpand, wie der Film eine vermutlich damals dank Pille & Co. grassierende Panikwelle konservativer Kreise aufgegriffen bzw. mitgeschürt hat, für die das Erwachen der Sexualität junger Mädchen und ihr selbstbewusster Umgang damit unweigerlich in Tod und Verderben führen mussten :angst: :mrgreen: Umso ungewöhnlicher in diesem Zusammenhang die obrigkeitskritische Aussage des Films. Also auch hier ein Zwitter.
Zunächst war ich also von der Machart dieses Genrehybriden überrascht und nahm anscheinend den inhaltlichen Anspruch nicht sonderlich ernst. Später hatte ich mich stärker mit der sexuellen Revolution beschäftigt, somit auch mit den konservativen Reaktionen auf diese, und wähnte, diese in diesem Film wiederzuerkennen. Während meiner Drittsichtung und vor dem Hintergrund der aktuellen Debatte um die Epstein Files, die Magdebürger Lars auch in seiner Einführung erwähnte, machte der Film einen wiederum anderen Eindruck auf mich, der stark in Richtung solchen Machtmissbrauchs tendierte, womit das Ende dann auch stimmig und rund erscheint - und ich vermutlich nah an der intendierten Wirkung bin. Logiklücken fielen mir hingegen keine mehr auf, dafür empfand ich die Kameraarbeit als umso beeindruckender. Auch hier geht's also einen Punkt nach oben!
Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
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Tatort: Siebenschläfer

„Alles wird gut sein. Wir sind zusammen. Für immer.“

Der 19. Dresdner „Tatort“ um Kommissariatsleiter Peter Michael Schnabel (Martin Brambach) ist der erste, der ohne Hauptkommissarin Karin Gorniak auskommen muss, nachdem diese sich mit dem vorausgegangenen Fall verabschiedet hatte. Ersetzt wurde ihre Rolle nicht, sodass Schnabel und Leonie Winkler (Cornelia Gröschel) nun ein Duo bilden – was auch bedeutet, dass Schnabel stärker in die Ermittlungen eingebunden ist. Der von Silke Zertz sowie Frauke Hunfeld geschriebene und von Thomas Sieben („Prey“) inszenierte „Siebenschläger“ ist mehr Sozialdrama denn klassischer Krimi und wurde am 12. Oktober 2025 erstausgestrahlt.

„Pascal ist ein schwer traumatisiertes Kind…“

Die jugendlichen Heimkinder Lilly (Dilara Aylin Ziem, „Wunderschön“) und Pascal (Florian Geißelmann, „Wer wir sind“) reißen nachts aus dem Jugendheim „Siebenschläfer“ aus. Lilly wird diese Nacht nicht überleben, am nächsten Morgen wird ihre Leiche aus einem Waldsee geborgen. Pascal beobachtet dies aus einiger Entfernung und sucht das Weite. Er leidet unter mangelnder Impulskontrolle, wird schnell aggressiv und gewalttätig. Was hat er mit Lillys Tod zu tun? Die Polizei sucht den Jungen, Schnabel und Winkler von der Kripo schauen sich zudem im Umfeld der beiden, im Jugendheim und im Jugendamt um, führen viele Gespräche, versuchen, das System und dessen Schwächen zu durchschauen, um zu Anhaltspunkten zu gelangen. Einer der Gesprächspartner ist Psychiater Dr. Lukas Brückner (Hanno Koffler, „Anatomie 2“), der Pascal betreute und dessen Methoden sich als unorthodox erweisen…

„Eine Familie kann auch eine Hölle sein.“

Zu Beginn erklingen Lillys Gedanken aus dem Off, der gemeinsame Ausriss mit Pascal trägt außenseiterromantische Züge. Diese enden jäh mit Lillys Tod. Klar, dass der erste Verdacht auf Pascal fällt, den Lillys Freundin Cheyenne (Louise Sophie Arnold, „Das Pubertier – Die Serie“) bekräftigt. Dessen bisher behauptetes Aggressionsproblem wird den Zuschauerinnen und Zuschauern gegenüber bestätigt, als er eine Vertrauensperson angreift und schwer verletzt. Ein Nebenstrang behandelt Jugendamtsmitarbeiter Torsten Hess (Peter Moltzen, „Die Schimmelreiter“) und dessen Familie, was sich schnell mit dem eigentlichen Fall vermengt. Eigentlich handelt es sich um ein zunächst undurchsichtiges Geflecht mehrerer Fälle, einer davon ist strenggenommen das überforderte System aus Behörden, Einrichtungen und Ärzten. Der eklatante Personalmangel ist ein großes, aber nicht das einzige Problem. In diesem Zuge darf die Kripo ihr Leid über die eigene lückenhafte Personaldecke auch einmal klagen.

„Ihr habt sie umgebracht!“

Zurück zur Toten: Die Polizei tappt zunächst weiter im Dunkeln, allen teils sehr modernen Ermittlungsmethoden, die dieser „Tatort“ einmal mehr der Zuschauerschaft näherbringt, zum Trotz. Möglicherweise hat man es auch mit einem Suizid zu tun – Lillys Tagebuch gestattet derartige Vermutungen. Zumindest etwas mehr Aufschluss bringt das Verhör Pascals, das in Rückblenden eine unglücklich endende Liebe zeigt. Im letzten Drittel geht’s dann noch mal ans Eingemachte, es beginnt mit einem weiteren Toten und offeriert eine überraschende Wendung, die mit Rache-Thriller-Motiven arbeitet.

„Wir haben hier eine mehrfache Übertötung.“

„Siebenschläfer“ übt harsche, aber gerechtfertigte Systemkritik, ohne dabei die allem innewohnende Ambivalenz außer Acht zu lassen und beispielsweise um Verständnis fürs Jugendamt zu werben. Lucas‘ Psychiater wiederum erinnert an reale Fälle von auf dem Rücken Schutzbefohlener ausgetragener Scharlatanerie. Winkler und Schnabel bilden ein tolles, funktionales Ermittlungsduo, das sich ob seiner Verschiedenheit gut ergänzt, der junge Pascal-Darsteller Geißelmann empfiehlt sich mit seiner Leistung für weitere größere Rollen, auch auf visuell-technischer Ebene punktet dieser „Tatort“ einmal mehr – und am Ende hatte ich Gänsehaut. So kann’s in Dresden gern weitergehen.
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Tatort: Traumhaus

„Nächste Woche rollen hier die Bagger!“

Der Fall Nr. 36 für den Hamburger „Tatort“-Kommissar Paul Stoever (Manfred Krug), der zusammen mit seinem Kollegen Peter Brockmöller (Charles Brauer) ermittelt, ist die siebte und damit vorletzte Inszenierung des Regisseurs Ulrich Stark („Bei mir liegen Sie richtig“) für die öffentlich-rechtliche Krimireihe, der ein Drehbuch Raimund Webers verfilmte. Die Erstausstrahlung erfolgte am 30. Mai 1999.

„Auf unser Traumhaus!“

Das Ehepaar Friedel und Hanna Hebbel (Ulrich Mühe und Susanne Lothar, beide „Funny Games“) erwirbt vom windigen Makler Gunnar Engelhardt (Krystian Martinek, „Schlafende Hunde“) ein Einfamilienhaus, das jedoch erst noch gebaut werden muss. Just darauf erhält Friedel aus heiterem Himmel die Kündigung seines Arbeitgebers und sieht sich somit existenziellen Geldsorgen ausgesetzt. Seiner Frau verheimlicht er seine Arbeitslosigkeit und sucht schnell nach neuen Möglichkeiten, den Lebensunterhalt sowie den Grundstücks- und Hauskredit zu finanzieren. Drei Wochen später wird der Journalist Hans Joachim Hoffmann tot aufgefunden. Warum musste er sterben? Wusste er eventuell zu viel über die Umtriebe des Bürgermeisters Ralf Fromm (Peter Sattmann, „Bandits“), der an der Umwandlung von Brach- in Bauland mitverdiente? Oder hat Makler Engelhardt damit zu tun, der ebenfalls alles andere als sauber ist? Stoever und Brockmöller ermitteln und treffen dabei auch auf das Ehepaar Hebbel…

„Ihr Aal schmeckt ein bisschen breiig.“

Friedel Hebbel fällt alles aus dem Gesicht, als er von seiner Kündigung erfährt. Nun hat er nicht nur den Hausbau an der Backe, seine Frau ist auch noch schwanger. Mit der Gefahr einer plötzlichen Arbeitslosigkeit und den damit verbundenen Existenzängsten greift dieser „Tatort“ die Stimmung in der Republik während der durch den Neoliberalismus vorangetriebenen Massenarbeitslosigkeit der 1990er-Jahre auf und teilt zugleich gegen unseriöse, betrügerische Makler sowie Klüngelei und Korruption in der Politik aus. Sogar die Bank hängt mit drin. Nach dem Leichenfund werden Stoever und Brockmöller zunächst bei den Hebbels vorstellig, weil Hoffmann sein letztes berufliches Gespräch mit Friedel geführt hatte. Ein interessantes Detail: Hoffmann ist mit seiner eigenen Waffe ermordet worden.

Friedel Hebbels persönliches Drama steht im Mittelpunkt dieses „Tatorts“, Ulrich Mühe bringt dessen Verzweiflung hervorragend zum Ausdruck. Wenig überraschend hat Friedel mit den Todesfällen – es folgt nämlich ein weiterer – zu tun, was eine Folge seines Jobverlusts ist (von dem seine Frau erst durch Zufall erfahren wird). Um schnell wieder in Lohn und Brot zu kommen, nimmt er nämlich, ohne hier zu viel verraten zu wollen, einen ebenfalls nicht ganz legalen Job an, indem er mit nichtzugelassenen Viehzucht-Antibiotika handelt – womit auch die industrielle Massentierhaltung ein Stück weit ihr Fett wegbekommt.

Thematisch bohrt „Traumhaus“ also dicke Bretter und zeigt im Stile eines sozialdramatischen Krimis das Abrutschen eines arglosen Kleinbürgers in Verzweiflung, aus der Kriminalität erwächst. Schade, dass entweder Buch oder Regie dabei mitunter arg schludrig vorgehen (Obacht, von nun an sind Spoiler unvermeidbar):

Innerhalb von nur drei Wochen fängt Friedel Hebbel seinen neuen Job an, kommt ihm Hoffmann investigativ auf die Schliche und hat dieser schon einen Enthüllungsartikel über ihn vorbereitet? Das muss man glauben wollen… Am Ende scheint es, als wolle Friedel eine gemeinhin euphemistisch als „erweiterter Suizid“ bezeichnete Untat begehen, als er seinen beiden Kindern ein Schlafmittel einflößt und zur Schusswaffe greift. Die Polizei greift rechtzeitig ein und entwaffnet Friedel, die Kinder jedoch sind einfach nicht wachzukriegen. Dennoch glauben Stoever und Brockmöller Friedel ohne Weiteres, als dieser angibt, ihnen lediglich ein „leichtes Schlafmittel“ verabreicht zu haben, und halten es nicht einmal für nötig, einen Arzt zu rufen. Als sie Friedel in den Polizeiwagen setzen, steht dessen Frau tatsächlich mit beiden Kindern, offenbar innerhalb weniger Minuten wieder putzfidel geworden, am Fenster, ihm zuwinkend…

Schade ist es auch, dass Hoffmanns Tod, über den so viel geredet wurde, nach der Aufklärung nicht zumindest in einer Rückblende visualisiert wird. Die komödiantisch angehauchte Nebenhandlung, in der Brockmöller Stoever sein Angelhobby näherzubringen versucht, ist ebenso Geschmackssache wie die Gesangseinlage beider im Epilog. Aus dem inhaltlichen Stoff hätte man mehr können machen, insbesondere eine sorgfältigere Umsetzung wäre wünschenswert gewesen. Dennoch alles in allem und mit einem zugedrückten Auge eine ansprechende Episode.
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Zu dumm zum…

„Was hältst du von einer Vergewaltigung?“

Die Erotik-Klamotte „Zu dumm zum…“ alias „Der Großmaul-Casanova“ aus dem Jahre 1971 ist die einzige Regiearbeit des Schauspielers Henry van Lyck, der hier auch selbst mitspielt.

„So ein Dilettantenscheiß!“

Dieter (Peter Uwe Arndt, „Die fleißigen Bienen vom Fröhlichen Bock“) hat eine große Klappe, aber nicht viel dahinter und unter anderem deshalb nur Pech bei den Frauen. Sein Kumpel Henry (Henry van Lyck, „Zur Sache, Schätzchen“) versucht ihm zu helfen, indem er ihm Ratschläge erteilt, die Dieter auch prompt umzusetzen gewillt ist – mit bescheidenem Erfolg…

„Die Konstrukteure ham's wohl nie in so'm Auto getrieben!“

Dieter, ein Typ in Fransenwildlederjacke, zieht mit Henry durch die Straßen; zusammen ergeht man sich in witzig-plumpen und entsprechend erfolglosen Anmachversuchen fremder Frauen auf offener Straße. Im Schwimmbad albert Dieter herum und lernt die süße Mona (Brigitte Skay, „Unruhige Töchter“), deren Busen ab und an hervorblitzt, sowie deren Freundin Chris (Sybille Binder, „Das Glöcklein unterm Himmelbett“) kennen. Zu dritt gibt man sich Doktorspielchen hin, die zunächst eher wie Misshandlungen wirken. Mona erzählt Dieter wenig geschmackssicher eine absurde Geschichte von der Vergewaltigung einer Freundin und will diese mit Dieter am Waldsee nachstellen. Damit tut Dieter sich schwer und benötigt mehrere Anläufe, was van Lyck süffisant humorig inszeniert. Mona zeigt sich nun in ganzer Pracht, doch zu ihrer Enttäuschung kann Dieter unter diesen Umständen einfach nicht. Mona reagiert erbost.

„So ein bisschen dazwischen, so ein bisschen daneben, verstehen Sie?“

Der abrupte Schnitt zur nächsten Sequenz lässt erahnen, es hier mit einem episodenhaften Film zu tun zu haben. Dieter verabredet sich mit der verheirateten Clarissa (Ann Smyrner, „Das Go-Go-Girl vom Blow-Up“), die für ihn strippt, wovon das Filmpublikum außer Blicken auf ihre Beine aber nicht viel hat. Zu allem Überfluss stört auch noch ihr Mann (Carl Möhner, „Die letzte Fahrt der Bismarck“), der unverhofft nach Hause kommt, woraufhin Dieter sich im Schrank versteckt, aber entdeckt wird. Ein noch abgedroscheneres Klischee war den Filmmachern offenbar nicht eingefallen. Clarissas Mann treibt ein kurzer Psychofolterspiel mit den beiden, nur um Dieter dann doch noch eine reinzuhauen.

In der darauffolgenden Episode rennt Dieter wieder auf der Straße herum und verteilt Äpfel an Passantinnen, wodurch er eine junge Entenfahrerin (Barbara Scott, „A Clockwork Orange“) kennenlernt, die ihn zu einer spontanen Ausfahrt einlädt. Es handelt sich um eine sehr hübsche Brünette, die auch etwas von sich zeigt und mit Dieter im Auto zu fummeln beginnt. Leider ist sie auch etwas spleenig und will’s ausschließlich in der Ente treiben, doch der französische Kleinwagen ist zu eng. Beim Sexversuch löst sich schließlich die Handbremse, womit der Film einen weiteren Treffer im Klischeebingo erzielt.

Bald darauf findet sich Dieter mit Freunden in einer Tanzbar wieder, wo er mit Sexgeschichten prahlt, die ihm niemand abnimmt, und er bei einer Blondine (Elke Hart, „Nicht fummeln, Liebling“) abblitzt. Henry jedoch überredet sie, Dieter anzugraben, woraufhin sie ihm drei Aufgaben stellt. Was genau diese beinhalten, wird den Zuschauerinnen und Zuschauern verheimlicht, erschließt sich aber aus Dieters weiteren „Abenteuern“: Er gerät an einen schwulen Barkeeper, ein anderer Homosexueller wird auf ihn aufmerksam und will, dass Dieter ihm Lackpömps kauft. Henry begleitet die beiden ins Schuhgeschäft, wo man mit seiner Hilfe die Verkäuferin in den Wahnsinn treibt. Für die nächste Aufgabe zieht Dieter mit einer Gans im Kinderwagen durch die Gegend und quatscht eine Passantin an, um sie nach einem Psychiater für seine „Ente“ zu fragen. Zudem betritt er mit dem Federvieh einen Lebensmittelladen und fragt nach Fantasieprodukten, was in Dada-Dialoge mündet, bis die Verkäuferin zu Quaken beginnt. Er zieht weiter auf einen Wochenmarkt und provoziert dort eine Essenschlacht, aus der eine wüste Massenschlägerei resultiert. Die Gans setzt er schließlich auf einem Grundstück mit anderem Federvieh aus. Schließlich – Aufgabe Nr. 3 – steigt als er als Neandertaler verkleidet mit einer überdimensionalen Keule in eine Straßenbahn ein, wo er an einen depperten Kontrolleur gerät, der Respekt vor ihm bekommt, als er hört, dass es sich bei seinem Höhlenmenschengegenüber um einen Germanen handle. In einem weiteren Dada-Dialog tauscht Dieter sich mit dem Kontrolletti über Fußmalerei aus. Einem Pförtner entwendet er die Mütze und sucht Briefkastentante „Irenes“ Büro auf, wo sich die ehebratend für Illustrierte Schreibende als Mann (Ernst H. Hilbich, „Rudi, benimm dich!“) entpuppt. Bei ein paar Schnäpsen erhält Dieter Einblicke in dessen Arbeit.

Dann begegnet Dieter seiner Disco-Bekanntschaft in der freien Natur wieder, dialogfrei und kitschig inszeniert, wenn sie in Zeitlupe händchenhaltend durch die Walachei hüpfen. Er trägt sie die Treppen zu ihrer Wohnung hinauf, was tatsächlich dazu führt, dass der Film doch noch eine Erotikszene erhält. Man sieht zwar nichts, aber die Vorstellung des für andere ebenfalls unsichtbaren Beischlafs am offenen Fenster, während dem die Dame noch ein Pläuschchen mit einer Nachbarin hält, kann durchaus anregend sein. Dennoch geht auch diese Szene böse für Dieter aus.

Es beschleicht mich der Verdacht, dass van Lyck & Co. die erste deutsche Sexfilmwelle mit „Zu dumm zum…“ persiflieren wollten, indem sie eine Art Antisexfilm drehen, in dem der Protagonist kaum einmal zum Stich kommt und sich als dampfplaudernder Möchtegern-Macho entpuppt. Dafür sprechen auch die mediensatirische Anwandlung um „Tante Irene“, der Hang zum Dada und anarchischen Witz sowie der eine oder andere Seitenhieb auf die Gesellschaft. Inkaufnehmen muss man dafür neben Slapstick-Humor aber auch manche reichlich seltsame, unmotiviert erscheinende Szene und eine fröhlich dem Schwachsinn frönende zweite Hälfte, die so gut wie keine Erotik mehr aufweist, nachdem zuvor unter anderem die ein klein wenig fülligere Brigitte Skay (der dies unheimlich gut steht) sexy Auftritte hatte.

Ein aus der Reihe fallender, mitunter beinahe experimentell anmutender Low-Budget-Film, wie er wohl nur während der damaligen Sexfilmwelle entstehen konnte.
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Berlin in Berlin

Die deutsch-türkische Koproduktion „Berlin in Berlin“ des türkischen Filmemachers Sinan Çetin („Propaganda“) aus dem Jahre 1993 ist eine dem Kanon des migrantischen Films zuzuordnende, eigenwillige Mischung aus Drama, Thriller und Komödie mit parodistischen Zügen.

Bauplaner und Fotograf Thomas (Armin Block) stellt der hübschen Dilber (Hülya Avşar, „Hasan boğuldu“), der Frau seines türkischen Arbeitskollegen, nach und fotografiert sie obsessiv. Als ihr Mann die Fotos findet, regt er sich über sie auf und gerät in Streit mit seiner Frau. Als Thomas dazwischengeht, tötet er ihn versehentlich. Zeitsprung, drei Monate später: Thomas lernt Türkisch und macht Liegestütze, nimmt Kontakt zu Dilber auf, die abweisend reagiert – doch er verfolgt sie weiter. Die Brüder des Toten lauern ihm auf und verprügeln ihn, bedrohen ihn mit einem Messer. Er flieht in eine Wohnung – ausgerechnet die seiner Verfolger – und versteckt sich dort. Am nächsten Morgen wird er entdeckt und soll erschossen werden, doch die türkische Familienmutter geht dazwischen und verbietet es, weil der Fremde Gastrecht zu genießen habe. Also will man ihn umbringen, sobald er die Wohnung verlassen hat. Ergo bleibt er eben da…

Eine herrlich absurde Situation also, in die Çetin die Figuren seines Films bringt. Als starkes intradiegetisches Medium fungiert Thomas‘ Fotokamera, während Thomas selbst zum Medium im vermittelnden Sinne avanciert, als (reichlich ungewöhnlicher) Vermittler zwischen den Kulturen, aber auch für das Filmpublikum, denn er steuert den Film quasi. Mehrmals scheint die Zuschauerschaft direkt angesprochen zu werden, wenn eigentlich Thomas gemeint ist. Er – wohlgemerkt ein irrer Stalker – steht stellvertretend für uns „Voyeure“. Die Perspektive entspricht fast immer Thomas‘ Blickwinkel.

Im weiteren Verlauf des zum Kammerspiel gewordenen Films richtet sich der Fokus verstärkt auf einen besonders aggressiven Bruder des Toten, der es zu Hause mit der Freundin eines anderen treibt (von Çetin recht freizügig inszeniert). Thomas rettet ihm das Leben, als dieser vom Freund seiner Bettgespielin angegriffen wird. Zwischen Dilber und Thomas kommt es zu immer mehr Annäherungen, gegen Ende möchte er mit ihr von dannen ziehen. Der Aggro-Bruder begehrt sie jedoch selbst und reagiert entsprechend eifersüchtig. Auch ihr Sohn Mustafa ist wenig begeistert, weil er glaubt, seine Mutter zu verlieren. Im Showdown bedroht der Bruder Thomas und Dilber, bricht aber verzweifelt zusammen.

Leider sah ich eine Fassung, in der die türkischen Dialoge nicht untertitelt sind, weshalb ich nicht jede Feinheit mit-, aber von einer Mitguckerin viel erklärt bekam. „Berlin in Berlin“ ist dramaturgisch etwas langatmig und der Ton manchmal dumpf, aber nichtsdestotrotz ein sehr interessanter Film: Die auch als Musikerin tätige Hauptdarstellerin Hülya Avşar galt als eine der attraktivsten Schauspielerinnen in der Türkei, hat stahlblaue Augen und ist hier in einer erotischen Masturbationsszene zu sehen, aufgrund derer der Film lange Zeit nicht in der Türkei gezeigt worden war. Çetin spielt zudem ein wenig mit religiösen Motiven, hängt der türkischen Familie ein Iron-Maiden-Plakat in die Bude und erzählt, unterlegt von dramatischen, wuchtigen Synthesizerklängen, viel sowohl über menschlichen Begehren als auch kulturelle Regeln. Das parodistische Element ist die gegenüber anderen migrantischen Filmen umgekehrte Prämisse: Ein Deutscher ist der Eindringling, der sich dann sogar eine Frau mitnimmt. Dies ist indes zugleich etwas problematisch oder mindestens unglücklich: Ausgerechnet ein soziopathischer Stalker erreicht damit sein Ziel.
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Ab morgen bin ich mutig

Autor und Regisseur Bernd Sahling („Die Blindgänger“) schrieb und drehte mit dem im Jahre 2025 veröffentlichten „Ab morgen bin ich mutig“ einen Coming-of-Age-Film weniger über die erste Liebe als vielmehr übers erste Verliebtsein, das hier einen zwölfjährigen Jungen ereilt.

Der zwölfjährige Karl (Jonathan Köhn) verknallt sich in seine Mitschülerin Lea (Cheyenne Aaliyah Roth), die locker einen Kopf größer als er, eher kleingewachsen, ist. Es ist kurz vor den Sommerferien und seine von seinem Vater getrenntlebende Mutter (Juliane Pempelfort, „Wishlist“) verreist beruflich, sodass Karl mit seinem älteren Bruder Tom (Darius Pascu) allein zu Hause bleibt. Karl fotografiert leidenschaftlich gern und entwickelt seine Bilder analog, Tom ist Sänger und Gitarrist einer Softrock-Band. Beim Schuljahresabschlussprojekt – ein Reportagenfilm, für den verschiedenste Menschen zum Thema erste Liebe befragt werden – übernimmt Karl die Kamera. Zugleich überlegt er, wie er mit seinen Gefühlen für Lea umgehen soll und er die hübsche Mitschülerin eventuell tatsächlich für sich gewinnen kann…

Was immer die Evolution sich dabei gedacht, dass bereits nicht einmal geschlechtsreife Kinder von ihren Gefühlen übermannt werden und sich (gefühlt) unsterblich in Gleichaltrige verlieben können – es ist Quell präpubertärer Irrungen und Leiden. Auch nach Einsetzen der Geschlechtsreife wird es oft nicht besser und die erste „Liebe“ oder vielmehr das, was man dafür hält, eventuell auch die zweite oder dritte, geraten zu hochnotpeinlichen Zuständen vollständiger Verwirrung, haben gar das Potenzial, suizidale Gedanken zu fördern, obwohl man bei Weitem und ganz, ganz bestimmt noch keine Kinder zeugen oder Familien gründen sollte, sich all das demnach eigentlich auch sparen könnte. Was also soll der Scheiß?

Diese Frage beantwortet natürlich auch Sahlings Film nicht, aber zumindest folgt er empathisch dem kleinen Karl, der noch vorm Stimmbruch steht, während Lea körperlich deutlich sichtbar bereits wesentlich weiterentwickelt ist. Dass mit der Pubertät auch schleichend die Abkapslung von den Eltern beginnt, signalisiert hier die Abwesenheit der Mutter, der ihre beiden Jungen zumindest versprechen müssen, sich in dieser Zeit nicht ausschließlich von Pizza zu ernähren. Wenigstens hat Karl aber seinen großen Bruder, sodass er eine eventuell sogar besser als seine Mutter geeignete Bezugsperson ansprechen kann und mit seinen Gefühlen nicht allein dasteht. Dass dies Segen und Fluch zugleich sein kann, wird im weiteren Verlaufe deutlich, möchte ich hier aber nicht vorwegnehmen.

Der Film nimmt Karl und Konsorten ernst, hier wird weder chargiert noch persifliert, niemand der Lächerlichkeit preisgegeben und auch gar nicht erst der Versuch unternommen, unangenehme Situationen humoristisch zu brechen. Andererseits löst hier in erster Linie die furchtbare Einschleimmusik, die Tom mit seiner Band spielt, Unbehagen aus, ansonsten verläuft eigentlich fast alles in mehr oder weniger geregelten Bahnen. Karl ist nett, Lea ist nett, beide sind nett zueinander und achten darauf, sich nicht gegenseitig zu überfordern oder zu verletzen. Und die Mitschülerinnen und Mitschüler sind auch alle nett, sogar die Lehrerinnen und Lehrer sowie die für den Projektfilm befragten Passantinnen und Passanten. Nett nett popett.

Davon unabhängig bewirkt dieser Film möglicherweise, dass sich die junge Zielgruppe auch für Hobbys wie Fotografie, Musik- oder, vor allem, das Filmemachen begeistern kann. Immer wieder sehen wir das Geschehen durch die Schulprojektkamera oder wohnen wir Karl beim Auswerten des Materials am Notebook bei und entwickeln so ein Gefühl dafür, wie eigentlich ein Film entsteht. Sympathisch ist der subtile Humor, wenn beiläufig gezeigt wird, wie sich immer mehr Pizzakartons in der Wohnung stapeln und das Chaos immer größer wird. Etliche Sequenzen spielen bei sommerlichem Sonnenschein, mitunter gar im Grünen, und sind nicht nur hübsch anzusehen, sondern erzeugen mitunter auch diese typische, unterschwellig melancholische Coming-of-age-Atmosphäre. Die Jungmimen Roth und Köhn empfehlen sich mit ihren schauspielerischen Leistungen in jedem Falle weiter. Narration und Dramaturgie hetzen nicht durch den Stoff, sondern geben den Figuren Raum, ihre Emotionen auszudrücken – doch wo sind diese?

Allen guten Ansätzen zum Trotz bleibt ausgerechnet ein Film mit diesem Titel mir persönlich ein wenig zu mutlos, wenigstens ein klein wenig dickere Bretter zu bohren, auch ein junges Publikum aus seiner Komfortzone und vor allem Protagonist Karl aus einer heilen Welt zu holen, in der es außer einem kurzen unerwiderten Verknalltsein kaum wirkliche Probleme zu geben scheint. Doch wer die Kinder auf die Liebe vorbereiten will, muss sie auch auf die Welt vorbereiten, in der sie passiert.
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Schimanski: Sehnsucht

„Du bringst mich in große Schwierigkeiten!“

Nach der eher misslungenen sechsten Episode des „Tatort“-Spin-offs nahm „Schimanski“-Routinier Hajo Gies wieder auf dem Regiestuhl Platz, um mit dem von Hansjörg Thurn geschriebenen „Sehnsucht“ den einzigen Beitrag des Jahres 1999 dieser Fernsehkrimireihe beizusteuern. Die Erstausstrahlung erfolgte am 7. November 1999.

„Mit dem eingezogenen Schwanz hätt'st du auch in Holland Karriere machen können...“

Horst Schimanski (Götz George) trifft auf Mammut Schulz (Veit Stübner, „Der Campus“), einen ehemaligen Delinquenten, der gerade aus dem Knast kommt und seine Freundin Olga sucht, während die Bullen ihm angeblich einen Mord anhängen wollen. Schimmi soll ihm bei der Suche helfen. Dieser kümmert sich und rüpelt sich zur Oberstaatsanwältin Julia Schäfer (Suzanne von Borsody) durch, sieht sich jedoch damit konfrontiert, dass die Exekutive Mammut tatsächlich für schuldig hält, den Immobilienmakler Beitz umgebracht zu haben – sogar sein alter Kompagnon Hänschen (Chiem van Houweninge), mit dem er einst zusammen in Duisburg für die Kripo ermittelte. Die Politikergattin Eva Marsfeldt (Renée Soutendijk, „Abwärts“) lernt er kennen, da sie eine Bekannte von Beitz war. Ihren Mann kennt Schimanski noch aus alten Zeiten. Sie scheint eigene Interessen zu verfolgen. Spielt sie ein falsches Spiel?

„Kenne deinen Feind und du kennst dich selbst…“

Kommissar Schrader und damit derjenige, der bisher als Schimanskis Kompagnon aufgebaut worden war, ist weg, weil Schauspieler Steffen Wink wegen zu hoher Gagenforderungen ausschied, dafür ist Hänschen zurück. Nun muss Schimmi mit dem LKA-Beamten Thomas Hunger (Julian Weigend, „In aller Freundschaft“) Vorlieb nehmen, einem echten Wüterich, mit dem er prompt aneinandergerät. Zu Beginn dieser Episode saß Schimanski noch inmitten von Bierkästen auf einer Baggerschaufel und feuerte eine Buddel auf den Asphalt. Bald darauf gilt es, gleich zwei Fälle zu lösen – Olga zu finden und den Mord an Beitz aufzuklären –, die miteinander verwoben sind. Aber wie genau?

„Das grundsätzliche fehlen von Charme ist wahrscheinlich Ihre persönliche Note...“

Wir haben es hier mit einem vertrackten Kriminalfall zu tun, der Schimmi sogar in die Niederungen der Pornographie führt. Das Spiel mit falschen Identitäten und tödlichen Oberschicht-Klüngeleien umweht ein Hauch von Giallo, ist aber betont bis überzeichnet schnoddrig inszeniert und wie gewohnt mit Actionszenen durchsetzt. Gies und seinem Team gelingen einige tolle Bilder mit melancholischer Note, doch die von Liv Kristine gesungene schwülstige Schnulze „One Love“ will als wiederkehrendes musikalisches Thema nicht so recht passen. Auch Handlung und Auflösung entpuppen sich als recht unwahrscheinliche Von-hinten-durch-die-Brust-ins-Auge-Erzählung, der es aller Kritik an Bourgeoisie, Politik und Justiz zum Trotz am Schimanski-typischen Sozialrealismus mangelt. Den alten Charme vermisst man zusehends. Als, insbesondere für den als ambivalente Figur charakterisierten Mammut, große Tragödie betrachtet, entfaltet „Sehnsucht“ unter Gies‘ Regie dennoch seine Qualitäten.
Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
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Garfield in der Südsee

„Das finde ich sehr verwirrend...“

„Garfield in der Südsee“ alias „Garfield bei den Indianern“ aus dem Jahre 1986 ist der fünfte Zeichentrick-Kurzfilm um Jim Davis‘ Comickater, wie üblich von Phil Roman für den US-TV-Sender CBS inszeniert. Das Drehbuch verfasste Jim Davis höchstpersönlich und die Erstausstrahlung erfolgte am 27. Mai 1986.

Zusammen mit Jon und Odie geht’s in den Urlaub, genauer: in die „Paradieswelt“, eine Art Budgetvariante der Insel Hawaii. Garfield fliegt erstmals in seinem Leben, verkleidet als Jons Sohn, und würde lieber aufs echte Haiwaii. Dorthin tagträumt er sich visualisiert, lässt sich von den dortigen Katzen als Star empfangen und feiern, während er auf „Elvis auf Hawaii“ macht und erst einmal einen Hit schmettert. In der Realität entpuppt sich das gebuchte Hotel leider als billige Absteige. Man verzagt jedoch nicht, sondern leiht sich einen heißen Schlitten (einen Chevrolet Bel Air). Im Zuge einer Ausfahrt auf der Suche nach einem schönen Strand treffen sie auf den Stamm des Ramma-Lamma und der Ding-Dongs, die wie in 1950er-Jahre-Strandfilmen leben, seit ihnen der legendäre „Kreuzfahrer“ (im Original: Cruiser) – eine James-Dean-Reminiszenz – die damalige Populärkultur nahebrachte, ehe er mit seinem Auto in den ausbrechenden Inselvulkan steuerte und sich für das Eingeborenenvolk opferte.

Die Häuptlingstochter Owooda und deren Katze Mai-Tai becircen Jon und Garfield, als der Vulkan plötzlich erneut ausbricht. Owooda will sich mit Mai-Tai opfern und in den Vulkan stürzen. Ganz recht, dieser Film wird so richtig dramatisch, versprüht dabei großartige Surf’n’Roll-Vibes, ist als Ehrerbietung an die 1950er-Popkultur zu verstehen und hat mit dem „Kreuzfahrer“ einen inszenatorisch am Psychedelischen kratzenden Mythos zu bieten. Die Musik ist einmal mehr eine Klasse für sich und der Häuptling wird im Original vom DJ Wolfman Jack gesprochen. Lediglich das Happy End wirkt etwas sehr erzwungen und fällt damit ein wenig ab.

Da zücke ich 7,5 von 10 Vulkanfahrten im Amischlitten.
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Ein tödliches Wochenende

„Dies ist unser letztes gemeinsames Therapie-Wochenende...“

Ich erinnere mich, dass die ARD um den von TV-Krimi-Routinier Torsten C. Fischer inszenierten und Klaus-Peter Wolf geschriebenen Fernsehfilm „Ein tödliches Wochenende“ ein gewisses Brimborium im Vorfeld der Erstausstrahlung am 7. März 2001 veranstaltete und die Mischung aus psychologischem Drama und Thriller offensiv bewarb sowie als etwas Besonderes herausstellte. Zumindest führte dies dazu, dass ich ihn mir damals ansah und entweder mein Vater oder ich ihn auch auf VHS mitschnitten. Diese Aufnahme sah ich mir nun, mehr als 24 Jahre später, noch einmal an.

„Keine körperliche Gewalt!“

Eine Apothekerin (Nele Mueller-Stöfen, „Das Superweib“), eine Lehrerin (Andrea Sawatzki, „Das Experiment“), ein Geschäftsmann (Thomas Kretschmann, „The Stendhal Syndrome“), ein Chirurg (Dominique Horwitz, „Nachtgestalten“) und ein Anwalt (Helmut Berger, „A.D.A.M.“) fahren regelmäßig am Wochenende in ein Gebirgsdorf, um sich bei Harry Bach (Jürgen Hentsch, „Der Totmacher“) in psychotherapeutische Behandlung zu begeben. Eine oder einer der neurotischen Städterinnen und Städter hat jedoch den kleinen Sohn des örtlichen Bauern Menzel (Jochen Nickel, „Bang Boom Bang – Ein todsicheres Ding“) angefahren und Fahrerflucht begangen. Als der Junge gefunden wird, ist es quasi schon zu spät, er erliegt wenig später seinen Verletzungen im Krankenhaus. Menzel will wissen, wer der Zugereisten dafür verantwortlich ist, übt sich in Selbstjustiz und bedroht die Verdächtigen mit dem Tode, sollten sie ihm den Verantwortlichen nicht ausliefern. Doch weiß die Gruppe selbst nicht, wer von ihnen der Gesuchte ist…

Ein reizvolles und Spannung versprechendes Sujet also, das musikalisch von Massive Attacks „Teardrop“ (später durch „Dr. House“ bekanntgeworden) eingeleitet wird. Regisseur Fischer scheint anstelle des Unfalls einen Zusammenprall mit einem Reh zu zeigen, der doch der Eindruck täuscht, wie die stark gemachte Eröffnungssequenz bald darauf verrät. In Form einer Parallelmontage sehen wir sodann die Mittelständler, die es sich im Zuge ihrer Therapie gutgehen lassen, und Bauer Menzel, der sein schwerverletztes Kind findet. Auch die Mutter (Katrin Sass, „Das vergessene Leben“) lernt man kennen und sieht den Jungen alsbald im Krankenhausbett, an Schläuchen hängend. Im Freund des Opfers gibt es auch einen Zeugen und Dorfbulle Paul (Manfred Möck, „Die Innere Sicherheit“) nimmt halbherzig die Ermittlungen auf.

Diese nimmt Menzel in die eigene Hand, als sein Junge stirbt, um dessen Leben die Ärzte zuvor erfolglos gekämpft haben. Der offenbar einzige Polizist ist machtlos gegen die Lynchjustiz der Dorfbewohner; ihm wird die Aufgabe zuteil, die Mutter des Jungen zu trösten. Therapeut Bach wiederum ist ganz gut darin, seine Klientel dazu zu bringen, die Masken fallenzulassen. Die Folge ist irrationales Verhalten, viel Gebrüll und Geschrei. Bald findet man sich in einem Belagerungszustand wieder, Menzel beschießt die Unterkunft der Therapiegruppe und übergießt Mauer- und Buschwerk mit Benzin, das er zu entzünden droht. Die Nerven liegen zunehmend blank und es entwickelt sich eine nicht ganz uninteressante Gruppendynamik. Erst im letzten Drittel kommt heraus, wer der Übeltäter ist.

Ein Kriminalfall gepaart mit innerdeutschem Culture Clash und Backwood Terror light, dazu ein Abgesang auf die Mitglieder einer als neurotisch und narzisstisch dargestellten Mittelschicht – das ist über weite Strecken gar nicht schlecht gemacht. Die Wahrnehmung der zunächst als idyllisch empfundenen Natur verkehrt sich ins Gegenteil, sobald zu akzeptieren ist, dass auf dem Lande eigene Gesetze gelten. Diese sind hart, aber gerecht (bzw. werden so vermittelt) und stehen im Kontrast zu den derart mit sich selbst beschäftigten Städtern, die für echte Empathie und über reine Posen hinausgehende Regeln des Zusammenlebens keine Zeit zu haben scheinen. Der Film ist schauspielerisch für den TV-Bereich zudem namhaft besetzt.

Dramaturgisch ist jedoch noch einige Luft nach oben. Das Tempo wirkt ungewöhnlich gedrosselt und die eingestreuten Privatszenen um Polizist Paul bremsen den Film darüber hinaus unnötig aus. Für meinen Geschmack hätte die ARD sich damals gern auch noch etwas mehr trauen dürfen – der Stoff hätte Potential für mehr Eskalation geboten.

Nachtrag: Zwar wurde der Film erst 2001 im Fernsehen erstausgestrahlt, seine Premiere feierte er aber bereits 1999 auf dem Filmfest München.
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Draculas Haus

„Meine Welt kommt ohne die Materie aus…“

Mit dem Crossover-Grusler „Draculas Haus“ endete die klassische „Frankenstein“-Reihe der Universal-Studios. Auf diesen siebten Teil aus dem Jahre 1945 folgte lediglich noch die Persiflage „Abbott & Costello treffen Frankenstein“. Wie beim Vorgänger „Frankensteins Haus“ führte Erle C. Kenton Regie.

Graf Dracula (John Carradine, „Früchte des Zorns“) wird beim Wissenschaftler Dr. Edelmann (Onslow Stevens, „Formicula“) vorstellig und bittet ihn, ihn vom Vampirismus zu heilen. Der Vampir findet jedoch schnell Gefallen an Edelmanns Assistentin (Martha O’Driscoll, „Piraten im Karibischen Meer“) und kehrt den Spieß kurzerhand um, sodass er Edelmann in ein Monster verwandelt. Zuvor gab der Blutsauger sich mit dem Wolfsmenschen Larry Talbot (Lon Chaney Jr., „Der Wolfsmensch“) die Klinke in die Hand, der – tatsächlich – vom Doc entflucht werden wollte. Zu allem Überfluss entdeckt Talbot durch Zufall Frankensteins Monster (Glenn Strange, „The Monster Maker“) in einer Höhle, wo es verschüttet wurde. Edelmann und andere es mit der Ethik nicht so genau nehmende Wissenschaftler würden dieses nun gern reanimieren…

Da glaubt man, im Genre einigermaßen bewandert zu sein, wird jedoch immer mal wieder daran erinnert, aus der alten Universal-Schmiede bis auf die unumstößlichen Klassiker kaum etwas gesehen zu haben – seinerzeit um wenigstens die gröbsten Wissenslücken zu schließen und daraufhin mit wirklich relevanten Produktionen die Filmhistorie weiter Revue passieren zu lassen, später dann mehr oder weniger bewusst, da etlichen Fortsetzungen der Klassiker nicht unbedingt der beste Ruf vorauseilt und man Dracula, Frankenstein & Co. lieber so wie in ihren frühen Auftritten in Erinnerung behalten möchte.

Und dann wird man unverhofft mit diesem Film konfrontiert, der offenbar mit fast identischem Team vor und hinter der Kamera die Ereignisse aus dem (mir unbekannten) „Frankensteins Haus“ mehr oder weniger weiterspinnt, zumindest in Bezug auf Frankensteins Monster, nicht aber auf Dracula und den Wolfsmenschen, die, so heißt es, eigentlich dahingerafft worden waren. Und auch wenn man dies verwundert bis zähneknirschend akzeptiert, lebt die Geschichte weniger von einer etwaigen, kaum vorhandenen Gothic-Grusel-Atmosphäre, sondern vielmehr von unwahrscheinlichen Zufällen, etwas verkrampft wirkenden Bemühungen um ein Classic-Monster-Mash-up und dem daraus resultierenden Trash-Faktor mit einiger unfreiwilliger Komik.

Dass Graf Dracula letztlich eben doch nicht aus seiner Haut kann und wieder Unheil verbreitet, ist hingegen ein durchaus gelungener Kniff, der ihn charakterlich zudem von der tatsächlich tragischen Figur Talbot abgrenzt. Und dass seine Manipulation der Heilungsversuche des Doktors eben jenen Edelmann zu einer Art Dr.-Jekyll/Mr. Hyde-Schizo machen, macht das Stelldichein der Schauerfiguren perfekt. Edelmanns wissenschaftliche Ausführungen zu „Blutparasiten“, die als wissenschaftliche Erklärung des Vampirismus herhalten müssen, sind indes etwas kurios, aber – wie so mancher Dialog – spaßig anzuhören. Talbot bekommt einen gewohnten Überblend-Verwandlungseffekt, der Graf wird per Tricktechnik zur Fledermaus und das eine oder andere hübsch expressionistische Schattenspiel fand ebenso auf die gestalterische Ebene wie eine psychedelische, surreale Traumvisualisierung.

Demgegenüber finden sich wiederverwendetes Material aus vorausgegangenen Universal-Filmen sowie der eine oder andere Filmfehler, vor allem aber eine hanebüchene Erzählung, die zudem in recht hohem Tempo – die Laufzeit beträgt lediglich eine gute Stunde – durchgepeitscht wird, wodurch sich zumindest keine Langeweile einstellt. Objektiv betrachtet also eine sehr halbgare Angelegenheit, die mit den wahren Universal-Klassikern qualitativ so überhaupt nicht mithalten kann, subjektiv aber ein entrückter nostalgischer Spaß.
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